Geisterjagen für Anfänger von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 2: Liebster Nachbar --------------------------- Kapitel 2 Noch immer vollkommen durchnässt, stand Satori vor Kälte zitternd vor der Haustür eines mehrstöckigen Blockhauses, dessen fleckige und zerbröselnde Wände einen äußerst heruntergekommenen Eindruck erzeugten. Dieser Eindruck wurde nur noch weiter verstärkt durch die Tatsache, dass der Haupteingang vorne an der Straße mit schweren Holzbalken verriegelt worden war und man deshalb nur in das Haus gelangen konnte, indem man sich durch eine enge Seitengasse an vollgestopften Mülltonnen vorbei zwängte und dort die Hintertür verwendete. Als Geisterjäger wäre es für Satori viel zu einfach gewesen einen Schlüssel zu verlieren, schon allein bei dem Vorfall mit dem Brunnen wäre ihm ein Haustürschlüssel aus der Tasche gefallen. Aus diesem Grund stand Satori in einer dunklen Gasse und hielt, ungeduldig von einem Fuß auf den anderen tretend, die Klingel hartnäckig seit zwei Minuten gedrückt. Wenigstens hatte der Vermieter vor ein paar Monaten diese an der Hintertür installiert, so musste man nicht mehr vorne klingeln und dann nach hinten rennen. Die Installation selbst war heimlich über Nacht geschehen, denn den Vermieter hatte noch keiner der Hausbewohner zu Gesicht bekommen. Nach einer weiteren Minute wurde die Tür endlich geöffnet und ein junger blonder Mann in viktorianisch angelehnter Kleidung musterte Satori mit besorgten hellblauen Augen, die vor Unschuld fast schon zu schreien schienen. Er trat zur Seite um Satori Eintritt zu gewähren, strich sich über seine hellblaue Weste, zupfte die weiße Schleife an seinem Kragen zurecht und betrachtete dabei Satoris Wasser durchtränkte Klamotten. Mit sanfter, bekümmerter Stimme fragte er: "Was ist dieses Mal geschehen?" "In Brunnen gefallen", erwiderte Satori knapp, doch in einem Tonfall, der weniger schroff als sonst war. Sein jetziger Zustand war zwar Grund genug schlechte Laune zu haben, auch wenn der Scheck, den Frau Haltenhauen ausgeschrieben hatte, dies wenigstens teilweise wieder gut machte, aber der siebzehnjährige Rotschopf hatte schon am Tag seines Einzuges gelernt, dass es eine sehr schlechte Idee war, seinen harmlos erscheinenden Nachbarn Julien Rigot zu provozieren. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf zwang sich der zierliche Jugendliche seinen Nachbarn freundlich anzulächeln während er an ihm vorbei trat. Dieses Lächeln verschwand jedoch spurlos, als besagter Nachbar ihn am Arm packte und zu sich zog. "Du tropfst." "Äh... was?", fragte Satori perplex und folgte Juliens Blick, der fest auf den Boden gerichtet war und tatsächlich - Satoris durchnässte Kleidung hinterließ nasse Flecken auf den rissigen Fliesen. "Hast du irgendeine Ahnung, wie lange ich diesen Boden geschrubbt habe?" Juliens Stimme senkte sich zu einem verzweifelten Flüstern und sein rechtes Unteraugenlid begann auf verstörende Art zu zucken. "War das eine rhetorische Frage...?" "Zwei Stunden!", rief Julien, den Tränen nahe. Wütend riss er beide Arme nach oben und krisch: "Und du machst alles wieder dreckig!!!" Natürlich hätte Satori ihn jetzt darauf aufmerksam machen können, dass es nur Wasser war, doch er beschloss sich lieber es auszunutzen, dass Julien ihn nicht mehr festhielt. Wortlos drehte er sich um und hastete auf den Aufzug am Ende des Ganges zu, während sein Nachbar anfing laut wüste Beschimpfungen zu kreischen. Panisch betätigte er den Aufzugschalter und als die Türen sich endlich öffneten zwängte er sich innerhalb Sekundenschnelle in den engen Raum. Die Türen schlossen sich gerade noch rechtzeitig, dass die Vase, die Julien nach ihm schmiss - von der man wohl niemals erfahren würde, wo Julien sie auf die Schnelle gefunden hatte - an ihnen zersplitterte und nicht an Satoris Kopf. Der Aufzug setzte sich in Bewegung und Satori lehnte sich mit einem tiefen Seufzer zurück, erleichtert der Rache des schizophrenen Blondschopfes entkommen zu sein. Erst dann wandte der zierliche Jugendliche seine Aufmerksamkeit der Person zu, die sich zufällig auch im Aufzug befand. Wobei zufällig das falsche Wort wäre, da diese Person sich immer schon im Aufzug befand, wenn Satori diesen betrat. Egal um welche Uhrzeit. So unauffällig wie möglich schielte er zu der fast doppelt so großen und mindestens fünfmal so breiten Person neben sich. Die Masse des Aufzugsbelagernden Wesens füllte fast den gesamten Raum aus und drohte den schmächtigen Geisterjäger zu erdrücken. Doch dies war nicht einmal das, was Satori an seinem korpulenten Nachbarn am meisten ärgerte. Nein, was den Rotschopf noch viel mehr störte, dass wegen der aufgequollenen Gliedmaßen und in fetten Wangen versinkenden Knopfaugen einfach nicht das Geschlecht dieses mysteriösen Wesens feststellen konnte. Vermutlich würde diese Frage auch nie geklärt werden, genauso wenig wie die Frage nach dem Namen seines sich permanent im Aufzug aufhaltenden Nachbars, da dieser nie sprach und allgemein noch nie dabei beobachtet worden war, wie er irgendetwas anderes tat, als im Aufzug zu stehen und einen mit ausdruckslosen Augen anzustarren. Genauso wie er es jetzt auch tat. Schon nach mehreren Sekunden fing Satori an unruhig mit den Füßen am Boden zu schaben, immer nervöser werdend durch die erdrückende Stille und seines Nachbars stechendem Blick. Nervös lachte er. Der Nachbar starrte ihn weiter stumm an. Als sie im dritten und vorletztem Stockwerk angekommen und die Türen mit leichtem Stocken aufglitten, zwängte sich Satori an seinem Nachbarn vorbei und brachte erst einmal mehrere Schritte Sicherheitsabstand zwischen sie. Der Nachbar starrte ihn weiter an und als die Türen sich wieder schlossen ruhte sein Blick immer noch auf dem jungen Geisterjäger. Mit einem leichten Schaudern wandte sich dieser ab, nur um erschrocken zusammen zu zucken, als er sich nur wenige Zentimeter entfernt von einem farblosem Gesicht wiederfand. Dieses Gesicht gehörte einer jungen Frau, die ihn mit einem Blick musterte, der noch verstörender war, als der des anderen Nachbars, denn ihre hellen grauen Augen wirkten abwesend und seelenlos. Lange Strähnen, in einem ausgewaschenem Ton der nun gräulich wirkte, doch vermutlich einmal hatte grün darstellen sollen, fielen in ihr schmales Gesicht und verstärkten die Zombie ähnliche Aura, die das Mädchen verströmte. Dieser Eindruck wurde verfeinert durch ihre lockere, geduckte Haltung und der Weg, wie sie ihren Kopf hängen ließ, als ob ihr dünner Körper unter ihrem ausgewaschenem Top und den zerfetzten Jeans weder Knochen noch Muskeln besitzen würde. Die dunklen Flecken unter ihren Augen übertrumpften sogar Satoris Augenringe. "Du bist nass... wurdest du wieder geowned? Wayne, ich brauch' Kaffee zum Resurrecten - hast du im Inventar?", fragte sie in einem geistesabwesenden Tonfall. Satori, der zwar keine Ahnung hatte was sie gesagt hatte, aber zumindest das Wort Kaffee verstanden hatte schüttelte den Kopf. "Unserer ist auch leer, was du wissen solltest... da du ihn leergemacht hast. Schon mal daran gedacht, dir selbst Kaffee zu kaufen, Green?", erwiderte er schnippisch, woraufhin Green mit ihren herunterhängenden Schultern schlaff zuckte. "Kann doch net die Base verlassen... du siehst echt K.O aus... war es ein Big Boss oder hattest du einfach kein Mana mehr?" "Äh ja, so ähnlich", antwortete Satori, der schon vor Monaten aufgegeben hatte, dass merkwürdige Mädchen zu verstehen. "Ich muss dann mal weiter..." Schnell lief er zum Ende des Ganges und klopfte dort an die Tür. Nichts geschah, also klopfte er noch einmal. Da wieder nichts geschah, hämmerte er einfach so laut wie möglich gegen das Holz, bis die Tür endlich geöffnet wurde und ein großgewachsener Mann mit langen blonden Haaren ihm schläfrig entgegen blinzelte. "Satori...? Wie siehst du denn aus?", fragte er in seiner tiefen Stimme und schloss hinter ihnen die Tür, dabei seinen lilafarbenen Hexenhut zurecht rückend. Bissig murmelte Satori: "Immer noch besser als du!" Erschöpft ließ sich der rothaarige Geisterjäger auf den Boden fallen, dabei dutzende von Büchern, ungespülten Tellern und dreckigen Kleidungsstücken knapp verfehlend. "Wenigstens habe ich die Miete für diesen Monat zusammen", seufzte er und funkelte dann seinen Bruder beschuldigend an, doch Samael ließ sich davon nicht weiter beeindrucken und warf ihm gelassen ein Handtuch zu. Obwohl die beiden Geschwister waren, sahen sie sich nicht einmal im geringsten ähnlich. Satori war klein, während Samael hoch über den meisten türmte. Satori war rothaarig mit blasser Haut, Samael hatte blondes Haar und einen cremigen Braunton. Satori hatte orangefarbene Augen mit einem gelben Ring um die Iris, während Samaels Augen dunkellila waren. Auch von der Persönlichkeit her hätten sie kaum verschiedener sein können, denn der ältere Bruder war schweigsam und gefasst, also genau das Gegenteil von Satori, der immer am meckern und viel zu leicht provozierbar war. Stöhnend legte der junge Geisterjäger das Handtuch über sein Gesicht und schloss die Augen. "Mir tut alles weh... und ich muss echt mal unter die Dusche..." Unwillig richtete er sich auf und fragte seinen Bruder mit vorwurfsvollem Unterton: "Hattest du Spaß in der Uni, während ich beinahe umgekommen bin?" "So schlimm?" "Schlimmer." Auf diese Aussage hin zog der ältere Bruder eine Augenbraue fragend hoch, doch Satori murmelte etwas davon, dass er jetzt erst mal eine lange Runde Schlaf brauchte und torkelte dann, unter wehleidigem Ächzen, zu seinem Schlafzimmer. Mühselig zupfte er an seinen durchnässten Klamotten, die unangenehm an seiner Haut klebten. Er war gerade dabei auf einem Bein umher zu hüpfen, während er versuchte das andere aus dem Hosenbein zu befreien, als etwas Glänzendes aus seiner Tasche fiel und leise klimpernd auf dem Boden aufkam. Neugierig hob er es auf und erkannte es als den Ring, den er von der Geisterfrau erhalten hatte. Merkwürdig, er konnte sich gar nicht erinnern, ihn eingesteckt zu haben. Er war sicherlich schon viele Jahre alt und vielleicht sogar ein wertvolles Erbstück. Schulterzuckend legte Satori ihn auf den Nachttisch neben seinem Bett und beschloss ihn bei Gelegenheit Frau Haltenhauen zukommen zu lassen. Aber jetzt brauchte er erst mal Schlaf. Erschöpft legte der junge Geisterjäger in sein Bett um von einer Welt zu träumen, in der er sich nicht von Geistern beinahe umbringen lassen musste, um seine Monatsmiete zahlen zu können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)