Deutschland. Nichts geht mehr. von Phillia (Aus glücklichen Familien besteht das Wohl des Staates.) ================================================================================ Drei gefährliche Dinge ---------------------- Das Wasser plätscherte zufrieden vor sich her, und während Thüringen den Holzsteg entlangwanderte, blickte er sich unzufrieden im Wasser an. Wenigstens war Hessen nicht mitgekommen zu seinem Ausflug zu Hamburg, das hätte ihm gerade noch gefehlt! Mit einem ewig nörgelnden Hessen im Gepäck, der sich beschwerte, dass er ihn als Kind misshandelt hätte, damals, als Bernd dazu abkommandiert worden war, sich um das stille Kind zu kümmern... da hätte er sich ja gar nicht mehr konzentrieren können auf Geschäfte. Zumindest dachte Thüringen immer, er hätte einen zickenden Hessen im Nacken, die Realität jedoch zeugte von einem eisigen Schweigen von Karols Seite. Frustriert fuhr er sich durch die erdbeerblonden Haare. Bayern hatte schon irgendwie Recht. Das Geschäft mit den Frauen lief nur noch schleppend, und Thüringen konnte sich schon vorstellen, warum. Der dösige Mecklenburg-Vorpommern war einzig und allein Schuld daran. Es war nicht Bernds eigenem Versagen zuzuschreiben, dass die Geschäfte hinkten. Das war einzig und allein diesem Schlitzohr von Mecklenburg-Vorpommern zu verdanken. Gerade im Gebiet von Angeboten für etwas speziellere Gäste schien sein Konkurrent geradezu einen magischen Riecher zu haben. Das kotzte Bernd ja so an. Und jetzt hatte er sich auf diesen ewig weiten Weg machen müssen von Erfurt bis an die Elbe. Hier hatte Hamburg ihr Hausboot. Es fiel kaum auf zwischen vielen anderen Hausbooten, die an diesem Steg vertäut waren und ruhig im Wasser lagen. Nichts deutete darauf hin, dass hier eine der mächtigsten und reichsten Frauen Europas wohnte, nichts außer zwei unauffällige Männer auf dem Boot, die wachsam Ausschau hielten nach Fremden. Bernd stellte sich als Thüringen vor, und einer der Männer begleitete ihn in das Innere. Das Hausboot war klein, zumindest in Anbetracht des Reichtums, über den sein Besitzer verfügte. Der Schrank neben Thüringen, der ihn noch schmächtiger als sonst wirken ließ und sich dadurch automatisch seine Wut zuzog, rief laut nach seiner Chefin, und wenige Momente später kam Jette mit unbewegtem Gesichtsausdruck aus dem Nebenzimmer heraus. Sie trug die tiefroten Haare unter einer Kappe versteckt und dazu einen hellblauen Hosenazug, der ihr Holzbein verdeckte, und der Teppichboden verschluckte alle Geräusche, die es machen könnte. Erst, als sie sprach, wurde Bernd wieder bewusst, dass es sich bei diesem Menschen um eine Frau handelte. „Thüringen.“ sprach sie seinen Namen und kam mit – oh – mit hochhackigen, klappernden Schuhen näher. Sie überragte ihn, was Thüringen innerlich fluchen ließ. „Hamburg. Schön, Sie wieder zu sehen.“ Er konnte sich nicht zu einem Lächeln überreden. Hamburgs Lächeln war dagegen wie festgeklebt. „Setz dich doch. Möchtest du etwas zu Trinken? Ich habe erst gestern einen exzellenten Champagner ersteigern können.“ Bernd schüttelte den Kopf. „Vielen Dank, nein.“ Er setzte sich auf den angebotenen Sessel, und Hamburg ließ sich ihm gegenüber auf einem Sofa nieder. Genauer betrachtet sah sie etwas derangiert aus, normalerweise hatte sie sich immer komplett unter Kontrolle, aber heute schien ihre Kleidung nicht ganz passend zu sein, ihr Lächeln nicht ganz so falsch wie sonst... Bernd hatte ein flaues Gefühl von Gefahr im Magen. „Was gibt es denn, Thüringen?“ Auch ihre Stimme klang leicht dissonant und, wenn Thüringen den Finger darauf legen müsste... weiblicher und sorgenfreier als sonst. Er räusperte sich. Ganz ordentlich hatte er sich zurechtgelegt, was er zu ihr sagen würde. „Es geht um die Geschäfte.“ Hamburg spannte sich unmerklich an. „Gibt es Probleme?“ fragte sie mit einer hochgezogenen Braue. Thüringen schüttelte einen Tick zu schnell den Kopf. „Alles läuft bestens. Da wäre nur eine kleine Sache...“ Als ob. Thüringen wäre nicht wegen einer kleinen Sache den langen Weg vom Süden bis zu ihr hin hochgefahren. Sie lehnte sich zurück und legte ihre Finger nachdenklich aneinander. Dann nahm sie ihre Mütze ab, legte sie auf den Glastisch vor sich und schüttelte ihre lockigen Haaren kurz auf. Sie hatte keine Lust, zwischen die Fronten zu geraten. Sie hatte hart arbeiten müssen bis an die Spitze, und sie würde sich diese Position nicht wieder wegnehmen lassen von diesen Kindern, die Mafia spielen wollten. Sie war die einzige, die versuchen konnte, die Lebensumstände für ihre Damen (und natürlich auch ihre Herren) auf einem gewissen Level zu halten, sie war sich sicher, dass weder Mecklenburg-Vorpommern noch Thüringen auch nur eine Sekunde daran dachten, dass ihre Ware menschlich war. Bernd sprach weiter. „... nun, ich möchte mich um die Verkaufsrechte für Dresden, Leipzig und-“ Er holte kurz Luft. „-Magdeburg bewerben.“ Das war die einzige Lösung, die ihm eingefallen war: mit dem Kopf durch die Wand. Angriff ist die beste Verteidigung. Wenn Mecklenburg-Vorpommern versuchte, ihn zu verdrängen, dann würde er einfach in sein Territoritum einmarschieren und dort Geschäfte eröffnen lassen. Genug Frauen hatte er zur Verfügung, die zurzeit wenig zu tun hatten. Dadurch würde sich eine Zeit lang verhehlen lassen, dass Mecklenburg-Vorpommern den Nischenplatz besetzte, und bis dahin würde Thüringen endlich genug Geld gemacht haben, um zu verschwinden. Hamburg blickte ihn lange an. Er erwiderte den Blick ebenso intensiv wie sein Gegenüber. Einen Moment lang dachte Bernd, dass sie ansetzte, etwas zu sagen, aber die Tür, aus der Hamburg vor Kurzem noch gekommen war, öffnete sich. Ein Summen kündigte schon an, wer heraustreten würde, bevor der Spalt sich vergrößerte. Hamburg vergrub einen Moment lang das Gesicht in ihrer Hand. Sie wusste manchmal wirklich nicht, warum sie sich überhaupt mit dem Idioten abgab. Dann sah sie wieder hin, und Fritz hatte nur ein Handtuch um die Hüften geschlungen, während seine Haare und sein Oberkörper tropften, scheinbar hatte er gerade geduscht. „Jette...“ Er sah sie stumpf an. „... ich habe Hunger...“ teilte er ihr mit, ehe er bemerkte, dass Thüringen anwesend war. Träge lächelte er ihn an und hob kurz die Hand. „Oh, hallo, Thüringen... was für ein Zufall, dass du auch hier bist...“ In seinen Worten schien nichts Böses zu liegen. Ein paar Momente war alles still, nur unterbrochen vom ewigen Flügelschlagen der kleinen Fliegen, die Mecklenburg-Vorpommern überallhin begleiteten. Dann erhob Thüringen seine Stimme und deutete erst anklagend auf Mecklenburg-Vorpommern, dann auf Hamburg, mit ausgestrecktem, zitterndem Zeigefinger. Seine Stimme war geradezu schrill. „Was soll das hier?! Sag nicht, ihr habt's miteinander getrieben?!“ Mecklenburg-Vorpommern legte den Kopf schief und schien angestrengt über diese Frage nachzudenken. Hamburg machte wieder Anstalten, ihr Gesicht in ihren Hände zu vergraben, stand dann aber auf, und sofort sprang auch Bernd auf. „Thüringen.“ Ihre Stimme war ernst, aber Bernd tat eine abwehrende Geste, mit der er ihre Worte von sich wegwischen wollte. „Nichts Thüringen! Klappe, du Schlampe!“ Ihr Gesicht verdunkelte sich merklich. „Du Miststück hast uns die ganze Zeit belogen und betrogen und MANN EY! Wie kannst du noch so--- arghhhh!!“ Etwas irritiert trat Fritz einen Schritt zurück und Hamburgs Mund verzog sich zu einem schrägen Strich, während sie sich so manövrierte, dass sie vor Thüringen stand. „Da fällt einem doch nichts mehr ein!!“ Seine Stimme war dröhnend laut, und besorgt blickte einer der Türsteher in den Raum. Hamburg winkte ihn unauffällig nach draußen. „WIR HABEN DIR VERTRAUT, ZUMINDEST BIS JETZT!! Aber keine Sorge, du wirst unsere Rache noch zu spüren bekommen, du und deine ganzen kleinen Huren-“ Hamburg hatte ihre Hand erhoben und diese war brutal auf Thüringens Wange gelandet. „Raus.“ Ihre Stimme war ruhig, bestimmt und unglaublich wütend, und in ihren Augen loderte ein Feuer, das nicht ausgelöscht werden konnte. Aber auch Thüringen war niemand, der Frieden suchte. Sein Herzschlag ging heftig, während er versuchte, sich zu beruhigen. Als er sprach, war seine Stimme nurmehr ein Zischen. „Wir-“ „Raus.“ wiederholte Hamburg im gleichen Tonfall und ihr Blick schien Bernd aufzuspießen und ihm seine Kehle umzudrehen. Erneut legte sich Stille über den Raum, dann drehte sich Thüringen um und nahm den direkten Weg zur Tür. Jette drehte den Kopf zu Mecklenburg-Vorpommern, der sie nur ansah, als hätte er nichts begriffen. In Wahrheit hatte er einiges begriffen, aber er fand, es machte mehr Sinn, einfach zu schweigen. Ihre Stimme war kalt. „Du kannst ihm gleich folgen, Fritz. Weißt du, was für eine Katastrophe du gerade angerichtet hast? Ich will dich nicht noch einmal sehen.“ Mit einem etwas traurigen Gesichstsausdruck, von dem Hamburg sich allerdings nicht erweichen ließ, zeigte sie ihm den Weg zur Tür, verschwand in ihrem Schlafgemach und atmete, gegen wachsende Hysterie ankämpfend, tief ein und aus. Mecklenburg-Vorpommern machte sich auf den Weg nach Hause, und auf dem Weg nach draußen ließ er noch in einem seltenen Anflug von Geistesgegenwart einen Anzug mitgehen, bevor er sich auf sein Fahrrad schwang und losradelte. Thüringen hatte sich schon in seinen Wagen gequetscht und fuhr auf direktem Wege nach Bremen. Wenn das genauso ein Disaster werden würde, würde er jemanden umbringen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)