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Reqium of Darkness & Quiet Symphony

Walker x Kanda
von

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Kriegsstrategien

Keuchend stemmte ich mich abermals hinauf, spürte das Spannen in den Armen sowie mein Haar, das im Schweiß meiner Stirn haften blieb. Angestrengt blinzelte ich dem Boden entgegen, ließ mich hinabsinken und biss die Zähne zusammen. Ein paar noch… aber ein leises Klopfen an der Tür entriss mir augenblicklich das Vorhaben, ließ mich innehalten. Auf die Arme gestemmt blickte ich zur Tür, warf mir mit einer raschen Bewegung das Haar aus dem Gesicht.

Nanu?

Jetzt kam man schon direkt zu mir, um mich zu erwischen? Sonst bekam man die Neuigkeiten immer im Gang zugebrüllt oder im Essensraum mitgeteilt. Ächzend löste ich mich aus meiner Haltung, stieß mich ab und setzte die Füße auf den Boden. Ein leichter Schwindel ließ mich taumeln, als ich geschwind auf die Beine kam und noch immer keuchend machte ich mich auf den Weg, bekam die Klinke zu fassen und blinzelte unter der leichten Zugluft, die mir kühlend aus dem Flur entgegen zog. Mein Körper suchte sich seinen Halt an der Tür und so blieb ich lehnen, fuhr mir über die Stirn und grüßte die unerwarteten Besucher mit meinem flüchtigen Wink.

„Guten Morgen!“ Grinsend neigte sich mir Johnny entgegen. Hinter ihm stand ein anderer Wissenschaftler, der vertieft in einem kleinen Büchlein blätterte und über etwas zu grübeln schien. Hinter seinem Ohr klemmte ein Bleistift und Naserümpfend tastete er nach ihm.

„Morgen.“ Meine Hand stemmte sich in die Hüfte und flüchtig wurde ich auf jemanden aufmerksam, der auf der anderen Seite des Treppenhauses seiner Wege eilte. Ich hob die Brauen, neigte mich zur Seite… und sah sie schon flink in einem Gang verschwinden.

Das war doch Miranda…?

Wie auch immer, jetzt war sie weg.

„Was gibt’s?“, wandte ich mich wieder an die Beiden und Johnny versenkte die Finger im lockigen Haar, lachte leise.

„Komui hat uns geschickt“, verriet er mir und nahm mich von Kopf bis Fuß in Augenschein. „In einer Stunde findet im Speiseraum eine Besprechung statt, an der ihr teilnehmen sollt.“

„Eine Besprechung?“ Es kam überraschend und sofort erinnerte ich mich an den vergangenen Abend.

Das war es also.

Die Besprechungen der letzten Tage, deren Resultat uns jetzt mitgeteilt wurde?

Damit war ich ziemlich zufrieden und sofort nickte ich, spähte zurück und zu der Uhr.

Wenn man es recht bedachte, gab es solche Sitzungen nicht oft. Meistens wurden uns Nachrichten einzeln zugestellt. Anders ging es oft nicht, wenn wir unterwegs waren.

Und jetzt diese öffentliche Sitzung, für die man den Speiseraum für sich einnahm?

Vermutlich auch viele von uns zurückholte…?

Miranda war immerhin auch wieder da. Weshalb nicht auch die anderen?

„Du…?“ Mit demselben Grinsen neigte sich Johnny etwas näher, ließ mich den Kopf schief legen und irgendetwas befürchten. Er heckte etwas aus und wirklich war es die pure Entschlossenheit, die in seinen Augen aufblitzte. „Hast du kurz Zeit?“

„Wofür?“

Eigentlich nicht… denn letztendlich würde diese Stunde kaum reichen, um sich ein ordentliches Frühstück zu gönnen. Duschen müsste ich auch noch. Und und und… aber bevor ich mich versah, flatterte das schmale Maßband auf. Mit einem Mal zog er es hervor und der Mann hinter ihm begann wieder zu blättern.

Ach… die Uniform.

Ich rümpfte die Nase, spähte wieder zu dieser Uhr.

„Bitte!“ Johnny presste das Band, sank flehend vor mir zusammen. „Du wirst sehen. Heute ist es schon um einiges kälter und wenn wir die Maße von euch nicht bald nehmen, dann holt ihr euch eine Erkältung nach der anderen!“

„Erkältung?“ Perplex kam ich nicht um ein knappes Grinsen.

Ja, Erkältungsgefahr. Die einzig wahre Bedrohung, sobald wir das Hauptquartier verließen.

Da willigte man wohl besser ein und bevor ich mich versah, wurde ich aus meinem Zimmer gezogen und stand im Flur. Ich ließ an mir drehen und rücken, stand irgendwann kerzengerade und mit erhobenen Armen vor den Beiden und wurde mit Adleraugen fixiert. Der Mann mit dem Buch war es, der mich anstarrte, während das Band um meinen Körper gezurrt und ich von oben bis unten vermessen wurde. Aber richtig war ich mit den Gedanken nicht bei der Sache. Eher schweifte ich ab zu den nahen Geschehnissen, grübelte und sinnierte. Nur beiläufig vernahm ich Johnnys Stimme, als er die Maße weitergab und sofort zu Papier bringen ließ. Viel hatte sich vermutlich nicht verändert aber Johnny war Feuer und Flamme, also ließ ich ihn mit dem Maßband hantieren und um mich herumschwirren.

Was hatte sich hier getan, während ich unterwegs war?

Worüber hatte man so immens nachgedacht, dass man es jetzt in großer Runde besprechen wollte?

Ich presste die Lippen aufeinander, hob leicht das Kinn, als sich das Band um meinen Hals schlang. Meine strapazierten Arme kapitulierten beinahe unter der Haltung. Die Muskeln zuckten, sowie meine Gelenke zitterten und kurz unternahm ich den Versuch, die Arme einfach sinken zu lassen. Scheitern auf ganzer Strecke und bevor ich mich versah, drückte Johnny sie wieder in die Höhe und mich um einen Schritt zurück.

„So…“, konzentriert biss er sich auf die Unterlippe und ich schielte zu ihm, als er sich vor mich hockte, das Band um meinen Bauch legte. „… und so macht man das.“ Schon wurde es festgezurrt und ich weinte dem Frühstück nach. Mir war sein Sinn für Perfektion entgangen. Einfach vergessen… wie konnte das nur passieren? Wieder begann der Andere zu schreiben und aufmerksam folgten Johnny meine Augen, als er aufsprang, das Maßband höher zog und meinen Brustumfang vermaß.

„Bisher…“, murmelte er ganz in seine Arbeit vertieft, „… haben wir fast alle vermessen. Ihr müsste also…“, das Band rutschte ihm aus den Fingern und kurz fitzte er daran herum, „… höchsten fünf Tage warten. Wir arbeiten im Akkord!“

„Mm.“ Kurz und skeptisch lächelte ich ihm zu. Wenn ich die nächste Mission ohnehin noch schlotternd hinter mich bringen musste, dann hätte all das auch noch warten können. Aber jetzt war es sowieso zu spät. Meine Nase juckte und endlich konnte ich die Arme sinken lassen und mich kratzen. Johnny verschwand hinter mir und meine Augen erfassten eine neue Bewegung. Die zügigen Schritte hatte ich schon eher gehört und jetzt trat da jemand aus dem Treppenhaus hinaus in die Etage.

Ich war ihm mit meiner Aufmerksamkeit kaum voraus, da starrte er schon zu uns rüber, zog zielstrebig an den einzelnen Türen vorbei. Flüchtig hafteten unsere Blicke aneinander und irgendwie konnte ich es mir nicht nehmen lassen, auch ihm liebevoll zu winken.

Seine Kleidung wies darauf hin, dass auch er die Morgenstunden für das Training genutzt hatte. Außerdem auch darauf, dass er sich nicht vor Erkältungen fürchtete, wenn man bedachte, dass er seine Übungen oft auf den Wald verlegte. Ein ärmelloses Hemd… selbst diese lockere Hose. Mir wurde schon bei dem Anblick kalt. Wirklich, ein kühler Schauer durchlief mich und das nicht wegen seiner Reaktion auf meinen Morgengruß. In raschen Schritten ging er weiter, schnitt nur eine Grimasse und wendete sein Schwert in die andere Hand, um nach der Klinke seiner Tür zu greifen.

„Ach… Kanda?!“ Sofort sprang Johnny hinter mir hervor und ebenso rasch zurrte sich das Band fester um meinen Oberarm. „Warte!“

Er reckte den Arm, winkte ihm aufgeregt und nur widerwillig hielt Kanda inne, schickte uns einen weiteren dieser Blicke, die selbst dem schönsten Morgen seinen Reiz nahmen. Unauffällig zupfte ich an dem Maßband, lockerte es etwas.

„Hättest du kurz Zeit?“ Abrupt wurde am Band gezerrt und sofort rutschte ich mit den Fingern ab, schnitt eine Grimasse und sank ächzend in mir zusammen. „Wir brauchen noch deine Maße!“ Aufgeregt schallte seine Stimme in dem Treppenhaus, während ich mir das Gesicht rieb.

„Was willst du vermessen!“, erhob sich die andere Stimme gänzlich abgeneigt, lockte meine Aufmerksamkeit und ließ mich zu ihm spähen. „Hat sich nicht viel verändert!“

Ungeduldig nahm er Johnny in Augenschein, regte die Hand an der Klinke und runzelte die Stirn.

„Aber deine besonderen Wünsche!“, protestierte Johnny verzweifelt.

„Gibt’s nicht!“ Er hob das Schwert, winkte mit ihm ab und kehrte uns den Rücken. „Ich will sie so wie immer!“

So einfach…

Nachdenklich lauschte ich dem Dröhnen, als die Tür hinter ihm in ihr Schloss schlug. Neben mir sank Johnny unter einem weiteren Seufzen in sich zusammen.

Diese Direktheit, mit der er Probleme löste… vermutlich wäre ich meinem Frühstück schon um ein ganzes Stück näher, wenn ich ihm in dieser Hinsicht etwas ähnlicher wäre. Das Wesentliche war immer noch am verständlichsten, wenn man sich gekonnt kurz fasste.

Er hatte keine Lust darauf, hatte anderes vor… genau wie ich. Aber im Gegensatz zu ihm stand ich nun doch hier draußen und rieb mir das Gesicht. Ihm konnte so etwas nicht passieren.

Irgendwie beeindruckend, wie überzeugend er sich vor all den Dingen drückte, die ihm nicht passten. Resigniert spähte ich zu jener Tür und rümpfte die Nase.
 

Es endete in einem einzigen Wettlauf mit der Zeit. Kaum hatte mich Johnny entlassen, ließ ich mich von der Hast mitreißen, eilte von einem Raum zum nächsten und einige Minuten meiner ohnehin schon knappen Zeit opferte ich trotzdem noch für eine heiße Dusche. Schnell den Kopf unter den rauschenden Strahl gestreckt, schnell von oben bis unten eingeseift und fast tropfte das Wasser noch aus meinen Haaren, als ich mich in den Speiseraum schob.

So eine plötzliche Hektik… auch ohne Johnny wäre es wohl knapp geworden aber als ich durch die Tischreihen zog, sah es noch nicht nach einer Besprechung aus. Eher so wie immer. Zu meinen Seiten wurde gegessen. Heute waren es ziemlich viele, die es sich schmecken ließen, die sich unterhielten und dem Saal eine recht laute Atmosphäre verliehen. Flüchtig spähte ich um mich, erkannte kaum ein bekanntes Gesicht. Nur vereinzelte Finder, mit denen ich in der letzten Zeit unterwegs war und denen ich auch zunickte, sobald sie auf mich aufmerksam wurden. Dafür, dass ich alle meine Kollegen hier vermutete, begegneten mir hier erschreckend wenige. Sei’s drum… entschlossen richteten sich meine Augen auf den Tresen und von ihm aus zu einer großen Wanduhr.

Eine halbe Stunde. Ich blähte die Wangen auf, tastete nach den Knöpfen meines Hemdes und drehte den Obersten ins Loch.

Es wäre soviel mehr, wenn mir Kanda einen Teil seines Charmes abgeben würde. Einen nur geringen Hauch seiner zurückweisenden Aura.

Vielleicht sollte ich ihn einfach fragen…?

Ein knappes Grinsen zog an meinem Mundwinkel.

Als ich dann Jerry vor mir sah, war mein Ziel zum Greifen nahe. Es war ein Morgen ohne Umwege, ohne Verzierungen. Nur für einen knappen Gruß nahm ich mir Zeit, bevor ich mich auf den Tresen stemmte.

„Mach mir viel, wofür du nicht lange brauchst“, bat ich ihn entschlossen und erntete eine perplexe Kopfbewegung. Seinem Gesicht entsprang eine stumme Frage und bevor sie über seine Lippen kam und mich weitere Momente kostete, drückte ich mich deutlicher aus.

„Irgendetwas“, ächzte ich verzweifelt und wischte mir einen hinab rinnenden Wassertropfen von der Wange. Mir gegenüber wurden die Brauen gehoben.

„Ist etwas passiert?“ Nun kam die Frage doch, wenn auch eine etwas andere, als erwartet.

Perplex rappelte ich mich auf und das besorgte Gesicht Jerrys kam mir rasch näher.

„Wurdest du aufgehalten?“ Abrupt stemmte er sich mir entgegen. „Hast du verschlafen? Meine Güte! Ich habe dich eher hier erwartet! Aber weißt du was?“ Er fuhr voller Entschlossenheit in die Höhe und irritiert starrte ich ihm nach. „Ich werde schauen, was sich machen lässt!“

Erleichtert ließ ich den Kopf hängen und unter einem letzten unbeugsamen Schnaufen machte Jerry kehrt und eilte zur Küche zurück. Auf ihn war Verlass.

„Vielen Da…“

„Aaaallen!“ Plötzlich und unvorbereitet traf mich eine Wucht. Sie presste sich gegen meinen Rücken, sowie meinen Leib gegen die Kante des Tresens und bevor ich mich versah, steckte ich in einer eisernen Umarmung.

„Lavi!“

Der Schmerz war sofort vergessen. Die Freude überwiegte und nur schwerlich sicherte ich mir den Halt auf meinen Beinen, als er mich mit sich zog, genüsslich mit mir schunkelte.

Wie lange war es her?

Zwei Monate?

Der Zufall hatte es in letzter Zeit nicht gut mit uns gemeint. Wir waren uns so selten über den Weg gelaufen, dass ich ihn wirklich vermisst hatte. Und nicht nur ihn.

Spätestens als seine Nase in meinem triefenden Haar badete, ließ er von mir ab und präsentierte mir das breite, ehrliche Grinsen, das mir in so einigen düsteren Momenten gefehlt hatte. Er hatte oft diese Wirkung auf mich… diesen befreienden Einfluss, der vielen Dingen die Kompliziertheit nahm. Glucksend rieb er sich die Nase, stemmte die Hand in die Hüfte und lehnte sich neben mich.

„Wie geht’s? Wie steht’s?“ Dieses Grinsen schien unermüdlich und ich ließ mich einfach fallen, gab mich dieser ansteckenden Heiterkeit hin und war von einem Moment zum Nächsten ein Anderer.

Vergessen die Hast, vergessen die Nachdenklichkeit sowie die Neugierde, die mich in jedem ruhigen Augenblick heimsuchte. Alle Fragen waren einfach nicht mehr von Belang.

„Wie geht es dir?“, stellte ich sofort und ausgelassen die Gegenfrage aber wenn man von dieser Mimik ausging, dann störte ihn in diesen Momenten ebenso wenig, wie mich.

„Ach, du weißt schon…“, er gestikulierte ausschweifend mit der Hand, rutschte am Tresen etwas tiefer, „… man tut das eine oder andere. Von dem einen mehr, von dem anderen weniger…“

„Ja.“ Größer konnte mein Verständnis nicht sein und sofort nickte ich ernsthaft. „Das kenne ich nur zu gut.“

„Jahaha…!“ Er kehrte der Theke den Rücken, stemmte sich auf die Ellbogen und streckte die Beine von sich. Und er lachte schon wieder.

„Seit wann bist du hier?“ Ich konnte es nicht verhindern, dass meine Augen kurz zur Küchentür drifteten. Auch zur Uhr und mein Nebenmann ächzte.

„Seit drei Stunden…?“ Er schloss sich meiner Beobachtung nachdenklich an; wir starrten beide. „Nein, seit vier.“ Es ähnelte der puren Entrüstung. „Mein Gott, wo ist die Zeit geblieben?“

„Frag mich nicht. Meine ist auch verschwun...“ Augenblicklich versagte meine Stimme und mit offenem Mund starrte ich auf die Teller und Schalen, die Jerry aus der Küche hinausbalancierte.

So schnell…!

Er keuchte und ächzte, als er die beiden Tabletts ablud aber all das Essen war wirklich da und wieder erhob sich neben mir das klare, heitere Lachen Lavis. Ein seltsamer Kontrast zum schnaufenden Koch.

„Man, Allen…“, ein lässiger Schlag traf meine Schulter. „Du hast dich echt nicht verändert!“

Und das sagte er nach acht Wochen? Auch noch auf meine Essgewohnheiten bezogen?

Diese Form der Nostalgie war hier fehl am Platz.

„Mehr konnte ich auf die Schnelle nicht auftreiben!“ Erschöpft präsentierte mir Jerry seine Fundstücke und in den ersten Momenten konnte ich nur den Kopf schütteln.

„Keine Angst.“ Eines der Tabletts begann sich zu regen. Lavi nahm es an sich. „Das wird ihn wohl knapp vor dem Hungertod bewahren.“

„Jerry…“, ich war wirklich gerührt aber der emotionale Moment endete mit einem Ellbogen, der meinen Arm streifte.

„Na, komm. Wenn du vor der Besprechung fertig werden willst, ist Eile geboten.“
 

„Hast du etwas gehört?“ Er rutschte weiter, ließ mir meinen Platz auf der Bank und besah mich neugierig. „Weißt du, worum es bei der Besprechung geht?“

„Mm-mm.“ Sobald ich still saß und das Besteck zwischen den Fingern hatte, verlor ich einen nicht geringen Teil meiner Aufmerksamkeit. Nur knapp schüttelte ich also den Kopf, zog einen Teller zu mir und versenkte den Löffel im Milchreis.

„Mm.“ Neben mir wurde gebrummt. Lavi stützte sich auf den Tisch und das Kinn in die Handfläche und während ich mich allein auf diesen Teller konzentrierte, starrte er mit deutlicher Nachdenklichkeit vor sich hin.

„Das frage ich mich schon die ganze Zeit…“, murmelte er. „Die Mission, von der man mich abgezogen hat, war immerhin nicht gerade unwichtig.“

„Du hast abgebrochen?“ Verwundert spähte ich zu ihm, versenkte den Löffel im Mund und tastete schon nach dem Becher. Er nickte, regte die Finger am Kinn und erwiderte meinen Blick.

„Muss also was Wichtiges sein.“ Seine Lippen verzogen sich erwägend und mir blieb nicht vielmehr übrig, als mit den Schultern zu zucken.

Natürlich irritierte es mich… nicht viel weniger, als ich all das als zu verlockend ansah. Fast verfiel ich dieser alten Neugierde und mein nächster Blick zur Uhr war von anderer Natur. Entgegen der Teller und Schalen, die ich noch zu leeren hatte, könnte die Besprechung doch schon beginnen. Wenn die Problematik so ernst war, wie ich es vermutete, würde ich Prioritäten setzen. Wirklich interessant und die darauffolgende Stille gab mir die Gelegenheit, darüber zu grübeln. Während ich kaute, trank und mir über den Mund fuhr, drifteten meine Pupillen ziellos von einer Seite zur anderen.

Wenn man ihn von einer gewichtigen Mission abzog… möglicherweise auch andere…

Ich senkte die Lider, griff nach einem Schälchen und hob es zu mir.

Was hatte Komui vor?

Ein dumpfer Laut riss mich aus meinen Gedanken. Lavi war neben mir auf dem Tisch gelandet, bewegte das Gesicht zwischen den Armen und stöhnte.

„Ah, ich hätte wirklich schlafen sollen!“

Ich starrte ihn an und dirigierte den ersten Löffel zum Mund.

„Mm…“, die Hand durchfuhr den roten, wilden Schopf, „… aber irgendwie konnte ich nicht ‚nein’ sagen, als mich Linali fragte, ob ich mit ihr trainieren will.“

Nichts, das mich verwunderte.

Wirklich keine Neuigkeit und unbeteiligt fixierte ich mich auf das Schälchen und darauf, den Inhalt so schnell wie möglich im Mund zu verstauen. Linali war vermutlich die Einzige, die das Hauptquartier in letzter Zeit nicht verlassen hatte.

Ich erinnerte mich…

Als ich vor einer Woche aufgebrochen war, hatte sie ihre Zeit noch auf dem Krankenflügel verbracht, um sich von einer schweren Verletzung zu erholen. Viel davon hatte ich nicht mitbekommen. Wie immer hatte die Zeit gefehlt aber bei meinem Besuch hatte sie schwächlich gewirkt, eigentlich nicht so, als wäre das Training in nächster Zeit das Richtige für sie.

Lavi wendete das Gesicht zur Seite, bettete die Wange auf dem Unterarm und begann den Tisch mit den Fingernägeln zu bearbeiten. Ein permanentes Kratzen, das sich mit dem Scheppern des Geschirrs verband.

„Wir waren im Wald“, begann er dann zu erzählen und klirrend landete das leere Schälchen wieder auf dem Tablett. „Sie hat sich wirklich angestrengt und gute Resultate erzielt.“ Seine Hand hob sich zu einer trägen Geste und beiläufig versenkte ich zwei Weintrauben im Mund, zog einen Teller mit Croissons zu mir. „Sie strengt sich wirklich an, verstehst du?“

„Mm-mm.“ Eilig riss ich das erste Croisson auseinander, tunkte es in den Joghurt und lauschte dem dumpfen Ächzen.

„Sie hat wirklich hart trainiert aber dann bekamen wir Besuch vom dem Freundlichsten aller Geschöpfe.“

Wen er damit meinte, wusste ich nicht aber wenn ich einfach weiteraß, dann würde die Erklärung bestimmt schnell folgen. Ich hatte keine Zeit, um Fragen zu stellen.

„Dass Yu ausgerechnet zur selben Zeit im Wald sein musste…“, maulte er.

Kanda?

Perplex hielt ich in meinen Bewegungen inne.

Glaubte er, bei der Beschreibung dachte ich zuerst an ihn?

Der Sarkasmus war ihm nicht wirklich gelungen.

Er verdrehte die Augen, bevor ich mich wieder dem Essen zuwandte und den Joghurt schlürfte.

„Reizend wie eh und je. Du kannst dir nicht vorstellen, was für fieses Zeug er Linali an den Kopf geworfen hat.“

Das konnte ich allerdings nicht…

Wenn jemand vor Kandas Zynismus sicher war, dann war es Linali.

„Er meinte, dass sie nicht trainieren sollte, weil es ihr gerade sowieso nichts bringt, außer weitere Verletzungen.“

Ich schluckte hinter, runzelte die Stirn und als ich erneut zu Lavi spähte, blähte dieser die Wangen auf. Ich hatte abermals innegehalten und auch jetzt bewegte sich meine Hand nur langsam auf den Eiersalat zu.

Das hatte er gesagt?

„Stell dir vor.“ Grantig weitete Lavi die Augen. „Der Baum, an dem sie trainierte… er sagte, sie nimmt mehr Schaden, als er.“

„Mm.“ Ich rümpfte die Nase, kurz drifteten meine Augen gen Decke und schweigend begann ich den Salat zu löffeln. Diese Szenerie konnte ich mir bildlich vorstellen. Das Seltsame daran war etwas ganz anderes.

„Man… dabei strengt sie sich wirklich an. Den guten Willen hat er natürlich nicht gesehen. Ist bestimmt nur mit dem falschen Fuß aufgestanden und hatte Lust, jemanden zu beleidigen.“

Es war ein bizarres Gefühl und beinahe fühlte ich mich fremd in meinem Körper, als ich mir eingestand, Kandas Meinung in allen Facetten zu teilen. Derselbe Grundgedanke kam mir auch, als ich von diesem Training hörte… vermutlich hätte ich es nur anders zum Ausdruck gebracht.

Wenn überhaupt.

Überschätzung war eine gefährliche Eigenschaft.

Vor allem sie wurde doch nicht unter Druck gesetzt. Es gab niemanden, der sie zu diesen Maßnahmen zwang. Zu tun gab es immer viel aber letztendlich kam es nicht auf einen Exorzisten an. Vor allem nicht auf einen Schwächelnden.

Auch sie wusste, dass der Grad sehr schmal war.

Zwischen der Unterstützung, die man seinen Kameraden sein konnte und dem Punkt, an dem man umgekehrt zur Last für sie wurde. Die Zeiten waren zu gefährlich, um so ein Wagnis einzugehen.

Natürlich war es etwas gedankenlos gewesen.

Vor einer Woche war sie kaum auf die Beine gekommen.

Das war so typisch für sie. So war sie einfach.

Neben mir erhob sich die maulende Stimme unaufhörlich. Vor allem in den Momenten, in denen ich mich vollständig in mich selbst vertiefte und mir selbst nicht glauben wollte, dass ich Kandas Worte ganz und gar nachvollziehen konnte.

Es war mir schon eher aufgefallen…

In Zeiten, in denen man die Wahrheit nicht sehen und sich hinter dem möglicherweise falschen Optimismus verstecken wollte…

An Tagen, an denen man von vielem sprach, um ein gewisses Thema zu umgehen…

In Stunden, in denen man blind und taub hoffte, um nicht realistisch denken zu müssen.

Früher oder später war immer er es, der es präzise und gnadenlos auf den Punkt brachte und vielen damit eine Hilfe war, die nicht sofort, wenn überhaupt, registriert wurde. Der aussprach, was niemand hören wollte und damit an viele Grenzen stieß. Kurz und strikt holte er jeden zurück an den einzigen Ort, der wahre Fortschritte brachte: Die Realität.

Er sagte es einfach…

Es war schon oft so gewesen und ich unter jenen, die gereizt darauf reagierten.

Er sagte es einfach und wirkte dabei, als schere er sich nicht um den Rückprall.

Eine seltsame Fähigkeit, die ich schweigend… also gar nicht teilte.

Ich senkte den Kopf und kurz rührte ich nur in dem Quark.

„Was sagst du dazu?“

„Hm?“ Mit einem Schlag kam ich zu mir, wandte mich zur Seite und bemerkte, wie erwartungsvoll ich gemustert wurde. Die Wange auf die Wand gestützt, starrte mich Lavi an und vorerst starrte ich nur zurück, erwachte zu altem Leben und steckte mir den Löffel in den Mund.

„Na, dazu.“ Etwas ungeduldig fuchtelte er mit der Hand. „Du findest Linalis Engagement doch auch gut, oder?“

Unentschlossen kreiste ich mit den Augen, saugte den Quark vom Löffel und kratzte mich mit ihm am Kinn.

Was sollte ich dazu sagen?

Um zu handeln wie Kanda, fehlte mir die Bereitschaft, mich mit den Reaktionen auseinanderzusetzen und für meine Worte geradezustehen. Ein schiefes Grinsen zog an meinem Mundwinkel und Schulterzuckend hob ich den Löffel.

„Tja“, grinste ich. „So ist Kanda eben.“

„Mm… ja.“ Brummend wandte sich Lavi nach vorn und entspannt wandte ich mich dem letzten Teller zu. „Wenn er mich anmotzt, ist das ja okay… ich fordere es ja auch irgendwie heraus. Aber vor Linali könnte er sich ruhig zusammenreißen.“

Dazu musste ich nichts mehr sagen. Außerdem blieben nur noch wenige Minuten und die verbrachten wir letztendlich damit, das Geschirr zum Tresen zurückzutragen. Diese Schlepperei schien Lavi auf andere Gedanken zu bringen. Jedenfalls fluchte er nicht mehr über das Freundlichste aller Geschöpfe und spätestens, als wir auf Crowley trafen, lenkten sich die Themen in eine ganz andere Richtung. Angenehme Gebiete, die nicht viel bedeuteten und während wir wieder am Tisch saßen und warteten, fiel mir auf, dass allmählich Bewegung aufkam. Eine seltsame Bewegung, in der es sämtliche Finder sowie Köche und anderes Personal aus dem Speiseraum zog und stattdessen die Wissenschaftler hinein.

Die Besprechung entpuppte sich also nicht als öffentlich genug, dass die Finder dabei sein durften und aufmerksam verfolgte ich all das, während die Worte neben mir flossen und dem Lachen kein Abbruch getan wurde. Eine geringe Zahl von Weißkitteln trat ein und suchte sich seinen Platz. Auch Bookman tauchte auf. Mit einer Tasse Tee schob er sich auf eine nahe Bank und nach einem knappen, grüßenden Zunicken begann er zu nippen und es sich schmecken zu lassen. Es schürte meine Neugierde… beinahe steigerte sie sich schon zu einer Anspannung und mir stand nicht der Sinn danach, mich an den heiteren Gesprächen zu beteiligen, als ich mir dieser Ernsthaftigkeit bewusst wurde.

So eine Besprechung hatte es hier nur selten gegeben. Es roch nach Veränderungen, nach Risiken und Themen, die prekär waren.

Im Schneidersitz saß ich dort, stemmte die Ellbogen auf die Knie und blickte Johnny nach, der sich in einer kleinen Gruppe bewegte, sich in der Nähe des Einganges niederließ und einen mangelhaften Teil der vorherigen Heiterkeit offenbarte. Schon jetzt wurde dort vorne diskutiert und nachdenklich begann ich die Fingernägel mit den Zähnen zu bearbeiten, mir die Lippen zu reiben. Nur noch wenige Minuten und pünktlich schob sich auch Kanda durch die Tür. Ich wurde sofort auf ihn aufmerksam, verfolgte seine kritischen Blicke, die er in alle Richtungen warf, bevor er sich seinen Platz suchte.

Er hatte es auch bemerkt und kurz darauf entzog er sich schon meinem Blickfeld, wählte eine Bank auf der anderen Seite des Saales und ging unter im Meer der sich regenden Köpfe.

Eine etwas verhaltene Geräuschkulisse, die ich aufmerksam analysierte. Genau wie die Gesichter der Menschen, die in meiner Nähe saßen.

Selbst Marie war hier.

Seine große Gestalt zu übersehen, war ein Unmögliches. Man hatte wirklich jeden hergeholt, dessen Mission nicht von allerhöchster Wichtigkeit war und die letzte Minute brachte ich äußerst angespannt und erwartungsvoll hinter mich. Ich machte es mir auf der Bank bequem, verharrte lange reglos und reckte mich in die Höhe, als die sinkende Lautstärke davon zeugte, dass Komui eintrat. Und wirklich.

Unter seinem Arm klemmte eine Mappe und zu der gewohnten Begrüßung kam es auch nicht. Er sah sich lediglich um, nickte in die Runde und hatte kaum ein Lächeln für die Anwesenden übrig, als er durch die Tischreihen zog und sich einen guten Punkt suchte. Sorgfältig musterte ich dieses Gesicht, betrachtete mir auch Linali, die, wie River, neben ihm ging.

Ihre Hände rieben sich aneinander, etwas nervös sah sie sich um und unter einem dumpfen Laut wurde die Tür des Saales geschlossen. Nun waren wir unter uns. Selbst die Küchentür blieb verschlossen und ich nahm mir meine Zeit, um mir die junge Frau näher zu betrachten. Ihre Schritte wirkten etwas unsicher. Die Schultern gesenkt, schien sie nach der erstbesten Sitzgelegenheit zu suchen und ich kam nicht um ein stummes Stirnrunzeln.

Unerwartet und plötzlich traf mich ihre Aufmerksamkeit. An einer Bank hatte sie innegehalten, ließ sich auch schon auf sie sinken und grüßte mich mit einem strahlenden Lächeln. Auch ihre Hand hob sich eifrig und glücklich und sofort lächelte ich zurück, winkte.

Was hatte sie sich dabei gedacht?

Sie war wirklich noch nicht in der Verfassung für so eine Beanspruchung.

Neben River blieb Komui nun stehen. Er fand seinen Standort nicht weit entfernt, wurde die Mappe auf einem Tisch los und während die letzten Gespräche verstummten, wandte er sich kurz an River. Ich sah sie flüstern, River nicken und wandte mich ab, als die große Türe mit einem Mal und geräuschvoll aufgestoßen wurde. Langsam neigte ich mich nach vorn, sowie eine allgemeine Bewegung durch die Masse ging und sich jeder Kopf drehte. Ein leises Raunen folgte auf den plötzlichen Krawall und ich kam nicht um ein leichtes Schmunzeln, als ich den dunklen Lockenschopf erkannte, der sich durch den Türspalt schob.

„Oh Gott!“ Keuchend neigte sich Miranda in den Saal und während ich mich Kopfschüttelnd zurücksetzte, schien sie zu Eis zu erstarren. Mit geweiteten Augen starrte sie in die Masse der Aufmerksamen, hielt selbst den Atem an. „Oh Gott, ich bin zu spät! Es tut mir so leid!“ Ihr Gesicht zuckte, als wäre sie den Tränen nahe. „Ihr habt schon angefangen und ich habe euch jetzt gestört!“

„Nichts von beidem. Komm, setz dich zu mir.“ Tröstend winkte Linali die Frau zu sich und während diese demütig die Tür hinter sich schloss, verlor sich das allgemeine Interesse an ihr. Die Anwesenden wandten sich wieder Komui zu und auch ich stemmte den Ellbogen auf den Tisch, sah ihn in der Mappe blättern und die letzten Worte mit River wechseln. Auch in meinem Rücken waren die Gespräche jetzt verstummt und nur Crowleys mitfühlendes Seufzen drang an meine Ohren, als sich Miranda durch die Tischreihen schlich und sich erleichtert zu Linali gesellte. Somit waren also alle anwesend und wieder rieb ich mir den Mund, konnte die Augen in der Zwischenzeit nicht mehr von Komui lösen.

Ich verfolgte die Bewegungen seiner Lippen, seine Pupillen, die ein letztes Mal nachdenklich den Saal durchschweiften, bevor sie sich auf uns, die Zuhörer und Erwartungsvollen richteten. Und so, wie er sich dann zu uns wandte, so richtete ich mich um ein Stück auf, stemmte den Ellbogen neben mich auf den Tisch.

„Gut.“ Unter einem tiefen Atemzug zog er die Unterlagen zu sich, blickte prüfend in die Runde und erhielt die volle Aufmerksamkeit. Neben ihm trat River um einen Schritt zurück. Er verschränkte die Arme vor dem Bauch und machte keinen Hehl aus seinen Grübeleien. Deutlich zeichneten sie seine Mimik und als Komui fortfuhr, starrte er zu Boden.

„Erst einmal vielen Dank, dass ihr es alle pünktlich geschafft habt.“ Ein knappes Nicken wurde an die Masse gerichtet, in der hinteren Ecke knarrte eine Bank unter einer verhaltenen Bewegung. „Ich weiß, dass es bei einigen von euch ziemlich knapp war und die Rückkehr plötzlich kam. Aber es handelt sich um eine Notwendigkeit sowie diese Besprechung, zu der ich euch zusammengerufen habe.“

Wie ich es mir dachte… und während eine weitere Bank knarrte, regte ich mich kaum. Auch meine Augen lösten sich nur flüchtig von Komui, schweiften zu Miranda und Linali, die flüchtige Blicke wechselten. Komuis Räuspern lockte mich zurück zu ihm, ließ mich verfolgen, wie er sich die Unterlagen unter den Arm klemmte.

„Nach reichlichen Überlegungen möchte ich euch jetzt eine Mitteilung machen. Vor allem an die Exorzisten wende ich mich.“

Seine Augen fanden zu mir, schweiften auch zu seiner Schwester und mit jedem Augenblick wurde seine Mimik der seines Nebenmannes ähnlicher. Seine Stirn legte sich in Falten, kurz bearbeitete er auch die Unterlippe mit den Zähnen und rückte an seiner Brille, bevor er sich aufrichtete und tiefen Atem schöpfte. Ernst besah er sich die Masse.

„Die Ereignisse der letzten Wochen, insbesondere das Aufeinandertreffen mit dem Grafen und die Folge von katastrophalen Geschehnissen haben mich dazu veranlasst, eine Entscheidung zu treffen, die uns alle betrifft.“

Ich bemerkte es kaum. Wie es meinen Oberkörper langsam jedoch stetig nach vorn zog, ich mich seinen nächsten Worten förmlich entgegenneigte und den Sinn für die Umwelt verlor. Ein vereinzeltes Flüstern erhob sich, weitere Geräusche zeugten von einer gewissen Unruhe und Komui schien nichts anderes erwartet zu haben. Er senkte den Kopf, starrte zu seinen Unterlagen und regte die Finger auf der glatten Oberfläche der Mappe.

„Wir werden in die Offensive gehen“, verkündete er dann und blickte auf.

Mein Gesicht regte sich, meine Schultern sanken und unter einem stillen Stirnrunzeln richtete ich mich auf, stemmte die Hand auf das Knie. Und ich betrachtete mir Komui eindringlich, während sich das Murmeln um mich herum erneut erhob. Reaktionen, die ich noch nicht recht zu deuten wusste. Ebenso wenig wie diese Worte.

Hatten wir nicht immer offensiv gearbeitet?

Wir waren nie untätig gewesen, dem Feindkontakt nie aus dem Weg gegangen.

Was meinte er damit?

Auf der Nebenbank wurde gemurmelt. Mich erreichten nur undeutliche Wortfetzen und kurz spähte ich zu den Wissenschaftlern, die sich zueinander neigten. In meinem Rücken erhob sich ein leises Räuspern.

Die Frage blieb überflüssig, denn Komui ließ den Zuhörern wenig Zeit, sich eigene Zusammenhänge und Erklärungen zu suchen.

„Wir können es nicht zulassen, dass uns der Graf erneut einen solchen Schaden zufügt. Dass er unser Herz angreift, anstatt unsere robuste Hülle. Wir waren zu ungeschützt, weshalb wir den Ort der Entscheidung demnächst selbst wählen und damit im Vorteil sein werden.“

Lautlos öffnete sich mein Mund. Meine Miene schien mir nun vollends zu entgleisen und während die stille Atmosphäre mehr und mehr von unentschlossenen Geräuschen und Regungen bestimmt wurde, verschob ich diesen Kampf auf mein Innerstes. Meine Aufmerksamkeit löste sich von Komui, richtete sich viel eher auf den Boden, auf den ich sinnierend starrte.

„Seit den jüngsten Zwischenfällen hat die Einmischung und die Offensive des Grafen scheinbar stark nachgelassen“, drang seine Stimme an meine beinahe tauben Ohren. „Die Gegner, die sich den Exorzisten in vergangenen Missionen entgegenstellten, erschienen nach deren Einschätzung planlos und unstrukturiert. Ganz anders als früher. Des Weiteren haben wir die Tatsache beachtet, dass der Kreis der Noah um den Grafen an Festigkeit verloren hat. In den vergangenen Kämpfen wurden einige von ihnen vernichtet. Wo sich der Graf auch immer aufhält, seine Verteidigung ist um einiges schwächer und ich denke, wir sollten diese vielleicht einmalige Gelegenheit nutzen… um den Kampf, der schon so lange tobt, ein für allemal zu beenden. Ich denke, wir sollten uns seine seltene Schwäche zunutze machen und eine Offensive zeigen, die er höchstwahrscheinlich nicht erwartet.“

In der Zwischenzeit war die Ruhe der Anwesenden nur weiterhin gewichen. Von überall her drangen wirre Wortfetzen zu mir. Die Menge regte sich, Gesichter wandten sich einander zu. Ich schenkte ihren Ausdrücken kaum Beachtung, spähte nur kurz auf und anschließend hinter mich. Die Hand am Mund, blieb Lavis Aufmerksamkeit einzig und allein auf Komui gerichtet. Er rieb sich die Lippen, senkte den Kopf… und vertiefte sich in eine undeutliche Kopfbewegung. Ich wandte mich weiter, sah Crowley tief einatmen und meinen Blick unentschlossen erwidern.

Was dachten sie…?

Dasselbe wie ich?

Eigentlich war es doch eher so, dass ich mich mit jedem weiteren Wort Komuis in einer irrsinnigen Situation vermutete. Einfach an einem Ort, an dem man nichts so meinte, wie man es sagte. Und mit derselben Sprachlosigkeit kehrte ich den Beiden den Rücken, suchte in der Masse nach anderen.

Die Hände auf der Brust geballt, saß auch Linali dort und ihr Gesicht war eines der vielen, dem ich nicht viel entnehmen konnte. Es schien sie zu bewegen… natürlich, uns alle bewegte es. Nur vermutlich in restlos verschiedene Richtungen und als sich Miranda sichtlich aufgewühlt durch den Schopf fuhr, starrte ich auf den Boden zurück, sank erneut in mir zusammen. Die letzte Begegnung mit dem Grafen hatte in keinem von uns angenehme Erinnerungen hinterlassen und in dem Meer der Aufregung schüttelte ich still den Kopf.

„Sie…“, meldete sich ein Wissenschaftler auf der Nachbarbank unsicher zu Wort, „… Sie wollen es ein für allemal beenden? Denken Sie, es wird gelingen?“

„Was wäre das…“, wurde auf einer anderen Bank aufgeächzt und ich verfiel der alten Regungslosigkeit.

Ja, was wäre das…

Gar kein übler Gedanke, den schwarzen, bedrohlichen Schatten loszuwerden…

Zu verlockend.

Wäre da nur ein Quäntchen Zuversicht, ein kleiner Teil an Freude… in meinem dumpfen Meer aus Skepsis und Unglauben. Schwarz… für mich war es das. Alles, was in diese Richtung führte.

Schaden hatte es gegeben. Mehr, als wir vertrugen und bis heute waren wir nicht vollends dem alten Rhythmus verfallen. Nicht den alten Ansichten, bevor all das geschah.

Es war fatal gewesen.

Ich fühlte mich damit nicht wohl.

„Ich bin zuversichtlich“, stand Komui hinter seinen Worten. Seine Stimme machte auf mich den Eindruck, als täten ihm die hoffnungsvollen Reaktionen gut, als würde er sich durch sie notwendig bestätigt sehen. „Bisher war es immer der Graf, der uns zu sich lockte, der uns auflauerte. Diesmal übernehmen wir diese Rolle.“

Er hob die Mappe und als meine Pupillen zur Seite drifteten, traf mich die Hoffnung in den Augen dieser Menschen annähernd schmerzhaft. Mit gesenktem Kopf besah ich sie mir. Tat es still und unauffällig.

„Wir…“, fuhr Komui nach einem tiefen Durchatmen fort, „… wir werden nach dem Grafen suchen!“

Permanent erhoben sich diese Stimmen. Wild um mich herum und als Komui die Mappe hob, ließen sich auch nicht alle zum Schweigen bewegen. Es war zu aufwühlend und langsam hob ich die Hand, rieb mir die Stirn.

„Wann?“, wollte einer der Zuhörer wissen und ich schloss die Augen, rieb sie mir ebenso.

Das Meer der Laute, der Stimmen und Gefühle umfing mich dumpf, ließ mich beinahe versinken in meinem unangenehmen Morast der Zweifel. Er bestand aus nichts anderem.

Letztendlich ging es doch um uns… die Exorzisten.

Von uns sprach man, wenn man das ‚wir’ erwähnte.

Wie dachten die anderen darüber?

War ich der Einzige, der in diesem Vorhaben keine Hoffnung, sondern einzig und alleine ein unverantwortliches, unkalkulierbares Risiko sah?

„Mm.“ Spätestens jetzt wirkte Komui um einiges entspannter. Die Zuversicht, sowie das Vertrauen der anderen schienen ihn zu bestärken. Zumindest seiner Stimme nach zu urteilen, denn ich rieb mir die Augen immer noch. „Nun, so früh wie möglich.“

Wieder schüttelte ich den Kopf.

„Natürlich werden wir umfassende Planungen vornehmen, um dann…“

„Wie hast du dir das vorgestellt?“ Eindringlich erhob sich diese Stimme, tat es so deutlich in dieser Masse aus Worten und ließ mich die Hand senken.

Kanda…

Ich öffnete die Augen, vernahm die abklingenden Fetzen der ersten Euphorie. Durchschnitten von diesen wenigen, nachdrücklichen Worten, verstummten viele und langsam blickte ich auf, folgte dem Laut der Stimme und spähte durch die Reihen der Anwesenden, die sich regten. Köpfe wandten sich, Körper lehnten sich zurück und durch die Reihe der Bewegungen fiel mein Blick direkt auf ihn.

Ja, wie stellte sich Komui all das vor?

Eine berechtigte Frage, die mich weitaus mehr durch ihren Unterton interessierte.

Kanda stellte keine Frage, er formulierte einen deutlichen Vorwurf und rege Zweifel. Einfach auf seine Art und Weise. Eine allgemeine Aufmerksamkeit traf ihn und ich sah ihn dort sitzen, Komui eindringlich taxierend.

Eine Stille, die zu lange andauerte.

Momente, die er einfach nutzte, ohne, dass ich ein Zögern an ihm wahrnahm.

„Du willst, dass die nächste Herausforderung von uns kommt?“ Er hob die Brauen und bevor ich mich versah, folgte ich seiner Beobachtung, schloss mich ihr an. Komui machte nicht den Eindruck, mit etwas Derartigem gerechnet zu haben.

„Wir sind nur noch acht an der Zahl!“ Kandas Stimme erhob sich mit Nachdruck und von Komui sah ich zurück zu ihm, erkannte die Verbitterung, die sein Gesicht formte. „Die Frischlinge sind für so etwas noch nicht bereit. Die loszuschicken, wäre dasselbe, wie Lämmer zur Schlachtbank zu führen! Hast du das vor?“ Seine Hand hob sich zu einer ruppigen Geste und diesmal waren es Regungen ganz anderer Art, die durch die Reihen der Zuhörer gingen. „Ist genauso schlimm, wie acht Mann zu einem völlig unsicheren Ziel aufbrechen zu lassen! Seit wann stützt du dich so auf Pläne, die nur auf wagen Vermutungen aufgebaut sind!“

„Kanda…“, eindringlich wandte sich Komui ihm zu. Die Mappe wurde sinken gelassen, „… etwas anderes bleibt uns nicht übrig.“ Mit deutlicher aufgezwungener Ruhe versuchte er es ihm zu erklären. „Unsere Arbeit basiert oft auf Vermutungen.“

„Bei den bisherigen Vermutungen gab es nicht soviel zu verlieren.“ Sofort und strikt folgte die Antwort, die Komui sichtlich aus dem Konzept brachte.

So schnell?

War er letztendlich selbst nicht von jedem Zweifel losgekommen?

Selbst angespannt verfolgte ich all das und ein weiteres Mal…

Er sagte, was ich dachte und tat es soviel schneller.

„Die Entscheidung ist zu einseitig!“, protestierte er einfach weiter, ohne sich viel aus der Sprachlosigkeit Komuis zu machen. „Du gehst einfach von einem Erfolg aus und vergisst dabei die völlige Niederlage, wenn es schiefgeht! Wer verteidigt euch, wenn es uns nicht mehr gibt!“

„Ich bin nicht festgewachsen auf den Erfolgserwartungen.“ Beinahe flehend erbrachte Komui endlich die nächste Antwort und traf auf wenig Verständnis. Er hob die Mappe, während um ihn herum geflüstert und getuschelt wurde. Eine unangenehme Regung lebte auf und er bemerkte es.

Jetzt begann er sich schon zu verteidigen?

Ich rieb mir den Mund, zog die Füße von der Bank und setzte sie auf den Boden.

Finster ließ Kanda ihn nicht aus den Augen.

„Ich gehe nur von unseren Möglichkeiten aus.“ Auch Komuis Stimme benötigte spätestens jetzt einiges mehr an Nachdruck, um sich über das allgemeine Raunen zu erheben. „Er ist in letzter Zeit so tatenlos, dass man davon ausgehen muss, dass er Gefechten aus dem Weg gehen will, weil er sich derzeit nicht ausreichend verteidigen kann!“

„Das ist das, worauf du hoffst“, wurde gnadenlos widersprochen und grübelnd rieb ich mir die Mundwinkel.

„Komui.“ Es war meine Stimme, die sich nun erhob und sofort wandte er sich mir zu. Es war ein Augenblick, in dem ich mich einfach nach Kanda richtete. Ich verstand sein Verhalten… tat es nur zu gut. Wenn etwas in einem rumorte, dann musste man es loswerden. „Wie groß ist neben der Möglichkeit des Erfolges die Möglichkeit, dass es sich um eine Falle handelt?“ Somit blickte ich auf, musterte ihn erwartungsvoll.

„Glaubst du wirklich, dass er in den letzten Wochen untätig war?“, ertönte es kritisch von der anderen Seite und kurz drifteten meine Augen an Komui vorbei. Kanda hatte sich um ein Stück aufgerichtet, verlassen von etwaigem Verständnis. „Wir waren es auch nicht!“

„Der Graf nimmt sich viel Zeit für die Entwickelung neuer Waffen.“ Ich gliederte mich dort ein, wo er aufgehört hatte und schenkte den Reaktionen anderer kaum Beachtung. In diesen Momenten gab es nur meine Zweifel und den Willen, diesem Irrsinn vorzubeugen. „Genauso wie er jeden Tag unzählige, verzweifelte Seelen zu sich lockt.“ Ich schüttelte den Kopf, blieb träge sitzen. „Solange es den Tod gibt, gibt es seine Armeen und warum sollte er sich die Umstände machen, nach uns zu suchen, wenn er ebenso darauf warten kann, dass wir zu ihm kommen?“

Ein flüchtiges Zucken durchfuhr Komuis Miene. Lautlos öffnete sich sein Mund und kurz wirkte er so, als würde man ihn hier auf Tatsachen ansprechen, die in den Vorbesprechungen nie eine Rolle gespielt hatten. So deutliche Tatsachen… die er vielleicht auch einfach nicht hatte sehen wollen.

Aber es war unser aller Problem, wenn er diese Scheuklappen trug.

„Wir würden ihm damit die einmalige Möglichkeit bieten, uns alle auf einmal auszumerzen!“ Kaum war ich verstummt, meldete sich Kanda wieder zu Wort… kam mir zuvor, was die nächsten Punkte meiner Kritik anbelangte. Unbewusst nickte ich auch schon, verschränkte die Arme vor dem Bauch. „Das einzige, was wir höchstwahrscheinlich damit erreichen, ist, ihm einen Gefallen zu tun und ihm die Zeit zu ersparen, einzeln nach uns zu suchen!“ Ungläubig hob er die Hände. „Das sollen die ganzen Jahre des Kampfes jetzt wert gewesen sein? Ein unüberlegter Hinterhalt, auf den er nur wartet?“

Er sagte es.

Vermutlich hätte ich all das Gewirr in mir nicht besser formulieren können.

Ich nahm Regungen in meinem Rücken wahr, achtete nicht auf sie. Hörte vereinzelte Worte der Irritierten deutlich und ließ sie unbemerkt an mir vorbeidriften.

Viele hier waren aufgebracht, ebenso viele schweigsam durch diesen intensiven Umschwung.

Der Sturz von der Hoffnung, die man ihnen hier gepredigt hatte, hinab zur Realität, von der Kanda und ich sprachen, war schmerzhaft. Vor allem er sprach aus, was niemand hören wollte. Und vermutlich war er der Einzige, der es so problemlos hätte einleiten können.

Von Komuis anfänglicher Ruhe war nicht vielmehr geblieben, als der gescheiterte Gesichtsausdruck, zu dem er sich zwang. Er rang mit sich, führte einen Kampf, der vermutlich ebenso grundschlecht ausfiel, wie der, zu dem er uns zu schicken gedachte.

Es war eine Sackgasse und inmitten der aufkeimenden Verwirrung ließ Kanda Komui kaum die Möglichkeit, sich weiterhin zu verteidigen.

„Und Linali willst du auch schicken? So, wie sie jetzt ist?“

Abrupt und unerwartet nahm er einen festen Bezug und eine allgemeine Bewegung erfasste die Menge, als sich viele Augen auf die junge Frau richteten. Sichtlich erschrocken richtete sich diese auf, starrte von Komui zu Kanda, der knapp in ihre Richtung wies.

Abrupt und unerwartet für so einige aber ich wusste, worauf er hinauswollte.

„Dann gehen wir doch gleich davon aus, dass wir Kräftemäßig nur zu siebt sind und während des Kampfes zu fünft, weil sich zwei um sie kümmern müssen, wenn ihre Kräfte nachlassen!“

„I-ich…“, verzweifelt fuhr Linali zu ihrem Bruder herum und gleichzeitig in die Höhe, „… ich kann kämpfen!“

„Das solltest du aber nicht.“

Sofort blickte sie zu mir… war spätestens jetzt eine von denen, die sichtlich erschüttert waren. Dabei richtete es sich nicht persönlich gegen sie. Es handelte sich lediglich um Tatsachen und ruhig erwiderte ich ihren verzagten Blick. Auch Komuis Aufmerksamkeit lastete dabei auf mir.

„Kanda hat Recht. Du bist noch nicht in der Verfassung für so einen Kampf.“

Fast spürte ich es.

Lavis erneuten Blick, der Linalis recht ähnlich sein musste. Ich sah diesen Unglauben, diese Bestürzung… und wandte mich an Komui.

Dessen Lippen waren seit geraumer Zeit aufeinandergepresst, fest versiegelt. Und auch jetzt sah er mich schweigend und mit derselben Betroffenheit an.

Wenn er den Zustand Linalis nicht hatte sehen wollen… oder sich von ihrer Entschlossenheit hatte blenden lassen… spätestens jetzt war er zu sich gekommen und alles an ihm verriet mir, dass ihm alles besser gefiel, als sie in nächster Zeit einer solchen Gefahr auszusetzen. Linali selbst war still und dem Räuspern, das sich hinter mir erhob, schenkte ich keine Beachtung.

„Vor allem für sie ist das Risiko zu groß…“, meinte ich stattdessen, „… und in der Zahl, in der wir sind, können wir nichts ausrichten.“

„Kommt der Befehl von oben?“ Beinahe unterbrach mich die barsche Stimme Kandas und in einer allgemeinen Bewegung lenkte sich die Aufmerksamkeit zurück auf ihn. Auch Komui kehrte mir den Rücken, spähte zur Seite und fand sich ein weiteres Mal in dieser eisernen Taxierung wieder.

Ja… natürlich…

Eine der wichtigsten Fragen, die hier gestellt werden konnten und konzentriert fixierte ich Komui, tat es angespannt und nachdenklich.

Letztendlich bildete diese Frage doch die Grundlage, spielte die größte Rolle, denn unter gewissen Umständen wären unsere kritisierenden Worte vollends sinnlos. In bestimmten Situationen hatten wir uns zu fügen und würde Komui jetzt mit einem Nicken antworten, wären uns die Hände gebunden.

„Komui…!“ Kanda dauerte es zu lange… schon nach wenigen Momenten.

„Nein.“ Mit einem seltsamen Schuldbewusstsein ließ Komui die Schultern sinken, schüttelte den Kopf. Gleichsam wie Kandas Hand geräuschvoll auf den Tisch niederging und sich der junge Mann unter einem leisen Zischen erhob. Er kam einfach auf die Beine und ich tastete nach meinem Hemd, verfolgte all das aufmerksam.

„Ich glaube das nicht…!“ Nur gedämpft jedoch scharf drangen seine nächsten Worte zu mir und nicht nur ich war überrascht, als er das Bein über die Bank schwang. Er setzte sich in Bewegung, machte Anstalten, sich von der Besprechung zurückzuziehen. Finster drifteten seine dunklen Augen über den Boden, als er sich durch die Tischreihen schob, sich als einziger in der sitzenden Masse erhob. „Und dafür bin ich zurückgekommen!“

Ein ungläubiges, missgestimmtes Kopfschütteln und so trat er in den Gang hinaus, kehrte Komui einfach den Rücken und näherte sich der Tür in zügigen Schritten.

„Eine Kamikazeaktion…!“, hörte ich ihn fauchen. „Ein erbärmlicher Märtyrertod…!“

Er ging einfach…?

Ich war unter den vielen, die ihm nachstarrten. Wenn auch nur kurz, bevor ich zu Komui lugte und ihn untätig sah. Er hielt Kanda nicht auf, entschied sich auch lieber für den Boden, als die Tür knallte und sich die Masse der Zuhörer um einen verringert hatte.

Es war ihm zuwider…

Ich begriff es und nutzte die folgende, benommene Stille, um mir flüchtig Gedanken darüber zu machen. Vermutlich wusste jeder, wie bedacht er auf seine Arbeit war. Wie entschlossen, wenn er einer Mission gegenüberstand. Hatte auch er die Aktuelle abbrechen müssen, um an dieser Sitzung teilzunehmen?

Ein Märtyrertod…

Resigniert drifteten meine Pupillen zur Seite und abwesend begann ich meine Brust zu reiben, meinen Hals.

Natürlich…

Die wahre Bitterkeit des Todes lag in der Sinnlosigkeit, in der man ihn fand… eher noch, von ihm gefunden wurde.

Ich vernahm Komuis kapitulierendes Ächzen. Er rieb sich die Stirn, zog sich die Brille von der Nase und lehnte sich an die Kante des nahen Tisches. So hielt die Stille an und auch durch Rivers Räuspern änderte sich nicht viel daran. Der Wissenschaftler kratzte sich im Schopf. Kurz drifteten seine Pupillen zu Komui und unter einem tiefen Atemzug ließ ich die Hand sinken.

„Komui“, hob ich an und stemmte den Ellbogen zurück auf den Tisch. Viele Blicke richteten sich auf mich und entschlossen fand ich zu einem matten Lächeln. „Dieses Vorhaben verstehe ich nicht aber bei den Beweggründen sieht es anders aus.“ Aus den Augenwinkeln sah er mich an und ich legte den Kopf schief. „Es gibt viele, die sich das Ende dieses Krieges wünschen aber auf Biegen und Brechen werden wir es nicht schaffen. Wir sind immer bereit, in den Kampf zu ziehen…“, so hob ich die Hand, maßte mir an, für die anwesenden Kollegen zu sprechen, „… wir versuchen auch in der schlimmsten Lage optimistisch zu sein aber sobald es in Selbstbelügung endet, gehen wir unter. Wir kämpfen, wenn es auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg gibt aber…“, ich schüttelte den Kopf, „… hier sehe ich keine.“

Eine undeutliche Regung ging durch Komuis Gesicht, bevor er es abwandte und sich förmlich an die Mappe klammerte.

„Allen hat Recht.“

Der neue Klang der Stimme ließ mich aufatmen. Es war Crowley, der sich leise zu Wort meldete. Ich hörte ihn in meinem Rücken seufzen.

„Wir haben in letzter Zeit so viele verloren.“

„Mm“, brummte Lavi.

„Wie Kanda sagte“, fuhr ich fort, nicht auf Komuis verbittertes Schweigen achtend, „wenn wir in diesem Kampf fallen, ist das Hauptquartier völlig ungeschützt. Eine wirklich starke Defensive wird es von euch aus nicht mehr geben.“

„Ich…“, gemartert zog es Komuis Leib leicht zur Seite und unter einem stillen, resignierenden Kopfschütteln rieb er sich das Gesicht.

Es hatte ihn getroffen…

Die Realität war schmerzhaft aber der einzige Ort, an den wir wirklich gehörten.

Unsere Existenz war einfach von diesem logischen Denken abhängig. War von ihm abhängig und letztendlich hatte er die schweren Entscheidungen zu treffen.

Was hatte ihn binnen der letzten Tage und während der Vorbesprechungen nur gelenkt…?

Wenn ich es recht bedachte und mir River ansah, dann zeigte er weitaus weniger Bestürzung, als sein Vorgesetzter. Annähernd erwartungsvoll behielt er ihn stattdessen im Blick.

Hatte er dasselbe gedacht?

„Gut, ich…“, unter einem tiefen Luftholen rappelte sich Komui auf und wirkte trotzdem nicht so, als hätte er jedes Fragment seiner Fassung wieder. Durchaus müde und resigniert sah er sich um. „Das wäre es fürs Erste.“

Langsam fanden meine Finger zum Mund zurück, rieben ihn nachdenklich. Mir gegenüber wurde die Mappe gehoben.

„Das Ergebnis teile ich euch später mit.“ Ein knapper Blick zu River, dann ließ er die Mappe sinken und setzte sich in Bewegung. All das weiterzuführen, schien ihm ab diesem Punkt unmöglich zu sein und ich verstand nur zu gut, dass er jetzt seine Zeit brauchte, um die alten Überlegungen zu überholen. Ihm sah ich nicht nach, als er an mir vorbeizog, starrte viel eher auf den Punkt, an welchem er gestanden hatte.

Nach seinen Worten erhob sich um mich herum eine Lautstärke, die kaum zu mir drang. Noch bevor Komui die Tür erreicht hatte, erhoben sich die Stimmen fast in einem wilden Inferno. Aus allen Richtungen drifteten die Meinungen ebenso in völlig unterschiedliche und ich handelte fast automatisch, begann mich auch zu regen und von der Bank zu schieben. Mir ging es nicht anders. Ich wollte jetzt auch meine Ruhe und diesen deftigen Schlag erst einmal verdauen. Es war viel gewesen. Fast zuviel für den Augenblick und ohne auf etwas zu achten kam ich auf die Beine, trat an der Bank entlang und in den schmalen Gang zwischen den Tischen. Kaum einer kam mir in den Weg, als ich mich in Bewegung setzte. Viele blieben sitzen, teilten ihre Gedanken lieber mit anderen, während andere an mir vorbeihuschten und es gleichzeitig auch so einige in dieselbe Richtung zog, wie mich. In langsamen jedoch zielstrebigen Schritten steuerte ich auf die Tür zu, stemmte die Hand in die Hüfte und kam nicht von meinem Mund los. Ich rieb mir die Mundwinkel, rieb mir das Kinn und schob mich gedankenlos hinaus in den kühlen Gang.

Dass es jetzt an der Zeit war, solche Entscheidungen zu treffen…

Dabei hatten wir noch so damit zu kämpfen, in die Normalität zurückzukehren…

„Allen!“ Aufgeregt erhob sich die bekannte Stimme neben mir und ich blickte nur kurz auf, als sich Lavi neben mir einfand. Er keuchte, rückte an seinem Stirnband und teilte meine nächsten Schritte vorerst stumm. „Wow…“, ächzte er dann, bog neben mir in einen schmalen Gang, „… damit hätte ich auch nicht gerechnet.“

Damit war er vermutlich nicht der Einzige…

Ich spürte eine Verspannung im Nacken, rieb ihn mir und blickte zur steinernen Decke des Ganges auf.

„Meine Güte…“, er verschränkte die Arme, „… hoffentlich überlegt sich Komui das alles noch einmal.“

Kurz spähte ich zu ihm, faltete die Hände im Nacken und starrte wieder nach oben.

Er war also meiner Meinung. Einer anderen zu sein, würde mich wirklich wundern. Immerhin würde es ihn genauso betreffen wie mich.

„Mm“, stimmte ich leise zu.

„Oh man.“ Wieder wurde neben mir aufgeächzt und nicht viel später trafen unsere Schultern flüchtig aufeinander. Leicht rempelte er mich an. „Außerdem…“, verriet er mir verhalten, „… auch, was Linali angeht.“ Er kratzte sich verhalten im Schopf und ich starrte resigniert nach vorn. „Da hattet ihr irgendwie doch Recht.“

Ach…

War das so?

Dann überließ er es nur anderen, es auszusprechen?

Hatte er soviel Angst, in ihrer Gegenwart etwas scheinbar Falsches zu sagen?

„Na ja…“ Er schmatzte und damit schien das Thema auch schon wieder abgehakt. Leise schallten unsere Schritte in dem Gang. In unseren Rücken erhoben sich leise die Stimmen der anderen und für die nächsten Momente waren es die einzigen Geräusche, die uns begleiteten. Nachdenklich sah ich das Treppenhaus näherkommen und neben mir erhob sich abrupt ein leises Lachen.

„Aber sag mal…“, hob er an.

„Mm?“

Ein gewitzter Blick traf mich.

„Das Erschreckenste daran war irgendwie, mit wem du dich verbündet hast.“

„Verbündet?“ Ich verzog das Gesicht, löste die Hände aus dem Nacken und versenkte sie in den Hosentaschen. Lavi nickte, kam von diesem Grinsen nicht mehr los, während ich mir dabei nicht viel dachte.

Eigentlich gar nichts.

War es so erschreckend, dass man dieselbe Meinung teilte, wenn es um so etwas ging?

Es hatte doch nicht viel mit uns zu tun. Es gab keine anderen Beweggründe, als unsere Meinungen. Mein Nebenmann schien das anders zu sehen.

„So einig wart ihr euch noch nie“, grinste er und so erreichten wir das Treppenhaus. „Wenn Yu mit jemandem derselben Meinung ist, dann muss das schon etwas bedeuten.“ Lavi lachte auf aber mir blieb nichts anderes übrig, als die Stirn darüber zu runzeln. Die Reaktion bemerkte er sofort und wieder wurde ich leicht angerempelt. „Hat ihm bestimmt viel abverlangt, das zu tun.“

Meine Schritte verlangsamten sich und abrupt erfassten meine Augen diesen Punkt, ließen mich stehenbleiben und an Lavi wenden.

„Du denkst, es hat etwas zu bedeuten?“, erkundigte ich mich skeptisch und kaum hatte er genickt, bekam ich seinen Ärmel zu fassen. Nur kurz zupfte ich an dem Stoff, lenkte seine Aufmerksamkeit zur Seite. „Dann pass mal auf.“ Gemeinsam drehten wir uns, wurden auf dasselbe aufmerksam und entspannt hob ich die Hand. „Kanda!“

Aus seinem Zimmer war er gerade gekommen und sah dabei nicht aus, als hätte sich seine Laune gebessert. Geräuschvoll schloss er die Tür hinter sich, hielt nur unwillig inne und fixierte uns mit der gewohnten Miene. Irgendwie zog er immer ein Gesicht, als hätte er etwas ganz Wichtiges vor und unter einem breiten Grinsen hob ich den Daumen, präsentierte ihn mit übertriebenem Stolz.

„Danke für die gute Zusammenarbeit!“

„Wovon redest du!“ Eine andere Antwort hätte mich verwundert und nach seinem Gesicht zu urteilen, wusste er wirklich nicht, wovon ich sprach. Sich zu verstellen, überließ er anderen. Er stellte diese Frage wirklich mit einem Nachdruck, als würde ich etwas Wichtiges vor ihm verstecken… als hätte er etwas verpasst und neben mir räusperte sich Lavi, gab sich schmählich geschlagen.

„Bei der Besprechung!“, rief ich zurück und Kandas Grimasse machte deutlich, dass es ihm jetzt zu bunt wurde.

„Hah?“ Hinter seinem Gesicht versteckten sich hektische Grübeleien aber es vergingen kaum zwei Sekunden, da winkte er grob ab und wandte sich seinem alten Weg zu. „Ach, verschwende nicht meine Zeit!“

Kaum hatte er den nächsten Gang erreicht, da stemmte ich beide Hände in die Hüften und labte mich an meiner Bestätigung. Es gab Dinge, die liefen nie nach Plan aber diesmal… nur diesmal war ich mir sicher gewesen, dass alles genauso passierte, wie ich es erwartete. Das Ziel war erreicht, mein Grinsen erstarb und neben mir rieb sich Lavi die Nase.

In vielen Dingen verstand ich Kanda nicht… stieg nicht hinter die Verhaltensweisen, die er uns tagtäglich präsentierte und sah auch keinen Grund, es oft zu versuchen. Aber in Situationen wie diesen konnte ich völlig mit seiner Mitarbeit rechnen. Ein weiteres Mal.

Was gewisse Dinge anbelangte, war er angenehm unkompliziert.
 

~*tbc*~



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2010-06-27T11:04:15+00:00 27.06.2010 13:04
Das ist ja ja mal übel!
Mir fehln fast die Worte!
Der hat ja wohl nicht mehr alle Latten am Zaun!
òo
Von: abgemeldet
2010-06-27T11:03:18+00:00 27.06.2010 13:03
Die hat ja echt eine an de Waffel die Type! :D
Irgendwer musste dagegen sprechn sonst wärs das gewesen! Die wärn alle Matsch aufm Gehweg.
Von: abgemeldet
2010-06-27T10:10:02+00:00 27.06.2010 12:10
Und es wird immer interessanter! Die Besprechung und der Inhalt hat mich auch total überrascht und ich halte es auch überhaupt nicht für gut und richtig, die Exorzisten zu so einem Kampf zu schicken. Ich sage da nur Arche. Wenn es Miranda nicht gegeben hätte wären die alle bis auf zwei tot gewesen und das ist heftig.
Von: abgemeldet
2010-06-27T09:56:18+00:00 27.06.2010 11:56
ist komui denn bescheuert?? er kann die leute doch nich los schicken zu so einem kampf?? ÒÓ
Ich finds toll wie allen und yu dagegen gehalten haben.
vor allem kandas reaktionen darauf.
das ist eine vielversprechende einigkeit. XD


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