Für Rum und Ähre von _Kima_ ("Erdnuss, Captain!") ================================================================================ Kapitel 1: Marcia ----------------- Fluchend stieß Marcia die Tür zum Gasthof auf und trat über die Schwelle. Julia, ihre Halbschwester und bis vor wenigen Stunden noch Captain ihres gemeinsamen Schiffes, der Sea Screamer, folgte ihr ein wenig langsamer. Die Männer an den Tischen, ausnahmslos grobschlächtige Seebären, blickten kurz auf, ehe sie sich wieder ihrem Bier zuwandten. Schweigend deutete Julia auf einen leeren Tisch im Eck der halbdunklen Gaststube. Marcia nickte und wandte sich nach rechts zum Tresen hinter dem sie, zwischen weiteren breitschultrigen Männerkörpern, den Wirt ausmachen konnte. Sie drängte sich zwischen den Männern durch und schlug mit der flachen Hand kräftig auf den Tresen. „Dunkles Bier“, rief sie dem Wirt über den konstanten Lärm im Gastraum zu. „Warmen Met! Dazu Brot und einen halben Hammel!“ Der Wirt nickte und Marcia war froh, sich zwischen den Männern herauswinden zu können. Dumpf hallte das Geräusch ihrer Absätze auf dem unebenen Holzboden wieder, als sie auf den Tisch zuging, an dem Julia bereits auf sie wartete, ihren Papagei, Jolly Roger, auf der Schulter. Mit einem leisen Ächzen ließ Marcia sich auf die unbequeme, harte Bank fallen und legte ihre langen Beine hoch. Sie blickte dem Papagei hinterher, der von Julias Schulter flatterte, sich mit den Worten „Oh! Eine Erdnuss!“ am Nachbartisch niederließ und auf einem der Teller dort herumpickte. „Was machen wir jetzt?“, fragte sie, nahm ihren Hut ab und legte ihn vor sich auf den Tisch. „Ohne Schiff, ohne Crew und ohne Gold?“ Kapitel 2: Julia ---------------- Julia blickte ihrem Papagei hinterher und runzelte kurz die Stirn, als sie sah, wie der Vogel exzessiv in den Essensresten herumpickte, dann erwiderte sie: „Na was wohl. Wir sind auf Tortuga, Marcia, hier gibt es mehr als genug Männer, die wir anheuern können. Und um das Schiff kümmern wir uns später.“ „Später?“, wiederholte Marcia verblüfft. Ihre Augenbrauen wanderten ungläubig in die Höhe. „Ja, später.“ Der Wirt – ein ungewaschener, grobschlächtiger Kerl – tauchte in diesem Moment zwischen den Gästemassen hindurch und stellte zwei Krüge mit dunkler Flüssigkeit unsanft vor den beiden ab. „Dunkles Bier und Met“, grunzte er, den beiden jungen Frauen eine Wolke fauligen Atems entgegen hauchend, „Brot und Hammel sind unterwegs.“ „Aye“, nickte Julia, winkte den Wirt von dannen und nahm dann einen großen Schluck von ihrem Bier, verzog jedoch sofort angewidert das Gesicht. „Schmeckt wie gottverdammte Pisse eines besoffenen Igels“, knurrte sie. „Später?“, nahm Marcia das unterbrochene Gespräch auf, ohne ihrem Met auch nur einen Blick zu schenken, „Julia, keine Crew der Welt wird auf einem Schiff anheuern, das gar nicht existiert!“ „Und was nützt mir ein Schiff ohne Crew?“ Julia warf die roten, zu unzähligen Zöpfen geflochtenen Haare zurück. „Eine Crew kann mir immer noch helfen, ein Schiff zu kapern – ein Schiff ohne Crew hat momentan etwa den gleichen Wert für mich wie Wasser für einen Ertrinkenden.“ „Also versammeln wir erst eine Mannschaft… und kapern dann ein Schiff?“ „Genau.“ Am Nachbartisch schienen die Seemänner inzwischen genug von dem frechen Papagei zu haben, der da unverschämterweise auf ihren Tellern herumpickte, es löste sich ein Gewehrschuss und im nächsten Moment landete Jolly auch schon mit schrillem Kreischen auf Julias Schulter. „Stirb!“, krächzte das blaue Ara-Weibchen und wippte mit dem Kopf, als wenn sie ihren Ausruf bestätigen wollte, „Stirb!“ Julia seufzte. Sie hatte kein Schiff, keine Crew und gerade genug Gold, um das Essen in der Gasstube zu bezahlen… aber ausgerechnet das schwachsinnige Federvieh war ihr geblieben. Davy Jones hatte einen kranken Humor. Kapitel 3: Marcia ----------------- Der Hammel war winzig – gemessen an normalen Hammeln –, zäh und kalt, das Brot hart und trocken. Julia aß schweigend, während Marcia nur angewidert das Stück Backstein, das sich Brot schimpfte, anstarrte. Leise seufzte sie, brach ein Stück ab und klopfte damit auf den Tisch. „Hart genug, um wen niederzuknüppeln“, brummte sie, griff nach Julias Messer, das im Hammelfleisch steckte und schnitt sich ein Stück ab. „Wo sollen wir anfangen nach einer Crew zu suchen?“, fragte Marcia. Ihre Begleiterin zuckte nur mit den Schultern und ließ ihren Blick durch den Gastraum schweifen. Marcia schnaubte und schüttelte den Kopf. „Am Hafen“, stellte Julia dann fest. „Bei dieser Gelegenheit können wir uns auch nach … einem passenden Schiff umsehen.“ „Hm-hm“, machte Marcia und grinste. Sie mochte Häfen bei Nacht … es war … aufregend, sich dort mit Julia herumzutreiben. „Am besten brechen wir sofort auf, bevor sie alle zu betrunken sind“, fuhr Julia gelassen fort, winkte den Wirt heran und nahm den Beutel mit ihrem letzten Gold von ihrem Gürtel. „Was schulden wir Euch?“ „Fünfzig“, war die knappe Antwort. Marcia runzelte schweigend die Stirn und klopfte mit dem letzten Stück Brot auf der Tischplatte. „Fünfzig?“, wiederholte Julia. „Findet Ihr das nicht …“ „Ihr schuldet mir fünfzig Goldstücke“, unterbrach der Wirt sie unwirsch und verströmte dabei wieder eine Wolke penetranten Mundgeruchs. „A…“ „Also gut.“ Marcia zwinkerte ihrer Schwester unauffällig zu und setzte sich aufrecht hin. „Julia, gib ihm das Gold.“ Sofort richtete der Wirt seine ganze Aufmerksamkeit auf die Rothaarige. Marcia erhob sich halb von der Bank und ließ den Blick über die wenigen erhobenen Hinterköpfe vor sich gleiten. Kurz zielte sie, warf dann das Stück Brot in ihrer Hand mit aller Kraft in Richtung eines kahlköpfigen Piraten, der mit dem Rücken zu ihr im Eck saß. Noch während das Brot durch die Luft flog, ließ Marcia sich wieder auf die Bank fallen, drehte sich halb um und tippte dem Mann hinter sich kurz auf die Schulter. Als die Blicke der beiden Männer sich trafen, schaute sie unbeteiligt zur Seite, wartete und zählte. Es dauerte nur wenige Augenblicke, ehe der Glatzkopf auf Marcias zweites Opfer losging und noch weniger lang, bis genug andere Gäste in die Prügelei involviert waren, um die Aufmerksamkeit des Wirtes zu erregen. Julia ließ die Goldstücke auf dem Tisch wieder in ihrem Beutel verschwinden und rutschte unter dem Tisch, während Marcia aufsprang, sich ihren Hut griff und über die Bänke und Tische hinweg in Richtung Tür sprang. Julia verließ das Wirtshaus nur wenige Augenblicke nach ihr und ließ die Tür offen stehen, damit Jolly Roger ihnen folgen konnte. Im Inneren des Gasthauses fielen die ersten Schüsse. Marcia legte ihre rechte Hand auf den Griff ihres Säbels und strich sich mit der anderen eine dunkelbraune Haarsträhne aus der Stirn. „Gehen wir?“ „Aber sicher“, erwiderte Julia grinsend und wandte sich in Richtung Hafen. Kapitel 4: Julia ---------------- Für kaum eine Stunde Aufenthalt hatten sie wirklich beachtliche Arbeit geleistet. So schnell hatten sie noch nie eine Prügelei angezettelt, das war ein neuer, persönlicher Rekord. „Wenn mein Logbuch nicht an Bord der Sea Screamer wäre“, sagte Julia halblaut, während die beiden Frauen sich in den dunklen Straßen an Betrunkenen und anderen zwielichtigen Gestalten vorbeischoben, „könnte ich jetzt eine neue Bestzeit aufschreiben.“ Marcia grinste – zumindest blitzten ihre Zähne im Licht einer Laterne auf – wurde sofort wieder ernst und sah sich aufmerksam auf der Straße um. „Was ist?“, fragte Julia misstrauisch, „Hast du etwas gesehen?“ „Nicht gesehen“, erwiderte Marcia knapp, „da verfolgt uns wer.“ Julia überlegte kurz, ob sie sich umdrehen sollte, entschied sich aber dagegen und beschleunigte stattdessen ihren Schritt, ihre Halbschwester unsanft am Ärmel mit sich ziehend. „Seit wann?“, fragte sie gepresst. Wo war dieser verdammte Vogel, wenn man ihn brauchte? Sonst teilte Jolly ihr doch auch ständig alles Mögliche mit, ob sie es nun hören wollte oder nicht. „Seit der Gaststube“, antwortete Marcia stirnrunzelnd, „da muss sich jemand ebenfalls durch das Chaos gedrängt haben.“ „Und irgendetwas sagt mir, dass es nicht unbedingt ein Freund ist, der da hinter uns her ist“, brummte Julia unzufrieden. Sie warf einen kurzen Blick zurück über die Schulter und schubste Marcia dann unsanft in eine Gasse. „Warn mich das nächste Mal vor!“, knurrte diese wütend, dann gebot Julia ihr mit einer Geste zu schweigen und lugte um eine Hausecke. Sie sah nichts Verdächtiges, aber das musste nichts heißen. Das hier war Tortuga, das schwarze Herz der Karibik, hier trieben sich mehr als genug gottverlassene Seelen herum, um einen Verfolger in der Menge zu verstecken… „Oh! Eine Erdnuss!“, ertönte in diesem Moment ein schrilles Kreischen und Julia fuhr erschrocken zusammen, als plötzlich der blaue Papagei aus dem Nichts auftauchte und sich schwungvoll auf ihrem Kopf niederließ, „Erdnuss! Erdnuss!“ „Seit still, du verdammtes…!“, begann Marcia, doch im gleichen Augenblick löste sich irgendwo ganz in ihrer Nähe ein Schuss und Julia zog sie in Deckung hinter ein Fass. „Beim Klabautermann“, fluchte sie, „irgendwann drehe ich dem Federvieh den Hals um!“ Kapitel 5: Marcia ----------------- „Warum haben wir eigentlich keine Schusswaffen?!“, zischte Julia, als Marcia sich hinter ihr hinter das Fass kauerte. „Du hast keine, weil du meinst, ich sei für die Gewaltakte zuständig. Und ich hab keine, weil du meinst, wir hätten sowieso kein Gold übrig und mein Säbel würde es genauso tun.“ „Was ja auch stimmt“, seufzte Julia. „Aber ich hasse es, wenn alle auf uns schießen!“ „Bisher schießt ja zum Glück niemand auf uns“, murmelte Marcia und widerstand dem Drang, dreimal gegen das hölzerne Fass zu klopfen. „Und wir hoffen jetzt einfach mal, dass uns nicht der Wirt wegen seiner fünfzig Goldstücke verfolgt, ansonsten hätten wir ganz umsonst eine Prügelei angestiftet …“ „Das wäre unglaublich schade.“ Julia schnaubte spöttisch und richtete sich ein wenig auf, um über das Fass spähen zu können. „Siehst du was?“, flüsterte Marcia und zog ihren Säbel aus der Scheide. „Nein.“ Die beiden Frauen ließen noch einige Augenblicke verstreichen, ehe sie sich schließlich aus ihrer Deckung erhoben. Sie ließen noch weitere Sekunden vergehen, in denen sie einfach in die nächtliche Stille lauschten. „Gehen wir“, stellte Marcia schließlich fest, behielt ihren Säbel allerdings in der Hand. Seite an Seite huschten sie durch die Dunkelheit, verursachten dabei nicht das leiseste Geräusch – ebenso wenig wie der Fremde, der plötzlich wie aus dem Boden gewachsen vor ihnen auftauchte. Marcia knurrte einen Fluch und baute sich automatisch vor ihrer Schwester auf, sah allerdings ein, dass es nicht allzu viel Sinn hatte … der Schein einer nahen Laterne schimmerte matt auf dem Revolverlauf, den der Fremde ihr unter die Nase hielt, während sein Gesicht selbst noch im Schatten verborgen war. „Julia the Dagger und Plankwalking Marcia … was führt die Cavenhaugh-Schwestern in den Hafen von Tortuga?“ Marcia rümpfte die Nase und wandte sich langsam zu Julia um – die allerdings nur mit den Schultern zuckte, was nicht wirklich hilfreich war … sie beharrte doch sonst immer darauf, das Reden zu übernehmen! Kapitel 6: Julia ---------------- Julia kniff die Augen fest zusammen und dachte angestrengt darüber nach, woher sie die Stimme kannte, die da aus dem Dunkel der Seitengasse kam. Sie kannte diese Stimme. Nur woher? Marcia drehte sich zu ihr um, eine stumme Frage stand ihr nur allzu offensichtlich ins Gesicht geschrieben, doch Julia zuckte nur die Achseln. Sie hatte keine Ahnung, wer das war. „Ich glaube nicht“, entgegnete sie daher, setzte ihren arrogantesten Gesichtsausdruck auf und trat einen Schritt vor, „dass die Cavenhaugh-Schwestern Euch auch nur irgendetwas erzählen müssten!“ Wenn es etwas gab, das Julia konnte, dann war das Bluffen. Bluffen und Reden. Allerdings half ihr das wenig, als der Fremde plötzlich aus dem Schatten trat und sie sein Gesicht erkannte. „Dann scheint Ihr wohl vergessen zu haben, dass Deathblow Blaine mit Euch noch eine Rechnung offen hat, Julia?“ Oh. OH. Kapitel 7: Marcia ----------------- Deathblow Blaine? Wer bei allen Weltmeeren war Deathblow Blaine?! Stirnrunzelnd wandte Marcia sich dem Fremden zu und hob langsam die linke Hand. „Würdet Ihr uns … nur einen Augenblick entschuldigen? Nur ganz kurz? Jemand schuldet mir eine Antwort.“ Ohne auf eine Antwort ihres Gegenübers zu warten, drehte sie sich wieder zu Julia um. „Wer ist das?“, zischte sie. „Und was für eine offene Rechnung habt ihr?“ Julia lachte nervös und spielte mit einem ihrer zahlreichen Zöpfe. „Nun … Deathblow Blaine … erinnerst du dich noch, als wir vor zwei Jahren die Ocean’s Eleven geentert haben?“ „Ja. Die Crew war nur elf Mann stark, es war wirklich nicht schwer, sie zu entern …“ „Ja … nun … der Captain der Ocean’s Eleven … hat einen Bruder. Der mir ewige Feindschaft geschworen hat, als er davon erfahren hat, dass wir seinem kleinen Bruder das Spielzeug weggenommen haben.“ „Wo war ich da?!“, fragte Marcia, nur leicht überfordert. „Was weiß ich?!“, erwiderte Julia in demselben überreizten Tonfall. „Du hast dich geprügelt oder dich gerade von der Planke gestürzt oder was weiß ich!“ „Gutes Argument.“ Marcia seufzte schwer. „Nun, jedenfalls weißt du ja, wie ich normalerweise mit solchen Situationen umgehe.“ Julia räusperte sich. „Ja. Du setzt deinen Hurenblick auf, knöpfst deine Bluse auf und schickst die Geilböcke schon mal vor in die nächste Gasse, damit du dich in Ruhe vom Acker machen kannst.“ „Ja. Und das ist das Problem. Es hat nicht funktioniert!“ Marcia seufzte schwer. Irgendwie … kam das überhaupt nicht überraschend. Nicht an diesem Tag. Nicht heute, wo ihnen ihr eigenes Schiff, die Sea Screamer, mitsamt Crew, Gold und der Schatzkarte, auf der ihr größter Schatz verzeichnet war, buchstäblich unter dem Hintern weg geentert wurde … Marcia wandte sich, leise brummend, wieder Deathblow Blaine zu, der ruhig vor ihnen stand und seine Fingernägel betrachtete – den Revolver noch immer auf die Schwestern gerichtet. „Nun“, sagte sie leise und steckte ihren Säbel zurück in die Scheide, „wenn das so ist, dann gibt es nur noch eins zu tun …“ Interessiert hob er seine Augenbrauen, während Julia hinter ihr sich spürbar verkrampfte. Marcia atmete tief durch. Nicht zum ersten Mal hing alles von ihr ab … doch war die Situation nicht gerade die beste … sie holte tief Luft und spannte jeden Muskel in ihrem Körper an. Es musste schnell gehen … schnell genug … „Jolly, schau, eine Erdnuss!“, rief sie und deutete auf Deathblow Blaine. Kapitel 8: Julia ---------------- Als Jolly laut aufkreischte und flügelschlagend auf den völlig überrumpelten Blaine zuschoss, um in seinem Gesicht wild nach Erdnüssen zu picken, packte Julia ihre Halbschwester entschieden am Ärmel und zerrte sie ins Dunkel der Seitengassen des Hafens von Tortuga. Hinter sich hörte sie die Schmerzensschreie des Piraten, der ihr Rache geschworen hatte, und obwohl sie sich schon ein wenig schuldig fühlte – Jolly hatte auf der Suche nach Erdnüssen nicht nur einmal nach ihren Fingern gepickt und es tat verdammt noch mal weh – kümmerte sie sich nicht weiter um ihre Schuldgefühle. Ein Pirat war sich immer selbst der nächste. Und die einzige Ausnahme bestand in Julias Fall in Marcia. Die Schwestern stürzten aus einer Gasse und kamen schlitternd auf dem nassen Holzsteg zu stehen, welcher zu ein paar im Hafen liegenden Schiffen führte, doch das interessierte Julia nicht. Vorerst. „Lass uns eine Bar suchen“, sagte sie schwer atmend und sah sich im schwachen Licht einer Laterne um, „bevor dieser Irre uns einholt.“ „Was hast du vor?“ „Eine Mannschaft rekrutieren, was sonst?“ Marcia fixierte sie kurz, dann seufzte sie. „Und Jolly?“ Julia warf einen Blick zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren, und zuckte dann die Achseln: „Ach. Die kommt schon zurück… wie immer.“ Marcia nickte zwar, wirkte jedoch nicht sonderlich überzeugt, doch Julia kümmerte sich nicht weiter darum. Ohne sich weiter um die leiser werdenden Schreie in einiger Ferne zu kümmern, schritt sie energisch den Holzsteg entlang, bis eine Spelunke in Sicht kam, die ihr geeignet erschien. „Sieht aus, als wenn nur Lebensmüde dort reingehen“, stellte Marcia stirnrunzelnd fest und Julia grinste. „Genau solche suchen wir doch.“ Kapitel 9: Marcia ----------------- „Gutes Argument“, pflichtete Marcia ihrer Schwester bei und nickte. „Dann … mal los, oder?“ „Dann mal los.“ Gelassen schritt Julia auf das heruntergekommene Gebäude zu. Innerlich seufzend rückte Marcia ihren Hut zurecht und folgte ihr. Einen halben Schritt hinter Julia betrat sie die Kneipe und duckte sich sofort, als ein Teller auf sie zugeflogen kam. Es war laut, heiß und es stank … genau der richtige Ort, um eine Crew für ein nicht vorhandenes Schiff zusammenzustellen … „Hältst du das wirklich für eine gute Idee?“, brüllte sie Julia über den Lärm hinweg an. „Denk doch nicht immer so negativ! Ehrlich, wenn ich genauso pessimistisch wäre wie du, wären wir immer noch im Kerker!“ „Wenn du genauso pessimistisch wärst wie ich, wären wir gar nicht im Kerker gelandet!“ Julia lachte und zuckte mit den Schultern. „Kann sein.“ Sie zwinkerte Marcia zu und wandte sich dann wieder dem vollen Gastraum zu, in dem eine wilde Essensschlacht tobte. „Und jetzt …“ Jetzt sollten sie vielleicht versuchen, die Männer zur Ruhe zu bringen … sie brauchten wirklich dringend Schusswaffen … „Warte!“, rief Marcia, als Julia sich durch den Schankraum zum Tresen schlängelte. Im nächsten Moment füllte ein trommelfellzerreißendes Kreischen den Raum, als Julia mit den Nägeln der rechten Hand über die Schiefertafel kratze, die am Tresen lehnte. Marcia verzog das Gesicht. Sie konnte spüren, wie ihre Nackenhaare sich aufrichteten und sie von einer Sekunde auf die andere in den Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit gerieten. Die Hand in der Nähe ihres Säbels baute sie sich schräg vor Julia auf, die gelassen ihren kurzen Mantel zurechtzupfte und sich dann aufmerksam umsah. „Wir sind auf der Suche nach einer Crew“, sagte sie laut. „Freiwillige vor!“ Marcia seufzte innerlich. Warum denn nicht zur Abwechslung mal mit dem Kopf durch die Wand …? Kapitel 10: Julia ----------------- Abwartend sah Julia sich im Schankraum um, in dem jeder Anwesende die beiden jungen Frauen anzustarren schien. Entweder sie würden sie lynchen… oder sie würde gleich einem Haufen lüsterner Männer gegenüber stehen, die weniger in ihre Crew als vielmehr in ihre Hose wollten – aber das kannte sie ja schon. „Du bist wahnsinnig, ich hoffe, das weißt du“, murmelte Marcia, deren Hand auf dem Heft ihres Säbels lag. Julia wollte bereits etwas erwidern, als sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung bemerkte. Sie wandte den Kopf und sah, dass einer der Männer in der Ecke des Schankraumes sich erhoben hatte. Er hatte allein am Tisch gesessen und sich an der Essenschlacht offensichtlich nicht beteiligt. Überhaupt wirkte er gepflegter als der Rest der besoffenen Meute… weniger dreckig und auf jeden Fall besser aussehend. Sie schätzte ihn auf Mitte 20. „Ich melde mich freiwillig!“ Abschätzend betrachtete Julia den Mann, ehe sie eine Lippe vorschob und sich leicht zurücklehnte, um ihre Brüste besser zur Geltung zu bringen – ein todsicheres Mittel, um Männer anzulocken. „Und wer seid Ihr?“, fragte sie mit hochgezogener Augenbraue und wusste genau, dass Marcia neben ihr die Augen verdrehte. „James Johnson“, antwortete er, ohne auch nur im Geringsten auf ihre Avancen zu reagieren. Fast war sie enttäuscht, dann jedoch winkte sie ihn zu sich herüber und erwiderte: „Gut, Ihr seid engagiert. Gesellt Euch zu meinem ersten Maat.“ Sie nickte zu Marcia und der junge Mann kam um den Tisch herum und auf sie zu. Fragen stellen würde sie später – und er hoffentlich auch. „Sonst noch jemand?“ Sie drehte sich um und zupfte unauffällig ihre Bluse weiter nach unten. Sie mochte vielleicht mit unfairen Mitteln kämpfen, aber das war egal. Es waren die Waffen einer Frau und sie hatte jedes Recht, sie einzusetzen! Innerhalb kürzester Zeit hatte sich eine Traube von Freiwilligen um die zwei Frauen und den ersten Rekruten gebildet und Julia grinste Marcia unauffällig zu. „Wahnsinnig vielleicht“, murmelte sie ihr in einem unbeobachteten Moment zu, „aber es klappt!“ Nachdem im Schankraum wieder der übliche Lärmpegel eingekehrt war, betrachtete Julia die versammelten 13 Männer, die sie aus einer Laune heraus nach dem Grad ihrer Hygiene absteigend aufgestellt hatte. James Johnson war eindeutig der Bestaussehendste… aber warum in Davy Jones’ Namen fixierte er denn so ausgiebig die Kehrseite des jungen Jamie O'Doule…? Kapitel 11: Marcia ------------------ „Ich hoffe dir ist klar“, zischte Marcia ihrer Schwester zu, als sie, gefolgt von ihrer neuen Crew, den Hafen entlang marschierten, „dass dein Hurenblick wirklich nicht sehr … wie soll ich sagen … nicht sehr viel Autorität versprüht! Außerdem … woher wollen wir wissen, dass sie nicht nur deinetwegen an Bord gekommen sind? Und …“ „Marcia“, unterbrach Julia sie gelassen. „Du übertreibst. Mindestens einer ist ganz bestimmt um deiner schönen Augen willen hier.“ „Witzig“, zischte Marcia und fuhr sich mit einer Hand nervös durchs Haar. „Und was, wenn sie herausfinden, dass wir gar kein Schiff haben?!“ „Gemach, gemach, Schwester.“ Julia blieb stehen und drehte sich schwungvoll zu den Männern um, die noch im Stadium des sich-gegenseitig-misstrauische-Blicke-Zuwerfens waren. „Gentlemen“, begann der – in Marcias Augen gerade sehr wahnsinnige – Captain und klatschte zweimal in die Hände. „Meine Schwester und ich sind sehr erfreut, dass Ihr Euch bereit erklärt habt, unserer edlen Sache zu dienen …“ Schweigend lauschte Marcia ihrer Schwester, die gerade das tat, worauf sie sich am besten verstand – Männer becircen und sie allein mit ihren Worten um den Finger wickeln. Einzig James Johnson zeigte sich nur mäßig interessiert an Julias Ausführungen … nur was war der Grund für sein Desinteresse und warum war er hier, wenn nicht wegen Julia? Nun … das würden sie bestimmt noch erfahren … spätestens dann, wenn sie sich auf See befanden, würden Julia und sie jeden der Männer einzeln unter die Lupe nehmen … nur kurz. „Jedenfalls …“, drang Julias Stimme wieder in Marcias Bewusstsein, „beginnen wir mit dem ersten Schritt … besorgen wir uns ein Schiff!“ „Ihr habt gar kein Schiff?“, rief einer der Männer dazwischen. „Im Prinzip schon. Es befindet sich nur gerade nicht in unserer Hand, weshalb wir ein anderes Schiff brauchen … die Mari(an)ne!“ Die Mari(an)ne … Marcia ächzte innerlich auf. Schlimm genug, dass dieses Schiff einen katastrophalen Namen hatte – einzig und allein ein Marineoffizier konnte auf die Idee kommen, sein Schiff so zu taufen – nein, Julia warf hier einfach so mit Überraschungen dieses Kalibers um sich! Am liebsten hätte Marcia ihre Schwester gewürgt, dafür, dass sie ihr dieses kleine, aber wichtige Detail vorenthalten hatte … aber als erster Maat – und als Schwester – wusste sie es besser … „Aye“, knurrte sie und zog mit grimmigem Blick ihren Säbel. „Wer von Euch ist Manns genug dafür?“ „Oh! Eine Erdnuss!“ Die Männer drehten sich verwirrt nach dem Urheber dieser Worte um, doch alles, was zu sehen war, war ein Schatten, der, begleitet von leisem Rascheln, auf Julia zuflog und sich auf ihrer Schulter niederließ. „Erdnuss“, krächzte Jolly Roger fröhlich. „Stirb, Erdnuss! Stirb!“ Marcia beschloss, einfach zu hoffen, dass das Auftauchen des lästigen Federviehs ein gutes Zeichen war … Kapitel 12: Julia ----------------- Zugegebenermaßen war es wahrscheinlich eher der Schreck über Jollys plötzliches Erscheinen als echte Loyalität, welche die Männer bewog, ihnen erst einmal zu folgen. Besonders nachdem Jolly meinte, eine Erdnuss auf dem kahlen Kopf des dunkelhäutigen Miles Naismith gefunden zu haben, folgten ihnen die Männer schweigend. Doch Julias Befürchtungen, sie würden nur allzu bald einfach umdrehen und sich nie wieder blicken lassen, wurden zerstreut, als James Johnson sie einholte und leise fragte: „Mit Verlaub, Captain… Aber wie gedenkt Ihr, die Mari(an)ne zu entern?“ Das war in der Tat eine gute Frage. So weit sie wusste, war die Mari(an)ne ein bis an die Zähne bewaffnetes Kriegsschiff der britischen Marine und lag am anderen Ende von Tortuga vor Anker. Wahrscheinlich dachte ihr Kapitän – ein alter Bekannter von Julia, aber seit ihrem letzten Treffen nicht unbedingt intelligenter geworden – dass man ihn und seine Besatzung dort nicht entdecken würde. Wie überaus lächerlich. „Lord Silverberg gehört nicht zu den intelligentesten Männern seiner Zunft“, erwiderte Julia und warf probeweise aufreizend die Haare zurück, was Johnson jedoch nicht im Geringsten zu interessieren schien, „es dürfte ein Leichtes sein, ihn und seine Männer zu überrumpeln und das Schiff unter unsere Flagge zu stellen.“ „Dann haben wir wenigstens eine Flagge?“, erkundigte sich einer der anderen Männer hinter ihr glucksend. Sie nahmen sie nicht ernst! Wütend blieb Julia abrupt stehen und drehte sich auf dem Absatz um, dann stemmte sie beide Hände in die Hüften und rief: „Meine Herren, sollte es Euer Wunsch sein, Davy Jones vorzeitig zu begegnen, werde ich ihn Euch mit Freuden erfüllen!“ Die Männer fixierten sie unschlüssig, dann trat einer von ihnen vor und sagte: „Missy, ich glaube kaum, dass eine Frau wie Ihr gegen Männer wie uns etwas auszurichten weiß.“ Sein lüsterner Blick glitt über ihren Ausschnitt und Julia unterdrückte ein Knurren. Natürlich, das war ja klar gewesen… „Julia…“, begann Marcia besorgt, doch diesmal wusste sie sich selbst zu helfen. „Lass gut sein, Marcia“, entgegnete Julia daher, verschränkte die Arme vor der Brust und schritt auf den Aufrührer zu. Dieser hob belustigt eine Augenbraue und wartete ab, was sie tun würde. Sie fixierte ihn ebenfalls kurz – es war eines der hässlicheren Exemplare ihrer neuen Crew, unrasiert und ein Mundgeruch vom Kaliber eines Pferdes. Wäre er gutaussehend gewesen, hätte sie ihm seine Dreistigkeit vielleicht noch verziehen… aber er war es nicht. Nur zehn Minuten später folgten ihr die übrigen zwölf Männer brav wie Lämmchen. Sie trug den Beinamen Dagger nicht umsonst. Kapitel 13: Marcia ------------------ „Ich hasse dich“, zischte Marcia ihrer Schwester zu, als sie nebeneinander hinter einigen Kisten kauerten und zur Mari(an)ne hinüberblickten, die, im Mondlicht und von diversen Fackeln beleuchtet, gut sichtbar im ruhigen Wasser lag. „Ich weiß.“ „Du bist verrückt!“, murrte Marcia. „Erst bringst du nach nicht mal einer Stunde schon den ersten deiner Männer um … und dann missbrauchst du mich als Lockvogel um diese elenden Marineknechte von ihrer Nussschale zu locken?!“ „Sieht so aus.“ Julia lachte leise und klopfte ihrer Schwester auf die Schulter. „Die Männer und ich haben das Schiff umstellt und ich denke … das Loyalitätsproblem haben wir gelöst. Dir wird nichts passieren.“ „Ich mache mir auch keine Sorgen um meine Gesundheit“, knurrte Marcia. „Sondern viel mehr um meinen Ruf!“ „Heul doch“, erwiderte Julia ungerührt. Mit einem gereizten Knurren erhob Marcia sich schließlich aus ihrer Deckung hinter einem Fass mit eingelegten Gurken und nahm ihren Hut ab. „Verlier ihn und du bist tot“, zischte sie und warf ihn Julia zu, die nur leise lachte. Marcia schnaubte. Julias Humor war diesmal wirklich unangebracht! Sie fixierte James, der an Julias anderer Seite kauerte und machte eine auffordernde Kopfbewegung, woraufhin sich der junge Mann mit einer eleganten Bewegung erhob und neben sie trat. Nebeneinander näherten sie sich der Mari(an)ne. „Ein falscher Griff und Ihr könnt Eure Knochen in einem Schnupftuch mit Euch herumtragen“, zischte Marcia ihm zu, als sie nahe genug am Schiff waren, um im flackernden Licht der Fackeln gesehen zu werden. „Traut mir doch ein bisschen Professionalität zu, Marcia“, schlug der junge Mann vor und zwinkerte ihr zu. „Ich traue Euch alles zu“, knurrte Marcia, die diese ganze Posse nicht nur durchschaubar und sinnlos sondern auch äußerst entwürdigend fand! „Als ob ich nicht auf mich selbst aufpassen könnte … jetzt fangt schon an!“ Sie fluchte leise, als er sie überraschend kräftig gegen einen Stapel Kisten schubste und sich vor ihr aufbaute. Heftig biss Marcia sich auf die Lippen und funkelte ihn wütend an. Wäre er irgendein Kerl, würde er jetzt winselnd und sich die zerschnittene Kehle haltend am Boden winden! „Macht schon“, zischte er ihr zu. „Sonst …“ „Ich kann nicht!“ „Bei Davy Jones …“ Er seufzte schwer und ließ kurz den Kopf hängen. „Ihr seid eine Katastrophe!“ „Und Ihr seid ein Marienkäfer!“, fauchte Marcia zurück, was ihm ein lautes Lachen entlockte. „Wie eloquent … ein gutes Buch gegessen vorhin?“ „Fahrt zur Hölle!“, fuhr Marcia ihn mit einiger Lautstärke an. „Und nehmt Eure Hände von mir!“ „Na endlich“, brummte James Ladybug Johnson – Marcia konnte sich nicht mehr dazu aufraffen, ihn anders zu nennen. „Jetzt noch das mädchenhafte Kreischen und …“ „Was ist hier los?!“, mischte sich eine dritte Stimme ein. Marcia blickte zur Seite und entdeckte einige Marinesoldaten, die mit Fackeln in den Händen und die Gewehre in den Händen nach dem rechten sahen. „Na endlich“, wiederholte sie Ladybugs Worte, stieß den jungen Mann von sich. Endlich hatte diese verdammte „ich bin ein armes, wehrloses Weibsbild, das von einem Piraten belästigt wird und nicht auf sich selbst aufpassen kann“-Scharade, zu der Julia sie gezwungen hatte, ein Ende! „Erdnuss!“, brüllte Marcia das, von Jolly Roger festgelegte, Codewort riss ihren Säbel aus der Scheide und stürzte sich auf die verblüfften Soldaten, in der Hoffnung, dass sich nicht alle, abgesehen von Ladybug, Julia und ihr selbst aus dem Staub gemacht hatten und bereit waren, das dreimal verfluchte Schiff zu übernehmen! Kapitel 14: Julia ----------------- Nicht einmal eine Stunde später war alles auch schon wieder vorbei. Die Leichen der Marinesoldaten hatten ihre Männer mit vereinten Kräften im Hafen versenkt, sodass ihnen wohl so schnell auch keiner auf die Schliche kommen würde… nicht, dass es hier in Tortuga etwas wie ein ernstes Rechtssystem gab. Am nächsten Morgen stand Julia an Deck der Mari(an)ne, die Hände in die Hüften gestemmt, und betrachtete die zwölf Männer, die abwartend vor ihr versammelt waren. Marcia, die scheinbar noch ein wenig wütend wegen ihrer Rolle als Lockvogel war, stand etwas abseits an einen der beiden Masten gelehnt, jedoch noch immer nah genug, um einzugreifen, falls etwas passieren sollte. „Gute Arbeit, Gentlemen“, sagte Julia laut, „Nun haben wir also ein Schiff. Als nächstes nehmen wir Kurs nach New Providence… Unser Ziel ist Port Nassau.“ „Aber vorher“, mischte sich Marcia ein, die nach dieser Offenbarung nicht überrascht aussah, „nimmt jeder noch ein Bad. Und dann segeln wir los.“ Ihr Blick wanderte über den ungewaschenen Haufen und sie zeigte resolut auf die Tür, die unter Deck führte. Als sich keiner der Männer rührte, sondern sich nur leises, unzufriedenes Gemurmel erhob, erhob Julia die Stimme und rief: „Sofort, Gentlemen.“ Murrend setzten sich die Männer in Bewegung und verschwanden einer nach dem anderen unter Deck. Einzig James Johnson blieb zurück, den Marcia aus irgendeinem Grund „Ladybug“ getauft hatte. „Passt auf das Schiff auf“, trug Julia ihm auf, nachdem sie beschlossen hatte, dass er das Bad nicht ganz so dringend hatte wie der Rest der Mannschaft, „wenn wir wiederkommen und sie nicht mehr hier ist, werde ich Euch so schreckliche Dinge antun, dass Ihr Euch wünschen werdet, niemals geboren worden zu sein. Alles roger?“ „Erdnuss!“, krähte Jolly glücklich von ihrer Schulter und Julia knurrte. Johnson jedoch schmunzelte nur, tippte sich mit zwei Fingern leicht an die Stirn, als wolle er salutieren, und erwiderte: „Aye, Captain.“ Zufrieden ergriff Julia Marcia beim Ärmel und schleppte sie hinter sich her. „Port Nassau, hm?“, fragte diese, nachdem sie einige Meter Abstand zwischen die vor Anker liegende Mari(an)ne und sich selbst gebracht hatten, „Und wann hattest du vor, mir davon zu berichten?“ „Du weißt doch jetzt davon“, entgegnete Julia und winkte ab. Dass sich Marcia auch immer über solche unwichtigen Kleinigkeiten aufregen musste! „Und du weißt genau, dass wir auf New Providence vier mal zum Tode verurteilt sind!“, rief Marcia und warf genervt die Hände in die Luft, „Willst du uns umbringen?!“ Julia seufzte entnervt und antwortete nicht. Es gab einen guten Grund, warum sie nach Port Nassau wollte… aber erst einmal wollte sie Marcia nichts davon erzählen. Besser war das. Sie schlenderten schweigend über den Marktplatz, bis Julias Blick auf einen Stand mit Stoffen fiel. Sie wollte gerade stehen bleiben und sich den schwarzen Stoff etwas genauer anschauen, als Marcia sie am Ärmel packte und auf etwas zeigte. „Den“, flüsterte sie, wie ein hypnotisiertes Kaninchen auf etwas starrend, das Julia noch nicht gesehen hatte, „den will ich!“ Julia wandte verwirrt den Kopf, bis ihr Blick auf einen Jungen mit blonden Locken fiel, der etwas abseits des größten Trubels auf dem Boden vor einem Hut saß, in dem ein paar Goldmünzen lagen, und auf einer Panflöte eine langsame, traurige Melodie spielte. „Was willst du denn mit dem Milchgesicht?“, fragte Julia verblüfft. Seit wann hatte Marcia eine Schwäche für Kinder…? Kapitel 15: Marcia ------------------ „Wir haben keinen Musiker an Bord“, erwiderte Marcia abwesend auf die Frage, was sie denn mit dem „Milchgesicht“ wolle. „Wir brauchen auch keinen Musiker an Bord! Erst recht kein Kind! Schau ihn dir an, Marcia, der Junge ist noch feucht hinter den Ohren!“ „Na und? Du warst sechs Jahre alt, als du dein erstes Ruderboot geentert hast!“ „Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?“, wollte Julia wissen. „Nichts.“ Marcia zuckte mit den Schultern. „Kümmer du dich um deinen Stoff, ich schau mir Goldlöckchen näher an.“ „Aber …“ „Ach, schrei einfach, wenn was passiert.“ Marcia ließ ihre Schwester stehen und ging langsam auf den Jungen zu, der so vertieft in sein Spiel schien, dass er sie erst bemerkte, als sie sich vor ihm auf den Boden hockte. Erschrocken zuckte er zusammen und starrte sie aus weit aufgerissenen, grasgrünen Augen an. „Hallo.“ Marcia schenkte ihm ihr seltenstes Lächeln und musterte den Jungen aufmerksam. „Wie heißt du?“ „N- Nathanael, Ma’am.“ Marcia schnaubte und wedelte abfällig mit der rechten Hand. „Ich bin keine Ma’am“, stellte sie fest. „Und keine Lady. Mein Name ist Marcia. Ich bin Piratin.“ Wenn überhaupt möglich, wurden die Augen des Jungen noch größer und ängstlicher. Innerlich schmunzelnd griff sie nach dem Hut, in dem nicht mal eine Handvoll Goldmünzen schimmerten. „Du spielst gut“, sagte sie dabei und nickte auf seine Panflöte. „Kannst du auch etwas Schnelleres spielen?“ Mit der rechten Hand tastete sie ihre Taschen nach Gold ab, während der Junge, immer noch mit dem verschüchterten Blick eines Kaninchens in der Falle, die Panflöte wieder an seine Lippen hob. Die Töne, die er ihr entlockte, waren fröhlich, waren schnell, und innerhalb weniger Augenblicke hatte Marcia ihre Entscheidung gefällt. „Nathanael“, begann sie langsam, jedes Wort dreimal überdenkend, um den Jungen mit den unschuldigen grünen Augen nicht sofort in die Flucht zu schlagen. „Leider habe ich gerade kein Gold bei mir … aber du könntest uns begleiten. Meine Schwester und mich. Wir haben die Mari(an)ne an uns genommen, eine Crew zusammengestellt und sind auf dem Weg … einige Dinge zu erledigen.“ Seine Augen wurden größer und größer, seine Lippen, zerbissen und blutig, zitterten und er sah aus, als würde er im nächsten Moment in Tränen ausbrechen. War sie wirklich so furchteinflößend? „Was uns allerdings noch fehlt, ist jemand, der mit einem Instrument umgehen kann. Schwertkämpfe ohne Musik sind so … langweilig! Wie alt bist du, Nathanael?“ Jedes Mal, wenn sie seinen Namen aussprach, machte er den Eindruck, als hätte sie ihm gedroht, ihn zu vierteilen und aufzufressen … hatte der Junge etwa schon irgendwelche schlechten Erfahrungen mit Piraten gemacht …? Nun, hier in Tortuga wäre das nicht weiter verwunderlich … „S- Siebzehn.“ Marcia zog beide Augenbrauen hoch. Er war wirklich noch ein Kind … „Möchtest du uns begleiten, Nathanael?“ Sie fischte die paar Goldmünzen aus seinem Hut und warf eine nach der anderen zurück auf den schwarzen Filz. „Möchtest du Abenteuer erleben? Die Welt entdecken? Schätze finden?“ Mit jedem Wort wurden seine Augen größer, aber er sagte immer noch kein Wort dazu. „Natürlich ist es gefährlich“, fuhr Marcia gelassen fort, den Blick fest auf sein schmales, blasses, verdrecktes Gesicht gerichtet. „Aber ich garantiere dir, ich werde persönlich für deine Sicherheit sorgen.“ Hätte Julia sie in diesem Moment gefragt, warum sie so hartnäckig versuchte, den Jungen zu überreden, sie hätte ihr keine Antwort geben können … sie wusste nur, dass sie unbedingt wollte, dass dieser Junge Teil ihrer Crew wurde, weil … er nicht auf der Straße leben sollte, wo seine Unschuld nur zu schnell ausgelöscht werden konnte. „Willst du mitkommen, Nathanael?“, fragte sie direkt. Und endlich nickte der Junge zaghaft. Kapitel 16: Julia ----------------- Recht schnell hatte Julia den Stoff, den sie hatte haben wollen, so weit heruntergehandelt, dass er nicht mehr gnadenlos überteuert war – ein weiter Ausschnitt wirkte wirklich Wunder, warum sah Marcia das nicht ein? Es war ein guter, reißfester Stoff, der ideal für eine Flagge war… Wo hatte man das denn schon gesehen, ein Piratenschiff ohne Flagge? Genug, dass Julia ihre heißgeliebte Sea Screamer verloren hatte, noch mehr blamieren wollte sie sich nun wirklich nicht… Und wenn sie ihren eigenen Jolly Roger persönlich auf die Flagge pinseln musste!! Mit dem Stoffballen unterm Arm wandte sie sich ihrer Schwester zu, die mit dem Goldlöckchen sprach, und sah gerade noch, wie der Junge nickte und ein zufriedenes Lächeln sich auf Marcias Gesicht ausbreitete. „Beim Bart von Davy Jones“, murrte Julia leise, während sie auf die zwei zuhielt, „sie hat tatsächlich ein Kind an Bord geholt!“ Als sie vor ihnen zum Stehen kam, sagte sie nichts, sondern zog nur vielsagend eine Augenbraue hoch. Wer wohl zuerst nachgab und sprach? „M-Ma’am…?“ Riesige, grasgrüne Augen, halb verborgen unter blonden Locken, starrten sie ängstlich an – der Junge sah aus, als würde er im nächsten Moment entweder die Flucht ergreifen oder in Ohnmacht fallen. Na toll. Erst strafte sie der bestaussehendste Mann ihrer Crew mit Nichtbeachtung und nun flößte ihr bloßer Anblick diesem Burschen eine solche Angst ein, dass er fast umkippte? Sie knurrte leise. Irgendwas war hier einfach falsch! Bei dem Geräusch, das ihrer Kehle entkam, zuckte der Junge erschrocken zusammen und machte Anstalten, aufzuspringen, um wer weiß was zu tun, doch im gleichen Augenblick regte sich irgendwo in ihrem Inneren etwas, von dessen Existenz sie bisher nichts gewusst hatte – nicht einmal geahnt hatte sie davon. Etwas, das bei einer Piratin einfach nur fehl am Platz war: gottverdammte Muttergefühle. „Ganz ruhig“, hörte sie sich selbst ungewöhnlich sanft sagen, „ich tu dir schon nichts. Wie heißt du?“ „N-Nathanael.“ Zu jung, zu jung… Zu klein, zu unschuldig, zu jung! „Und du willst mit uns segeln?“ Die großen, grünen Augen fixierten sie noch immer verschreckt, doch er nickte zaghaft. Bei Davy Jones… Sie räusperte sich, zwang sich, den ekelhaft-zärtlichen Ausdruck von ihrem Gesicht zu vertreiben und sagte: „Ich bin Julia Cavenhaugh, dein Captain. Ab sofort stehst du unter meinem Kommando und kämpfst unter meiner Flagge!“ Die noch nicht einmal fertig war. „Roger?“ „A-Aye, Captain“, lautete seine hastige Antwort. „Dann pack deine Sachen zusammen“, nickte Marcia, „wir haben keine Zeit zu verlieren.“ Der Junge warf den Schwestern einen ängstlichen Blick zu und murmelte: „Ich… habe keine Sachen zu packen…“ „Umso besser!“, rief Julia, die plötzlich das irrationale und seltsame Bedürfnis verspürte, den Jungen so schnell wie möglich von den Straßen Tortugas zu bekommen – auch, wenn seine Sicherheit auf einem Piratenschiff nicht unbedingt gewährleistet war, aber dort konnte sie ihn wenigstens im Auge behalten, „Dann lass uns gehen.“ Vielleicht bildete sie es sich ein, aber Nathanael wirkte weniger ängstlich, als sie sich in Bewegung setzten. Fast schon… dankbar. Kapitel 17: Marcia ------------------ „Er wird nicht kämpfen“, zischte Marcia ihrer Schwester auf dem Weg zurück zum Hafen zu. „Wer sagt das?“ Julia zog dezent ihre linke Augenbraue hoch. „Ich! Er ist ein Kind, Julia!“ „Das sehe ich. Aber du hast ihn angeschleppt, du wirst ihn formen“, erwiderte ihre Schwester entschlossen. Abrupt blieb Marcia stehen, packte ihre Schwester am Oberarm und riss sie zu sich herum, ohne auf den Knaben zu achten, der ihnen in zwei Schritten Entfernung folgte. „Ich habe ihn angeschleppt, damit er nicht so endet, wie es jeder Straßenjunge früher oder später tut! Blind, verkrüppelt, versklavt und verhungert!“ „Wenn er nicht hier stirbt, stirbt er in einer Seeschlacht, Marcia“, stellte Julia sachlich fest. „Was können wir ihm schon bieten, außer …“ Sie verstummte und wich Marcias forschendem Blick aus, ehe sie leicht mit den Schultern zuckte. „Außer irrationalen Beschützerinstinkten“, murmelte sie. Marcia lachte auf und klopfte ihrer Schwester auf die Schultern, wurde schlagartig wieder ernst und schaute zu dem jungen hinüber, der sich nach einer kleinen, dreifärbigen Katze bückte, die ihm um die Beine strich. „Freiheit“, sagte Marcia dann leise. „Die Freiheit zu tun und zu lassen, was er will … das können wir ihm bieten.“ „Nur du kannst nach all diesen Jahren die Piraterie noch von diesem romantischen Standpunkt aus betrachten.“ Julia grinste. „Du bist verrückt.“ „Ich weiß. Sonst wäre ich nicht dein erster Maat.“ „Stimmt“, gab Julia unumwunden zu und warf sich ihre Haare aus der Stirn. „Los, gehen wir … ich mache mir Sorgen um unser Schiff.“ Natürlich tat sie das … als guter Captain machte sie sich immer Sorgen um ihr Schiff. Marcia winkte Nathanael, der die Katze sofort zurück auf den Boden stellte und sich wieder in Bewegung setzte. Die drei schwiegen, bis sie die Mari(an)ne erreichten, die scheinbar unbeschädigt vor Anker lag. „Das ist ein Marineschiff“, flüsterte Nathanael verschreckt – es waren die ersten Worte, die er seit dem Marktplatz ausgesprochen hatte. „Ein alter Bekannter hat es uns großzügigerweise überlassen.“ Julia zuckte mit den Schultern und marschierte als erste an Deck. Marcia folgte ihr und sofort fiel ihr Blick auf Johnson, der lässig auf einem Stapel Kisten saß, das Hemd aufgeknöpft und eine Pfeife im Mund. Der Wind spielte mit einer widerspenstigen Strähne seines dunkelbraunen Haares und ließ sein Hemd durch die Luft tanzen. „Johnson!“, brüllte Julia in diesem Moment und sofort richtete er seinen Blick auf die drei Neuankömmlinge. Er sprang von seiner erhöhten Sitzgelegenheit, landete sicher auf seinen Füßen und schritt langsam auf die Schwestern und Nathanael zu. „Captain“, sagte er an Julia gewandt und heftete dann seinen Blick auf den Jungen. „Wen haben wir denn da?“ „Sein Name ist Nathanael und er ist der Ersatz für den Mann, der uns gestern Abend … verlassen hat.“ „Ja, jetzt wo Ihr es sagt“, erwiderte Johnson spöttisch und umkreiste den Jungen wie ein Raubtier seine Beute, „er sieht wirklich sehr blutrünstig aus.“ „In etwa so gefährlich wie Ihr, Ladybug“, stellte Marcia trocken fest. „Ihr solltet Eurer Schwester wirklich weniger Bücher zu essen geben, Captain“, neckte Johnson unverschämt weiter und fuhr sich mit einer Hand über den flachen, muskulösen Bauch. „Und Ihr solltet ihr keinen Grund geben, Euch ein Messer ins Herz zu rammen, Johnson“, antwortete Julia mit einem schwachen Lächeln. „Marcia, ruf die Männer zusammen, wir wollen in See stechen. Und kümmere dich um die Katze, die unserem kleinen Freund hier gefolgt ist.“ Marcia schnaubte. Erster Maat, Schwester und Leibwächterin und trotzdem wurde sie von Zeit zu Zeit behandelt wie ein billiger Lakai! Aber was tat man nicht alles für die Familie? „Aye“, knurrte sie, deutete eine Verbeugung an und ließ Julia mit Nathanael und Johnson alleine. Kapitel 18: Julia ----------------- Julia sah ihrer Schwester nach und beschloss für sich, sie später mit einer guten Flasche Wein wieder gnädig zu stimmen, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder Johnson und Nathanael zu. Sie runzelte kurz die Stirn über den seltsamen Blick, den Ladybug dem Kleinen zuwarf und beschloss, dass sie die beiden erst einmal trennen sollte. Irgendwie gefiel ihr nicht, wie Johnson den Jungen anstarrte… „Nathanael“, sagte sie daher laut und der Kleine zuckte verschreckt zusammen und sah sie an, „warum gehst du nicht hoch ins Krähennest?“ Nathanael warf besagtem Ausguck einen zögernden Blick zu, sah dann zu Johnson, der ihm zugrinste, und schien sich schließlich für das kleinere Übel entschieden zu haben. „Aye, Captain“, murmelte er, dann hangelte er sich überraschend flink die Wanden hinauf und verschwand im Krähennest. Johnson wirkte fast ein wenig enttäuscht, setzte jedoch eine interessierte Miene auf und deutete auf den Stoffballen, den Julia unterm Arm trug: „Was habt Ihr damit vor, Captain?“ „Eine Tischdecke nähen“, erwiderte sie tonlos und freute sich diebisch über den verwirrten Ausdruck, der auf sein Gesicht trat. „E- Eine… Tischdecke?“ „Herrgott, nein“, rief sie augenverdrehend aus, „Ich werde eine Flagge anfertigen. Marineschiff hin oder her, ich segle nicht unter der Flagge des British Empire!“ Johnson lachte. „Dann viel Glück, Captain.“ Sie wollte sich von ihm abwenden, um sich schon einmal zu überlegen, welchen ihrer Männer sie auf welche Position stellen würde, als ihr einfiel, dass sie noch ein anderes Problem hatte: Ihnen fehlte ein Smutje. Nach der Übernahme der Mari(an)ne waren alle ziemlich unzeremoniell einfach ins Bett gefallen und am Morgen hatte sich jeder selbst versorgt, aber das würde auf Dauer nicht gut gehen. „Johnson“, begann sie daher, „wie steht es um Eure Kochkünste?“ Er sah sie kurz verwirrt an, dann erwiderte er: „Ich habe neun Monate als Smutje auf der Satan’s Serpent gedient.“ „Gut. Dann seid Ihr ab sofort Smutje der Mari(an)ne“, teilte sie ihm mit, „Dem Rest der Crew traue ich nicht einmal zu, dass sie eine Pfanne von einem Kochlöffel unterscheiden kann.“ Die Satan’s Serpent war das Schiff des berühmten Dirty Keith, der sechs Schiffe der französischen Marine versenkt hatte – dass Johnson unter seiner Flagge gesegelt war, hatte sie nicht erwartet. Womöglich war es wirklich besser, Nathanael von ihm fernzuhalten… Dirty Keith war ein großer Liebhaber von Skrupellosigkeit. Kapitel 19: Marcia ------------------ Mit der Faust schlug Marcia dreimal kräftig gegen die Tür, hinter der sie ihre Crew lärmen hörte. „Männer“, bellte sie. „Antreten! Der Captain hat Euch was zu sagen!“ Ohne auf eine Antwort zu warten, stiefelte sie weiter und sah sich unter Deck genauer um – am Vorabend war nicht allzu viel Zeit dazu gewesen … sie hatte die Nachtwache übernommen und war bis Sonnenaufgang auf Deck geblieben, während die Männer sich ihre Seelen – oder zumindest das, was davon übrig war – aus dem Leib geschnarcht hatten. Jetzt wollte sie genauer wissen, wo sie die nächste Zeit ihres Lebens verbringen würde. Nacheinander betrat sie einen Schlafraum, in dem die Crew Platz finden würde, einen gut gefüllten Vorratsraum, die Kombüse und zwei Kajüten, die offenbar dem Vorbesitzer des Schiffs und seinem ersten Offizier zur Verfügung gestanden hatten. Sehnsüchtig musterte sie das Bett, das so weich und unbenutzt aussah, besann sich dann jedoch auf ihre Pflichten. Sie hatte die Männer nach oben geschickt, um alles Weitere sollte Julia sich kümmern. Doch blieb immer noch die Katze, nach der sie sehen sollte … eine Katze! Schweren Herzens kehrte Marcia der Schlafstatt den Rücken zu und begab sich wieder an Deck, wo sie sich suchend nach dem Störenfried umblickte, während Julia damit beschäftigt war, jedem der Männer seinen Platz zuzuweisen. Ein klägliches Maunzen drang an ihr Ohr und als sie sich genauer umsah, entdeckte Marcia die Katze auf halbem Weg zum Krähennest. Sie verzog das Gesicht. Schlimm genug, dass sie ein herrenloses Tier betreuen musste, sie musste auch noch klettern! Etwas, das sie immer schon gehasst hatte! Lediglich die Anwesenheit der Männer und die Tatsache, dass sie jederzeit beobachtet werden konnte, trieben Marcia dazu an, die Wanden zu erklimmen – langsam und mit einem mehr als flauen Gefühl im Magen – und das sich hartnäckig sträubende Katzenvieh vom Mast zu pflücken. Sofort grub die jämmerlich quietschende Katze ihre Krallen durch Marcias Bluse und krallte sich an ihr fest. Mit zusammengebissenen Zähnen und leise knurrend wollte sie den Weg zurück auf festen Boden antreten, als sich ein blonder Lockenschopf in ihr Blickfeld schob. Hatte Julia den Jungen wirklich in den Ausguck verbannt?! Leise fluchend erklomm Marcia das letzte Stück und versuchte, sich ihre Erleichterung nicht zu deutlich anmerken zu lassen, als sie neben Nathanael stand, der sie vorsichtig musterte. „Ich bringe dir deine Katze“, stellte Marcia fest und war erleichtert, als das dumme, kleine Tier sich sofort in die Arme des Knaben flüchtete. „Hat Julia dich hergeschickt?“ Der Junge nickte nur. Marcia runzelte die Stirn und überlegte einen Moment lang, verwarf dann aber sämtliche Fragen und beschloss, sie später zu stellen. Sie würde jetzt den Rückweg antreten und Julia nahe legen, die nächsten Stunden auf der Hut zu sein … es war vielleicht nicht klug, nicht auf die Sicherheit ihrer Schwester zu achten, doch Julia würde es genauso wenig nützen, wenn Marcia vor Müdigkeit einen Angriff schlicht und ergreifend nicht verhinderte … „Sei vorsichtig“, sagte sie noch, ehe sie langsam, Stück für Stück, den Weg zurück nach unten antrat, froh, endlich wieder beide Füße auf dem Boden – oder zumindest auf dem Deck – zu haben. Gelassen schritt sie auf Julia zu, die noch immer mit Anweisungen um sich warf, und nahm sie kurz zur Seite. „Versuch, die nächsten Stunden nicht in Schwierigkeiten zu geraten“, raunte sie ihr zu. „Dein erster Maat holt Nachtschlaf nach.“ Julia entließ sie mit einem Nicken und lächelte. Kapitel 20: Julia ----------------- Julia geriet nicht in Schwierigkeiten, jedenfalls wenn man davon absah, dass sie sich ein heftiges Wortgefecht mit einem ihrer Männer lieferte, das dadurch beendet wurde, dass Jolly plötzlich beschloss, eine Erdnuss in einem der Nasenlöcher des Piraten gefunden zu haben. „Verdammter Vogel!“, hatte der Mann gebrüllt, nachdem sich der Papagei kreischend und laut schimpfend auf den Weg zu Nathanael gemacht hatte, „Ich dreh dir den Hals um!“ „Stirb, Erdnuss!“, hatte die Antwort gelautet, dann hatte Julia den Kerl zurück auf seinen Posten kommandiert und es war Ruhe eingekehrt. Nachdem sie sichergegangen war, dass an Deck alles in Ordnung, der Störenfried mit Eimer und Wischlappen versorgt war und George Abbott das Steuer fest im Griff hatte, bewaffnete sie sich mit einigen Stoffresten aus dem Frachtraum, einer dicken Nadel und einer Garnrolle und nahm demonstrativ hinter ihrem neuen Steuermann Platz, um alles im Blick zu behalten. Sie breitete den schwarzen Stoff auf den Holzplanken aus und vertiefte sich für die nächsten Stunden in ihre Arbeit. So sehr sie ihre geliebte Sea Screamer vermisste, Julia musste einräumen, dass die Mari(an)ne nicht schlecht war. Es war ein gutes, schnelles Schiff und der lächerliche Name hatte sie das Potential ihres neuen segelnden Untersatzes unterschätzen lassen. Und trotzdem musste sie ihr altes Schiff zurück bekommen. Die Sea Screamer hatte etwas an Bord, das hoffentlich gut genug versteckt war, da es für die Cavenhaugh-Schwestern von unschätzbarem Wert war. Sie betete zu allen Göttern der Meere, dass die Diebe, die das Schiff übernommen hatten, diese eine Sache nicht gefunden hatten. Kapitel 21: Marcia ------------------ Die Zeit, die die Besatzung der Mari(an)ne auf See verbrachte, verging schnell und jeder Tag schweißte die bunt zusammen gewürfelte Crew enger zusammen. Die Männer respektierten Julias Autorität mehr und mehr und hörten auf, jede ihrer Anweisungen erst in Frage zu stellen. Jeder Mann erledigte die Aufgaben, die Julia ihm übertragen hatte – abgesehen vielleicht von Nathanael, der von zahlreichen, seine körperlichen Fähigkeiten übersteigenden, Arbeiten entbunden war, was ihn allerdings nicht daran hinderte, geschickt wie ein Affe zwischen Krähennest und Oberdeck hin- und herzuklettern und überall mit anzupacken, wo es nötig war. Sehr zu Julias Missmut, die nicht begeistert davon war, wie viel Zeit er in der Kombüse verbrachte und Johnson zur Hand ging. „New Providence ist in Sicht“, gab Marcia Nathanaels Information an ihre Schwester weiter. „Hältst du es immer noch für eine gute Idee?“ „Ja“, erwiderte Julia, ohne sie anzusehen. „Wir müssen nach Port Nassau und … etwas Wichtiges abholen. Wichtig für unsere Mission.“ „Was?“, wollte Marcia wissen. „Ich weiß nicht, wie oft ich dich das schon gefragt habe, aber du rückst ja nicht mit der Wahrheit heraus.“ Natürlich akzeptierte Marcia die Verschwiegenheit ihrer Schwester, doch wenn es ihrer Mission dienen sollte, hatte sie ein Recht darauf, den Grund für diesen Besuch zu erfahren! Langsam drehte Julia sich zu ihr um und blickte ihr ruhig in die Augen. Marcia verschränkte beide Arme vor der Brust und wartete. Sie war gut darin. Sie wusste, früher oder später würde Julia unter ihrem forschenden Blick nachgeben. Oder Streit anfangen. In jedem Fall würde Marcia irgendwas erfahren! Tatsächlich seufzte Julia nach einiger Zeit entnervt auf und zuckte mit den Schultern. „Unseren Großvater“, sagte sie dann lediglich. „Silberbart Jeff.“ „Was?!“ Kapitel 22: Julia ----------------- Marcia und ihr drei mal verfluchter, forschender Blick! Manchmal wünschte Julia sich, dass Davy Jones sich zuerst die Augen ihrer Schwester holte, wenn sie jemals in seine Arme sinken sollte, verdient hätte sie es allemal. „Silberbart Jeff“, wiederholte Julia unwillig, während sie ihr Fernrohr aus einer Manteltasche holte und es an ihr Auge setzte, um sich selbst zu vergewissern, dass New Providence nicht mehr weit war, „unser Großvater.“ „Und was wollen wir mit einem alten Mann an Bord?“ Entnervt setzte Julia das Fernrohr ab und sah zu Marcia, die aussah, als wäre sie hin- und hergerissen zwischen Überraschung, Unglaube und der Frage, ob ihre Schwester nun völlig übergeschnappt sei. „Dieser alte Mann, wie du ihn nennst, ist zufällig der Navigator und Kartograph von Blackbeard höchstpersönlich gewesen!“, erklärte sie und wollte gerade fortfahren, als plötzlich Nathanaels Katze mit einem schrillen Laut an ihr vorbei und aufs Hauptdeck schoss, dicht verfolgt von der laut kreischenden Jolly. Stirnrunzelnd und leicht irritiert blickte sie den beiden Tieren nach, dann murmelte sie leise: „Wir sind kein Schiff voller Piraten, sondern eine verdammte Arche!“ Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder Marcia zu, die sie noch immer abwartend fixierte. „Ich hab ihn getroffen, bevor wir beide uns zusammengetan haben“, erzählte sie, „damals hat er mir geholfen, ein paar… hmm… Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen.“ „Schwierigkeiten?“ Marcias Augenbrauen wanderten in die Höhe und verschwanden fast unter ihrer Hutkrempe. Julia verdrehte genervt die Augen und blaffte: „Ja, Schwierigkeiten! Ich für meinen Teil bin auf New Providence schon fünf mal zu Tode verurteilt worden. Jeff ist exzentrisch, aber ein guter Pirat. Jedenfalls war er das“, fügte sie stirnrunzelnd hinzu, „er hat sich zur Ruhe gesetzt und sich in Port Nassau ein neues Leben als Kartograph aufgebaut.“ Marcia kniff misstrauisch die Augen zusammen und fragte dann: „Und woher weißt du, dass er uns helfen würde?“ „Oh, ich hab da was gegen ihn in der Hand…“ Ein mehr als diabolisches Grinsen breitete sich auf Julias Lippen aus. Manchmal tat es gut, Pirat zu sein – Skrupel waren etwas für Landratten. „Und warum wolltest du mir nichts davon sagen?“ Nun sah ihre Schwester eher verwirrt aus. Julia warf Marcia einen flüchtigen Blick zu, warf dann die Haare zurück und seufzte schwer. Sie hatte das eigentlich für sich behalten wollen… aber Marcia konnte manchmal eine echte Plage sein – kleine Schwestern! Kapitel 23: Marcia ------------------ Julia bedachte sie mit einem flüchtigen Seitenblick, warf ihre Haare zurück und seufzte schwer. Dann wandte sie sich ab und wollte gehen. Marcia packte sie am Oberarm und zwang ihre Schwester herum, damit sie sie ansah. „Was steckt noch dahinter?“, fragte sie. „Nicht nur unser Großvater, was verbirgt sich noch hinter Silberbart Jeff?“ Julia ächzte auf und ließ den Kopf hängen. „Er ist unser Großvater“, sagte sie dann. „Weiß ich.“ „Lass mich ausreden.“ Julia rümpfte die Nase und zuckte dann mit den Schultern. „Er …“ „Captain!“, rief Nathanael ihnen in diesem Moment vom Krähennest aus zu. „Später!“, brüllte Marcia zurück, packte ihre Schwester an den Schultern und schüttelte sie. „Was stimmt nicht mit Silberbart, Julia?! Raus mit der Sprache ich schwöre dir, ich …“ „Captain, es ist wichtig!“ „Nicht jetzt, Goldlöckchen!“ Marcia drehte sich halb zu ihm um und schüttelte den Kopf. Den Blick, den er ihr zuwarf, konnte man bestenfalls mit „eingeschüchtert“ beschreiben … seit der ersten Nacht auf See, als Marcia nachts seine Kajüte betreten hatte, hatte er sie nicht mehr so angesehen – natürlich hatte Julia erst hinterher erwähnt, dass sie Nathanael in der zweiten Kajüte untergebracht hatte, um ihn von den anderen Männern und vor allem von James Ladybug Johnson fernzuhalten … „Julia schuldet mir eine Erklärung! Eine Minute, dann sind wir bei dir!“ Sie wandte sich wieder Julia zu. „Zum letzten Mal, was stimmt nicht mit ihm?!“ „Er ist alt. Sehr alt. Er ist übervorsichtig … und hat zehn Jahre an Bord der Queen of Oblivion die Weltmeere unsicher gemacht.“ Marcia knirschte mit den Zähnen. Die Queen of Oblivion … dieser gottverdammte Seelenverkäufer! An dem Tag, an dem der Captain dieses Schiffes sie über die Planke hatte laufen lassen, um sie aus dem Weg zu räumen, hatte sie geschworen, jeden, der jemals Serena Mae Cavenhaugh gedient hatte, einen langsamen, qualvollen Tod sterben zu lassen … Und jetzt wollte Julia genau so jemanden an Bord holen?! „Captain“, erschallte zum dritten Mal Nathanaels Stimme. Marcia drehte sich wieder um, beobachtete, wie er sich mit halsbrecherischem Tempo die Wanden hinunterhangelte, das Fernrohr im Gürtel, die blonden Locken mit einem dünnen Lederband im Nacken zusammengefasst. „Ein fremdes Schiff steuert direkt auf uns zu!“ Der Junge eilte auf die Schwestern zu, duckte sich, als Jolly kreischend über seinen Kopf hinwegschoss und kam schlitternd vor ihnen zum Stehen. „Welche Flagge?“, fragte Julia sofort und Marcia löste ihren Klammergriff. „Eine Rose und ein Revolver. Ist das wichtig?“ „Das ist ein Problem“, seufzte Julia, dann richtete sie sich kerzengerade auf und blickte nacheinander Marcia und Nathanael an. „Deathblow Blaine scheint unsere Flagge nicht vergessen zu haben.“ Marcia schnaubte. Die Flagge der Sea Screamer, der Totenschädel, der statt auf Knochen auf einer Rumflasche und einer Getreideähre ruhte, war einprägsam genug! „Nathanael, ruf die Männer zusammen und dann verkriech dich entweder im Krähennest oder unter Deck. Marcia, du holst Johnson aus der Kombüse und die Schusswaffen aus unserer Kajüte. Falls Blaine Ärger will, kann er ihn haben.“ „Aye, Captain“, sagten Marcia und Nathanael wie aus einem Munde, während Jolly kreischend über ihren Köpfen kreiste. „Erdnuss, Captain!“, bestätigte auch das Ara-Weibchen. „Erdnuss!“ Kapitel 24: Julia ----------------- Deathblow Blaine! Dieses drei mal verfluchte Stück Aas… Wie hatte er sie eingeholt? Sicher, sie waren einmal wirklich weit vom Kurs abgekommen – Julia war nun mal keine erstklassige Navigatorin, deshalb wollte sie Silberbart Jeff ja überhaupt an Bord haben – aber der Bastard hatte doch unmöglich wissen können, wohin sie unterwegs waren! „Alle Mann an Deck!“, schallte Nathanaels Stimme übers Schiff. Er mochte das jüngste und unschuldigste Mitglied ihrer Crew sein, aber seit sie ihn im Ausguck postiert hatte, hatte er sich als unverzichtbar erwiesen. Er war kein Trunkenbold und immer bei der Sache, egal, welche Arbeit man ihm auftrug – der perfekte Späher. Und dennoch ein Kind. Nachdem die Crew versammelt war, eilte Julia aufs Oberdeck und rief laut: „Gentlemen, es sieht ganz so aus, als stünde uns eine Seeschlacht bevor! Unser Ziel ist vor allem, heil aus der Sache herauszukommen, ich will keine unnötigen Heldentaten sehen! Alle Mann auf Gefechtsstation!!“ Sie war froh, dass die Männer ihr inzwischen genug Respekt entgegenbrachten, um widerstandslos zu gehorchen. Marcia kam angelaufen, mit Nathanael und Johnson im Schlepptau. „Hier“, schnaufte ihre Schwester und drückte ihr eine geladene Pistole in die Hand. Julia nickte nur, dann sah sie zu Nathanael, der sich allem Anschein nach noch nicht entschieden hatte, wo er sich verstecken wollte, und befahl: „Goldlöckchen, in Deckung mit dir! Und bleib dem Kampfgeschehen um jeden Preis fern, ich will dich nicht im Getümmel haben, verstanden?!“ „Aye, Captain“, nickte Nathanael, wohl nur zu froh darüber, dass sie ihn zurück auf seinen Platz beorderte. Geschickt wie ein Äffchen hangelte er sich die Wanden entlang nach oben, dicht gefolgt von Jolly, die scheinbar in Kampflaune war – ihr schrilles „Stirb! Drecks-Erdnuss, stirb!“ war nicht zu überhören. „Eure Befehle, Captain?“, fragte Johnson und sah sie angespannt an. Julia überlegte kurz und antwortete dann: „Beladet die Kanonen! Feuert mit allem, was wir haben – und wenn uns die Munition ausgeht, dann überlegt euch was!“ „Und du?!“, erwiderte Marcia und schien noch etwas hinzufügen zu wollen, doch Julia unterbrach sie entschieden: „Ich bin alt genug, um auf mich selbst aufzupassen! Mach dir keine Sorgen um mich, ich bringe uns schon sicher in den Hafen. Oh, und… nehmt unsere Flagge ab!“ „Was?!“ Johnson und Marcia starrten sie an, als wäre ihr soeben ein Horn gewachsen und Julia verdrehte die Augen: „Hisst die Marineflagge der Mari(an)ne! Falls hier irgendwo die Küstenwache patrouilliert, wird sie uns zu Hilfe kommen.“ „Aye!“ Die beiden machten sich auf den Weg, um ihre Befehle auszuführen, und Julia blieb allein mit dem Steuermann zurück. „Unser Kurs, Captain?“, fragte dieser und sie drehte sich entschlossen zu ihm um. Sie konnte nur hoffen, dass Davy Jones ihnen heute gnädig gestimmt war. „Hart Steuerbord!“ Kapitel 25: Marcia ------------------ „Ladybug, Ihr kümmert Euch um die Kanonen. Ich suche die Marineflagge“, ordnete Marcia an. Sie konnte nur hoffen, dass niemand die verdammte Flagge über Bord geworfen, zerschnitten oder verbrannt hatte … oder sonst was in der Art. Hektisch durchsuchte sie jeden Raum, jeden Winkel, jedes noch so unmögliche Versteck unter Deck, fand die Marineflagge schließlich in Nathanaels Kajüte – am Fußende des Bettes, zerknittert und voller Katzenhaare. Offenbar diente sie als Schlafstatt für die herrenlose Katze, die ihm aus Tortuga gefolgt war … Marcia wusste nicht, ob sie sich ärgern sollte, dass der Knabe sich einfach so die Flagge unter den Nagel gerissen hatte, oder ob sie erleichtert sein sollte, weil die Flagge zwar zerknittert und haarig, aber immerhin noch vorhanden war … Sie beschloss, die ganze Sache einfach gleichgültig zu betrachten, packte die Flagge und begab sich zurück an Deck, wo natürlich alle aufgeregt durcheinander rannten und schreien, weil Deathblow Blaine natürlich ein gutes Stück näher gekommen war. Knurrend tauschte sie die Piratenflagge gegen den Marinestofffetzen aus und suchte dann Julia auf, die mit stoischer Gemütsruhe Anweisungen gab. „Wir sollten New Providence ansteuern“, stellte Marcia fest. „Sie werden es nicht wagen, ein Marineschiff so nahe am Festland anzugreifen.“ „Und wenn sie es doch tun und uns Soldaten zur Hilfe eilen, werden sie sehen, dass die Mari(an)ne nicht mehr in Besitz der Marine ist und wir müssen uns mit zwei Gegnern herumschlagen.“ Marcia fluchte leise. Sie saßen in der Falle. Wenn sie es nicht schaffen würden, Deathblow Blaine abzuhängen, der zweifelsohne mit mehr als zwölf Mann, einem Knaben, einem Papagei und einer Katze segelte, würde alles ein unschönes Ende nehmen … Kapitel 26: Julia ----------------- Irgendein betrunkener Seebär hatte Julia in ihrer Jugendzeit einmal etwas offenbart, dass sie nie vergessen würde – weil es einfach zu viel Wahrheit enthielt: Wenn man denkt, es kann nicht mehr schlimmer kommen, kommt es schlimmer. Diese Feststellung bewahrheitete sich auch in dieser Situation: Nicht nur, dass die Dirty Lust ihnen so dicht im Nacken saß, dass Julia beinahe glaubte, Deathblow Blaines Parfüm zu riechen, nein, es begann auch noch zu regnen, als hätte Davy Jones persönlich beschlossen, dieser Begegnung etwas mehr Stimmung zu verleihen. Während der Regen ihr ins Gesicht peitschte, stürzte Julia an die Reling der Steuerbordseite und kniff die Augen zusammen, um im Unwetter besser sehen zu können. Sie erkannte die Besatzung der Dirty Lust, die an Deck des gegnerischen Schiffes herumlief, und auch den Bastard, der sich ihr Captain schimpfte. „Blaine!“, brüllte Julia gegen den Sturm an, „Ihr werdet den Tag bereuen, an dem Ihr beschlossen habt, Euch mit mir anzulegen!!“ Der Wind zerzauste ihr das Haar und riss ihr den Hut vom Kopf, doch das war zweitrangig – denn in eben diesem Moment löste sich ein Schuss und sie wurde von Marcia, die plötzlich neben ihr auftauchte, zur Seite gerissen. „Weniger reden“, hörte sie ihre Schwester rufen, „mehr bewegen!“ Julia entwand ihren Arm Marcias Griff, zückte ihre eigene Pistole und schrie: „Johnson, Feuer!!“ Im gleichen Moment wie mehrere Kanonenschüsse auf der Mari(an)ne abgefeuert wurden, zielte Julia auf die dunkle Gestalt, von der sie vermutete, dass es Blaine war, und schoss. Die Gestalt tauchte jedoch in Deckung und man konnte unmöglich sagen, ob sie ihn nun getroffen hatte oder nicht. Den einzigen Vorteil, den die Mari(an)ne der Dirty Lust momentan gegenüber hatte, war ihre Feuerkraft. Julia selbst hatte sich während ihrer Zeit auf dem anderen Schiff davon überzeugen können, dass die Dirty Lust lediglich über eine Kanone verfügte – und die konnte Blaine momentan nicht wirklich helfen. „Abbott!“, brüllte Julia ihrem Steuermann zu, „Seht zu, dass sie uns nicht zu nahe kommen! Wir können uns keinen Mann-gegen-Mann-Kampf leisten!!“ „Aye, Captain!“, hörte sie die dumpfe Antwort und der leichte Ruck, der durch das Schiff fuhr, sagte ihr, dass sie gerade wendeten. Das war auch gut so, denn in eben diesem Moment segelte eine Gewehrkugel direkt an ihnen vorbei, dorthin, wo sich die Mari(an)ne nur Sekunden zuvor befunden hatte. „Feuer!“, schrie Julia wieder, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Johnson mit einiger Hilfe die Kanonen nachgeladen hatte. Wenn sie Glück hatten, waren sie noch in Schussposition und könnten einen Treffer landen…! Mit einem ohrenbetäubenden Krachen schossen die vier Kanonenkugeln auf die Dirty Lust zu und als Julia sah, welchen Schaden sie anrichteten, hätte sie Johnson umarmen können: eine der Kugeln brach den Mast des gegnerischen Schiffes entzwei und eine andere traf es am Heck. Doch Blaine schien beschlossen zu haben, mit einem großen Knall unterzugehen – im wahrsten Sinne des Wortes. Eine letzte Kugel wurde abgefeuert – und waren das Gewehrschüsse, die sie da hörte? Julia war sich bei all dem Lärm nicht mehr sicher – die das Heck der Mari(an)ne mit einer solchen Wucht traf, dass sie auf der anderen Seite wieder austrat. Julia schwankte und hielt sich reflexartig an der Reling fest, um nicht hinzufallen, dann dämmerte ihr plötzlich, was der Treffer für sie hätte bedeuten können. „Abbott!!“, japste Julia entsetzt auf und rannte, Marcias Proteste ignorierend, aufs Oberdeck, um sich zu vergewissern, dass ihrem Steuermann nichts passiert war. Er hatte eine Platzwunde am Kopf und wirkte etwas benebelt – bei Davy Jones, er schien einen schweren Schlag auf den Kopf bekommen zu haben! – doch er hielt das Steuerrad mit einer eisernen Entschlossenheit fest. Als er sie erblickte, rief er: „Macht Euch keine Sorgen, Captain! Ich bringe uns hier raus.“ Klatschnass, wie sie war, nickte Julia, hin- und hergerissen zwischen Erleichterung, dass er noch lebte, und Sorge um den Zustand ihres Schiffs, und lief zurück aufs Deck. Sie entfernten sich schnell von der Dirty Lust, die nun ohne Mast und zu allem Überfluss auch noch sinkend, zurückblieb. Die Seeschlacht war offensichtlich vorbei, doch Julia hatte keine Zeit, sich darüber zu freuen. „Blunt!“, sprach sie einen der Männer an, die dem sich langsam entfernenden gegnerischen Schiff nachsahen, „Geht unter Deck und schaut nach, wie groß der Schaden ist! Ich will nicht an Land gehen, nur um dann festzustellen, dass mir mein Schiff weggesunken ist.“ „Aye, aye!“, nickte der Mann und eilte davon, um ihren Befehl auszuführen. Der Regenschauer ließ nach – Davy Jones hatte offensichtlich das Interesse an ihnen verloren. Die Mannschaft versammelte sich langsam um sie herum und sie betrachtete jedes einzelne Crewmitglied genau. Es gab keine Verluste, wenn man von Abbotts Platzwunde und dem von einem umherfliegenden Holzstück durchbohrten Oberschenkel eines anderen Mannes absah. Erleichtert stieß Julia leise die Luft aus, die sie ohne es zu merken angehalten hatte, und sagte: „Gute Arbeit, Gentlemen.“ Kapitel 27: Marcia ------------------ Erleichtert wischte Marcia sich eine durchnässte Haarsträhne aus der Stirn und blickte zur Dirty Lust zurück. Spielten ihr ihre Sinne einen Streich oder trug der Wind tatsächlich die Verwünschungen des geschlagenen Captains bis an ihr Ohr? Alle an Bord wussten, dass sie nicht zum letzten Mal Deathblow Blaines Weg gekreuzt hatten … aber das interessierte nun, da zumindest die Schlacht gewonnen war, niemanden. Nacheinander musterte Marcia die Männer, bemerkte erst jetzt, dass der blonde Lockenschopf Nathanaels fehlte. „Goldlöckchen“, rief sie und wandte sich zum Krähennest um. „Es ist vorbei, du kannst runter kommen.“ „Goldlöckchen?“, rief sie noch einmal, als keine Antwort kam und auch das schmale, unschuldige Gesicht des Jungen nicht auftauchte. „Nathanael, geht es dir gut?“ Anstelle einer Antwort kam Jolly Roger aus dem Krähennest geflattert und ließ sich auf Julias Schulter nieder. „Tote Erdnuss“, kreischte der Papagei betrübt. „Tot!“ Tot …? Hatten sie ihn von den Straßen Tortugas geholt, um ihn jetzt schon an Davy Jones übergeben zu müssen? Er war immer noch ein Kind! Langsam wandte Marcia sich zu Julia um. Ihre Schwester blickte ihr ernst in die Augen. Das Blut war aus ihren Wangen gewichen und sie wirkte so bestürzt, wie Marcia sich fühlte. „Die Schüsse“, flüsterte sie. „Bei Davy Jones, er wird doch nicht …“ „Johnson!“, unterbrach Julia sie scharf. „Wo wollt Ihr hin?“ „Ins Krähennest“, erwiderte er ruhig. „Marcia geht. Gentlemen, ihr bringt die Verletzten unter Deck. In Port Nassau holen wir einen Arzt an Bord.“ „Warum haltet Ihr mich so krampfhaft von dem Jungen fern, Captain?“, fragte Johnson direkt und baute sich vor Julia auf. Sofort schob Marcia sich zwischen die beiden, nur, um von Julia sofort zur Seite gedrängt zu werden. „Das steht hier nicht zur Debatte, Ladybug! Stellt meine Autorität nicht in Frage, ich warne Euch! Zurück in die Kombüse und ihr, Gentlemen, unter Deck! Marcia hat den Jungen unter ihren Schutz genommen, sie wird nach ihm sehen.“ „Hat ja sehr gut funktioniert“, knurrte Johnson, der aus unerfindlichen Gründen von Sekunde zu Sekunde wütender zu werden schien. Julia knurrte ebenfalls und ehe Marcia reagieren konnte, hatte sie den Mann am durchweichten Kragen seines Hemdes gepackt. „Zum letzten Mal“, zischte sie, „geht jetzt! Ihr werdet noch früh genug erfahren, wie die Dinge stehen!“ „Aye, Captain“, erwiderte Johnson kalt. „Wie Ihr wollt.“ Marcia seufzte innerlich, als die Männer langsam, die beiden Verletzten stützend, unter Deck verschwanden. „Hoffentlich hat das keine Auswirkungen auf seine Loyalität … wir können ihn gut an Bord brauchen.“ „Das sehen wir später. Jetzt geh.“ Marcia nickte, wandte sich um und erklomm langsam, hin und wieder ausrutschend und mit heftig schlagendem Herzen die Wanden. Jolly Roger umkreiste sie dabei wie ein Aasgeier ein totes Tier. Das erste, was sie sah, als sie über den Rand des Ausgucks blickte, war Blut. Viel Blut, viel zu viel Blut, das das weiße Hemd Nathanaels tränkte. Er saß da, an das raue Holz gelehnt, eine Hand in die Seite gepresst, die Augen geschlossen, den Kopf zur Seite gesunken. „Nathanael“, flüsterte sie und überschlug sich fast, als sie eilig zu ihm ins Krähennest kletterte. Sie kniete neben ihm nieder, schob seine Hand zur Seite und zog sein Hemd hoch. Die Kugel – oder waren es mehrere? Zumindest hatte das Krähennest mehrere Durchschusslöcher – hatte ihn zwar nur gestreift, doch er verlor viel Blut. „Tote Erdnuss“, krächzte Jolly wieder betrübt. „Stirb, Mörder!“ Marcia beugte sich über den Jungen, hielt ihr Ohr dicht an seine Nase und hätte am liebsten vor Freude Jollys nasses, verdrecktes Gefieder geküsst, als sie den flachen Atem des Knaben hörte. „Die Erdnuss ist nicht tot“, murmelte sie sinnlos. „Stirb, Mörder!“, beharrte Jolly trotzdem darauf und Marcia nickte. Sie richtete sich auf und hob Nathanael auf ihre Arme. Er war so leicht … „Marcia?“, rief Julia, die noch immer im strömenden Regen stand, ihr von unten zu. „Was ist los?“ „Er ist angeschossen! Aber er lebt!“ „Bring ihn runter!“ „Gut, dass du das sagst, ich wollte ihn eigentlich liegen lassen!“ Marcia lachte auf und schüttelte leicht den Kopf. „Witzig!“ Auch Julia grinste. Die Erleichterung, dass Nathanael am Leben war, stand ihr ins Gesicht geschrieben. Marcia hatte jetzt nur ein Problem – den Jungen sicher nach unten zu bringen … Kapitel 28: James ----------------- James Ladybug Johnson war wütend. Wütender als wütend. Er rauchte vor Wut! Wahrscheinlich war es gut, dass momentan alle zu sehr mit den Verletzten und dem Schaden am Schiff beschäftigt waren und keiner seine Nase in die Kombüse steckte… nicht nur ein Messer war im Laufe der letzten paar Minuten in der Tür stecken geblieben. Angeschossen! Wie hatte das passieren können?! Warum hatte keiner auf den Jungen aufgepasst? Und so was nannte sich Captain! James wusste nicht einmal, auf wen genau er eigentlich wütend war: auf Julia und Marcia Cavenhaugh, die ihn nicht in die Nähe des Jungen ließen, oder auf sich selbst, weil er sich nicht persönlich darum gekümmert hatte, dass Nathanael im Krähennest sicher war. Dass keiner hatte ahnen können, dass Deathblow Blaine ausgerechnet auf den Ausguck feuern würde, stand gar nicht zur Debatte. Sie hätten das vorhersehen müssen. Sie hätten Nathanael wegsperren müssen, ihn verstecken, ihn verdammt noch mal beschützen! Aufgebracht stieß James einen unartikulierten Laut aus und warf ein weiteres Messer auf die Tür, um seinem Ärger Luft zu machen. Dann blieb er stehen, schwer atmend wie ein verwundetes Tier, und zwang sich, sich zusammen zu reißen. Er war kein hirnrissiger Narr, der sich von seinem Temperament kontrollieren ließ, also gab es nun auch keinen Grund, sich wie einer zu verhalten. Ärger hin oder her. Zähneknirschend machte er sich daran, ein schnelles Mahl für die Mannschaft zurecht zu machen. Er wusste aus Erfahrung, dass eine Schlacht hungriger machte als man dachte und dass die Männer allzu bald etwas zu essen brauchen würden. Und außerdem war da Nathanael… James knurrte leise, während er eines der Messer wieder aus dem Holz zog und begann, etwas Gemüse zu zerkleinern. Es überraschte ihn kein Stück, dass es ihn unheimlich befriedigte sich vorzustellen, jede zerhackte Tomate sei der Kopf von Deathblow Blaine. Als sie einige Stunden später – der Regen hatte immer noch nicht aufgehört – etwas abseits des Hafens von Port Nassau vor Anker lagen, war schnell beschlossen, wer den Captain und ihre Schwester an Land begleiten würde; James gehörte nicht dazu und hatte sich bereits freuen wollen. Doch Julia Cavenhaugh schien Gedanken lesen zu können, da sie ihn umgehend am Ärmel ergriff und zischte: „Haltet Euch fern von Nathanael!“ Einen Teufel würde er tun. Noch immer hatte ihm keiner gesagt, wie es dem Jungen ging und er merkte, wie er immer angespannter wurde. „Aye, Captain“, knurrte er dennoch und erwiderte ihren forschenden Blick. Sie kniff die Augen zusammen und sagte: „Ich warne Euch.“ „Aye.“ Ausdruckslos sah er sie an, bis Julia sich von ihm abwandte und laut schnaubend ihre Missbilligung kund tat. Dann ergriff sie ihre Schwester – die ihn ebenfalls misstrauisch fixierte – am Ärmel und dirigierte sie zum Beiboot. Die strafenden Blicke der Schwestern waren auf ihm fixiert, bis das Beiboot außer Sicht verschwand; in diesem Moment drehte sich James auf dem Absatz um und eilte zu Nathanaels Kajüte. Wenn er nicht sofort herausfand, wie es dem Jungen ging, würde er das gottverdammte Schiff in die Luft sprengen! Kapitel 29: Nathanael --------------------- Mit hinter dem Kopf verschränkten Armen lag Nathanael in dem breiten, weichen Bett in seiner Kajüte und starrte die dunkle Holzdecke über ihm an. Davey Jones, wie Marcia die kleine Katze, die ihn aus Tortuga gefolgt war, getauft hatte, lag zusammengerollt am Fußende des Bettes – auf der Marineflagge. Marcia hatte sie ihm zurückgebracht, kurz bevor sie von Bord gegangen waren. Mit einem Augenzwinkern und der Bemerkung, dass die Marineflagge nun endlich zu etwas gut war. Natürlich hatte er im ersten Moment befürchtet, sie würde wütend werden, würde ihn bestrafen dafür, dass er die Flagge einfach entwendet hatte, doch wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass die Cavenhaugh-Schwestern ihm gegenüber noch nie handgreiflich geworden waren … laut, ja. Aber sie hatten ihm nie einen Grund gegeben, sie zu fürchten. Langsam richtete Nathanael sich auf, zog, ohne auf die Schmerzen in seiner Seite zu achten, er hatte weiß Gott schon schlimmere Qualen erlitten, beide Beine eng an seinen Körper und betrachtete Davey Jones, dessen Pfoten im Schlaf leicht zuckten. Er war den beiden definitiv zu Dank verpflichtet … sie behandelten ihn gut, sie behandelten ihn sehr viel besser, als alle anderen Menschen, mit denen er in seinem kurzen Leben zu tun gehabt hatte, zusammen … Erschrocken zuckte Nathanael zusammen und biss sich heftig auf die Unterlippe, um einen Schmerzenslaut zu unterdrücken, als die Tür von außen aufgestoßen wurde und James Johnson ins Zimmer trat. Der Junge schluckte und blickte unsicher zu ihm auf. Von allen Piraten an Bord war James Johnson ihm am unheimlichsten. Natürlich, sowohl der Captain als auch ihre Schwester waren oft nahezu einschüchternd autoritär, aber das musste nun mal so sein … natürlich, die Männer, die ihr Leben auf See verbracht hatten, waren harte Gesellen, rau und unberechenbar wie die See, doch waren sie relativ einfach gestrickt … hart arbeitend und hin und wieder betrunken … Anfangs hatte Nathanael noch Alan Everett, einen Mann, der nahezu doppelt so groß war wie er und ihn ohne große Mühen mit einer Hand vom Boden heben konnte, gefürchtet … doch war ihm schnell klar geworden, dass James Johnson der einzige, wirklich fürchtenswerte Mann an Bord war – noch dazu mit einer gefährlichen Anziehungskraft. Sein Gesichtsausdruck undurchdringlich, das Lächeln spöttisch und geheimnisvoll, die Stimme tief und betörend, schien er alles zu wissen, überall zu sein und nichts preiszugeben. Nathanaels einziger Trost war, dass Johnson ihm noch nie einen Grund gegeben hatte, sich in seiner Gegenwart unwohl zu fühlen – sah man mal von seinem undeutbaren Grinsen ab … „W- Was … wollt Ihr von mir?“, fragte er und schluckte. Johnson zuckte mit den Schultern. „Nach dir sehen, Kleiner. Du hast bestimmt Hunger. Ich hab dir Suppe mitgebracht.“ Mit diesen Worten reichte er Nathanael eine Schüssel voll heißer, köstlich duftender Brühe. Sofort lief dem Jungen das Wasser im Mund zusammen und er lächelte Johnson dankbar an. „Wie geht es dir?“, wollte dieser jetzt wissen. „Gut. Es tut weh. Aber das ist nicht schlimm.“ Johnson nickte, musterte ihn noch einen Augenblick mit seinen dunklen Augen und drehte sich dann um. „Wenn der Captain fragt … du hast mich nicht gesehen, verstanden?“ „A- Aye“, gab Nathanael verwirrt zurück, dann war die Tür hinter Johnson ins Schloss gefallen und er selbst wieder allein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)