Der Pfau von Phillia (Deutschland, das sind wir selber) ================================================================================ Kapitel 11: 11 - Blauweiß II ---------------------------- Es gab beim Fußball drei Regeln: erstens, das Runde musste ins Eckige; zweitens, das Spiel dauerte neunzig Minuten; und drittens, wenn es einen Gewinner gab, gab es auch einen Verlierer. Die Regeln waren simpel und verständlich, und wenn man sich an sie hielt, stand einem spannungsgeladenen, aufregenden Spiel eigentlich nichts mehr im Wege. Die erste Regel erklärte sich von allein: gelangte der Ball in ein Tor, so wurde für die Mannschaft des Torschützen ein Punkt gezählt. Auch die zweite war relativ simpel zu verstehen: zwei Mal fünfundvierzig Minuten Spieldauer. Was die dritte Regel anging: wenn eine Mannschaft mehr Tore erzielte als die andere, so hatte sie automatisch gewonnen und die andere verloren, und wenn es zu einem Unentschieden kam, dann hatten beide Mannschaften weder gewonnen noch verloren, das hieß, es gab weder Gewinner noch Verlierer. Es war der letzte Spieltag in der zweiten Bundesliga, und es war auch das letzte Spiel der zweiten Bundesliga, denn es war Montag Abend. Der große Bildschirm im Wildparkstadion in Karlsruhe verkündete die Ergebnisse der anderen Mannschaften an diesem schicksalhaften Tag. Die Spiele waren vorüber, auch der KSC und sein Gast Hertha BSC hatten ihr Match beendet. In einer Fankurve standen Baden und Berlin, beide in blauweißen Klamotten, und synchron feuerten sie beide Mannschaften an. Allein dieser Umstand zeigte: Das war kein normales Spiel gewesen. Die Regeln hatte man außer Kraft gesetzt. Erstens: das Runde hatte nicht ins Eckige gehört. Das Spiel hatte Null zu Null geendet, und zwar nicht, weil eins der beiden Teams so schlecht gewesen wäre, sondern, weil man keine Tore hatte schießen wollen. Zweitens: es hatte keine neunzig Minuten gedauert, sondern dreiundneunzig, mit Verlängerung. Drittens: es gab an diesem Abend zwei Gewinner und keinen Verlierer. Beide Mannschaften standen an der Spitze der Tabelle mit der gleichen Anzahl an Punkten; nur die Anzahl der Siege und die Anzahl der geschossenen Tore unterschieden die beiden, aber es war unwichtig, wer auf Platz 1 und wer auf Platz 2 lag, zumindest für die beiden. Eine dritte Mannschaft war durch ihren Sieg am Vortag auf gleicher Höhe mit den beiden, aber durch das Unentschieden erhielten sie beide einen Punkt hinzu – und konnten beide sicher in die Bundesliga aufsteigen. Als der Schiedsrichter zum Spielende gepfiffen hatte – als klar geworden war, dass beide Mannschaften aufsteigen würde – da war das Stadion explodiert, und noch immer war es nicht zur Ruhe gekommen. Es war gerammelt voll mit einheimischen und mitgereisten Fans, die nicht mehr zu unterscheiden waren. Pures Glück spiegelte sich auf ihren Gesichtern wider, die Art von purem Glück, die in den nächsten Stunden nicht einmal durch den Tod der eigenen Mutter ankratzbar sein würde. Die beiden Mannschaften verabschiedeten sich ausgelassen, und nachdem sie in den Kabinen verschwunden waren, rannten Fans auf den Stadionrasen und umarmten sich, dankten sich, riefen sich Glückwünsche zu. Paul lief voran auf dem Weg hinunter in die kleinen Umkleideräume, wo sich auch Karl und Hertha befinden würden. Er war schon so oft in diesem Stadion gewesen, dass Maximilian ihm nicht zeigen musste, in welche Richtung er zu laufen hatte. Da war nicht einmal eine Kippe in seinem Mund, denn sie würde beim Jubeln stören. Die Tür der Umkleidekabinen öffnete sich und nachdem die beiden Bundesländer ihren Spielern beglückwünscht hatten, hielten sie die Augen offen nach den beiden Teams. Aber sie waren nicht bei den Spielern, sie waren nicht in den Duschen, sie waren nirgends zu finden. Ein etwas besorgter Blick wurde ausgetauscht, und man entschloss, doch lieber mit den Spielern zu feiern statt sich um die beiden Teenager Gedanken zu machen. Stunden später wankten Max und Paul vollkommen dicht durch die Straßen Karlsruhes und hatten mächtig viel Spaß. Sie wussten nicht, dass die beiden Klubs, die sie gesucht hatten, die ganze Zeit auf dem weichen Spielrasen des Stadions gelegen hatten. Die Sterne waren gut zu sehen in der Dunkelheit, die die Wildnis um das Stadion umgab, und sie erhellten den Platz gemeinsam mit den Flutscheinwerfern, die man angelassen hatte. Aber außer Karl und seinem besten Freund, seinem Gefährten, seinem Partner, seinem Geliebten war niemand mehr da. Sie taten nichts außer die Sterne anzusehen, ohne die Sterne zu sehen und ohne zu reden. Sie sahen sich in der Bundesliga, gemeinsam gegen den Rest, und sie sahen sich auf der Bergspitze des Erfolgs, und jeder der beiden sah, wie sie sich in der nächsten Saison in die Arme fallen würden, ungeachtet der Ergebnisse, ungeachtet aller äußeren Umstände. Denn sie waren wie das Meer und der Wind. Blau und weiß, blaues Meer, weiße Wolken, nicht voneinander zu trennen. Hertha blickte Karl in die Augen, blau traf auf blau, und sie mussten nicht miteinander reden. Nicht die beiden, denn für die beiden war Reden überflüssig, und auch Regeln waren überflüssig. Es gab nur drei Regeln, die der KSC und Hertha sich schweigend schworen, immer zu beachten: erstens, der Ball war rund und wird es immer bleiben; zweitens, sie wussten, wo des Schiris Auto stand; drittens, solange sie existierten, solange sie auch nur einen einzigen Fan in ihren Stadien hatten, würden sie immer zusammen gehören. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)