Kiss, kiss - bang, bang von Leuchtender_Mond (Zwischen töten und sterben gibt es ein drittes - leben.) ================================================================================ Kapitel 6: Der Herrscher ------------------------ Der Herrscher: Er sorgt für Ordnung, Sicherheit und Stabilität. Spirituelle und geistige Dinge sind ihm fremd, ihm fehlt Kreativität. Er verkörpert die nüchterne, disziplinierte Seite in uns und strenge Hierarchie. Er kann aber auch für den Vater oder das Familienoberhaupt stehen. Juni 2007, Domino, Japan Die Stirn des Mannes legte sich in Falten. Die Stimme seines Anrufers drang derart laut aus dem Hörer dass er das Mobiltelephon einige Zentimeter von seinem Ohr weghielt. Was aus dem Apparat klang war dennoch laut und deutlich zu verstehen:„Was ist nun mit dem Jungen, ich höre und sehe nichts mehr von ihm! Bringen Sie das endlich in Ordnung!“ Der Mann holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. Was versteifte dieser Idiot sich auch so sehr auf den Jungen? Und irgendwie fühlte er sich angegriffen – weil dieser Junge ihn hilflos machte. Aber Angriff war ja bekanntlich die beste Verteidigung, weswegen er eiskalt konterte:„Es liegt nicht an Ihnen, mir Forderungen zu stellen. Ich habe noch andere Aufträge außer Ihrem, erwarten Sie nicht, dass ich Himmel und Hölle für sie in Bewegung setze. Wenn Sie wünschen töte ich seine Mutter… aber was den Jungen betrifft werden Sie auf seine Rückkehr warten müssen.“ Jedoch war dies ganz offensichtlich nicht zufriedenstellend für seinen Gesprächspartner, der nur weiter wütete:„Wofür bezahle ich Sie denn eigentlich?!“ Der Mann wollte schon antworten, doch offensichtlich hatte der Andere nur Luft holen wollen, denn schon sprach er weiter:„Na schön. Na schön, ich verdopple die Summe – aber dafür suchen und töten endlich diesen Jungen!“ Der Mann atmete tief durch. Im Normalfall gab es auf ein solches Angebot hin nur eine Reaktion: Das nächste Flugzeug nach Italien zu nehmen und den Jungen zu töten. Aber hier war ja nicht von irgendjemandem die Rede… Bevor er jedoch antworten konnte, sprach sein Auftraggeber schon wieder:„Ich deute dieses Schweigen als Zustimmung. Das freut mich. Wir bleiben in Verbindung.“ Dann war die Leitung tot. Eine Sekunde lang starrte der Mann sprachlos sein Handy an, dann warf er es mit einem wütenden Schrei gegen die nächste Wand – wo es klirrend in seine Einzelteile zerbarst. Der Mann sank gegen die Wand gelehnt zu Boden und versteckte sein Gesicht in seinen Händen. Es war später Abend, und der Mann saß immer noch in einem Starbucks im Flughafen Tokio-Narita und starrte auf die Reste seines Frappuccino. Eigentlich war im original-italienischer Kaffee ja lieber, aber er hatte sich rasch irgendwo hinsetzen müssen, als er am Flughafen angelangt war. Sein Nervenkostüm war zurzeit nicht das Beste – und das war neu für ihn. Er hasste es, sein Leben nicht selbst kontrollieren zu können – etwas, was er bereits früh zu schätzen gelernt hatte und der Grund, weshalb er mit seiner Vergangenheit schon lange abgeschlossen hatte und nur noch in den Tag hinein lebte. Wesentlich sorgenfreier. Wesentlicher freier. Es war das einzige, was er von seinem Leben erwartete: Freiheit. Bisher hatte das ja auch alles ganz gut geklappt. Aber nun… der Junge brachte einiges durcheinander. Er hatte geglaubt, dass er das Problem gelöst hatte, als er den Jungen nach Italien geschickt hatte, aber nun musste er ihm hinterher reisen und damit… ironisch verdrehte er die Augen und murmelte:„Da seht ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor. Faust, der Tragödie erster Teil, erste Szene: Nacht, Goethe.“ Eine Frau, zwei Stühle neben ihm, sah zu ihm herüber, doch der Mann starrte schon wieder vor sich hin. Er saß gleich an der Glasfront des Starbucks und konnte so alle Menschen, die vorbeigingen, beobachten. Doch er beachtete sie nicht wirklich sondern hing eher seinen Gedanken nach. Die Stimme, die aus den Lautsprechern hallte, beachtete er kaum. „Letzter Aufruf…“ Er trank seinen Kaffee aus und verließ langsam und immer noch so in Gedanken das Café, dass er beinahe den Mülleimer neben der gelben Säule am Eingang umgerannt hätte und machte sich auf den Weg zum Schalter. Wie immer hatte er unter falschem Namen gebucht – er hatte seinen richtigen Namen schon so lange nicht mehr benutzt, dass es sich schon nicht mehr wie ein Name anfühlte. Namen waren Schall und Rauch – noch ein Zitat von Goethe, Dr. Faust schien es ihm heute angetan zu haben. Alsbald saß er dann in dem weiß-orangen Bus und da er der letzte Passagier gewesen war dauerte es auch nicht lange, ehe selbiger sich in Bewegung setzte. Er hatte den Flug sehr kurzfristig gebucht und deswegen den nächstbesten Flieger genommen, Alitalia, aber das war auch nicht schlecht, er hatte sogar noch ein Ticket erster Klasse bekommen können. Der Bus hielt, die Türen öffneten sich und die kalte Nachtluft ließ die Insassen frösteln. Diese strömten dann auch aus dem Bus. Der Mann blieb kurz stehen, ließ sich den Nachtwind um die Nase wehen. Die frische Luft tat ihm gut. Er blickte empor zu dem großen, weißen Flugzeug mit einem grünen Streifen quer über den Rumpf. Nur das Seitenruder war grün-rot und stellte somit das Logo der Alitalia Fluggesellschaft dar. Es gab kaum eine Fluggesellschaft, mit der er noch nicht geflogen war, immerhin führte sein Job ihn kreuz und quer durch die Welt und er sprach eine Menge Sprache fließend. Er hatte eigentlich nie eine richtige Schulbildung genossen, hatte immer wieder alles abgebrochen, war teilweise auch von einigen Schulen geflogen, was er wusste, dass hatte eher das Leben als die Schule ihn gelehrt. An Intelligenz mangelte es ihm sicherlich nicht. Wenn er heute sein Leben noch einmal leben sollte, dann würde er vielleicht eher zur Schule gehen – aber er hatte auch so das bestmögliche aus sich gemacht, was nicht leicht gewesen war, nicht, bei seiner Familie. Es war schwer gewesen, die Bande zu ihnen zu kappen und es war ihm auch nie ganz gelungen, aber er hatte mit dem Großteil seiner Vergangenheit abgeschlossen, er war so frei, wie man es in seiner Situation nur sein konnte. Er wollte es ja nicht anders. Er bestieg das Flugzeug, flirtete scherzhaft mit der Stewardess und sank dann in seinen Sitz. Ein Lob der ersten Klasse, der Flug dauerte immerhin mehr als fünfundzwanzig Stunden, auch, wenn sie einen zweieinhalb stündigen Zwischenstopp auf dem Flughafen in Los Angeles machen würden. Er lehnte sich zurück und war noch während der Sicherheitshinweise eingeschlafen. ~*~*~*~ Nach dem ersten Schock, Italiens‘ Hauptstadt Rom zu besuchen, versuchte der Junge das Ganze von der positiven Seite zu sehen. Er hatte schon immer mal nach Italien gewollt – Rom insbesondere. Die Umstände, freilich, waren nicht, was er sich von dieser Reise erhofft hatte, als er während Klausurphasen davon geträumt hatte. Die meisten seiner Mitreisenden träumten nun ebenfalls, aber dem Jungen selbst fiel es schwer, die Augen zu schließen. Immerhin drückten genug Sorgen sein Haupt. Eine vorbeikommende Stewardess bot ihm Erfrischungen an, doch er hatte einen derartigen Kloß im Hals, dass er befürchtete, nichts hinunter zubekommen. Unruhig starrte er aus dem Fenster, sie flogen seit einigen Stunden, er vermutete sie irgendwo über China, aber das war bloß eine Vermutung. Er wünschte, er hätte irgendetwas, um sich abzulenken, doch bei seinem überstürzten Aufbruch hatte er nicht mehr daran gedacht. Vielleicht wenn sie in London wären… dort würden sie immerhin viereinhalb Stunden einen Zwischenstopp einlegen – aber das dauerte ja noch… mehr als einen Tag Flugdauer… Warum war er in dieses Flugzeug gestiegen? Entnervt von seiner eigenen Rastlosigkeit fragte er sich bei einer Stewardess eine Beruhigungstablette und nachdem er selbige mit einem freundlichen Lächeln überreicht bekommen hatte spülte er sie rasch hinunter. Eine halbe Stunde später konnte er einschlafen. Als er erwachte stellte er erfreut fest, dass er die Nacht durchgeschlafen hatte. Der Blick aus dem Fenster war atemberaubend – Sonnenaufgang über den Wolken. Die Wolken leuchteten orange und alles erschien übernatürlich hell. Der Anblick war wahrlich traumhaft. Erst eine Stewardess lenkte ihn ab, als sie ihn fragte, ob er ein Frühstück wünsche. Er bejahte und fragte dann, wann sie in London landen würden. „Bald.“, sagte sie, „Gegen acht Uhr, glaube ich, der Pilot macht gleich eine Durchsage.“ Er nickte ihr dankend zu und trank dann seinen Orangensaft. Kurz darauf kam in der Tat die Durchsage, da bestrich er grade sein Brötchen mit Aprikosenmarmelade. Die Tablette war wirklich gut gewesen, er fühlte sich schon viel besser und leckte sich genüsslich die Marmelade von den Fingern. Rasch stand er auf, ging auf die Toilette um sich die Finger zu waschen, da sie klebrig von der Marmelade waren. Noch während er dastand und das kühle Nass über seine Hände floss sprach der Kapitän durch die Durchsage, alle Passagiere mögen sich auf ihre Plätze begeben und sich anschnallen. Rasch trocknete er seine Hände ab und huschte zurück auf seinen Platz. Dann begann der Landeanflug, erst nur bemerkbar an den Wolken, die näher kamen, ehe sie sie dann durchstießen. Der Junge lehnte sich in seinem Sitz zurück – und beugte sich dann wieder gespannt vor, als sie unter den Wolken auftauchten und London sich unter ihnen ausbreitete. Sie flogen den Flughafen London Heathrow an, einige Kilometer westlich von London. Ein wenig holperig setzten sie auf der Landebahn auf und rollten dann über die Landebahn. Nach und nach leerte sich das Flugzeug, der Junge ließ sich Zeit, er hatte nichts weiter vor – als knapp vier Stunden zu warten. Langsam schlenderte er durch den Flughafen, setzte sich in eine Buchhandlung und begann zu lesen – zum Glück war sein Englisch sehr gut. Das Buch schien gut zu sein und so kaufte er es. Und dann suchte er sich ein ruhiges Plätzchen, was bei diesem riesigen Komplex gar nicht mal so leicht war, und wartete. Nach zwei Stunden suchte er sich etwas zu essen und blieb so lange wie möglich sitzen um die Zeit irgendwie totzuschlagen. Es dauerte ewig, doch dann konnte er endlich in das weiße Flugzeug mit dem dunkelblauen Längsstreifen und den dunkelblauen Seitenruder mit der großen Aufschrift ANA, Kürzel der Fluggesellschaft All Nippon Airways, steigen. Als das Flugzeug abhob kam die Nervosität zurück, bald wäre er in Rom und immer noch wusste er nicht, was ihn dort erwartete. Er versuchte, seine Nervosität mit seinem neuen Buch beiseite zu schieben, doch es gelang nur mäßig. So kam es, dass er schon beinahe erleichtert war, als er, diesmal sehr sanft, auf dem Flughafen Rom-Fiumicino, benannt nach dem genialen Leonardo da Vinci, landeten. Seine Bewegungen waren wie taub, als er das Flugzeug verließ, den Bus bestieg und dann durch die Menschenmengen am Arrival schritt. Deswegen brauchte es eine ganze Weile, ehe er begriff, dass jemand seinen Namen rief. Überrascht hob er den Kopf – sollte zufällig ein Bekannter da sein? Doch nein… er kannte den Mann nicht, sah ihn aber dennoch fragend an. „I was told to drive you to your hotel.“, sagte der Mann mit einem starken italienischen Akzent. „Oh!“, machte der Junge erst einmal überrascht, fing sich dann aber. Er sollte nicht so überrascht sein, dass man sich um alles gekümmert hatte. „Grazie. Molto gentile.“, antwortete er und machte dem Italiener durch das Sprechen seiner Sprache eine große Freude. Dabei war sein italienisch nicht besonders gut, aber um sich durchzuschlagen genügte es. Er folgte dem Italiener durch den gläsernen Eingangsbereich und stieg in das draußen wartende Taxi. Italienisch-rasant begann die Fahrt und der Junge befürchtete schon, diese Taxifahrt sei sein Todesurteil, denn obgleich er viel davon gehört hatte wurde er nun zum ersten Mal mit dem italienischen Fahrstil konfrontiert – und der war noch schlimmer als sein Ruf. Doch nach vierunddreißig haarsträubenden Kilometern waren sie in der römischen Innenstadt angekommen. Von der ewigen Stadt hatte er dabei wenig gesehen, viel zu sehr hatte die Straße seine Aufmerksamkeit beansprucht. Immerhin war seine Nervosität nun wie weggeblasen. Mit Pudding in den Knien betrat er das Hotel, nannte seinen Namen an der Rezeption und bekam prompt einen Zimmerschlüssel ausgehändigt. Er nahm den Aufzug, betrat das Zimmer und sank ohne die luxuriöse Einrichtung eines Blickes zu würdigen auf das Bett und schlief, obwohl es erst früher Abend war, ein – es war ein anstrengender Tag gewesen und die nächsten Tage würden sicherlich das übrige tun, ihm den letzten Nerv zu rauben. Er hatte sich seinen Schlaf wohl verdient. ~*~*~*~ Juni 2007, Flughafen Rom-Fiumicino Es war mitten in der Nacht, dabei jedoch nicht kalt – es war ja Italien, am letzten Tag des Junis, mitten im Sommer. Der Mann durchquerte mit raschen Schritten den Flughafen Rom-Fiumicino. Sein Ziel war der U-Bahnhof, denn von dort fuhr alle halbe Stunde der sogenannte „Leonardo Express“ bis zum römischen Hauptbahnhof Roma Termini. Das Gute an diesem Express war, dass er nur über erste-Klasse-Wagen verfügte und somit einen adäquaten Ersatz für ein Taxi bot. Nach viertelstündiger Wartezeit fuhr der Zug ein, der Mann suchte sich einen Platz und eine halbe Stunde später war er am Ziel angelangt. Roma Termini war wie immer überfüllt, aber dem Mann machte das nichts aus. Er mochte Italien mit allen seinen Eigenarten. Aber im Augenblick war er einfach nur müde, durch die Zeitverschiebung waren es immerhin vier Uhr des Nachts und er sehnte sein Bett herbei – welches nicht zufällig im gleichen Hotel wie das des Jungen zu finden war. Jedoch tat er am nächsten Tag herzlich wenig um sich über den Jungen zu informieren – er schlief. Es war also ein warmer Julimorgen, an dem er begann, dem Jungen auf Schritt und Tritt zu folgen. Ziemlich schnell wurde dabei klar, dass der Junge offensichtlich noch nie in Rom gewesen war denn er klapperte sämtliche Touristenattraktionen und Monumente, die diese Stadt zu bieten hatte, ab – und das waren viele. Es war erst Mittag, und doch hatte er bereits auf der spanischen Treppe gesessen – woraufhin er den penetranten Blumengeruch nun nicht mehr aus der Nase bekam – sowie die Piazza del Popolo überquert und den Campo de‘ Fiori besucht. Auf eine gewisse Art und Weise war es beinahe süß, dem Jungen zuzusehen, denn seine Begeisterung bei jeder neuen Sehenswürdigkeit ließ auch den Mann schmunzeln. Der Junge verbreitete eine Fröhlichkeit, der man sich beinahe unmöglich entziehen konnte. Dass machte es nicht grade leichter, ihn töten zu müssen. Er wusste, er konnte nicht, aber er hatte doch noch nie jemanden nicht getötet und sein Gewissen drängte ihn dazu, es zu tun, bald zu tun. Er würde sich bald entscheiden müssen. Und er konnte doch nicht. Immer noch waren sie unterwegs, der Mann ein gutes Stück hinter dem Jungen, unbemerkt, was nicht schwer war, in diesen Menschenmassen. Allmählich aber wurde es lästig und der Mann kam zu dem Schluss, dass er etwas tun müsse – ob er den Jungen nun tötete oder rettete – irgendetwas musste geschehen, denn so konnte es nicht weitergehen. Somit fällte er seine Entscheidung. Und machte sich gleich an ihre Durchführung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)