Die Chroniken der Drachen von Caildyn ================================================================================ „Ihre... Ihre Mutter war ein Drache?!“, fragte Mourndra panisch. „Ja, aber keine Angst, sie war ein sehr freundlicher Drache und hat niemandem etwas getan, wenn es nicht absolut unabwendbar war.“, versicherte er. „A-Aber dann müssten sie ja...“ Sie rechnete kurz nach. „... weit über tausend Jahre alt sein! Und Sie sehen auch überhaupt nicht aus, wie ein Drache, und wenn ihre Mutter einer war, dann müssten Sie ja auch...“, stammelte sie. Er legte ihr sanft einen Finger auf die Lippen und lächelte traurig. „Um genau zu sein sind es bald eintausendzweihundertvierundsiebzig Jahre, die ich nun schon alleine in dieser Höhle bin.“ Das erklärte zumindest seine Sprechweise. „So lange? Und nie ist jemand hierher gekommen?“, fragte die junge Frau ängstlich unter seinem Finger. „Ihr wart die erste.“ „Aber...“ Sanft drückte er mit dem Finger gegen ihre Lippen „Lasst mich raten: Ihr wollt einen Beweis für meine Abstammung?“ Er zog seinen Finger zurück. „Das auch. Aber zunächst möchte ich wissen, wie Sie heißen.“, bat sie. „Meine Mutter nannte mich Drisaonar. Es bedeutet 'Wächter der Asche'“, sagte er und trat einige Schritte zurück. Mit angehaltenem Atem beobachtete Mourndra, wie Drisaonar sich krümmte und seine Haut Schuppen bildete. Dann streckten und krümmten sich seine Gliedmaßen und sein Hals, während seine Brust und die Hüften an Umfang zulegten und seine Wirbelsäule sich zu einem langen Schwanz streckte. Anschließend sprossen große, lederne Flügel aus seinen Schultern und sein Kopf wurde größer und zog sich in die Länge, während seine Ohren am Kopf emporwuchsen und sich dann zu Hörnern bildeten. Mit einem Brüllen entfaltete er für einen Moment die Flügel und ließ sich dann auf die Vorderläufe sinken. Staunend ging Mourndra auf Drisaonar zu und strich ihm vorsichtig über die Stelle zwischen den Nüstern des Drachen, der nun vor ihr stand. Im Gegensatz zu ihren Erwartungen waren die dunkel schimmernden Schuppen nicht rau und hart, sondern glatt und anschmiegsam, wenn auch widerstandsfähig. Mit einem leisen Grollen schloss Drisaonar die Augen und legte sich nieder, während sie weiter über sein Maul strich und um seinen Kopf herumging. „Ich hätte nie geglaubt, dass Drachen tatsächlich existieren.“, flüsterte sie, als sie unter seinem Auge her strich, welches so hoch lag, dass sie gerade hineinsehen konnte, wenn sie aufrecht stand. Mit einem leisen Grollen öffnete er seine Augen und blickte sie traurig an. „Was? Habe ich etwas falsches gesagt?“, fragte sie vorsichtig und trat etwas zurück. Wenige Augenblicke später stand er wieder in menschlicher Gestalt vor ihr, gehüllt in eine einfache Stoffhose. „Das konntet Ihr nicht wissen, aber ich bin vermutlich der letzte meiner Art.“, war alles was er sagte, ehe er sich umdrehte und an das Feuer setzte, das inzwischen fast herunter gebrannt war. Vorsichtig erklomm sie die Erhebung im Höhlenboden, wo das Feuer brannte und setzte sich neben ihn. „Bitte entschuldigen Sie. Ich habe es wirklich nicht gewusst.“, murmelte sie und biss ein Stück aus dem inzwischen ausgekühlten Stück Fleisch, welches er ihr zuvor gegeben hatte. Nachdem sie einige Zeit schweigend in das langsam erlöschende Feuer gestarrt hatten, überfiel Mourndra die Müdigkeit und so legte sie sich auf eins der Felle, und zog das größere über sich. Nur einige Augenblicke später stand sie wieder auf, legte die Hälfte der Felle, auf der sie bis eben noch gelegen hatte, neben ihre Hälfte, um sich dann wieder hinzulegen. Verdutzt betrachtete der Drache die junge Frau dabei, freute sich jedoch über ihre Geste, welche ihm zeigte, dass sie ihm vertraute. Kurz darauf legte er sich auf den Stapel Felle, die sie zuvor beiseite gelegt hatte und beobachtete sie, während sie schlief. Die Wunden, die sie von ihrem Sturz davongetragen hatte, begannen, zu verheilen und die Hämatome an Armen und Beinen besserten sich auch schon. Er konnte einfach nicht umhin, sie genauer zu mustern: halblange, dunkelbraune Haare, die Gesichtszüge zwar sanft, doch auch bestimmt, wie er es liebte, und eine Figur, an der nichts da war, wo es nicht hingehörte. Er schloss die Augen und dachte zurück an den Moment, in dem sie neben seinem Drachenkopf gestanden und ihn berührt hatte. Selbst mit den Wunden, die ihr Gesicht zurzeit entstellten, war es doch schön. Den träumerischen Blick, den sie an den Tag gelegt hatte, während ihre Hände über seine Schuppen glitten, hatte die Smaragde, die ihre Augen waren, geradezu strahlen lassen. Noch während er sie beobachtete, strich er sanft über ihr Gesicht und strich dabei eine Strähne ihres Haars, welche sich gelöst hatte und ihr nun über den Mund hing, beiseite. Dann fiel ihm auf, wie sie zitterte und rückte näher an sie, um ihr von seiner Wärme abzugeben. Kurz darauf drehte sie sich im Schlaf murmelnd zu ihm und schmiegte sich so an ihn, dass ihr Kopf auf seiner Brust zur Ruhe kam. Zwar war ihm diese Haltung nicht unangenehm, doch solcher Nähe war er seit über einem Jahrtausend nicht begegnet. Doch wollte er sie nicht wecken und so zog er das große Fell über sie beide, damit sie nicht weiter fror und schloss die Augen. Diesmal war es nicht ein Sonnenstrahl, was sie weckte, sondern ein leichtes Frösteln, welches sie plötzlich überfiel. Zunächst verstand sie nicht, warum sie so plötzlich fror und sann darüber nach, bis ihr plötzlich einfiel, warum sie zuvor nicht gefroren hatte. Mit leicht gerötetem Gesicht schloss sie ihre Arme um ihre Taille, wo seine Arme sie zuvor wie ein Band aus Stahl gehalten hatten und erinnerte sich an die Wärme, die er beinahe über ihren gesamten Körper verteilt hatte. Dann sah sie sich um und entdeckte wieder die Wandmalereien, die sie am Vortag entdeckt hatte. Nachdem sie sich den Abhang hinauf gequält hatte, betrachtete sie die Zeichnungen erneut und erkannte nun, dass es sich hierbei um eine Szene eines Kampfs zwischen einem Drachen und einer Horde Menschen handeln musste. Der Drache war mit einer solchen Liebe zum Detail auf die Wand gebracht worden, dass es ihr vorkam, als spränge er gleich lebendig aus der Wand. Vorsichtig fuhr sie die Konturen des Drachen nach und fragte sich, wer dieses Meisterwerk gemalt hatte. „Sie war wunderschön, nicht wahr?“, erklang plötzlich Drisaonars Stimme hinter ihr. Erschrocken fuhr sie herum. „Müssen Sie mich immer so erschrecken?!“, fauchte sie und verharrte dann, weil er plötzlich zu lachen begonnen hatte. „Sie sollten wirklich öfter lachen, es steht Ihnen viel besser.“, meinte sie, als er aufhörte. „Ach, wirklich?“, fragte er skeptisch und näherte sich ihr vorsichtig. „Ja. Haben Sie das gemalt?“, fragte sie neugierig und fuhr vorsichtig über die Gestalt des gemalten Drachen. „Ja. Und es hat sehr lange gedauert, jedes Detail meiner Mutter einzufangen.“ Verdutzt sah sie erst ihn, dann das Gemälde an. „Das ist Ihre Mutter?“ „Ja.“ „Sie war wirklich wunderschön, wenn sie auch nur entfernt so aussah, wie Sie sie dargestellt haben.“ „Ich sagte doch bereits, ich habe lange gebraucht, aber beinahe jedes Detail eingefangen.“ „Und ich finde, sie hat ihrem Sohn einiges mitgegeben.“, sagte sie, während sie sich lächelnd zu ihm umdrehte. Drisaonar sagte nichts, doch ein flüchtiges Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Kommt, ich muss euch etwas zeigen.“, sagte er plötzlich und ergriff ihre Hand, um sie hinter sich herzuziehen. Am Abhang angekommen, blieb sie plötzlich stehen und entzog ihm ihre Hand. Auf seinen fragenden Blick hin setzte sie sich auf den Boden und rutschte sitzend auf den Abhang zu. Lachend trat er neben sie und kniete ihr den Rücken zuwendend nieder. Verdutzt blieb sie sitzen, wo sie war und starrte ihn an, bis er aufstand und sie auf die Arme hob. „Lassen Sie mich runter, ich bin zu schwer!“, protestierte sie, klammerte sich jedoch an seinen Hals, als er einfach den Abhang hinunter lief. Sein Lachen erstaunte sie, als er mitten auf dem Abhang stehen blieb und ihr zuflüsterte, sie solle ihm einfach vertrauen. Sie hatte zwar keine Ahnung, warum, aber sie hatte das Gefühl, als würde sie ihn schon ihr ganzes Leben lang kennen. Kurz darauf hatten sie die Höhle durchquert und er trug sie noch immer. „Sie können mich jetzt absetzen. Ich komme jetzt sicher gut alleine zurecht.“, sagte sie sanft und lockerte ihren griff um seinen Hals. Als er sie endlich auf den Boden setzte, standen sie in einer etwa viereinhalb Meter hohen Halle, deren Wände mit Wandmalereien von Drachen und Menschen, die gemeinsam arbeiteten und aßen, verziert waren. Fasziniert trat Mourndra näher an eine der Wände, die von einem in die gegenüber liegende Wand geschlagenen Lichtschlitz beleuchtet wurde und betrachtete die friedlichen Abbildungen, die dort aufgemalt waren. Die Darstellung einer Frau, die von Drachen und Kindern umrundet war, faszinierte sie hierbei ganz besonders. Dann sah sie sich weiter um und entdeckte eine Art Schrein am Ende des Halle, an dem Drisaonar mit jemandem zu sprechen schien. „Ich möchte Euch jemanden vorstellen.“, sagte er ruhig, als sie auf ihn zukam. „Erst möchte ich wissen, wozu dieser Raum dient, wenn das in Ordnung ist.“, meinte sie, als sie neben ihm stand. „Dies ist die Ahnenhalle der Drachen.“, ertönte eine sanfte Frauenstimme, die ihr unbekannt war und dennoch seltsam vertraut vorkam. „Wer spricht dort?“, fragte sie ängstlich in den Raum und plötzlich verblasste das Licht, das von außen in die Ahnenhalle fiel. Dann hielt sie sich erschrocken die Hand vor den Mund und bestaunte die gerade erschienene durchscheinende Frauengestalt. „Mutter...“, flüsterte Drisaonar, kniete nieder und beugte sein Haupt. „Mein Sohn, es ist lange her.“, begrüßte sie ihn warm und wandte sich dann um, um Mourndra zu mustern. „Wen bringst du mit dir? Du weißt, dass es verboten ist, Menschen in die Ahnenhalle zu bringen, seit sie uns verraten haben.“, rügte sie ihn und kam auf Mourndra zu. „Mutter, sie...“, begann er , brach dann ab und wechselte in eine ihr unbekannte Sprache, vernahm jedoch mehrfach ihren Namen. „So? Sie trägt also einen Namen der alten Sprache? Und dann auch noch einen so verheißenden?“, fasste die Gestalt den Inhalt des kurzen Gesprächs zwischen ihr uns Drisaonar zusammen und musterte die junge Frau genauer. „Wartet bitte hier, ich werde die alten Weisen rufen.“, sagte sie schließlich, verschwand und ließ Mourndra und Drisaonar zurück. Einige Minuten später erschien sie zusammen mit vier durchscheinenden Gestalten ohne feste Form, welche auf Mourndra zukamen. Ängstlich wich sie zurück, doch Drisaonar trat hinter sie und legte seine Hände auf ihre Oberarme, beugte sich dann vor und flüsterte ihr zu, dass sie nichts zu befürchten habe. Dann ließ er sie los, blieb aber hinter ihr stehen, um sie zu beruhigen. Die vier unförmigen Gestalten kreisten nun um Mourndra herum, als würden sie sie von allen Seiten begutachten. Schließlich entfernten sie sich wieder von Mourndra und kreisten sie langsam um Drisaonars Mutter. Ihrem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass sie ihr etwas mitteilten. Als die alten Weisen verschwunden waren, trat sie auf Mourndra zu und hielt ihre Hand über die Stirn der jungen Frau. Nur einen Moment später wich sie ein Stück zurück und fiel vor ihr auf die Knie. Mourndra verstand nicht, was dies bedeutete und war nur noch verwirrter, als auch Drisaonar vor ihr auf die Knie fiel. Als dann noch mehr geisterhafte Gestalten auftauchten und vor ihr auf die Knie fielen ergriff sie die Flucht und fand sich bald außerhalb des Höhlensystems wieder. Sie ging ein paar Schritte und stolperte dann über ein Seil, dem sie folgte. Bald stieß sie auf ihre verunglückten Kameraden, nahm sich eine Bergsteigerausrüstung, die noch taugte und begann den Abstieg. Als es am Abend dämmerte, erreichte sie den Fuß des Berges und machte sich auf, um die Strecke von etwa 8 Kilometern bis zur Stadt zu Fuß zurückzulegen. In der Stadt würde sie zunächst Leute suchen, die die Leichen ihrer Kameraden bergen würden und sich dann zu ihrer Wohnung begeben. Als sie nach über zwei Stunden Suche noch immer keinen Erfolg hatte, was die Bergung anging, beschloss sie, es auf sich beruhen zu lassen und schleppte sich müde, wie sie war in ihre Wohnung. Bevor sie zu Bett ging, fragte sie sich, was die Drachen wohl dazu veranlasst haben könnte, vor ihr niederzuknien. Doch selbst als sie versuchte, einzuschlafen, hielten sie die Gedanken an die Drachen - und besonders die an Drisaonar – wach. Während sie sich auf der Suche nach Schlaf immer wieder in ihrem Bett umdrehte, bemerkte sie etwas entscheidendes: sie vermisste seine Nähe, auch wenn sie sich nicht erklären konnte, warum. Nachdem sie mehrere Wochen nichts von Drisaonar gehört oder gesehen hatte, hatte sich auch das Gefühl der Leere in ihr langsam gelegt. Inzwischen ging sie einfach ihrem Alltag nach und dachte kaum noch an den Drachen, der ihr so vertraut gewesen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)