In Between Dreams von Niekas (Drabbels zu verschiedenen Pairings) ================================================================================ Kapitel 2: Schach und Ponys --------------------------- (Hmm. FeliksToris hab ich doch am liebsten. Dass Feliks an einer oder zwei Stellen "Tak!" sagt, ist etwas, was mir auf Youtube bei polnischen Usern aufgefallen ist. Nur so als Anmerkung. Vorhang auf.) Die Sonne ging langsam am Horizont unter. Toris sah ihr zu, wie sie hinter den Bäumen versank. „Liet!“, erklang Feliks hellwache, durchdringende Stimme hinter ihm. „Reiten wir?“ „Es ist doch schon so spät“, erwiderte Toris und zog die Augenbrauen hoch. „Spät? Es ist doch erst halb zehn!“ Toris seufzte. „Ich bin ein wenig müde, Feliks. Können wir nicht einfach ein bisschen hier sitzen?“ „Ist das nicht irgendwie viel zu langweilig, Liet?“, schmollte Feliks, ließ sich aber neben ihm auf der hölzernen Terasse nieder. „Wieso? Es ist egal, was wir machen, Feliks. Hauptsache, wir sind zusammen.“ Feliks baumelte mit den Beinen. „Ich werde dir eine Geschichte erzählen, Liet“, verkündete er dann und Toris, der etwas ähnliches erwartet hatte, lächelte. „Also, sie geht so: Zwei Ponys gehen in eine Konditorei...“ „Liet?“, rief Feliks und betrachtete den Brief, der auf der Fußmatte lag. „Ja?“ „Komm mal.“ „Ich stehe noch unter der Dusche, Feliks. Ich komme gleich.“ Feliks griff nach dem Brief und betrachtete die Anschrift auf dem Umschlag. An seine Adresse, aber an Liets Namen adressiert. An seinen vollen Namen. Kam er von Eduard? Nein, der hätte eine E-mail geschrieben. Alfred? Hätte den Brief mit der Luftpost geschickt. Raivis? Konnte Raivis schon schreiben? „Liet? Kommst du?“ „Ich bin gleich fertig!“ Behutsam fuhren Feliks' Finger über die Buchstaben und urplötzlich erkannte er die Handschrift. Ihm wurde eiskalt. Hektisch riss er den Umschlag auf und zog das handbeschriebene Papier hervor. Der Brief war lang, doch er überflog nur die ersten Zeilen. Mein lieber Toris, ich vermisse dich... es ist so einsam ohne dich... willst du mich nicht besuchen kommen? Feliks biss sich auf die Lippe und riss den Brief in der Mitte durch, dann noch einmal und noch einmal, in immer kleinere Fetzen. Erst, als er nur noch winzige Schnipsel in den Händen hielt, atmete er auf. Er wusste genau, dass Toris nicht anders konnte, als Mitleid mit Ivan zu haben. Mit diesem Gedanken ging er in die Küche und ließ die Fetzen in den Mülleimer fallen. „Feliks?“ Erschrocken fuhr er herum, was Toris ebenfalls erschrecken ließ. Seine Haare waren noch feucht, seine Augen glänzten. „Wieso hast du mich gerufen?“, fragte er und lächelte. „Was ist denn los?“ „Gar nichts“, murmelte Feliks. „Überhaupt nichts.“ „Liet?“ „Hmmm“, machte Toris mit einer böse Vorahnung und zog sich das Kissen über den Kopf. „Machst du mir Pfannkuchen?“ „Was?“ „Du kannst doch Pfannkuchen machen“, sagte Feliks verschlafen und wandte ihm den Kopf zu. „Alfred hat's dir doch beigebracht, als du da warst.“ „Aber Feliks... es ist so früh...“ „Die Dinger isst man doch zum Frühstück, oder?“ Toris gähnte ausgiebig. „Ich bin so müde, Feliks. Vielleicht später.“ Feliks zog einen Schmollmund. „Das finde ich voll nicht okay, Liet! Wieso machst du mir keine Pfannkuchen? Magst du mich irgendwie nicht mehr?“ „Natürlich mag ich dich...“, sagte Toris müde, doch Feliks wich zurück und drückte sein Plüschtier als Schutzschild an sich. „Du magst mich total nicht mehr“, verkündete er missmutig. „Aber Feliks...“ „Pfannkuchen, Liet. Pfannkuchen.“ „Also gut, also gut!“, seufzte Toris und setzte sich auf. „Ich mache ja schon.“ Dabei hatte er nicht aufstehen wollen, aber nicht, weil er noch müde war. Er genoss es einfach zu sehr, neben Feliks zu liegen. Sie quetschten sich in die Bahn, zusammen mit anderen Einkäufern und Menschen, die vielleicht einen Stadtbummel unternahmen. Toris ergatterte einen Sitz in einem Abteil ganz hinten und Feliks ließ sich mitsamt der Einkaufstasche auf seinem Schoß nieder. Neben ihnen saßen zwei ältere Frauen und unterhielten sich. „Haben Sie das von dem Banküberfall gehört?“, fragte die eine die andere. „Schrecklich. Und von dieser Geiselnahme in, wo war das noch gleich?“ „Ja, alles ganz grauenvoll. Wieso gibt es nur so viel Böses in der Welt?“ „Genau das, genau das. Wo sind all die guten Menschen?“ „Entschuldigen Sie“, mischte Feliks sich ein und beugte sich grinsend vor. „Gucken Sie sich Liet hier an! Der ist zwar total kein Mensch, aber gut ist er auf jeden Fall!“ „Feliks...“, murmelte Toris und wünschte sich, vor Scham im Boden zu versinken, als die beiden Damen Feliks und ihn kritisch musterten. „Und die da habe ich“, sagte Feliks und deutete auf eine schon stark verblasste Narbe quer über seiner Brust. „Da hast du mich voll erwischt, als wir zusammen Schwertkampf geübt haben.“ „Das tut mir Leid“, sagte Toris und rutschte nervös hin und her. „Ach was, das ist doch ewig und drei Tage her“, winkte Feliks ab und zog sein T-shirt wieder zurecht. „Und was ist mit dir, Liet?“ „Wie, was ist mit mir?“ Ungeduldig schnalzte Feliks mit der Zunge. „Willst du mir nicht auch deine Narben zeigen?“ Toris senkte den Kopf. Nein, das wollte er nicht. „Narben sind was total aufregendes!“ „Jede Narbe ist ein Beweis dafür, dass jemand dir etwas Böses wollte“, murmelte Toris. Feliks schwieg einen Moment lang mit gerunzelter Stirn. „Aber du bist so lieb, Liet“, erklärte er dann nachdenklich. „Und du hast so viele Narben. Wieso will dir so oft jemand etwas Böses? Ausgerechnet dir?“ Ratlos zog Toris die Schultern hoch. „Wenn ich das wüsste, würde ich es dir sagen, Feliks.“ „Aber, Liet“, sagte Feliks, als sei ihm plötzlich etwas eingefallen, und legte einen Finger an sein Kinn. „Nicht alle Narben sind da, weil jemand dir was Böses wollte. Wie die, die du mir gemacht hast. Die war aus Versehen.“ „Richtig...“ „Hast du nicht vielleicht solche Narben, die du mir zeigen möchtest?“ Toris dachte nach, doch da war nichts. Feliks mochte Narben haben, die er „aufregend“ fand, doch er hatte keine. Alle seine Narben waren entstanden, um ihn zu verletzen. Seinen Willen zu brechen. Den Verursacher zu unterhalten. „Ich fürchte nicht, nein.“ Feliks legte den Kopf schief und kaute nachdenklich auf einer Haarsträhne, bevor sich sein Gesicht aufhellte. „Daran kann man ja was ändern, Liet!“ „Was? W-wie meinst du das?“ „Komm, lass uns rausgehen und Schwertkampf üben! Ich will eine Revanche für damals!“ „Oh, Feliks!“ Feliks zog das weiß-rote Haargummi zurecht, dass einen Teil seines Haars in einem kleinen Zopf zusammenfasste, und wartete. Der Zopf stand als Pinsel seitlich von seinem Kopf ab. Es sah drollig aus, fand er. Feliks mochte es, drollig auszusehen. „Verdammt, Liet! Wo bleibst du denn?“ Auf der Straße war weit und breit niemand zu sehen. Feliks schob die Unterlippe vor und baumelte mit den Beinen. Wenn er nun nicht kam? Wenn etwas dazwischen gekommen war? Wieso musste er eigentlich immer warten? All die Jahre hatte er gewartet, während Toris von hierhin nach dorthin gereist war oder verschleppt worden war. Er hatte zu Hause gesessen und gewartet. Eine einzelne Gestalt stieg die Treppe vom Bahngleis her nach oben. Aufgeregt ließ Feliks sich von der niedrigen Mauer plumpsen und rannte auf den Neuankömmling zu. „Liet! Da bist du ja endlich!“ Toris zuckte zusammen und ließ den Koffer los, der auf der letzten Stufe umkippte und die Treppe wieder hinunter krachte. Feliks ließ sich davon nicht beeindrucken. Er war zu sehr mit seiner Begrüßungs-Umarmung beschäftigt. „Feliks... ich wusste nicht, dass du mich abholen wolltest...“ „Klar wollte ich!“, sagte Feliks zufrieden, bevor er Toris los ließ. „Ich kann schließlich nicht ewig warten. Aber jetzt gehen wir zu mir!“ „Darf ich vorher meinen Koffer holen?“, fragte Toris ergeben. „Sicher darfst du“, erlaubte Feliks ihm großzügig. „Aber beeil dich, sonst wird dein Willkommens-Kuchen kalt, und das wäre total uncool!“ „TAAAAK!“ „Feliks...“ „Nimm das, und das!“ „...Feliks!“ „Und das! Ich habe gewonnen, und deine Hauptstadt ist Warschau.“ „Feliks!“, rief Toris und betrachtete das Durcheinander von Spielkarten auf dem Tisch zwischen ihnen. „Du kannst keine Acht auf zwei Buben legen!“ „Das hier ist mein Haus, da gelten meine Regeln!“, verkündete Feliks zufrieden und schlug die Beine übereinander. „Du hast verloren, aber du darfst die Karten aufheben.“ Toris seufzte und tat, wie ihm geheißen. Langsam fand er sich damit ab, dass man mit Feliks nur nach dessen Regeln spielen konnte (und diese liefen alle darauf hinaus, dass Feliks gewinnen musste). Aber immerhin war alles besser, als allein zu Hause zu sitzen... noch dazu bei diesem Wetter. „So ein blöder Regen“, sagte Feliks und krabbelte zum Fenster hinüber. „Da werden die Ponys ja total nass.“ „Ich habe nichts gegen schlechtes Wetter“, erwiderte Toris lächelnd und stapelte die Karten aufeinander. „Du weißt doch, die Felder brauchen Regen. Und man kann sich ja auch drinnen beschäftigen, nicht wahr?“ „Allerdings! Spielen wir noch eine Runde, Liet?“ „Von mir aus.“ „Aber nur, wenn ich gewinne!“ „Das ist eigentlich nicht im Sinne des Erfinders, Feliks...“ „Ich fange an!“ Es waren die kleinen Momente mit Toris, die ihm im Gedächtnis blieben. Der Regen, der aus seinen Haaren in sein lachendes Gesicht tropfte. Sein Niesen nach dem Aufwachen. Sein verwirrter Blick, als Feliks seine Dame beim Schach schlug (er hatte seinen Springer zum Pony digitieren lassen). Lauter kleine Situationen, die Feliks sich ins Gedächtnis rief, wenn Toris wieder einmal weit weg war und vielleicht genauso einsam wie er. „Es ist eine Schande“, sagte Toris, als Feliks den angebrannten Kuchen aus dem Ofen zog. Sie hatten nur ein wenig Schach gespielt und darüber vergessen, ihn rechtzeitig heraus zu holen. „Es ist eine Schande“, sagte Toris leise und strich beruhigend über Feliks' Rücken, als er um ein Pony weinte, sein liebstes, das als sehr altes Tier gestorben war. „Es ist eine Schande.“ „Liet“, sagte Feliks und Toris wurde sehr kalt. Etwas lag in Feliks' Blick, und es war nicht die mädchenhafte Schüchternheit, die er zur Genüge kannte. Es war Unsicherheit. Verständnislosigkeit. „Ich hab dich gesehen, Liet.“ „Was meinst du?“, fragte Toris leise, obwohl er es nicht wissen wollte. „Als du gebadet hast“, fuhr Feliks leise fort und tastete scheinbar unwillkürlich nach seinem Rücken. „Ach“, sagte Toris nur. Ängstlich sah Feliks zu ihm auf und biss auf seiner Lippe herum. Er fürchtete sich, dachte Toris, doch diesmal konnte er ihn nicht trösten. Er wusste sich selbst nicht zu trösten. „Geht das wieder weg?“ „Die Narben? Nein, die werden bleiben.“ „Für immer? Auch hundert Jahre lang?“ „Bis in alle Ewigkeit.“ Feliks nickte langsam und sah ihn nicht an. „Weißt du was, Liet?“, murmelte er. „Was?“ „Es ist eine Schande.“ „Ja“, sagte Toris sehr leise. „Es ist eine Schande.“ „Also ist es... tot?“ Feliks nickte nur. „Es war alt“, sagte er und wandte den Blick von dem viel zu leeren Stall ab, in dem gestern noch das sanfte, müde Pony mit dem weißen Maul gestanden hatte. „Wahrscheinlich war es besser so. Jetzt muss es nicht mehr leiden.“ Einen Moment lang schwieg Toris teilnahmsvoll. „Und jetzt?“, fragte er dann. Langsam kratzte Feliks sich am Kopf. „Die Schwarze kriegt ein Junges, glaub ich“, murmelte er. „Sie hier?“, fragte Toris und deutete auf das kleine, schwarze Pony in der Box nebenan. „Ja. Sie wird ein Fohlen kriegen.“ „Das ist doch schön“, sagte Toris und lächelte leicht. „Ja“, murmelte Feliks und strich über das Holz der Tür. „Das macht es einfacher.“ Schon wieder saßen sie im Zug, doch diesmal war kaum jemand außer ihnen im Abteil. Nur ein junger Mann, der sich im Kragen seiner Jacke vergrub und die Beine weit über den Gang streckte. „Also, auf geht’s, Liet“, sagte Feliks und rieb sich die Hände. „Bist du bereit?“ „Ich weiß nicht“, erwiderte Toris ausweichend. „Diese Konferenzen machen mich immer so müde...“ „Aber sie sind voll nötig, das weißt du doch. Sagst du immer.“ Toris zupfte an seiner Krawatte, die ihn unangenehm einschnürte. „Ja, schon.“ Feliks unterdrückte ein Gähnen und ließ den Kopf gegen die Schulter seines Freundes sinken. „Ist verdammt spät geworden gestern“, murmelte er. „Du warst es, der unbedingt noch Titanic zu Ende sehen wollte.“ „Ich musste doch aber noch gucken, ob der Typ am Ende überlebt! Ich habe voll mitgefiebert, Liet!“ Toris lachte leise. „Wie oft haben wir diesen Film schon gesehen?“ „Weiß nicht“, nuschelte Feliks und schloss die Augen. Der Zug fuhr weiter leicht ruckelnd über die Schienen. Feliks' Kopf rollte an Toris' Schulter hin und her. Es war nicht schlecht, hier zu sitzen, dachte Toris. Er wusste, dass sie beide zu dieser Konferenz gehen mussten, aber trotzdem... es wäre schöner, hier sitzen zu bleiben. Was, wenn die Bahn plötzlich eine Panne hätte und stehen bleiben würde... was, wenn... Ohne, dass er es bemerkte, fielen seine Augen zu und sein Kopf sank auf den von Feliks. „Liet, Liet!“ Seine Stimme schallte quer über den Platz, doch Toris schien nichts zu hören. Er unterhielt sich gerade mit zwei Polizisten, die ihn reichlich verwirrt ansahen. „Liet?“, fragte Feliks, trat näher und schlug ihm auf die Schulter, was nicht ganz einfach war, da Toris ein gutes Stück größer war als er. „Was hast du ausgefressen?“ Toris zuckte zusammen und sah sich um. „Was... oh, Feliks, du bist es.“ Ein Ausdruck der Erleichterung zog über sein Gesicht. „Ich habe dich gesucht...“ „Wieso warst du nicht an unserem Treffpunkt?“, fragte Feliks und runzelte die Stirn. „Wir wollten uns doch vor dem Park treffen, weißt du nicht mehr?“ „Natürlich weiß ich es noch“, erwiderte Toris, während die Polizisten ihn noch immer verwirrt ansahen. „Ich kenne mich nur nicht so gut hier aus, deshalb wollte ich mich durchfragen. Aber ich bin schon so lange nicht mehr hier gewesen, und meine Sprachkenntnisse...“ Feliks kicherte. „Was hast du sie denn gefragt?“ „Etwas wie... Sie können erzählen, wo Grün?“ Als Feliks in Gelächter ausbrach (auch die Polizisten schmunzelten), errötete Toris. „Ich habe mein Bestes gegeben“, verteidigte er sich schwach. „Klar hast du, Liet“, bestätigte Feliks und nahm seinen Arm. „Jetzt komm mit! Ich zeigen dir schon, wo Grün!“ „Steh auf, Liet!“, rief Feliks und zerrte an seiner Decke. „Mach schon!“ Toris gab ein verschlafenes Grunzen von sich. Er war ein Langschläfer, wenn er es sich leisten konnte, und normalerweise war Feliks es auch. Normalerweise. „Komm schon, Liet! Wir wollen doch im Baumhaus frühstücken!“ Ein leichtes Lächeln zog über Toris' Lippen. Die ganze letzte Woche lang hatten Feliks und er an dem Haus in einem Baum in Feliks' Garten gebaut, eigentlich kaum mehr als eine Plattform mit einer darüber gespannten Plane. Erst gestern waren sie mit den letzten Feinheiten fertig geworden, und Feliks hatte sofort den Entschluss gefasst, am folgenden Tag draußen zu frühstücken. Nun, das Wetter war jedenfalls nicht das schlechteste dafür. „Jetzt steh auf, Liet!“, erklang Feliks' ungeduldige Stimme, und bevor Toris ihn daran hindern konnte, hatte er ihm die Decke weggerissen. „Sonst müssen wir schon zu Mittag essen, bevor du wach bist!“ „Schon gut“, murmelte Toris und rieb sich die Augen. „Ich mache ja schon.“ Eine Viertelstunde später kam er aus dem Bad und gähnte, während Feliks schon an der Tür stand, einen voll gepackten Picknickkorb in der Hand. Er plauderte die ganze Zeit, während sie die Treppen hinunter stiegen und durch die Tür in den Garten traten. Als sein Blick allerdings auf den Baum fiel, verstummte er. Die Plane, die sie gestern noch so gut festgebunden hatten, war herunter gerissen. Die Trittbretter, die als Leiter an den Baumstamm hochführten, waren noch da, doch die Plattform selbst hatte sich halb gelöst und hing nur noch an ein paar Nägeln. Scheinbar hatte ihre Konstruktion dem Wind nicht standgehalten. Feliks ließ den Picknickkorb fallen und begann ausgiebig zu fluchen. Toris sagte nichts, stand nur da und spürte eine wohlbekannte Enttäuschung in sich aufsteigen. Er hatte sich schon zu oft auf etwas gefreut und es im letzten Moment zerstört werden sehen. „Wir können im Gras sitzen, Feliks“, sagte er nach einer Weile, nachdem sein Freund sich halbwegs beruhigt hatte. Feliks sah ihn missmutig an, doch dann nickte er. Also machten sie an diesem Morgen ein Picknick im Garten. Es war ein wunderschöner Tag und Toris nahm ein kleines Stück heruntergefallenes Holz und hob es als Andenken auf. Noch Jahre später brachte er es nicht übers Herz, sich davon zu trennen, obwohl er es nur ungern ansah. „Schau nur, Feliks“, sagte Toris leise und streckte die Hand nach oben. „Der Polarstern.“ „Der was?“, fragte Feliks, der auf einem Grashalm kaute. „Der Polarstern.“ „Was du alles weißt, Liet“, sagte Feliks und sah nach oben, wo am nachtschwarzen Himmel unzählige Sterne leuchteten. „Haben die alle Namen?“ „Ich weiß nicht. Da müsstest du Eduard fragen.“ „Och nee“, sagte Feliks und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Ich bin lieber mit dir hier, Liet.“ Toris lächelte auf diese unsichere Art, als wisse er nicht, ob Feliks das ernst meinte. Dabei meinte dieser es sehr ernst. „Bist du auch so müde wie ich, Liet?“ „Oh ja, ziemlich. Sollen wir bald gehen?“ Feliks kaute auf dem Grashalm und dachte darüber nach, als er auf der kühlen Wiese lag, mit Toris neben ihm. Seinem besten Freund. „Wieso bleiben wir nicht einfach hier liegen?“ „Hier?“ Toris lachte nervös. „Wir werden frieren.“ „Wenn es zu kalt wird, können wir immer noch nach Hause gehen“, murmelte Feliks und legte den Kopf an Toris' Schulter. „Gute Nacht, Liet.“ Er hatte halb erwartet, dass Toris noch etwas sagen würde, doch er tat es nicht. Stattdessen wurde sein Atem sehr ruhig und seine Augen, die sich kaum von den Sternen losreißen konnten, fielen langsam zu. Er war noch vor Feliks eingeschlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)