Der Pfau von Phillia (Deutschland, das sind wir selber) ================================================================================ Kapitel 24: 24 - Zenzie und ihre Freunde ---------------------------------------- Das Licht war gedämpft und auf dem großen, massiven Mahagonitisch standen genügend Maß Bier, und das war das einzige, was wichtig war – die drei zum Tisch passenden Stühle waren nur Zierde, denn solange Bier vorhanden war, waren die Anwesenden mit einer Ausnahme glücklich. Zenzie blickte ihre beiden Gefährten streng an, während sie einige Dokumente auf dem hohen Tisch ausbreitete und kleinen elektrische Impulse zwischen den Tischbeinen umherhuschten. Zenz hatte die kräftigen Beine auf den Tisch abgelegt und kippelte mit dem Stuhl, während er seine Maß in der rechten Hand hielt und immer wieder daran nippte. Gedankenverloren blickte er an die rötliche Decke, die von feinen Adern durchzogen war und friedlich pulsierte. Das knappe Kleid Zentas hielt ihren üppigen Ausschnitt kaum unter Kontrolle, und ihre Brüste lagen geradezu auf dem Tisch. Wie immer hatte sie ihre Maß nicht angerührt; Bier war ekelhaft und nur etwas wie Spießer wie ihre Geschwister, sie selbst zog härtere Drogen als Alkohol vor. Sie hatte den Kopf auf ihrer rechten Hand aufgestützt und mit der anderen Hand ließ sie eine ihrer Haarlocken durch ihre Finger gleiten. Zenzie zog zielsicher ein Dokument aus dem Stapel neben ihrer eigenen Maß heraus. An der Wand hinter ihr hing der ausgestopfte Kopf eines Hirsches, auf dessen Geweih die kleinen Impulse herumkletterten und in unregelmäßigen Abständen hinunterfielen, direkt auf Zenzies rote Haare. Sie präsentierte ihren Kameraden das Dokument, auf das mit enger Handschrift ein komplex wirkender Plan geschrieben stand, und erläuterte den anderen knapp das Problem, das vor ihnen lag. „Wie ihr seht, haben wir Geburtstag, und ich habe eine kleine Geburtstagsfeier organisiert.“ Zenz lachte mit lauter, an den Wänden widerhallender Stimme. „KLEIN nennst du das, Schwesterlein?!“ Zenzie rollte mit den Augen. „Sie sind auch alle gekommen, diese Bundesländer. Nun, das Problem ist folgendes...“ Mit dem kleinen Finger deutete sie auf eine rot unterstrichene Zahl und tippte ein paar Mal dagegen. „... wir haben nicht genug Bier für alle Anwesenden.“ Zenta schnaubte höhnisch auf. Zenzie entschied sich, sie zu ignorieren; Zenz schlug entgeistert mit der flachen Hand auf den Holztisch, sodass durch die Erschütterung ein paar Impulse vom Hirschgeweih hinunterpurzelten. Seine Stimme war unglaublich laut und erregt. „Wir müssen neues bestellen!!“ Zenzie nickte ernst. „Das würde ich auch sonst sofort tun. Aber...“ Sie schluckte. „Wir haben hier draußen in Wiesenhausen kein Netz. Wir müssten nach Brannenburg reinfahren, um Nachschub zu besorgen. Da liegt der Hase im Pfeffer.“ Die anderen beiden nickten. Sie verstanden Zenzies Problem: man konnte diesen Kindergarten nicht einen Moment lang aus den Augen lassen, oder sie würden sich alle gegenseitig zerfleischen. Für Krisensitzungen wie diese konnten sie aus dem Vorteil schöpfen, dass Gedanken viel schneller als die Realität abliefen, aber die anderen Bundesländer auch nur für zehn Minuten allein zu lassen?! Undenkbar! Genauso undenkbar war es allerdings auch, die Gäste ohne Bier zu lassen. All die Weißwürste, die konsumiert wurden, weckten schließlich Durst, der gestillt werden musste. Sofort äußerte Zenz seine laute Meinung, dass keine Rücksicht auf Blutvergießen genommen werden dürfte und dass man eben Opfer bringen müsste – wenn das Bier ausginge, wäre das ein katastrophaler Super-GAU. Zenta konnte sich nicht entscheiden. Einerseits sollte man lieber bei den Gästen bleiben und vielleicht den einen oder anderen Herren überreden, mit ein paar grünen Scheinen auf den Heuboden zu kommen, am besten einen Herren mit ganz, ganz vielen grünen Scheinen. Andererseits war es auch gut, in dunkler Nacht auf dem holprigen Weg entlangzufahren und den einen oder anderen Brannenburger begrüßen zu können... In Denkerpose, noch immer mit den Brüsten auf dem Tisch und dem ihr gegenüber sitzenden Zenz tiefe Einblicke gewährend, runzelte sie die Stirn. Als sie sprach, war ihre Stimme dünn und lasziv, also in ihrem typischen Tonfall gehalten. „Ich denke, wir sollten unsere Augen auf den Bundesländern behalten. Und nicht nur unsere Augen...“ Sie lächelte. „Schwesterherz, die Natur hat uns solche großen Erhebungen gegeben, warum möchtest du sie nie zu deinem Vorteil einsetzen? Denk doch einmal an Hessen, mit all seinen hohen Wolkenkratzern und dem ganzen Geld...“ Sie seufzte entzückt. Zenzie schluckte angewidert und wandte sich ab; Zenz bekreuzigte sich murmelnd und wandte den Blick (mit etwas Mühe) von seiner Schwester ab. Zenzie stand auf und schnaubte. „Ich hätte es wissen müssen! Mit euch zu diskutieren bringt's nie! Zenta, du willst immer nur deine- deine- “ Eine flüchtige Röte legte sich auf die Wangen der Katholikin. „-deine verdorbenen-“ Zenta unterbrach sie mit einem Blick auf die schrill bunten Fingernägel, die dringend wieder manikürt werden mussten. „Ist ja gut, Schätzchen, du hast eben keinen Spaß im Leben, sterbende Jungfer.“ „Du sagst das, als wäre es etwas verwerfliches!! Ist ja wohl gerade das Gegenteil!!“ Zenzie blickte ihre Schwester mit einem Todesblick an, der nicht viel Erwiderung fand; Zenz hatte sich von den Frauen abgewandt und starrte mit glasigem Blick den ausgestopften Tierkopf an, das waren keine Gespräche, die sich gehörten. Er fragte sich, wo der Rest dieses Hirsches wohl war, und ob... hm... „Zenz!!“ Die Stimme seiner Schwester, mindestens ebenso laut und resolut wie seine eigene, holte ihn aus seinen Träumen zurück in die Realität und er nickte forsch. „Genau! Bier holen!!“ wiederholte er seine Meinung. Etwas verzweifelt blickte Zenzie Zenta an. „Wir sollten hier bleiben, für all diese Hengste... Stell dir das vor...“ Sie stand auf, trat hinter Zenzie und deutete nach vorne, wo nur sie eine strahlende Zukunft sehen konnte. „Stell dir vor... würden Hessen, Baden und Württemberg zusammenlegen für eine Nacht mit mir... das würden sie sicherlich tun... wir könnten sogleich ein eigenes Königreich gründen!“ Fauchend wie eine Wildkatze schüttelte Zenzie sie ab und stand ihrerseits auf. Zenz entschied sich, sich ebenfalls zu erheben und jeweils eine Pranke auf die Schultern seiner Schwestern zu legen, während er den Kopf schüttelte. „Bier.“ teilte er ihnen mit. Zenzie nickte, Zenta rollte mit den Augen. Zenzie beugte sich nach vorne und notierte einige kurze Sätze auf einem Stück Papier. „Sepp, bring das zur Zentrale!“ instruierte sie einen der kleinen Impulse, der flink von seinem Geweihspielplatz hinuntersprang, den Zettel an sich nahm und weghuschte, um den darauf geschriebenen Befehl auszuführen. Bayern verabschiedete sich bei den anderen Bundesländern für ein paar Minuten, um für Alkoholnachschub zu sorgen. Diese Ankündigung wurde von Applaus empfangen. Als sie wiederkehrte, war der Bauernhof, der das kleine Dorf ausmachte, in hellen Flammen, und neunzehn Bundesländer standen davor und blickten das Schauspiel fasziniert an. Bayern war nach Weinen zumute. Ein ekelerregender und gleichzeitig schmackhafter Geruch – eine verkohlte Mischung aus Weißwürsten, Alkohol und Holz – stieg gen Himmel. Niemand konnte im Nachhinein erklären, was passiert war, nur, dass Brandenburg ein Feuerzeug gehabt hatte und Nordrhein-Westfalen ein Stück Holz und da ganz viel Bier geflossen war. Zenzie schwor sich, bei ihrem nächsten Geburtstag auf Pils, Warsteiner, Bitburger, Hasseröder, Krombacher, Franziskaner, Erdinger und all ihre anderen Freunde zu verzichten. Ihr Entschluss wurde binnen einer einzigen Stunde zu Fall gebracht, nachdem ihr vom ortsansässigen, alten Bauern seine letzte Flasche angeboten worden war. Sie hatte sie mit ihm geteilt, und gemeinsam hatte man sich über all diese 'Norddeutschen, Ossis und Preißen' aufgeregt bis in die frühen Morgenstunden, und in Retrospektive musste sie zugeben, dass es einer der besten Geburtstage war, den sie jemals verlebt hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)