Deutschland. Nichts geht mehr. von Phillia (Aus glücklichen Familien besteht das Wohl des Staates.) ================================================================================ Wo Liebe warm im Herzen sitzt ----------------------------- Als in den ersten Morgenstunden Bremen und Bremerhaven ebenfalls in München ankamen, in dem imposanten Gebäude, das als Hauptquartier von Dominus Tecum diente, lag der Geruch von Tod und Verwesung schon in der Luft. Die Brüder waren mit einem flauen Gefühl im Magen hierhergekommen. Bremerhaven hatte es geschafft, seinen Bruder zu überreden, dass die Situation, in die Hamburg sich gebracht hatte, nachdem sie Mecklenburg-Vorpommern über sein Handy geortet hatte, doch etwas zu gefährlich war und wollten nun versuchen, sie zu retten. Am Portier vorbei öffneten sie die Tür. Beim Eintreten standen sie knöcheltief im Blut. Die Brüder schlugen sich gleichzeitig die Hände vor ihre Münder, als sie den Raum betrachteten. Sachsen-Anhalt, Sachsen und Rheinland-Pfalz lagen zu viert in einer Blutlache direkt vor der Tür. Nordrhein-Westfalen, durchlöchert, lehnte direkt hinter der eben geöffneten Tür. Bayern war, ähnlich einer Kreuzigung, an einer Wand aufgespießt. Hessens Kehle war aufgeschlitzt, Thüringens Gesicht war verbrannt. „Jette!“ schrie Roland entsetzt, als er sah, wie sie gekrümmt über der Leiche Mecklenburg-Vorpommerns kauerte und seinen Kopf in ihren Armen verborgen hielt. Als er sie an der Schulter berührte, wurde ihm klar, dass ein Schuss durch ihre Luftröhre gegangen war. Roland konnte Heins Hand an seiner Schulter fühlen, und er fing an, zu weinen. Erst in diesem Moment merkten die Brüder, dass sie nicht die einzigen lebenden Personen in dem Raum waren. Unter dem Tisch kauerte Berlin, der sich hilflos vor und zurück wiegte und mit einem distanzierten Blick auf eine bleiche Hand unter einem nahegelegenen Stuhl schaute. Seine Atmung ging flach, aber fast rasselnd, und von seiner Schläfe ausgehend bahnte sich ein dünner Blutstreifen den Weg nach unten. Mit zusammengepresstem Mund untersuchte Hein, wessen leblose Hand angestarrt wurde; es handelte sich um die von Brandenburg, der, alle Viere von sich gestreckt, auf dem Boden lag und mit starren Augen an die Ecke schaute, als würde er noch etwas sehen. Hein schloss die Augen. Im gleichen Moment war, nicht weit von Berlin, ebenfalls ein leises Schluchzen zu hören. Er stand wieder auf, warf einen aufmerksamen Blick auf seinen Bruder, der sich wieder zu fangen schien und angefangen hatte, seine Tränen mit seinem Handrücken wegzuwischen, und näherte sich der Quelle des Schluchzens. Ein stockend atmender Württemberg lag mit dem Kopf auf Badens Schoß, dessen gesamte rechte Schulter aufgeschlitzt war und dessen rechte Hand dementsprechend schlaff herunterbaumelte. In einigem Abstand blieb Bremerhaven stehen und hörte trotzdem, wie Baden zwischen seinen Tränen einige Worter herauspressen konnte. „Du verdamter Arsch, was fällt dir, was fällt dir ein, zu sterben?!“ Von seinem Partner war nur ein leises Röcheln zu hören, und danach die äußerst leisen Worte „Niemand stirbt...“ „Labb zu, Nuss!“ wurde er angewiesen. Ein weiteres Röcheln war die Antwort. „Du... Schätzle... solltest doch froh... wolltest doch immer... weg... von...“ Bremerhaven kam sich wirklich fehl am Platze vor, aber etwas hinderte ihn daran, wegzusehen. Auf Badens Lippen zeigte sich ein krummes Lächeln, das Hein unwillkürlich zurückweichen ließ. „Ich will deine blöde Stimme jetzt nicht hören...“ Noch immer erhellte ein kränkliches Neonlicht den Raum, und die Tränen, die unaufhörlich über Badens Wangen flossen und nach unten fielen, glitzerten in diesem Licht. Er strich mit der gesunden Hand über Lukas' Mund. Württemberg hob schwach einen Arm und berührte eine der Wangen über ihm, um die Tränen wegzuwischen. Er lächelte, und dann fiel seine Hand wieder hinab, und gleichzeitig mit Lukas starb alles in Max ab. Schon wieder wurde er verlassen. Von dem einzigen, an den er sein Herz gehängt hatte. Sein Mund schmeckte nach bitterer Leere, während er in dunkelblaue Augen blickte, deren Licht erloschen war. Gleichzeitig wurde der Raum von zwei Schreien erschüttert, der eine aus dem Mund Badens, der andere aus Berlins Richtung kommend. Ruckartig drehte Hein sich um und sah, wie Berlin die Hand Brandenburgs ergriffen hatte. Seine Augen waren leer und glasig. Keiner der Brüder hatte Berlin vorher in Person gesehen, aber dieses tiefe Nichts in seinen Pupillen konnte bei keinem Menschen etwas Gutes bedeuten. Er wollte aufstehen, da hatte Bremen den anderen Menschen schon vorsichtig am Arm berührt. Berlin schien ihn nicht zu bemerken. Berlin bemerkte gar nichts mehr; sein gesamter Körper war nur noch ein einziger Wirbel, und er fühlte sich, als müsste er sich gleich übergeben. Albrecht war tot. Paul war ein Mensch, der einzig und allein im Jetzt lebte, aber das Gesicht vom lachenden Albrecht hatte sich tief in seinen Verstand gefressen, und es drohte, ihn zu verschlingen. Denn das würde er niemals wieder sehen. Er hatte nicht einmal gehört, wie er aufgeschrieen hatte, und er bemerkte nicht, wie Bremen ihn berührte, ihn von unter dem Tisch hervorholte und ihn auf die Beine zog. Bremerhaven hatte derweil versucht, auch den anderen Überlebenden der Katastrophe zu retten, aber der wollte sich nicht von dem toten Körper unter ihm trennen. Der noch nicht einmal volljährige Mann war etwas verzweifelt und entschloss sich, einen Krankenwagen zu rufen. Fünfzehn Minuten später traf der Krankenwagen ein. Vor dem Gebäude versammelte sich eine Schar Journalisten, die eifrig jede Leiche fotografierte, die sie vor die Linsen bekommen konnten. Bremen und Bremerhaven standen an der Seite und hatten schon dem Kommissar ein wenig Geld überreicht, um aus der ganzen Angelegenheit herausgehalten zu werden. Sie beobachteten, wie sich ein Polizist bei dem Anblick, der sich ihm geboten hatte, übergeben hatte müssen, und wie die Polizisten alle Opfer dieses „tragischen Unfalls“ hinaustransportierten. Sie beobachteten auch, wie Sanitäter versuchten, sich um Berlin und Baden zu kümmern, aber keinen Erfolg damit hatten, weil Berlin noch immer unter tiefem Schock stand und Baden alle anschoss, die sich ihm näherten, ohne, dass man ihm die Waffe aus der Hand hatte nehmen können. Die letzte Kugel jagte er sich selbst durch den Kopf und damit starb Maximilian Reichenbach als letztes Opfer des, so würden die Zeitungen später titulieren, „Killer-Berliners“. Paul Albrecht ließ sich folgsam abführen, und später wurde er des Mordes an allen Anwesenden verurteilt, trotz dünner Beweislage. Mehrfach lebenslänglich. Er starb im Alter von 28 Jahren, nach drei Jahren in einer Stahlzelle, an einem Lungenkarzinom. Dominus Tecum und Schwertfisch existierten weiter, obwohl beider Führungsriegen an einem Abend ausgelöscht worden waren – es gab genug Leute, die nachgerückt waren. Aber sie büßten einen Großteil ihrer Macht ein. Nur Bremen und Bremerhaven waren weiterhin erfolgreich in ihrem Geschäft, bis sie nach einigen Jahren ihre Namen änderten und nach Australien ausgewandert waren, wovon so viele andere nur hatten träumen können. Die Morgensonne färbte München rot. Wie immer weinte sie den verstorbenen Menschen keine Träne nach, sondern schickte ihre Strahlen auf die Stadt und tauchte sie in Blut. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)