Drei Minuten mit dem Hauch des Schicksals von Dahlie (Das ist das Ende.) ================================================================================ Kapitel 14: Der zwölfte September --------------------------------- Ira, die Todsünde des Zorns, schritt mit erhabenen Haupt durch eine imposante Halle. Seine Schritte hallten von den Wänden wider, sein schwarzer Umhang, der an die Kluft eines Todessers erinnerte, wehte hinter ihm her. Die knochigen Hände hielten einen alten Stab umklammert, an dessen oberen Ende ein blanker Schädel saß. Die Kapuze verbarg sein Haupt, eine schlichte Maske verhüllte sein Gesicht. Lediglich die schmalen Lippen und das verfaulte Gebiss waren zu sehen. In der Halle war es feucht, dunkel und es roch nach verwestem Fleisch. Schließlich blieb Ira in der Mitte der imposanten Halle, die nur durch vereinzelte Fackeln erleuchtet wurde und Schatten an die Wand warfen, stehen. Mit dem Stab klopfte er nun im stetigen Rhythmus auf den edlen, aber verstaubten Marmorboden. Hinter Ira lag Scorpius zusammengekrümmt wie ein Häufchen Elend. Doch Ira achtete nicht weiter auf ihn, stattdessen wandte er sich um, als er einen Luftzug spürte. Luxuria und Superbia waren eingetroffen. Schön wie die Vollkommenheit stolzierte Luxuria ihm entgegen. Ihr menschlicher Körper entblößt, aber von Perfektion ausgezeichnet, hatte schon vielen sterblichen die Seele gekostet. Trotzdem wirkte sie seltsam unzufrieden. Hinter ihr tänzelte summend Superbia. Sie drehte sich im Kreis und gab die Melodie vom Kinderlied 'der kleine Geist' wieder. »Meine Damen«, sprach Ira majestätisch. »Die Pünktlichkeit scheint euer stärkster Feind.« Statt sich gekränkt zu fühlen, überhaupt einen Feind zu haben, strich Luxuria mit den Fingerspitzen über seine Schultern und säuselte: »Es hebt die Spannung und ohne sie, würde sich unser Herr doch nach der Ewigkeit langweilen.« Superbia sprang über den leblosen Körper hinweg und gesellte sich zu ihnen. Nun streckte Ira seinen Stab aus und am Ende der großen Halle schoss ein gewaltiges Tor aus der Erde. Imposante Treppen führten empor, die Stufen waren aus Gold und das Tor in Form eines Bogen besaß gewaltige Griffe. Die Todsünden erkannten, dass das Tor einen kleinen Spalt weit offen stand. All das vergangene Elend war durch diesen Spalt entwichen, so auch die drei Todsünden. Die Ironie lag jedoch darin, dass nur ein Mensch in der Lage war, das Tor ganz zu öffnen. Ein Mensch, der sich stark vom durchschnittlichen Sterblichen abhob. »In wenigen Stunden wird unser Herr über die Erde wandern und sie in ihren jetzigen Zustand zerstören. Es wird Zeit, dass er sich holt, was ihm genommen wurde«, verkündete Ira arrogant. »Unsere Mitstreiter haben einen Weg durch das Tor der Auferstehung gefunden. Sie werden uns unterstützen. Superbia, unser Herr bittet darum, dass du die Schattensoldaten nach Hogwarts anführst. Luxuria wird dir Gesellschaft leisten.« »Wer wird sich um die Schlacht auf dem Roten Platz kümmern?«, fragte die Todsünde der Wollust gelangweilt und musterte die Treppe. Als sie einen Fuß auf die Stufe setzten wollte, prallte sie an einem unsichtbaren Schild ab. Ira grinste sie hämisch an, für ihren Versuch, überhaupt so etwas Dummes zu wagen. »Unsere Kollegen warten auf dem Roten Platz. Sei gewiss, sie werden sich gut um unsere Gäste kümmern.« »Bleibst du hier?« Superbia tanzte unbeholfen von einem Bein auf das andere. »Kümmerst du dich um den da?« Sie zeigte auf Scorpius, der sich seit einer Ewigkeit nicht mehr vom Fleck bewegt hatte. Das Grinsen auf Iras Lippen wurde diabolisch, seine Gesichtszüge verzogen sich zu einer hässlichen Fratze. Er würde ihren gemeinsamen Freund ein Erlebnis bescheren, welches er nie vergessen würde. Zugeben, es könnte die letzte Erinnerung sein, die er je in seinem Leben bekommen würde. Sobald Ira Scorpius stark genug manipuliert hatte, dass er es die Treppen empor schaffte und das Tor zur Unterwelt öffnete, würde alles ein Ende finden. Das Zeitalter der Dunkelheit würde die Welt verschlingen und die Hoffnung auf Frieden für die nächsten Jahrhunderte zerstört sein. Die Zukunft schmeckte so bitter süß, weil niemand von den Dummköpfen auch nur ahnte, was tatsächlich auf dem Spiel stand. Ira sah, wie Luxuria und Superbia verschwanden, dann brach er in schallendes Gelächter aus, welches von den Wänden in doppelter Stärke zurückhallte. Er würde seinem Herrn einen prächtigen Empfang bereiten. Wut, Hass und Zerstörung, so weit das Auge reichte. Ein herrlicher Ausblick. - - - Kinder, so weit das Auge reichte. Noch nie hatte James Hogwarts so voll erlebt. Lauter kleine Halbwüchsige hielten sich in der großen Halle auf. Keines der neuen Kinder war älter als sieben. Unruhig verließ James Sirius Potter die Halle und trat nach draußen. Seine Tochter Charlotte aß mit den Malfoy Zwillingen am Slytherintisch und er hoffte, dass dies kein Zeichen für die Zukunft war. Laut seinem Vater war es schließlich eine Tradition, dass Potters Gryffindor besuchten. Im Nachhinein betrachtet war es ihm eigentlich egal, in welches Haus Charlotte kommen würde. Wichtig war an erster Stelle, dass sie die folgende Nacht überleben würde. Er sah auf die Uhr, die er einst Albus gegeben hatte. Nach der Schlacht hatte er sie zurück bekommen. Jede Schramme erzählte eine Geschichte und mit den Daumen strich er über das Ziffernblatt und dachte an seinem Bruder, der sich in St. Mungos befand und jeden Moment in Hogwarts eintreffen würde. Man hatte das Krankenhaus so umgerüstet, dass man vom Schlachtfeld Schwerverletzte direkt in die Notaufnahme apparieren konnte. Zwar waren ein paar Medimagier auch auf dem Schlachtfeld unterwegs, aber sie mussten gleichzeitig aufpassen, dass sie nicht selbst verwundet wurden. Sämtliche Auroren, Kämpfer und fähige Wesen waren auf den Roten Platz beordert worden, ein Teil jedoch befand sich an den Grundmauern von Hogwarts. James atmete die kalte Luft ein und sah die Fackeln, die in der Dunkelheit Licht spendeten. Seit über einer Woche hatte Britannien keine Sonne mehr gesehen. Finsternis herrschte. Es war erst halb vier mittags und es wirkte, als wäre es spät in der Nacht. Auf den Zinnen liefen Wachen auf und ab. Die Rüstungen von Hogwarts waren zum Leben erweckt worden und bildeten eine Reihe, allzeit bereit zum Kampf. James kletterte die hohe Schutzmauer empor und trat zu Elliott Parkinson, der stur in die Finsternis starrte. „Wie sieht es da aus?“, fragte er nervös. „Irgendeine Ahnung, was auf uns zukommen wird?“ Noch war Gelächter zu hören und das Pfeifen des Windes. Elliott schüttelte den Kopf. „Sämtliche Schutzzauber sind aktiviert, dreißig Auroren aus Russland spezialisiert auf innere Sicherheit stehen auf ihren Posten, aber ich habe trotzdem noch das Gefühl, dass wir etwas übersehen haben.“ - „Die Geheimgänge sind dicht“, erklärte James. „Albus hat das Schloss wieder aufgebaut, er kennt jeden und hat sie mir auf der Karte verzeichnet. Dort kommt niemand durch.“ Der ehemalige Todesser wandte sich James zu und sprach: „Die Sache ist die Potter, wenn ich etwas in der Zeit als Todesser gelernt habe, dann das es immer einen Weg zum Ziel gibt.“ Die Worte jagten eine Gänsehaut über James' Körper es stand alles auf dem Spiel und er wollte nichts von dem, was er liebte verlieren. Niemanden und schon gar nicht das, was er sich in den letzten sieben Jahren aufgebaut hatte. „Haben wir eine Chance?“, fragte er und Elliott sah ihn mit unbewegter Miene an. „Willst du wirklich, dass ich dir das ernsthaft beantworte?“ Nein, er wollte nur etwas hören, was ihm Mut machen würde. „Natürlich haben wir eine Chance“, sprach eine dritte Stimme und James und Elliott sahen nach links. Albus trat auf sie zu. Er sah noch immer jämmerlich aus. Er brauchte einen Stock um sich zu stützen, hatte tiefe dunkle Ränder unter den Augen und wirkte so schrecklich dünn, dass man die Knochen unter der gespannten Haut sehen konnte. „Was macht dich so sicher?“, fragte Elliott und verschränkte die Arme vor der Brust. Der jüngere Potter blieb vor ihnen stehen und James sah im dichten, schwarzen Haar seines Bruders vereinzelte silbrige Haare. Es erschreckte ihn und er fragte sich, ob sich sein Haar mit der Zeit wieder pechschwarz färben würde. „Wir haben Hoffnung, genauso wie letztes Mal.“ Erstaunt hob James beide Augenbrauen und Elliott schnaubte: „Entschuldige, wenn ich deinen Optimismus nicht teile, aber damals standen die Dinge ein bisschen anders. Ihr hattet Scorpius auf eurer Seite, einen Verräter des Lords und damit einen entscheidenden Vorteil. Dieses Mal ist er zu unserem Pech dort draußen. Gegnerseite.“ Elliott zeigte nach draußen in die Dunkelheit und zum ersten Mal konnte James so etwas wie Angst in dessen Gesicht erkennen. „Ich weiß wie Scorpius tickt. Sieben Jahre mit ihm haben mir gezeigt, wozu er fähig ist und glaub mir, wenn man ihm als Gegner gegenübersteht, dann ist laufen das Einzige, was dich rettet.“ Elliott schluckte. „Er ist so gewaltig, so machtvoll und so gerissen, dass es mich nie gewundert hat, dass man ihn als gefährlich einstufte, wenn man ihn nicht selbst kennt.“ Damit erinnerte er an die Versammlung im großen Saal, als man Scorpius Verrat vorwarf. Tragisch, dass dies in gewisser Weise tatsächlich eingetroffen war. „Sieh es besser ein, Hoffnung ist etwas für Narren“, brachte es Elliott knapp auf den Punkt, doch das sanfte Lächeln auf den trockenen und rissigen Lippen des jüngeren Potters verwirrte ihn. Albus stützte sich auf seinem Stock auf und sprach ruhig und mit solch einer festen Stimme, dass Elliott seine Worte auf Anhieb glaubte: „Du musst vertrauen. Wir alle sind Gefährten, wenn wir sterben, dann sterben wir zusammen, aber so lange es auch nur einen Funken Hoffnung gibt, so lange lohnt es sich, mit ganzen Herzen zu kämpfen.“ Die Worte kamen James vage bekannt vor, denn sie ähnelten denen, die Albus kurz vor der großen Schlacht gegen Voldemort benutzt hatte. In den grünen Augen funkelte Zuversicht und James spürte, dass eben jene in ihm wuchs. Er sah zu Elliott und dieser blickte stur in die Finsternis. Für Albus schien dies Antwort genug zu sein. „Egal was kommt, wir sind bereit.“ - - - „Komm, Kumpel, es ist Zeit für dich zu gehen.“ Scorpius wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit er in einem traumlosen Schlaf gefallen war. Das Erwachen war furchtbar. Sein ganzer Körper schmerzte, seine Lunge zog sich zusammen und er fühlte sich, als würde er sich in einer Zwischenwelt befinden. Zum Leben zu schwach, zum Sterben zu lebendig. Der Satz hatte eine schreckliche Ironie und tragischer Weise wollte er, dass es endlich vorbei war. Sterben war vielleicht gar nicht so schlimm. Man wanderte ins Nichts. Die Schmerzen würden verstummen und vielleicht war es wie schweben. Scorpius schmeckte Metall auf seiner Zunge. Blut. Der Marmorboden war hart und am liebsten würde er hindurchgleiten. Schweben, wie ein Geist, wie eine Seele. Einfach nicht mehr existieren. Wer würde ihn schon vermissen? Das Leben ging schließlich weiter, mit oder ohne ihn. Außerdem würde er seinen Freunden nicht mehr gegenübertreten können. Er hatte sie enttäuscht, noch dazu wusste er nicht einmal, ob sie noch lebten. Jedes Zeitgefühl hatte er verloren. Seine Haut brannte, so als hätte jemand ihn über Feuer geröstet. Während er atmete, fühlte es sich an, als würde eine offene Wunde sein Herz freilegen. Scorpius wusste, dass er dann noch unmöglich leben würde und er hoffte, dass dies ein Zeichen dafür war, dass er kurz davor stand über die Schwelle vom Diesseits ins Jenseits zu treten. Rauch stieg ihm in die Nase, es war der Geruch von Zigaretten und Scorpius kannte nur einen, der diese Marke rauchte. Irritiert zwang er sich schwerfällig die Augen zu öffnen und sah auf unscharfe Umrisse. Langsam schärfte sich sein Blick und schließlich erkannte er ein Gesicht, das ihm so vertraut war, dass es ihn schmerzte. „Weißt du, Kumpel, ich habe nie verstanden, warum du dich immer abmühst.“ Richards Stimme wärmte ihn, spendete ihm Trost und umhüllte ihn wie ein sanfter Schleier. Sie waren alleine, die Gegenwart gehörte ihnen. Gelassen saß sein bester Freund neben ihm und zog an einer Zigarette, so, wie er es früher getan hatte, bevor sie zu einem Auftrag mussten. „Ständig hast du dagegen angekämpft, es auch einmal sein zu lassen“, sprach Richard und sah ihn mahnend an. „Ich meine, hast du nie mit dem Gedanken gespielt, es zu lassen? Einfach zu denken, es können sich auch andere um was auch immer kümmern?“ „Du... hast recht“, kam es langsam über Scorpius' Lippen. Ihm war, als hätte er Tage nicht gesprochen. Sein Hals war schrecklich trocken und schmerzte. Seine Stimme hörte sich rau an und er war sich nicht sicher, ob es wirklich seine eigene war. Richard stand auf und warf die Zigarette zu Boden Mit der Schuhspitze drückte er sie aus und nickte mit dem Kopf zu einer Treppe, die zu einem hohen und gebogenen Tor führten. „Dann komm. Das Einzige, was du tun musst, ist das Tor dort zu öffnen, dann wirst du dich besser fühlen.“ Plötzlich ging es ganz leicht. Er konnte aufstehen, sein Körper gehorchte ihm und den einzigen Schmerz, den Scorpius noch spürte, war die eiskalte Hand, die sich um sein Herz legte und es immer wieder zusammendrückte. Er stand, setzte einen Fuß vor dem nächsten. Schwerfällig, aber dennoch ohne zu taumeln. Richard ging ihm einen Schritt voraus, er wartete geduldig, bis er den Anfang der Treppe erreichte. Scorpius sah hoch, es waren viele Stufen und er war sich nicht sicher, ob er das schaffen würde. „Nur noch dieses Hindernis. Am Ende wartet die Erlösung und dort können wir zusammen sein.“ Sein bester Freund lächelte und Scorpius erwiderte es. „Erinnere dich an die Tage, als wir durch die Dünen in Dänemark toben konnten, weil wir unter Goodale gelernt haben. So wird es dort auch sein, wo wir hingehen.“ Scorpius schloss die Augen, denn er hörte das rauschende Meer, roch die salzige Luft und spürte den Wind auf seiner Haut. Gelächter drang an sein Ohr und er erinnerte sich daran, wie Richard und er magische Drachen hatten steigen lassen, wie sie barfuß durch den Sand gerannt waren und immer wieder bis zu den Knöchel im Wasser gestanden hatten. Selten war er in seiner Kindheit so glücklich gewesen. Er würde alles geben, wenn er genau dort noch einmal hingehen könnte. Scorpius setzte einen Fuß auf die erste Stufe. Mit einem Mal war ihm, als würde ein Zentner Gewicht an seinen Beinen hängen. Plötzlich war es so furchtbar schwer, seine Beine zu bewegen. Er schaffte es nur mühsam auf die erste Stufe. Erschrocken sah er Richard an, doch dieser blickte ihn aufmunternd an: „Es wird nicht leicht, aber ich bin bei dir. Bei jedem Schritt denk' daran, wo wir bald sein werden.“ Wo sie bald sein würden. Im Paradies. Scorpius nahm all seine Kraft zusammen und zog sich auf die nächste Stufe. Er würde es schaffen, denn es war das Letzte, was er tun musste. So weit war das Tor nicht entfernt und danach war alles vorbei und er fand Erlösung. „Blei...steh... bi... Scro...“ Die zweite Stufe war geschafft, doch kurz hielt Scorpius inne. Hatte er da gerade eine zweite Stimme gehört? Er sah zu Richard, doch dieser lächelte und sprach: „Gut so, Kumpel. Erinnere mich daran, dass wir zusammen einen Feuerwhisky trinken.“ Oh ja, nur sie beide und das Rauschen des Meeres. „Bleib, wenn du... du... zerst...“ Scorpius war in der Mitte der Treppe angekommen. Seine Fußknöchel brannten, als wären Gewichte dran festgebunden und er musste eine kurze Pause machen. Immer wieder schüttelte er den Kopf. Die fremde Stimme musste er sich einbilden, auch wenn er sich sicher war, sie irgendwo schon einmal gehört zu haben. Allerdings konnte er sie nicht zuordnen und es fühlte sich an, wie ein Trick. „Hör auf!“ Verlangte die Stimme nun und Scorpius richtete sich auf. Schweiß lief über seinen Rücken, jemand schrie ihn an, aber der Einzige, der sich vor ihm befand, war Richard. „Nur noch ein Stück“, munterte sein bester Freund ihn auf. Scorpius hielt dennoch inne und drehte sich um. Der Saal war leer, keine Todsünde war zu sehen. Außer einem leblosen Körper, der regungslos zwanzig Meter von ihm entfernt lag, war nichts zu sehen. Er sah aus, wie er selbst und kurz kamen Scorpius Zweifel, aber dann besann er sich und sprach: „Ein Trick, eine Täuschung.“ Ja genau, das musste es sein. Man wollte ihn nur verwirren, ihn vom Ende abhalten – aber nicht mit ihm. Scorpius drehte dem leblosen Körper den Rücken zu und bemerkte so nicht, wie sich eine Gestalt über den Körper beugte und ihn rüttelte, auf ihn einsprach. Die Gestalt wirkte wie dichter Nebel und seine Form verfestigte sich. Eine lange weiße Kutte mit silbrigen Stickereien schmückte den Körper des Geistes und nach und nach nahm er die Gestalt eines alten Mannes an. Colin Goodale rüttelte seinen Enkel und versuchte verzweifelt dessen Körper aufzuwecken, während er gleichzeitig sah, wie dessen Seele die Treppen zum Tor der Unterwelt voranschritt. Richard Zabini verführte ihn zu falschen Tatsachen und Goodale wurde mit jeder weiteren Minute bewusster, dass, wenn Scorpius das Tor tatsächlich öffnete, wortwörtlich die Hölle ausbrach. Kurz hatte er Hoffnung geschöpft, als Scorpius sich umgedreht hatte, aber ebenso schnell war diese Hoffnung wieder zunichte gemacht worden. Dreißig Meter von ihm entfernt stand Ira und Goodale musste sich dessen höhnische Worte gefallen lassen. »Gib auf, alter Mann, es ist zu spät. Niemand kann verhindern, was unlängst geschrieben steht.« Statt etwas auf diese Worte zu geben, bemühte sich Goodale, die Worte zu finden, die Scorpius in seinen Körper zurückholten, anstatt näher an die Grenze des Todes. Doch egal was er sagte, egal wovon er sprach, sein Enkel hielt nicht noch einmal inne. „Es ist zu früh für dich, um zu gehen!“ Treppe um Treppe entfernte sich Scorpius mehr von seinem irdischen Leben. Er sah nur noch die Erlösung, eine Fälschung, genauer betrachtet. Aber in diesem Moment war es für ihn die bessere Wahl. Endlich war er ganz oben. Seine Beine brannten, er keuchte und Scorpius ergriff die Stahlstangen. Fest umschloss er eine mit beiden Händen und atmete tief ein. Richard stand neben ihm, seine Augen leuchteten: „Komm, nur noch ein Hindernis und du bist die Verantwortung für alles und jeden los.“ Scorpius zog und öffnete somit das Tor zum Krieg. Hinter ihm schrie Goodale auf, Ira lachte schallend und begeistert und Richard legte Scorpius die kalte Hand auf die Schulter. Eine enorme Welle an dunklen Schatten wich durch Scorpius hindurch, seine Augen wurden glasig, schließlich stumpf und dann verschwand jegliches Leben aus ihnen. Immer weiter zog er das schwere Tor auf. Zentimeter für Zentimeter. Er würde den Schritt ins Paradies machen, es war nicht mehr weit. Hinter ihm, unten auf dem Marmorboden streckte Ira die Arme aus und begrüßte die Schattensoldaten, die sich nun auf dem Weg machten, um einzufordern, was rechtmäßig Diabolus zustand. Doch plötzlich störte jemand die Ankunft der Schatten. Jemand apparierte und Ira fuhr erschrocken herum. Niemand würde den Krieg aufhalten und darum würde er sich persönlich kümmern. Heiße, lodernde Flammen schossen aus den Ritzen der Marmorplatten auf dem Boden. - - - Der Boden bebte. Auf dem Roten Platz in Moskau hatte sich eine kleine Armee zusammengefunden. Zauberer aus aller Welt standen Seite an Seite. Ihre bunten Umhänge bildeten ein Meer aus Farben. Hinter ihnen standen drei Riesen. Unter ihnen hatten sich Zentauren und Hauselfen gemischt. Sie wirkten entschlossen, zumindest die meisten von ihnen. Sie alle hatten eine fein säuberliche Linie an Abstand gebildet. Plötzlich durchbrach sie jemand. Ein Mann in einem pflaumenblauen Umhang trat vor. Sein schwarzes Haar, indem sich einige graue Strähnen verirrt hatten, stand in alle Richtungen ab. Harry Potter sah mit ernster Miene zum Tor der Auferstehung. Überall brannten Fackeln und erhellten so die Dunkelheit. Mit einem schweren Gefühl im Magen drehte er sich zu seinen Begleitern und Gefährten um. Seine Stimme war laut und deutlich. „Ich weiß ihr habt Angst“, begann er offen und ehrlich. „Wir wissen nicht, was auf uns zukommt.“ Harry sah, dass einige den Blick abwandten und andere ihren Zauberstab nur noch fester umklammerten. Die Hauselfen in der ersten Reihe ließen die Messer und Pfannen sinken, die Zentauren ihre Bögen. „Aber eins ist gewiss, wir werden kämpfen und zwar bis zum letzten Mann! Niemand nimmt uns unseren Frieden!“ Er schritt vor der Menge auf und ab. „Niemand nimmt uns unsere Kinder!“ Harry sah sie entschlossen an. „Niemand nimmt uns unsere Zukunft oder darf sich anmaßen, über uns zu bestimmen!“ Jemand brüllte zustimmend auf und ein paar vereinzelte Stimmen schlossen sich an. Trotzdem war die Kampfmoral etwas dürftig. Harry wünschte sich, Albus wäre an seiner Seite, denn sein jüngster Sohn hatte es schon einmal geschafft, die Massen zu motivieren. „Vor sieben Jahren haben wir es schon einmal geschafft unsere Freiheit zu verteidigen und mit vereinter Kraft werden wir es wieder schaffen!“ Lautes Gebrüll tönte ihm entgegen, endlich schienen sie alle mit ihm übereinzustimmen. Voldemort war jeden von ihnen im Gedächtnis geblieben, ebenso die Jahre voller Angst, Grausamkeit und Schrecken. Niemand wollte dorthin zurück und jeder würde bis zum letzten Augenblick stehen, um das zu verhindern. Irgendwo schlug eine Uhr Zwölf. Es war Mitternacht, der zwölfte September brach an. Über ihnen baute sich ein Gewitter zusammen, düster und bedrohlich. Starker Wind kam auf und Harry drehte sich um. Ein Blitz schlug ins Tor der Auferstehung ein. Dann erkannte er auf dessen Dach sechs Gestalten. Sie alle trugen Masken und könnten unterschiedlicher nicht sein. Obwohl sie nur zu sechst waren, wusste Harry auf Anhieb, wer sie waren. Die sieben Todsünden. Es roch nach Blut, Verwesung und Hoffnungslosigkeit kroch seinen Gliedern empor. Trotzdem versuchte Harry sich davon nicht abschrecken zu lassen, stattdessen hob er seinen Zauberstab und nutzte jenen Zauber, mit dem auch schon Rose Hoffnung verbreitet hatte. „Flagrate!“ Ein rotes, großes brennendes Kreuz erschien am Himmel und vertrieb einen Teil der Dunkelheit. Mehrere Zauberstäbe erhoben sich ebenfalls und erhellten den Himmel so stark, dass die Fackeln beinahe überflüssig wurden. Harry wollte gerade einen Schritt vor machen, als er die ersten Toten erkannte, die durch das Tor der Auferstehung traten. Bellatrix Lestrange, so irre wie eh und je, machte den Anfang. Ihr folgten altbekannte Gesichter. Das dunkle Königreich des Lords schien wieder aufzustehen. Sofia Wilhern, eine deutsche Hexe, unterdrückte den Impuls zu zittern. Sie hatte Angst und mit jedem weiteren Todesser, der wieder zum Leben erwachte, wurde der Drang nach Flucht größer. Plötzlich fasste eine Hand nach ihrer und umschloss sie. Sofia sah nach links und erwiderte den Druck mit ihrer Hand. Fred spendete ihr unbewusst Mut und sie sah wieder nach vorne. Sie war in dieser Schlacht nicht alleine, also würde sie bleiben und so lange kämpfen, bis sie fiel. Die Armee der Todsünden blieb stehen, sie wartete auf einen direkten Befehl und dann kam er durch Acedia, der Todsünde der Faulheit. Er löste einen Teil seiner Maske, entblößte ein verfaultes und ekliges Gebiss und schrie so laut auf, dass sich sämtliche Gefährten die Hände auf die Ohren drückten. Der Schock erschütterte sie und nahm ihnen das Anrecht, zeitgleich zum Angriff über zu gehen. Der Kampf hatte begonnen. - - - Hogwarts wurde bombardiert von brennenden Hagelkörnern. Sie setzten unzählige Dächer in Brand. Vor einer halben Stunde hatte der Angriff von Schattensoldaten und vereinzelten Todessern begonnen. Die Kinder hatte man hektisch im Raum der Wünsche untergebracht und ihnen zu verstehen gegeben, dass sie nicht eher herauskommen sollten, bis es länger, als einen halben Tag still gewesen war. Nur einer kannte das Passwort und James hoffte, dass seinem Bruder nichts passieren würde. Er selbst sprang durch Flammen und hatte sich seines Mantels bereits entledigt. Ruß zog an seiner Wange entlang und sein linkes Handgelenk wies eine Verbrennung auf. Die Schlacht dauerte erst eine halbe Stunde und bislang waren so viele Verbündete gefallen, dass James Angst bekam, den Morgen nicht zu überleben. In der Großen Halle waren die Haustische zerstört worden und er sprang über eine der Bänke. Die Schattensoldaten fuhren als eine Art Geister durch die Menschen und nahmen die Seelen mit sich. Der menschliche Körper brach in sich zusammen und, noch bevor er gänzlich den Boden berührte, verwandelte er sich in Staub. Mit der bloßen Haut einen Schattensoldaten zu berühren, bedeutete innerhalb von Sekunden das Ende. Nur wenige Zauber hielten den Schattensoldaten von seiner Bestimmung ab. Leider fehlte ihnen die Zeit, sämtliche Flüche der Reihe nach auszuprobieren. Bislang half nur eins, die Soldaten zu zerstören und dies war so gefährlich, dass man alleine kaum eine Chance hatte, einen Schattensoldaten zu vernichten. „PROTEGO REDUCTIO!“, brüllte James und berührte mit seinem Zauberstab die Umrisse eines Schattensoldaten, der mit dem Rücken zu ihm stand. Noch bevor dieser sich umdrehen und er das Skelett näher betrachten konnte, wurde er mitsamt seiner alten Rüstung und dem Schwert in der Hand eingezogen. Es war, als würde James' Zauberstab wie ein Staubsauger funktionieren. Der Schatten wurde verschlungen und James spürte, dass sein Zauberstab in seiner Hand heiß wurde und wieder abkühlte. Bislang konnte er vier Schatten auf diese Art vernichten, aber es waren noch über hundert im Schloss unterwegs und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie auf den Raum der Wünsche aufmerksam werden würden. James hatte Molly versprochen auf Charlotte acht zu geben und nichts würde ihn daran hindern, dieses Versprechen zu halten. Heftig atmend sah er auf Elliott Parkinson, der über einen Holzbarren gestürzt war und dessen Gesicht vor Schweiß glänzte. Sein Umhang rauchte und sein Hosenbein war aufgerissen. James erkannte, dass sich der Stoff durch das Blut bereits dunkel verfärbte, und reichte ihm die Hand, die dieser prompt ergriff. In einem Ruck zog er ihn hoch und sah zu seinem Erstaunen, dass Elliott sich nicht eingeschränkt bewegte, obwohl er verletzt war. „Danke“, sprach dieser knapp und versuchte wieder zum Atmen zu kommen. „Ich dachte, es wäre vorbei.“ Es war eine kuriose Situation, noch vor sieben Jahren hatten sie auf verschiedenen Seiten gestanden. Nun achteten sie aufeinander. In diesem Augenblick war sich James der Kuriosität nicht bewusst. Elliott hob den Zauberstab zur Decke und sprach: „Meteolohex.“ Wolken bildeten sich und Sekunden später fing es an, leicht zu regnen. „Das sollte reichen, um ein paar Flammen zu löschen.“ Dann zog er James aus der Großen Halle mit sich. In der Eingangshalle sahen sie auf mehrere kleine Staubhaufen. Niemand wusste, welchen Kollegen es sein Leben gekostet hatte. „Wir sollten uns trennen“, sprach Elliott, er schlug den Weg zum Ravenclawturm ein. „Vergiss nicht nebenbei Feuer zu löschen, sonst ist am Ende des Tages von Hogwarts nicht mehr viel übrig.“ Dann eilte er davon. Sein Bein schmerzte, aber die Sorge um seine beiden Jungs war größer. Er wollte die Schlacht überleben und zusammen mit Floyd und Corwin noch einen einzigen Tag zusammen verbringen, bevor er wieder nach Russland musste. Sollte er erst einmal zurückbeordert werden, durfte er das Land nicht mehr verlassen und Elliott wusste nicht, ob Claire ihn mit den Jungs besuchen kommen würde. Also klammerte er sich an diesen einzigen Tag. Es sollte ein Tag werden, an den er sich notfalls immer und immer wieder zurückerinnern könnte. Mehr verlangte er nicht. Auf dem Weg zum Turm vernichtete er noch zwei Schattensoldaten, sah aber an den Wunden seiner Mitkämpfer, dass sie nicht mehr in der Lage sein würden, sie zu unterstützen. Elliott zog die Beiden in einen leeren Klassenraum und versteckte sie hinter einem umgefallenen Pult. Dann rannte er weiter und bog in einem dunklen Korridor ab. „Lumos“, die Spitze seines Zauberstabes erhellte den Flur und er sah, dass sämtliche Bilder leer waren. Die Porträtbewohner hatten ebenfalls die Flucht ergriffen und hätte er keinen Grund zu kämpfen, dann hätte er es ihnen sicherlich schon gleich getan. Plötzlich blieb er stehen. Fünfzehn Meter von ihm entfernt stand eine hübsche junge Frau mit schwarzen Haaren. Sieben Jahre hatte er sie nicht gesehen und im ersten Augenblick glaubte Elliott an eine Illusion. Kurz fehlte ihm die Luft zum Atmen und er blinzelte. „Lilith?“ Seine Schwester war tot, sie war bei der großen Schlacht gefallen. Sie sah ihn an, lächelte und Elliott vergaß für einen Moment, wo er sich befand. Lilith war so schön, wie er sie in Erinnerung hatte und unwillkürlich machte er einen Schritt auf sie zu. Erst, als ein Lichtstrahl direkt auf sie fiel, bemerkte er die feinen schwarzen Äderchen an ihren Händen. „Elliott“, begrüßte sie ihn mit lieblicher Stimme. „Wie schön, dass ich dich endlich gefunden habe.“ Ihr Lächeln ließ ihn frösteln, sein Instinkt sagte ihm, dass an der gesamten Situation etwas nicht stimmen konnte, doch trotzdem war die Versuchung, näher zu ihr zu gehen, so groß, dass er ihr nicht widerstehen konnte. Dabei bemerkte er nicht, dass ihre Gestalt der eines Schattensoldaten nicht unähnlich war. - - - „Zitronenbrausebonbon“, sprach Albus ruhig. Der große Wasserspeier öffnete den Eingang zum Büro des Schulleiters. Seit Jahren hatte es niemand mehr betreten, auch Professor Mills, der neue Schulleiter nicht. Er hatte es vorgezogen, sein normales Büro, welches er bereits als Lehrer bewohnt hatte, weiter zu nutzen. Im Schloss hatte sich seit dem Wiederaufbau herumgesprochen, dass die einstigen, prachtvollen Räume verflucht waren. Albus gab nichts auf das Gerede, er betrat den ersten, runden Vorraum. Seine Schritte hinterließen eine Spur im Staub. „Lumos“, flüsterte Albus und mehrere Kerzen entflammten sich. Auf seinem Stock gestützt, sah er sich um und fragte sich, ob sein Gefühl ihn betrogen hatte. Bevor die Schlacht begonnen hatte, hatte er ein längeres und aufschlussreiches Gespräch mit Dumbledore und Snape geführt. Sie waren beide der Meinung, dass Diabolus, der Herr der Unterwelt, sich das Schauspiel aus der Nähe ansehen würde. Für ihn war der Sieg, den er erringen konnte, zu groß, zu verführerisch, als das er in seinem eigenen Reich verweilte, bis es so weit war, den Triumph zu feiern. Er würde einen Ort der Macht aufsuchen, einen Ort, an dem bereits große Männer gestanden hatten, die für das Gute eingetreten waren. Zugegeben, Albus hatte zuerst das Ministerium vermutet, aber Dumbledore und Snape waren anderer Meinung gewesen. Sie beide behaupteten, dass jeder Kämpfer, jeder Held und jedes Genie in Hogwarts seinen Anfang gefunden hatte. Um die Fläche einzugrenzen, denn Hogwarts war größer, als Albus es sich je vorgestellt hatte, hatten sie sich auf das Büro des Schulleiters geeinigt. Nach Dumbledore reihte sich Größe nicht in der Masse ein und stach hervor. Früher oder später mögen sie alle den Raum hinter den Wasserspeier betreten haben. Es war eine gewagte These und Albus war nun vor Ort und Stelle, um sie zu überprüfen. Das Herz des Potters schlug heftig. Wie mochte Diabolus aussehen? Albus vermochte sich keine Gestalt wirklich vorzustellen. Hörner? Rot, mit flammenden Augen? Der Alptraum schlecht hin? Er wünschte sich, er hätte jemanden an seiner Seite, Fred oder Scorpius, so dass er nicht alleine war. Kurz hielt er inne, dann lächelte er. Wie töricht er war, schließlich war er nicht alleine, es fühlte sich nur durch seine Angst so an. Es roch nach Rauch, der durch die offenen Fenster hereinströmte. Die grünen Augen des Potters richteten sich auf den Boden. Er konnte keinerlei Spuren im Staub erkennen, außer seine eigenen. War das ein Zeichen dafür, dass sich Dumbledore und Snape irrten? Er hoffte es, aber gleichzeitig sträubte er sich dagegen, denn wo sonst sollte er Diabolus suchen? Die Bilder an den Wänden waren leer und Albus konnte es niemanden verübeln. Er hätte wohl auch das Weite gesucht. Albus hielt weiter seinen Zauberstab fest entschlossen und humpelte in den Mittelraum, welcher von oben bis unten mit Büchern vollgestopft war. „Guten Abend, Mr Potter.“ Erschrocken fuhr Albus herum und sah auf die runde Wandtreppe, die einen Raum nach oben führte. Dort saß ein junger Mann; bronzefarbenes Haar, dunkle Kleidung, ein langer Umhang und hellblaue Augen. Er wirkte so durchschnittlich, dass er Albus in einer Menschenmenge niemals aufgefallen wäre. Blass, unauffällig groß und mit einer angenehmen Stimme gesegnet, wirkte er, als würden sie sich ganz zufällig hier begegnen und würde draußen nicht ein Krieg toben, würde Albus es für einen Zufall halten. Der junge Mann erhob sich und anhand seiner geschmeidigen Bewegung erkannte Albus, dass sich die Arroganz und die Ausstrahlung von Macht nicht hinter einer menschlichen Fassade verstecken ließen. Elegant schritt er die Treppe herunter, die Arme hinter den Rücken verschränkt. Würde Albus es nicht besser wissen, dann würde er den jungen Mann auf kaum älter, als zwanzig schätzen, doch es war ihm bewusst, dass er es mit jemandem zu tun hatte, der so alt war, wie die Zeit selbst. „Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns tatsächlich über den Weg laufen“, begann Diabolus im Plauderton und Albus hob seinen Zauberstab, auf der Hut vor jeder Bewegung. „Ach bitte“, wehrte der Teufel in Menschengestalt heiter ab. „Stecken Sie das Stöckchen weg, ich habe im Augenblick kein Interesse daran, ein bisschen Feuerwerk zu fabrizieren.“ Sie befanden sich auf selber Höhe und Albus ging einen Schritt zurück. Noch immer hatte Diabolus die Hände hinter seinem Rücken, so als würde er einen Spaziergang machen. Er sah sich um: „Ich würde eine Putzfee einstellen, denn hier sieht es, mit Verlaub, dreckiger aus, als in meinem eigenen Büro und das ist wirklich schon eine Kunst.“ Albus sah, dass der Herr der Unterwelt keine Spuren im Staub hinterließ, es war, als würde er schweben, oder gar nicht existieren. „Ziehen Sie ihre Schattensoldaten und Todsünden mitsamt dem Rest der stinkenden Untoten ab!“ Seine Stimme klang rau und keine Sekunde ließ er seinen Gegenüber aus den Augen. Dieser schien erheitert, ein Schmunzeln glitt über seine Lippen. Er wirkte, als hätte er alle Zeit der Welt, als wenn er einen Plan hatte, der durch nichts und niemanden in Gefahr geriet. „Sie stinken nicht, sie sind nur wütend“, informierte er freundlich. Seine Art irritierte Albus und er fragte sich, ob er in eine Falle tappte. „Das ist keine Falle“, erklärte Diabolus und Albus erstarrte. Schockiert sah er ihn an, dann entdeckte er ein Funkeln in den hellblauen Augen. „Ja, sieht so aus, als hätten Sie das nicht erwartet. Ich entschuldige mich dafür, es ist unhöflich die Gedanken des Gegenübers zu lesen, eine wirklich lästige Gabe für Gäste. Nun ja“, am Fenster blieb Diabolus stehen und Albus schluckte bitter. Dann setzte sich der Herr der Unterwelt auf die Fensterbank und hob leicht seine Hand. Statt der Kerzen, ging nun im ersten Raum der Kamin an und mehrere Fackeln leuchteten auf und gaben den Räumen eine fast schon gemütliche Atmosphäre. „Ich mache Ihnen ein Angebot“, begann Diabolus geschäftlich. „Ihre kleinen, törichten Freunde und Sie ergeben sich. Die Kinder kommen in meine Obhut. Nennen Sie es einfach eine Anzahlung auf eine hohe Anzahl an Begnadigungen.“ - „Welche Begnadigungen?“, wollte Albus wissen und der Teufel legte die Hände in den Schoß. Noch immer lächelte er sanft. „Mein lieber Freund, Sie können nicht wirklich glauben, dass ich zulassen werde, dass unwürdiges Pack unter meiner Herrschaft weiter die Luft verpestet.“ Albus' Gedanken rasten und noch bevor er es ausgesprochen hatte, sprach Diabolus: „Die Erde wird das neue Fegefeuer, eine Form der Vorhölle. Sie steht mir zu, so ist es geschrieben.“ „Wer hat es geschrieben?“, wollte Albus wissen und Diabolus neigte den Kopf. „Es ist ein Gesetz, wenn ein Mensch ein Pakt mit mir eingeht, hat alles einen Preis. Tom wurde abgehalten diesen Preis zu zahlen, also hebt es vertragliche Bedingungen auf. Ich darf mir selbst holen, was er versprach, denn hast du dich nie gefragt, warum sich die andere Seite nicht einmischt?“ Diabolus sah ihn belustigt an und Albus war unfähig sich zu regen. Er wusste nicht, was ihn mehr schockierte. Dass es eine andere Seite gab oder dass der Teufel sich wirklich an Regeln hielt. „Ja, ich wäre genauso schockiert wie du“, gab dieser sympathisierend zu. „Du verstehst also, damit“, er zeigte mit dem Zeigefinger nach oben. „unsere Kommunikation funktioniert, dass wir uns an Regeln halten müssen. Es sei denn, du möchtest handeln.“ Albus verzog vor Abscheu das Gesicht. „Mit dir verhandle ich nicht!“ Diabolus seufzte, rutschte von der Fensterbank und sprach: „Dann kommen wir zum unangenehmen Teil.“ Er breitete die Arme aus und Flammen umschlossen sie. Innerhalb von Sekunden befand sich Albus in einer brennenden Vorhölle. - - - Es dauerte nur einen Herzschlag lang, Rose hielt die letzte Karte in ihren Händen. Sie befand sich am Bahnhof von King’s Cross, auf jenem Gleis, wo alles angefangen hatte. Die Tarotkarte glitt ihr aus der Hand und begann sich zu drehen, immer schneller, dann verschwand die Umgebung um Rose herum und als sie das nächste Mal die Augen aufmachte, befand sie sich in einem gigantischen, feuchten und dunklen Saal. Erschrocken sah sie sich um, zog sofort ihren Zauberstab aus dem Mantel und sah sich um. Als sie aus dem Ministerium abgehauen war, mit dem Wissen, dass Onkel Harry ihren Verdacht teilte, hatte sie sich keine Gedanken darüber gemacht, was sie erwarten könnte. Das Einzige, an was sie hatte denken können, war Scorpius und das er noch lebte. Doch das, was sie nun erblickte, ließ sie erschaudern. Ein mächtiges Tor zog direkt die Aufmerksamkeit auf sich, davor eine Gestalt, die sie mit dem ersten Blick erkannte. Ihre Kehle zog sich zusammen und Rose wollte bereits auf ihn zueilen, als sie stoppte. Fünfzig Meter von ihr entfernt lag ein lebloser Körper und ihr war, als würde sie Scorpius doppelt sehen. Was ging hier vor sich? Der eine versuchte das Tor weiter zu öffnen, der andere wirkte wie ein Toter. Wie war das möglich? Rose umklammerte ihren Zauberstab fester. Sie wusste nur eins, sie musste zu Scorpius. So schnell sie konnte, rannte sie auf ihn zu, dann warf sie eine unsichtbare Wand brutal zurück. Sie knallte hart auf den Boden auf und rappelte sich so schnell sie konnte wieder auf. Dabei bemerkte sie einen Schatten, der sich von der Seite des dunklen Saals löste. Der Gestank von Tod stieg ihr in die Nase, eine Maske bedeckte sein Gesicht und er trug einen langen Stab in den Händen, an dessen Kopf ein Totenschädel thronte. Eine Todsünde, schoss es ihr durch den Kopf. Er wirkte ungehalten, böse überrascht und bereit, diese Überraschung zunichte zu machen. Als er seinen Stock hob, schnellte Rose' Zauberstab nach vorne und sie brüllte: „Protego!“ Gerade noch rechtzeitig, doch trotzdem erfasste sie der Druck einer Schockwelle und ließ sie zwei Meter nach hinten über den Steinboden schliddern. Ihr Ellenbogen ratschte durch den Stoff, des Auroren-Umhangs auf. Ihr blieb kaum Zeit, um Luft zu holen, da donnerte der nächste Fluch auf sie zu und Rose konnte sich gerade rechtzeitig zur Seite rollen, als an der Stelle, wo sie sich befand, das Gestein aufbrach. Man hätte ihre Überreste von den Wänden kratzen können. So schnell sie konnte zog sie eine blaue Perle aus ihrem Umhang und schlug drauf. Ein Bannkreis von etwa einem zwei Meter Radius wurde erschaffen. Mit heftigem Atem stand sie auf und war froh, dass sie sich von Onkel Harry drei dieser Perlen hatte geben lassen. Normalerweise verteilte das Ministerium sie nur an Auroren vom A-Rang, aber er war der Meinung, dass sie welche davon gebrauchen könnte. Wie recht er hatte. Trotz des Schutzes, den sie genoss, spürte sie, dass die Flüche von Ira in ihrer Richtung heftig waren. Sie würde sparsam mit den Bannkreis-Perlen umgehen müssen. Keuchend versuchte sich die Weasley einen Überblick zu verschaffen. Sie würde etwas brauchen, womit sie arbeiten konnte, doch hier befand sie sich im Territorium einer Todsünde. Gab es hier überhaupt etwas, was sie nutzen konnte. »Wie bist du hier reingekommen?«, scharrte Ira und Rose lächelte schwach. „Ist nicht viel eher die Frage interessant, was ich hier will?“ Die Todsünde ging um den Bannkreis herum, lauernd und wachsam. Ganz langsam begriff Rose, dass man sie von Scorpius fernhalten wollte. Um sicher zu sein, konnte sie keinen Zauber nach draußen schicken, aber man würde sie hören kommen. Also tat sie das, was ihr als einzige Möglichkeit blieb. Sie schrie. So laut sie konnte rief sie immer wieder seinen Namen und hoffte, dass ihre Stimme den Scorpius erreichte, der sich am Tor befand. Doch egal wie verzweifelt sie klang, wie laut sie schrie, er schien sie nicht zu hören. Erst, als ihr die Stimme versagte, machte sie eine Pause und versuchte zu Atem zu kommen. »Wie dumm du bist«, höhnte Ira »Spare dir deine Kräfte, du wirst sie brauchen, um zu schreien, wenn ich mich mit dir beschäftige und dir den Übergang in den Tod so reizend, wie nur möglich mache.« Seine Fratze verhöhnte sie und Rose spürte, dass sie Angst bekam. Ihre Stimme klang belegt: „Welche Todsünde bist du?“ Gemächlich ließ er seinen Stab sinken und musterte sie vor Vorfreude und Stolz. »Ich bin Ira, siebtes Jahrhundert und die älteste aller Todsünden.« Rose versuchte ruhig zu werden. Zorn. Es ergab einen Sinn, weshalb ausgerechnet diese Todsünde sich bei Scorpius befand. Irgendwie musste sie die Todsünde bekämpfen, allerdings hallten die Worte ihres Onkels in ihrem Kopf wieder, denn, sie hatte keine Ahnung wie. Sie kannte nur einen einzigen Menschen, der je eine Todsünde überlebt hatte und das war Albus. Doch jede Sünde hatte andere Fähigkeiten, andere Schwächen und laut Elliott Parkinson konnte nur der Besessene selbst sie bekämpfen. Aber Scorpius schien nicht den Eindruck auf sie zu machen, als würde er es überhaupt versuchen. Mit jedem Herzschlag mehr, sah Rose klarer. Alleine würde sie es sicherlich nie schaffen. Rose sah noch einmal durch den gigantischen leeren Saal, dann entschloss sie sich zu einem letzten Schritt. Sie ließ sich auf die Knie fallen, durch Zufall gelang es ihr, eine weitere Bannkreis-Perle unter ihrer Hand zu verstecken. Kopfüber tat sie, als wäre sie verzweifelt, aber stattdessen versuchte sie nonverbal den Homenum revelio – Zauber anzuwenden. Der Bannkreis fiel, aber Ira bemerkte es nicht. Leicht hob sie den Kopf und sah sich um. Wenn sich niemand im Saal befand, dann war es aussichtslos. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Jemand beugte sich über Scorpius und schrie ihn unaufhaltsam an. Doch der Körper blieb reglos. Sofort zerbrach Rose die zweite Perle und der Bannkreis fuhr hoch. Sie stand auf und starrte den alten Mann an, den sie auf den ersten Blick erkannt hatte. Konnte Ira ihn sehen? „Coodale“, sprach sie mit belegter Stimme. Hoffnung kam in ihr auf und just als sie seinen Namen ausgesprochen hatte, drehte der alte Mann seinen Kopf zu ihr. Er war jener Todesser, der sie behandelt hatte, als sie die erste Begegnung mit Scorpius überstanden hatte. Ihre Blicke trafen sich und das Gesicht des alten Mannes sah sie fassungslos an. Er ließ von seinem Enkel ab und bewegte sich auf sie zu. „Miss Weasley“, sprach er und sie konnte förmlich spüren, wie eine Last von seinen Schultern fiel. „Sie sind hier! Merlin sei Dank, Scorpius hört mich nicht.“ - „Mich auch nicht“, sagte Rose und bemerkte, dass Ira sie anstarrte. Seine Mundwinkel zuckten und die Todsünde erklärte: »Scorpius wird niemanden hören. Er wird stattdessen das neue Zeitalter über die Erde bringen. Unglück, Zerstörung und Krieg!« Ira lachte und seine Stimme hallte von den Wänden wieder. Mit einem Mal wurde Rose bewusst: Er sprach die schreckliche Wahrheit, denn niemand war in der Lage ihn aufzuhalten. Sie sah zum Tor, wie Scorpius sich abmühte es immer weiter zu öffnen und dann begriff sie, was er da tat. Ihr wurde übel, schwindelig und ein Gefühl von überwältigender Hoffnungslosigkeit schoss durch ihren Körper. „Nein“, stammelte sie hilflos. „Nein, er darf nicht, er kann nicht-“, ihr fehlten die Worte. Rose hatte herausgefunden, wie man die Schlacht aufhielt, aber nicht, wie man eine Todsünde besiegte. Dunkle Seelen schwebten durch die Decke, bereit ihre Familie, ihre Freunde und Gefährten mit sich in den Tod zu ziehen. Es war hoffnungslos. Fortsetzung folgt... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)