Deutschland. Nichts geht mehr. von Phillia (Aus glücklichen Familien besteht das Wohl des Staates.) ================================================================================ Beichte, nicht Priester ----------------------- Es war späte Nacht, als Mecklenburg-Vorpommern, per Anhalter, in Bayern ankam. Thüringen würde bestimmt bei Bayern sein, schließlich gehörte er zu ihrem Freundeskreis, nicht wahr? Fritz hatte die zahlreichen Anrufe, die sein Handy während seiner Fahrt erreicht hatten, ignoriert. Jetzt war er jedenfalls hier und wusste nicht, was er tun sollte. Er wusste nur, dass er mit Thüringen reden wollte. Er wollte ihm sagen, dass er nicht so mit Hamburg reden dürfte, und dann würde er am Besten noch sagen, dass er Schleswig-Holstein getötet hatte, denn er hatte Schleswig-Holstein getötet. Aber warum sollte das Thüringen interessieren? Hmm...Angestrengt dachte Mecklenburg-Vorpommern nach. Er stieg aus dem Wagen der kleinen Familie aus, die den trägen Mann mitgenommen hatte, und ging langsam in eine gewisse Raststätte in der Nähe von Nürnberg. Die Angestellte hatte in den letzten Stunden wohl schon mehr Mafiosi zu Gesicht bekommen als viele andere Menschen ihr Leben lang, und sie hatte es nicht realisiert. Auch diesmal schaute sie nur kurz desinteressiert auf und blickte dann wieder auf ihre Nägel. Mecklenburg-Vorpommern gähnte und setzte sich an einen kleinen weißen Tisch, an dem schon Brandenburg saß. Interessant. Er sah aus, als hätte man ihn in der Zeit eingefroren. Er schien Fritz nicht zu bemerken, und so fing er an, Brandenburgs Salat zu essen, der halb verwelkt vor ihm auf einem Teller lag. Schleswig-Holstein war tot und es war seine Schuld. Das mindeste, was er tun konnte, war, mit Thüringen zu reden. Ja. Ja, er würde ganz sicher mit Thüringen reden. Und er würde ihn zur Vernunft bringen. Und er würde ihm alles erzählen. Und dann würde Otto sicherlich zurückkehren, ganz bestimmt, und dann würde er zu Jette gehen können und ihr sagen können, dass er Thüringen zur Rechenschaft gezogen hatte. Fritz lächelte müde. Brandenburg derweil war vollkommen in einer anderen Welt, in einer Welt ohne Paul, in einer Welt, in der er allein war. Eine Welt ohne Farbe, ohne Geruch, ohne Geräusche. Die Wände waren ausnahmslos weiß und in schwarzen, großen Lettern wiederholte sich endlos ein einziger Satz. Er ist weg. Er ist weg. Er ist weg. Er ist weg. Er ist weg. Er war weg. Er hatte ihn verlassen. So wie jeder Mensch, den er liebte, ihn verlassen hatte. Seine Freundin war kurz nach Nikolais Geburt geflüchtet. Nikolai war vor ihm weggerannt, bevor ihn eine U-Bahn erwischt hatte. Paul wollte ihn nicht mehr sehen. Es war sein Schicksal, allein zu bleiben. Er konnte es nicht bekämpfen. Er sollte es nicht bekämpfen.Vielleicht sollte er anfangen, es zu akzeptieren. Aber dann sollten auch alle anderen Menschen allein sein. Er spürte kaltes Metall, das tief verborgen in seiner Manteltasche zu vibrieren schien. Die Tür öffnete sich ein weiteres Mal. Weder Mecklenburg-Vorpommern noch Brandenburg konnten sich aus ihrer Welt befreien. Der eintretende Württemberg ließ den Blick fieberhaft durch den Raum gleiten. Sie – nein, er, denn es war natürlich einzig und allein seine Schuld – hatten in dieser Raststätte einen ihrer weißen Handschuhe vergessen, und das war gar nicht gut. Sie hatten zwar noch genug Ersatzhandschuhe, aber man sollte seine Sachen immer bei sich behalten, vor allem, wenn man diese Sachen benutzt hatte, um damit andere Menschen zu ermorden. Ein Moment blieb ihm, bevor er die beiden Schwertfische im Raum entdeckte, in dem er ein wenig lächeln konnte ob der Erinnerung daran, wie Baden sich hinter dem Lenkrad zurückgelehnt hatte und ihn mit einem ruppigen „Jetzt geh' halt, ich wart' im Wagen“ rausgescheucht hatte. Jenes Lächeln erstarb, als sein Blick auf Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern fiel. Uh. Was machten denn diese beiden Schwertfische hier? Unbeweglich blieb er stehen, dann versuchte er, möglichst unauffällig wieder aus der Tür hinaus zu gehen. Aber er musste ja noch einen Handschuh holen, oh! Ah, wo hatten sie den denn gleich gelassen? Ach richtig, auf dem Stuhl, wo... wo jetzt Brandenburg saß... da lag der Handschuh. Vorsichtig näherte er sich dem Schwertfisch, der irgendwie paralysiert und nicht wie von dieser Welt wirkte. Wenn er Glück hatte, würde das ganze leichter sein, als einem Kleinkind die Kehle aufzuschlitzen. Langsam näherten sich seine Finger dem Becken Brandenburgs... wenn er sie einfach nur... nur hinunter... und dann... nein. Nein, das hatte nicht geklappt. Eine fremde Hand packte grob sein Handgelenk und Brandenburg sah über ihn hinweg. „Was soll das?“ fauchte er leise. Württemberg lächelte höflich. Er versuchte, seine Hand aus dem Griff zu befreien, aber es gelang ihm nicht, der andere hatte Finger aus Stahl. Mecklenburg-Vorpommern war wieder zu einem stillen Beobachter degradiert worden, als Baden durch die Tür stürmte und mit einem wütenden „Was treibsch denn so lan-“sah, dass Brandenburg auch anwesend war, und mit einer schnellen Bewegung hinter ihm war und ihm den Lauf einer Pistole in den Rücken drückte. Albrecht derweil hatte aus ihm unbekannten Gründen sein Messer in den Händen und hielt es an Württembergs Kehle. Die Zeit tropfte langsam wie das Wachs einer Kerze. Und dann bewegte sich die Welt wieder, denn gleichzeitig brachen Berlin und Thüringen hinein. Brandenburgs Augen wurden groß, dann wieder klein. Paul war da. Auch der Rest der Anwesenden war erstaunt über die plötzlichen Gäste. Mecklenburg-Vorpommern stand sogar auf und ging auf Thüringen zu. Er öffnete den Mund, um zu sprechen, aber kein Wort kam hinaus. Thüringen sah ihn nur irritiert an, dann wandte er sich dem Ort zu, wo die Action abging. Mecklenburg-Vorpommern sah traurig in die andere Richtung. Paul war auf Brandenburg zugerannt, auf ihn zugesprungen und hatte nun seine Arme um ihn geschlungen und das Gesicht in der Halsbeuge des anderen vergraben. Das edle Messer fiel aus einer erschlaffenden Hand Albrechts, während er zögernd die Arme um Paul legte und ihn dann, als wolle er sein Zögern wieder wett machen, umso enger an sich drückte und eine Hand in seinen Nacken legte, die andere um seine Hüfte. Paul atmete merkbar ein und aus, und Albrecht konnte den Herzschlag des anderen gegen seinen eigenen fühlen. „Ey, tut mir Leid, dass ich so fortgerannt bin. Ist mir voll egal, wer oder was du bist, von mir aus könntest du auch 'ne Currywurst sein.“ Das war ein seltsamer Vergleich, aber dies fiel Albrecht in seiner momentanen Lage nicht auf. Er wurde von einem Glücksgefühl durchströmt, das er niemals für möglich gehalten hatte. Thüringen näherte sich Baden und Württemberg. Württemberg ergriff gerade den weißen Handschuh, der tatsächlich noch auf dem Stuhl gelegen hatte, und Baden hatte ganz demonstrativ den Blick von seinem Partner abgewandt. „Hey, ihr.“ Bernd hatte sich inzwischen beruhigt. Es war zu keinen Staus gekommen. Alles war bisher glatt gelaufen. „Wir hatten einen Deal.“ „Und wie hast du uns gefunden? Auch mit diesen blöden Peilsendern?!“ Baden hob misstrauisch eine Augenbraue. Thüringen sah die Wand an, vor der die Angestellte der Raststätte weiterhin stand und müde ihre Nägel betrachtete. „Nun, diese Peilsender... macht euch keine Mühe, sie zu finden, die hat Hessen 'mal angebracht. Für Bayern.“ Sofort fing Baden an, leise zu grummeln, irgendetwas von wegen Bayern und dass sie eine blöde Pflunz wäre. Thüringen warf einen misstrauischen Blick auf Berlin und Brandenburg, die aneinandergeklettet schienen, als hätte man Sekundenkleber zwischen die beiden Körper verteilt. Widerlich. Sollten die sich doch einen Raum nehmen. „Also, kommt ihr jetzt?“ Er sah Baden-Württemberg mit wachsener Ungeduld an. „Je eher wir zuschlagen, desto besser.“ Man tauschte kurz einen Blick aus. Badens Pistole verschwand wieder unauffällig in seinem Anzug und Württemberg streifte seinem Begleiter den Handschuh wieder über die Hand. Die drei verschwanden, dicht gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern, aber niemand sah ihn. Er wartete noch immer auf die geeignete Chance, Thüringen zu erzählen, dass Schleswig-Holstein tot war. Und dass er nicht so mit Jette reden durfte. Wieder klingelte sein Handy, wieder hörte es niemand. Berlin und Brandenburg verweilten allein in dem Pseudorestaurant. Die Fachkraft sah auf und rollte mit den Augen. Sollten sich die Schwuletten doch einen Raum nehmen. Aber das würde sie ihnen nicht sagen. „Tschuldige, Paul...“ murmelte Albrecht gegen den Nacken des anderen. Paul schmunzelte leise. „Ist doch kein Problem, Mann. Ich sollte mich entschuldigen, wa, ich hab dich schließlich allein gelassen. Das war nicht okay.“ Brandenburg schüttelte nur leicht den Kopf. „Du bist wieder da. Jetzt... jetzt ist alles... Paul... ich will nicht... nicht...“ Er konnte es nicht sagen, aber Paul schien zu ahnen, was er ausdrücken wollte, und er hob seinen Kopf an, um ihre Lippen in einen nur kurzen, harmlosen aber nichtsdestotrotz warmen Kuss zu ziehen. Albrechts Lippen prickelten. Sein Herz schlug schnell gegen seine Brust, aber es war eine angenehme Aufregung. Er war glücklich, er fühlte sich glücklich, und erst lächelte er. „Lachste mich aus?“ fragte Paul halb im Scherz, und über diesen an und für sich nicht sehr lustigen Scherz fing Albrecht an, lauthals zu lachen. All die Anspannung seines Lebens, all seine Einsamkeit schien mit diesem Lachen aus ihm herauszufließen und nur noch Glück zu hinterlassen, reines, hell glänzendes Glück, das sich, genau wie Pauls zufriedenes Grinsen, in seinen Augen widerspiegelte. Thüringen trat noch einmal ein. „Ihr kommt gefälligst mit!! Brandenburg, wir werden Bayern töten, da machst du mit, Punkt!“ Das Blatt auf seinem Kopf fing an, gefährlich zu rauchen. Paul ließ Albrecht los und blickte kurz, mit den Augen rollend, zu Thüringen. „Und wer bist du, kann mich nicht erinnern, dich zu kennen! Biste auch einer von diesen Mafiafuzzis von den Katholiken?“ Brandenburg flüsterte etwas in sein Ohr und Berlins Gesicht erhellte sich. „Ja klar kommen wir mit, mit Bayern haben wir eh noch ein Hühnchen zu rupfen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)