Der Pfau von Phillia (Deutschland, das sind wir selber) ================================================================================ Kapitel 5: 05 - Ohne Sorgen --------------------------- Die Tür krachte ein, denn Gilbert Beilschmidt trat ein, und es gab nur zwei Arten, wie Gilbert Beilschmidt einen Raum betreten konnte: durch das Dach, durch das Fenster oder durch eine durchbrochene Tür, und dieses Mal hatte es die bedauernswerte Tür getroffen. Die Sonne blinzelte durch die großen Fenster vom Schloss Sanssouci hinein. Preußen hatte gerade seinen monatlichen Besuch des Grabes vom Alten Fritz absolviert und hatte sich zu einem Bummel durch das alte Schloss entschieden. Sein kleiner Vogel war draußen auf den Bäumen vor dem Schloss und flirtete mit hübschen jungen Vogeldamen, Gilbert hörte seinen Gesang bis in den pompösen Raum herein. Das Leben schenkte dem vom Schicksal gebeutelten Gilbert einen ruhigen, angenehmen Tag. … Denkste. In einem Lehnstuhl am Fenster saß eine Frau, die Gilbert auf eine seltsame Art und Weise bekannt vorkam. Er erkannte innerhalb weniger Augenblicken, dass es sich um ein Bundesland handeln musste, genauso wie er bei anderen Nationen immer sofort erkannte, dass es sich um Nationen handelte. Aber dieses Weib hier, blonde Haare, ein Zopf mit Schleife – als wäre sie ein Teil von ihm, aber so fremd. Gilbert hatte keine Lust mehr, länger darüber nachzudenken, und stampfte direkt auf die Frau zu. Bevor er sie berühren konnte, schien sie ihn zu ahnen und drehte ruckartig ihren gesamten Körper um. „Gilbert?“ Ein erstaunter Ausruf. Scheiße, war das etwa Albrecht? Das musste Albrecht sein. Es war nicht seine Stimme, es war nicht sein Geschlecht (Gilbert war sich eigentlich recht sicher, dass er immer ein Kerl gewesen war) und Albrecht würde vor allem niemals ein Hochzeitskleid tragen, wie es diese Frau hier tat. Aber etwas sagte ihm, dass es sich um Brandenburg handelte, denn man lebte nicht Jahrhunderte mit einem Land zusammen, ohne es zu erkennen, auch, wenn es lächerlich aussah. „Albrecht? Was bist du denn für 'ne Tunte?! Und dann siehste auch noch so scheiße aus! Ehrlich ma, das sind ja mindestens dreißig Farben in deiner Fresse! Wenn-“ Mit einem lauten Klatschen war Brandenburgs starke Faust in Gilberts Wange gelandet und er stolperte zurück. WAS?! Seit wann tat Brandenburg das?! Brandenburg hatte sich ewig nicht mehr gegen ihn aufgelehnt, gegen den majestätischen Preußen! Aber er- sie- es folgte Gilbert mit einem überlegenen Grinsen auf dem Gesicht. Er blickte nicht, was hier abging. „Endlich, mein Lieber... Albrecht hat sich zu lang alles von dir und diesem Schwein Paul gefallen lassen!“ Hä, war das etwa nicht Albrecht?! Gilbert stolperte irritiert noch einen Schritt zurück und hielt sich die blutende Nase, denn der Schlag seines Gegenübers hatte dort ein paar Schäden hinterlassen. „Und wer bist du?“ fragte er die Fremde, die elegant ihr Haar über die Schulter warf, auf dass es nicht mit Blut verschmiert werden würde. „Albiline!“ Sie war stolz und schön. Aber Gilbert war noch stolzer, und natürlich noch schöner, denn er war Gilbert. Er hob seine Hände. „Komm näher und ich wisch dir die Schminke aus dem Gesicht!“ Mit seinen Fäusten natürlich. Gilbert hatte nämlich kein Problem damit, Frauen zu schlagen, solange er gewann. Nur Feiglinge wollten nicht gegen Frauen kämpfen. Da waren Funken in der Luft. Wenn das so weitergehen würde, dann die Elektrizität ausreichen, um ganz Berlin mit Strom zu versorgen. Grüne, in ihrer herablassenden Art beinahe arrogant wirkende Augen trafen auf ein eindeutig hochmütiges, rotes Gegenpaar. Bevor es jedoch zu einer ernsthaften Prügelei kommen konnte, kletterte jemand über die Überreste einer einst majestätischen Tür, die bald ersetzt werden müsste. Paula zwirbelte an ihrem Haar herum und balancierte eine Zigarette auf ihren Lippen. „Was jeht'n hier ab, habta 'n Date?“ Albiline blickte ihre Kollegin wütend an. Ein Date mit Gilbert – das war das Letzte, was sie wollte. Eher würde sie sich mit Steinen an den Füßen in einen ihrer Seen schmeißen, ehe sie sich mit diesem Vollidioten einließe. Und was Paula anging, so hatte sie auch noch ein Hühnchen mit ihr zu rupfen. Sie konnte sich nur nicht entscheiden, welches der anwesenden Länder zuerst ein ernsthaftes Gespräch mit ihr haben würde, ein sehr ernsthaftes Gespräch. Aber auch das wurde ihr verwehrt, denn dieser der Sonnenseite zugewandte Raum des Schlosses schien zum Versammlungsort der gesamten Nation zu werden. Auch Gilbert, der Paula angestarrt hatte, als wäre sie ein zehnäugiges Monster aus einer anderen Dimension, ließ den Blick zu dem neusten Neuankömmling schweifen und war erschüttert. Das ging hier also ab. Ludwiga kletterte gekonnt über die Überreste der Tür und packte Paula sogleich am Arm, damit sie sich weder Gilbert noch Albiline nähern konnte. Ludwiga, die hatte Gilbert schon einmal erlebt. Es war irgendein missglückter Zauberspruch gewesen... und er hatte sich tagelang um dieses ernste Mädchen kümmern müssen, brr. Privatdetektiv Beilschmidt zählte Eins und Eins zusammen. Alle waren sie zu Frauen geworden, nur er nicht. Ein richtiger Hahn im Gockel!! Ein breites, sehr breites Grinsen zierte sein Gesicht. Wenn er schon nicht die Welt erobern konnte, dann zumindest die Bundesländer! Ohne nachzudenken, schlang er einen Arm um Brandenburgs Taille und konnte sich kurz darauf über eine Beule und eine vor Wut schnaubende und kaum erkennbar rot angelaufene Albiline freuen. Ludwiga hatte schon mit solchen Verwicklungen gerechnet und seufzte. Irgendjemand hatte allen Bundesländern und ihm auf der letzten Versammlung etwas in ihre Getränke getan, denn am Morgen danach waren sie alle in vertauschten Geschlechtern aufgewacht. Unangenehm, aber nicht zu ändern. Er- Verzeihung, sie- musste sie jetzt alle einsammeln und ihnen das Gegenmittel geben, damit auch sie als Gesamtdeutschland wieder in sein richtiges Geschlecht zurückkehren konnte. Den Norden hatte sie schon fast durch, nur Mecklenburg-Vorpommern fehlte noch, und sie konnte sie partout nicht auftreiben. Dafür hatte sie hier in Potsdam gleich zwei Fliegen mit einer Klatsche geschlagen! Unauffällig ließ er eine kleine Pille in Paulas Mund verschwinden – denn Paula dachte an ihren Fernsehturm und war geistig kurz abwesend – und näherte sich dann wie ein Guerillakämpfer Brandenburg und ihrem Preußen. Nur keinen falschen Schritt. Sie wollte sicherlich nicht zurückkehren, wenn er die Selbstsicherheit, die Albiline aussandte, nicht falsch deutete. Glücklicherweise war sie damit beschäftigt, Gilbert, der absoluten Schwachsinn von sich gab, mit bösen Blicken zu bestrafen, und man konnte geradezu riechen, wie ihre Wut stieg. Es ging schnell und schmerzlos. Ludwiga hatte Albiline zu Boden gerungen und ihr die Pille in den Mund gesteckt. Ein paar Meter hinter ihr hustete Paula und Paul drückte seine Zigarette aus. Verwirrt und desorientiert blickte er sich um. Draußen piepste Gilberts Vogel erfreut und dieser grinste verstehend. Er und Ludwiga, die sich auf einen anstrengenden Tag im Süden vorbereitete – sie sah schon in Gedanken vor sich, wie Maximiliane Lulu an den Haaren ziehen würde und ein starker, riesiger, stämmiger Zenz mit seinem Frankenrechen vor ihm stehen würde und Deutschland den Eintritt nach Bayern verbieten würde – warfen sich tiefgehende Blicke zu; Gilbert warf ihm vor, die weiblichen Bundesländer wieder zurückzuverwandeln und Ludwiga warf Gilbert vor, ein Idiot zu sein, und damit wurden die beiden stehengelassen. Albrecht stand anstelle von Albiline auf und blickte irritiert von Ludwiga zu Gilbert zu Paul. Dann zuckte er mit den Schultern und begleitete Paul nach draußen. Er hatte eh noch ein wichtiges Gespräch mit ihm zu führen, die Gegend nördlich von Pankow war etwas verwildert, sie mussten darüber sprechen, und hoffentlich würde Paul einlenken und sich ein wenig darum kümmern. Wenn nicht, dann würde das Albrecht nicht wundern. Er hatte schon lange aufgehört, zu hoffen... aber eine leise weibliche Stimme in ihm wartete nur auf den Tag, an dem sie wieder ans Tageslicht würde treten können und gewissen Leuten in den Arsch würde treten können. Ein ruhiger, angenehmer Tag ging weiter, und die Frühlingssonne schickte ihre Strahlen auf die parlierenden Brandenburg und Berlin und das Grab von Friedrich dem Großen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)