Seven Ways to Perdition von NejiTen-Schreiber ([NejiTen]) ================================================================================ Kapitel 1: Ira/Zorn ------------------- Magie. Eine übernatürliche Macht, die so alt ist, wie die Menschheit selbst. Doch wer kann Magie definieren? Ist Magie letztendlich nur ein Aberglaube derjenigen, die versuchen eine übernatürliche Instanz für Fehler verantwortlich zu machen? Ist es reiner Hokuspokus mit dem versucht wird leichtgläubige Menschen zu täuschen? Oder leben wir tatsächlich in einer Welt der Magie, wo das Unmögliche möglich gemacht werden kann? Auf der Insel Nehalennia soll dieses tatsächlich wahr geworden sein. Die Insel Nehalennia – benannt nach einer germanischen Gottheit – wird seid Generationen von der Familie Hyuuga bewohnt. Einst soll die Insel ein Ort des Friedens und der Einkehr gewesen sein. Doch dann wurde sie von übernatürlichen Mächten heimgesucht – in Gestalt einer schönen Frau. Sie verzauberte die Männer des Hyuugaclans mit ihrem Charme und ihrer Anmut. So erlagen auch Hiashi und Hizashi Hyuuga, die Söhne des Oberhauptes, ihrer Schönheit. Doch waren die Zwillingsbrüder nicht bereit die Liebe der Schönheit zu teilen. So kam es dann, dass sie eine Entscheidung von ihr verlangten. Doch sie konnte keine Entscheidung treffen und schlug den Zwillingsbrüdern einen Handel vor. Sie würde denjenigen wählen, der seine hohe Position für sie aufgeben würde und mit ihr die Insel verließ, um sich auf dem Festland ein neues Zuhause zu suchen. Zwar liebten die beiden Brüder sie sehr, doch waren sie derart an ihren Luxus gewöhnt, den sie durch ihre hohe Stellung hatten, dass keiner von ihnen bereit war ihre Position für die Liebe und ein einfaches Leben auszutauschen. Als sie ihrer Angebeteten ihre Entscheidung mitteilten, geriet diese in Zorn. Denn sie sah, dass es in den Herzen der Brüder keine wahre Liebe gab, außer für sich selbst und ihren Reichtum. Zur Strafe legte sie einen Fluch auf die Familie Hyuuga. Von dem Tage ihrer fatalen Entscheidung an, solle die Familie Hyuuga für immer und ewig auf der Insel gefangen sein. Die einzelne Möglichkeit den Bann zu brechen, sei es die Quelle des Lebens zu finden… Stirnrunzelnd blickte Tenten auf die gerade verfassten Worte hinab. Das Ganze hörte sich an, wie ein Märchen aus einem Kinderbuch. Dabei sollte es doch packend, spannend und vor allem geheimnisvoll klingen. Ein Mythos aus der uralten Zeit. Doch zu etwas besserem als Märchengeschichten, war sie im Moment wohl nicht in der Lage. Was vermutlich daran lag, dass sie einfach nicht mit Elan und Eifer bei der Sache war. Doch wie sollte sie engagiert sein, wenn sie Geschichten für ein Käseblatt verfassen musste. Und mehr als ein Käseblättchen war „the mystical art“ wohl wirklich nicht. Doch leider arbeitete sie nun mal für eben jenes Blättchen. Also blieb ihr nichts anderes übrig als sich auf deren Niveau herab zu begeben. Und da war sie nun. Tenten Ama, kleine Brötchenverdienerin auf einer Fähre zu der Insel Nehalennia, auf der angeblich ein Fluch liegen sollte. Tenten ließ ihren Blick schweifen. In der Ferne konnte man bereits die Umrisse der kleinen Insel erkennen. Doch Tenten fühlte sich viel mehr vom Wasser, als vom Land angezogen. Das Meer unter ihr war wild und ungezähmt. Mehrere mittelhohe Wellen ließen die Fähre bedenklich schwanken. Doch Tenten machte das nichts aus, im Gegenteil. Es gefiel ihr. Sie mochte das Meer mit seinen vielen Stimmungen. Schon als Kind hatte sie es geliebt und sich immer gewünscht, am Meer zu wohnen. Und wo hatte sie stattdessen gelebt? Im schönen Bundesstaat Colorado. Natürlich war das Gebirge wundervoll. Aber dennoch hätte sie die Klippen Maines liebend gern gegen die Rocky Mountains Colorados eingetauscht. Aber ihre Familie lebte nun mal in Colorado. Und sie hätten es nie geduldet, wenn Tenten in den „Menschen verlassenen Staat Maine“ – wie ihre Mutter es nannte - gezogen wäre. Für sie war es immer eine Last gewesen eine Ama zu sein. Dieses ganze Etepetete-Verhalten, die ganzen Höflichkeitsregeln, die Kleiderregeln und Wohltätigkeitsbälle widerten Tenten an. Von daher war es schon ganz gut, dass sie aufgrund ihrer Arbeit viel reisen musste. So musste sie sich auch nicht das ständige Gemecker ihrer Mutter anhören, dass sie ihr Leben verschwendete. Sie sollte sich endlich einen anständigen Beruf suchen, sich anständig anziehen und sich einen anständigen Ehemann suchen. Anständig war das Lieblingswort ihrer Mutter. Tenten verabscheute es. Genau deswegen hatte Tenten auch immer das Gegenteil getan, was ihre Mutter wollte. Sie sollte elegante Kleider tragen, stattdessen trug Tenten ausgeblichene Jeans und T-Shirts. Sie sollte Ärztin werden, stattdessen wurde sie eine kleine Journalistin. Heiraten sollte sie, stattdessen genoss Tenten ihr Singleleben. Die Fähre hatte inzwischen ihr Ziel erreicht. Tenten verliebte sich sofort in die kleine Insel. Hohe, raue Klippen, an denen sich die Wellen brachen, kleine Sandstrände die zum verweilen einluden und eine Flora und Fauna, wie Tenten sie schöner niemals gesehen hatte. Fasziniert schritt Tenten den kleinen Steg hinab, sich ständig in der Gegend umsehend. Sie konnte nicht glauben, dass auf so einer schönen Insel ein Fluch liegen sollte. Und überhaupt – wer würde freiwillig ein solches Paradies verlassen? Diese unberührte Natur war einfach herrlich. Doch vielleicht sollte sie langsam ein Gasthaus aufsuchen, wo sie ihre Sachen unterbringen und sich ausruhen konnte. Jedoch konnte sie nirgends ein Gebäude entdecken. Worüber sie eben gerade noch entzückt war, beunruhigte sie nun doch ein wenig. Hier musste es doch irgendwo Häuser geben. Zumindest eine Touristeninformation oder etwas Ähnliches. Schließlich fuhr hier ja eine Fähre hin. Doch außer ihr waren nicht viele ausgestiegen, musste sie zugeben. Die meisten waren bereits auf einer der umliegenden Inseln ausgestiegen, auf denen die Fähre hielt. Und jetzt? Kopf hoch Tenten!, ermutigte sie sich selbst und straffte die Schultern. Dann wandte sie sich in Richtung Westen – zumindest vermutete sie, dass sie nach Westen ging. Nach circa zwei Stunden – die Tenten wie eine halbe Ewigkeit vorgekommen waren – sah sie ein Haus. Es war ein rustikales Natursteingebäude mit kohlrabenschwarzen Dachpfannen. Es stand sehr nah an den Klippen und es sah fast so aus, als wäre es mit den Zeiten aus Stein gewachsen. Das Haus schien ebenso natürlich wie die Klippen selbst. Einen Moment lang blieb Tenten fasziniert stehen. Doch dann wies ihr Magen sie durch ein Knurren darauf hin, dass sie schon lange nichts mehr gegessen hatte. Außerdem war sie müde von der ganzen Fahrerei. Also erklomm sie den steinigen Weg, der sie direkt zur Haustür führte. Eine Klingel gab es nicht, noch nicht mal einen Türklopfer. Tenten runzelte die Stirn. Dann beschloss sie einfach zu klopfen. Hoffentlich hatte sie Glück und man würde sie hören. Doch anscheinend wurde sie heute vom Pech verfolgt, denn niemand öffnete. Und nun? Sie konnte doch nicht einfach wie Schneewittchen das Haus betreten und sich in eines der Betten legen. Außerdem war sie Tür sicherlich verschlossen. Sie probierte es kurzerhand aus. Die Tür öffnete sich tatsächlich mit einem leisen Knarren. Unsicher steckte Tenten den Kopf durch die Tür. „Hallo? Ist da jemand?“ Sie trat einen zögerlichen Schritt vorwärts. Und machte dann einen erschreckten Satz zurück, als sie plötzlich in ein weißes Augenpaar blickte. Schwer atmend presste sie sich eine Hand aufs Herz. „Sie haben mich vielleicht erschreckt!“ Vorwurfsvoll sah sie den Mann vor sich an. Ein durchaus ansehnlicher Mann, wie sie feststellte. Trotz seiner lockeren Freizeitkleidung erkannte sie seine durchtrainierten Muskeln. Sein braunes langes Haar umrandete sein ovales Gesicht. Doch seine Augen waren irgendwie … anders. Dieses harte weiß mit einem Stich ins fliederfarbene war seltsam. Sie sahen aus wie ein getrübter Spiegel. Als sie realisierte, dass sie ihn anstarrte, räusperte sie sich. Der Mann der ihr gegenüber stand, hatte bisher noch keinen Ton gesagt. Er schaute sie einfach nur an. Und das nicht gerade freundlich. „Ähm… also, ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich einfach so ihre Tür geöffnet habe, aber Sie haben mein Klopfen nicht gehört und da dachte ich…“ „Da dachten Sie, sie könnten hier so einfach reinspazieren?“ Eis. Seine Stimme war pures Eis. Tenten erschauerte. „I-ich, nein, natürlich nicht! Ich wollte nur nachsehen, ob wirklich niemand da ist. Ich bin schon lange unterwegs und das hier ist das einzige Haus weit und breit. Da wollte ich die Hoffnung einfach nicht so schnell aufgeben.“ „Was wollen sie überhaupt hier? Das hier ist keine Touristeninsel.“ „Ich bin auch kein Tourist“, fauchte Tenten. So langsam wurde sie wütend. Musste der Mann denn so unfreundlich sein? Sah er denn nicht, wie zerschlagen sie war? Konnte er nicht wenigstens Mitleid mit ihr haben? „Was sind sie dann? Sie können wohl kaum zufällig auf die Insel gekommen sein.“ „Das bin ich auch nicht. Ich suche die Familie Hyuuga.“ Der Fremde verengte seine Augen zu Schlitzen. „Was wollen sie von uns?“ Auf einmal erhellte sich Tentens Gesicht. Vielleicht hatte sie doch nicht so viel Pech. War sie doch gleich bei den Hyuugas gelandet! Sie setzte ein gewinnendes Lächeln auf. „Mein Name ist Tenten. Ich habe ein wenig über ihre Familie gelesen, denn ich bin Journalistin und..“ BUMM. Fassungslos starrte Tenten auf die zugeschlagene Haustür. Sie brauchte noch einen Moment, bis sie realisiert hatte, was gerade geschehen war. Dann begann die Wut wieder in ihr aufzulodern. „HEY! Sie können mir doch nicht einfach die Tür vor der Nase zuhauen!“ Während sie sprach – beziehungsweise schrie – hörte sie, wie ein Schlüssel in einem Schloss umgedreht wurde. „Machen sie wieder auf!“ Wütend rüttelte Tenten an der Haustür, die sich keinen Millimeter öffnete. „Sie könnten mir wenigstens zuhören!“ Keine Antwort. Okay, dann musste sie eben zu einer anderen Methode greifen. Sie versuchte ihrer Stimme einen flehenden Klang zu geben (obwohl sein natürlich immer noch wütend war). „Bitte! Ich bin schon den ganzen Tag unterwegs, um von Colorado hierher zu kommen! Ich bin müde und würde mich gerne wenigstens einen Moment ausruhen.“ Wieder keine Antwort. Sie flehte, drohte die Haustür einzutreten, doch nichts half. Frustriert ließ sie sich an der Haustür hinunter sinken und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Dieser Kerl hatte kein Recht sie so einfach abzuweisen. Gut, sie hätte vielleicht nicht erwähnen sollen, dass sie Journalistin war, das war nicht sonderlich klug gewesen. Sicherlich reagierten nicht viele besonders erfreut darauf, wenn Journalisten in der Familiengeschichte gruben. Besonders wenn diese Geschichte kein Happy-End hatte. Seufzend sah Tenten zum Himmel auf, betrachtete die Wolken die vorbeizogen und schlang ihre Arme um den Körper. Es wurde langsam frisch. ~*~ Neji Hyuuga warf einen Blick durch das kleine Fenster neben der Tür. Sie saß also immer noch dort draußen. Nicht sein Problem, sagte er sich und ging in die Küche, wo er sich heißes Wasser für einen Tee aufsetzte. Während das Wasser kochte, dachte er über die Frau nach, die auf seiner Türschwelle saß. Eine Journalistin, die einen Artikel über seine Familie verfassen wollte, damit die ganze Welt erfuhr, wie die Familie Hyuuga sich von einer Frau hatte demütigen lassen. Zorn stieg in ihm auf. Sollte diese Frau doch da draußen erfrieren. Er würde sie garantiert nicht in sein Haus lassen. Das Haus gehörte nur ihm, es war sein Domizil, sein Besitz, sein einziger Ruheplatz. Und den wollte er sich sicherlich nicht nehmen lassen. Sie würde die Ruhe dieses Hauses zerstören, ihn mit zahllosen Fragen löchern. Fragen, auf die er keine Antworten geben wollte. Er wollte sich nicht zurück erinnern. Er hatte die Ereignisse in die hinterste Ecke seines Gehirns gedrängt und geglaubt, es überwunden zu haben. Doch nun kam diese Frau daher, die behauptete etwas über seine Familie zu wissen. Und alleine das reichte aus, um ihm alles wieder ins Gedächtnis zu rufen. Zum Teufel mit dieser Frau. Wäre sie nicht erschienen, hätte er nie mehr daran gedacht. Jedermann kann zornig werden. Das geht leicht. Aber der richtigen Person gegenüber zornig werden, im richtigen Maß, zur rechten Zeit, zum rechten Zweck und auf die richtige Weise - das liegt nicht in der Macht des Einzelnen.*1 Doch wem machte er eigentlich etwas vor? Er hatte die Ereignisse nie überwunden, sondern sie lediglich verdrängt, weil es so am einfachsten gewesen war. Die Vergangenheit verschwand nicht, nur weil man versuchte, nicht mehr an sie zu denken. Und nun war er wütend auf eine Person, die er noch nicht einmal kannte. Sie hatte die Erinnerungen geweckt, die eigentlich im Verborgenen bleiben sollten. Doch konnte er sie dafür nicht verurteilen. Irgendwann hätte ihn die Vergangenheit eingeholt. Warum also sollte irgendwann nicht jetzt sein? Es gab nicht den richtigen Zeitpunkt, um sich zurückzuerinnern. Um all die Gefühle wieder hochkommen zu lassen. Den Zorn, die Sünde ungezügelter Gefühlsregungen, die sich gegen seine Familie richtete. Die Wut, die Quelle heftiger Emotionen, die sich unkontrollierbar in ihm ausbreitete. Die Rachsucht, die Wurzel aus geschehenem Unrecht, die ihn von innen heraus auffraß. Und der Wunsch nach Vergeltung, um seiner Familie mit gleicher Münze heimzuzahlen, was sie ihm angetan hatten. Doch halfen ihm all diese Gefühle nicht weiter. Sie machten ihn nur verzweifelter, zerstörten ihn von innen heraus. Es waren Laster, die er mit sich herum trug. Und er wusste, dass wenn er diese Laster nicht in den Griff bekam, er irgendwann etwas Schwerwiegendes tun würde, was er später bereuen würde. Beispielsweise eine unschuldige Frau vor seinem Haus sitzen und halb erfrieren lassen. Und das nur, weil sie unangenehme Fragen stellen könnte, die seine Laster wieder hervorrufen könnten. Neji stützte die Hände auf die Arbeitsfläche und schüttelte den Kopf. Was war nur aus ihm geworden, in all der Zeit, wo er alleine lebte? ~*~ Die Tür öffnete sich und Tenten zuckte zusammen. Sie war in einen schlummerartigen Zustand gefallen. Durch den Schreck war sie für den Moment jedoch wieder hellwach. Ruckartig drehte sie sich um. Doch da war niemand. Hatte sich die Haustür von selber geöffnet? Das konnte jedoch nicht sein, da sie abgeschlossen gewesen war. Also musste Herr Hyuuga sie geöffnet haben. Hatte er es sich nun doch anders überlegt? Zögernd stand Tenten auf und betrat das Haus. Sie schloss die Tür hinter sich, stellte ihre mitgebrachte Reisetasche im Flur ab und sah sich um. Das Haus war innen ähnlich beeindruckend wie außen. Der Hauptraum war riesig, da er bis unter das Dach reichte. An sich war alles sehr schlicht und geradlinig. Keine Bögen, keine Rundungen und keine Verzierungen oder Accessoires. Blickfänger war ein wunderschöner Kamin aus Granit, vor dem Tenten, wenn sie hier gewohnt hätte, ein gemütliches Sofa mit Kissen platziert hätte. Stattdessen fand man in diesem Raum verschiedene Einbauregale, eine kleine Garderobe und zahlreiche Türen, die zu den Wohnräumen dieses Hauses führen mussten. Tenten begann einige Türen zu öffnen und kam zu der Überzeugung, dass der Mann hier alleine leben musste. Die edlen Designerstücke zeugten zwar von einem tadellosen Stil, doch es fehlte Tenten an Farben, an verspielteren Formen. Alles war so nüchtern und steril eingerichtet und Ton in Ton gehalten. Schwarz, grau und weiß waren die Farben, die dominierten. Es fehlte an Frische. Jedoch war alles in einem tadellosen Zustand und es war beinahe penibel sauber. Nicht ein Staubkorn war in diesem Haus zu finden. Als sie die dritte Tür öffnete, fand sie den Mann des Hauses. Er lehnte an einer Arbeitsplatte und sah stumm zu ihr herüber. Mit einem etwas mulmigen Gefühl betrat Tenten endgültig die Küche. Der Blick aus seinen Augen war ihr nicht ganz geheuer, doch sie konnte nicht die ganze Zeit im Türrahmen stehen bleiben. „Haben sie ihre Neugier befriedigt?“, fragte er plötzlich nach und Tenten musste sich beherrschen nicht zusammenzuzucken. Sein Ton war noch immer kühl. Außerdem war es ihr unangenehm, dass er wusste, dass sie sich umgesehen hatte. Aber was hätte sie auch anderes tun sollen? Stolz reckte sie das Kinn vor. „Ja, ich…“ „Ich habe Tee gemacht. Bedienen sie sich“, unterbrach er sie. Tenten nickte. Anscheinend wollte er keine Erklärungen oder Ausflüchte hören. Umso besser. Er reichte ihr eine Tasse und lehnte sich dann wieder an den Tresen. Tenten schüttete sich währenddessen etwas von dem Tee ein, den sie dringend nötig hatte. Ihr war immer noch kalt. Nippend genoss sie das heiße Getränk. Dann sah sie wieder zu dem fremden Mann. „Darf ich mich setzen?“ Sie deutete auf einen der Stühle, die um einen kleinen Küchentisch platziert waren. „Nur zu. Mich wundert, dass sie überhaupt fragen.“ Tenten setzte sich, straffte die Schultern und sah ihn wütend an. „Hören sie mal, eigentlich ist es überhaupt nicht meine Art mir irgendwo unbefugt Eintritt zu verschaffen. Aber ich bin müde, da ich schon seid vier Uhr heute Morgen unterwegs bin. Ich war verzweifelt, als keiner auf mein Klopfen antwortete. Denn das hier scheint das einzige Haus in der Umgebung zu sein.“ „Es ist das einzige auf dieser Insel. Aber das sollten sie doch eigentlich wissen, oder? Ich dachte, sie wären über die Insel und meine Familie informiert. Schließlich wollen sie doch eine große Story herausbringen, oder nicht?“ Schuldbewusst senkte Tenten den Kopf. „Ich sollte es eigentlich, da haben sie Recht. Natürlich habe ich mich informiert, aber anscheinend wohl nicht gut genug.“ „Und? Wollen sie gar nicht nachfragen, was an all den Dingen wahr ist, die sie gelesen haben?“ Sie sah wieder zu ihm auf. „Ich will sie nicht gleich mit Fragen bombardieren. Vor allem nicht, da ich mehr oder weniger auf ihre Gnade angewiesen bin, da sich auf dieser Insel nur ihr Haus befindet.“ Neji hob die Augenbrauen und musterte die Frau genauer. Obwohl sie ziemlich geschafft aussah, hielt sie sich aufrecht. Das gefiel Neji. Ihm fiel auf, dass sie weder Make-up, noch Schmuck trug. Zudem war sie auch kleidungsmäßig nicht besonders herausgeputzt. Sie trug eine modisch verwaschene Jeans und dazu ein weißes T-Shirt und eine schwarze Sweatshirtjacke. Er ließ den Blick zu ihrem Gesicht wandern. Das ausdrucksvollste waren ihre haselnussfarbenen Augen, die ihn misstrauisch musterten. Ihr Haar, welches dieselbe Farbe hatte wie ihre Augen, hatte sie zu zwei Knoten hochgebunden. Ihre Gesichtsform war eher rund, als eckig. Dennoch wirkte ihr Gesicht nicht zart. Dafür waren ihre Augen zu ausdrucksvoll, der Zug um ihren Mund zu hart. Anscheinend war sie sauer, dass sie freundlich zu ihm sein musste. Das erfreute ihn, denn er war auch nicht gerade begeistert über ihr Zusammentreffen. Doch wie auch immer seine Reaktion vorhin ausgefallen war und wie kalt ihn die Leute auch bezeichnen mochten, herzlos war er nicht. „Sie können hier bleiben. Aber sie müssen mit dem Sofa vorlieb nehmen.“ Tenten hätte nicht einmal mit so viel gerechnet. Sie hätte es ihm durchaus zugetraut, dass er sie wieder raus in die Kälte schickte. Doch anscheinend hatte sie ihn falsch eingeschätzt. Daher schenkte sie ihm nun ein kleines Lächeln. Ihr Zorn verrauchte so schnell, wie er gekommen war. Es lag nicht in ihrem Wesen lange zornig zu sein. Es explodierte eher in ihr und legte sich dann schnell wieder. „Danke, das reicht mir schon. Sehr nett von ihnen.“ Neji runzelte die Stirn. „Ich bin kein netter Mann. Das sollten sie sich gleich merken. Ich werde sie weder bewirten, noch werde ich irgendwelche Fragen beantworten, um meine Lebensgeschichte am nächsten Tag in irgendeinem Käseblatt zu lesen. Ich rate ihnen gleich hier nicht herum zu schnüffeln, denn sie werden nichts finden. Für die heutige Nacht können sie bleiben. Mehr kann ich ihnen nicht anbieten. Eine Decke und ein Kissen finden sie auf dem Sofa.“ Und mit diesen Worten verschwand er aus der Küche und ließ eine sprachlose Tenten zurück. ~*~ Tenten hatte beschlossen sich nicht mehr über das Verhalten des Hyuugas zu ärgern. Sie musste ihn ja auch nicht mögen. Sie musste nur eine Story über seine Familie schreiben. Und zum Teufel sie würde diese Story schreiben und sie würde sie gut schreiben. Nein, besser als gut. Sie würde fantastisch werden, nur um es diesem eingebildeten Hyuuga heimzuzahlen. Zufrieden mit ihrem Plan schlug Tenten zwei Eier in eine Pfanne. Dann begann sie nebenbei etwas Brot zu toasten und sich darüber Gedanken zu machen, wie sie am besten etwas aus dem sturen Hyuuga herausbekommen konnte. Als ihr Plan stand, begann Tenten zu summen, während sie das Frühstück anrichtete. Neji roch das Frühstück bereits von weitem. Es waren die Gerüche seiner Kindheit. Gebrutzelter Speck, getoastetes Brot, gebratene Eier, frischer Kaffeeduft. Und gerade weil es ihn an seine Kindheit erinnerte, wurde er wieder wütend. Mit dem Ziel Tenten zur Raison zu bringen, betrat er die Küche – und erstarrte. Da stand sie, lediglich mit einem übergroßen T-Shirt bekleidet am Herd und wendete den Speck, während sie fröhlich sang. Sie hatte eine schöne Stimme, doch das minderte nicht im Mindesten seine Verärgerung. „Was machen sie da?“, stieß er deswegen unwirsch aus. Tenten drehte sich schwungvoll um. „Frühstück!“, meinte sie strahlend und stellte die Pfanne mit dem kross gebratenen Speck auf den Tisch. „Ich wusste nicht, wie sie ihre Eier mögen. Ich mag es gerne, wenn das Eidotter noch flüssig ist. Ich kann es aber gerne für sie noch einmal von der anderen Seite braten, wenn ihnen das lieber ist.“ „Warum machen sie überhaupt Frühstück?“ „Sie haben doch gestern gesagt, dass sie mich nicht bewirten. Und irgendwas muss ich ja essen. Und als Dank für die Unterkunft habe ich für sie gleich etwas mit gemacht.“ Darauf wusste Neji erst einmal nichts zu sagen. Schweigend setzte er sich an den gedeckten Tisch. „Kaffee?“ Er nickte. „Schwarz?“ Wieder ein Nicken. Nachdem sie ihnen beiden eingeschenkt hatte – wobei sie ihrem Kaffee noch Zucker und Milch hinzufügte – setzte auch sie sich an den Tisch. „Guten Appetit.“ „Sind sie sicher, dass das Essen kein Bestechungsversuch sein soll?“, fragte Neji misstrauisch nach, häufte sich aber etwas von den Speisen auf seinen Teller und begann zu essen. Tenten ihrerseits lachte. „Nein. Es soll einer sein. Und, funktioniert es?“ Neji zuckte nur mit den Schultern und beschäftigte sich weiter mit seinem Essen, während Tenten schnell und heimlich unter dem Tisch ihr Aufnahmegerät einschaltete. „Ich weiß, die möchten, dass ich ihnen keine Fragen stelle, aber dürfte ich wenigstens ihren Vornamen erfahren?“ „Neji.“ „Ah, ein schöner Name.“ „Hn.“ Der Kerl war wirklich ein harter Brocken, doch Tenten gab nicht so schnell klein bei. Sie wollte wieder etwas sagen, doch zu ihrer Überraschung hob Neji doch die Stimme. „Und wie heißen sie mit Nachnamen? Sie haben mir nur ihren Vornamen genannt.“ Das war ihm also aufgefallen. Tenten biss die Lippen zusammen. Doch sie wusste, wenn sie etwas von ihm erfahren wollte, musste sie offen sein. „Mein Name ist Ama. Tenten Ama.“ Überrascht blickte Neji auf. „Ama? Wie die Modemarke?“ Tenten seufzte. „Ja, leider.“ „Ist es nur Zufall, dass sie diesen Namen tragen, oder sind sie mit Rei Ama, der Gründerin, verwandt?“ Neji hielt es für einfacher sie mit Fragen zu löchern, als umgekehrt. „Sie ist meine Mutter.“ „Und dann sitzen sie hier um mich nach einer alten Legende zu fragen, anstatt Modekataloge durchzusehen?“ Tenten straffte die Schultern. „Ich gehe lieber meinen eigenen Weg, außerdem…“ Ehe Tenten es sich versah, war sie diejenige, die ins erzählen kam und über ihr Leben berichtete. Über das Leben in Colorado und ihre zugedachte Rolle, die sie nicht hatte spielen wollen. „Tja, jetzt kennst du also meine ganze Lebensgeschichte“, sagte Tenten und lächelte. Während ihres Monologs war sie irgendwann automatisch zu der persönlicheren Anrede gewechselt. „Und als Gegenleistung verlangst du nun meine?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe dir meine Geschichte freiwillig erzählt. Das erfordert keine Gegenleistung. Aber ich kann nicht leugnen, dass ich an deiner Geschichte interessiert bin. Nicht nur beruflich. Was mich besonders interessieren würde, wäre was es mit diesem Fluch auf sich hat.“ „Das ist alles Humbug. Ammenmärchen. Es gibt keinen Fluch.“ „Und dennoch lebst du hier. Alleine.“ Das war keine Frage gewesen, doch Neji antwortete trotzdem: „Ja, aber nicht wegen eines Fluches.“ Einen Moment herrschte Schweigen. Tenten war klug genug, nicht sofort nachzufragen. Umso mehr man versuchte in Neji zu bohren, desto mehr verschloss er sich, das hatte sie in dieser kurzen Zeit bereits herausgefunden. Stattdessen nippte sie an ihrem Kaffee. „Der Legende nach soll Kaori Nanami eine Hexe gewesen sein, die meinen Vater, seinen Bruder und den ganzen Hyuugaclan verzaubert hat. In Wahrheit war sie aber eine ganz normale Frau“, begann Neji zögernd zu erzählen, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Seine Worte schienen plötzlich aus ihm heraus zu dringen, wenn auch zunächst zögerlich. „Sie war eine Schönheit. Und sie war sehr intelligent. Eine gefährliche Kombination, die alle Männer auf dieser Insel faszinierte. Natürlich waren den Männern des Hyuugaclans schöne Frauen nicht unbekannt, doch schien Kaori Nanami etwas Besonderes an sich zu haben. Sie war anders erzogen als die Hyuugafrauen. Sie war offener, redseliger, tollkühner und brachte mit ihrer Fröhlichkeit neues Leben auf die Insel, auf der vorher ein sehr trister Alltag geherrscht hatte. Sowohl mein Vater, als auch mein Onkel verfielen ihrem Charme und begannen um sie zu werben. Sie ging auf dieses Werben ein und traf sich abwechselnd mit beiden Männern.“ An diesem Punkt brach Neji ab und starrte auf seine mittlerweile leere Kaffeetasse. Tenten erhob sich, um ihm das warme Getränk nachzuschütten. Während die einschenkte, fragte sie im sanften Tonfall: „War das ihr Vergehen? Das sie beide verführt hat?“ „Nein. Aber sie hätte sich für einen entscheiden müssen und nicht mit den Herzen beider spielen sollen.“ „Sie war anscheinend nicht in der Lage sich zu entscheiden. Sie hat beide geliebt.“ „So war es wohl. Aber dennoch hat sie das ganze Unheil herauf beschworen. Wäre sie nicht so schwach gewesen eine Entscheidung zu treffen, wäre das ganze nicht in diesem Desaster geendet. Stattdessen stellte sie die beiden vor die Wahl: Wer bereit war mit ihr die Insel zu verlassen, den würde sie wählen und ihm ihre alleinige Zuneigung schenken.“ „Aber keiner der beiden entschied sich für sie.“ „Nein. Die Insel ist seid Generationen der ganze Stolz der Hyuuga. Hier unterstanden sie keinem König, keinem Herrscher und auch keiner Politik. Auf dieser Insel hatten sie ihre eigene Macht, ihr eigenes Imperium.“ „Und diese Macht wollten sie nicht verlieren. Also entschieden sie sich für die Insel, statt für sie. Das hat sie sicherlich verletzt.“ „Natürlich. Sie war außer sich vor Trauer und Zorn und verließ fluchartig die Insel, doch nach ein paar Jahren kam sie zurück.“ Tenten riss überrascht die Augen auf. „Sie kam zurück? Warum das?“ Neji ballte die Fäuste. „Wegen mir.“ Tenten brauchte einen Moment um das Gesagte zu verdauen. „Sie war schwanger?“, brachte sie schließlich heraus. „Als sie die Insel wieder betrat, hatte sie mich bereits geboren. Doch sie hatte nicht genügend Geld, um mich zu versorgen. Deswegen kam sie zurück, um den Clan um Hilfe zu bitten. Es war klar, dass einer der beiden Zwillingsbrüder der Vater sein musste. Doch es war nicht ersichtlich, wer von den beiden der Vater war. Vaterschaftstests gab es zu dieser Zeit noch nicht. Die beiden stritten sich wie nie zuvor, doch letztendlich kamen sie zu der Übereinkunft, sich beide um mich zu kümmern. So sollten wir eine große, schöne Familie sein.“ Nejis Stimme klang bitter, was Tenten verwunderte. „Was ist denn so schlimm daran?“ „Nichts. Daran war nichts verkehrt. Aber das meine Mutter bald wieder schwanger wurde, das war verkehrt.“ Nejis Stimme verwandelte sich von Bitterkeit langsam in Zorn. „Und dieses Mal war es klar, wer der Vater war, denn Kaori Nanami hatte nur mit meinem Onkel geschlafen, während mein Vater sich um mich kümmerte.“ „Dein Onkel und deine Mutter haben deinen Vater hintergangen?“, fragte Tenten entsetzt nach. Schon lange nicht mehr, dachte sie an ihre Story. Das Tonband, das immer noch mitlief, war vergessen. Nejis Erzählungen hatten sie viel zu sehr gefesselt. Nun hörte sich das ganze nicht mehr wie ein Märchen an. Eher wie eine Misere, oder eine ziemlich schreckliche Seifenoper. „Ja.“ Neji stand auf, nicht fähig nun noch sitzen zu bleiben. Immer mehr steigerte er sich nun in seinen Zorn hinein, während er weiter redete: „Und nicht nur das. Als sie wusste, dass sie schwanger von meinem Onkel war, flehte sie ihn an zusammen mit ihr und ihrem ungeborenen Kind die Insel zu verlassen. Und sie erreichte ihr Ziel. Es liegt also kein Fluch auf dieser Insel, der alle Hyuugas daran hindert die Insel zu verlassen, denn mein Onkel konnte sich bequem verabschieden und meinen Vater mit all der Verantwortung zurücklassen. Und mit einem Kind, von dem er noch nicht mal wusste, ob es wirklich sein eigenes war. Und so zog er mich alleine groß, nur mit Hilfe von ein paar Dienstboten. Kein Wunder, dass er anfing eine bipolare Störung*2 zu entwickeln, die ihn immer mehr zerstörte. Kurz vor seinem Tod habe ich einen Vaterschaftstest machen lassen, der herausfand, dass ich tatsächlich sein Sohn bin. Doch was spielte das letztendlich noch für eine Rolle? Kaori und mein Onkel hatten ihn alleine zurückgelassen und ihn noch nicht einmal besucht, als er im Sterben lag. Die letzten Bitten meines Vaters waren es, mich um diese Insel zu kümmern und meinem Onkel nicht zu grämen. Aber wie könnte ich das nicht tun? Was für einen Grund sollte es geben, ihn nicht zu hassen, nach allem, was er mir und meinem Vater angetan hat?“ Er drehte sich zu Tenten um und der Zorn stand in seinem Gesicht geschrieben. Tenten selbst erschreckte dieser umfassende Zorn, auch wenn er nicht gegen sie, sondern gegen Nejis Mutter und seinen Onkel gerichtet war. Dennoch versuchte sie einen klaren Kopf zu bekommen, was ihr leichter fiel als Neji, da sie nicht persönlich in die Angelegenheit involviert war. „All die Jahre lebst du nun hier, so wie es dein Vater es von dir erbeten hat. Doch es lag sicherlich nicht in seinem Interesse, dass du dich hier verschanzt und deine Rachsucht und der Wunsch nach Vergeltung immer größer wird.“ Neji vergrub die Hände in seinen Hosentaschen. „Was weißt du schon?“ „Sicherlich weiß ich nicht alles. Aber man brauch ein kein Genie zu sein, um zu sehen, dass dein Zorn dich von innen heraus auffrisst.“ „Und was soll ich deiner Meinung nach dagegen tun? Ich habe versucht es zu kontrollieren und eine Zeit lang ist es mir auch recht gut gelungen. Aber es wird nie ganz verschwinden.“ „Du hast nicht dagegen gekämpft, du hast es verdrängt. Das ist ein Unterschied.“ Neji funkelte Tenten an. Der Zorn begann sich in Wut zu verwandeln, die sich nun auch gegen Tenten richtete. Im Gegensatz zu anderen fing er jedoch nicht an zu schreien, oder zu toben. Stattdessen wurde er eiskalt und wandte sich von Tenten ab. „Immerhin hast du jetzt eine tolle Story für dein Käseblättchen“, meinte er verächtlich. Für Tenten war es schlimmer als jedes geschrieene Wort, das er hätte an sie richten können. Diese kalte Verachtung in seiner Stimme, war mehr, als sie ertragen konnte. Seine Worte schmerzten sie. Eine von Pfeilen verursachte Wunde vernarbt; ein von der Axt niedergehauener Wald schießt wieder empor; ein böses Wort, das die Zunge ausspricht, ist abscheulich; eine durch verletzende Worte geschlagene Wunde aber vernarbt niemals. *3 „Für mich ist es nicht mehr eine bloße Story und das weißt du“, sagte sie leise. „Ach ja? Warum sollte es?“ „Weil einen derartige Geschichten nicht unberührt lassen. Zumindest an mir geht es nicht spurlos vorbei. Und das solltest du wissen, denn wenn du mich anders eingeschätzt hättest, hättest du es mir sicherlich nie erzählt.“ „Menschen irren sich.“ „Das stimmt. Aber du bist ein sehr guter Menschenkenner.“ Tenten holte ihr Aufnahmegerät hervor und drückte auf den Stopp-Knopf. Dann nahm sie die Kassette heraus und begann das Band herauszuziehen und es zu zerknüllen. Neji stand fassungslos da. „Was machst du da?“ „Die Aufnahmen zerstören, wonach sieht es denn aus?! Ich gebe zu Neji, dass ich diese Story schreiben wollte und ich habe von Anfang an keinen Hehl daraus gemacht. Als du mich so kühl behandelt hast wurde ich sauer und war erstrecht entschlossen die Story zu schreiben. Und es wäre wirklich gut geworden, eine nette Story. Doch nachdem ich die Geschichte kenne, kann ich sie nicht mehr schreiben. Denn es ist keine nette Story, sondern ein Familiendrama. Und das muss in keiner Zeitung für alle festgehalten werden.“ Neji wusste beim besten Willen nicht, was er darauf antworten sollte. Aber anscheinend erwartete Tenten auch gar keine Antwort. Stattdessen sagte sie: „Weißt du Neji, es gibt da ein französisches Sprichwort, welches lautet: Drei Dinge lassen sich nur bei drei Gelegenheiten erkennen: die Kühnheit in der Gefahr, die Vernunft im Zorn und die Freundschaft in der Not. Du solltest es dir zu Herzen nehmen.“ Neji schüttelte verwirrt den Kopf. „Allmählich komme ich wirklich wieder zur Vernunft. Es tut mir Leid, was ich zu dir gesagt habe. Du hast meinen Zorn nicht verdient.“ „Und auch deine Mutter und dein Onkel nicht, Neji. Vielleicht war das, was sie getan haben nicht gerade lobenswert, aber jeder Mensch macht Fehler. Und du kennst nur die Fakten, aber nicht die Gefühle dahinter. Woher willst du wissen, was die Beweggründe deines Onkels waren? Vielleicht hat er sich einfach schuldig gegenüber deiner Mutter gefühlt und wollte es wieder gut machen, indem er mit ihr ging.“ „War er denn meinem Vater nichts schuldig?“ „Das kannst du nicht wissen, weil du zu jung warst, Neji. Vielleicht hatte er das ganze ja mit deinem Vater abgesprochen, vielleicht hatte er seine Erlaubnis. Warum sonst hätte dein Vater zu dir sagen sollen, dass du nicht auf deinen Onkel sauer sein sollst?“ „Er war einfach zu gutherzig, dass ist alles.“ „Und du bist es nicht?“ „Nein. Dafür trage ich diesen Zorn und Bitterkeit schon zu lange mit mir herum.“ Manch einer ist in seiner Erbitterung härter denn ein Stein, sein Herz aber ist voll von gärenden Träumen. *4 „Hm. Auf den ersten Blick scheinst du wirklich kaltherzig zu sein. Und du tust auch alles, um diese Fassade aufrecht zu erhalten. Aber du bist kein schlechter Mensch, Neji. Sonst hättest du mich nie bei dir aufgenommen.“ „Ich habe dich draußen vor der Tür sitzen lassen“, berichtigte er sie. Sie schmunzelte. „Stimmt. Aber dann hast du die Tür geöffnet und das ist es, was zählt.“ Und er hatte ihr auch die Tür zu seinem Innersten geöffnet, zumindest einen spaltbreit, sodass sie hineinluken konnte. Und was sie dort sah gefiel ihr. Sie würde nicht zulassen, dass er mit diesem selbstzerstörerischen Verhalten weitermachte. Also beschloss sie, die Initiative ergreifen. „Weißt du was, Neji? Ich finde, du solltest deinen Onkel anrufen und die Sache ein für alle mal klären.“ Neji biss die Zähne zusammen. „Niemals.“ „Aber wie willst du sonst die Wahrheit erfahren?“ „Hast du mir nicht zugehört, was er alles getan hat? Er ist noch nicht einmal zu der Beerdigung meines Vaters gekommen!“ „Hast du ihn denn von dem Tod deines Vaters unterrichtet?“ Neji schwieg. „Woher sollte er denn davon wissen, wenn du ihm nichts davon erzählt hast? Wie willst du verzeihen lernen, wenn du es nicht einmal versuchst.“ „Vielleicht will ich ihm ja gar nicht verzeihen.“ „Jetzt stellst du dich stur.“ Tenten schüttelte den Kopf und begann langsam den Tisch abzuräumen. „Wieso mischt du dich überhaupt ein?“ „Ich habe dir schon gesagt, dass die Geschichte nicht spurlos an mir vorbei geht. Und du… bedeutest mir etwas.“ Sprachlos starrte Neji sie an. Tenten lachte anlässlich seines Gesichtsausdrucks. „Keine Angst! Das sollte keine Liebeserklärung sein. Ich mag dich, so einfach ist das. Da ist es auch egal, dass ich dich erst seit ein paar Stunden kenne. Ich will dir helfen. Ist das so schlimm?“ „Nein. Aber ich habe es bisher gut ohne Hilfe geschafft.“ „Stimmt. Aber es hat sie dir ja auch noch nie jemand angeboten, oder?“ Sie stellte die Teller in die Geschirrspülmaschine und drehte sich schwungvoll zu ihm um. Dann lächelte sie. Und er konnte nicht darum herum, seine Mundwinkel ein klein wenig hoch zu ziehen. Es stimmte, was sie sagte. Mit allem, was sie zu ihm gesagt hatte, hatte sie Recht gehabt. Er war verbittert gewesen. Und er kannte auch nicht die ganze Wahrheit. Vielleicht war es aber endlich einmal an der Zeit diese herauszufinden. Er drehte sich um und ging in den Flur. „Was machst du?“, rief Tenten ihm erstaunt hinterher. „Ein Telefonbuch holen, was sonst?“ Zorn ist wie ein wildes Tier, das einen von innen heraus auffressen kann. Doch wenn es gelingt diesem Tier die Zügel anzulegen, kann man es kontrollieren und wieder derjenige sein, der man wirklich ist. ~*~ *1 Zitat von Aristoteles *2 Vielen heute noch unter manischer Depression bekannt *3 Fernöstliche Weisheit *4 Zitat von Fjodor M. Dostojewski Kapitel 2: Acedia/Trägheit -------------------------- Einzelne Regentropfen prasselten von den Blättern der Bäume, die vor dem Fenster des Unterrichtsraumes standen. Es grenzte nahezu an ein Wunder, dass die Blätter dem Gewicht der schweren Wassertropfen standhalten konnten und nicht auseinanderrissen. Ein wahres Wunder der Natur. Es schüttete bereits den gesamten Vormittag und der Boden war inzwischen schlammig geworden. Das Training musste aufgrund des Regens nach drinnen verlegt werden und Neji gab bereits die Hoffnung auf, dass er heute überhaupt noch zu einem körperlichen Training kommen würde. Wahrscheinlich würde er heute Nachmittag bei sich zuhause alleine trainieren. Wie er es jeden Nachmittag tat, egal ob er mit seinem Team trainierte oder nicht. Anstatt im Klassenraum Techniken zu lernen oder zu verbessern, saßen sie – aufgereiht wie Hühner auf der Stange - in der ersten Reihe und hörten ihrem Lehrer Gai zu, der vorne an der Tafel stand und wild mit seinen Armen artikulierte. Gai erklärte den drei, wie wichtig es war einen kühlen Kopf im Kampf zu behalten, doch Neji hatte keine Lust sich Notizen zu seinen Anekdoten zu machen. Möglichst unauffällig beobachte er Tenten, die ebenfalls gelangweilt war und mit ihrem Kugelschreiber auf das Holz der Tischplatte klopfte. Sie war scheinbar völlig geistesabwesend. Dass sie kein großes Interesse an den Erlebnissen ihres Senseis hatte war ihm nicht neu, doch sie schien ihre Außenwelt komplett nicht mehr wahrzunehmen und das machte ihn stutzig. Ihr anfängliches, leises Klopfen verwandelte sich plötzlich in ein nerviges Klicken, da sie den Kugelschreiber gehetzt auf- und zuschnappen ließ. Er sah abwechselnd den Kugelschreiber und Tenten selbst an und bemerkte, dass sie auffällig oft auf die Wanduhr sah, die hinter Gai hing. Scheinbar will sie, dass die Trainingsstunde zu Ende war, dachte Neji und es wunderte ihn nicht, denn er selbst hoffte auch auf ein baldiges Ende. Lee, der neben Tenten saß, war der einzige, der Gai förmlich an den Lippen hing. Er kritzelte eifrig Notizen auf seinen Block und stellte neugierig Zwischenfragen. Ob Gais Geschichten über Bärenkämpfe und Gefechten mit Wölfen stimmten, war fraglich, doch Lee hatte immer Interesse für Erlebnisse, die Gai erzählte. Egal wie stumpfsinnig sie im Grunde waren. Neji sah wieder aus dem Fenster und bemerkte, dass es immer noch regnete. Er sah zur Uhr und musste unweigerlich feststellen, dass es zu spät für ein Teamtraining war. Auch hatte er keine Lust den Nachmittag mit Lee und Tenten zu verbringen. Nicht, dass er sie nicht leiden konnte, doch seine Nachmittagsmeditation war schon zu einer Angewohnheit geworden, die er sich nicht abgewöhnen konnte. Der Tag im Klassenzimmer machte ihn zu schaffen. Er brauchte einfach die körperliche Herausforderung und alleine würde er niemals die Leistung schaffen, die er im Team hatte. Doch seine Meditation war ihm wichtig und eigentlich waren die Vormittage für das Teamtraining in seinem Tagesablauf eingeplant. Gai verabschiedete sich mit einer großen Geste und verließ das Klassenzimmer, da er noch Besorgungen zu erledigen hatte. Neji war froh über das plötzliche Verschwinden ihres Senseis. „Sollen wir noch trainieren gehen?“, fragte Lee und nahm seinen vollgeschriebenen Block in die Hand. „Ich muss nach Hause“, sagte Tenten schnell und wandte sich, ohne auf eine Reaktion von Neji oder Lee zu warten ab. „Muss noch etwas erledigen.“ Lee sah ihn fragend an, sagte aber nichts, doch Neji schüttelte nur den Kopf. „Lass sie“, sagte er leise, „wenn sie wirklich etwa erledigen muss, müssen wir das akzeptieren.“ Doch im Grunde war er einfach nur froh, den Nachmittag nicht mit seinem Team verbringen zu müssen… --- Als Tenten zuhause war, zog sie rasch die Schuhe aus und legte ihre Tasche ab. Es war noch früh, doch sie hatte am Morgen die Vorhänge nicht aufgezogen und deswegen war es dunkel und still in ihrer Wohnung. Die Stille machte ihr nichts aus, schon lange nicht mehr. Seit sie vor einem Jahr von zuhause ausgezogen war, war sie es gewohnt den Nachmittag alleine zu verbringen. Schleppend ging sie in ihr Schlafzimmer und setzte sich an den Schreibtisch, der in der Ecke stand. Normalerweise brauchte sie diesen Tisch gar nicht, er diente mehr zur Dekoration. Wie vieles in ihrer Wohnung. Erschöpft legte sie den Kopf auf ihre Schreibtischplatte und schloss die Augen. Sie fühlte sich elendig, unfähig sich zu rühren oder sich aufzuraffen um etwas zu tun. Die Hausarbeit stapelte sich, doch sie fühlte sich nicht im Stande das Chaos zu beseitigen. Ihre Schläfen pochten, fast so, als hätte sie schlimme Kopfschmerzen und dadurch fühlte sie sich müde, so unendlich schläfrig. Doch selbst wenn sie geschlafen hatte, sich für ein oder zwei Stunden ausruhte, ging es ihr nicht besser. Dabei war sie nicht immer so träge gewesen. Früher strömte sie vor Energie und Tatendrang. Wo diese geblieben war, wusste sie nicht. Auch war ihr unklar, wieso ihr Leben plötzlich so trist war. Lag es etwa daran, dass immer alles beim Alten blieb und es ihr deswegen zu eintönig wurde? Sie brauchte frischen Wind in ihrem Leben, doch sie hatte momentan nicht die Kraft um selbst etwas zu ändern. Sie brauchte Unterstützung von außerhalb, konnte und wollte aber niemanden darum bitten, damit sie ihr Leben wieder in den Griff bekommen konnte. Sie war so müde. Langsam fielen ihr die Augen zu, sie versuchte dagegen anzukämpfen, doch sie schlief ein. In einen friedlosen Halbschlaf… --- Unschlüssig sah er das Telefon an und wusste nicht recht, ob er sie wirklich anrufen sollte oder nicht. Eigentlich rief er selten bei Tenten zu Hause an. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er sie noch nie ohne Aufforderung ihrerseits angerufen. Doch er machte sich Gedanken. Die Meditation konnte er auch nicht durchführen, zu viele Gedanken schwirrten durch seinen Kopf, und er musste dieses Problem beseitigen. Er würde es zwar nie offen zugeben, doch er sorgte sich um seine Teamkameradin, die mittlerweile bereits eine Freundin für ihn war. Er schüttelte kurz den Kopf und fasste einen Entschluss. Er musste sie einfach stören, doch ohne einen triftigen Grund konnte er nicht bei ihr anrufen. Er dachte kurz nach, ging sämtliche Ausreden durch, doch jede klang scheinheilig, dass er auch gleich mit der Wahrheit rausrücken konnte. Rasch und ohne weiter nachzudenken griff er nach dem Hörer und wählte ihre Nummer ins Tastenfeld. Das Wählzeichen war zu hören und mit jedem weiteren Tuten wurde ihm flauer im Magen. Lange Zeit erwiderte niemand seinen Anruf und er ließ es einfach klingeln, heilfroh darüber, dass Tenten keinen Anrufbeantworter besaß. „Hallo?“, meldete sich jemand, nach einer gefühlten Ewigkeit, am Telefon. Neji wusste direkt, dass es Tenten war. Natürlich konnte sie es auch nur sein, immerhin wohnte sie alleine. Doch sie klang ungewöhnlich erledigt, sie hatte sicher bis vor einer Sekunde noch geschlafen. „Hier ist Neji“, meldete er sich nur, ohne ihr eine Begrüßung zu geben. Sie schien überrascht, denn sie hielt kurz inne. In ihrer Stimme hörte er Verwunderung. „Was ist?“ „Ich wollte nur wissen, wie es dir geht“, sagte er schnell und nachdem er dies ausgesprochen hatte, klang es noch dämlicher. Aber dies war nun einmal die Wahrheit. Egal, wie bitter sie doch war. „Gut“, sagte sie knapp. „Mir geht es gut. Aber du rufst doch nicht bloß an, um dich nach meinem Wohlbefinden zu erkundigen. Was ist los, Neji?“ Er zögerte, doch ihm war schnell klar, dass er Tenten die Wahrheit sagen musste. Lügen brachten nichts. „Du warst heute sehr geistesabwesend. Ist alles in Ordnung?“ „Ja“, sagte sie am anderen Ende der Leitung. „Es ist nichts.“ „Du kannst es mir ruhig sagen“, beharrte er weiter. Eigentlich ein untypisches Verhalten von ihm, doch er sorgte sich wirklich und er wollte sich nicht länger Gedanken um sie machen müssen. „Es ist nichts“, beharrte sie sich weiter drauf. „Ich stehe momentan nur etwas neben mir, das ist alles. Kein Grund zur Sorge.“ „Ich mache mir keine Sorgen“, log Neji, nur um nicht ganz seine eigene Schwäche zugeben zu müssen. „Sonst hättest du nicht angerufen.“ Er schwieg. Sie hatte Recht, natürlich hatte sie recht, doch er konnte es ihr einfach nicht sagen. „Ich will nur nicht, dass du dem Team schadest.“ Nur war sie diejenige die schwieg. Er wusste nicht direkt, ob er sie verletzt hatte oder sie einfach nicht wusste was sie sagen sollte. Augenblicklich fing sie sich wieder. „Ich werde mich zusammen reißen.“ Ohne auf eine Antwort zu warten oder sich zu verabschieden legte sie auf. --- Wütend knallte Tenten den Hörer auf die Gabel. War Neji wirklich nur das Wohl des Teams wichtig? Für einen Moment dachte sie, dass es ihm wirklich um ihr eigenes Wohl ging, doch da hatte sie sich scheinbar geirrt. Jetzt war es amtlich. Ihre Trägheit war an die Außenwelt geraten und sie musste schleunigst etwas unternehmen, dass niemand sonst dies bemerkte. Hektisch sah sie sich um und seufzte schwer. In ihrer Wohnung war ein ernsthaftes Chaos ausgebrochen und sie hatte weder die Lust, noch die Kraft dies zu beseitigen, auch wenn sie es sich jeden Tag vornahm. Plötzlich fiel ihr etwas ein. Es gab nur ein Hilfsmittel, das gegen Müdigkeit half. Koffein. Doch sie mochte keinen Kaffee und ein Freund von koffeinhaltiger Cola war sie auch nicht. Sie ging ins Bad und sah in den Medikamentenschrank, den sie nach ihrem Einzug noch nie in Augenschein genommen hatte. Ihre Mutter hatte sie mit allen möglichen Medikamenten eingedeckt, auch Koffeintabletten waren dabei. Sie nahm die kleine, weiße Dose aus dem Schrank und las das Etikett: Koffeinum hilft bei Kopfschmerzen und Kraftlosigkeit, da es eine kurzzeitige Beseitigung von Ermüdungserscheinungen bewirkt. Tenten war überrascht, genau das Richtige. Die Tablette konnte ihr sicher helfen, um die Kraft zu finden den Haushalt zu erledigen. Mit dem Döschen in der Hand ging sie in die Küche und setzte sich an den Küchentisch. Die Dose hatte keine Kindersicherung und ließ sich deswegen leicht aufschrauben. Sie hatte ein mulmiges Gefühl in der Magengegend, griff sich aber eine der kleinen Tablette und drehte sie vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger. Die Koffeintablette wirkte unauffällig, sie war weiß und hatte eine Kreuzbruchrille. Sie sah aus, wie eine von vielen. Tenten warf sich das Medikament auf die Zunge und schluckte es ohne Wasser direkt runter. Es hatte keinen Sinn sich Gedanken zu machen, immerhin war es bloß Koffein. Die Tablette schmeckte ungewöhnlich bitter und sie war für Tenten fast etwas zu groß zum runterschlucken, doch es gelang ihr. Sie mochte es schon als Kind nicht Tabletten einnehmen zu müssen. Erst merkte sie nichts, hatte bloß bereits durch die Vorfreude einen gewissen Wachheitsschub bekommen. Sie stand auf, ging zum Waschbecken und trank einen Schluck Leitungswasser. „Auf in den Kampf“, sagte sie, klatschte einmal energisch in die Hände und machte sich daran, die Berge von Wäsche zu ordnen. --- Neji sah auf der Kante seines Bettes und ihm war ganz und gar nicht wohl zumute. Er hatte Tenten noch nie so gereizt erlebt. Ihr ging es scheinbar wirklich nicht gut und er wollte ihr helfen, egal wie. Da er nicht bis morgen früh warten wollte und konnte, griff er erneut zum Telefon und wählte ihre Nummer. Doch er drückte nicht auf den grünen Knopf, sondern zögerte. War es wirklich ratsam sie erneut zu stören? Er wollte sie nicht nerven und vielleicht hatte sie ja wirklich zu tun. Dass sie etwas plagte, merkte er und er hatte die Befürchtung, dass sie zu irgendwelchen Mitteln greifen würde, um ihre Emotionen zu unterdrücken. Tenten nimmt keine Drogen, dachte er wütend über sich selbst und schüttelte den Kopf. Doch er konnte es nicht ausschließen. Es war nicht das erste Mal, dass ein Ninja aus Überforderung zu Drogen griff. Er kannte zwar niemand persönlich, der Drogen nahm, da es ein Tabuthema war, doch er konnte sich vorstellen, dass einige es taten. Ohne zu zögern drückte er den grünen Knopf auf dem Telefonhörer und die Verbindung wurde aufgebaut. Es klingelte nur einmal, bevor der Hörer abgenommen wurde. „Hallo?“, rief Tenten förmlich ins Telefon. „Tenten, ich bin es“, sagte er und hoffte, dass sie seine Stimme erkannte. „Neji? Werden deine Anrufe zu einer Gewohnheit?“ „Nein, ich wollte mich bloß entschuldigen.“ „Für was?“, fragte Tenten am anderen Ende der Leitung und war etwas beschwingter als sonst. „Was ist mit dir los?“, fragte Neji. Seine Stimme klang kritisch und misstrauisch. „Nichts“, sagte sie schnell. „Bist du sicher, Tenten?“ „Ja.“ „Hast du etwas eingenommen?“ Treffer ins Schwarze, auch wenn sich Neji dessen nicht bewusst war. „Nein“, log sie und schwieg. Ein Nein genügte ihm momentan, auch wenn er ihr nicht wirklich glaubte. „Warum?“ „Du wirkst etwas aufgeweckt“, sagte Neji und schwieg ebenfalls, da er auf ihre Reaktion wartete. „Komm doch einfach vorbei und überzeug dich vom Gegenteil“, sagte sie rasch, ohne scheinbar nachzudenken. „In Ordnung. Bis gleich.“ --- Er legte auf und das metallische Klicken ließ sie zusammenzucken. Was habe ich bloß getan, dachte sie verbittert, war wütend auf sich selbst und knallte den Hörer auf die Gabel. Sie hatte nicht nachgedacht und ihr loses Mundwerk, das sie aufgrund der Tablette hatte, hatte sie in Schwierigkeiten gebracht. Nein, sie war selbst schuld. Sie konnte nicht dem Koffein die Schuld geben. Rasch schüttelte sie den Kopf und verwarf die Schuldfrage. Sie musste wieder normal werden, nicht mehr so aufgedreht sein und für Neji einen normalen Eindruck hinterlassen, immerhin hatte sie ihn angelogen und sie wollte nicht, dass diese Lüge ans Licht kam. Doch wieso hatte er eigentlich ein zweites Mal bei ihr angerufen? Sie dachte kurz nach, fand aber keine Antwort. Kurze Zeit später klingelte es an der Tür und Tenten hatte schon fast wieder vergessen, dass Neji vorbeikommen wollte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er ihre Einladung ernsthaft annehmen würde und es machte sie nervös, dass er sie in diesem Zustand sehen würde. Doch warum machte sie sich solche Gedanken? Sie hatte sich nichts zu Schulden kommen lassen, sie war nur etwas rastloser als sonst, da sie eine harmlose Koffeintablette genommen hatte. Kein Grund zur Panik. Wenn Menschen Kopfschmerzen hatten, nahmen sie auch eine Tablette. Warum durfte sie nichts gegen ihre Müdigkeit einnehmen? Es ist ja nicht schädlich, dachte sie verbissen, obwohl sie dies nicht mit genauer Wahrscheinlichkeit sagen konnte. Mit einem unwohlen Gefühl öffnete sie die Tür. „Störe ich dich?“, fragte er direkt zur Begrüßung. „Nein“, log sie und musste aufpassen nicht genervt zu klingen, denn ihre Emotionen waren aufgrund der Tablette etwas überempfindlich. „Ich räume gerade bloß etwas auf.“ „Du klangst seltsam am Telefon. Ist alles in Ordnung?“ Tenten musterte sein Gesicht und musste unweigerlich feststellen, dass Neji besorgt aussah. „Ja, alles in Ordnung, hab ich dir doch schon am Telefon gesagt.“ „Kann ich rein kommen?“ Sie zögerte. Zwar hatte sie etwas Ordnung schaffen können, doch ihre Wohnung war noch lange nicht wieder für Fremde Augen bestimmt. „Ja“, sagte sie gedehnt und ließ ihn eintreten. „Entschuldige bitte das Chaos. Ich war, wie gesagt, gerade beim aufräumen.“ Zu ihrer Überraschung musterte Neji nicht die Unordnung, sondern die zugezogenen Vorhänge. „Stört dich das Sonnenlicht?“ „Nein“, sagte sie schnell. „Ich habe sie bloß nicht aufgezogen.“ „Warum nicht?“ „Weil –“ Sie stockte. Unmöglich konnte sie sagen, dass sie zu träge war die Vorhänge jeden Morgen und Abend auf- und zuzuziehen. „Ich hatte noch keine Zeit.“ Neji trat zu den Vorhängen, zog sie auf und öffnete ein Fenster. Sonnenstrahlen fluteten durch das Zimmer, ließen es auf Anhieb freundlicher wirken und frische, angenehme Luft strömte in den Raum. „Besser“, sagte Tenten und setzte sich auf das Sofa. „Aber wie du siehst, geht es mir gut.“ Neji setzte sich neben sie und sah zu ihr. „Ich wollte mich entschuldigen.“ „Entschuldigen?“, fragte sie irritiert und versuchte stark zu wirken, doch dann senkte sie den Kopf. „Wofür?“ „Das ich so herablassend gesagt habe, dass du dem Team mit deiner Trägheit Schaden würdest.“ Sie hob den Kopf und wich seinem Blick aus. „Ich fühle mich einfach momentan schlecht, völlig leblos.“ Neji nickte und hörte ihr zu. Scheinbar war es dennoch nicht so dramatisch wie sie dachte. „Ich kenne dieses Gefühl der Lustlosigkeit“, sagte er langsam. Überrascht presste sie die Lippen aufeinander. „Ich kenne es, wenn man seiner eigenen Trägheit nachgeben muss und sich wirklich überwinden muss, etwas Sinnvolles zu tun“, sprach er weiter, senkte den Blick und musterte seine Hände. „Doch ich reiß mich jedes Mal zusammen, versuchte mir nichts anmerken zu lassen.“ „Aber du wirkst immer so voller Geisteskraft“, sagte Tenten langsam und verstand, dass sie im Grunde nichts von ihm wusste. „Ich spielte immer den Willensstarken, der ich in Wahrheit gar nicht bin.“ „Du machst dir damit doch selbst etwas vor“, sagte sie zögernd und sah ebenfalls auf seine Hände. „Manchmal muss ich mit mir kämpfen, um das zu erreichen, was ich wirklich möchte. Und sobald ich mein Ziel erreicht habe, bin ich froh darüber, dass ich meiner Trägheit nicht nachgegeben habe. Ich versuche stark zu sein, um glücklich zu werden.“ Tenten sah nachdenklich zum Fenster. Hatte Neji etwa Recht indem was er sagte? Sie war sich nicht sicher und wollte seine Worte eigentlich nicht in Frage stellen, doch es klag so absurd. Neji war nicht der Typ dafür, der nichts mit sich anfangen zu wusste. Er steckte doch voller Tatendrang und Energie, anders als sie selbst. Eine frische Brise schlich sich in das Zimmer und spielte sich um die Vorhänge am Fenster. Tenten wollte schon aufstehen, um das Fenster zu schließen, doch sie tat es nicht. Vielleicht brauchte sie einfach diese starken Lufthauch um einen klaren Kopf zu bekommen, auch wenn es etwas kühl war. „Ich denke, ich sollte nun gehen“, sagte Neji leise. Sie sah wieder zu ihm und nickte langsam. Ob er wirklich gehen musste oder ob ihm die Situation unangenehm war, wusste sie nicht. Ich muss ihm danken, dachte sie und überlegte fieberhaft wie sie dies anstellen sollte. „Danke“, sagte er zu ihrer Überraschung und stand auf. „Wofür?“, fragte sie irritiert, stand ebenfalls auf und wagte es nicht in seine Augen zu schauen. „Das du offen zu mir warst. Ich hoffe, ich konnte dir helfen.“ Sie nickte eifrig. „Ja, danke.“ Weswegen sich Neji für ihre angebliche Offenheit bedanke, war fraglich, immerhin hatte sie ihm nicht ihr komplettes Herz ausgeschüttet. „Ich finde den Weg schon alleine“, sagte Neji und ging zur Tür. „Bis morgen.“ „Ja.“ Sie blieb auf ihrem Fleck stehen, sah ihm nach und musste lächeln. „Tschüss.“ Ihr war momentan zwar nicht klar, ob Nejis Worte ihr wirklich helfen würden, doch es tat gut zu wissen, dass sie nicht alleine auf der Welt war und dass selbst Neji manchmal mit sich zu kämpfen hatte, aber im Grunde nie aufgab und bis heute stets aus dem Kampf mit sich selbst als Sieger hervorgetreten war. Langsam ging sie zum Fenster und sah rauf in den Himmel. Der Regen hatte aufgehört und obwohl die Tropfen permanent auf die Blätter eingeprasselt waren, waren sie noch heile. Sie brauchte keine Tabletten um die Kraft zu finden die sie brauchte. Sie konnte dies auch aus eigener Willensstärke schaffen, es war alles nur eine Frage der Einstellung. Nach dem Gespräch mit Neji nahm sie nie wieder eine Koffeintablette um sich künstlich wach zu bekommen, denn sie hat eingesehen, dass sie nur sich selbst damit belügen würde und ihrem Körper auf Dauer damit schaden würde. Noch wusste sie nicht, wann der Tag kommen würde, an dem sie voller Elan morgens aufstehen konnte und mit Optimismus in die Zukunft sehen konnte. Doch eins wusste Tenten: Irgendwann würde dieser Tag kommen würde, an dem sie ihre eigene Trägheit besiegen konnte. Eines Tages würde sie die Beständigkeit eines Blattes besitzen, aus eigener Lebenskraft. Da war sie sich sicher. Kapitel 3: Avaritia/Geiz ------------------------ Ich zog einmal die Krawatte fest. Richtete den Kragen. Knöpfte die Manschetten noch einmal ordentlich. Es saß alles perfekt. So wie immer. Wie jeden Tag. Der Anzug saß wie angegossen, die Haare zu einem ordentlichen Zopf gebunden und der untere Teil des Gesichtes war befreit von jeglichen Stoppeln. Es war alles perfekt. „Bis heute Abend“, verabschiedete ich ihn, als er seinen Aktenkoffer nahm, seine Hand hob und aus der Wohnung ging. Erneut war ich alleine. Ich ging in das neben liegende Zimmer, in dem ein kleines Bett stand. Das kleine Kind, das gerade darin lag, schlief noch. Vorsichtig strich ich meinem Sohn über das braune Haar auf seinem Kopf. Die ganzen letzten Monate waren eintönig. Neji war arbeiten, ich blieb da und kümmerte mich um unseren Sohn und den Haushalt, da ich meine Stelle als Pharmazeutische Kaufangestellte aufgab, um mich diesem langweiligen Leben zu widmen. Solange Neji noch für uns sorgte, gab es keine Probleme. Naja... fast. Neji war an sich gar nicht so übel. Manchmal zwar etwas stur und mit wenig Feingefühl, aber dennoch ein Mensch, der es meist nur gut meinte. Jedoch hatte er einen kleinen Knacks. Er war nicht besonders freundlich, wenn es um Geld ging. Er versuchte wirklich nur so viel auszugeben wie nötig. Und stattdessen so viel es ging zu verdienen. Die meisten Leute die versuchen so zu leben scheitern oft daran, Neji jedoch nicht. Er kontrolliert für was wir wie viel ausgeben, beschränkt sich nur auf eine bestimmte Summe und Dinge, mit denen wir nichts anfangen können, verkauft er. Für mich war dieser Lebensstil mit der Zeit zur Gewohnheit geworden. Und so furchtbar schlimm war er auch nicht. Zumindest nicht wenn man jeden Tag ein neues Outfit kaufen muss, sich ständig irgendwelche unnötigen Erholungskuren und Wellnessabenteuer gönnt oder gerne und viel teures Junkfood zu sich nimmt. Jedoch wurde es etwas schwieriger als unser Sohn Akira auf die Welt kam. Kinder waren ja bekanntlich teuer und so war es auch. Zumindest für Neji. Akira wachte durch meine Berührungen auf. Ein Lächeln erschien auf meinen Lippen und ich drückte ihm einen sanften Kuss auf die Stirn. „Guten Morgen, kleiner Mann.“ Ich säuselte gerne den kleinen Jungen an. „Entschuldige, dass ich dich geweckt habe, aber du musst jetzt gleich in den Kindergarten.“ Ich hob ihn mit einem Ruck hoch und trug ihn summend in die Küche, um ihn dann in den alten Hochstuhl zu setzen. Alle Möbel von Akira waren schon mal benutzte Geschenke von Nejis Cousine Hinata. Sie selbst hatte zwei Kinder. Einer ging auf die Grundschule, der andere in eine Vorschule. Und da Hinata die schönen Möbel nicht wegwerfen wollte und meine Schwangerschaft ganz gelegen kam, hatte Neji die Chance ergriffen und unseren Sohn direkt in das alte hölzerne Kinderbett von Hinatas jüngstem Sohn gesetzt. Eigentlich waren diese Geschenke auch gar nicht schlecht, allerdings fing der Kinderstuhl an eigentlich ungefährlichen Stellen zu splittern. Doch für eine Mutter war jede Stelle in ihrem Zuhause gefährlich für das eigene Kind. Doch Neji hatte nur abgewinkt, als ich ihn auf einen neuen Stuhl ansprach. „Wir brauchen das nicht“, hatte er gemeint und mich gereizt angesehenen „Solange der Stuhl nicht auseinander gefallen ist, gebe ich kein Geld für einen neuen aus“ Das war Nejis Motto. Wenn nichts bis zur Unkenntlichkeit zerstört war, kaufte er auch nichts neues. Und das war an manchen Tagen ein wirklich lästiges Motto. „Na los, kleiner Mann, wir kommen sonst zu spät“, sagte ich und lächelte Akira an, nachdem er sich den Klettverschluss an den Schuhen zugemacht hatte. Er sah mich nicht direkt an, sondern nahm mich an die Hand und verschwand mit mir aus der Tür. Der Kindergarten, indem Akira seine Vormittage verbrachte, gehörte Hinata. Sie wollte schon immer Erzieherin werden und hatte sich gegen den Willen ihres Vaters, einem reichen Unternehmer, diesen Traum erfüllt. Doch mittlerweile ließ auch er den Groll gegen den erfüllten Wunsch seiner Tochter fallen und was sogar schon Stolz auf das was sie sich mit ihren jungen fünfundzwanzig Jahren damals erbaut hatte. Und nun lief der Kindergarten seit den ganzen vergangen fünf Jahren einwandfrei. Die junge Besitzerin lief mir entgegen. „Guten Morgen, Tenten.“ Es war so gut wie jedem bekannt, dass Hinata und ich verschwägert waren. Allein schon wegen der Tatsache dass sie und Neji wirklich fast schon wie Geschwister waren. Dennoch gab es immer wieder irgendwelche Gerüchte, dass wenn Hinata keinen Papierkram zu tun hatte, sie meinen Sohn bevorzugte. Aber es war wirklich nur ein schlechtes Gerücht, denn jeder der Erzieher wusste, dass Hinata mit allen Kindern gleich umging. Dass dieses unfreundliche Gemurmel von eifersüchtigen Mitglieder einiger Spielgruppen kam, war irgendwie klar. Akira löste sich von mir und ging mit eiligen Schritten Richtung seinem Spielgruppenraum. Ich umarmte Hinata grüßend. „Schönen guten Morgen.“ Ich war heute erstaunlich gut gelaunt „Geht es dir gut?“ „Eher nicht.“ Hinata verzog ein wenig das Gesicht „Shin hatte sich gestern mit ein paar Jungs aus der zweiten Klasse gestritten und ich muss heute für ihn zur Schule kommen.“ Shin war Hinatas ältester Sohn, der Moment in die dritte Klasse einer Grundschule unterrichtet wurde. Dass Hinata besorgt schien, war kein Wunder, schließlich kam der Achtjährige ganz nach seinem Vater, einem wilden und ungezähmten Unternehmer einer Nudelsuppenkette. Jedoch hinterließ ihr Mann Spuren, den bevor Hinata ihn kannte war sie so verschüchtert gewesen, dass sie manchmal bei neuen Bekanntschaften nicht mal ihren Namen vorstellen konnte. „Oh je, ich hoffe es wird nicht allzu schlimm.“ Eigentlich war es hoffnungslos. Ich kannte Naruto noch aus früher Kindheit und wusste wie er abging. Durch ihn hatte ich auch Hinata und Neji kennengelernt. „Das bezweifele ich“, murmelte Hinata und änderte ihre Miene dann ins Fröhliche. „Aber gut, ich denke du hast heute noch einiges zu tun.“ Ich nickte „Allerdings.“ Ich entdeckte Akira bei den Bauklötzen. Er saß dort relativ alleine, da noch nicht viele Kinder anwesend waren, und baute bereits einen Turm. Ich kniete mich zu hinunter und gab ihm einen Kuss auf das kurze braune Haar „Viel Spaß, kleiner Mann.“ Zu meiner Verwunderung reagierte Akira nicht auf meine Worte. Hinata stand neben mir und musste etwas lachen. „Ich glaube er ist bereits in seinen architektonischen Träumen versunken.“ Sie beobachtete wie Akira perfekt einen Stein auf den anderen stellte. Ich stand auf, verabschiedete mich von Hinata und verließ den Kindergarten mit einem flauen Gefühl im Magen. ~ Ich hatte mich den ganzen Tag um den Haushalt gekümmert. Die Wohnung blitzte so sehr vor Sauberkeit, dass man fast schon eine Sonnenbrille brauchte. Aber was sollte ich auch groß den ganzen Tag machen? Arbeiten war nicht drin, ich musste mich schließlich um ein Kind und um den Haushalt kümmern. Und das machen, was andere Mütter in ihrer Freizeit machen, ging auch nicht. Darunter fiel ganz besonders shoppen. Auch wenn ich sowieso nicht besonders gerne einkaufen ging, so fand ich es dennoch manchmal sehr erdrückend von Neji finanziell abhängig zu sein. Er war Abteilungsleiter in einem kleinem Bürounternehmen und verdiente eigentlich genug um ein schönes Leben zu führen. Doch er war immer der Meinung, wir sollte immer etwas auf die Seite legen. Damit hatte ich kein Problem, aber eher mit der Tatsache, das dieses 'etwas' drei Viertel seines Gehaltes waren und uns dann für die Haushaltskasse ziemlich wenig blieb. Ich ging ins Kinderzimmer, indem Akira schon den ganzen Nachmittag drin saß und seine Bauklötze nach Farben sortierte. Seit ich ihm vom Kindergarten abgeholt hatte, war er so abwesend und saß nur an seinen Klötzen. Langsam fing ich wirklich an mir Sorgen zu machen, dass er genauso unnahbar werden könnte, wie sein Vater es zu fremden Leuten ist. Wenn man vom Teufel sprach. „Ich bin zurück“, kündigte sich Neji an und stellte seinen Aktenkoffer an die kleine alte Kommode im Flur. Ich verließ das Kinderzimmer und ging in die Küche um den Herd auszuschalten. „Das Essen ist gerade fertig geworden“, rief ich und hörte seine Schritte kommen. Doch sein Weg führte ihn zum kleinen Esstisch . Ich stellte Neji einen Teller mit gebratenen Nudeln hin. Wir sahen uns nicht direkt in die Augen und Neji fing mit einem leisen „Danke“ an zu essen. Vor sechs Jahren, als ich Neji kennenlernte, war er ein arroganter, sturer und unantastbarer Typ aus reichem Haus gewesen. Er war unsympathisch. Bis zu einer kleinen Standfeier, die Naruto veranstaltet hatte. Da wir beide noch zu den wenigen gehörten, die noch nicht vollends betrunken waren hatten wir uns unterhalten. Wir haben geredet und geredet und irgendwann hatten wir ausgemacht uns zu treffen. Diese Treffen wurden häufiger und irgendwann, waren wir richtig zusammen. Es war fast schon eine wilde Beziehung. Wir taten alles um uns zu amüsieren und nahmen dabei wenig Rücksicht auf Verluste. Was man uns auch ansah, denn als wir zusammen zogen fingen an sich unserer Rechnungen zu stapeln. Damals war uns wirklich alles egal gewesen. Bis ich schwanger und Neji befördert wurden. Von einem Tag auf den anderen, bekam Neji Geldsorgen. Er vertiefte sich in seine Arbeit und errichtete mehrere Notfallkonten, falls wir irgendwann mal vor dem Armenhaus stehen würden. Von der wilden, ungezähmten und rücksichtslosen Liebe, war nichts mehr zu spüren. Und ehrlich gesagt, hatte ich sogar schon das Gefühl, dass Neji gar nichts mehr für mich empfand und langsam wieder in sein altes Schema fiel. Arrogant, stur und unantastbar. „Wir sollten Urlaub machen“, platzte es aus mir heraus, während ich mit einer Gabel spielte. „Du arbeitest zu viel, ich habe hier nichts mehr zu tun und Akira sollte auch mal einen kleinen Tapetenwechsel bekommen, er ist schon ganz gelangweilt von dieser Wohnung.“ Ob das stimmt wusste ich nicht, den Akira schien sich nur mit seinen Spielsachen zu beschäftigen. Doch Nejis Blick traf mich hart. Ich sprach weiter. „Und außerdem, haben wir doch mittlerweile genug Geld um uns das zu leisten. Neji, wir sollten endlich wieder etwas als Familie tun.“ Er sah mich an. Ich wusste was jetzt kam. Das was er immer sagte. Egal was war, immer kam die gleiche monotone Antwort. Es nervte mich sie ständig zu hören, den in den meisten Fällen, stimmte die Antwort noch nicht mal. „Das können wir und nicht leisten, Tenten.“ ~ Es war mittlerweile eine Woche vergangen. Es hatte sich nicht viel geändert. Neji und ich redeten immer noch höchstens drei Worte am Tag und Akira wurde immer abwesender. Ich machte mir zwar Sorgen deswegen, hielt es jedoch für eine Phase. Neji hatte uns das Geld für bestimmte Lebensmittel gestrichen. „Das Geld ist es dafür nicht wert“, hatte er gemeint und als ich mich nicht daran halten wollte, hatte er eine Grenze überschritten. Er hat meine Kreditkarte sperren lassen und nun musste ich mit einer Art Taschengeld von ihm auskommen. Noch dazu fing der Hochstuhl unseres Sohnes an verdächtig und brüchig zu wackeln an. Und nach wenigen Tagen war er wirklich auseinander gefallen. Doch das einzige was der Herr Vater und Schatzmeister dazu sagte war: „Er ist schon groß genug um auf einem eigenen Stuhl zu sitzen. Wir brauchen keinen neuen.“ Ja, es hatte sich in dieser einen kleinen Woche wirklich nicht viel geändert. Außer das wir auf Lebensmittel verzichten mussten, unser Kind seine Möbel verlor und ich wieder wie ein vierzehnjähriger Teenager nun jeden Monat auf mein heiß geliebtes Taschengeld warten musste, um für die ganze Familie zu sorgen. Neji hatte sich in dieser einen Woche vollkommen geöffnet. Er hatte sich von einem Sparfuchs zu einem Geizkragen weiter entwickelt, unter dem nun Frau und Kind leiden mussten. Und diese Entwicklung ließ mich nachdenken. Nachdenken, ob ich wirklich noch so bei ihm bleiben und mit ihm leben wollte... ~ Neji hatte frei. Da er noch Resturlaub hatte, wurde er gezwungen zu gehen, sonst drohte ihm die Suspendierung. Urlaub... Darauf hätte ich ehrlich gesagt jetzt auch Lust. Aber da der ach so wunderbare Familienvater lieber die Rechnungen durchsehen wollte und der Meinung war wir könnten uns mit seinem sechsstelligen Jahresbetrag im Jahr keinen Urlaub leisten, mussten wir alle auf den heißgeliebten Urlaub verzichten. Da ich wirklich keine Lust hatte ihn zu sehen, war ich mit etwas von dem Taschengeld Lebensmittel einkaufen gegangen. Mit der kleinen Geldsumme konnte man allerdings nicht besonders viel besorgen, zumindest gerade mal so, das jeder einen kleinen Teller bekommen konnte. Als ich auf die Uhr sah, bemerkte ich, dass es bereits Nachmittag war. Ich musste Akira abholen. Zum Glück war der Kindergarten nicht allzu weit von Supermarkt entfernt, sodass es ein Kinderspiel war schnell anzukommen. Doch bevor ich in die Spielgruppe von meinem Sohn eintreten konnte, wurde ich von Hinata aufgehalten. „Hallo, Tenten.“ Als ich ihr Gesicht sah, sah ich sofort, dass etwas nicht stimmte. Mein Herz fing an doppelt so schnell zu schlagen wie sonst. Mir kamen plötzlich alle möglichen schrecklichen Visionen in den Kopf für den Grund, warum sie mich so ansah. Die Schlimmste war, dass Akira etwas passiert sein könnte. „Wir müssten mal miteinander reden.“ Ihre Stimme klang enttäuscht, wenn nicht sogar traurig. Sie deutete mit einer Handbewegung, dass ich ihr folgen sollte. Hinatas Büro war in hellen Tönen eingerichtet und zusammen mit einem Schreibtisch und drei Stühlen im Raum, gab es noch eine kleine Ecke die voll mit Spielsachen war. Schließlich war das hier ein Kindergarten. Ich setzte mich auf einen der gepolsterten blauen Stühle vor ihrem Schreibtisch, sie sich dahinter. „Ich habe es nicht mehr geschafft mit Neji darüber zu reden, aber gut dass ich dich jetzt darüber informieren kann.“ Man sah Hinata an, dass sie versuchte die richtigen Worte zu finden. „Uns ist in der letzten Zeit aufgefallen, dass sich Akira etwas … anders benimmt.“ Ich schien wohl nicht die einzige zu sein, die Akiras momentanen Zustand mitbekam. Sogar Neji sah nicht, dass etwas mit seinem eigenen Sohn nicht stimmte. Hinata fuhr fort. „Er ist abwesend, spielt nicht mit den anderen Kindern und ist ständig alleine. Fast schon in einer Isolation. Des weiteren reagiert er kaum noch auf Rufe und fängt an seine Bauklötze zu identischen Werken zu bauen.“ Bis auf die Tatsache mit den Bauklötzen musste ich Hinata in jedem Punkt zustimmen. Akira schien in seiner Welt zu leben. Kapselte sich von uns, seinen Eltern und Umfeld, ab und schien sich nicht mehr für uns zu interessieren. „Aber wieso ist das mit den Bauklötzen so schlimm?“ Meine Frage war berechtigt, schließlich war es kein unmenschlich großes Phänomen wenn Kinder identische Bauwerke aufstellten. „Es ist nicht schlimm, Tenten. Aber es ist ein Anzeichen.“ Meine Verwirrung wurde größer, während ihr Blick ernster wurde. „Ich weiß, du denkst ich bin bescheuert, weil ich das als Kindergärtnerin nicht sagen kann. Aber ich hatte schon einiges an Kinderproblemen gesehen. Tenten, ich habe das Gefühl, dass Akira an Autismus leidet.“ Ich hob verwirrt eine Augenbraue. Ich hatte zwar von der Krankheit gehört, wusste allerdings nichts Näheres „Und was meinst du genau damit?“ „Autismus ist eine Entwicklungsstörung der Defekte des zentralen Nervensystems zugrunde liegen. Diese Störung behindert die Beziehung zum Umfeld und lässt den Betroffenen nur schwer an einer Gesellschaft teilnehmen. Darunter fallen auch Behinderungen der sprachlichen, motorischen und emotionalen Funktionen. Ich weiß es klingt hart, aber mit anderen Worten bedeutet das, dass Akira niemals ein einfachen und normales Leben führen wird.“ Hinata hatte langsam und ruhig gesprochen, allerdings krachte es trotzdem, als mein Stuhl zu Boden fiel. Ich stemmte die Hände auf den Tisch und sah Hinata wütend an. „Wie kannst du so was behaupten?!“ Ich merkte, dass meine Stimme einen energischen Ton bekam, denn ich sonst wirklich nur bekam, wenn ich kurz davor war handgreiflich zu werden. Hinata sah mich erschrocken an, fing sich jedoch und versuchte in einem beruhigendem Ton mit mir zu sprechen. „Es ist nur eine Vermutung, Tenten, Sicher ist es auf keinen Fall. Ich hatte nur eben bereits einige autistische Kinder und sehe die Symptome direkt bei den Kindern. Sein Verhalten beunruhigt die anderen Kindern und die Erzieher. Und ich habe selbst mit ihm etwas Zeit verbracht, um mir ein Bild zu machen. Ich kann dir einen Experten für dieses Gebiet und einen guten Freund von mir empfehlen. Seine Praxis ist nur fünfzehn Minuten zu Fuß von eurer Wohnung entfernt und er hat eindeutig sehr viel Erfahrung in diesem Gebiet.“ Hinata holte aus einer Schublade ein paar Papiere. Es waren eine Visitenkarte und ein Prospekt zu der Krankheit. Ich nahm meine verkrampften Hände vom Tisch und sah beschämt zu Boden. Mein Sohn hinterließ also einen Verdacht aus Autismus. Er schien niemals normal werden zu können. Für mich war das einen anstehendem Todesurteil gleich. „Es tut mir Leid, Hinata“, sagte ich leise und stellte wieder den Stuhl auf. „Ich wollte nicht so grob sein und dich erschrecken.“ Hinata stand nur selbst auf und kam um den Tisch herum, um mir sanft die Schulter zu streicheln. „Nein, mir tut es leid. Ich stelle eine schockierende Behauptung auf und sage sie dir direkt ins Gesicht. Es tut mir so Leid für euch, deiner ganze Familie“ Familie. Konnte man das denn noch so nennen? Das fragte ich mich schon seit Tagen. Und jetzt stiegen meine Zweifel noch mehr, dass man uns alle noch eine Familie nennen konnte. Neji zog das viele Geld seinem eigen Fleisch und Blut vor, Akira würde wohl niemals normal werden und ich? Ich war langsam aber sicher nah dran, in eine Depression zu verfallen. „Ich werde Akira dann mal abholen“, sagte ich immer noch in einem leisen Ton und sah wie mich Hinata überrascht ansah „Wieso denn abholen?“ Ihre Stimme klang verwirrt. „Na, ich muss ihn doch mit nach Hause nehmen, bevor ich ihn zum Arzt bringe, oder?“ Ich verstand nicht, wieso Hinata so tat, als wäre ich schwer von Begriff. Allerdings sah sie mich an, als wäre ich hier die Dumme. „Neji hat Akira bereits abgeholt und abgemeldet“, kam es leicht verwirrt von ihr. Mir klappte der Kiefer runter und der Schock stand buchstäblich auf der Stirn geschrieben „Er hat WAS?“ Neji hatte ihn abgemeldet? War er denn nun wirklich von allen Sinnen? Was hatte er sich nur dabei gedacht? Doch noch ehe Hinata mir antworten konnte, hatte ich die Antwort bereits in meinem Kopf. Hinata war nun weniger von meinem Ausbruch erschrocken. „Er meinte, er könnte die Gebühren nicht mehr bezahlen.“ ~ Ich sprach Neji auf nichts an. Ich ging stattdessen direkt in Akiras Zimmer und setzte mich neben ihn. Er schien mich nicht zu bemerken. „Du spielst schon seit Wochen nur Bauklötzen, kleiner Mann“, murmelte ich, obwohl ich wusste, dass er mir nicht zuhörte „Nur noch mit Bauklötzen.“ Akira hob dann seinen Kopf und sah mich mit leeren Augen an. Leeren Augen, in denen sich keine richtigen Emotionen bildeten. Seufzend stand ich auf und verließ das Zimmer um das Telefon zu suchen. Ich musste endgültig Gewissheit haben und jetzt sofort einen Termin mit dem Arzt machen, den Hinata mir empfohlen hat. Ich sah wie langsam in dieser Wohnung alles schlimmer wurde. Neji zog überall das Geld weg, aus der Haushaltskasse und vor allem aus dem Bildungsweg unseres einzigen Sohnes. Akira war krank. Wahrscheinlich. Und er würde unter dem Geiz seines Vaters leben müssen. Und das, obwohl er auch so nicht mehr so wie andere Kinder werden konnte. Und ich verlor den Halt hier. Ich hatte Angst, dass ein weiterer Schock mir den Boden unter den Füßen wegnehmen würde. Ich hatte Angst, dann in ein schwarzes Loch zu fallen und nicht mehr heraus zu kommen. Doch jetzt stellte sich das Schicksal auf meine Seite. Ich bekam direkt für den nächsten Tag einen Termin. ~ Ich hatte es mit Mühe und Not geschafft Neji zu überreden mit zu kommen. Und zwar damit, dass ich einen Geldschein genommen hatte und über ein brennendes Streichholz gehalten habe. Jetzt saß er, wenn auch schlecht gelaunt und schweigsam neben mir vor dem großen Eichentisch im Sprechzimmer. „Mein Name ist Doktor Nara, es freut mich“, stellte sich der Arzt mit der ziemlich komischen Ananasfrisur vor. Er sah relativ alt aus und hatte aus irgendeinem Grund zwei Narben im Gesicht. Besser ich fragte nicht nach. „Sie denken, dass ihr Sohn unter Autismus leidet?“, fragte er nach und sah einen Bestätigung, die ich ihm durch ein Nicken gab. Neji rührte sich nicht und wirkte wie eine Statue. Auf seien Unterstürzung konnte ich wohl nicht zählen. Jedenfalls nicht nach der fast brennenden Geld Aktion. Dr. Nara sah sich einige Unterlagen an. „Ich würde gerne für eine vollendete Diagnose etwas Zeit mit ihrem Sohn verbringen. Ich möchte Sie bitten sich die nächste halbe Stunde in den Nebenraum zu begeben. Dort stehen Zeitschriften und ein paar Kleinigkeiten zutrinken für Sie bereit. Ich lasse Sie dann herein holen.“ Wir mussten gehorchen, schließlich brauchten wir ein endgültiges Ergebnisse. Oder zumindest nur ich, denn Neji schien das alles nicht zu interessieren. „Was ist los, Neji?“ Als die Tür des Zimmer geschlossen war und wir zwei alleine waren, wollte ich endlich Gewissheit zu seinem unmöglichen Benehmen haben. Doch Neji sah mich nicht mal an, also packte ich ihn am Kragen und drückt seine Kopf in meine Richtung. Sein kalter Blick sah mich direkt an. „Akira ist nicht krank“, sagte er bestimmend. „Das ist pure Zeitverschwendung hier zu sein. Und Zeit ist Geld!“ „Was hast du eigentlich mit deinem dummen Geld?“ Ich stieß ihn weg. „Du kürzt jedes Budget bei uns, meldest unser Kind vom Kindergarten ab, weil du die Gebühren nicht bezahlen kannst und bekommst fast einen Weinkrampf, weil ich beinahe einen weniger wertvollen Geldschein fast verbrannt hätte! Verdammt, Neji, Geld ist nicht alles!“ Ein wirklich großer Teil, meiner aufgestauten Wut kam nun zum Vorschein. Neji bekam alles ab, allerdings prallte alles an ihm ab. Sein Blick wurde giftig und ich hielt inne. Er stand auf und musterte mich, als ob ich ein unwürdiges Wesen wäre. Die Tatsache, dass Neji größer war als ich, ließ das ganze noch schlimmer auf mich wirken. Ich fühlte mich bedroht. Bedroht von dem Man, denn ich einst geliebt hatte. Und der nun dabei war nicht nur sein leben, sondern auch das seiner engsten Mitmenschen zu zerstören. „Doch das ist es.“ Das war es. Das war der Schlag gewesen, der mich in das schwarze Loch stieß, vor dem ich mich die letzten Wochen gefürchtet hatte. Ich setzte mich auf einen der sieben Sessel im Raum, so weit von Neji entfernt, wie es nur möglich war. Und wartete. ~ Nach eine halben Stunde des Schweigens, wurden wir von einer der Arzthelferinnen in das Sprechzimmer geholt. Dr. Nara saß bei Akira, der wie sonst auch immer, fünf identische Türme aus Klötzen gebaut hatte. Hinatas Bekannter kam auf uns zu und gab uns das Zeichen uns zu setzen. „Ich habe mir ein Bild ihres Sohnes gemacht und muss ihnen mitteilen, dass die Chance einer autistischen Erkrankungen sehr hoch sind. Die Symptome sind fast alle vorzufinden.“ Schwere eckige Steine wurden in das Loch geschüttet, in dem ich mich nun einrichten musste. „Es gibt allerdings eine Möglichkeit Ihnen und ihrem Sohn zu helfen mit der Krankheit zu Recht zu kommen. Eine langjährige Therapie für Eltern und Kind. Ich führe selbst diese Therapiesitzungen. Bis jetzt hat es vielen Familien geholfen den Alltag zu erleichtern. Allerdings kommt die Versicherung dafür nicht auf.“ „Dann lassen wir es.“ Neji hatte es einfach heraus gesprochen. Nicht weiter nachgedacht. Wenn er für etwas selbst bezahlen musste, dann war er weg. „Wir kommen auch gut ohne eine teure Therapie zurecht. Wir brauchen sie nicht.“ Er war aufgestanden, als er den Vertrag sah, der vom Arzt während seiner Ansprache auf den Tisch gelegt wurde. „Komm, Tenten, wir gehen.“ Er versuchte mich hoch zu zerren, doch ich rührte mich nicht von der Stelle. Eine Hand kam auf mich in das Loch zu. Sie strahlte etwas Warmes aus. Und etwas helfendes. Ich hörte nicht auf Neji, nicht auf den Arzt, ich hörte auf niemanden. Ich sah nur diese Hand, die mich hoch zog. Und dann sah ich meinen Sohn. Wie er die Bauklötze aufstellte. „Vergiss es“, zischte ich, nahm einen der Kugelschreiber aus dem Stifthalter des Tisches und unterschrieb den Vertrag. Neji sah mich bloß entgeistert an. „Bist du verrückt? Wie willst du das bezahlen? Denkst du ich werde dir irgendwelches Geld dafür geben?“ Ich stand wie die Ruhe selbst auf und nahm Akira an die Hand, während ich mich zur Tür begab. „Nein“, sprach ich gelassen und öffnete die Tür. „Ich werde mir einen Job suchen und alles selbst finanzieren, schließlich ist mir für mein Kind nichts zu teuer. Mach dir kein Sorgen, du wirst nichts bezahlen. Und auch sonst wirst du nichts mehr mit unserem Sohn zu tun haben, weil ich dich nämlich verlasen werde, du verdammter Geizkragen!“ Das waren meine letzten Worte, bevor ich zusammen mit meinem Kind aus der Praxis ging. Ich hatte das Gefühl, dass Neji wohl bald endlich etwas Wichtiges lernen würde. Wer geizig ist, wird bald alles verlieren. Und mit alles, meine ich die Schätze, die man nicht erkaufen kann... Kapitel 4: Gula/Völlerei ------------------------ Gula Selbstsucht liegt nicht darin, dass man nach eigenen Gedünken lebt, sondern darin, dass man von anderen jene Lebensführung verlangt, die man sich selbst gesetzt hat. [Oscar Wilde] ~*~ Der Tag hatte schlecht angefangen und so würde er auch enden. An die riesigen Fensterscheiben seines Büros im siebten Stock prasselte der Regen und der Himmel war gewittergrau. Der sonst so fantastische Blick aus dem Fenster war nicht mehr klar, sondern trüb. Einzig die Scheinwerferlichter der hupenden Autos auf der Hauptstraße direkt vor dem Bürokontrakt konnte man ausmachen. Es war ein einziges Durcheinander von Menschen, die mit schweren Aktentaschen an schillernder Werbereklame vorbeihasteten, einander anrempelten und im Vorbeigehen nicht ernst gemeinte Entschuldigungen murmelten. Der PC vor ihm war die einzige Lichtquelle im ganzen Raum. Der Computer tauchte das Büro in bläuliches Licht und vor seinen Augen lief eine ganze Reihe Daten über den Bildschirm. Bis auf den riesigen Schreibtisch und zwei große Aktenschränke war das Zimmer leer. Ein schneller Blick auf seine teure Uhr sagte ihm, dass es kurz vor halb sechs war. Zum ersten Mal seit fünf Stunden lehnte sich Neji Hyuga in dem schwarzen Lederschreibtischstuhl zurück und nippte an seinem Kaffee. Er hatte seit Stunden ununterbrochen gearbeitet nur um auf dem zweiminütigen Weg zur Cafeteria im vierten Stock festzustellen, dass seine Anweisungen, die er Inuzuka vor zwei Wochen gegeben hatte noch immer nicht fertig gestellt waren. Wenn er eines hasste, dann war es Inkompetenz, andauernde Faulheit und Unfähigkeit. Es hatte ihn nicht mal eine Minute gekostet um Inuzuka klipp und klar zu machen, dass er die Arbeit spätestens bis zum nächsten Tag fertig zu haben hatte, wenn er nicht seine Sachen packen wollte. Er wusste, dass Inuzuka es nie schaffen würde, aber es war ihm gleich. Niemand hatte seine Anweisungen zu ignorieren und allen anderen würde es eine Lehre sein. Neji Hyuga trank den restlichen Kaffee aus und widmete sich wieder dem Vertrag, den er für die Übernahme einer kleineren Firma vorbereitet hatte. Nachdem die ganze Sache unter Dach und Fach war, würden zwar die Hälfte der Mitarbeiter entlassen werden, der Umsatz hingegen… Die Firma, in der er arbeitete war auf Computersoftware spezialisiert. Diese wiederum verkauften sie an andere Firmen weiter, die sie zur Möbelproduktion, zur Maschinenprogrammierung und zu Sicherheitszwecken gebrauchten. Itachi Uchiha hatte die Firma von seinem Vater übernommen und schnell Nejis Talent im Verhandeln erkannt, als er sich nach einem verkürzten BWL-Studium beworben hatte und alle anderen potentiellen Kandidaten in den Schatten gestellt hatte. Seit dem waren fast drei Jahre vergangen und Neji hatte sich schnell einen Namen in der Firma gemacht. Seine Beförderung erfolgte nach nur einem halben Jahr und nach und nach wurde er immer unentbehrbarer geworden. So war es auch kein Wunder, dass er ein weiteres Jahr später war er zum leitenden Assistant-Manager aufstieg und buchstäblich die rechte Hand Itachi Uchihas wurde. Es klopfte. Neji Hyuga unterdrückte einen verärgerten Laut und stellte höchst wiederstrebend seine Kaffeetasse auf den blank polierten Tisch aus Mahagoniholz. „Herein.“ Die Tür öffnete sich und offenbarte eine Blondine in einem dunkelblauen Kostüm. „Mr Hyuga, hier ist eine Dame des örtlichen Wohlfahrtsverein. Sie sammelt Spenden-“ „Miss Yamanaka“, unterbrach er seine Sekretärin eiskalt, „habe ich es nicht gestern glasklar gemacht, dass ich keine Störungen wegen irgendwelcher Nichtigkeiten dulde, während ich arbeite?“ Miss Yamanaka schluckte. Er wusste, dass sie in Gegenwart von anderen ein loses Mundwerk hatte und kein Blatt vor den Mund nahm, aber er hatte ihr deutlich genug zu verstehen gegeben, dass er ein solches Verhalten nicht hinehmen würde. Der einzige Grund aus dem er sie duldete war, dass sie gute Arbeit leistete. Außerdem hatte er die Vermutung, dass sie etwas mit seinem Chef hatte und in diese Angelegenheit wollte er nicht herein geraten. „Aber Sir“, unterbrach seine Sekretärin seine Gedanken, „sie will einfach nicht gehen. Ich habe ihr ein paar Mal erklärt, dass Sie unabkömmlich sind und sicher nichts spenden wollen-“ „Warum sollten wir diesen Sozialschmarotzern auch nur einen Cent von unserem hart erarbeiteten Geld abgeben?“ Miss Yamanaka schluckte abermals und knetete nervös ihre Hände. „Ich schicke sie weg“, murmelte sie und schloss seine Bürotür. Neji wandte sich wieder seiner Arbeit zu, doch kaum hatte er angefangen in seinen Computer zu tippen, brach draußen die Hölle los. „Was soll das heißen, ich kann wieder gehen?! Ich gehe nicht ehe ich mit den Verantwortlichen gesprochen habe!“ „Hören Sie“, konnte er Miss Yamanaks Stimme ausmachen, die versuchte die aufgebrachte Frau zu beruhigen, „Mr Hyuga ist beschäftigt und er wird eine erneute Störung keinesfalls dulden-“ „Ihr Mr Hyuga soll gefälligst seinen Arsch aus dem Büro bewegen bevor ich die Tür einschlage!“ „Ich bitte Sie“ „Zum Teufel mit Bitten!“, fuhr die Fremde sie an, „ich bin nicht hierher gekommen um vor irgendwem auf dem Boden zu kriechen. Sagen Sie ihrem Boss, dass ich nicht eher gehe bis ich hier irgendjemanden gesprochen habe!“ Neji Hyuga atmete dreimal tief durch, bevor er versuchte sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren, aber als das Geschrei nach fünf Minuten noch immer anhielt platzte ihm der Kragen. Er stand auf, glättete die Falten auf seinem Markenanzug und riss seine Bürotür auf. Als erstes bemerkte Miss Yamanaka, dass etwas nicht stimmte. Sie hielt mitten im Satz inne und starrte erschrocken auf seine mörderische Miene. Mit einem schnellen Blick analysierte er die Situation. Miss Yamanaka stand hinter dem Empfangstresen, ein paar Strähnen hatten sich aus ihrer sonst so akuraten Frisur gelöst und sie sah verzweifelt aus. Die andere Frau hingegen hatte die Hände auf den Tresen geknallt und redete sie in Grund und Boden. Sie trug eine enge Jeans mit ausgefransten Rändern und ein verwaschenes rotes T-Shirt mit der Aufschrift Save the planet. Ihr dunkelbraunes Haar war zu einem einfachen Pferdeschwanz zusammen gebunden und in der linken Hand hielt sie einen lädierten Rucksack. „Können Sie mir mal sagen, warum Sie hier draußen ein solches Geschrei veranstalten?“, fragte er erstaunlich ruhig. „Wissen Sie, manche Leute versuchen nämlich zu arbeiten und verschwenden Ihre Zeit nicht damit von Tür zu Tür zu gehen und um Almosen zu betteln.“ „Wer hat gesagt, ich würde betteln?!“, fauchte die Brünette und funkelte ihn an. Binnen zwei Sekunden hatte sie Miss Yamanaka vergessen, stemmte die Hände in die Hüfte und tat ein paar schnelle Schritte auf ihn zu bis sie nur ein paar Zentimeter vor ihm stand. Er hob nicht mal eine Augenbraue. Sie konnte dieses Spiel vielleicht mit seiner Sekretärin treiben, aber nicht mit ihm. „Sie werden jetzt gehen“, sagte er, „und, wenn ich Sie noch einmal hier sehe, werden Sie sich wünschen mir nie begegnet zu sein.“ Die Frau öffnete die Mund um ihm zweifellos etwas Unschmeichelhaftes an den Kopf zu werfen, aber er kam ihr zuvor. „Miss Yamanaka, wenn diese Dame nicht augenblicklich verschwindet, rufen Sie die Security. Und jetzt will ich kein einziges Geräusch mehr hören.“ Neji drehte sich um und knallte seine Bürotür hinter sich zu. Er hatte recht gehabt. Dieser Tag endete noch schlimmer als er angefangen hatte. Nicht nur, dass er von völlig unkompetenten Personal umgeben war, nein soeben hatte er die einzige Person getroffen, die ihm je die Stirn geboten hatte. Er war mit ihr zur Uni gegangen und sie hatte ihm einst die Nase gebrochen. ~*~ Tenten kochte vor Wut als sie das Firmengebäude Uchiha Industries, kurz UI, verließ. Nicht nur, dass es sie beinahe drei Stunden gekostet hatte überhaupt in den siebten Stock vorgelassen zu werden (was sie nur ihrer Sturheit verdankte), nein man hatte sie gleich hochkant wieder rausgeschmissen. Dieser widerliche, arrogante Bastard… Wenn sie nur an ihn dachte wurde sie so sauer, dass sie am liebsten irgendetwas zerschlagen hätte. Vorzugsweise sein Gesicht. Natürlich hatte sie keinen straffen Zeitplan, den es einzuhalten galt, sie hatte nicht zwei Termine wegen dieser verfluchten Warterei verschieben müssen und es würde auch nicht knapp werden um ihren Sohn vom Fußball abzuholen. Wenn es nicht um die Suppenküche gegangen wäre, hätte sie vermutlich keinen Fuß in dieses protzige Gebäude gesetzt… Während sie in die nächste Straßenbahn einstieg und ein Ticket löste schweiften ihre Gedanken ab. Sie war jetzt sechsundzwanzig, hatte ein BWL-Studium mit Auszeichnung in der Tasche und war alleinerziehende Mutter. Für viele andere wäre der Spagat zwischen Job und Kind zu einer wahren Nervensache geworden. Tenten bewältigte ihn mit einem sorgsam durchdachten Zeitplan, der der Grund dafür war, dass sie eine Ewigkeit lang nichts Spontanes mehr unternommen hatte. Um halb sechs morgens riss der Wecker sie aus dem Schlaf, um sieben stand das Frühstück auf dem Tisch und um Viertel vor acht lieferte sie Souta im Kindergarten ab. Dies hatte den Effekt, dass sie es jedes Mal nur haarscharf schaffte pünktlich auf der Arbeit zu erscheinen. Tenten arbeitete in einer Bank in der Innenstadt, wohin es jeden Tag einen zehnminütigen Sprint von ihr erforderte sich vor acht Uhr in ihrem Büro einzufinden. Das einzig Gute an dem Ganzen Stress war wohl, dass es sie fit hielt. Tenten ließ sich erschöpft auf einem der Straßenbahnsitze fallen, der noch nicht belegt war und steckte sich die Stöpsel ihres MP3-Players in die Ohren. Kaum ertönte die Musik, drehte sie auf volle Lautstärke. Der Schlagzeug und der Bass dröhnten in ihren Ohren und Tenten verzog grimmig das Gesicht. Das war genau das was sie nach dem Zusammenstoß mit Hyuga brauchte. Um ehrlich zu sein hatte sie gehofft den Mistkerl nie wieder zu sehen. Während ihres Studiums hatte sie die meisten Seminare wie er besucht, was dazu führte, dass sie ihm unweigerlich über den Weg lief. Die meisten Professoren waren von ihm beeindruckt, weil er so ein Überflieger war und meistens schon mindestens ein Buch über das Thema eines Vortrages der Dozenten gelesen hatten, bevor die meisten anderen Studenten kaum wussten warum es in dem Thema überhaupt ging. Sie war kein Überflieger, sie kam mittelmäßig mit den Leuten aus und der einzige Grund, warum sie mit Hyuga mithalten konnte war harte Arbeit. Wenn es Diskussionen gab, in denen Hyuga seine Meinung kundgetan hatte, traute sich meist kein anderer mehr etwas zu sagen. Das waren die Momente, in denen Tenten seine Thesen anzweifelte und mit ein paar wohl durchdachten Argumenten dagegen hielt. Das führte wiederum dazu, dass Mr Perfect ihr noch mal haarklein erklärte wieso er recht hatte, was wiederum sie sich nicht gefallen ließ. Neji Hyuga zeigte nie auch nur den geringsten Anflug von Missfallen, aber nach einigen hitzigen Diskussionen hatte Tenten es raus zu erkennen, dass seine Augen jedes Mal wütend blitzten, wenn sie es wieder einmal gewagt hatte ihm zu wieder sprechen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie nichts gegen ihn. Sie verabscheute einzig und allein seinen Standpunkt, der ihr mit der Zeit immer klarer vor Augen führte, dass er irgendwann einmal als einer dieser machtgeilen, selbstsüchtigen Manager enden würde, denen andere völlig egal waren. Sie hätte ihn in Ruhe gelassen und sich um ihren Kram gekümmert, wenn die Sache mit Lee nicht gewesen wäre. Lee war ihr bester Freund und er hatte eigentlich nur mit dem Studium begonnen, weil sie es getan hatte. Damals hatte er einfach nicht gewusst was er machen sollte und hatte sich ihr angeschlossen, aber an sie oder Hyuga kam er einfach nicht heran. Während er gerade mal so verstand worin der Unterschied zwischen verschiedenen Marktsystemen bestand, warfen sie und Hyuga sich gegenseitig Paragraphen an den Kopf, wie man am besten Verträge aushandelte und nach welchen Kriterien am besten zu wirtschaften war. Als schließlich die Abschlussprüfung näher rückte, erreichte die Rivalität zwischen ihr und Hyuga den Siedepunkt. Er konnte ihr nichts anhaben und deswegen nahm er schließlich Lee aufs Korn, der mehr schlecht als recht mit dem ganzen Prüfungsstress zurecht kam. Es war ein einziger blöder Kommentar gewesen, nachdem Lee durchgefallen war, der sie ihre Beherrschung verlieren ließ. In ihrem ganzen Leben war sie noch nie so wütend gewesen und bevor sie darüber nachdachte, hatte sie ihm eine reingehauen, war abgehauen und hatte später mit Genugtuung erfahren, dass sie ihm die Nase gebrochen hatte. Seit diesem Tag hatte sie Neji Hyuga nie wieder gesehen. Während er vermutlich seine kometenhafte Karriere begann, war sie von ihrem Exfreund schwanger sitzen gelassen worden und konnte sehen wie sie ihr Leben wieder in den Griff bekam. Nach einem Jahr kehrte langsam wieder Normalität ein. Sie hatte einen Sohn zur Welt gebracht, Lee hatte ein Fitnessstudio eröffnet und ihre beste Freundin Temari kam ab und zu vorbei um auf Souta aufzupassen während sie Bewerbungen schrieb. Nach zwei Jahren hatte sie schließlich den Job in der Bank angenommen, stand selbstständig mit beiden Beinen im Leben und managte es nebenbei in einen Weg zu finden Menschen zu helfen. Tenten ging mit Kinderwagen auf Demonstrationen für bessere Arbeitsbedingungen der Sozialschwachen, spendete regelmäßig Blut und arbeitete samstags drei Stunden in einer Suppenküche für Bedürftige. Die Arbeit in der Suppenküche hatte sie gemacht so weit sie denken konnte. Es hatte einfach keine Zeit gegeben, in der sie nicht dabei gewesen war und das Lächeln auf dem Gesicht der Menschen zu sehen gab ihr selbst Kraft immer weiter zu machen. Manchmal hatte sie auch Souta mit gebracht, der lautstark mit seinem Spielauto um die Tische herum gekurvt war. Es hätte keinen Grund für sie gegeben heute die Uchiha Industries zu betreten, wenn die Lage nicht so verdammt ernst gewesen wäre. Das Geld reichte hinten und vorne nicht und die Zuschüsse der Stadtverwaltung waren nach den Auswirkungen der Wirtschaftskrise immer dürftiger geworden. Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma war einen großzügigen Investor zu finden, der ihre Arbeit unterstützte. Die Wahl war auf Uchiha Industries gefallen, nachdem Kiba Inuzuka, ein guter Freund von ihr, erzählt hatte, dass sein Chef Itachi Uchiha ab und an Projekte wie ihres unterstützte um sein Image aufzupolieren. Nur hatte sie keine Ahnung gehabt, dass Itachi Uchiha seit zwei Wochen im wohlverdienten Urlaub war und niemand anderem als Neji Hyuga die Verantwortung überlassen hatte. Sie hatte auch nicht gedacht, dass Hyuga sie so eiskalt abservieren würde. Sicher sie waren nie richtig gut miteinander ausgekommen, aber eigentlich hätte es der Anstand verlangt sich wenigstens anzuhören was eine ehemalige Mitstudentin zu sagen hatte. Das genaue Gegenteil war eingetreten. Tenten war sich nicht mal sicher, ob er sie überhaupt erkannt hatte. Die Straßenbahn hielt an einer heruntergekommenen Haltestelle und Tenten packte hastig ihre Sachen zusammen. Es war kurz nach sechs, als sie schließlich ihre Wohnung betrat. Sie war nicht sehr groß und nicht sonderlich aufgeräumt, aber kaum, dass Tenten durch die Tür ging fühlte sie sich zu Hause. Da waren die ihr vertrauten Kinderbilder an ihrer Küchentür, die Ecke in die sie ihre Schuhe zu pfeffern pflegte und in der Luft lag der Geruch von heißer Schokolade. Die Tür fiel ins Schloss und Tenten hängte müde ihren Rucksack an die Garderobe. „Bin wieder da!“, murmelte sie und trottete erschöpft in Richtung ihres winzigen Wohnzimmers. Aus dem Raum klang Gelächter und als sie die Tür aufstieß, sah sie Lee und Souta auf dem Boden miteinander ringen, beide konnten sich vor Lachen nicht halten während sie mühsam den anderen abhielten sich durchzukitzeln. „Hey, Tenten!“, ächzte Lee nach Luft schnappend. Souta nutzte die Gelegenheit und stürzte sich gleich noch einmal auf seinen Patenonkel. „Souta, Souta! Stop!“, brachte Lee mühsam heraus. „Souta!“ Tenten schnappte sich kurzerhand den kleinen Jungen, klemmte ihn sich unter den Arm und ließ sich mit ihm auf dem Sofa nieder. „So“, sagte sie mit ernsten Gesicht und kitzelte ihn ihrerseits, „gibst du auf?!“ „Och, Mum…“ Souta kicherte. Sie wuschelte ihm einmal durch das mittelbraune Haar, das ihm gelockt in die Stirn hing. Dann wandte sie sich Lee zu, der noch immer auf dem Boden saß. „So“, wiederholte Tenten, „wie viel Schweiß und Tränen hat er dich diesmal gekostet?“ „Wir haben gebacken.“, sagte Lee. Augenblicklich konzentrierte Tenten sich auf einen verdächtigen Geruch. Nichts. Sie hob eine Augenbraue. „Und was habt ihr damit gemacht?“ Ihr Blick schweifte von Lee zu Souta. Der kleine Junge grinste glücklich. „Gegessen.“ „Ihr habt einen ganzen Kuchen aufgegessen?“ Schuldbewusst wandte Lee den Blick ab. „Aber, Tenten, wir hatten Hunger“, protestierte Lee. Sie seufzte. „Lee, wie oft habe ich schon gesagt, dass ihr mehr Obst essen sollt und ein Brot zum Abendessen… Nicht so viel Süßes…“ „Onkel Lee“, unterbrach Souta sie, „spielen wir noch Mensch-ärgere-dich-nicht?“ „Oh, nein, junger Mann!“, unterbrach ihn Tenten, „Du gehst sofort ins Bett, wenn du gegessen hast. Es ist schon fast halb acht!“ „Mum…“ „Komm, kleiner Mann, wir lesen noch ein bisschen was“, schlug Lee vor, woraufhin ihn Souta anstrahlte. Die beiden verschwanden im Kinderzimmer und eine halbe Stunde später lag Souta im Bett. Sanft deckte Tenten ihn zu. Der kleine Junge blinzelte schläfrig und kuschelte sich dann in die Decke ein. „Gute Nacht, Souta“, sagte Tenten und küsste ihn liebevoll auf die Stirn. „Gut’ Nacht, Mum. Nacht, Onkel Lee“, gähnte er im Halbschlaf, als Tenten leise zurückwich und das Licht ausknipste. Kaum, dass sie das Kinderzimmer verließ, kam ihr Lee mit einer dampfenden Kanne entgegen. „Ich habe Tee gemacht.“, sagte er, „willst du einen, Tenten?“„Her damit und tu am besten noch viel Zucker rein.“ „So schlimm?“, fragte Lee während er sie zurück ins Wohnzimmer bugsierte. „Du hast ja keine Ahnung“, murmelte Tenten. „War Itachi Uchiha so unfreundlich?“, wollte ihr bester Freund wissen. „Nee’ der ist im Urlaub“, antwortete Tenten verächtlich. Lee warf ihr einen abwartenden Blick zu. Das tat er immer, wenn er etwas wissen wollte und auf eine verquere Weise war sie erst dann in der Lage ihre Gedanken wirklich zu ordnen. Sie holte tief Luft. „Also erst mal komm ich an die Info und die verweisen mich dann an den zweiten Stock“, begann sie zu berichten, „nur war ich da falsch. Deshalb bin ich wieder nach unten und habe denen das Problem noch mal erklärt.“ Lee nickte bestätigend. „Ich schwör’ da läuft nichts, wenn der Chef weg ist!“, ereiferte sie sich. „Und dann?“ „Dann? Dann haben sie mich ganze sieben Mal hin und her geschickt ehe ich irgendwann Kiba getroffen hat, der mir endlich sagen konnte, dass ich in den siebten Stock muss. Tja und dort bin ich so ner’ dummen Schnepfe begegnet, die auch keine Ahnung hatte.“ Sie holte tief Luft. „Und dann – du wirst nicht glauben, wem ich dann über den Weg gelaufen bin-“ „Wem?“ „Hyuga.“ „Hyuga?“ „Ja, Hyuga!“, fauchte Tenten, „dieser arrogante Mistkerl mit dem wir zur Uni sind, du erinnerst dich?“ Lee zuckte unmerklich zusammen. Seit sie Hyuga eine rein gehauen hatte, hatte er dieses Thema immer mit höchster Sorgfalt behandelt. „Und… und dann?“ „Dann? Dann! Was glaubst du, war dann? Dieser Arsch hat mich rausgeschmissen! Dieser verdammte Mistkerl…“ „Der kann dich doch nicht einfach rausschmeißen.“ „Offensichtlich doch“, schnaubte Tenten, „der Herr ist nämlich leitender Assistent Manager und der Boss solange Uchiha weg ist.“ „Was?!“ „Das hat einfach keinen Sinn, Lee, ich kann da nicht noch mal hin, wenn Hyuga da ist. Der macht mich einfach nur vor der gesamten Belegschaft fertig und ich bin wieder da wo ich angefangen habe…“ Stille… „Und was machen wir jetzt?“ „Ich weiß nicht…“ „Du weißt es nicht? Hör mal, Tenten. Du hast viel zu lange für diese Suppenküche gearbeitet, du kannst doch nicht aufgeben, nur weil Hyuga dich rausgeschmissen hat. Seit wann lässt du dich von so jemandem runter machen? Morgen gehst du noch mal hin, ich passe auf Souta auf und dann …wird es schon irgendwie werden“, endete er lahm. Tenten nippte an ihrem Tee und ein leichtes Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. „Du bist der Beste, Lee. Ich habe keine Ahnung was ich ohne dich machen würde…“ Lee grinste nur und Tenten packte die plötzliche Hoffnung, dass vielleicht doch noch nicht alles verloren war. Morgen würde sie es versuchen, Morgen, ja… Morgen. ~*~ Es gibt Situationen im Leben da hat man keine Wahl. Tenten hatte oft Momente erlebt, wo es eigentlich nichts zu entscheiden gab. Damals als sie mit dem Studium fertig war, ein Baby im Bauch und keinerlei Rückendeckung außer der von Lee und Temari hatte. Es war die schlimmste Zeit in ihrem ganzen Leben gewesen. Finsternis, nichts als Finsternis und kein Weg, der aus der Schwärze hinausführte. Sie hatte etwas verloren als der Vater ihres Kindes sie zurück gelassen hatte. Sie hatte ihr Glück verloren, ihre Freiheit und einen Teil ihrer selbst. Die Menschen hatten eine seltene Gabe, sie waren die einzigen, die nicht aus ihren Fehlern lernten. Sie taten kaum etwas ohne Hintergedanken, sie gaben sich nicht damit zufrieden, wenn sich nichts veränderte. Stillstand war etwas, mit dem sie nicht umgehen konnten. Tenten hatte es auf die harte Weise lernen müssen. Auf der Erde gab es keine Lebewesen, keine Pflanzen, die ohne jeden Grund Wesen ihrer eigenen Rasse verletzten und es im Zuge dessen immer geschafft hatten sich an den Rand es Aussterbens zu bringen. So dunkel die Zeit auch gewesen war in der sie alles verloren hatte, es hatte sie gelehrt, dass man selbst etwas tun musste, wenn etwas Gutes in der Welt sein sollte. Das war der Zeitpunkt an dem sie entschieden hatte zurück zu gehen zu dem Ort an dem sie so viele Stunden ihrer Jugend verbracht hatte. Nichts gab ihr besser das Gefühl, dass da etwas Gutes in der Welt war als das Lächeln der Menschen, die alles verloren hatten und überrascht waren, wenn jemand freundlich zu ihnen war. Sie stand vor dem riesigen Gebäude, dem gigantischen Hochhaus mit den glänzenden Wänden aus purem Glas, in dem sich die Sonne spiegelte und sie blendete. Die Autos brausten hinter ihr vorbei, die Menschen verschwanden in dem Bürotrakt und sie versuchte das winzige bisschen Mut zusammen zu kratzen, das sie brauchte um noch einmal einen Fuß in das Gebäude zu setzen. Für die Suppenküche. Sie ging geradewegs durch den Eingang. Der Empfangsbereich war ein großer heller Raum mit schönen Blumenkübeln und einem riesigen Infoschalter. Daneben hing ein Plakat auf dem die einzelnen Stockwerke mit ihren jeweiligen Aufgabenbereichen verzeichnet waren. Rein aus Gewohnheit warf sie einen Blick darauf und stockte als sie seinen Namen neben den Worten Siebter Stock erkannte. Ohne es zu wollen erinnerte sie sich wieder an den desinteressierten Blick und die Wut in seinen Augen, als sie ihn bei der Arbeit gestört hatte. Verärgert über sich selbst schüttelte sie ihre Gedanken ab. Sie würde sich nicht von ihm einschüchtern lassen und sie würde nicht eher ruhen bis sie ihr Ziel erreicht hatte. Ein Lächeln schlich sich auf Tentens Gesicht. Sie hatte einen Plan und zuerst musste sie Kiba finden. ~*~ Neji Hyuga hatte schlecht geschlafen. Sehr schlecht. Es war sehr lange her, seit er sich das letzte Mal wirklich beeilen musste. Genau genommen war das erst einmal passiert und damals war er dreizehn gewesen. Beinahe betrachtete er es als persönliche Schwäche, aber er zwang sich nicht weiter darüber nachzudenken. In Windeseile zog er den teuren Designeranzug an. Dazu ein weinrotes Hemd und eine schlichtschwarze Krawatte. Kaum, dass er die riesige Wohnung verlassen hatte und mit seinem Porsche die ersten beiden Ampeln hinter sich gebracht hatte, steckte er im Stau fest. Neji biss wütend die Zähne zusammen während er auf die Hupe hämmerte. Er hatte das Gefühl, dass heute ein noch schlechterer Tag werden würde als gestern, nur konnte er nicht sagen woher diese Vorahnung kam. Es war neun Uhr, als er endlich auf dem Parkplatz der Uchiha Industries ankam. Fünf Minuten später marschierte er durch die Eingangshalle, nahm den nächsten Aufzug ohne auf die verblüfften Mienen der Mitarbeiter zu achten, die ihn anstarrten, sobald er vorbeiging. Sollten sie doch gucken. Er hatte mehr Überstunden als jeder andere und Uchiha war im Urlaub. Wenn auch nur einer eine Bemerkung fallen ließ, würde es derjenige bereuen. Halb wünschte er sich, dass es jemand tat, dann hätte er zumindest jemanden an dem er seine schlechte Laune auslassen konnte. Der Aufzug hielt, er stieg aus und marschierte geradewegs an Miss Yamanakas Schreibtisch vorbei, ignorierte das „Guten Morgen, Mr Hyuga“ und verschwand in seinem Büro. Er stellte gerade die schwarze Aktentasche neben seinen Schreibtisch, als sein Blick auf eine Akte fiel, die er gestern auf seinem Schreibtisch zurückgelassen hatte. Darauf klebte ein gelber Post-it-Zettel mit der Aufschrift ‚Mr Inuzuka zur Bearbeitung’. Neji hielt inne… Das war die Akte, die schon vor zwei Wochen hätte erledigt seien sollen. Plötzlich hatte er eine ganz genaue Ahnung, wer seine Wut abbekommen würde… Mit einer Gemächlichkeit, die er sich selbst gar nicht zugetraut hatte, nahm er die Akte und ging ohne Eile Richtung Aufzug. Miss Yamanaka warf ihm einen verwirrten Blick zu, als er nach nur zwei Minuten in seinem Büro wieder raus marschierte. Neji wartete geduldig auf den Aufzug, stieg dann ein, als ein rotes Lämpchen blinkte und drückte dann den Knopf für den dritten Stock. Der Aufzug sauste herunter und er stieg aus. Normalerweise war es in den unteren Etagen lauter als in den Führungsebenen, die Kollegen gingen anders miteinander um, weil sie nicht so viel Verantwortung hatten wie er und es sich deswegen leisten konnten freundschaftlich miteinander umzugehen. Innerlich verdrehte er die Augen. Freundschaftlich. Arbeit war nicht zum Freundschaften schließen gedacht, sondern zum Geld verdienen. Normalerweise lag eine fröhliche Atmosphäre in der Luft, doch kaum, dass er durch den Gang kam, schlug die Stimmung von ausgelassen nach eiskalt um. Die Angestellten hielten mitten in ihren Gesprächen inne und tuschelten nervös. Es kam nicht oft vor, dass sich jemand aus der Führungsetage dazu bequemte selbstständig herunter zu kommen. Wenn er kam, bedeutete es Ärger. Neji erreichte Inuzukas Bürotür hinter der er das einzige Gespräch vernahm, dass nicht verstummt war. „Kiba, das kann doch nicht dein Ernst sein. Warst du die ganze Nacht auf?“, wollte eine besorgte Frauenstimme wissen. „Ich musste, Tenten, sonst verlier ich meinen Job.“, antwortete Inuzuka. „Und deine Gesundheit“, schoss die Frau zurück. „Vielleicht hat er es vergessen“, murmelte Inuzuka hoffnungsvoll. Kaum, dass er die Worte ausgesprochen hatte, öffnete Neji ohne zu Klopfen die Bürotür. „Haben Sie die Arbeit fertig, Inuzuka? Ansonsten-“ Neji stoppte mitten im Satz. Das Bild, das sich ihm bot, hatte er zuletzt erwartet. Inuzuka saß eingesunken auf seinem Schreibtischstuhl, eine Tasse Kaffee in der Hand, dicke Ringe unter den Augen und er schien mehr tot als lebendig. Auf dem Schreibtisch waren dutzende Papiere ausgebreitet, die jedoch in keiner Ordnung zueinander standen und in der Ecke stand eine Frau in einem schwarzen Blazer und einem dazu passenden knielangem Rock, deren lange dunkelbraune Haare ihr in sanften Wellen über ihre Schultern fielen. Tenten. „Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt“, durchbrach er die Stille. Tenten richtete sich auf und sah ihm direkt in die Augen. „Und ich dachte beim nächsten Mal lässt du mich vielleicht ausreden, Hyuga.“ „Nein“, antwortete er knapp, „ich habe keinerlei Interesse in – was war das noch gleich? – Wie auch immer. Haben Sie die Arbeit fertig, Inuzuka?“ Inuzuka erbleichte noch mehr, wenn das überhaupt noch möglich war. „Mr Hyuga, also…“ „Hören Sie auf um den heißen Brei herum zu reden. Haben Sie’s fertig, oder nicht?“ Inuzuka murmelte etwas Unverständliches. „Wie bitte?“„Der einzige, der fertig ist, ist er selbst, Hyuga!“, fauchte Tenten, „er hat wegen dem Mist die ganze Nacht kein Auge zu getan!“ Sein Blick flimmerte abermals zu der Brünetten. „Ich wüsste nicht, dass Sie irgendein Recht haben die Arbeitsmethoden dieser Firma zu kritisieren.“ „Oh, doch!“, ereiferte sich Tenten, „Kiba ist ein guter Freund von mir und du behandelst ihn, als wäre er es noch nicht mal wert, dir die Tür aufzuhalten!“ „Hmm, lass mich nachdenken…“ Er grinste. „Das ist er auch nicht.“ Er konnte sehen wie die Wut ihre Augen erreichte und diese das gleiche gefährliche Blitzen annahmen wie damals kurz bevor sie ihn geschlagen hatte. Tentens Hände zitterten. „Du arrogantes Arschloch“, brachte sie gerade noch heraus, „du glaubst, die ganze Welt dreht sich nur um dich, weil du schlauer bist als andere. Weil du einen guten Job hast! Du magst vielleicht denken, dass du alles hast, aber eins wirst du nie haben!“ Er hob eine Augenbraue. „Was sollte das bitte sein?“ „Freunde!“, schrie Tenten, „du hast doch nicht das kleinste bisschen Mitgefühl, andere Menschen sind dir doch egal, wenn du nur kriegst, was du willst!“ Die murmelnden Gespräche im Gang wurden lauter. Einige neugierige Mitarbeiter hatten den Kopf aus ihren Büros gesteckt und lauschten dem Streit aus Kiba Inuzukas Büro. Es war ein Schock gewesen Neji Hyuga zu spät zur Arbeit kommen sehen, es war noch unüblicher, dass er einem der Mitarbeiter einen persönlichen Besuch abstattete, aber niemals… niemals hatte es jemand gewagt Neji Hyuga anzuschreien. „Bist du fertig?“, fragte Neji gefährlich ruhig, als Tenten gerade innehielt um Luft zu holen. „Fertig! Oh nein, Neji Hyuga, ich bin nicht fertig! Von dir lasse ich mir nicht den Mund verbieten! Noch einmal fertigst du mich nicht so ab wie gestern. Ich werde so lange hier bleiben bis ich mit jemandem über mein Anliegen gesprochen habe, der nicht so inkompetent ist!“ „Du nennst mich inkompetent, Tenten?“ „Ich nenne dich wie ich will!“ Kiba betrachtete die Situation versteinert und wagte es nicht sich zu rühren. Wenn Tenten auf Hundertachtzig war, dann sagte man am besten gar nichts. Was Neji Hyuga anging hatte er es nie für möglich gehalten, dass dieser überhaupt die Nerven verlieren konnte. Doch dieser Morgen war voller Überraschungen und so geschah es zum ersten Mal, dass Neji Hyuga seit seinem Vertragsabschluss mit jemand so laut stritt, dass es noch auf dem Flur zu hören war. Was Neji Hyuga nicht wusste war, dass er diese Situation womöglich hätte umgehen können, wenn er pünktlich gekommen wäre, sich wie üblich in die Arbeit gestürzt hätte und das Schicksal ihn nicht zum zweiten Mal in zwei Tagen auf Tenten treffen ließ. Es wäre nie zu diesem Streit gekommen und er hätte nie die Aufmerksamkeit des Einzigen erregt, dessen Segen beide brauchten. „Was ist hier los?“, fragte Itachi Uchiha. ~*~ „So…“ Itachi Uchiha ließ seinen Blick von einem zum anderen wandern. „Wie kommt es, dass ich Sie beide schon aus zwanzig Meter Entfernung streiten höre kaum, dass ich aus dem Urlaub komme?“ Itachi Uchiha lehnte sich im Chefsessel zurück und betrachtete sie und Hyuga aufmerksam. Der Chef von Uchiha Industries war ganz anders als Tenten ihn sich vorgestellt hatte. Noch recht jung für einen Leiter eines solchen Unternehmens. Vielleicht Mitte dreißig. Er war relativ groß, hatte schulterlange schwarze Haare, die er zu einem Zopf zusammen gebunden hatte, bleiche Haut und einen Blick, der ihren Streit mit Hyuga in fünf Sekunden beendet hatte. Und bevor sie überhaupt wusste wie es passiert war, hatte sie sich mit Hyuga in Uchihas Büro wiedergefunden mit drei Tassen Kaffee und einem Teller mit Keksen auf dem Tisch. Soweit Tenten es beurteilen konnte, war Hyuga stocksauer und hätte sie für diese Situation am liebsten in Stücke zerrissen. Tenten schlug ein Bein über das andere, warf Hyuga einen triumphierenden Blick zu und lächelte Itachi Uchiha selbstsicher an. „Nun, Mr Uchiha, ich habe nur versucht Mr Hyuga dazu zu bringen mir zuzuhören. Von einem Bekannten habe ich gehört, dass Sie soziale Projekte unterstützen und ich möchte Sie bitten sich das hier“ - Sie zog eine ordentliche Mappe aus ihrer Handtasche- „mal näher anzuschauen. Mr Hyuga war leider nicht in der Lage sich über Details zu informieren, da er zu beschäftigt war mich rauszuschmeißen.“ Hyuga warf ihr einen eiskalten Blick zu. Itachi Uchiha hob nur eine Augenbraue, bevor er nach der Informationsmappe griff. Ein paar Minuten vergingen in denen man nur das Rascheln der Seiten hörte, als Itachi Uchiha das Konzept überflog. „Eine Suppenküche für Bedürftige?“ „Exakt“, antwortete Tenten, „doch Sie sehen wir stecken in finanziellen Schwierigkeiten. Ein solches Projekt ist immer von Investoren abhängig und in letzter Zeit wollen die Firmen zuallererst sich selbst stabilisieren bevor sie an eine eventuelle Fehlinvestition denken. Ich bin sicher diese Einrichtung fällt unter die Art von Projekten, die sie schon unterstützt haben und immer noch unterstützen. Außerdem wäre eine solche Unterstützung eine wertvolle Propaganda für Uchiha Industries. Stellen Sie sich die Schlagzeile vor, Mr Uchiha, Uchiha Industries hilft mitten in der Krise denjenigen, die sie am härtesten trifft.“ Itachi Uchiha blätterte nochmals das Konzept durch. Dann blickte er auf. „Das scheint alles sehr vielversprechend, Miss-“ „Tenten Ama“ „Gut, Miss Ama, Sie haben Recht. In der Vergangenheit haben wir wirklich Projekte wie ihres unterstützt, allerdings-“ „Allerdings können wir nicht in etwas investieren ohne die Risiken zu kennen, die Finanzierung und den täglichen Arbeitsablauf“, beendete Neji Hyuga seinen Satz. Itachi Uchiha nickte ihm zu. „Ganz genau, Mr Hyuga und um Ihr Verhalten von vorhin wieder gut zu machen, schlage ich vor, dass Sie sich der Sache annehmen.“ „Was?!“, sagten Tenten und Neji gleichzeitig. „Sie haben mich schon verstanden. Es schadet dem Image dieser Firma, wenn Sie sich die Anfragen nicht mal anhören. Sie werden sich die Einrichtung persönlich begutachten. Lernen Sie den Ablauf kennen, die Menschen, die Finanzen und liefern Sie mir in zwei Wochen einen umfangreichen Bericht. Dann entscheide ich, ob wir es uns leisten können zu investieren.“ „Aber-“ „Ich geben ihnen zwei Monate, dann habe ich Ihren Bericht, Mr Hyuga. Ich bin sicher Miss Ama wird Sie gerne in die Strukturen der Einrichtung einführen.“ Neji Hyuga nickte mechanisch und Tenten konnte nicht glauben was sie hörte. Das durfte doch nicht wahr sein! Ausgerechnet Hyuga! Jeder andere, aber nicht Hyuga! Er würde sie eiskalt abservieren, nur weil sie ihm damals eine geknallt hatte… „Wann passt es Ihnen am besten, Miss Ama?“ Tenten schreckte aus ihrer Trance und sah Itachi Uchiha kurz verwirrt an. „Ähm, morgen Abend müsste gehen, wenn ich ein paar Termine verschieben kann…“ Sie kramte in ihrer Handtasche, fand ihren Terminkalender und blätterte eilig die Seiten durch ohne die überraschten Blicke der beiden Männer zu beachten, die aufgrund der Dicke des kleinen Buches verblüfft wirkten. Endlich fand sie was sie gesucht hatte, dachte kurz scharf nach und organisierte gedanklich den morgendlichen Tag um. „Um neunzehn Uhr, Mr Hyuga, an der Gartenallee zwölf.“ „Dann wäre das also geklärt.“ Itachi Uchiha stand auf und streckte die Hand aus. Hastig tat Tenten es ihm nach und schüttelte seine Hand. „Sie werden von mir hören, Miss Ama. Bis dahin alles Gute.“ Dann wandte er sich zu Hyuga um. „Mr Hyuga, ich entbinde Sie kurzfristig von Ihren sonstigen Pflichten damit Sie sich auf Ihre Aufgabe konzentrieren können.“ Neji Hyuga nickte und sah sie dann auf eine unergründliche Weise an. „Also dann…“ , er streckte ihr ebenfalls seine Hand entgegen, „auf gute Zusammenarbeit.“ Er verließ den Raum und Tenten fragte sich was zur Hölle gerade passiert war. ~*~ Zehn, elf.., zwölf. Er stand vor einem Altbau mit einem windschiefen Namensschild über dem Eingang, dessen Lettern schon längst verblichen waren. Neji kniff die Lippen zusammen, stieg aus dem Auto aus und nahm seine Laptoptasche vom Beifahrersitz. Mit tiefstem Abscheu betrachtete er das heruntergekommene Haus mit der Nummer zwölf. Der alte Klinker war fast völlig mit Efeu überwachsen und über dem Eingang hing ein verwittertes Schild, deren Lettern so stark verblichen waren, dass man den Namen, den sie einmal gebildet hatten, nicht mehr entziffern konnte. Schon aus der Ferne konnte man den starken Geruch nach Essen riechen. Neji konnte nicht glauben, dass er wirklich hier war. Er konnte Tenten vielleicht verzeihen, dass sie ihn wiederholt kritisiert und ihn geschlagen hatte, aber nun hatte sie ihn vor der gesamten Firma und seinem Chef blamiert. In seiner gesamten Laufbahn hatte es nie auch nur einen einzigen Grund für Itachi Uchiha gegeben negativ von ihm zu denken. Und dann kam diese Society-Tante an und schaffte es, dass er persönlich von Uchiha in die Führungsetage zitiert wurde um ihm dort Rede und Antwort zu stehen. Und nun konnte er auch noch diesen Mist machen. Noch immer stocksauer stapfte Neji auf die Tür zu und riss sie auf. Der Raum war mit etwa fünfzehn Tischen ausgestattet, die fast alle besetzt waren. Der Boden bestand aus altem abgelaufenem Parkett und in der Ecke stand ein Klavier, das aussah als wäre auf ihm seit mindestens einem Jahrhundert nicht mehr gespielt worden. Jedenfalls, wenn er sich die Staubschicht so ansah… Die Menschen sahen nicht viel anders aus als er sie sich vorgestellt hatte. Zusammengesunkene Gestalten, die entweder zu laut waren, oder nur vor sich hinmurmelten. Allesamt Gammler, die es zu nichts gebracht hatten. „Hey“, sprach er einen an, „ich suche Tenten Ama. Wo ist sie?“ Der Mann blickte auf und grinste ihn schief an. Unwillkürlich wich Neji zurück, als der Besucher einen Nasenring offenbarte. „Was willst’n von ihr? Biste’ ihr Lover?“ „Nein“, stellte Neji klar, „da müsste die Hölle gefrieren.“ Der Mann schüttelte nur den Kopf. „Ich glaub’ sie ist hinten. Gibt Gulasch…“ Neji nickte ihm einmal zu und machte sich in Richtung Küche auf. Kaum, dass er die Tür erreichte, wurde diese schon von Tenten aufgerissen, die es irgendwie schaffte fünf Teller gleichzeitig zu balancieren. Sie trug kaputte Jeans, eine blaue Bluse, dessen Ärmel hochgekrempelt waren und eine gestreifte Schürze. „Ich sagte neunzehn Uhr, Hyuga und nicht neunzehn Uhr fünf“, begrüßte sie ihn. Schon wieder kochte die Wut in ihm hoch. „Oh, Verzeihung“, erwiderte er sarkastisch, „ich musste erst sicher gehen, dass diese Bruchbude das richtige Haus ist.“ „Nun, du bist richtig“, entgegnete sie ungerührt, „los, zieh dich um. Hinten in der Küche liegen noch ein paar Schürzen, du kannst dich gleich nützlich machen, da gibt es noch genug Zwiebeln, die geschnitten werden müssen. Wenn du damit fertig bist, kannst du die Kartoffeln schälen. Und nun entschuldige mich, die Gäste haben Hunger.“ Und schon rauschte sie an ihm vorbei. Neji stand da und konnte nicht glauben, dass sie ihn soeben zum Kartoffelschäler degradiert hatte. Aber so einfach würde er es ihr nicht machen. Grimmig setzte er sich an den nächsten Tisch, packte den Laptop aus und begann damit seinen Bericht zu tippen. Eine Viertelstunde verstrich. Niemand beachtete ihn und so hatte er genug Gelegenheit die übrigen Gäste zu begutachten. Da war eine alte Dame mit einem Filzhut, der vielleicht mal vor zwanzig Jahren in Mode gewesen war, die eifrig mit ihrer Tischnachbarin diskutierte. Direkt neben den beiden saß der Rocker mit dem Nasenring und schaufelte genüsslich die Nudeln mit dem Gulasch in sich hinein. An einem anderen Tisch saß ein alter Mann, der die Tageszeitig las und scheinbar noch auf sein Essen wartete. Weiter entfernt saßen ein paar Junge Leute, nicht älter als zwanzig, die scheinbar Sozialfälle waren. Die eine hatte knallrote kurze Stachelhaare und war punkmäßig gekleidet. „Kannst du mir vielleicht mal sagen, was du da machst?“ Tenten tauchte vor ihm auf und augenscheinlich schäumte sie vor Wut. Neji tippte ohne Hast zu Ende. „Meinen Job“, erwiderte er kühl. Tenten knallte ein paar leere Teller auf seinen Tisch. „Uchiha hat gesagt, du sollst die Einrichtung kennenlernen, nicht sie beobachten“, fauchte sie. „Ich lerne etwas kennen, indem ich es beobachte. Manche andere sind dazu vielleicht nicht in der Lage…“ Sie funkelte ihn wütend an. Dann wich der angepisste Ausdruck in ihrem Gesicht plötzlich einem Lächeln. „Hmm… du kannst das natürlich so machen, aber dann werde ich deinem Chef leider berichten müssen, dass du dich kein Stück integriert hast, kostet mich nur einen Anruf, überlegs’ dir. Ich bin dann in der Küche.“ Sie drehte sich um und warf ihm noch ein liebliches Lächeln zu. Oh, wie er sie hasste. Für diese besserwisserische, dominante Art und ihre billigen Erpressungsversuche. Wie in Zeitlupe klappte er den Laptop zusammen und machte sich auf den Weg Richtung Küche. Als er an den beiden Damen vorbei kam, kicherten sie mädchenhaft, verstummten jedoch, als sie seine Miene sahen. „…ein paar Kilo Gulasch, du übernimmst die Kartoffeln, Tenten.“ „Mach ich Chouji, wann hast du das Gulasch fertig?“ Er klopfte gegen den offenen Türrahmen. Tenten und ein rundlicher Mann fuhren herum. „Na sieh mal an, wer sich die Ehre gibt. Chouji, ich habe jemanden, der die Zwiebeln übernimmt.“ „Wunderbar“, erwiderte der Mann namens Chouji, „aber meinst du nicht, er müsste sich erst umziehen.“ Er betrachtete skeptisch den perfekt gebügelten Anzug. „Oh, ich bin sicher Mr Hyuga wird sich schon zu helfen wissen.“ Neji warf ihr einen weiteren mörderischen Blick zu, zog das Jackett aus und pfefferte es in die Ecke, wo er kurz zuvor seinen Laptop abgestellt hatte. Chouji warf ihnen einen irritierten Blick zu und deutete ihm dann ihm zu folgen. „Mr Hyuga, nehme ich an?“ „Richtig.“ „Chouji Akimichi“, stellte er sich vor, dann wanderte sein Blick zur Kochfläche. „Ähm, ich will ja nicht unhöflich sein, aber Sie sehen nicht wie jemand aus, der regelmäßig selbst kocht. Wissen Sie … ähm … was sie tun müssen?“ „Ich werde es wohl noch fertig bringen ein paar Zwiebeln zu schälen.“ „Natürlich, natürlich.“ Er warf ihm noch einen letzten Blick zu und machte sich dann daran das Fleisch zu wenden. Neji krempelte die Ärmel hoch und betrachtete den Haufen Zwiebeln. Mit einem Seitenblick stellte er fest, dass dieser Chouji schon dabei war das Gulasch zu würzen. Es sah ziemlich leicht aus und ein paar lächerliche Zwiebeln würden ihn nicht umbringen, aber für diese Erniedrigung würde Uchiha nicht um eine Gehaltserhöhung herumkommen. Neji nahm eine Zwiebel in die Hand und fand in der nächsten Schublade ein Messer. Chouji schmeckte mittlerweile das Gulasch mit Salz und Pfeffer ab. Selbst, wenn er ihn nicht kannte, in einem hatte der Koch recht. Es war wirklich ewig her, dass er selbst gekocht hatte. Die Wahrheit war, dass er nach der Arbeit in ein Fünf-Sterne-Restaurant zu gehen pflegte und sich dort die erlesensten Speisen servieren zu lassen. Wann hatte er das letzte Mal gekocht? Mit einundzwanzig? Wütend zerstückelte er die Zwiebel auf seinem Brettchen ohne darauf zu achten, dass ihm die Augen tränten und war bereits mit der ersten Ladung fertig, als Tenten wieder auftauchte. Sie schaute erst ihn an, dann den klein geschnittenen Haufen Zwiebeln. „Sag mal, Hyuga, hat dir schon mal jemand gesagt, dass man Zwiebeln erst schälen und abwaschen muss, bevor man sie kleinhackt und kennst du eigentlich den Gebrauch, dieses praktischen kleinen Gerätes-“ Sie hielt ihm ein Gerät entgegen, das ganz danach aussah, als würde es die Arbeit extrem erleichtern „-mit dem man gleich eine ganze Zwiebel klein hacken kann?“ „Mach du es doch, wenn es dir nicht passt!“ „Oh, das mache ich auch, gib her!“, befahl sie und schnappte sich sein Messer. „Und du übernimmst die Kartoffeln, da kannst du nicht viel falsch machen, erst schälen und dann abwaschen, klar?!“ Dann wandte sie sich an Chouji. „Chouji, du kannst die nächsten Teller raus bringen, ich komm’ schon klar.“ Damit stellte sie sich neben ihn, wusch die restlichen Zwiebeln ab, schälte sie und zerhackte sie dann ohne eine einzige Träne zu vergießen. Im nächsten Augenblick hatte sie die Pfanne mit dem Fleisch von der warmen Herdplatte genommen und mischte die Gewürze darunter. Innerhalb zwanzig Minuten war die nächste Portion fertig und er hatte gerade mal zehn Kartoffeln geschält. Die Zeit verstrich. Neunzehn Uhr. Neunzehn Uhr dreißig. Zwanzig Uhr… Keiner von ihnen sprach auch nur ein einziges Wort. Schließlich schüttete Tenten die Zutaten in einen großen Topf, rührte das dampfende Gulasch noch mal um und verteilte dann gleichgroße Portionen auf ein paar Teller. „Komm mit Hyuga“, durchbrach sie schließlich die Stille, „wird Zeit, dass du die Gäste kennen lernst. Du kannst mir helfen ihnen das Essen zu servieren.“ Ohne ein Wort schnappte er sich zwei Teller mit Kartoffeln und Gulasch. Kaum, dass sie in den Speiseraum kamen, wurden sie auch schon lautstark begrüßt, was wohl größtenteils am Gulasch lag. „Mahlzeit“, er stellte zwei Teller vor den alten Damen ab, die ihn vorhin sehr merkwürdig beäugt hatten. „Oh, Schätzchen setz dich doch“, forderte ihn die Dame mit dem Filzhut auf. „Nein, danke.“ „Ach, komm schon. Wir müssen doch mal hören was die Jugend heutzutage so macht.“ Wieder kicherte sie. Vom Tisch nebenan warf Tenten ihm einen bitterbösen Blick zu und er erinnerte sich an ihren billigen, dennoch wirkungslosen Erpressungsversuch. „Na, gut…“, gab er auf. „So, darf ich vorstellen, das ist Hana“, sie deutete zu ihrer Freundin, „und ich bin Kameko. Und wie heißt du?“ „Neji Hyuga.“ Sie schaufelte sich einen weiteren Löffel Kartoffeln in den Mund. „Und wie alt bist du, Neji?“, wollte nun Hana wissen. Neji schluckte die Bemerkung, dass sie noch lange nicht beim Du waren, herunter und entschied sich für das kleinere Übel. „Achtundzwanzig.“ „Verheiratet?“ „Nein.“ „Was? In dem Alter? Hana, da war ich schon zweimal schwanger!“ Neji stöhnte, mit allem hatte er gerechnet, aber nicht mit diesem Gespann, das offensichtlich eine viel zu niedrige Rente bekam. Und er konnte schwören, dass Tenten ihn eben schadenfroh angegrinst hatte… Jetzt war es Zwanzig Uhr dreißig. Und er war immer noch nicht aus dem Laden raus. Um Zwanzig Uhr vierzig, verabschiedeten die beiden Damen sich schließlich, der Raum lehrte sich, doch bevor sie gehen konnten, musste Tenten ihn unbedingt noch allen vorstellen und verkünden, dass er in zwei Tagen wieder da sein würde. Ja, er würde da sein, aber er tat es allein wegen seinem Job. Und irgendwann… irgendwann würde er ihr alles heimzahlen… „Hier.“ Er blickte auf. Tenten hatte ihm soeben einen Teller mit dampfendem Gulasch hingestellt. Skeptisch hob er eine Augenbraue. „Iss, es ist dein Anteil. Ich hab’s auch nicht vergiftet.“ Natürlich nicht, sonst konnte sie nämlich mit ihrer Investorensuche von neuem beginnen. „Danke“, sagte er sarkastisch, „ich bin zutiefst gerührt an diesem Mahl teilhaben zu dürfen.“ Tenten rollte mit den Augen. „Spiel dich nicht so auf, Hyuga, heute war ein ruhiger Tag, sonst sind sie noch mindestens bis halb zehn hier und nicht bis-“, sie schaute auf die Uhr, „oh, scheiße! Ich komme zu spät! Sag Chouji, ich bin schon los. Wenn ich mich beeile, komme ich nicht zu spät zum Elternabend! Bis in zwei Tagen, Hyuga, und wehe du bist nicht pünktlich!“ ~*~ Das nächste Mal kam er in Hemd und Jeans. Wenn sie ganz ehrlich war, hatte Tenten es nicht für möglich gehalten, dass Hyuga aus seinen Fehlern lernen, geschweige denn sie sich eingestehen würde. Trotzdem sah der ganze Aufzug immer noch teuerer aus, als alles was sie im Schrank hatte. Irgendwie hatte es etwas Lässiges und sie hatte Neji Hyuga nie lässig gesehen. Immer nur elegant und teuer gekleidet, aber nie hatte er so eine Gelassenheit ausgestrahlt und so schwer es ihr auch fiel, sie musste zugeben, dass es … nun ja… gut aussah. Hyuga hob eine Augenbraue, als er ihren Blick bemerkte und Tenten wandte sich verlegen ab. „Du bist zu früh“, überspielte sie ihre Verlegenheit. Hyuga hing schwungvoll seine Jacke auf. „Wenn es dir nicht passt, dann gehe ich jetzt noch mal vor die Tür, rauche eine und komme in fünf Minuten wieder.“ „Schon gut“, antwortete Tenten säuerlich. „Hey!“ Chouji kam aus der Küche und hob zum Gruß die Hand. „Hallo“, grüßte Hyuga teilnahmslos zurück und machte eine Miene als ob er viel lieber irgendwo anders auf der Welt wäre. Oh, er sollte leiden. Tenten hatte noch nie eine solche Genugtuung empfunden. Nach all den Erniedrigungen und Sprüchen, die sie sich hatte anhören müssen, hatte sie es irgendwie geschafft ihn in eine Situation zu bringen aus der er sich nicht befreien konnte und die er aus tiefster Seele verabscheute. „Hey Tenten, kommst du?“, riss Chouji sie aus ihren Gedanken. „Ja, natürlich. Hyuga, du wirst dich heute um die Gäste kümmern.“ Er warf ihr einen gehässigen Blick zu, folgte aber ihrer Anweisung und marschierte auf eine der Sitzgruppen zu. Tenten sah ihm nach. In diesem Raum hatte sie so viele Stunden ihres Lebens verbracht. Angefangen hatte alles in der neunten Klasse, als sie einen Praktikumsplatz gesucht hatte, irgendwie war sie hier gelandet und irgendwie war sie hängen geblieben. Ein Teil von ihr würde immer hier sein und ein Teil dieser kleinen unscheinbaren Welt war immer bei ihr. Der Geruch, der aus der Küche strömte. Chouji, der einen seiner berühmten Nachtische kreierte. Souta, der um die Tische herum sprang. All die Gesichter, die kamen und gingen. Eine Welt, die im Alltag unterging und die man nicht beachtete, bis man selbst drinsteckte. Die Menschen kamen aus dem Elend, aber sie gaben ihnen Hoffnung mit auf den Weg. Das würde sie sich von niemandem kaputt machen. Nach einer dreiviertel Stunde war der Nudelauflauf fertig, der Stress hatte sie voll im Griff und sie war am Ende ihrer Kräfte. Doch als sie mit der Auflaufform den Esssaal betrat, traute sie ihren Augen nicht. Neji saß am Tisch mit dem alten Mann, der jeden Donnerstag kam und immer ein abgenutztes Schachspiel dabei hatte. Sie saßen sich beim Schach gegenüber, beide starrten konzentriert auf das Brett und dann sah sie etwas, das sie noch nie bei ihm gesehen hatte. Er lächelte. Es war ein ehrliches, glückliches Lächeln ohne die aalglatte Maske, die er sonst immer trug. Für einen Moment glaubte sie noch etwas anderes in ihm gesehen zu haben, aber nur einen Augenblick später starrte er höchst konzentriert auf das Spiel vor ihm. „Schätzchen, komm setz dich zu uns, dann können wir uns unterhalten!“ Tenten schreckte aus ihrer Trance und machte in einer Ecke Hana und Kameko aus. Die alten Damen winkten ihr zu und sie setzte sich langsam in Bewegung. Kaum, dass sie angekommen war, zehrte sie Hana – immer noch ziemlich kräftig für ihr Alter- auf den nächsten Stuhl, sodass sie kaum Zeit hatte den Auflauf auf den Tisch zu stellen. „Also, Tenten, wer ist der Bursche?“ Kameko sah sie interessiert an. „Ich habe genau gesehen wie du ihn angeschaut hast.“ „Ich habe nicht angeschaut“, sagte Tenten sofort. „Oh, bitte, Kindchen, ich habe vier Ehen hinter mir, mir brauchst du nichts erzählen…“ Herrgott, wo war sie hier gelandet? Kameko und Hana klatschten so ziemlich über alles und jeden und in der letzten Zeit hatten sie wiederholt versucht sie zu verkuppeln. Als, ob das je Aussicht auf Erfolg hätte. Nicht, nach dem was ihr Ex mit ihr angestellt hatte. „Na?“ „Er ist Angestellter von Uchiha Industries, er lernt den Laden kennen und stellt seinem Chef hinterher vor, ob es sich lohnt in uns investieren.“ Schweigen. Die beiden Damen tauschten einen ernsten Blick. „Deshalb ist er noch nicht verheiratet.“, stellte Kameko fest. „Er ist so ein Arbeits-“ „Nein, Hana, das ist so was Englisches, irgendwas mit Arbeit…“ „Workaholic?“, warf Tenten dazwischen. „Ja, genau!“ Hana klatschte in die Hände. „So ein komischer Mensch, der den ganzen Tag nur an Arbeit denkt.“ ‚Der denkt ans Geld’, dachte Tenten sarkastisch. „Er wäre perfekt für dich, Schätzchen.“ Sie fiel aus allen Wolken. Neji Hyuga. Perfekt. Für. Sie. Sie starrte die beiden alten Frauen entsetzt an, die gerade dabei waren Hyugas Vorzüge aufzuzählen, die sie eigentlich gar nicht kannten. Die sonst so müden Augen strahlten anhand des neuen Tratschs, die vielen Fältchen spannten sich über ihre Wangenknochen. Tenten starrte beide wütend an und hoffte, dass Hyuga nicht das kleinste Bisschen von dieser Unterhaltung mitbekam. „Da müsste schon die Hölle gefrieren.“ Jemand fing an zu lachen. Tenten fuhr herum. Am Nebentisch saß der Rocker, dessen Namen sie ständig vergaß. Dann grinste er sie frech an. „Genau das hat er auch gesagt.“ „Siehst du, Schätzchen, ihr denkt sogar das gleiche.“ Sie gab es auf. Die alten Damen hörten ihr nicht zu und drehten ihr die Wörter im Munde um. Tenten, verabschiedete sich kurz gebunden, servierte ihnen den Auflauf und nahm so schnell es ging Reißaus. Später als sich schon der Saal geleert hatte, sank sie erschöpft auf einen Stuhl und versuchte die Augen offen zu halten. Tenten versuchte nicht daran zu denken, dass sie noch eine Dreiviertel Stunde mit der Bahn fahren musste. Fast bemerkte sie es nicht, dass jemand neben sie trat und ein Glas Wasser vor sie hin stellte. Im Normalfall hätte sie ihm einen blöden Spruch an den Kopf geworfen, aber jetzt war sie viel zu müde dazu. „Er hat mich im Schach geschlagen“, stellte Neji nüchtern fest. Sie drehte ihm den Kopf zu. „Das wundert mich nicht. Er hat früher mal an Landesmeisterschaften teilgenommen.“ „Ach ja?“ „Es würde dich wundern was für Leute hierher kommen“, erwiderte Tenten, „siehst du den da?“ Sie deutete auf einen Mann Mitte vierzig, der sich trotz seiner abgetragenen Kleidung noch einen Rest Würde bewahrt hatte. Neji folgte ihrem Blick. „Er war mal Banker“, erklärte Tenten, „hat bei der Wirtschaftskrise in die falschen Immobilien investiert und jetzt hat er gar nichts mehr.“ „Und die da drüben.“ In einer Ecke saßen zwei Mädchen; die eine davon war die Punkerin mit den roten Stachelhaaren, die leise mit ihrer Freundin sprach. „Ausbildung abgebrochen und dann nichts neues gefunden. Irgendwann landen sie auf der Straße…“ Tenten trank einen großen Schluck aus ihrem Wasserglas. „Natürlich gibt es auch noch andere“, fuhr sie fort, „solche, die dem Staat wirklich nur auf der Tasche liegen, aber wo sollen sie denn hin? Sie haben sowieso schon alles verloren und leben und leben einfach nur vor sich hin.“ Sie verstummte. Er beobachtete sie und sein Blick erzeugte bei ihr eine Gänsehaut. Es war nicht wie sonst, er wandte sich nicht sofort ab. Er hörte zu… „Darf ich dich mal was fragen?“ Tenten spürte seinen Blick im Rücken und sie nickte. „Warum tust du das alles? Es bringt dir keinen Cent und dafür hast du nur noch mehr Stress.“ Sie schwenkte das Glas und sah ihn dabei mit einer Mischung aus Unbehagen und Nachdenklichkeit an. „Ich bin Abteilungsleiterin in einer Bank“, begann sie, „ich habe tagtäglich mit Leuten zu tun, die Geld anlegen, investieren, einen Kredit aufnehmen oder so große Summen abheben, die ich in zwei Jahren nicht verdiene. Und trotzdem… es ist nicht viel, das uns von diesen Menschen trennt. Und wir leben in einer Illusion, weil wir glauben wir könnten besser sein, erfolgreicher… mehr wert als sie… Diesen Teil der Welt will niemand sehen. Nur vergessen wir dabei, dass wir jederzeit in die gleiche Lage kommen könnten.“ ~*~ Es veränderte ihn. Er konnte nicht sagen wieso es passierte, oder warum so schnell, aber es veränderte ihn. Tenten zeigte ihm etwas, an dem er vorbei gegangen war. Noch immer war er wütend auf sie, weil sie ihn in diese Lage gebracht hatte, in der er keine Möglichkeit mehr hatte blind zu sein. Tag für Tag sah er diese Menschen, fragte sich was passiert war, dass sie unten landeten. So weit unten, dass sie längst den Boden unter den Füßen verloren hatten, ehe sie realisierten, dass nichts mehr wie vorher sein würde und dass sie nun in diese Welt gehörten. Manchmal geschah es langsam. Stetig, ohne Hast, aber mit einer Gewissheit, die manche in die Verzweiflung trieb. Bei anderen ging es so schnell, dass sie es verdrängten um die Situation auch nur ansatzweise zu verstehen. Die Menschen waren unterschiedlichster Herkunft. Alter, ehemaliger Beruf, Geld das alles spielte keine Rolle mehr. Ihr Schicksal hatte jede Grenze eingerissen und sie alle kamen täglich zusammen um etwas zu essen. Neji konnte nur eins sehen, dass sie alle gemeinsam hatten. Jeden Tag sah er es in ihren Augen. Ein leichtes Funkeln. Nicht so schwach, dass sie gebrochen waren und nicht so stark, dass sie aus eigener Kraft wieder etwas bewegen konnten. Es hatte erst das Schachspiel mit dem alten Mann gebraucht, das ihn verstehen ließ. Die Menschen trugen es hinein in den warmen Raum der Suppenküche und nahmen es wieder fort. … Die stetige Gewissheit, dass sie nichts mehr verlieren konnten, da bereits nichts mehr übrig war. Neji gewöhnte sich daran. Er lernte wie mit ihnen umzugehen, manches zu ignorieren und ihre Anwesenheit hinzunehmen als wäre es jeder andere. Unter Tentens und Choujis Anweisung kochte er. Später aß er einen Teil des übrig gebliebenen Essens selbst. Noch immer ging er in die teuren Restaurants, aber es war eine andere Atmosphäre. Beim Essen der Delikatessen dachte er an die liebevoll zubereiteten Gerichte, die Tenten und Chouji jedem der Gäste persönlich überbrachten. Er dachte an den ordentlichen Menüzettel, den Tenten jeden Donnerstag an die Tür pinnte. Das teure Essen begann fad zu schmecken. Ohne es zu bemerken, aß er jeden zweiten Tag nur noch ein Brötchen zwischendurch, wohl wissend, dass er später eine ordentliche Mahlzeit bekam. Er schwankte und er wusste es. Tenten hatte ihn in zwei gerissen. Auf der einen Seite war er noch immer der erfolgreiche Geschäftsmann mit der Designerwohnung, die fast unberührt blieb, und der stilvollen Kleidung, die er nie länger als zwei Monate behielt und dann… war da noch etwas anderes… Zweifel… so tief, dass er sie nicht ignorieren konnte. Neji brauchte Tenten nur anzusehen. Die Frau mit dem Terminkalender, der dicker war als Uchihas und seiner zusammen und erst da wurde ihm klar, dass er so gut wie nichts von ihr wusste. Er schwankte, er wusste nicht mehr wer er war. Er fiel… fiel … fiel so tief. Alles veränderte sich rasend schnell. Er verlor die Kontrolle und Neji Hyuga hasste es, wenn er die Kontrolle verlor. ~*~ Neji lebte sich ein. Er versuchte es zu verstecken, aber Tenten hatte genug Menschen kennen gelernt um einen solch mickrigen Täuschungsversuch nicht zu durchschauen. Sie wusste nicht was sie davon halten sollte. Hinter der arroganten Fassade kam noch eine Seite von ihm zutage, die sie ihm nie zugetraut hatte. Es war die Art wie er es die Dinge tat, die sie ihm auftrug. Neji hasste es von ihr Befehle entgegen zu nehmen, in dieser Hinsicht machte sie sich keine Illusionen, aber jetzt tat er es nicht mehr widerstrebend, sondern nahm es als etwas Selbstverständliches hin. Tenten musste ihm nicht mehr erklären wie er Gemüse schneiden sollte, wie er Fleisch briet oder einen Kuchen zum Nachtisch buk. Neji lernte schnell, er machte Fehler und dabei blieb es. Beim nächsten Mal brauchte er keine Hilfe mehr. Es war ein stürmischer Freitagabend. Seit Stunden stürmte es draußen und beim Herkommen hatte ihr der Wind beinahe ihren Regenschirm entrissen. Heute waren nur wenig Menschen hier. Viele der Tische waren unbesetzt und die winzigen Teelichter in den roten Gläsern leuchteten meist nur für sich selbst. Chouji war schon früher gegangen, weil er eine Tante besuchen wollte und so blieb die Arbeit an ihr und Neji hängen. Seltsam, dass sie plötzlich auf einander verlassen sollten. Nein… sie konnten es. Tenten lieferte einen Teller mit Linseneintopf bei einer alten Frau ab von der sie wusste, dass sie ihren Mann im Krieg verloren hatte. Die Alte dankte ihr und Tenten fragte sich unwillkürlich wie viel so ein Leben wie ihres wog. Sie war alt und hatte viel mehr von der Welt gesehen, Leid erfahren und Glück. Ihre Geschichten von früher, die sie ihr manchmal erzählte schienen aus einer lang vergessenen Zeit zu stammen, dabei waren erst wenige Jahrzehnte vergangen. Tenten hatte Ehrfurcht vor dieser weisen Frau, die sich nicht schämte hier zu sein und das Leben so nahm wie es kam. Die Frau kam nicht jeden Tag, weil sie es so oft nicht schaffte den weiten Weg auf sich zu nehmen und so gab sich Tenten jedes Mal besondere Mühe, wenn sie ihr das Essen brachte. Als sie zurück in die Küche ging, merkte sie, dass Nejis Blick ihr folgte. Er saß an einem Tisch am Rand des Geschehens und schrieb etwas in das schwarze Notizbuch. An den Tagen, die er nicht kam und an seinem Bericht arbeitete, ging er wie gewohnt arbeiten, nahm an Meetings teil und traf Geschäftspartner mit denen er Verträge aushandelte, Aufträge annahm oder welche verteilte. Vermutlich schrieb er sich ein paar Geschäftstermine auf oder prüfte, welche in den nächsten Tagen fällig waren. Doch als sie vorbei ging, fiel ihr etwas Seltsames auf. Neben den Adressen hatte er Zahlen gekritzelt. Bei genauerem Hinsehen erkannte Tenten Koordinaten. Hinter den meisten Ortsdaten befanden sich diese Koordinaten. Westpark… 38° Nord 19°West, Uchiha Industries… Auf manchen Seiten standen nur Zahlen. „Eine dumme Angewohnheit.“ Tenten erschrak zutiefst und wurde knallrot. Noch nie war ihr etwas so peinlich gewesen, sie hatte ja gar nicht gucken wollen, aber Hyuga entging nie etwas. Das letzte, das sie wollte, war, dass er sie erwischte während sie seinen Terminkalender anstarrte. „Was?“, stotterte sie. „Die Koordinaten, ich weiß gerne wo ich bin und irgendwann“, er zuckte die Achseln. „Ähm...“ Tenten hatte keine Ahnung wie sie darauf reagieren sollte. „Manchmal“, begann er, „will ich nicht, dass irgendjemand weiß wo ich bin. Nicht, dass ich irgendjemanden je einen Blick in meine Privatsphäre werfen lasse…“ Er warf ihr einen eindeutigen, beinahe herausfordernden Blick zu und Tenten trat unangenehm berührt einen Schritt zurück. „Wenn es wirklich wichtig ist, wird man mich schon finden.“ Er grinste und in diesem Moment war er wieder der arrogante selbstsichere Kerl aus ihrer Studiumzeit. „Sieh lieber zu, dass wir bald fertig werden, Hyuga, ich will nicht in dem Wetter nach Hause.“ Sie wusste, dass sie es nur sagte, weil sie nicht wusste wie sie am besten auf das antworten sollte, dass er ihr gesagt hatte. „Da gibt es nicht mehr viel fertig zu machen“, antwortete Hyuga und riss sie aus ihren Gedanken, „es sind nur noch ein paar Leute da, das dreckige Geschirr ist in der Spülmaschine und mehr Menschen werden nicht kommen. Ich denke, ich kann es mir leisten früher zu gehen.“ „Es regnet immer noch“, stellte sie fest ohne auf seine Aussage zu achten. „Ja, wird wohl noch ein paar Stunden dauern bis es aufhört.“ Sie schwieg und realisierte es jetzt, dass der Raum leer war. Hyuga packte seine Sachen zusammen und stand auf. Er war dabei sich seine Jacke anzuziehen, als er merkte, dass sie sich nicht gerührt hatte. Er stoppte in der Bewegung. Dann sah er sie und Tenten erkannte, dass er langsam verstand. „In diesem Wetter fahren keine Busse mehr“, bemerkte er, „du hast keine Ahnung wie du nach Hause kommst.“ Tenten wandte ihr Gesicht ab, damit sie ihn nicht ansehen musste. „Mach dich nur über mich lustig, Hyuga, nicht jeder kann sich ein so teures Auto leisten wie du und ich kann mir leider kein-“ „Ich fahre dich.“ „-Taxi bestellen, so viel Geld habe ich nicht dabei und – Was?!“ „Ich fahre dich“, wiederholte er, „wie ich dich kenne werde ich dafür verantwortlich gemacht, wenn dir irgendwas passiert. Darauf kann ich verzichten.“ Tenten starrte ihn an. „Komm.“ Sie konnte ihm nur mit offenem Mund hinterher laufen. Mechanisch schloss sie die Tür ab und dann fand sie sich auf dem Beifahrersitz seines Sportwagens wieder. „Wohin?“ Sie nannte ihm die Adresse und er ließ den Motor an. Minuten später glitten sie rasend schnell auf der Hauptstraße dahin. Nur das Radio durchbrauch mit einer Staumeldung leise die Stille. Wenn man ihr vor fünf Jahren gesagt hätte, Neji Hyuga würde ihr jemals anbieten sie nach Hause zu fahren, hätte sie ihm einen Vogel gezeigt. Neji Hyuga war niemand, der sie je zuvorkommend behandelt hatte. Warum überfiel ihn plötzlich das Bedürfnis ein Gentleman zu sein. Wenn er eins nicht war, dann war er das. Hyuga war freundlich, wenn er es musste, aber ansonsten zeigte er den Leuten immer wer das Sagen hatte. Abrupt hielten sie an. Die Fahrt hatte kaum eine Viertelstunde gedauert. Wofür sie sonst eine Stunde einplante war wie im Flug vergangen. „Hier ist es, oder?“ Sie nickte nur. Ihre Augen flackerten zu ihm herüber. Das schwarze Haar fiel ihm lässig über die Schulter und seine Augen studierten das Haus an dem er gehalten hatte. Was musste er von ihr denken? Er, der sich alles leisten konnte? Sie hatte nicht viel Geld und das was sie verdiente ging für die Miete drauf, für Souta und für Lebensmittel und Busfahrkarten und auf das Bankkonto, das sie für ihren Sohn eingerichtet hatte, damit er es sich irgendwann leisten konnte zu studieren. Es war so lange her, dass sie sich selbst irgendetwas gekauft hatte… Sie fühlte sich so verletzlich, als Hyuga, der alles hatte, sie ansah und anscheinend darauf wartete, dass sie ausstieg. Wie lange kannte sie ihn jetzt. Sieben Jahre, acht? Und plötzlich wollte sie nicht, dass er ging, wollte nicht alleine in der Wohnung sitzen, der Nachbarin Bescheid sagen, dass sie zurück war und sie nicht länger nach Souta schauen musste. Tenten kratzte allen Mut zusammen. „Willst du nicht noch mit hoch kommen?“ Neji Hyuga hob eine Augenbraue. „Oh, ich glaube nicht, dass dein Mann davon so begeistert wäre.“ Mann? Wie kam er jetzt auf so etwas. Sie hatte keinen… Der Elternabend, deshalb dachte er… „Du glaubst ich bin verheiratet?“ „Nun, irgendwann muss es einen Mann gegeben haben, wenn du ein Kind hast.“ Sie konnte beinahe spüren wie sich seine Mundwinkel amüsiert verzogen. „Ich habe einen Sohn“, gab sie zu, „aber glaub mir, wenn ich diesen Kerl je wieder sehe, dann wird es ihm schlechter gehen als dir damals.“ Neji Hyuga drehte den Schlüssel herum und stieg aus. Es goss immer noch wie aus Eimern, aber ihn schien es nicht zu stören. „Ich könnte wirklich noch einen Kaffee gebrauchen“, begann er…“ Tenten hatte mittlerweile die Beifahrertür geschlossen und dann machten sie sich auf den Weg in die Wohnung, Hyuga beschwerte sich nicht, dass es keinen Fahrstuhl gab und sie drei Treppen nehmen mussten um vor ihrer Tür anzukommen. Tenten sagte ihrer Nachbarin Bescheid, dass sie zurück waren und dann waren sie plötzlich in ihrer Wohnung. Neji Hyuga sah sich um, betrachtete die Kinderbilder, den unaufgeräumten Flur, den Fußball über den sie fluchend stolperte. Tenten führte ihn ins Wohnzimmer, nur um in der Küche einen Kaffee aufzusetzen. Auf halbem Weg ins Wohnzimmer, öffnete sie die Tür zu Soutas Zimmer. Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. Er hatte sich wieder so oft gedreht, dass die Decke zu Boden gefallen war. Seufzend hob sie sie auf, deckte den kleinen Jungen damit zu und küsste ihn sanft auf die Stirn. „Ich hatte mir dich nie als Mutter vorgestellt.“ Er lehnte am Türrahmen und beobachtete sie. Tenten warf ihm einen wütenden Blick zu. Wenn er so weiter machte, wachte Souta noch auf. Sie legte einen Finger auf die Lippen und deutete zu dem schlafenden Jungen. Kaum, dass sie draußen war, stieß sie ihn vor die Brust, was ihm ein spöttisches Grinsen entlockte. Tenten ignorierte ihn, holte den Kaffee aus der Küche und drückte ihm im Vorbeigehen seine Tasse in die Hand. „Also“, sagte er nachdem sie beide auf dem Sofa Platz genommen hatten, „wie kommt’s, dass der Junge keinen Vater hat?“ „Warum sollte ich dir antworten?“, schoss sie zurück, „das geht dich nichts an!“ „Ich meine mich zu erinnern, dass du wolltest, dass ich die Menschen der Suppenküche kennenlerne und das beinhaltet auch dich.“ Tenten öffnete den Mund und schloss ihn wieder. „Versuch erst gar nicht mir zu drohen, Tenten, das klappt nicht. Was könntest du tun, dass du nicht schon hättest. Du hast mich vor meinem Chef blamiert und meine Nase gebrochen.“ Neji Hyuga nahm einen tiefen Zug Kaffee und lehnte sich zurück. Tenten wusste, dass er wartete, aber sie hatte so lange nicht mehr darüber geredet. Und er war der letzte, dem sie es erzählen wollte. Aber dann war da auch noch diese andere Seite an ihn, vielleicht würde dieser Neji Hyuga sie verstehen, vielleicht wollte er es wirklich wissen… „Ich war einundzwanzig“, sagte sie leise, „Ich war gerade mit dem Studium fertig, hatte meinen ersten Job und … ich war glücklich. Ich wollte immer Kinder haben“, erklärte sie, „nur kam es viel schneller als ich damit gerechnet hatte. Irgendwas ist schief gelaufen und ich war schwanger. Es war ein Tag wie dieser als mein Gynäkologe mir bestätigt hatte, was ich schon wusste. Irgendwie muss er es rausgefunden haben, ich glaube er hat den Test gesehen… Als ich an diesem Tag zurück kam, war es nicht wie sonst. Alles war still und seine Sachen waren weg. Er war längst fort...“ Tenten verstummte. Immer, wenn sie daran dachte fühlte sie sich so schwach, so verletzt. Erschrocken merkte sie, dass sie weinte. Wenn sie eines wollte, dann nie, nie, nie vor ihm heulen. Er war nicht der Typ dafür jemanden zu trösten. Außerdem hatte er sich immer über sie lustig gemacht. Hyuga nahm einen weiteren Schluck Kaffee. Tenten wartete, doch seine Reaktion war alles, das sie nicht erwartet hatte. „Feigling.“ Neji Hyuga stellte die Tasche ab und stand auf. „Ich muss jetzt gehen“, erklärte er, „danke für den Kaffee…“ Er ging hinaus und die Tür fiel ins Schloss. Tenten hatte sich nicht gerührt, erst als sie draußen den Motor aufheulen hörte, trat sie ans Fenster und sah gerade noch wie der schwarze Porsche um die Ecke bog. Der Regen prasselte noch immer unaufhörlich zu Boden, aber sie konnte gar nicht daran denken. Plötzlich war es da, das Gefühl, das sie so lange nicht mehr gespürt hatte und ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals. ~*~ Der letzte Abend. Warum war die Zeit so schnell vergangen? Vor zwei Monaten hätte er sich diesen Tag herbei gewünscht. Jetzt… nicht. Etwas war mit ihm geschehen. Wo war die Seite an ihm geblieben, als es ihm egal gewesen was mit diesen Menschen passierte. Wo er Tenten noch dafür hassen konnte, dass sie ihm Kontra geleistet hatte. Neji verstand langsam was sie damit gemeint hatte, dass er die Menschen wirklich kennen lernen sollte. Er hatte sie kennen gelernt und er konnte sie nie mehr in demselben Licht sehen wie zuvor. Die Suppenküche tauchte vor ihm auf und er hielt mit quietschenden Reifen. Einen Moment blieb er sitzen, schloss die Augen und versuchte nicht daran zu denken, dass er Tenten vielleicht nie wieder sehen würde. Mit einem Mal war es ihm nicht mehr so egal was mit anderen passierte und so selbstsüchtig es war, er wollte sie für sich. Er brauchte niemanden, der ihn so fürchtete, dass er immer kuschte, er wollte sie, die stark genug war ihm die Stirn zu bieten. Neji betrat das Gebäude und stellte fest, dass es im Raum kaum ein Durchkommen gab. Er quetschte sich an dem Tisch von Hana und Kameko vorbei, die ihn lauthals begrüßten, befreite sich aus einer ‚männlichen’ Umarmung des Rockers und grüßte den alten Mann mit dem er Schach gespielt hatte. Tenten kam gerade aus der Küche, balancierte mit der einen Hand zwei Teller Lasagne und band sich mit der anderen die Haare zurück. „Na endlich, Hyuga, du kannst gleich zu Chouji gehen, heute geht das Essen weg wie nichts.“ Kein Hallo, kein gar nichts. Typisch Tenten. Anscheinend wollte sie um keinen Preis daran erinnert werden, dass sie vor ihm geweint hatte. „Mach schon, worauf wartest du, Hyuga? Das Essen wird nicht von alleine fertig!“ „Ich komm ja schon!“, gab er wütend zurück, „schieb nicht so eine Panik!“ „Ich zeig dir gleich Panik, wenn du nicht augenblicklich in der Küche verschwindest und die beste Lasagne deines Lebens kochst!“ Grinsend schob er sich an ihr vorbei. Der Abend wurde laut und ausgelassen, die Lasagne war so schnell aufgegessen, dass selbst Chouji sich erschöpft an einem der Tische niederließ und zugab, dass er heute nicht ein Gericht mehr kochen konnte. Ein Gefühl von Freiheit lag in der Luft und Neji fiel unwillkürlich ein Satz ein, den er mal irgendwo aufgeschnappt hatte. Erst wenn du alles verloren hast, hast du die Freiheit alles zu tun. Es war etwas Wahres daran. Diese Menschen waren durch die Dunkelheit gegangen und deshalb freuten sie sich über alles Gute, das ihnen passierte. Sie nahmen es nicht als selbstverständlich hin. Neji warf das Geschirrhandtuch über den nächsten Stuhl und suchte den Raum nach Tenten ab. Sie war mittendrin, saß neben einer alten Dame, die freudig in die Hände klatschte und ab und an einen sehnsüchtigen Blick auf das Klavier warf. Jemand hatte irgendwo eine Mundharmonika ausgegraben und irgendjemand war so kühn gewesen ein Lied anzustimmen. Er entschloss sich innerhalb eines Augenblickes. Das Lied endete und Neji nahm auf dem kleinen Hocker vor dem Klavier Platz. In seiner Jugend hatte er Unterricht genommen, damals bevor seine Eltern bei einem Autounfall gestorben waren und seitdem hatte er es nicht mehr angerührt. Der erste Ton war dunkel, voll und er führte dazu, dass sich alle Köpfe zu ihm umdrehten. Er hatte damals viele verschiedene, schwierige Stücke gelernt, doch irgendwie ahnte er nicht, dass es das Richtige für diese Leute war. Diese Menschen brauchten etwas, das ihre Herzen berührte, etwas lautes, Freudiges. Neji schlug ein paar Takte an und aus den Augenwinkeln sah er wie Tenten ihn mit offenem Mund anstarrte. Das Lied nahm an Tempo auf, die Töne klangen im Raum wieder und der Staub auf dem Klavier wirbelte auf. Es war ein altes Instrument, das nur noch einen Schatten seiner ehemaligen Schönheit besaß, aber für diesen Abend war es genug. Seine Finger rasten über die Tasten und jemand fing an zu klatschen. Es war die alte Frau, die vorhin so sehnsüchtig hergesehen hatte. Schließlich erkannten einige der jungen Mädchen im Punkerlook das Lied und begannen begierig mitzusingen. Im Nu stimmte der ganze Raum ein. Und auf einmal war er nicht mehr der Assistent Manager von Uchiha Industries, nicht mehr Itachi Uchihas rechte Hand, er war Neji Hyuga und er gehörte zu diesen Menschen. So unmöglich er es gehalten hatte auch nur mit ihnen zu reden, so klatschten sie jetzt im Takt und schmetterten Lied für Lied bis es irgendwann drei Uhr morgens war und es in wenigen Stunden schon wieder hell wurde. Der Raum lehrte sich, die Menschen verabschiedeten sich und die alte Frau drückte mit einem Leuchten in den Augen seine Hand, das ihn zum ersten Mal wirklich begreifen ließ warum Tenten für diese Leute kämpfte. „Ich geh’ jetzt“, verkündete ein müder Chouji als er aus der Tür stapfte und dem Rocker in die Nacht folgte, der noch immer Fetzen eines der Lieder in die Nacht grölte. Dann war es still. Neji spürte ihre Präsenz, noch ehe er sie sah. Das hatte er sich spätestens dann angewöhnt, seit sie ihn so unerwartet ins Gesicht geschlagen hatte. „Ich wusste nicht, dass du Klavier spielst“, sagte Tenten. „Ich auch nicht“, gab er zurück, „es ist lange her, ich bin völlig eingerostet.“ „Danach klang es nicht.“ Sie saß jetzt neben ihm registrierte er. „Hast du je an mir gezweifelt?“ Ein spöttisches Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, als er den Blick bemerkte, den sie immer aufsetzte, wenn er sie auf irgendeine Weise herausforderte. „Hmm, ich muss sagen, dass ich da doch mehr erwartet hätte, Hyuga.“ „Unterschätz mich nicht, Tenten“, gab er zurück und im selben Moment schlug er die Tasten an. Schöner, stärker, sanfter als zuvor. Das Stück war nicht wie das der anderen, es erzählte eine Geschichte von allem. Neji konnte nicht sagen was da alles war, aber dies war auch der Sinn, nicht sofort zu verstehen, was die Musik auslöste. „Wow“, flüsterte Tenten, als der letzte Ton verklang. „Das war schön… Neji.“ Er zuckte zusammen. Sie hatte ihn nie bei seinem Vornahmen genannt, für sie war er immer nur Hyuga gewesen. Niemals Neji. Er sah sie an. Tenten trug noch immer die schmutzige Schürze über ihrem blauen Kaputzenshirt, hatte noch immer die Haare in einem Pferdeschwanz zurückgebunden und ihre Wangen waren leicht gerötet. Sie war anders als die Frauen, mit denen er vorher zusammen gewesen war und Neji wollte sie für sich. Und die Hölle war tatsächlich gefroren. Tenten saß nur wenige Zentimeter entfernt und sie gefror wortwörtlich als er sich zu ihr herüberbeugte. „Geh mit mir aus“, sagte er leise bevor er sie küsste. Halb erwartete er, dass sie ihm zum zweiten Mal eine reinhaute, aber nichts geschah. Er hatte gedacht, dass sie ihm Widerstand leisten würde oder mit ihm um die Kontrolle kämpfen würde, aber Tenten war zu erschrocken um irgendetwas zu tun. Er löste sich von ihr. „Was tust du?“, flüsterte sie und er erkannte auf einmal die Angst in ihren Augen. Wie lange mochte es her sein, dass ihr ein Mann so nah gewesen war? Wie lange war es her, dass sie jemandem vertraut hatte? „Das was ich will“, antwortete Neji. „Das was du willst?“, wiederholte sie, „so einfach geht das nicht. Ich habe ein Kind, Neji, ich bin jeden Tag von morgens bis abends auf den Beinen, ich …“ „Ich will es“, unterbrach er sie. Tenten schwieg sehr lange, Neji wartete. „Du kannst nicht einfach entscheiden, dass ich plötzlich dir gehöre. So funktioniert das nicht. Um jemand anderen nahe zu sein, muss man zuerst etwas von sich selbst aufgeben. Das ist nichts, dass man für alles Geld der Welt kaufen kann…“ Und sie stand auf, warf ihm noch einen letzten Blick zu und floh aus der Tür hinaus. Fort von ihm… ~*~ Tenten starrte auf den Brief. Das Emblem der Uchiha Industries war aufgedruckt und ihre Hand zitterte. „Mach schon auf“, forderte Temari, die neben ihr saß und an ihrem Cappuccino nippte. „Ich kann nicht.“ „Also bitte, du benimmst dich wie ein Teenager, der seine Abschlussnoten bekommt“, erklärte Temari. Tenten warf ihr einen wütenden Blick zu. „Du verstehst das nicht“, versuchte Tenten ihr begreiflich zu machen, „ich bin einfach abgehauen, hab Panik gekriegt, er wird mich in die Pfanne hauen!“, steigerte sie es in die Vorstellung hinein. Neji Hyuga ließ man nicht einfach sitzen, wenn er jemanden gefragt hatte mit ihm auszugehen. „Er ist erwachsen, Tenten, er kann zwischen Arbeit und Privatem unterscheiden“, - Temari nahm sich einen Keks - „auch, wenn ihm die Arbeit dementsprechend Spaß gemacht haben dürfte.“ „Temari!“„Ja, ja…ich hör ja auf“, gab sich die Blonde geschlagen. Manchmal wusste Tenten nicht, wie sie und Temari je so gute Freunde werden konnten. Tenten holte tief Luft und öffnete das Kuvert. Ein offizielles Anschreiben kam zum Vorschein, das von niemand geringerem als Itachi Uchiha unterzeichnet war. Sie überflog den Brief. „Und?“, wollte Temari wissen. Tenten starrte wie paralysiert auf den Brief. „Es ist nicht genug“, brachte sie heraus, „alles umsonst.“ „Aber er hat dich nicht in die Pfanne gehauen, oder?“, versuchte Temari sie zu trösten, „Tenten, ich würde dir wirklich gerne helfen, aber – warte mal, da ist noch etwas drin!“ „Was?“ Aber Temari hatte ihr schon den Umschlag entrissen und zog einen gelben Überweisungsträger hervor. Ihre Augen wurden groß. „Das gibt es doch nicht“, brachte sie heraus und überreichte Tenten völlig perplex den Scheck. Es war nicht die gleiche Summe wie in dem Anschreiben. Himmel! Es war so viel Geld, dass sie die Suppenküche fast ein Jahr unterhalten konnten. „Da steht noch etwas“, sagte Temari auf einmal und da entdeckte auch Tenten, die Zahlen, die in die Ecke gekritzelt waren. ‚Wenn es wirklich wichtig ist, wird man mich schon finden’, hatte er gesagt. Auf dem Scheck standen ein Datum, eine Uhrzeit und eine Koordinate. ~*~ Zuallererst: Ein dickes Sorry, dass ich schon wieder zu spät mit hochladen war ;__; Nun, dafür habt ihr eine beachtliche Länge, wenn sich hier überhaupt jemand durchquält. Aber ich würde mich freuen, in diesem OS/LS steckt viel Mühe und nun ja - die Idee hat sich verselbstständigt. Ich wollte etwas, das man nicht jeden Tag sieht und über das man nachdenkt. Deshalb habe ich den OS auf Selbstsucht ausgelegt und das Ganze so dargestellt, dass Selbstlosigkeit und Selbstsucht aufeinander prallen und Neji etwas Wichtiges lernt. Das Schreiben hat mir tierisch Spaß gemacht, weil ich auch einfach etwas aus dem echten Leben genommen haben. In meiner Stadt haben wir auch eine Tafel an der Essen an Bedürftige verteilt wird. Die Arbeit hat mich sehr berührt und deshalb habe ich es in die Geschichte eingearbeitet. Einfach mal über etwas Schreiben, das leicht in Vergessenheit gerät. Ich hoffe, es hat euch gefallen. moony Kapitel 5: Invidia/Neid ----------------------- Unglücklich wird man durch die Betrachtung dessen, was einem fehlt - glücklich nur durch das, woran man sich erfreut. *1 Neji Hyuuga war Arzt. Und als wäre das nicht schon eine Glanzleistung an sich, so kam bei ihm noch hinzu, dass er nicht nur ein Arzt, sondern ein ziemlich genialer, allwissender Arzt war. Tenten beineidete ihn darum. Ihr größter Wunsch war es immer gewesen Ärztin zu werden. Doch mit ihrem zweier Durchschnitt, wurde sie noch nicht einmal zum Medizinstudium zugelassen. Wahrscheinlich hatten sie sich köstlich über sie amüsiert, als sie sich beworben hatte. Sie war eben nur durchschnittlich. Nicht schlechter, aber eben auch nicht besser. Und anstatt Ärztin zu werden war sie nun eine einfache Arzthelferin. Nicht gerade das, was sie sich erträumt hatte. Zwar sprach sie auch mit Patienten, aber drehten sich diese Gespräche doch eher um Termine, als um Krankheiten. Natürlich durfte sie die Patienten auch versorgen, aber während Neji Hyuuga operieren durfte, klebte sie hinterher lediglich ein Pflaster auf die Wunde. Nicht gerade das, was man anspruchsvoll nennen konnte. Eigentlich sollte sie zufrieden sein. Sie hatte eine nette Arbeit – was in diesen Zeiten ja nicht gerade selbst verständlich war -, einen netten Chef, eine nette Wohnung und einen netten Freund. Aber „nett“ alleine war ihr eben nicht gut genug. Frustriert blickte sie auf den Computer vor sich. Auf die Technik konnte man sich heute auch nicht mehr wirklich verlassen. Konnte dieses verdammte Ding nicht einmal das tun, was sie ihm sagte? Wie schwer konnte es schon sein ein simples Rezept auszudrucken? Sie fluchte unterdrückt und warf dem Drucker einen mörderischen Blick zu. Nach einigen Verwünschungen und Klicken später, war endlich ein Geräusch seitens des Druckers zu vernehmen. „Na endlich!“, stieß Tenten erleichtert aus und entnahm das frisch gedruckte Rezept und legte es auf den Thresen, damit Doktor Hyuuga es unterschreiben konnte, wenn er aus dem Behandlungszimmer kam. Dann warf Tenten einen Blick auf ihren PC um festzustellen, dass sie gleich Feierabend hatte, was ein Segen war. Die ganze Zeit vor einem Computer zu sitzen konnte sehr belastend sein. Vor allem für jemanden wie Tenten, die sich lieber körperlich betätigte, als die ganze Zeit zu sitzen. Sie hatte bereits mit dem Aufräumen begonnen, als Neji Hyuuga aus dem Behandlungsraum trat. Er sah wie immer fantastisch aus, selbst nach einem langen Arbeitstag. Hätte es mit der Karriere als Arzt nicht geklappt, hätte er auch als Model arbeiten können. Tenten schenkte ihm ein schüchternes Lächeln, als er auf sie zutrat. „War das der letzte Patient, Tenten?“ „Ja, Dr. Hyuuga. Wenn Sie aber bitte noch dieses Rezept unterschreiben würden? Die Dame wartet noch darauf.“ „Natürlich.“ Er lehnte sich über den Thresen und setzte seine perfekte Unterschrift auf das Papier. „Sitzt Frau Nekoi noch im Wartezimmer?“ Tenten nickte. „Dann werde ich es ihr selber bringen. Du und Sakura könnt schon mal Schluss machen.“ „Danke.“ Tenten schenkte ihm ein warmes Lächeln und machte sich daran ihre Sachen aufzuräumen. Gerade als sie die letzten Utensilien in ihrer Tasche verstaut hatte, ging die Tür auf. Tenten wollte gerade sagen, dass sie bereits geschlossen hatten, als sie erkannte WER dort stand. „Kiba!“, rief sie erfreut, sprang auf und warf sich in die Arme ihres Freundes. „Hey!“, antwortete er mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen. „Da freut sich aber jemand mich zu sehen!“ „Klar freu ich mich!“ „Bist du hier fertig?“ „Ja, bin ich.“ „Dann können wir ja gehen.“ Tenten nickte, löste sich von ihrem Freund und angelte schnell nach ihrer Tasche. ~*~ Neji beobachtete die beiden, wie sie die Praxis verließen. Wie immer wenn er die beiden zusammen sah, versetzte es ihm einen Stich. Sie schienen glücklich zu sein. Tenten lachte fröhlich, als drei der Hunde die ihr Freund mitgebracht hatte an ihr hochsprangen. Ihr Freund war ein Hundetrainer. »Was für ein Beruf«, dachte Neji sich nur abfällig, doch im Grunde wusste er, dass er eifersüchtig war. Kiba hatte alles, was er nicht hatte. Freizeit, Spaß und eine wunderschöne Freundin. Man sollte meinen, dass Neji sich mit seinem Leben glücklich schätzen konnte. Er war renommierter Arzt und verdiente als solcher nicht gerade wenig. Außerdem stand ihm das Erbe seines Vaters von mehreren Millionen zur Verfügung. Doch mehr als sein Geld und seine Arbeit hatte er nicht. Sicher verschaffte ihm seine Tätigkeit eine gewisse Befriedigung, aber als glücklich konnte er sich dennoch nicht bezeichnen. Er hatte sein ganzes Leben für seine Karriere hingegeben. Das Medizinstudium war langwierig und anstrengend gewesen. Doch er hatte es geschafft sogar als Jahrgangsbester abzuschneiden. Sein Vater wäre stolz auf ihn gewesen. Er hatte immer gewollt, dass sein Sohn Arzt wurde und Neji hatte ihm diesen letzten Wunsch erfüllt, obwohl er eigentlich immer hatte Pilot werden wollen. Hoch über den Wolken zu fliegen hatte ihn schon immer in einen kleinen Rausch versetzt. Doch seine Arbeit ließ es nicht zu, dass er oft flog. Als Arzt wurde der Tag von den Patienten bestimmt. Hausbesuche, zahlreiche Untersuchungen und Gespräche waren an der Tagesordnung. Obwohl für die Gespräche in dem hektischen Alltag auch kaum noch Zeit war. Er war gefangen in einem goldenen Käfig, aus dem er nicht ausbrechen konnte. Für ihn kam es nicht infrage seinen Beruf aufzugeben und sich mit dem Geld seines Vaters ein schönes Leben zu machen. Außerdem konnte Geld alleine auch nicht glücklich machen. Eigentlich war Neji vorher nie aufgefallen, dass in seinem Leben etwas Wesentliches fehlte. Während seines Studiums hatte er kaum Zeit gehabt darüber nachzudenken. Selbst als er für eine zeitlang im Krankenhaus praktiziert hatte, war ihm nicht aufgefallen wie eintönig sein Leben eigentlich war. Doch dann hatte er seine eigene Praxis gegründet und war Tenten begegnet. Sie war offen, extrovertiert, fröhlich und warmherzig und damit das genaue Gegenteil von ihm. Erst durch sie hatte er gemerkt, dass ihm die Freude am Leben fehlte. Er machte niemals Dinge einfach nur so zum Vergnügen. Im Gegenteil: Sein Tag war von morgens bis abends genau geplant. Tenten hingegen lebte in den Tag hinein. Zwar hatte sie feste Arbeitszeiten, doch was nach der Arbeit kam wusste sie nie so genau. Neji beneidete sie um ihre Freiheit. Und er bewunderte sie für ihre Offenherzigkeit. „Dr. Hyuuga, ich gehe dann auch mal“, riss Sakura ihn aus seinen Gedanken. Er drehte sich zu ihr um. „Ist gut.“ „Schönen Feierabend!“, rief sie ihm noch zu, bevor sie verschwand. Sakura war ebenso wie Tenten sehr offenherzig. Dennoch hatte sie eine ganz andere Art. Ehrlich gesagt war sie ihm ein wenig zu aufdringlich, doch sie kam gut mit seinen Patienten zurecht. Sie hatte eine zeitlang als Krankenschwester gearbeitet, konnte aber der Belastung, der man als solcher ausgesetzt war, nicht mehr standhalten. Das ganze Heben ging doch ziemlich auf die Rückenmuskulatur. Aus diesem Grund hatte sie ihn gebeten bei ihm arbeiten zu dürfen, als er nach der Zeit im Krankenhaus verkündet hatte eine dermatologische Praxis zu eröffnen. Durch Sakura war er dann auch auf Tenten gestoßen. Die beiden hatten zusammen in einer WG gewohnt und Sakura hatte ihm Tenten empfohlen. Für Neji war das praktisch gewesen. So brauchte er nicht lange zu suchen und konnte sicher sein, dass sich seine beiden Helferinnen vertrugen und sich nicht die ganze Zeit anzickten. Denn das war etwas, was er überhaupt nicht leiden konnte. Und Tenten hatte sich wirklich als Glücksgriff herausgestellt – in mehr als einer Hinsicht. Ihre Warmherzigkeit und gleichzeitige Ruhe wirkend wohltuend auf ihn. Egal wie gestresst er aus dem Behandlungszimmer kam, sobald sie ihr warmes Lächeln auf ihn richtete fiel alles von ihm ab. »Neji, du benimmst dich wie ein verliebter Trottel. Das ist gar nicht deine Art.« Neji schüttelte den Kopf. Er war nicht verliebt. Das konnte gar nicht sein, schließlich wusste er nicht einmal wirklich was Liebe war. Außerdem hatte er keine Lust auf diesen ganzen Beziehungsblödsinn. Wenn er schon nicht wirklich frei war, wollte er wenigstens unabhängig bleiben. Außerdem hatte er gar keine Zeit für Liebe, Romantik und den ganzen Kram. Das vernebelte einem nur das Gehirn, lenkte einen ab. Und wenn er bei seiner Arbeit abgelenkt war, würden sich seine Patienten bedanken. Seine Klienten wären sicherlich nicht erfreut, wenn er anstatt eines Muttermals ganze Hautabschnitte entfernte, weil er über eine Frau nachdachte. Frauen brachten sowieso nur Ärger und waren äußerst nervig. Das behauptete zumindest sein Freund Shikamaru. Und Neji glaubte ihm, schließlich war Shikamaru einer der intelligentesten Leute, die er kannte. Er sollte endlich aufhören über Tenten nachzudenken. Sie war seine Arzthelferin. Nicht mehr und nicht weniger. ~*~ Frustriert fuhr Tenten sich mit ihrer Hand durch die Haare. Momentan lief aber auch nichts wie geplant. Sie hatte mal wieder Streit mir ihrem Computer bei der Arbeit und mit Kiba lief es momentan auch nicht gerade rosig. Sie stritten sich momentan ständig. Sei es, weil einer seiner Hunde mal wieder ihre Schuhe zerkaut oder auf ihren Teppich gepinkelt hatte, oder weil er ihr von irgendeiner Prominenten vorschwärmte, dessen Köter er gerade erzog. War sie Kiba denn nicht genug? Musste er noch mit diesen Societyladys flirten? Was hatten die, was sie nicht hatten? Obwohl, diese Frage war leicht zu beantworten: Geld, Geld, Geld und einen traumhaft weiblichen Körper, den sie mit zahlreichen überteuerten Cremes pflegen konnten. Und natürlich zogen sie sich auch viel besser an, als sie selbst. Tenten lief am liebsten in Schlabberklamotten rum, vor allem zu Hause. Die Ladys von Welt hingegen zwängten sich in enge Designerkleider, um ihre Figur besser zu betonen. Aber Kiba hatte doch gewusst auf wen er sich eingelassen hatte. Das sie nun mal nicht so ein Modepüppchen war. Und er hatte auch immer behauptet, dass es das war, was er an ihr liebte. Doch liebte er sie nun überhaupt noch? Sie unternahmen kaum noch etwas zusammen und wenn sie sich trafen, endete das Ganze in einem handfesten Streit. Es war zum Mäuse melken. Außerdem hatte sie oft das Gefühl, dass er sogar seine Hunde mehr liebte, als sie. „Verdammt, verdammt, verdammt!“ Tenten haute frustriert mit ihrer Hand auf die Tastatur. Der Computer gab ein protestierendes Piepen von sich. „Scheißteil“, grummelte Tenten und starrte mit finsterer Miene auf den Bildschirm. „Tenten!“, erklang eine missbilligende Stimme. Rasch fuhr Tentens Kopf hoch und sie blickte in die Augen ihres Chefs. „Hör auf so finster zu gucken, du vergraulst noch alle Patienten!“ Schuldbewusst zuckte Tenten zusammen. „Es tut mir Leid, Doktor. Ich habe eine kleine Konfrontation mit dem PC.“ „Das sehe ich.“ Neji schritt zu ihr und sah über ihre Schulter. Durch die plötzliche Nähe konnte Tenten seinen Duft riechen und inhalierte diesen genüsslich. Kiba stank meistens nach Hund. Neji stattdessen roch frisch und sauber. Doch warum verglich sie plötzlich Neji mit Kiba? Sie schalt sich innerlich selbst und versuchte sich zu konzentrieren. Neji hatte währenddessen mit den Fingern zu der Tastatur gegriffen und tippte irgendetwas mit rasender Geschwindigkeit ein. Kurz darauf zeigte der Computer an, dass das Dokument gedruckt wurde. Einen Moment später hörte man dann auch schon den Drucker laufen. Tenten war beeindruckt, schämte sich aber auch, dass sie das nicht selber auf die Reihe bekommen hatte. „Öhm, danke“, sagte sie kleinlaut. „Bitte. Du hättest das auch geschafft, wenn du dich ein bisschen mehr konzentrieren würdest.“ Aufgrund seiner barschen Stimme zuckte Tenten erneut zusammen. „Entschuldigung.“ „Ich muss mich auf dich verlassen können, Tenten. Träumen kannst du Zuhause mit deinem Freund.“ „Es läuft grade nicht so gut mit meinem Freund“, rutschte es Tenten heraus. Neji hob anlässlich dieser Verkündung eine Augenbraue und wandte sich von ihr ab. „Private Probleme sollten ihren Job nicht belasten“, antwortete er kühl. „Ich weiß. Ich werde mich bessern“, murmelte Tenten und starrte auf ihren PC, während Neji sich zu seinem nächsten Patienten begab. Sie fühlte sich wie ein Häufchen Elend. Konnte sie denn nichts richtig machen? Nun war Neji auch noch sauer auf sie. ~*~ Neji verfluchte sich selbst. Warum war er so barsch mit Tenten umgegangen? Jeder konnte schließlich mal einen schlechten Tag haben. Aber wenn er es sich recht überlegte, war Tenten auch schon seit mehreren Tagen etwas geistesabwesend. So kannte er sie gar nicht. Wahrscheinlich lag es an ihrem Freund, sie hatte eben so etwas angedeutet. Was hatte der Idiot bloß angestellt? Doch das ging ihn wirklich nichts an. Tentens Privatleben gehörte nur ihr, darin hatte er nichts verloren. Dennoch konnte er nicht damit aufhören Kiba zu verwünschen, da er Tenten zu unglücklich machte. Wusste dieser Kerl nicht, was er an ihr hatte? Er hatte sie überhaupt nicht verdient, wenn er sie nicht wertschätzen konnte. Überhaupt, was wollte sie von ihrem Hundeheini? Er konnte ihr nichts bieten. Im Gegensatz zu ihm selbst. »Neji, was denkst du wieder für einen Mist? Was willst du ihr schon bieten können? Du hast doch nichts als deine Arbeit. Du könntest sie niemals glücklich machen. Sie ist nicht deine Liga.« Trotz dieser wahren Gedanken konnte er es nicht verhindern, dass ein Teil von ihm sich darüber freute, dass es zwischen Kiba und Tenten momentan nicht so gut lief. Diese Freude war absolut irrational, dennoch konnte er nichts dagegen machen. Das Einzige, was ihm blieb, war sich in die Arbeit zu stürzen. ~*~ Sakura stellte eine dampfende Tasse Tee vor Tenten ab. „Danke“, schniefte diese. Sakura zog einen Stuhl zu sich und setzte sich zu Tenten. „Und nun erzähl mal.“ „Da gibt es nichts mehr zu erzählen. Du weißt ja schon alles. Das Einzige was neu ist, ist, dass ich mich von ihm getrennt habe.“ „Aber irgendwas muss doch den Ausschlag gegeben haben.“ „Ja. Er hat eine von seinen Tussis geküsst.“ „Was? Er hat dich betrogen?“ „Ja, aber er fasst es nicht so auf. Meinte es sei doch nur ein Dankeschönkuss gewesen für seine Arbeit! Das ich nicht lache! Als ob ich es tolerieren würde, dass so eine Tussi ihre Lippen auf seine presst!“ „Und er hat sich nicht dagegen gewehrt?“ „Wo denkst du hin, er ist schließlich ein Mann. Ihm hat’s doch gefallen. Außerdem küsst sie besser als ich.“ „Wie kommst du darauf?“ „Weil er es mir gesagt hat.“ „Was für ein Schwein!“, rief Sakura aus. Tenten lachte und weinte gleichzeitig. „Das habe ich mir auch gedacht. Aber es war eh langsam fällig. Wir haben uns auseinander gelebt. Er hat einfach das gemacht, was ich nicht konnte. Den Schlussstrich gezogen.“ „Das hätte er aber auch auf eine andere Art machen können. Außerdem hast DU ihn verlassen.“ „Schon. Aber er hat es provoziert, indem er mir das so locker gesagt hat. Er hatte wohl einfach die Nase voll von mir. Aber ich bin ja auch nichts Besonderes.“ „Jetzt hör aber auf! Du bist eine hübsche und intelligente junge Frau. Wenn er das nicht sieht, ist das seine Schuld.“ „Ich bin weder hübsch noch intelligent, Sakura. In bin höchstens annehmbar. Und wäre ich intelligent, würde ich jetzt in meiner eigenen Praxis stehen und nicht in einer arbeiten.“ „Das hat doch nichts mit Intelligenz zu tun! Auch ein einfacher Bauarbeiter kann intelligent sein. Meinst du, bloß weil man nicht studiert hat, ist man blöd? Intelligenz hat etwas mit Leistungsfähigkeit zu tun. Und Leistungen kann man auf verschiedenen Gebieten erbringen.“ „Das ist ja das Problem. Es gibt kein Gebiet, in dem ich außergewöhnlich gut bin. Ich bin einfach durchschnittlich.“ „So ein Quatsch. Aber davon mal abgesehen, was ist schlimm daran durchschnittlich zu sein? Willst du so ein Genie wie Hyuuga sein? Der hat es doch auch nicht einfach. Ich glaube als Normalo wie du und ich ist das Leben viel einfacher.“ „Meins fühlt sich nicht gerade einfach an.“ „Das liegt daran, dass du so voller Zweifel bist. Tenten, wenn die anderen nicht an dich glauben, musst zumindest du an dich selbst glauben!“ „Hat das nicht mal Pierce Brosnan gesagt?“ Sakura grinste. „Ein toller Kerl, findest du nicht auch?“ „Hm.“ „Aber zurück zu Kiba. Ich finde es gut, dass ihr euch getrennt habt. Ihr passt nicht zueinander. Und sei mal ehrlich: hast du ihn jemals richtig geliebt?“ „Ich dachte, dass ich ihn lieben würde. Was fast das Gleiche ist.“ „Nein, das ist es absolut nicht. Eine Schwärmerei ist wie ein Blatt, das im Winter von den Zweigen fällt. Liebe ist ein ewig lebender Baum.“ „Du bist ja richtig poetisch heute Morgen!“ Sakura lachte. „Und das, obwohl ich so ein Morgenmuffel bin!“ Tenten stimmte in Sakuras Lachen ein. Als wieder Stille herrschte, seufzte Tenten. Sakura sah ihre Freundin prüfend an. „Es ist nicht nur die Sache mit Kiba die dich belastet, oder?“ „Nein“, antwortete Tenten ehrlich und wunderte sich wieder einmal darüber, wie gut Sakura sie kannte. „Was ist es dann?“ „Na ja, wie du bemerkt hast, läuft es auf der Arbeit momentan auch nicht so gut. Ich bekomme einfach nichts gebacken. Neji ist auch schon wütend auf mich.“ „Aha!“, stieß Sakura aus, was Tenten zusammenzucken ließ. „Wieso aha?“ „Jetzt weiß ich, wo der Schuh drückt.“ Sakura beugte sich zu Tenten vor. „So, und jetzt sei mal ehrlich zu dir selbst. Ich werde dir jetzt zwei Fragen stellen und du wirst beide wahrheitsgemäß beantworten, versprichst du mir das?“ Tenten runzelte skeptisch die Stirn, nickte jedoch. Sie konnte ja eh nichts vor Sakura verstecken. „Also – wie lange ist es jetzt her, dass ich dich zu Nejis Praxis geschleift habe und du dein Vorstellungsgespräch hattest?“ Verwundert über diese Frage war Tenten erstmal sprachlos. Damit hätte sie jetzt nicht gerechnet. Sie warf einen Blick auf die Uhr und überlegte einen Moment, bevor sie antwortete. „3 Jahre, 4 Monate, 2 Wochen und schätzungsweise 58 Stunden, wieso?“ „Und wie lange bist du jetzt schon in unseren Chef verliebt?“ Tenten wurde schlagartig rot. „Ich – ähm…“ „Nun?“, harkte Sakura nach. Tenten atmete sie einmal tief durch und antwortete: „3 Jahre, 4 Monate, 2 Wochen und schätzungsweise 57 Stunden und 59 Minuten.“ „Ich wusste es!“, rief Sakura aus und lehnte sich zu Tenten vor. „Und, was gedenkst du zu unternehmen?“ „Gar nichts.“ „Ach, Tenten.“ „Wieso, was soll ich denn unternehmen? Die ganze Sache ist absolut aussichtslos. Hast du dir Neji schon mal angeguckt?“ „Ich sehe ihn fast jeden Tag, genauso wie du.“ „Du weißt, wie ich das gemeint hab. Er sieht nicht nur irre gut aus, er ist auch noch erfolgreich und reich. Und er ist höflich, freundlich, ehrgeizig und mitfühlend.“ „Reden wir von dem gleichen Neji? Mitfühlend? Er ist doch ein totaler Eisblock!“ „Ist er nicht!“, sagte Tenten entschieden. „Das behaupten die Leute nur, weil sie so oberflächlich sind. In sich drin ist Neji ein äußerst liebenswürdiger Mensch, der sich gut um seine Patienten kümmert. Er weiß was er will und setzt sich dafür ein.“ Sakura grinste. „Du bist wirklich rettungslos verliebt. Und es ist an der Zeit, ihn das wissen zu lassen.“ „Spinnst du? Er wird mich auslachen! Er ist viel zu gut für mich!“ „Papperlapapp! Rede nicht so einen Unsinn. Ihr würdet euch perfekt ergänzen.“ Tenten wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als Sakura mahnend die Hand hob. „Widersprich mir nicht! Ich kenne dich und ich kenne ihn. Außerdem kann ich die Sache objektiver betrachten, als du. Und ich sage, ihr seid füreinander geschaffen.“ Tenten seufzte. „Selbst wenn es so wäre – und du hast mich nicht davon überzeugt – dann ist es immer noch so, dass ich mich gerade von meinem Freund getrennt habe. Wenn ich ihm jetzt meine Liebe gestehe, denkt er doch, dass ich mich gleich an den Nächstbesten ranschmeiße. Außerdem ist er mein Chef. Das ganze würde nur unser Arbeitsverhältnis belasten.“ „Oder verbessern. Dann wäre endlich diese elektrische Spannung raus, die zwischen euch herrscht. Selbst ein paar der Patienten haben das schon mitbekommen.“ Tenten klappte die Kinnlade herunter. „Wie bitte?“ „Du hast mich schon richtig verstanden. Und glaub mir, es würde euch beiden gut tun. Du brauchst ja nicht sofort zu ihm zu rennen. Aber tu mir den Gefallen und denk mal darüber nach, okay?“ „Okay.“ ~*~ Ruhelos wanderte Tenten auf und ab. Immer wieder musste sie an das Gespräch mit Sakura zurückdenken. Mittlerweile lag dieses zwar schon über einen Monat zurück, doch sie hatte immer noch jedes Wort im Ohr. Sollte sie Neji wirklich ihre Liebe gestehen? Es stand so viel auf dem Spiel. Aber wenn sie nichts tat, dann bewegte sich nichts. Weder nach vorne, noch zurück. Sie würde immer auf der gleichen Stelle treten. Aber war das nicht besser, als ein Schritt zurück? Auch wenn es nicht ihr Traumberuf war, verrichtete sie ihre Arbeit doch gerne. Erst in letzter Zeit war ihr bewusst geworden, was für ein Glück sie hatte. Andere Menschen hatten nicht so viel Glück. Man brauchte nur einen Blick in die Zeitung zu werfen oder sich umzuhören. Viele hatten Angst ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Und viele Chefs nutzten das gnadenlos aus. Doch Neji war so fair wie eh und je. Er honorierte die Leistung anderer. Zwar sang er keine Lobeshymnen, zeigte einem aber doch seinen Respekt, wenn man sich anstrengte. Wie konnte man so einen Mensch nicht lieben? Doch sollte sie es ihn wirklich wissen lassen? Und wenn ja, wie? In dieser Beziehung war sie viel zu schüchtern, um es ihm einfach direkt ins Gesicht sagen zu können. Wie so oft wenn sie frustriert war, raufte sich Tenten ihre Haare. Wie konnte sie sich überhaupt sicher sein, dass sie ihn liebte? Bei Kiba dachte sie ja auch, dass sie ihn geliebt hätte. Sakuras poetische Worte mit dem Blatt und dem Baum fielen ihr wieder ein. Und auf einmal wusste sie, wie sie Neji ihre Liebe gestehen könnte. Es war kitschig, leichtsinnig und feige. Doch es war der einzige Weg. Entschlossen ging sie auf ihren Schreibtisch zu und griff nach Zettel und Papier. Dann begann sie ihre Seele auf das Papier zu bannen. ~*~ Nejis letzte Patientin wollte einfach nicht gehen. Zumindest nicht, bevor sie ihm ihre Lebensgeschichte erzählt hatte. Und sie war schon über 80 Jahre alt, es konnte also länger dauern. Genervt und um Ruhe bemüht, nickte Neji hin und wieder verständnisvoll. Wenn er seine Kundschaft nicht vergraulen wollte, durfte er sie nicht unterbrechen, geschweige denn einfach hinauskomplimentieren. Innerlich stellte er sich schon darauf ein, das Behandlungszimmer erst sehr viel später zu verlassen, als es klopfte. Seine Rettung. „Ja?“, sagte er, erleichtert. Tenten steckte ihren Kopf hinein. Sie war ungewöhnlich rot. „Doktor Hyuuga, ich mache nun Feierabend. Ich habe ihnen noch ein paar Papiere auf den Thresen gelegt. Es wäre nett, wenn sie sich diese einmal durchsehen würden.“ Täuschte er sich, oder wurde ihre Gesichtsfarbe bei diesen Worten noch ein wenig dunkler? Aber vielleicht kam das einfach nur von der Hektik, weil sie nach Hause wollte. Er nickte ihr zu. „Danke, Tenten.“ Damit verschwand Tenten auch wieder und schloss die Tür, doch Neji öffnete diese sofort wieder. „Es tut mir sehr Leid, Frau Matsuyama, aber wie sie gehört haben, wartet noch eine Menge Papierkram auf mich.“ Er dankte Tenten innerlich für diese Ausrede und es gelang ihm auch tatsächlich die alte Dame loszuwerden. Er atmete auf. Dann wandte er sich mit mürrischem Blick den Papieren zu. Er hasste Papierkram. Er warf einen Blick auf das oberste Blatt. Der Unterschied Vor mir fließt ein Bach, stetig und still, Doch ich wünschte, ich wäre am Meer. Wäre genauso wild und frei. Es weht eine leichte Briese, so wie der Wind es will, Doch in meinem Traum fegte ein Tornado vorbei. Neji stutzte. Was sollte das? Das waren eindeutig keine Krankenunterlagen. Das war ein Gedicht. Und noch dazu keins, was er kannte. Er runzelte die Stirn. Hatte sich Tenten vertan? Sie hatte sicherlich aus Versehen private und dienstliche Papiere vermischt. Also sollte er das hier nicht lesen. Doch er war zu neugierig und las auch die nächsten Strophen des Gedichts. Ich kann beobachten, wie die Glut des Feuers langsam erlischt, Doch ich ersehne mir ein wärmendes, loderndes Feuer. Ich fühle mich, wie ein Wartender am Bahnhof, der seinen Zug nicht erwischt, Doch ich erhoffe mir ein Ticket für den nächsten Shinkansen*, sei es auch noch so teuer. In meinem Traum trank ich von dem Wasser, das nie mehr durstig macht. In meinem Traum gab Gottes heiliger Atem mir die Kraft. Genauso schnell wie ein Blitz, wurde das Feuer in mir entfacht. Mein Herz war genauso gefangen, wie ein Straftäter in Haft. Kannst du nun den Unterschied erkennen, zwischen Wirklichkeit und Traum? Zwischen Schwärmerei und Liebe? Ich sag’s dir: Die Schwärmerei ist das Blatt, das im Winter herunterfällt, die Liebe der ewig lebende Baum. Hatte Tenten das selber verfasst? Ich verstand es nicht. Ich griff zu dem nächsten Blatt. Noch ein Gedicht. Konnte das wirklich Zufall sein? Höre nur genau zu Wolken, so weiß wie der Schnee. Die Nacht, so schwarz wie die stürmische See. Der Tag und die Nacht wechseln sich ab. Dazwischen ist nichts, nichts, was ich hab’. Gut gegen Böse, schwarz gegen weiß. Hat nicht alles seinen Preis? Dunkel gegen hell, Liebe gegen Hass. Gibt es jemanden, auf den ich mich voll und ganz verlass‘? Der Verstand kämpft hartnäckig gegen das Herz, Menschen betäuben ihren Schmerz. Schwarzer Kaffe, weißes Ei, Gefangen im selben Eintagsbrei. Aber es ist nicht alles schwarz und weiß. Nicht alles, hat seinen Preis. Es gibt mehr Farben auf dieser Welt, Weise Entscheidungen, die man fällt. Rot, blau und grün, Sind die Farben der Liebe, der Treue und der Hoffnung. Gefühle, die in jedem blüh’n. Es gibt nicht nur richtig und falsch, sondern auch den Mittelweg. Es gibt einen Weg über die stürmische See, eine Brücke, einen Steg. Der Weg ist nicht immer einfach zu gehen, Doch er ist zu überstehen. Glaube nur immer fest daran, es ist nicht alles schwarz und weiß, oder grau in grau. Das Herz weiß was es tut, es ist schlau. Wollte sie ihm mit den Gedichten etwa etwas sagen? Er erinnerte sich daran, wie rot sie gewesen war, als sie das Behandlungszimmer betrat. War es also tatsächlich Absicht, dass diese Gedichte hier lagen? Sollte er sie lesen? Fast schon begierig griff er nach dem nächsten Blatt. Und was er dort las, lies seinen Atem stocken. Erlöse mich! Du besuchst mich in jedem Traum, in jeder Nacht, Bis die Sonne am Morgen erwacht. Du bist der Gedanke mit dem ich aufwache Und das Funkeln in meinen Augen, wenn ich lache. Du bist der, den ich sehen will. Meine Augen stehen auf der Suche nach dir niemals still. Ich kann mich nicht satt sehen an dir, Denn du erweckst die Sehnsucht in mir. Doch ich habe Angst darüber mit dir zu sprechen, Denn ich fürchte mein Herz würde zerbrechen, Wenn du sagen würdest, das du mich nicht liebst Und mich einfach von dir schiebst. Deshalb erlöse mich von meinem Schmerz, Denn er bricht mir das Herz. Bitte gib mir einen Hinweis auf deine Gefühle, Damit ich mich nicht selber die ganze Zeit belüge. Falls du mich lieben solltest, dann gib mir ein Zeichen Und ich werde niemals mehr von deiner Seite weichen. Denn meine Liebe für dich ist grenzenlos Und sie wird dich beschützen, wie ein rettendes Floß. Doch wenn du mich nicht liebst, dann verschwinde bitte aus meinen Gedanken Und bring meine Gefühle für dich nicht mehr ins Wanken. Wenn du mich nicht liebst, dann bitte erlöse mich, Denn im Moment gibt es nur noch dich. Wenn die beiden vorherigen Gedichte auch kryptisch waren, war dieses sehr eindeutig. Doch konnte das sein? Sollten diese Gedichte ihre Gefühle für ihn widerspiegeln? Das konnte nicht ihr Ernst sein. Bis vor wenigen Monaten war sie doch noch mit Kiba glücklich gewesen und jetzt schrieb sie ihm in diesem Gedicht, dass sie ihn schon immer liebte? Doch dann fiel ihm wieder das erste Gedicht ins Auge. „Der Unterschied.“ Wollte sie ihm damit etwa sagen, dass die Sache mit Kiba nur eine Schwärmerei war, sie sich aber ernstlich in ihn verliebt hatte? Oder interpretierte er nur das hinein, was er gerne hören wollte? Er musste es herausfinden. Und dafür gab es nur einen Weg: er musste mit Tenten sprechen. Darüber, was diese Gedichte bedeuteten. Und auch darüber, was sie für ihn bedeuteten. Denn vielleicht konnte es wirklich sein, dass obwohl sie so unterschiedlich wie Tag und Nacht waren, sie doch eines gemeinsam hatten: ihre Liebe zueinander. ~*~*~*~*~ *1 Aus: Jenseits des Regenbogens * Shinkansen ist ein Hochgeschwindigkeitszug in Japan. So wie bei uns der ICE. Ich hoffe, diese etwas seichte Geschichte hat euch gefallen und die Gedichte und der Schluss waren nicht zu kitschig! Kapitel 6: Luxuria/Wollust -------------------------- Er wusste, dass sie unter seiner Macht leiden würde und hatte dennoch wie blind zugesehen, wie sie zerbrach... --- Neji war kein perfekter Mensch, er bereute viele Dinge, die er in seinem Leben begangen hatte. Er hatte viele Frauengeschichten. Dass er den Frauen dabei das Herz nach einer gemeinsamen Nacht brach, indem er sich nie wieder bei ihnen meldete, war ihm egal. Ihm waren diese Frauen egal, sie bedeuteten ihm nichts und es war ihm auch egal, wenn sie weinten oder litten. Das war nicht immer so, anfangs hatte er Frauen respektiert und sie zu schätzen gewusst. Doch dies änderte sich schlagartig, als sein Onkel ihm mitteilte, dass er es für die beste Entscheidung fand, wenn Neji eine Frau aus dem Clan heiraten würde. Er war einer Frau versprochen, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Aus diesem Grund hatten für ihn Frauen an Wert verloren und er wollte sich auch nicht mehr um ihr Wohl sorgen. Was Liebe war konnte und durfte er nicht erfahren, immerhin musste er eine wildfremde Frau heiraten und mit ihr eine Familie gründen. Er flüchtete sich immer mehr aus der Realität, trank viel und oft Alkohol. Um sich selbst weiszumachen, dass er kein Alkoholproblem hatte, fragte er seine Teamkameraden, ob sie ihm Gesellschaft leisten wollten. Da Lee keinen Alkohol vertrug, waren er und Tenten meistens alleine, tranken billigen Wein und herbes Bier. Sie genoss scheinbar die Anwesenheit von Neji und er selbst war froh, dass er nicht alleine trinken musste und zu sich nach Hause zurückkehren musste. Einen Moment konnte er aus seiner Realität fliehen. Sie trafen sich bei Tenten in der Wohnung. Sie wohnte alleine und es war ihr lieber, nicht ständig in dunklen Kneipen herumzulungern. Ihre Wohnung war klein, aber dennoch gemütlich. Es hatte keine typische weibliche, verträumte Einrichtung, sondern eher rein zweckmäßig. Dennoch hatte diese Wohnung Charme. Tenten hatte ihm in einem ruhigen Moment erzählt, dass sie Probleme hatte die Miete zu bezahlen. Sie bekam keine Unterstützung von ihrer Familie und die Missionen brachten nicht das nötige Kleingeld, dass sie zum Leben brauchte. Er wusste nicht, ob es alleine am Alkohol lag, doch Tenten hatten an diesen Abend eine Anziehungskraft, die er zuvor nicht gespürt hatte. Er betrachtete ihren Körper, ihre feinen Gesichtszüge. In seinen Augen war sie perfekt. Ein freier Mensch, ohne Grenzen und Vorschriften. Sein Herz schlug schneller, sein Verstand setzte für einen Moment aus. Bei keiner anderen Frau spürte er dieses Verlangen, diese Intensität, wenn sie ihn berührte. Sie kannten sich schon Jahre, kannten sich in und auswendig und vertrauten sich sogar ein Stück weit. Tenten kannte ihn in jeder Facette und vielleicht hatte sie auch mehr von ihm gesehen als ihr lieb war. Sie hatten gelacht, über ernste Dinge diskutiert und sich sogar ab und an gestritten. Tief in seinem Inneren hegte er versteckte Gefühle für sie. Doch konnte man es nicht mit Verliebtheit gleichsetzen, es war eher ein Verlangen nach ihrem Körper. Er genoss ihre Nähe, ihre Aufmerksamkeit, würde dies aber niemals zugeben. Sein Blick huschte über ihren Busen, doch sie merke es nicht, wahrscheinlich dachte sie, dass er viel zu anständig war, um so etwas zu machen. Als sie sich unterhielten, betrachtete er aufmerksam ihre Lippen, prägte sich ein, wie weich sie aussahen und wie schön es sein würde, sie zu küssen. Tenten bemerkte nicht, dass er sie so betrachtete. Wie ein Stück Fleisch musterte er ihren Körper, er wollte sie wie ein Tier einsperren und ganz für sich behalten. Das Verlangen nach ihr stieg von Sekunde zu Sekunde. Er konnte es sich nicht erklären, warum sie für ihn so eine magische Anziehungskraft hatte, immerhin spürte er früher nicht diesen Sextrieb in ihrer Nähe. Das er je eine Frau so begehren würde, hätte er vor diesem Ausrutscher nie für möglich gehalten. Langsam beugte er sich vor, unterbrach sie, noch während sie sprach mit einem Kuss, berührte sachte ihre Lippen mit seinen. Sie war sichtlich überrascht, als er sie küsste, aber sie ließ es zu und sie gingen sogar einen Schritt weiter. Sie schliefen miteinander und es war ein unbeschreibliches Gefühl, dass sich in Nejis Brust ausbreitete. Nach dem Sex fühlte er sich ausgefüllt, sein Verlangen war vorerst gestillt. Nie zuvor war er so befriedigt gewesen und er hatte das starke Bedürfnis sie nicht zu verlieren. --- Sie verloren in der Öffentlichkeit kein Wort über diesen Zwischenfall, doch aus einem kurzen Moment der Schwäche entwickelte sich eine Liebschaft. Dass sie eine Affäre begannen war eigentlich anfangs nicht geplant. Dass sie überhaupt miteinander schlafen würde, hätte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Seit diesen Abend trafen sie sich öfter, es war nie wirklich geplant, dass sie Sex hatten, doch taten sie es. Nach einiger Zeit war es völlig normal, die anfängliche Hemmschwelle war komplett verschwunden. Es war nie bekannt, ob Liebe im Spiel war, wenn sie es taten, doch stets lag Zärtlichkeiten darin. Sie spürten, dass sie einander nicht egal waren und das reichte ihnen. Zumindest für den Moment. --- Doch das Blatt schien sich plötzlich zu wenden, als Tenten von der Hochzeit erfuhr. Das sie nicht die einzige für ihn war, wusste sie, aber eine Hochzeit war etwas großes und besonderes, das man es nicht aus Leichtigkeit tat. Das es sich um eine unfreiwillige Hochzeit handelte, verschwieg Neji ihr. Sie würde es ohnehin nicht verstehen. Er verstand es schließlich auch nicht. Sie schliefen wie gewohnt miteinander und ihre kleine Welt schien perfekt zu sein. Ihre nackten Körper schmiegten sich aneinander und Neji schloss für einen Moment die Augen. „Weiß sie von uns?“, fragte Tenten plötzlich und musterte ihn kritisch. „Nein“, sagte Neji ruhig, ließ die Augen geschlossen. Das Tenten seine Ehefrau meinte war offensichtlich. „Liebst du sie?“, fragte Tenten weiter, auch wenn sie die Antwort scheinbar gar nicht hören wollte. Er öffnete die Augen, sah sie irritiert an und antwortete ehrlich und voller Überzeugung. „Nein.“ Er küsste kurz ihre Stirn. „Ich muss nun gehen.“ „Zu ihr?“ „Natürlich zu ihr, wir wohnen schließlich zusammen.“ „Schläfst du auch noch heute mit ihr?“ Sie kniff die Augen leicht zusammen. „Vielleicht.“ Die plötzlich Eifersucht, die Tenten entwickelte störte ihn und er hoffte, dass sie dies bald wieder legte. Eine kleine Zornesfalte bildete sich auf ihrer Stirn. „Hör auf“, sagte er. „Du bist nicht mein Gewissen.“ „Es tut mir leid“, gab sie nach. „Es geht mich auch nichts an.“ „Genau“, sagte er und versuchte ruhig zu bleiben. Langsam stand er auf und suchte seine Sachen zusammen. „Hast du morgen Zeit?“, fragte sie, blieb nackt wie sie war auf dem Bett sitzen und sah ihn erwartungsvoll an. „Für dich immer“, sagte er mit einem selbstgefälligen Lächeln. „Ich lasse dir ein wenig Geld für die Miete da.“ Er zog seine Brieftasche und legte ihr 100.000 Yen auf den Nachttisch. „Danke“, sagte sie, beugte sich zu ihm rauf und küsste ihn innig. In diesem Moment schien ihre selbstgebaute Welt noch in Ordnung zu sein. --- Die Wochen vergingen und für Neji hatte sich das Eheleben zu einer Gewohnheit entwickelt. Er hatte gelernt, dass er seine Frau respektieren musste und sie ließ ihm den Freiraum, den er brauchte. Es hätte alles perfekt weiterlaufen können, doch Tenten litt darunter, dass er nun verheiratet war und sie bloß seine kleine Affäre war. „Ich kann das nicht mehr“, sagte sie, schob ihn leicht von sich und wandte den Blick ab. „Was meinst du?“, fragte er irritiert, wollte sie erneut küssen, sie ablenken, doch es funktionierte nicht. „Ich kann nicht immer deine Nummer Zwei sein.“ „Du bist nicht meine Nummer Zwei“, sagte er und verdrehte die Augen, doch sie sah es gar nicht. „Was dann?“, fragte sie, sah ihn immer noch nicht an. „Du bist keine Nummer für mich, wir haben bloß Sex, mehr nicht.“ Langsam drehte sie sich wieder zu ihm und sah ihn kalt an. „Dann bedeute ich dir nichts?“ „Nein“, sagte er. Er sprach die Wahrheit, gefühlsmäßig bedeutete sie ihm nichts, aber sie war eine Freundin, eine Leidensgenossin. Allerdings war er zu stolz und zu feige um ihr dies zu sagen. „Es ist bloß Sex“, fügte er noch einmal hinzu, auch wenn sie höchstwahrscheinlich längst verstanden hatte. „Du solltest jetzt gehen“, sagte sie, ohne auf seine Aussage einzugehen. „Brauchst du Geld?“, fragte er und zog seine Brieftasche. „Wieso? Wir haben doch gar nicht miteinander geschlafen. Warum solltest du mich dann bezahlen?“ „Du bist doch keine Prostituierte für mich.“ „Ich fühle mich aber wie eine.“ Sie schob ihn sachte, aber bestimmt zur Tür, öffnete sie und sah ihn wortlos an. Er hätte noch gerne etwas gesagt, doch Tenten wirkte in diesem Moment so verletzt und gekränkt, dass er es ließ. „Bis bald“, sagte er bloß und ging in den dunklen Hausflur. „Leb wohl“, flüsterte sie und schloss geräuschlos die Tür hinter sich. Neji blieb einige Zeit im Hausflur stehen und starrte die geschlossene Tür an, die sich wahrscheinlich nie wieder für ihn öffnen würde. Er hatte sie verloren... --- Die Tage vergingen wie im Flug und Neji hatte fast den Vorfall mit Tenten vergessen, vergnügte sich mit anderen, unkomplizierten Frauen, die freizügig und willig waren. Doch keine Frau konnte die Sehnsucht und das Verlangen ausfüllen, so wie es Tenten tat. Er versuchte nicht mehr an sie zu denken, sie zu verdrängen. An einem kalten, verregneten Tag, bekam er eine Nachricht, die seine Welt drohte aus ihrem Gleichgewicht zu bringen. Der unscheinbare Brief lag vor ihm auf seinem Schreibtisch. Seit einer Stunde starrte er auf die Zeilen, doch er konnte es nicht begreifen. Es wirkte so unwirklich. Erst als es an der Tür klopfte, sah er auf. „Neji?“, fragte seine Frau und trat ein. „Wann ist die Beerdigung?“ Er sah erneut auf den Brief, suchte das Datum im Standardtext, auch wenn er es bereits wusste. „In einer Woche“, sagte er, sah nicht auf und starrte erneut die Zeilen an. „Wirst du hin gehen?“, fragte sie vorsichtig. „Ja. Es ist schließlich bloß eine Beerdigung. Wenn wir nicht gehen, werden die Leute schlecht über uns reden.“ Sie sagte nichts, blickte nur bedrückt. „Es tut mir leid für dich. Es ist tragisch, dass Tenten von uns gegangen ist.“ Er nickte, sah aber nicht auf. Dass Tenten nun tot war, riss ihm den Boden unter den Füssen fort. Er war traurig, wütend und orientierungslos zugleich und wusste nicht wohin mit seinen Gefühlen. Am liebsten wäre er fortgegangen, ihr in den Tod gefolgt, doch er wusste, dass es sinnlos war. Er musste weiterleben, auch wenn ihm das Leben momentan sinnlos vorkam. --- Die Beerdigung war eine rein formelle Angelegenheit und auch, wenn die Rede der Verwandtschaft herzzerreißend war, ließ Neji dies alles kalt. Diese Leute kannten die Tote gar nicht richtig, wieso sprachen sie dann so vertraute Worte über sie? Keiner hatte ihren plötzlichen Selbstmord begriffen, aber niemand konnte, oder wollte auch nur ansatzweise verstehen, warum sie es getan hatte. Aus Verzweiflung. Nach der Andacht, wollte Neji mit seiner Frau auf dem direkten Wege nach Hause, weg von diesen falschen Leuten, weg von dieser Heuchelei. Doch Lee hielt ihn auf, rannte auf ihn zu. Seine Augen waren rot vom Weinen, doch er riss sich für einen Moment zusammen. Für Lee war Tentens plötzlicher Tod besonders schwer gewesen. Sie hatte ihn angerufen und ihm gesagt, was sie vorhatte. Er hatte keine Sekunde gezögert und war zu ihr gegangen, doch es war bereits zu spät. Er hatte sie tot in ihrer Wohung aufgefunden. Ihr Tod sollte nicht ungesehen geschehen, scheinbar wollte sie ein Zeichen setzen. „Neji“, sagte er etwas atemlos, als er zu ihnen kam. „Kann ich kurz mit dir reden - alleine“, fügte er rasch hinzu. „Ist schon in Ordnung“, sagte seine Frau sofort und entfernte sich ein Stück von ihnen. „Was gibt es?“, fragte Neji und sah seinen Teamkollegen skeptisch an. „Es geht um Tenten.“ Bei ihrem Namen brach seine Stimme ein wenig. Natürlich ging es um sie, immerhin war dies ihre Trauerfeier. „Nachdem sie-" Er stockte, als suche er nach den richtgen Worten. "Als ich sie fand, lag ein Zettel auf dem Tisch.“ Er reichte Neji ein Stück Papier auf dem in Tentens Handschrift allein vier Worte standen. „Die Polizei hat dem Brief keine Aufmerksamkeit geschenkt, da es klar war, dass sie sich- Dass es Selbstmord war. Sie brauchten und wollten kein Motiv.“ Lee blickte traurig zu Boden. Neji schwieg. Er hatte zu diesem Thema nichts zu sagen. „Habt ihr euch oft getroffen?“, fragte Lee vorsichtig. Sein Blick suchte den Nejis als hoffe er darin eine Erklärung zu finden. „Nein“, log Neji. „Ich verstehe das nicht und es ist mir auch egal. Selbstmord ist ein Zeichen von Schwäche und eine Sünde. Wenn sie sündigen wollte, dann hat sie es aus freien Stücken getan. Ich habe damit nichts zu tun.“ „Sie war in ihren letzten Tagen ziemlich neben der Spur. Ich dachte, du wüsstest etwas.“ Lee wandte sich sichtlich enttäuscht ab. „Sie ist tot. Akzeptier das endlich. Es ist egal.“ Er musste dies sagen, nur um ihn zu schützen. Damit Lee sich nicht in seinem Kummer verlor, weiter leben konnte, sein Leid irgendwann vergaß. Wortlos drehte er sich um, ließ Lee alleine zurück und ging zu seiner Frau. „Wir gehen“, sagte er nur. „Was ist das für ein Zettel.“ „Unwichtig“, murmelte er und steckte sich das Blatt Papier in die Jackentasche. --- Alleine saß er in seinem Arbeitszimmer, den Brief von Tenten vor sich. Mit dem Zeigefinger strich er langsam über ihre letzen Worte und eine Träne lief verstohlen seine Wange hinunter und landete auf dem zerknüllten Zettel. Aus Liebe zu Neji stand dort, nicht mehr, doch diese Worte trafen ihn tief. Er hatte nie bemerkt, wie sehr Tenten darunter litt, dass sie bloß eine Liebschaft für ihn war, eine von vielen. Dass er ausgerechnet ihr das Herz brach, hatte er nicht gewollt. Und dennoch hatte sein Verlangen alles zerstört. Er wollte bloß ihren Körper, seinen Sextrieb stillen und überging dabei ihr Wohlergehen. „Es tut mir Leid“, flüsterte er in die Stille hinein und legte den Brief zur Seite. Er konnte ihr nicht folgen, auch wenn er in diesem Moment das Bedürfnis hatte. Er musste stark bleiben, immerhin war Selbstmord keine Lösung. Er wollte leben, auch wenn sein Leben momentan einem Scherbenhaufen glich. Der Schmerz würde mit der Zeit vergehen, doch eine Bürde musste er von nun an mit leben: Er hatte sie mit seiner unstillbaren Wollust umgebracht... -Ende- Kapitel 7: Superbia/Hochmut --------------------------- A different kind [of Pride] Rasch zog TenTen das Messer, das sie stets am Gürtel trug. Es war eine gute Klinge, aus mehrfach gehärtetem Stahl und mit einem Griff aus Horn, der aufgrund der häufigen Benutzung glattgeschliffen war. Sie brauchte nur eine Bewegung und kaum Druck um das Leder durchzutrennen, aus dem sie die Falle gebaut hatte. Ein fettes Kaninchen hatte sich darin verfangen. Es war noch warm und konnte darum noch nicht lange tot sein. Dieses war die letzte und insgesamt war ihre Ausbeute ziemlich gut. Vier der Fallen waren leer gewesen, also hatte sie sie in Ruhe gelassen, doch an ihrem Gürtel hingen schon zwei weitere tote Kaninchen, die mit jedem Schritt gegen ihre Beine stießen. Sie band das neue Kaninchen zu den anderen beiden und richtete sich wieder auf. Akiko schob sich an ihre Seite und blickte aus treuherzigen, dunklen Augen zu ihr auf. Für viele Fremde kam es überraschend, wie leise sich die riesigen Inuzuka-Hunde bewegen konnten, aber TenTen war es gewohnt. Mit einem Lächeln fuhr sie der braunroten Hündin mit den aufmerksamen Augen und dem buschigen Schwanz durch das dichte Fell auf dem Kopf und schob das Messer in die Scheide zurück. „Das war die letzte. Wir haben gute Beute gemacht.“, erklärte sie dem klugen Tier. Akiko wedelte mit dem Schwanz und starrte weiterhin zu ihr auf. TenTen lächelte noch einmal und kroch hinter dem Gebüsch hervor, unter dem sie die Falle verborgen hatte. Rasch blickte sie sich um, doch außer bemoosten Bäumen, die aus dem mit Blättern und niedrigen Pflanzen bedeckten Waldboden wuchsen, und ein paar Felsbrocken sah sie nichts. Zu hören war ebenfalls nichts als die gewohnten Geräusche des Waldes – der Wind im Laub, Vögel, Rascheln im Gebüsch. Sie wusste, dass sie verdammt nah an Hyuugaland war. Natürlich war es offiziell noch immer Grenzgebiet, Niemandsland, aber es war dennoch zu nach an der Domäne des Hyuugaclans, als dass sie sich völlig sicher fühlen konnte. Das Beste wäre, wenn sie sich einfach nicht länger hier aufhielt und zurück zu den Gefilden ihres eigenen Clans ging. Dort würde sie keinen Hyuuga treffen und das war besser so. Sie erinnerte sich noch an das Chaos, das letztes Mal ausgebrochen war, als sie mit einigen Freunden ein paar der Hyuugakrieger begegnet war. Also lief sie zügig los, um ihr Ziel rasch zu erreichen. Sie duckte sich unter einigen Ästen hindurch, sprang über einen umgekippten, völlig mit Moos zugewachsenen Baumstamm und folgte dem Tierpfad, der dahinter entlanglief. Sie hätte die Fallen gar nicht erst hier stellen dürfen. Es war dumm gewesen, aber manchmal tat sie dumme Dinge, einfach weil sie beweisen wollte, dass sie es konnte und ihr dabei nichts geschah. Aber vielleicht war das hier etwas zu viel des Guten? Ihre Mutter, Tsume, das Oberhaupt des Inuzukaclans, war wütend auf TenTen und die anderen gewesen, als sie von dem Streit mit den Hyuuga erfahren hatte. Der Waffenstillstand zwischen den beiden Clans war nun einmal fragil und brüchig und ein solcher Streit hätte alles zunichte machen können. TenTen hatte sich geschämt, ihre Familie in eine solche Gefahr gebracht zu haben – es war nicht, dass die Hyuuga nicht die Erzfeinde, die ewigen Gegner der Inuzuka waren, doch die Gefahr, die von Orochimaru und seinem Heer ausging, war im Moment einfach zu groß, als dass sie zwei Gegner gebrauchen konnten – und versprochen, es nie wieder zu tun. Aber was konnte sie denn dafür, dass die Hyuuga mit einer solchen Arroganz auftraten, dass man ihnen einfach ins Gesicht schlagen wollte? Die Kaninchen stießen mit jedem Schritt an ihren Schenkel und Akikos Pfoten erzeugten leise, dumpfe Geräusche auf dem nadelbedeckten Boden des Pfades. TenTen schob einen Ast beiseite. Wenn sie diesem Pfad folgte, würde sie bald auf Inuzukaland sein. Vorausgesetzt, es war der richtige Weg und nicht einer der zahllosen anderen, die sich kreuz und quer durch die Bergwälder zogen. Dann konnte sie unbehelligt sicheres Gebiet erreichen… Der Klang von Hufschlag ließ sie erschrocken innehalten. Schien, als wäre es bereits zu spät. Das war ein Hyuuga und sie stand hier, mit toten Kaninchen am Gürtel. Und sie benahm sich wie eine Diebin und dieses Land gehörte gar niemandem und sie hatte das Recht, hier zu jagen. Warum stellte sie sich so an?! Das Pferd war grau, schlank und langbeinig und stolzierte langsam auf sie zu, während der Reiter die Zügel lässig in einer Hand hielt. Die andere hatte er um das Heft seines Krummschwertes geschlossen, eine eindeutige Drohung. Doch der Bogen auf seinem Rücken trug keine Sehne. Sie kannte ihn. Er war auch unter jenen gewesen, mit denen sie letztes Mal diesen Streit gehabt hatte, auch wenn er sich eher im Hintergrund gehalten hatte. Trotzdem… Sie konnte sich noch genau an das spöttische Grinsen erinnern, an den Hochmut in seinen Augen, und die stolze Haltung hatte sich kein Stück geändert. Sein Gesicht war hübsch – viel zu hübsch – der Körper unter der hochwertigen, robusten Kleidung aus Leder und Leinen kraftvoll, athletisch und durchtrainiert und er hatte das dunkle Haar zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengebunden. Trotzdem fiel es ihm beinahe bis zu den Hüften herhab. TenTen war neidisch auf dieses Haar, das war sie vom ersten Augenblick an gewesen, als sie ihn gesehen hatte. Es war nur ein Grund mehr, ihm Zorn und Verachtung entgegenzubringen. Das war leichter zu erklären als offener Neid. TenTen wich einen Schritt zurück und Akiko stellte sich neben sie, das Fell gesträubt. Sollten sie einfach davonlaufen? Das würde ihnen allen sicher eine Menge Ärger ersparen. Auf der anderen Seite – warum bei allen Dämonen sollten sie? Das hier war noch kein Hyuugaland. Also straffte sie die Schultern und blickte dem jungen Krieger herausfordernd entgegen. „Ich wusste gar nicht, dass ihr Hyuuga es sogar wagt, euer Land zu verlassen. Ich dachte immer, ihr versteckt euch darin wie Kaninchen in ihrem Bau.“, spöttelte sie. Angriff war immerhin die beste Verteidigung. Seine hellen, erstaunlichen Augen, weiß wie Schnee, verengten sich zu Schlitzen. „Und ihr Inuzuka rennt immer mit dem Kopf voran in den Kampf. Anscheinend ist das die Wahrheit.“ Die Arroganz in seiner Stimme ließ sie zornig auffahren. „Wenigstens wissen wir, was Kampf bedeutet, ihr Feiglinge! Steig von deinem hohen Ross herunter und dann beweis ich es dir, Neji vom Hyuugaclan!“ Er verzog die vollen Lippen zu einem spöttischen Lächeln und blickte sie von oben herab an. „Warum sollte ich? Mich jetzt mit dir anzulegen, ist dumm und macht überhaupt keinen Sinn. Aus dem Weg.“ Sie ballte die Hände zu Fäusten. Er nahm sie nicht ernst! Er verwarf ihre Worte, ihre Herausforderung einfach! Er zog es nicht einmal in Betracht, sie ernst zu nehmen! Wer glaubte er, dass er war?! Sie war die Tochter der Anführerin des Inuzukaclans! Sie konnte jagen und kämpfen. Sie war eine Kriegerin. Und wer war er? Nur ein Krieger des Hyuugaclans, die keine Ahnung von Kampf und Ehre hatten! Wie konnte er es wagen…! „Nun?“, durchbrach er die Stille und beugte sich vor, beide Hände auf den Sattel gestützt. „Worauf wartest du?“ Für einen Moment wusste sie nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Mit Spott und Hohn oder sollte sie einfach nachgeben? Ein Kampf wäre schlecht für sie alle… „Oder willst du wirklich mit mir kämpfen, kleines Mädchen?“ Roter Zorn explodierte hinter ihren Augen. Sie riss ihren Dolch aus der Scheide und streckte Neji die Klinge demonstrativ entgegen. Akiko knurrte, laut und drohend, während das Pferd schnaubte und mit den Hufen scharrte. Es war nervös. War Neji es auch? Er wirkte nicht so, seine Haltung noch immer gelassen, sein Gesicht unbewegt. „Leg das weg, sonst tust du dir noch damit weh.“ Damit nahm er die Zügel wieder auf und trieb das Pferd an. TenTen starrte ihn mit offenem Mund an. Hatte er sie gerade ein kleines Mädchen genannt?! Akiko drängte sich gegen ihre Beine und sie damit auf die Seite, damit sie nicht mehr im Weg des grauen Pferdes stand. Sie würde sich später noch eine ganze Weile fragen, ob er sein Reittier angehalten oder sie einfach niedergeritten hätte, wenn das nicht passiert wäre. Im Moment aber realisierte sie es nicht einmal, sondern starrte ihm nur nach, vor Zorn zitternd. Drei Tage später war sie noch immer zornig auf Neji, der wohl der hochmütigste unter allen Hochmütigen sein musste. Wie konnte er es wagen, sie so zu behandeln? So mit ihr zu sprechen? Und sie dann einfach zu ignorieren?! Wütend schob sie einige Äste zur Seite und stampfte um ein Gebüsch herum. So würde sie sicher rein gar nichts erlegen. Sie verursachte mehr Lärm als eine Gruppe Reiter im Unterholz. Aber es war nicht so, als ob jemand auf ihre Beute angewiesen wäre. Sie war hier, weil sie erst Streit mit ihrem Bruder und dann mit diversen anderen Leuten angefangen hatte und das nur, weil dieser arrogante Bastard von einem Hyuuga sie so aufgeregt hatte. Akiko schlich hinter ihr her, der Schwanz hängend – anscheinend war sie nicht glücklich über die schlechte Laune ihrer Herrin. Und auch nicht darüber, dass sie schon wieder das Revier verlassen hatten. TenTen wusste es und sie wusste auch, dass sie es nicht tun sollte, aber sie hatte sich erneut in das Grenzgebiet zwischen den Ländereien der beiden verfeindeten Clane begeben. Vielleicht würde sie ja wieder Neji treffen und dann konnte sie ihn verprügeln. Oder ihm zumindest ein paar scharfe Worte an den Kopf knallen. Sie ließ sich von niemandem als kleines Mädchen bezeichnen! Mit mehr Kraft als nötig trat sie gegen einen Kiesel, der daraufhin gegen einen Baumstamm krachte und irgendwo im Gebüsch verschwand. Akiko stellte die Ohren auf und blickte ihm nach, aber sie folgte ihm nicht. An jedem anderen Tag wäre sie hinterher gesprungen um begeistert nach dem Stein zu suchen. Anscheinend war sie im Moment nicht auf Spiele aufgelegt. Oder sie wagte es einfach nicht. TenTen seufzte und strich dem Tier über den Kopf. „Tut mir leid. Ich sollte anfangen, mich jetzt langsam wieder zu beruhigen, oder?“ Die Hündin starrte sie aus treuherzigen Augen an und wedelte mit dem Schwanz. Wenn das kein klares ‚Ja‘ war, wusste TenTen auch nicht. Aber dummerweise war es ihr nicht möglich, ihre Gefühle von einen auf den anderen Augenblick einfach so umzustellen. Die unterdrückte Wut über Nejis Worte, ausgesprochen mit einer solchen Arroganz, und sein Verhalten ließ sich nicht einfach so ausschalten. Vielleicht sollte sie irgendwo hinaufsteigen. Das Klettern kostete Kraft und es beruhigte sie immer, nach einem langen Aufstieg irgendwo hoch oben über der Welt zu sitzen und hinunterzuschauen, die klare Luft und die herrliche Aussicht zu genießen. Dummerweise kannte sie hier in der Nähe nichts, was ihren Anforderungen entsprechen würde. Also drehte sie sich dreimal im Kreis, ehe sie die Entscheidung fällte, einfach dem Abhang zu folgen und bergauf zu gehen. Irgendwann würde sie schon einen geeigneten Ort finden. Und wenn nicht, dann hatte sie jetzt wenigstens etwas zu tun. Akiko folgte ihr klaglos, aber sie wirkte jetzt schon etwas glücklicher und besser aufgelegt. Nach einigen Metern wurde TenTens Gangart schneller, bis sie in raschem Trap den schmalen Pfad entlang stürmte, an Findlingen, Bäumen und Unterholz vorbei, unter Ästen und überhängenden Felsvorsprüngen hindurch und über Laub, kleine Bäche, Gräben, Senken und Baumstämme und Äste hinweg. Ihre Hündin überholte sie schon bald und rannte mit wedelndem Schwanz voran, kam zurück und umtanzte sie und setzte sich wieder an die Spitze. TenTen sog tief die würzige Waldluft ein und rannte sich den Zorn und die Wut einfach aus dem Leib. Vielleicht sollte sie sowas öfter machen. Denn auch wenn sie noch immer verärgert über Nejis Bemerkungen war, so hatte die Wut sie doch nicht mehr so sehr im Griff. Als sie sich endlich in das hohe Gras fallen ließ, das den Boden hier bedeckte. Einige Meter über ihr endete die Böschung einfach im nichts. Wahrscheinlich ging sie dahinter senkrecht hinunter. Sie war noch nie hier gewesen, aber da sie recht genau wusste, wo die Grenzen der Clangebiete entlang verliefen, befand sie, dass sie zwar nah am Hyuugagelände war, aber noch auf der richtigen Seite. Außerdem war es sowieso unwahrscheinlich, dass sich so viele Leute hier herumtrieben. Die meisten Clansleute zogen das Inland vor. Akiko lag neben ihr im Gras und der Brustkorb der Hündin hob sich ebenso rasch wie ihr eigener. TenTen starrte einen Moment in den Himmel, über den flauschig wirkende, weiße Wolken zogen. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und rollte sich herum, ehe sie auf allen Vieren zum Rand des Abhanges krabbelte. Das war einfacher, als aufzustehen, außerdem würde ihr Gewicht nicht völlig auf einer einzigen Stelle ruhen – sie hatte eine Ahnung, wie brüchig der Boden war und dort wollte sie sicher nicht hinunter fallen. Der Blick war gewaltig, über die grün ummantelten Berge, die vor ihr lagen, gewaltig und scharfkantig und majestätisch und gekrönt mit weißem Schnee. Zwei Flüsse zogen deutliche Linien durch den dicken Pelz, den die Bäume den Hängen gaben, ebenso wie die berühmte Allee der Hyuuga, auf der fünf Wagen nebeneinander ohne Probleme fahren konnten. Dafür war von der Stadt des Clans nicht mehr zu sehen als die Weiße Zitadelle, deren Dächer und Türme aus dem Grün herausragten, während die restlichen Gebäude sich im Wald verbargen. Direkt unter TenTen lag ein Talkessel, der von allen vier Seiten eingeschlossen war. Der Steilhang, über dem sie selbst hockte, war der höchste von allen, die anderen bei weitem nicht so steil. Ein schmaler Bach plätscherte über glatte Felsen hinunter, beinahe lautlos, und er goss sich in den kleinen Bergsee, der sich im Tal befand. Das Wasser musste eiskalt sein. Ein kleiner Hain nahm die Hälfte der noch freien Fläche in der Senke ein, der Rest war eine mit Gras und bunten Blumen bewachsene Wiese, auf dem ein graues Pferd graste. Es befand sich bereits jemand hier. Für einen Moment war sie wie erstarrt, dann versucht, einen lauten Fluch auszustoßen. Sie fing sich gerade noch, denn sie wollte sich nicht verraten. Dort unten war Neji. Musste der auch überall auftauchen, wo sie gerade war?! Übellaunig verzog sie das Gesicht und starrte ihn wütend an. Er trug, soweit sie das beurteilen konnte, nur eine dunkle Hose und stand in dem kleinen Teich, wobei das Wasser ihm bis zu den Hüften reichte. Seine Haut war hell und das lange Haar ein harter Kontrast dazu. Es fiel ihm offen über die Schultern und die Spitzen waren nass. Er war schlanker, als sie erwartet hatte, aber dennoch zeichneten sich durchtrainierte Muskeln unter seiner blassen Haut ab. Eine deutliche Narbe zog sich quer über seine Brust, eine weitere, weniger prägnante entlang seiner Rippen. Sie fragte sich, wie er das überlebt hatte, aber manche hatten einfach Glück. Einige seiner Haarsträhnen hingen in sein Gesicht und als er sich ein paar Schritte zur Seite bewegte, konnte sie sein markantes Profil sehen. Die Sonne zauberte Lichtreflexe selbst in seine weißen Augen. Ihm gegenüber stand ein schneeweißes Pferd, das selbst auf TenTens ungeübte Augen gleichzeitig wunderbar und ungezähmt wirkte. Wasser tropfte aus seinem Fell und es hatte die Ohren aufmerksam aufgestellt, auf Neji gerichtet, ebenso wie die klugen, klaren Augen. Das Tier hatte sein ganzes Interesse auf seinen Herrn gerichtet, der die Hand ausstreckte und es einfach zu sich kommen ließ. Es ging zögerlich einige Schritte nach links, tiefer in den Teich hinein. Anscheinend war es noch nicht zugeritten, wahrscheinlich hatte es sich noch nicht einmal völlig an Nejis Gegenwart gewöhnt. Dennoch schien es zu wissen, dass der junge Krieger ihm nichts Böses wollte, denn es lief trotz der Tatsache, dass es wieder Leinen noch Zügel trug, nicht davon und wirkte entspannt und schlichtweg neugierig. Neji drehte sich mit dem Tier, langsam und geduldig, sein Gesichtsausdruck entspannt. Er strahlte Ruhe aus, Zuneigung und völlige Abwesenheit von Hektik oder gar Gefahr. Gleichzeitig wirkte er angespannt – oder eher, gespannt, wartend, vermutlich auf die Reaktion des Tieres. Der Schimmel blieb stehen und seine Ohren zuckten kurz, dann trat er auf Neji zu und presste die Nase in die offene Handfläche des Kriegers. Der blieb einen Moment ruhig stehen, dann wich alle Spannung aus ihm und er strich er dem Tier vorsichtig über die Nüstern und dann über die Stirn. Der Schimmel ging noch einen Schritt auf ihn zu und über Nejis Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, langsam und strahlend und auf TenTen wirkte es beinahe, als würde der Vollmond in einer rabenschwarzen Nacht hinter einer Wolkenbank hervortreten. Nejis Hand fand ihren Weg in die Mähne des Pferdes, strich über den kräftigen Hals und er legte die andere auf die Nüstern des Tieres. Der Schimmel schnaubte und löste sich von ihm, aber anscheinend schien die Mauer endgültig gebrochen sein, denn wie es um ihn herumtanzte, hatte weder etwas Misstrauisches noch Abweisendes, sondern wirkte einfach nur spielerisch. Neji hatte das Lächeln noch nicht verloren, das sein Gesicht so sehr veränderte, und diesmal folgte er dem Pferd. Dieses wich zurück und Neji folgte ihm, bis das Tier seinerseits auf ihn zukam, dann wich er zurück. So ging der Tanz noch eine Weile weiter. TenTen fragte sich, ob er nur das Gleichgewicht verloren hatte, oder ob es etwas anderes war, als er plötzlich umfiel und die Teichoberfläche über ihm zusammenschlug. Als er wieder auftauchte, rann das Wasser in Strömen aus seinem Haar, das ihm am nackten Oberkörper klebte, aber er kümmerte sich nicht darum, sondern ging wieder auf den Schimmel zu, der ihm entgegen kam, und es zuließ, dass Neji sich langsam auf seinen Rücken gleiten ließ, ein Teil seines Gewichts nach dem anderen. Das Tier schnaubte und neigte den Hals, ehe es drei Schritte tänzelnd im Kreis ging. Das Wasser des Teiches schlug Wellen. TenTen schluckte; ihr kam es mit einem Mal so vor, als würde sie etwas beobachten, was nicht für ihre Augen gedacht war, ja, etwas, das niemanden etwas anging als Neji selbst. Sie konnte dieses Bild, das der Krieger ihr bot, so völlig frei von Feindschaft und Pflichten, nicht mit dem strengen, arroganten Hyuuga in Einklang bringen, den sie von den früheren Treffen kannte. Vielleicht lag die Veränderung daran, dass sie Feinde waren. Vielleicht einfach nur daran, dass er sich alleine wähnte. Mit Mühe riss sie den Blick von ihm los und kroch leise wieder zurück. Das wäre ja noch schöner, wenn er sie jetzt noch bemerken würde! Sie seufzte und winkte Akiko, die im Gebüsch herumgestromert war und jetzt zu ihr aufschloss, als sie sich wieder an den Abstieg machte. TenTen war so glücklich damit gewesen, Neji einfach nur zu hassen und zu verabscheuen. Warum musste er jetzt auch hingehen und alles kaputt machen?! TenTen verstand einfach nicht, warum ihre Mutter dem Treffen mit dem Oberhaupt der Hyuuga zugestimmt hatte. Hatten sie nicht schon genug Probleme? Die Kundschafter hatten berichtet, dass der Emporkömmling Orochimaru sein Heer sammelte und Leute gen Norden aussandte, wo sich die Gebiete der beiden Clans Inuzuka und Hyuuga befanden. Keiner wusste, welchen der Clane der fremde Herrscher sich zuerst einverleiben wollte. Natürlich hoffte jeder, dass es die anderen wären, denn die Übrigbleibenden hatten eine größere Chance auf einen Sieg mit wenigen Verlusten. Oder vielleicht mussten sie überhaupt nicht kämpfen, da der anderen Clan gewinnen würde. Trotzdem waren alle davon überzeugt, dass Orochimaru ihnen nichts konnte. Natürlich hatte er gegen die Clane des Flachlandes gewonnen, die schwach und weich waren, und gegen die Städter in ihren großen Siedlungen, die keine Einigkeit und keine Ehre kannten, verloren hatten. Aber gegen die Hochlandclane, gegen die Hyuuga und die Inuzuka und jene, die so viel weiter im Nordosten und Osten lebten, hatten er und sein Heer keine Chance. Diese Clane würden sie zerquetschen wie Fliegen, ganz egal, wie viele es waren, und sie wieder nach Süden treiben, dorthin, wo sie hergekommen waren. Niemand zweifelte an dieser Tatsache. Dennoch würde ein Krieg mit dem Emporkömmling Opfer fordern und viele, vor allem die Alten des Clans, hofften darum, dass der Fremde darum statt ihnen die Hyuuga auswählen würde. Andere, wie Kiba, TenTen und ihre Altersgenossen, brannten auf einen Kampf. Sollte Orochimaru nur kommen. Sie würden ihm zeigen was es bedeutete, sich mit den Hochlandclanen anzulegen, insbesondere mit den Inuzuka. Sollten die Hyuuga doch in ihrer Waldstadt sitzen bleiben von Ferne beobachten, wie sie den gemeinsamen Feind vertrieben. Darum verstand TenTen auch nicht, warum ihre Mutter sich mit Hiashi von den Hyuuga traf. Der Bote, den das Oberhaupt des anderen Clans geschickt hatte, hatte berichtet, Hiashi wolle das Treffen wegen des Emporkömmlings aus dem Süden. Tsume hatte der Botschaft nachdenklich gelauscht, einige Zeit darüber nachgedacht und den Mann dann mit der Erklärung, sie würde zur angegebenen Zeit am Pavillon der Träume sein, zurück zu seinem Anführer geschickt. Der Pavillon der Träume war das neutrale Gebäude, dass sich direkt zwischen den beiden Clansiedlungen befand und es diente für Verhandlungen und offiziellen Treffen zwischen den beiden Sippen. Die Anführerin der Inuzuka war vor ein paar Tagen in Begleitung ihrer Nachfolgerin, der ältesten Tochter Hana, sowie einiger Krieger und dem Clanrat aufgebrochen. Sie wurden nun zurück erwartet, heute oder morgen. Was wollte Hiashi überhaupt? Hatte der nicht wie sie auch genug damit zu tun, sich auf den Kampf gegen Orochimaru vorzubereiten? Oder glaubte er, dass der Emporkömmling ihn zufrieden lassen würde? Keiner, mit dem TenTen gesprochen hatte, konnte sich so ganz einen Reim darauf machen. Kiba, ihr jüngerer Bruder, redete davon, dass Hiashi vielleicht ein Bündnis mit Orochimaru hatten und das Treffen eine Falle war. (Eine Vermutung, die ganz sicher Blödsinn war. Die Hyuuga mochten feige und ihre Feinde sein, aber so ehrlos waren sie dann doch nicht.) Shikamaru erklärte nach langem Drängen, dass Hiashi vermutlich ein Bündnis mit ihnen wollte, damit sie gemeinsam gegen den Feind aus dem Süden vorgehen konnten. (Was TenTen auch nicht glauben konnte, selbst wenn Shikamaru meistens recht hatte.) Chouji meinte, dass die Hyuuga womöglich nur sichergehen wollten, dass der Waffenstillstand noch immer galt, und ihn gleich noch verlängern wollten, da sie sich nach dem Krieg mit Orochimaru erholen wollten. (Was möglich sein konnte und den Inuzuka nicht unrecht kommen würde.) Ino behauptete steif und fest, dass Hiashi von ihnen alle Waffen und Krieger verlangen würde. (Was einfach lächerlich war. Warum sollte er sowas tun und welche Rechtfertigung könnte man für eine solche Forderung vorbringen?) TenTen wusste nicht, was sie von der Sache halten sollte. Vielleicht wollte Hiashi auch nur handeln? Jeder wusste, dass die Inuzuka das beste Eisen der Berge und die kunstfertigsten Schmiede hatten. Gute Waffen konnten für einen Krieg ausschlaggebend sein und die Hyuuga mochten hervorragende Bögen und Speere haben, aber das war nicht dasselbe wie Schwerter und Äxte. Tumult an der Tür ließ sie von dem Spiel aufblicken, mit dem sie und Kiba gerade beschäftigt waren. Chouji hockte neben ihnen und sah zu, während er aus einer Schüssel Nüsse knabberte. Sie alle drei wandten die Köpfe zu der Tür, die in den Gemeinschaftsraum führte. Sie wurde heftig von außen aufgestoßen und Tsume und ihre Begleiter kamen herein. Hana war die erste, die die drei jungen Krieger am Tisch erkannte, und machte ihre Mutter und Hiruzen, den Vorsitzenden des Clanrates, auf sie aufmerksam. Die drei wechselten Blicke, was TenTen dazu brachte, die Stirn zu runzeln, und kamen auf sie zu. Tsume nickte und ignorierte die Grüße, die Kiba, Chouji und TenTen ihnen entgegenbrachten. Stattdessen setzten die drei Neuankömmlinge sich zu ihnen, die Gesichter ernst. „Legt das Spiel weg.“, befahl Tsume. Ihre Stimme war rau und passte zu der muskulösen, kompakten Frau mit den wilden, schwarzen Haaren und dem harten Gesicht. „Wir haben etwas zu besprechen.“ Das schlechte Gefühl in TenTens Bauch wuchs. Warum kam ihre Mutter damit zu ihnen? Sie waren nur drei junge Krieger, auch wenn zwei davon ihre Kinder waren. Es musste einen von ihnen direkt betreffen. Tsume wechselte einen weiteren Blick mit Hiruzen und Hana und sagte dann: „Hiashi hat uns gerufen, weil er ein Bündnis wollte.“ Kiba sprang auf, TenTen gab einen erstaunten Laut von sich und Chouji runzelte die Stirn. „Warum das denn?!“, wollte Kiba wissen. „Setz dich.“, befahl Tsume und er kam der Aufforderung zögernd nach. „Wegen Orochimaru. Hiashi hat die Befürchtung, dass er stärker sein könnte, als wir erwarten.“ „Schwachsinn!“, entfuhr es TenTen. Ihre Mutter warf ihr einen kurzen Blick zu und ließ sie damit verstummen. „Nein. Ich weiß nicht, ob er mit seiner Befürchtung recht hat, aber gemeinsam wären wir stärker gegen Orochimaru und der Sieg wäre vollkommener.“ „Nur, dass wir ihn mit den Hyuuga teilen müssten.“, knurrte Kiba und verzog das Gesicht. „Außerdem können wir ihnen ganz sicher nicht trauen.“, setzte TenTen hinterher. „Und sie denken ganz sicher das gleiche.“ Denn ganz egal, was sie immer über die Hyuuga sagten, es war jedem klar, dass sie im Grunde alle aus demselben Holz geschnitzt waren. Sie waren die Hochlandclane. Sie wussten, was Kampf, Wahrheit und Ehre bedeutete. Sie wussten, wer sie wirklich waren. „Das stimmt.“, erklärte Hana. „Aber … Hiashi hatte eine Lösung dafür.“ „Was denn für eine?“, erkundigte sich Chouji neugierig. Der dicke Krieger nahm die ewige Fehde mit den Hyuuga nicht ganz so ernst wie alle anderen um ihn herum. Er war viel zufriedener, wenn es nichts gab, gegen das sie kämpfen mussten. Die letzten Monate gehörten wohl zu den Besten in seinem Leben. „Warum brauchen wir eine Lösung?“, fragte Kiba, bevor jemand auf Choujis Frage antworten konnte. „Wir brauchen die nicht um gegen Orochimaru zu gewinnen! Außerdem kann es noch immer sein, dass wir gar nicht gegen ihn kämpfen müssen.“ „Und vielleicht greift er doch zuerst uns an.“, bemerkte TenTen, aber sie verschränkte die Arme vor der Brust und wandte sich an ihre Mutter: „Aber Kiba hat doch recht. Wir sind alleine stark genug. Wir brauchen diese arroganten Bastarde vom Hyuugaclan nicht.“ Tsume seufzte. „Vielleicht doch. Und wie ich schon sagte – der Sieg wäre einfacher. Wir würden nicht so viele Krieger verlieren, die wir später brauchen werden. Ich muss an den Clan denken. Außerdem könnte dieser Vorschlag, den Hiashi uns unterbreitet hat, zu andauerndem Frieden zwischen uns führen. Ich bin dieses ewige Kämpfen und Anfeinden leid! Und ich bin es verdammt noch mal leid, jedes Jahr mindestens ein Dutzend meiner Krieger an diesen verdammten Clan Hyuuga zu verlieren! Ich bin es einfach leid!“ Tsumes Stimme war lauter geworden, während sie sprach. Sie verstummte und fing sich, ehe sie weitersprach, leiser, aber ebenso scharf. „Ich will keine Energien mehr darauf verschwenden, Grenzfestungen zu bemannen an einer Grenze, hinter der keine Feinde lauern sollten. Die Welt ändert sich, aber wir bleiben die gleichen und das wird unser Untergang sein, wenn wir es nicht bemerken. Orochimaru ist nur der Anfang.“ TenTen grummelte und blickte verärgert zur Seite. Natürlich war Tsume die Anführerin und sie fällte Entscheidungen zum Wohle des Clans. Trotzdem verstand sie ihre Mutter nicht. Kiba hatte absolut recht. Sie brauchten die Hyuuga nicht. Sie waren stark genug ohne den anderen Clan. Sie waren Inuzuka. Die Hyuuga würden nur über sie lachen, wenn sie das Angebot annehmen würden. Sie waren keine Freunde. Sie waren Feinde. So war es schon immer gewesen. So würde es immer bleiben. Sie waren Inuzuka. Sie waren stark. Auch ohne Verbündete wie die Hyuuga. „Und wie sieht die Lösung nun aus?“, hakte Chouji nach und zerriss damit die Anspannung, die zwischen ihnen geherrscht hatte. Hana war es, die jetzt das Wort ergriff: „Die einfachste und effektivste Lösung dafür wäre, wenn unsere Clane sich offiziell verbinden würden.“ Für einen Moment fragte TenTen sich, was das zu bedeuten hatte. Diesmal war es Kiba, der am schnellsten begriff. „Eine Hochzeit!? Eine Ehe zwischen unseren Clans?! Zwischen Inuzuka und Hyuuga!? Wie soll das denn gehen?!“ Sie starrte ihn an, dann ihre Mutter, Hana und schließlich Hiruzen. In ihren Gesichtern spiegelte sich derselbe beherrschte Gesichtsausdruck, so dass sie wusste, dass Kiba den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. „Mutter!“, entfuhr es ihr. „Das ist doch nicht dein Ernst, oder?“ „Und wer ist das unglückliche Schwein, das ausgerechnet einen Hyuuga heiraten muss?“ „Kiba!“, fauchte Tsume und der Junge verstummte erst schuldbewusst, dann wurde er kreidebleich. „Du willst doch nicht etwa, dass ich…?“ „Nein.“, beruhigte seine Mutter ihn. „Obwohl du im Gespräch warst. Weder Hiashi noch ich würden nämlich zu einer Hochzeit zwischen zwei Leuten zugestimmt, die nicht von hohem Rang sind. Das wäre zu wenig. Ein solches Bündnis würde nicht reichen.“ „Wen hätte er denn heiraten sollen?“, entfuhr es TenTen, hin und hergerissen zwischen Abscheu und Faszination. „Hiashi hätte wohl kaum seine Erbin an einen Inuzuka gegeben, ganz egal, wie nutzlos sie ist.“ Hinata vom Hyuugaclan war eher für ihre Schüchternheit bekannt als übermäßigen Kampfgeist. „Nein, seine zweite Tochter“, begann Tsume und ignorierte Kibas angewidertes, geschocktes Gesicht. „aber wir haben entschieden, dass Hanabi noch zu jung ist.“ „Ich werde also niemanden von denen heiraten müssen?“ „Das sagte sie doch.“, erklärte Hana und sie hielt es anscheinend für das beste, die Sache schnell hinter sich zu bringen, denn sie fuhr rasch fort: „TenTen, würdest du Hiashis Neffen heiraten?“ TenTen riss die Augen auf und sie spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Wer war überhaupt Hiashis Neffe? Itachi? Deidara? Und warum ausgerechnet sie?! Dann fiel es ihr ein. Neji. Neji war Hiashis Neffe. „Nein!“, entfuhr es ihr heftig und sie sprang jählings auf. „Auf gar keinen Fall!“ Ihre Stimme war wild und unbeherrscht. „Lieber würde ich einen Hund heiraten als diesen ... diesen … diesen egoistischen, hochmütigen Bastard!“ Tsume stand auf. „TenTen! Setz dich! Sofort!“ Die Angesprochene blickte ihre Mutter an, dann kurz auf die Bank, von wo sie gerade eben aufgesprungen war. Dann erwiderte sie Tsumes Blick, hart und entschlossen. „Nein. Nein, ich werde Neji nicht heiraten. Wir kommen auch ohne die zurecht.“ Damit drehte sie sich um und stakste davon, wütend und verletzt und vollkommen von ihren Worten überzeugt. Sie hatte keine Ahnung, wie das hier weitergehen würde. Aber Neji vom Hyuugaclan heiraten würde sie jedenfalls nicht. Niemals. TenTen fragte sich, was sie immer wieder zurück ins Grenzgebiet trieb. Es war dumm und gefährlich, vor allem jetzt, nachdem Tsume Hiashis Angebot ausgeschlagen hatte. Sie hatten keine Antwort vom Hyuugaclan erhalten, denn der Bote hatte nur die Botschaft überbracht und war sofort wieder umgekehrt. Doch keine Antwort war eine gute Antwort, hatte Kiba gesagt und nun sprach man nicht mehr über diese … Sache. Manchmal fragte TenTen sich noch, ob es die richtige Entscheidung gewesen war. Was, wenn die Hyuuga recht hatten und Orochimaru stärker war als gedacht? Was, wenn sie die zusätzliche Stärke gebrauchen konnten? Aber TenTen war sich dennoch sicher: dem war nicht so. Sie waren Inuzuka. Sie waren stark. Sie konnten und würden Orochimaru besiegen, seine Armeen aufreiben und wenn es sein musste, auch seine Städte schleifen. Doch Tsume hatte sie tagelang nicht aus dem Dorf gelassen und hatte immer wieder versucht, mit ihr über dieses Thema zu reden. Auch Hana und Hiruzen waren deswegen zu ihr gekommen. Aber schon allein bei dem Gedanken, Neji heiraten zu müssen, sträubten sich ihre Haare. Es war wohl das Beste so – wahrscheinlich hätten sie sich innerhalb von drei Tagen gegenseitig umgebracht. Ach was. Drei Stunden würden reichen. Und um Orochimaru würden sie sich auch ohne den Hyuuga kümmern können. Der war noch nicht einmal in der Nähe ihres Gebietes. Vielleicht überlegte er es sich anders und würde die Finger von den Hochlandclanen lassen, weil er um ihre Stärke und Macht wusste. Vielleicht hatte er einfach den Schwanz eingezogen. Sorgen machte sie sich jedenfalls darum nicht. Im Gegenteil. Irgendwie freute sie sich auf den Kampf. Dann würde sie wenigstens all den Zorn und die Aggression loswerden, ohne zu befürchten, jemanden zu verletzen. Immerhin ging es dabei darum, mit scharfen Gegenständen auf andere Leute loszugehen, richtig? Und selbst wenn diese Leute nicht Neji oder ein anderer Hyuuga waren, sie würden genügen. Entschlossen nickte TenTen sich zu. Hiashis Angebot abzulehnen war die richtige Entscheidung gewesen. Es hätte nur Unglück gebracht, wenn sie zugestimmt hätte, und der Sieg gegen Orochimaru war ihnen so oder so sicher. Und wenn Tsume und Hiashi beide Frieden wollten, was sprach dagegen, den Waffenstillstand auch nach den Kämpfen gegen den Emporkömmling zu besehen zu lassen und ihn zu einem Friedensvertrag werden zu lassen? Mit einer gezielten Bewegung kickte sie einen kleinen Stein vor sich her. Er kullerte über den unebenen Weg, bis er gegen eine aus dem Boden ragende Wurzel stieß und sie ging zu ihm und kickte ihn ein Stück weiter. Akiko wuselte um sie herum, schnüffelte am Boden, an Baumstämmen und am Gebüsch, kroch in ein Unterholz und jagte eine Gruppe von Rehen auf, die mit raschen, eleganten Bewegungen davonrannten und zwischen den Bäumen verschwanden. Schließlich kullerte TenTens kleiner Stein auf eine Lichtung, die von leuchtend grünem Gras und bewachsen war, das beinahe unterging in der Masse von kleinen, violetten Blüten, die dem Himmel entgegen gereckt wurden. Überrascht hielt TenTen inne, als sie die beiden Pferde sah, die hier friedlich grasten. Eines war schneeweiß und trug nur ein Halfter. Das andere war grau und blickte ihr aus klugen Augen entgegen. Auf einem Stein, etwas abseits, saß der Besitzer der beiden Tiere. Neji hielt ein Schwert in der Hand, aber die Geste war nicht bedrohlich, da er offensichtlich damit beschäftigt war, die Waffe zu schärfen. Er wirkte ebenso überrascht wie sie, jemanden zu sehen. TenTen ignorierte ihren Stein und ließ eine Hand zu dem Dolch sinken, den sie stets am Gürtel trug. Langsam stand Neji auf; er schob die Klinge nicht in die Scheide zurück, ließ den Schleifstein allerdings mit einem dumpfen Geräusch ins Gras fallen. Von all den Hyuuga, auf die sie hätte treffen können, war es ausgerechnet Neji, auf den sie stieß. Aber sieh hätte es sich denken können. Wahrscheinlich trieben sich nicht viele Leute des anderen Clans hier herum. Auch die Inuzuka zogen es vor, das Grenzgebiet zu meiden, und bei den Hyuuga war es wohl nicht anders. Neji jedoch ging es anscheinend so wie ihr: dieses herrenlose Land zog sie beide an. Und ausgerechnet ihn hatte Hiashi ihr als Bräutigam vorgeschlagen. Unangenehme Situation. „So trifft man sich wieder.“, bemerkte Neji leise und anscheinend dachte er an dasselbe wie sie. Doch er blickte sie offen an, während sie versuchte, seinem Blick auszuweichen. Dann gab sie sich einen Ruck. Was sollte das? Sie hatte sicher nicht um dieses Angebot gebeten. Entschlossen starrte sie ihn an. Sie ignorierte seine Bemerkung und erklärte in herausforderndem Ton: „Ich wusste doch, dass ihr Hyuuga nichts ohne Hilfe auf die Reihe bekommt.“ Neji runzelte die Stirn und umfasste den Griff seines Schwertes fester, aber ansonsten rührte er sich nicht und er schwieg. TenTen stützte die Fäuste in die Hüften und lächelte spöttisch. „Ich meine, warum solltet ihr sonst zu uns kommen und um Hilfe betteln.“ Sie fühlte sich gut. Das hier hatte sie gebraucht. Nejis Augen verengten sich zu Schlitzen. Dann legte er den Kopf in den Nacken und wirkte jeden Fingerbreit wie ein hochmütiger Prinzling der Städter. „Warum?“, wollte er dann wissen, seine Stimme schneidend kalt. „Vielleicht, weil wir mehr wissen als ihr. Wir verwerfen zumindest keine helfende Hand, wenn sie uns hingestreckt wird. Närrin.“ Eines der Pferde schnaubte, nervös, und Akiko gesellte sich zu ihrer Herrin. Die richtete sich noch etwas höher auf. Neji war größer als sie, fiel ihr auf, und vermutlich auch stärker. „Helfende Hand, natürlich.“, höhnte sie. „Bist du sicher, dass du mich nicht nur in deinem Bett haben wolltest, oh Krieger der Hyuuga?“ Sie zupfte provokativ an ihrem Hemdkragen. Seine hellen Augen blitzten zornig. „Was soll ich mit einer streitsüchtigen Hexe wie dir? Nein, alleine für meinen Clan würde ich das tun.“ Nun wusste sie ja, wie sie auf ihn wirkte. Die Antwort weckte seltsamerweise noch mehr Wut in ihr. Dennoch konnte sie sich beherrschen, auch wenn die Lautstärke ihrer Stimme langsam zunahm. „Für den Clan, der alleine keinen schwächlichen Gegner wie diesen Emporkömmling aus dem Süden schlagen kann? Ob der das wirklich wert ist?“ Sie konnte sehen, dass ihre Worte einen Nerv trafen, als Zorn in seinen hellen Augen explodierte und sie zum Brennen brachte. Doch noch schien er sich unter Kontrolle zu haben, wenn auch nur knapp. Ha! Diesmal hatte sie die Oberhand. Sie würde ihn das sicher nicht vergessen lassen. „Vielleicht solltest du deine Loyalitäten nochmal überdenken.“, stichelte sie weiter. Neji schüttelte aufgebracht den Kopf, sein langes Haar folgte der Bewegung und er stakste steif auf das graue Pferd zu. „Das muss ich mir nicht anhören. Geht doch in euren Untergang und nehmt uns gleich mit, ihr hirnlosen Schläger.“, fauchte er. Hart ergriff er die Zügel des grauen Pferdes und schwang sich in den Sattel. „Aber kommt nachher nicht zu uns und bettelt um Hilfe.“ Damit lenkte er das Tier herum. Im Vorbeireiten griff er nach der Leine des Schimmels und dann trieb er die Pferde an. „Ja, reite nur, du Feigling!“, brüllte sie ihm triumphierend hinterher, während er in den Wald eintauchte. „Wir sehen uns wieder, nachdem wir Inuzuka Orochimaru und sein Heer zu Staub zerschlagen und den Rest in alle Winde verstreut haben. Reite nur und winde sich in der Schande!“ Mit einer heftigen Bewegung nahm sie ihren Kiesel vom Boden und schleuderte ihn hinter Neji her. Er prallte harmlos an einem Stamm ab und der Hyuugakrieger verschwand mit seinen beiden Pferden endgültig zwischen den Bäumen. Sie lachte, wild und frei. Mit dem Finger fuhr TenTen vorsichtig die Schneide entlang, um zu prüfen, ob die Klinge scharf genug war. Vor ihr auf dem Tisch lagen ein Schleifstein und zwei weitere Klingen; ihr Jagdmesser, das eigentlich keiner Schärfung bedurfte, sowie einem breitem Dolch. Akiko lümmelte unter dem Tisch herum und langweilte sich, während ihre Herrin sich der Pflege ihrer Waffen und Rüstung widmete. Anscheinend hatte Orochimaru doch nicht den Schwanz eingezogen, sondern marschierte in diesem Augenblick mit seinem Heer auf die Clangebiete zu. Sein genaues Ziel – ob nun Hyuuga oder Inuzuka – war noch nicht bekannt, aber sie mussten auf jeden Fall vorbereitet sein. Mit einem Nicken bestätigte TenTen sich die Schärfe ihrer Klinge und schob die Waffe in die mit Eisenbeschlägen verzierte Scheide zurück, die mit den anderen Sachen auf dem Tisch gelegen hatte. Kiba kam durch die Tür gestürmt, ein Bündel mit Speeren unter dem Arm. Klappernd lud er sie auf einem Tisch ab und kam zu ihr herüber. „Und? Fertig? Wir brauchen nämlich Hilfe.“ Sie nickte. „Lass mich das nur noch zur Seite räumen.“ Mit geübten Bewegungen rollte sie ihre Waffen und kleineren Rüstungsteile in das wattierte Kettenhemd und schnürte alles zu einem Bündel zusammen, das sie in eine Ecke legte. Hier würde sie es wiederfinden. Dann folgte sie ihrem Bruder hinaus. Es gab noch viel zu tun, Vorräte zu verpacken, Waffen zu sammeln, Krieger auf Vordermann zu bringen. Erst half sie, Waffen von einem Ort an den anderen zu schaffen (sprich, von einer Schmiede in die große Halle), dann einen Wagen mit einem überaus nervösen Pony abzuladen und schließlich schaffte sie Kisten mit geräuchertem Fisch in die Vorratshalle. Während all der Zeit waren alle anderen um sie herum ebenfalls beschäftigt. Eifrig wuselten sie herum und gingen ähnlichen Arbeiten nach. Manche befanden sich auf den Übungsplätzen und gingen Übungssequenzen durch, doch TenTen war der Meinung, dass sie das, was sie jetzt nicht konnte, nicht noch vor der Schlacht erlernen konnte, darum befand sie sich hier und tat lieber etwas nützliches. Als sie ihre Mutter entdeckte, stellte sie die letzte Kiste mit Räucherfisch auf ihren Platz und lief zu ihr hinüber. Tsume, die mit strengem Blick über den Dorfplatz gestarrt hatte, wandte sich zu ihr, als ihre Tochter sich näherte. Sie sah alt aus und müde. Und so verdammt besorgt. „Mutter?“ TenTen blieb einige Schritte entfernt stehen und zögerte. Doch Tsume winkte ihr und nahm sie, als sie näher trat, in den Arm. „Was hast du?“, wollte TenTen erstaunt wissen, denn dieses Verhalten von ihrer Mutter war ihr vollkommen fremd. Sie kannte sie als herzliche, aber harte Frau. „Ich mache mir Sorgen.“ Eine Frau, die so etwas nicht sagte. „Dieser Kampf…“ „Wir werden gewinnen!“, versicherte TenTen und Tsume lächelte sie an, müde und nachsichtig. „Ich bin mir nicht so sicher wie du, Kleines. Wir hätten mit den Hyuuga ein Bündnis eingehen sollen.“ Die Jüngere versteifte sich und wand sich aus der Umarmung. „Warum?“, wollte sie wissen, verärgert. Tsume blickte sie an und legte den Kopf schief. „Weil das Risiko zu groß ist. Wir waren so blind.“ TenTen wollte etwas erwidern, als ihr, seltsamerweise, Nejis Worte in den Kopf kamen, die er ihr vor Tagen an den Kopf geknallt hatte, als sie sich im Niemandsland getroffen hatten. Hatten sie tatsächlich so wenig Ahnung von ihrem Gegner? Sie weigerte sich, das zu glauben, und spukte auf den Boden. „Ich denke eher, die Hyuuga überschätzen Orochimaru bei weitem. Wir brauchen sie nicht, um zu gewinnen. Sind wir nicht stark?! Sind wir nicht Inuzuka?!“ Ihre Mutter wirkte einen Moment nachdenklich, dann lachte sie. „Du hast recht. Du hast natürlich recht. Wir sind stark. Wir sind Inuzuka.“ Trotzdem sah TenTen, dass sie nicht ganz überzeugt war. Drei Tage später setzte der Kriegszug der Inuzuka sich in Bewegung, eine schier endlos wirkende Karawane aus Kriegern, Hunden und Wagen, die von Ochsen und Ponys gezogen wurden. Sie würden bis zur Südlichen Grenze marschieren, wo sie Posten in der Rechten Festung beziehen würden. Südlich begann die Ebene der Tiefländer. Hier würden sie kämpfen. Die Burg hieß so, da sie nur wenige hundert Meter weiter links am anderen Ufer des Flusses ein Gegenstück besaß, die Linke Festung, die jedoch den Hyuuga gehörte. Dies war die einzige Gegend, wo die Grenzen der beiden Clane direkt aneinander lagen, ohne das Grenzgebiet dazwischen. Die Festungen waren in einer Art höchst bizarrem Wettstreit zwischen den beiden Clanen entstanden, die sich gegenseitig überbieten wollten. Nachdem, was die Kundschafter berichtet hatten, hatten auch die Hyuuga dort Stellung bezogen, um ebenfalls auf dem freien Feld südlich die Schlachten gegen Orochimaru auszutragen. Man hatte schon seit eineinhalb Tagen nichts mehr von den ewigen Feinden gehört. Ob das ein schlechtes Zeichen war? TenTen dachte an die Macht des Kriegszuges, mit dem sie jetzt das Heimatdorf verließ, und bezweifelte es. Die Zurückbleibenden – Kinder, Alte und jene, die keine Krieger oder Heiler waren – winkten ihnen zu und jubelten, wünschten einen guten Kampf und eine sichere Heimkehr nach dem Sieg. TenTen, voll gerüstet und bewaffnet und mit einer leicht gepanzerten Akiko an der Seite, sah sich stolz um, ließ den Blick über ihre zum Krieg gewappneten Waffenkameraden schweifen, über die Kriegshunde, wie Akiko in leichten Harnisch, über die Banner mit dem Inuzukahund darauf. Glaubten sie nicht auch alle an einen sicheren Sieg? Für was brauchten sie die Hyuuga? Von der Anhöhe, auf der sie stand, konnte sie die Ebene überblicken, den Fluss und die beiden Zwillingsfestungen. Das Schlachtfeld, das sich an beiden Ufern erstreckte, war voll von Leichen und Sterbenden. Tote Tiere, Hunde und Pferde gleichermaßen, lagen zwischen den Menschen. Schreie klangen noch herüber und sie konnte nicht auseinanderhalten, welche davon von den Hunden, den Pferden und den Menschen stammten. Die Hyuuga fielen hier schon seit Tagen in einem Kampf, den sie nicht gewinnen konnten – als die Inuzuka eingetroffen waren, waren sie beinahe geschlagen. Die Nachricht darüber hatte zuerst kaum jemand geglaubt, bis sie die Schlachtfelder gesehen hatten, die Lücken in den Reihen des anderen Clans, die schwarzen Flaggen, die von den Türmen der Linken Festung wehten, die Siegesgewissheit der feindlichen Armee. Der Boden war schwarz und rot von Blut und das einzige Banner, das noch stand, war Orochimarus schwarzes, jenes, mit der silbernen Schlange darauf. Die Standarten der Inuzuka – der Hund – und der Hyuuga – das Pferd – lagen schon lange im Dreck und jene, die von den Türmen der Festungen geweht hatten, standen in Brand, wie auch der Rest der Burgen. Die Flammen schlugen hoch und heiß und ihr Innerstes war blau. Sie fraßen sich über die Dächer und durch die Räume, verschlangen Möbel und Deckenbalken und als einer der Dachstühle nachgab und mit donnerndem Bersten und Krachen zusammenstürzte, konnte sie es bis zu ihrem Hügel hören, laut und deutlich. TenTen wollte die Augen schließen, sich hinsetzen und weinen, aber sie wusste, dass sie kein Recht darauf hatte. Dies war ihr Fehler. Ihre Schuld. Wenn sie jetzt wegblickte, würde sie dann nicht alles verleugnen? Also hielt sie die Augen weit aufgerissen und blickte hin, eine stumme Zeugin. Das einzige, was sie nicht stoppen konnte, waren die Tränen, die ihr lautlos über die bereits feuchten Wangen liefen und die einfach nicht mehr aufhören wollten. Sie hatte längst aufgegeben, sie wegwischen zu wollen. Dann bemerkte sie, dass jemand zu ihr trat, und einen Moment weigerte sie sich, sich umzudrehen. Vielleicht war es Kiba. Vielleicht ihre Mutter. Vielleicht Hana oder jemand anderes. Vielleicht würden sie ihr Vorwürfe machen. Hätte sie das Angebot der Hyuuga nicht so rundheraus abgelehnt, hätte diese Schlacht anders verlaufen können. Dann hätten die Clane vereint nebeneinander stehen und kämpfen und auch siegen können. Gemeinsam wären sie stark gewesen. Aber TenTen… TenTen hatte einen Fehler gemacht. Doch als sie sich zu dem Neuankömmling umwandte, war es nicht Kiba, nicht ihre Mutter, nicht ein Inuzuka, dem sie ins Gesicht blickte. Es war Neji. Er hatte einen blutigen Kratzer auf der Wange, hielt sein graues Pferd am Zügel und sah sie nicht an, sondern schaute ebenfalls hinab ins Tal. Sein Gesicht war unbewegt, aber in seinen Augen, in denen sich die Flammen spiegelten, konnte sie leise Trauer erkennen. Akiko drückte sich eng an sie, ein vertrauter, warmer Körper, aber zitternd vor Angst, Schmerz und Erschöpfung. In TenTens Inneren schien alles erstarrt und sie wusste, was immer er ihr jetzt vorwarf, mit was immer er sie jetzt beschimpfte, sie hatte alles verdient. Aber seine Stimme war nur müde und leise und bekümmert, als er, ehe er sich umwandte und ging, sagte: „Schau, wohin uns dein Stolz gebracht hat, TenTen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)