Gesuchte der Jäger von P-Chi ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Hunter starrte voller Verwirrung in die silbernen Augen des kleinen Mädchens, die wie Sterne in dieser finsteren Nacht funkelten. Er konnte nicht anders, als sie wie gebannt anzublicken, während sich in ihren Augen ein Bild formte. Seine Zukunft. Eine Frau lag auf dem Boden. Sie war Blut verschmiert und Glassplitter glänzten matt in ihren braunen Haaren. Ihr Kopf war zur Seite geneigt, so dass der Jäger nur in der Lage war, die rechte Seite ihres Gesichts und ein quecksilbernes Auge zu sehen. Eine große Brandnarbe zog sich von ihrem Haaransatz, über ihre Schläfe, bis hinunter zu ihrem Kiefer. „Bleib hier, Mira“, wies er sie an und drückte seine Handfläche fester auf die blutenden Einschusswunden in ihrer Brust. Um ihn herum war es laut; brüllende Stimmen und Schüsse aus Gewehren machten es ihm schwer, die Worte zu verstehen, die die Frau vor ihm auszusprechen versuchte. „Du kannst mich nicht retten, Hunter. Das hier ist die letzte Schuld, die ich zu begleichen habe“, flüsterte sie und drückte mit zittriger Hand die seine. Sie lächelte. Dann atmete sie mit einem letzten schwachen Zug aus, und wurde regungslos. Als das Bild langsam schwächer wurde und anschließend gänzlich verschwand, atmete der Jäger schwer. Nein, das konnte nicht sein. War dieses Kind tatsächlich die sterbende Frau in dieser Vision? War es ihr Körper, der schlaff in seinen Armen liegen würde, wenn sie Erwachsen wäre? Und das, nachdem sie ihm das Leben gerettet hatte? Nachdem sie in ihm eine Tür aufgestoßen hatte, die ihn zu einer anderen Zukunft führte, als die eines Killers? Er würde nicht zulassen, dass ihr etwas geschah. Dieses Kind hatte ihm, nach all den Dingen die er verbrochen hatte, eine zweite Chance geschenkt und er würde alles dafür tun, damit die Gefahr, die von Dragos und seinen Jäger-Brüdern ausging, verschwand. Auch wenn er sich dabei den Feinden seines Erschaffers anschließen musste. Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- HUNTER Vor nur wenigen Stunden erreichte den Orden, eine Organisation die von Stammesvampiren ins Leben gerufen wurde, die Nachricht, dass ein Jäger, einer von Dragos Auftragskillern, sich Zugang zu einem Dunklen Hafen verschafft und dort verheerenden Schaden angerichtet hatte. Eine Familie wurde angegriffen, und Aufgrund der zerstörerischen Ausbildung, die diesen Jägern zuteil geworden war, war es ihnen scheinbar ein Leichtes gewesen, unbemerkt in die Villa einzudringen und jedes Lebewesen mit einer tödlichen Effizienz den Gar auszumachen. Alle waren niedergemetzelt worden. Nur die Stammesgefährtinnen schienen spurlos verschwunden. Hunter, ein ehemaliger Killer und nun Mitglied des Ordens, wusste, dass man die ‚wilden‘ Stammesbrüder niemals um Hilfe gebeten hätte, wenn es nicht unbedingt notwendig gewesen wäre. Aus allein diesem Grund hatte sich Lucan, der Anführer des Ordens und mächtiger Gen Eins Vampir, dazu entschlossen ihn und zwei der anderen Krieger nach Frankreich zu schicken, um der Spur, die die Jäger hinterlassen hatten, nachzugehen. Natürlich wäre es Hunter um ein vielfaches angenehmer gewesen, wenn er alleine gereist wäre, doch da er erst seit einem halben Monat Mitglied des Ordens war und sich seinen Respekt, geschweige denn Vertrauen, der anderen noch lange nicht verdient hatte, musste er sich wohl oder übel damit abfinden, unter Bewachung zu stehen. Besonders nach der Häufung von gesichteten Jägern, die in Boston ihr Unwesen trieben, was vor kurzem zu einer gefährlichen Verwechslung zwischen ihm und seinen Brüdern ausgeartet war. Zwar war Hunter mittlerweile dunkelblondes Haar auf dem Haupt gewachsen, aber dennoch viel es schwer, ihn von den Schergen Dragos‘ auseinanderzuhalten. Der einzige Trost für Hunter bestand darin, dass er in keinster Weise gezwungen war auch nur ein Wort zu sagen. Der ehemalige Jäger war noch nie sehr gesprächig gewesen, wie eigentlich keiner seiner Abstammung, aber Hunter behielt seine Gedanken grundsätzlich für sich, solange es nicht die anderen Krieger direkt betraf. Rio und Tegan, die seine beiden ‚Aufpasser‘ spielen würden, solange sie unterwegs waren, kümmerten sich gerade darum, ihre Waffen mit neuer Munition auszustatten, bevor sie sich auf den Weg machten, um nach den Stammesgefährtinnen zu suchen. Doch zuvor würden sie in der Villa nach schauen, wie viel Schaden die Jäger angerichtet hatten. Laut einem Agenten eines anderen Dunklen Hafens, wurden die Leichen bereits fortgeschafft. Die Akten, mit den gemachten Bildern der Toten, lagen vor Hunter auf dem Tisch, aber alles was er sah, war völlige Verwüstung und jede Menge Blut. Ob die fünf entführten Gefährtinnen den Tod ihrer Liebsten mit ansehen mussten? „Bist du bereit, Hunter?“, fragte Rio, ein Vampir mit topasfarbenen Augen und mit dem mit Narben entstellten Gesicht. Man konnte ihm sein Misstrauen dem ehemaligen Auftragskiller nicht verübeln. Hunter selbst, war sich noch nicht einmal sicher, ob er sich so leicht von der Dunkelheit, die ihn für so lange Zeit gefangen gehalten hatte, abwenden konnte. Tegan dagegen, der mit den Fähigkeiten zur Empathie durch Berührung ausgestattet war, schien ihm einigermaßen Verständnis entgegen zu bringen. Soweit Hunter wusste, hatte er sich einst in einer ähnlichen Lage befunden. Dennoch vermied es Hunter ihn anzufassen, was der Krieger sehr wohl bemerkt hatte, aber nichts weiter darauf sagte. Der ehemalige Jäger erhob sich von seinem Platz und nickte den beiden Ordensbrüdern zu. Er war von dem Moment an bereit gewesen, bevor sie den Orden verlassen überhaupt verlassen hatten. Er würde seine kaltblütigen Brüder bis ans Ende der Welt jagen, wenn es sein musste. Und wenn er erst einmal alle Jäger beseitigt hatte, dann könnte er endlich dasselbe bei sich tun. Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- MIRABELLE Die Villa war ein zweistöckiges Gebäude, das im 17. Jahrhundert etwas am Rande der Stadt Paris von den Agenten des Dunklen Hafens erbaut worden war. Der Stil war typisch französisch. In gewisser Weise schlicht, jedoch äußerst elegant mit den richtigen Details. Die Fassade deutete eindeutig daraufhin, dass die Bewohner zur Oberschicht gehörten, doch niemand außer den Angehörigen wusste, wer, oder besser gesagt was, im inneren dieser Behausung lebte. Mirabelle wusste es. Sie wusste es sogar besser als jeder andere, da sie selbst für einige Zeit darin gelebt hatte, zusammen mit den Vampiren und ihren Gefährtinnen. „Wir sollten endlich reingehen“, sagte Milos, der Mann der am Steuer des geparkten Wagens saß und gemeinsam mit ihr die Villa beobachtete. Als die der Lieferwagen, mit denen die Jäger mitsamt den Stammesgefährtinnen geflohen waren und das reinste Chaos hinterlassen hatten, waren die Agenten aufgetaucht und hatten die Überreste ihrer Brüder abtransportiert. Mirabelle wollte sichergehen, dass niemand mehr kommen würde, nachdem auch die Vampire gegangen waren, damit sie und Milos das Videoband holen konnten, dass die ganze Aktion aufgezeichnet hatte. Niemand außer den Bewohnern wusste, wo das Aufzeichnungsgerät stand und da Mirabelle einst dort drin gewohnt hatte, hatte sie die besten Chancen das Videoband zu finden. Während der Entführung wäre keine Zeit dazu gewesen und eine Lakain hätte dabei nur gestört. Deshalb musste Mirabelle es eben jetzt nachholen und dabei sollte Milos, ebenfalls ein Lakai, helfen. „Ja, gehen wir“, stimmte sie zu und stieg aus dem Wagen. Ihr Begleiter tat es ihr gleich und gemeinsam schritten sie schnell auf das gewaltige Gebäude zu, deren Tür aus den Angeln gerissen worden war. Mirabelle überlegte nicht lange und trat sofort ein, wobei sie für einen kurzen Augenblick bereute, sich Schuhe mit Absatz angezogen zu haben, aber sie musste den Schein einer gewöhnlichen Maklerin wahren und da waren Absätze praktisch nun mal Pflicht. Wie vermutet hatten die Jäger das reinste Blutbad angerichtet. Der schwere Geruch von Metall lag noch immer in der Luft und brannte der Lakain in der Nase. Blutflecken waren überall auf dem Boden und an den Wänden verteilt, selbst Handabdrücke zeichneten sich an manchen Stellen ab. An den roten Streifen, die zur Tür hinaus führten, konnte man sehen, wie die Leichen aus dem Haus geschafft wurden. Beinahe alle Möbel waren zerstört worden, nach dem heftigen Kampf, den sich die Jäger mit den Stammesvampiren geliefert hatten. Aber Mirabelle hatte gerade keine Zeit darüber nachzudenken, was hier wohl noch alles vorgefallen war. Sie musste das Videoband noch vor ihrem Begleiter finden. „Ich gehe nach oben und durchsuche die Arbeitszimmer“, teilte sie Milos mit, der nur zustimmend grunzte und längst damit beschäftigt war, das Wohnzimmer zu filzen. Er achtete schon gar nicht mehr auf sie, was Mirabelle nur recht war, jedoch hatte man ihm befohlen, ein Auge auf die versklavte Stammesgefährtin zu behalten und das würde er auch tun. Mirabelle blieb also nichts anderes übrig als sich zu beeilen und Milos auszuschalten, bevor er merkte, was sie vorhatte. Es fiel ihr schwerer als gedacht, sich daran zu erinnern, wo das Arbeitszimmer von Patrick lag, der für diesen Dunklen Hafen verantwortlich war und nun wahrscheinlich ebenfalls nicht mehr unter den Lebenden weilte. Vielleicht wäre Mirabelle traurig darüber gewesen, wenn sie sich nicht selbst in so großer Gefahr befänden hätte. Beim dritten Zimmer wurde die Lakain fündig. Irgendwie war sie doch verwundert darüber, dass das Arbeitszimmer noch genauso aussah wie in ihrer Erinnerung. Es war ordentlich aufgeräumt, die Schränke bestanden aus geschliffenem Eichenholz und der große Schreibtisch, der vor den mit Büchern gefüllten Kästen platziert war und auf einer kleinen Erhöhung thronte, bestand beinahe vollkommen aus Marmor. Mirabelle sah sich suchend nach dem Schrank um, der wesentlich heller war, als die seiner Zimmergenossen und hätte mit ihrer Statur beinahe ein Problem damit gehabt, ihn umzuwerfen. Ihr schlug das Herz bis zum Hals, als das Holz laut auf den Boden krachte und mit Sicherheit Milos Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. In der Wand, vor der der Schrank gestanden hatte, war ein kleiner Hohlraum, in dem diverse Videorekorder und andere Dinge standen, die die versteckten Kameras brauchten. Man hatte ihr gesagt, dass die Jäger sieben von ihnen gefunden hätten, doch Mirabelle wusste, dass es noch eine Achte gab, die in einem der Leuchter verstreckt war. Und von eben dieser Kamera brauchte sie das Band, bevor es jemand anderes fand. Mit flinken Fingern holte sie das Band aus dem Rekorder und versteckte es an ihrem Rücken, hinter dem Verschluss ihres BHs. Mirabelle konnte hören, wie Schritte in ihre Richtung kamen und stolperte beinahe, als sie zu dem großen Schreibtisch lief und jede Schublade aufriss. Das Blut rauschte in ihren Ohren und ihre Bewegungen wurden immer tollpatschiger. Die Tür ging auf. Sie erkannte den schwarzen Haarschopf von Milos und in dem Moment fand sie die Desert Eagle in der vorletzten Schublade. Mirabelle reagierte völlig automatisch, zielte und mit einem einzigen Schuss traf sie ihn zwischen die Augen, bevor Milos auch nur registrieren konnte, dass sie ihn gerade verraten hatte. Der Lakai ging tot zu Boden und im nächsten Augenblick erkannte Mirabelle drei Gestalten hinter ihm stehen, mit gefährlichen Waffen in den Händen die direkt auf sie zielten. Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- HUNTER Hunter starrte die Frau vor ihm an, als wäre sie ein Geist der aus seinem Kopf entsprungen war und ihn in den Wahnsinn treiben wollte. Sie war diejenige, die er in Miras Zukunftsvision gesehen hatte. Die Szene, in der sie in seinen Armen starb, hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt, ihn bis in seine Träume verfolgt und ihm seitdem keinen Augenblick Ruhe gelassen hatte. Aber die Frau, die wie eine gewöhnliche Immobilienmarklerin gekleidet war, reagierte völlig anders als Hunter erwartet hätte. Er hätte es verstanden, wenn sie geschrien, geweint oder einfach nur erstarrt gewesen wäre. Sie jedoch, fing an zu schießen. Die Krieger warfen sich zur Seite, erkannten etwas zu spät die Gefahr die von ihr ausging und bekamen die ein oder andere Kugel ab. „Verfluchte Scheiße, was ist mit ihr?!“, brüllte Tegan und feuerte auf die Frau, die sich duckte und hinter den Marmorschreibtisch versteckte. Rio und Hunter wollten sich auf sie stürzten, doch genau in diesem Moment brachen aus den großen Zimmerfenster ausgerechnet die Gestalten, die die Stammesvampire am wenigsten gebraucht hatten. Rouges. Na wunderbar. Mit wutverzerrten Gesichtern griffen die wahnsinnigen Vampire die Krieger an, wollten sie beißen, sie in Stücke reißen und ihr Fleisch schmecken. Mit einem animalischen Brüllen hetzten sie auf Rio und Tegan los, während sie Hunter scheinbar links liegen ließen. Sie glaubten wahrscheinlich, er gehörte noch zu ihnen und stand unter Dragos Kommando. Was für ein Fehler von ihnen. „Hunter, hol dir das Weibsstück! Wir erledigen das hier“, schrie Tegan über den Lärm der Maschinengewehre hinweg und zog eine lange Klinge aus seinem Hosenbund, mit denen er zwei Rouges den Kopf abschlug. Besagte Frau war bereits aufgesprungen und kämpfte sich gegen den Strom an Rouges, die in das Zimmer eindrangen wie ein ganzes Wolfsrudel. Warum griffen sie sie nicht an?! Als einer es versuchte, schrie sie auf und schoss dem Vampir genauso zwischen die Augen, wie auch dem Lakai zuvor. Kein Zweiter wagte es, es seinem Freund nachzutun und konzentrierten ihre Blutgier stattdessen vollkommen auf die Stammesvampire. Hunter empfand das Maschinengewehr in seinen Händen als störend auf so engem Raum, also warf er sie Rio zu, der sie reflexartig auffing und sich damit die Rouges vom Leib hielt. Der Jäger folgte seinem Ziel nach draußen. Sie sprang von dem kleinen Balkon, zu denen die Fenster geführt hatten und kam mit einem dumpfen Laut auf dem kalten Erdboden auf. Der Killer tat es ihr gleich, stellte sich dabei jedoch wesentlich geschickter an und landete vollkommen lautlos, wie ein Raubtier das jagt auf seine Beute machte. Die Frau hatte bereits die Beine in die Hand genommen; schien genau zu wissen, dass man sie verfolgte und trieb sich unermüdlich weiter, gefolgt von Hunter, der normalerweise auf subtilere Art jagte, doch er bezweifelte, dass er diesmal weit damit kommen würde. Sie – Mira, wenn das tatsächlich ihr richtiger Name war – war schnell, aber noch lange nicht so schnell wie Hunter es war. Sie war leichte Beute und auch der schwarze Mercedes, in den sie sich verkroch und auf das Gaspedal drückte, würde sie nicht vor ihm beschützen. Hunter sprang mit einer raubtierhaften Leichtigkeit auf das Autodach seines Opfers – fühlte sich wieder vollkommen als Auftragskiller – und störte sich nicht daran, dass die Fahrerin unermüdlich weiter raste und dabei alle Geschwindigkeitsbegrenzungen überschritt. Der Jäger ballte die Hand zur Faust und verbeulte das Autodach so lange, bis das Metall endlich nachgab und seine Hand durchbrach. Er könnte Miras erschrockenen Schrei hören, allerdings schien sie sich schnell wieder zu fangen und benutzte ihre Desert Eagle, um das Dach in Schweizer Käse zu verwandeln. Zwei Kugeln trafen Hunter in die Schulter, ehe er das Klicken vernahm, dass darauf hinwies, dass ihr die Munition ausgegangen war. Er sah seine Chance und zog das störende Metall vom Wagen, als wäre es aus Pappe. Der Jäger konnte den braunen Haarschopf endlich sehen, doch bevor er nach ihr greifen konnte, machte sie plötzlich eine Vollbremsung, so dass Hunter mit einem erschreckenden Krachen nach vorne und auf die Motorhaube geschleudert wurde, weil er sich geweigert hatte das Metall loszulassen. Er hörte ihr aufgeregtes Keuchen, dass von ihrem rasenden Herzschlag begleitet wurde und roch gleichzeitig ihren Duft nach Birnen und Lilien, der sich noch mit etwas anderem vermischte. Mit etwas bösem. Der Jäger versuchte sich aufzurichten. Sein Rücken schmerzte und er hatte sich eindeutig den linken Arm gebrochen, mal abgesehen davon dass das Blut, das ihm von seiner Stirn aus in die Augen rann, ihm die Sicht vernebelte. „Runter von meinem Wagen!“, schrie sie und drückte erneut auf das Gas. Aber Hunter war noch nicht fertig, zertrümmerte mit einem einzigen Schlag die Windschutzscheibe und wollte sie packen, doch wieder hatte er nicht damit gerechnet, dass sie das Lenkrad herumreißen würde und in diesem Augenblick genau durch das Gelände einer Brücke krachte. Das Auto mitsamt Fahrerin und Vampir, flogen in hohem Bogen in die Seine. Er konnte sehen, wie Mira mit dem Kopf an dem Lenkrad aufschlug und das Bewusstsein verlor, bevor dass tosende Wasser sie beide in die Tiefe riss. Der Fluss war trotz der warmen Jahreszeit eisig kalt und fühlte sich wie lauter kleiner Nadelstiche auf Hunters Haut an, als er dem Wagen nachtauchte, der in die Tiefe zu sinken drohte. Mit einem Ruck schaffte er es die Fahrertür aufzureißen und sich endlich der Frau zu bemächtigen, die ihm so viel Ärger bereitet hatte. Aber er wäre kein wahrer Jäger, wenn er sich von so etwas hätte aufhalten lassen. Obwohl Hunter höllische Schmerzen hatte, schaffte er es, sie beide aus dem Wasser zu bekommen und an Land zu bringen, wo er die Frau fürs erste ablud. Sie hatte viel Wasser geschluckt, aber ihr Herz schlug noch, was ein gutes Zeichen war. Er hatte gar nicht vorgehabt Mira umzubringen, selbst wenn sein Befehl so gelautet hätte. Die Neugier, die ihn seit jeher, als er sie aus seiner Vision erkannt hatte, gepackt hatte war einfach zu übermächtig, als dass er sie nun einfach hätte auslöschen können. Er musste unbedingt in Erfahrung bringen, was sie mit seiner Zukunft in Verbindung brachte. Er warf einen kurzen Blick auf die bewusstlose Frau und entschied, dass es wohl besser wäre, sie vorher von hier wegzubringen, bevor sie noch in ihren nassen Sachen erfror, doch Hunter spürte den näher kommenden Sonnenaufgang immer deutlicher und er bezweifelte, dass er es noch rechtzeitig in den Dunklen Hafen schaffte, in dem die Krieger abgestiegen waren. Der Jäger fluchte leise und hob die junge Frau hoch. Dann würden sie sich eben einen anderen Unterschlupf suchen müssen. Eine große Wahlmöglichkeit hatte er schließlich nicht. Hunter schaffte es gerade noch rechtzeitig in einem etwas abgelegenen Motel unterzutauchen, bevor die ersten Sonnenstrahlen auf die Straßen von Paris fielen und den nächsten Morgen ankündigten. Nicht wenige Leute hatten Hunter und Mira zu dieser frühen Uhrzeit bemerkt, jedoch hatte niemand gewagt den tropfnassen Vampir anzusprechen. Auch als ein Polizistenpärchen, an ihnen vorbeigefahren war, hatte man ihren Gesichtern ansehen können, dass sie sich mit Hunter lieber nicht anlegen wollten. Der Jäger machte sich nichts daraus. Er hatte sich schon längst an diesen Ausdruck gewöhnt, als dass er sich nun davon hätte provozieren lassen. In dem Motel bedurfte es Hunter lediglich einer kurzen mentalen Übernahme des Geistes des Besitzers und schon hatte er einen Zimmerschlüssel mit der Nummer 12 in seiner Hand, an dem eine kleinere Version einer Billardkugel befestigt war, die leise vor sich hin klimperte. Das kleine Zimmer, das weder geräumig noch staubfrei war, hatte zwei unbequem aussehende Betten, die mit dem Kopfende parallel zur Wand standen und ein kleines Badezimmer direkt gegenüber. Hunter legte Mira auf die Matratze, die näher an dem Fenster lag und benutzte die Decke des anderen Bettes dafür, das Zimmer Lichtundurchlässig zu machen, um sich vor den tödlichen UV-Sonnenstrahlen zu schützen, die jedem Vampir das Leben kosten konnte, wenn sie sich zu lange darin aufhielten. Und je kurzer sein Stammbaum war, desto besser vertrug er sie. Da Hunter allerdings ein Gen Eins war, reagierte er empfindlicher auf Sonnenlicht als die jüngeren Vampire. Anschließend, als das Zimmer endlich dunkel war, entledigte er sich seines nassen Mantels und dem schwarzen T-Shirt und warf sie auf den Tisch, der von seinen Sachen nun vollkommen verdeckt wurde. Innerlich wehrte sich Hunter dagegen, sich nun der Fremden zuwenden zu müssen, aber ihr Leben lag wohl nun mehr oder weniger in seiner Hand, und bevor er nicht wusste, wer sie war, würde er sie nicht gehen lassen können. Die Federn der Matratze knirschten unangenehm, als sich Hunter vorsichtig auf das Bett setzte und damit begann, Mira aus ihren Klamotten zu schälen. Auf ihren Rock und ihr Jackett folgten ihre Nylonstrümpfe, und als Hunter gerade dabei war ihr aus den Ärmeln ihrer roten Bluse zu helfen, bemerkte er etwas Merkwürdiges. Da klemmte ein Videoband in ihrem zitronenfarbenen BH. Hunter nahm das Band an sich und begutachtete das Stück. Absolut nutzlos. Es war vollkommen zerstört, nach dem kleinen Tauchgang im Fluss und zerfiel allmählich in seine Einzelteile. Der Jäger fragte sich, ob Mira deshalb in der Villa war, oder vielleicht sogar noch mehr dahinter steckte. Da das Video allerdings keine Hinweise mehr liefern konnte, landete es direkt in dem Mülleimer neben dem kleinen Nachttischchen. Der Jäger würde noch früh genug von seiner Gefangenen erfahren, was sie dort zu suchen hatte. Bevor sie in die Seine gestürzt waren, hatte Mira langes, glattes Haar, das im Mondlicht geschimmert hatte, doch nun war es wesentlich dunkler, fast schwarz, und wellte sich. Es lud praktisch dazu ein, daran zu ziehen und Hunter konnte einfach nicht wiederstehen, als seine Hand um eine Strähne zu wickeln. Er beugte sich tiefer zu ihr hinunter, nahm ihren Duft nach Birnen und Lilien auf und wanderte von ihrer zarten Schulter, zu ihrem köstlich aussehenden Hals, um schließlich von ihrem Kiefer zu ihren blassrosa Lippen zu gelangen. Nur noch wenige Zentimeter und er könnte ihren Mund auf seinem spüren; herausfinden, ob sie tatsächlich so eiskalt schmeckte, wie sie ihm vorkam. Sein ganzer Körper spannte sich an, die Bestie in ihm, die mehr Tier als Vampir war, kämpfte darum, die Zügel übernehmen zu dürfen, und dieser hilflosen Frau zeigen zu können, zu was Jäger fähig waren. Er könnte sie jederzeit nehmen und sie könnte nichts dagegen ausrichten, doch Hunter musste nur einen Blick auf die Brandnarbe werfen, die ihre rechte Gesichtshälfte zierte und schon hasste er sich für die Gedanken die er hatte. Er durfte ihr kein Leid zufügen. Innerhalb einer Sekunde stand er auf der anderen Seite des Zimmers und versuchte seine Atmung unter Kontrolle zu bringen. Hunter hielt es für unklug, auch nur eine Sekunde länger in ihrer Nähe zu verbringen und verließ schleunigst das Zimmer – natürlich nicht bevor er sie mit Klebebandstreifen gefesselt hatte –, ehe er noch einen Fehler beging. Es handelte sich bestimmt nur um eine Kurzschlussreaktion bei ihm, wo er doch seit langer Zeit keinen Sex mehr gehabt hatte. Seit dem Austritt von Dragos Killerkommando, hatte Hunter großzügig auf körperliche Nähe verzichtet, weil er dabei noch immer an die schrecklichen Blutbäder erinnert wurde, als Menschen einzeln in eine Zelle voller ausgehungerter Jäger gesperrt worden waren und wie Puppen herumgereicht wurden, um ihre Gelüste stillen zu können. Hunter widerte sich selbst an, wenn er daran zurück dachte. Es würde nie mehr so weit kommen, dass hatte er sich noch an demselben Tag geschworen, als er sich selbst das Gelübde abgenommen hatte, die kleine Mira vor jedem Unglück zu bewahren. Aufgewühlt schritt der sonst so disziplinierte Jäger durch den Gang, direkt auf die Rezeption zu, hinter der noch immer der alte Mann mit glasigem Blick stand und darauf wartete, dass Hunter ihn von seiner Vampir-Hypnose befreite. „Wo ist ein Telefon?“, fragte Hunter, wobei sich jedes seiner Worte wie ein Knurren anhörte. „Nous n’avons pas un téléphone, monsieur. Mais, j’ai un téléphone cellulaire”, sagte der Mann mit rauer Stimme auf Französisch, aber wühlte in seiner Hosentasche, bis er ein kleines graues Handy hervorzog und auf den Tresen legte. Hunter wusste nicht was der Mann sagte, schließlich hatte er all die Jahre als Killer nicht damit zugebracht, verschiedene Fremdsprachen zu lernen, sondern fremde Leute abzumurksen. Allerdings konnte sich Hunter an einen Jäger erinnern, der durchaus eine Schwäche für Sprachen gehabt hatte und seine Freizeit gerne mit Büchern verbracht hatte. Nur kurze Zeit später wurde er auf Dragos Befehl hin von Hunter exekutiert. Dragos kannte kein Pardon. Entweder gehörten ihm die Leute ganz, oder eben gar nicht. Wobei letzteres immer ein tödliches Ende hatte. Hunter nahm sich einfach das Handy und tippte Rios Nummer ein. Es dauerte nicht lange, bis der Spanier mit lautem Fluchen abnahm. „Dios mio, wo zum Teufel steckst du, Hunter?!“ Der Jäger sagte es ihm, erwähnte jedoch Mira nicht, aber Rio war nicht dumm. Er merkte sehr wohl, dass Hunter etwas verschwieg. „Also gut, amigo, spuck’s schon aus. Was hast du ausgefressen?“ Hunter rieb sich den Nasenrücken und versuchte, die Worte so zu formulieren, dass es nur halb so verrückt klang wie es tatsächlich war. „Erinnerst du dich an die Frau, die auf uns geschossen hat und die ich hätte ausschalten sollen?“ Am anderen Ende der Leitung war es ruhig. Hunter konnte sich genau denken, wie sich die beiden Stammesbrüder gerade einen Bedeutungsschweren Blick zuwarfen. „Warum habe ich nur das blöde Gefühl, dass mir die Antwort nicht gefallen wird? Verflucht, Hunter, wegen ihr Stecken in meinem Bein mindestens drei Kugeln! Dylan wird dich umbringen!“ Hunter hatte keine Angst vor Rios Stammesgefährtin, aber er hatte bereits bemerkt, wie gefährlich sie werden konnten, wenn das was ihnen am liebsten war, verletzt wurde. Auch wenn Dylan nicht gerade die Stärkste war, so konnte sie doch schnell zur Furie werden, wenn Rio etwas passierte und darauf legte es Hunter nun wirklich nicht an. Außerdem hätte es weitaus schlimmer sein können, denn ursprünglich hatte Mira auf Rios Kopf gezielt. „Ich habe sie aus dem Wasser gezogen. Jetzt liegt sie in dem Motelzimmer und schläft. Ich werde mir den Tag einfach damit vertreiben, herauszufinden, warum sie in der Villa herumgeschnüffelt hat. Wenn nichts Brauchbares dabei herauskommt, werde ich einfach ihre Erinnerung löschen.“ „Alles klar. Mach das, und ruf sofort an, wenn du etwas Nützliches herausgefunden hast. Wir holen dich ab, sobald die Sonne untergegangen ist.“ „In Ordnung“, antwortete Hunter, wieder ganz der Jäger. „Und noch ein guter Rat von mir und Tegan, Kumpel: Pass bloß auf mit der Frau.“ Hunter fragte nicht nach, was der Vampir damit meinte und legte auf. Mira war ihm auf jede Art unterlegen, wovor sollte er sich also fürchten? Er legte das Handy wieder auf den Tresen und wandte sich dem alten Mann zu, der stramm wie ein Soldat dastand und eine Topfpflanze anstarrte. „Du wirst dich nicht an mich erinnern, nur daran, dass du mir einen Zimmerschlüssel gegeben hast und ich Bar bezahlt habe“, sagte Hunter und legte die Hand auf die faltige Stirn des Menschen. Der Mann blinzelte, seine Augen klärten sich langsam wieder und dann drehte er sich einfach um, als ob Hunter gar nicht anwesend wäre. Der Jäger wartete noch ein paar Sekunden, um sicher zu stellen, dass sich der Motelbesitzer ganz seiner Arbeit widmete und machte sich dann auf den Weg zurück ins Zimmer. Noch ehe Hunter die Tür öffnen konnte, spürte er, dass etwas nicht stimmte. Seine Gefangene war aufgewacht. Kapitel 4: Kapitel 4 -------------------- MIRABELLE Das erste, was Mirabelle sah als sie die Augen öffnete, war eine schimmelige Decke, die mit zahlreichen Flecken gemustert war. Ihr Kopf fühlte sich taub und leer an, außerdem pochte ihre Stirn wie verrückt an der Stelle, an der sie am Lenkrad aufgeschlagen war. Danach konnte sie sich an nichts mehr erinnern, außer, dass sie auf einmal keine Luft mehr bekam und endgültig ohnmächtig wurde. Ehrlich gesagt, wunderte es sie, dass sie noch immer am Leben war, auch wenn es ihr, gelinde gesagt, beschissen ging. Leise stöhnend strich sie sich die Haare aus dem Gesicht, die ihre empfindliche Narbe berührte und unangenehme Schmerzen verursachte. Eigentlich war diese alte Wunde das einzige, was sie überhaupt noch fühlen ließ. Für den Preis ihrer Freiheit hatte sie jegliches Gefühl verbannen müssen und fühlte sich immer mehr wie eine leblose Puppe. Mirabelles verklärter Blick traf ihre Hände, die an den Knöcheln mit Klebeband wirsch aneinander gefesselt waren. Sie musste nicht unbedingt auf ihre Füße sehen, um zu wissen, dass es dort ebenso war. Gereizt zerrte die Lakaiin an den silbernen Bändern, jedoch ohne Erfolg. Solange sie kein Messer, oder wenigstens etwas anderes scharfes hatte, musste sie es wohl dabei belassen. Jedenfalls bis ihr ein passender Fluchtplan eingefallen war und das Zimmer aufhörte sich zu drehen. Die Fenster waren provisorisch verdeckt worden und der Geruch nach Metall lag schwach in der Luft. Scheinbar hatte ein Vampir sie erwischt. Mirabelle erinnerte sich an falkengelbe Augen, die deutlich gemacht hatten, dass sie ihm nicht entkommen würde. Ein weiterer Hinweis darauf, waren die kräftig leuchtenden Dermaglyphen die ihn als Gen Eins Vampir kennzeichneten. Diese Male waren für Mirabelle unverkennbar, wo sie bereits mit unzähligen von ihnen konfrontiert wurde. Ein dicker Kloß bildete sich im Magen der Lakaiin, als sie an Dragos dachte und die Rouges, die er ausgeschickt hatte, um bei ihr und Milos nach dem Rechten zu sehen – oder eher um alle Beweise innerhalb der Villa zu verbrennen. Und die Rouges nahmen keine Rücksicht darauf, wenn noch irgendwelche Lakaien innerhalb des Gebäudes waren. Wenn sie sich nicht an den Zeitplan hielten, war es ihre eigene Schuld. Mit Genugtuung erinnerte sie sich daran, dass es für Milos zu spät war, doch das bittere Grinsen, dass für einen kurzen Moment auf ihrem verunstalteten Gesicht zu sehen gewesen war, verschwand beinahe auf der Stelle, als ihr wieder bewusst wurde, dass sie sich in Gefangenschaft eines anderen Vampirs befand, der weitaus grausamer zu ihr sein würde, als es eine einfache Pistolenkugel jemals sein könnte. Nein, man würde Mirabelle niemals ‚einfach so‘ umbringen. Man würde sie foltern, jedes einzelne Detail aus ihr herauspressen und sie tagelang – vielleicht sogar Monate! – leiden lassen. Es würde jedenfalls Dragos Wunsch entsprechen, so wie sie ihn kannte. Und für seine Untergebenen war der kleinste Wunsch bereits Befehl. Die Lakaiin schwang die Füße über das Bett und stellte sie auf den fliederfarbenen Teppichboden. Man hatte ihr ein Laken wie eine Toga umgebunden, die ihre ohnehin schon eingeschränkten Bewegungen um ein weiteres erschwerte, aber wenigstens musste sie nicht in Unterwäsche rumlaufen, obwohl sie ohnehin so etwas banales wie Schamgefühl nicht mehr besaß. Zum Glück lagen Mirabelles Sachen noch auf dem Boden. Nur in kleinen Schritten schaffte sie es, in ihre Taschen zu greifen und ihr Handy herauszuholen. Wenn sie sich jetzt meldete und sagen würde, dass fremde Eindringlinge in die Villa gestürmt waren und Milos umgebracht hatten, dann würden Mirabelle vielleicht noch einige Tage Zeit bleiben das Land zu verlassen, bevor man ihr auf die Schliche kam und sie zum Schafsrichter führen. Dragos hatte seine Spione nämlich überall. Noch nicht einmal am Tag würde sie vor ihm sicher sein, denn beinahe jeder Lakai kannte sie. Die Frau, die tagsüber für seine Sicherheit zuständig und seit ihrem zwölften Lebensjahr an ihn gekettet war. Mirabelle hatte sich nie so eine Zukunft gewünscht, und nur dank ihrer Fähigkeit als Stammesgefährtin, war sie in der Lage sich einigen Befehlen von Dragos zu widersetzten. Aber bis ihr Schutzwall endlich zusammenbrach, war es nur noch eine Frage der Zeit. Schon jetzt häuften sich ihre Wutanfälle und ihre Gedanken wurden mit jedem Tag grausamer, nahmen immer mehr Ähnlichkeit mit denen eines richtigen Lakaien an. Mirabelle starrte auf das schwarze Display ihres Handys und ihre Miene wurde ausdruckslos. Das konnte nicht sein. Erneut versuchte sie es einzuschalten und drückte auf jede verdammte Taste, aber es passierte nichts. Der weiße Riss auf schwarzem Grund ihres Handys schien sie zu verspotten, ihren Meister, Dragos, nicht mehr erreichen zu können. Das war’s also. Ihre Lebenszeit, die ohnehin erheblich geschrumpft war, seit sie heute diese Villa betreten hatte, war um einige Tage mehr verkürzt worden. Auch wenn die große Unwahrscheinlichkeit bestand, dass dieser Jäger sie nicht umbringen würde, so würde Dragos doch wissen, dass sie noch am Leben war. Es mochte vielleicht sein, dass Mirabelles Verbindung zu ihm aufgrund ihrer kurzweiligen Ohnmacht, etwas gestört war und er nun vielleicht glaubte, dass sie bei dem Anschlag auf die Villa ums Leben gekommen war, ebenso wie Milos, dann würde dennoch auf Dauer die Wahrheit ans Licht kommen und mit ihnen die Auftragskiller, die Dragos auf sie hetzten würde wie tollwütige Hunde. Aber zuvor musste Mirabelle wissen, ob sie die nächsten vierundzwanzig Stunden überleben würde, um das Videoband in sichere Hände legen zu können. Die Französin runzelte die Stirn. Sie spürte den unangenehmen Druck an ihrem Rücken nicht mehr, dass das Band verursacht hatte. Ihre Atmung beschleunigte sich leicht, aber die Wut und der Hass, die an ihr zehrten wie Geier von totem Fleisch, hielten sich noch in akzeptablen Grenzen. „Nein“, flüsterte sie. „Nein, das darf einfach nicht wahr sein.“ Sie versuchte mit den Händen ihren Rücken abzutasten, aber das Videoband war weg. Hatte der Jäger es ihr abgenommen? Oder war es vorher schon in der Seine verloren gegangen? Ihr Herz, wie immer nicht zu ihrem Verstand passend, hämmerte ihr wild gegen die Brust wie lauter Trommelwirbel. Mirabelle sah sich um, bis ihr Blick an dem kleinen Mistkübel hängen blieb, der zwischen dem Nachttisch und dem Bett eingekeilt war. Als die Lakaiin näher trat, hätte sie nichts lieber getan als alles in diesem schäbigen Zimmer kurz und klein zu schlagen, aber sie musste ruhig bleiben, musste unbedingt die Fassung bewahren. Sie ballte die Hände zu Fäusten und biss die Zähne fest aufeinander. Erst nach genau zwei Minuten, ließ sie wieder locker und war bereit, einen neuen Plan zu fassen. Da ihre Überlebenschancen gerade mal bei zwölf Prozent lagen und sie ohnehin so gut wie tot war, sobald sie auf die Straßen von Paris trat, konnte sie auch genauso gut einfach hinaus spazieren, oder? Immerhin war auch niemand im Zimmer, der sie hätte aufhalten können. Und wenn der Jäger lediglich die Tür abgeschlossen hatte, dann hatte er erst recht verspielt. Mit einem Ruck riss Mirabelle die hässliche kobaltblaue Tür auf, nur um plötzlich einem ziemlich verärgert dreinblickendem Vampir gegenüber zu stehen, der keine zwei Sekunden brauchte um sie zu packen und wieder zurück ins Zimmer zu schieben. Wie einen Sack Kartoffeln warf er die Französin auf die Matratze, die gefährlich federte und beinahe dafür gesorgt hätte, dass Mirabelle prompt wieder vom Bett gefallen wäre. „Liegen bleiben“, knurrte er. Der Ton seiner Stimme war ein tiefer Bariton, der klar machte, dass er niemand war, der Kompromisse einging, aber sie hatte auch nichts anderes von einem Jäger erwartet. Wie auch bei den anderen seiner Art, wäre man tot noch bevor man ein ‚Aber‘ herausbrachte. Obwohl Mirabelles Handgelenke schmerzhaft aufgescheuert waren und ihr Kopf von zornigen Beschimpfungen erfüllt war, behielt sie ihre neutralen Gesichtszüge bei und verhielt sich vorbildlich ruhig. Aber es beunruhigte sie, dass der Jäger sich nicht anders verhielt und sich einen der beiden Stühle, die hinter der wieder geschlossenen Tür gestanden hatten, vor ihr Bett schob und sich breitbeinig darauf setzte. Mit einem Arm, der ziemlich übel zugerichtet schien und violette Verfärbungen annahm, stützte er sich an der Sessellehne ab, mit der anderen hielt er einen ziemlich übel aussehenden Dolch in der Hand, den man nur bei Urwaldexkursionen erwarten würde. Er hatte ein äußerst scharfkantiges Gesicht, dass ihm nur noch mehr das Aussehen eines Raubtiers verlieh, als es ohnehin bereits der Fall war und seine goldfarbenen Augen hoben sich extrem von seiner karamellfarbenen Haut ab, die beinahe an seinem ganzen Körper von den schillernden Dermaglyphen überzogen waren. Mirabelle wusste, dass je länger ein Vampir bereits auf der Erde wandelte, desto deutlicher und auffälliger traten die Glyphen hervor, die sie von ihren Vorfahren geerbt hatten. Die ihres Bewachers wechselten zwischen Gold und Dunkelrot hin und her, und bedeckten seinen Brustkorb, seine Arme, einen kleinen Teil seines Gesichts und verschwanden letztendlich in seiner schwarzen Lederhose, die er als einziges nicht ausgezogen hatte. Es vergingen weitere Minuten, in denen sie sich einfach nur schweigend anstarrten, als stünden sie jeweils auf der anderen Seite eines Tigerkäfigs und versuchten sich gegenseitig einzuschätzen. Die Französin merkte sofort, dass sein Blick hauptsächlich auf ihr Gesicht gerichtet war und sogar noch wahrscheinlicher war es, dass es ihm dabei hauptsächlich um ihre Augen ging. Mirabelle war bereits mit zwei verschiedenen Augenfarben zur Welt gekommen, aber es war schwer zu sagen, ob es an ihren Fähigkeiten lag oder lediglich eine einfache Genmutation war. Ihr rechtes Auge war so hell wie flüssiges Quecksilber, während das Linke schien, als wäre es ein Abgrund tiefschwarzer Finsternis. Im Großen und Ganzen, entsprang ihr Gesicht dem eines Gruselromans, wo sie bestimmt die Rolle der Verrückten auferlegt bekommen hätte, aber Mirabelle war das egal. Ihr war alles egal, außer ihrer Schwester und … Dragos, auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollte. Sie hasste und verabscheute ihn, aber er war ihr Meister, ob sie nun wollte oder nicht. „Sag mir deinen Namen“, begann der Jäger endlich zu sprechen und die Lakaiin meinte eine unterschwellige Drohung heraus zu hören. Mirabelle war versucht ihm auf Französisch zu antworten, aber sie wusste nur zu gut, dass die Jäger in nur einer Sprache aufgezogen wurden, und das war Englisch. Nicht nur aus diesem Grund, hatte man ihr in ihrer Kindheit aufgezwungen die verschiedensten Sprachen zu erlenen. „Emanuela“, antwortete sie also mit leichtem französischem Akzent und beobachtete, wie der Jäger seine Blutverkrustete Stirn in Falten zog. „Gut. Und jetzt sag mir deinen richtigen Namen.“ Mirabelle unterdrückte ein Schmunzeln und fragte sich gleichzeitig, woher er wusste, dass sie nicht die Wahrheit sagte. „Mein Name ist Mirabelle Emanuela LaCroix, aber die meisten Amerikaner nennen mich einfach nur Mira.“ Erkenntnis blitzte in den Raubkatzenaugen des Vampirs auf und wurde sofort durch eine grimmige Miene ersetzt. „Mirabelle, also.“ Er sprach ihren ersten Vornamen aus, als hätte er sich endlich an etwas erinnert. Oder als hätte er nun endlich die Antwort, auf eine längst gestellte Frage. Aber Mirabelle war erleichtert, dass er sie nicht mit ihrem Kosenamen ansprach, nachdem sie beinahe neun Jahre lang gezwungen gewesen war ‚Mira‘ zu benutzten. Es war ironisch, dass ausgerechnet ein Jäger derjenige war, der sie nach so langer Zeit wieder bei ihrem richtigen Namen nannte. „Was hast du in der Villa zu suchen gehabt?“, fragte er weiter und machte mit dem Dolch eine Bewegung, die ihr bedeuten sollte fortzufahren. Mirabelle sah keinen Zweck darin, ihn wegen dieser Sache anzulügen, schließlich hatte er das Videoband bereits gefunden. „Ich wollte mir die übriggebliebene Aufzeichnung der Entführung holen.“ „Warum?“ Die Lakaiin antwortete nicht. Sie wusste nicht, in wie weit sie dem Jäger trauen konnte. Er trug kein Halsband, das mit Sprengstoff versetzt war und jederzeit in die Luft gehen konnte, so wie seine Brüder. Aber so konnte Mirabelle auch nicht besser feststellen, ob ihn das nun gefährlicher machte als ohnehin schon oder nicht. „Bevor ich weiterrede, möchte ich wissen, wer Sie sind. Haben Sie den Auftrag mich zu töten?“ Der Jäger neigte den Kopf leicht zu Seite. Eine kurze dunkelblonde Strähne fiel ihm über das rechte Auge. „Nein.“ „Arbeiten Sie für Dragos?“, fragte Mirabelle. Ihr Blutdruck stieg wieder und sie versuchte unbewusst das Klebeband loszuwerden. „Nein“, antwortete er erneut. Er schien gefasst, aber der Lakaiin bereitete es etwas Sorgen, dass er die Zähne so fest zusammen biss. „Pourquoi? Sie sind doch ein Jäger. Es ist eure Lebensaufgabe ihm zu dienen.“ Der Jäger warf ihr einen gereizten Blick zu. Das konnte er gut. Er sollte sich vielleicht als Türsteher anbieten, die verdienten immer gutes Geld. Der Mann mit dem dunkelblonden Haar knurrte, sein Griff um den Dolch wurde fester und Mirabelle mahnte sich, es nicht zu übertreiben, bevor er sie noch mit dem Ding aufspießte. „Genug mit den Fragen. Ich bin dran. Was hattest du mit dem Videoband vor?“ Dragos Untergebene waren allesamt darauf gedrillt worden sich möglichst kurz aber präzise zu halten, aus diesem Grund war es für Mirabelle etwas mühsam mit dem Jäger zu sprechen. Er war knallhart wie ein Gesteinsblock, an dem sich die Lakaiin nur den Kopf einschlagen konnte, wenn sie weiter so sinnlos gegen ihn rannte. Wahrscheinlich hatte sie keine andere Wahl, als ein Risiko einzugehen. Aber die Französin tröstete sich mit dem Gedanken, dass es niemanden schlimmeres als Dragos geben konnte – und für den arbeitete sie ja schon selber. „Ich suche eine Stammesgefährtin. Meine Schwester Sonja Isabelle, um genau zu sein. Sie wurde letzte Nacht wie die anderen entführt und ich brauchte das Band um ihre Spur aufzunehmen.“ Mirabelle musste ihre Schwester schleunigst finden, bevor Dragos herausfand, dass sie für ihn keinen Nutzen hatte und ‚entsorgt‘ gehörte, oder, was vielleicht noch schlimmer war, sie ebenfalls zu einer Lakaiin machte. „Woher weißt du von den Jägern?“, war seine nächste Frage und ignorierte völlig, dass sie sich gerade als Stammesgefährtin geoutet hatte. „Ich bin so etwas wie Dragos … Informantin gewesen. Oder eher ein Mädchen-für-alles, würde ich sagen. Ich erledigte verschiedene Arten von Aufträgen und bin dadurch öfters mit den Jägern in Kontakt geraten. Aber bevor Ihr mir die Kehle aufschlitzt“, fügte Mirabelle schnell hinzu, als der Jäger Anstalten machte sich auf sie zu stürzen und die vielen verschiedenen Drohungen, die sich in seinem Gesicht widerspiegelten, wahrzumachen. „muss ich Euch sagen, dass ich nicht mehr vorhabe für Dragos zu arbeiten. Er hat meine Schwester als Druckmittel benutzt um mich gefügig zu machen, aber jetzt, da er sein Versprechen gebrochen hat, kann er meinetwegen zur Hölle fahren.“ Mirabelles Ton war rau und gehässig geworden, so sehr wünschte sie sich das Ende ihres Meisters herbei. Aber genau dieser Hass, der die Lakaiin bis tief ins innerste ausfüllte, war der Antrieb, den Dragos brauchte um die Kontrolle über sie zu erlangen. Sie konnte bereits spüren wie jemand an die Hintertür ihres Bewusstseins klopfte, und auf einen schwachen Moment wartete um sie endgültig in Besitz zu nehmen. Der Jäger starrte sie unendlich lange mit seinen nun falkengelben Augen an, wie es der Lakaiin vorkam, und er schien mit sich zu ringen, ob er sie nicht doch lieber gleich umbringen sollte. „Kann ich Euch noch eine Sache fragen, monsieur?“ Mirabelle hatte es allmählich aufgegeben an ihren Fesseln zu zerren und hatte sich entschieden, dass es ohnehin keinen Sinn hatte zu versuchen zu fliehen. Jedenfalls vorerst. Denn der Jäger würde sich wie ein wildes Tier auf sie stürzen noch bevor sie die Tür erreicht hätte. Da er nicht antwortete und sie nur anblickte als hätte sie völlig den Verstand verloren, nahm die Französin an, dass das als Ja galt. „Wie lautet Euer Name?“ Zwar könnte sie ihn auch weiterhin Jäger nennen, doch da er anscheinend nicht mehr zu den Auftragskillern gehörte, könnte es auf Dauer zu Missverständnissen kommen. Falls es denn ein ‚auf Dauer‘ gab. Dass er nicht mehr zu Dragos Gefolge gehörte, hieß schließlich noch lange nicht, dass er seine Erbarmungslosigkeit eingebüßt hatte. Und sie wagte es einfach nicht, ihn auf die Probe zu stellen. Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- HUNTER Hunter kniff die Augen zusammen. Er konnte einfach nicht glauben, dass diese Stammesgefährtin tatsächlich zu Dragos Leuten gehörte, doch der Jäger wusste auch, dass der Vampir der zweiten Generation vor nichts halt machte. Schaden würde es allerdings keinen machen, er fand es nur merkwürdig, da Hunter in Miras Vision ja von ihr seinen Namen erfahren hatte. Was für eine Scheiße das alles doch war. „Mein Name ist Hunter“, antwortete er also widerwillig mit zusammen gebissenen Zähnen und ging zum anderen Bett hinüber. Mirabelle, deren Gesicht starr wie der einer Leiche blieb, sagte nichts mehr, sondern beobachtete ihn nur dabei, wie er das Bett mit erstaunlicher Leichtigkeit hoch hob und vor der Tür aufrecht hinstellte, damit die Stammesgefährtin nicht abhauen konnte, solange er ins Bad ging um seine Wunden zu behandeln. „Das wäre nicht Notwendig gewesen, chasseur“, murmelte Mirabelle und der Jäger hörte nur noch ein leises Rascheln der Bettlaken, ehe er die Tür hinter sich schloss um einen Augenblick Ruhe zu haben. Ihre Stimme jagte ihm nämlich ungewollte Schauer über den Rücken und zu allem Übel waren diese verdammten Augen hypnotisierend. Noch nie hatte er so etwas gesehen. Ihre ganze Erscheinung war bereits verrückt; aber jedenfalls verrückt genug um jemanden wie ihn zu faszinieren. Der einzige Makel an ihrem sonst so Statuenhaften Gesicht war diese üble Brandnarbe an ihrer rechten Schläfe und selbst die stellte Mirabelle zur Schau, beinahe schon stolz darüber, wenn er nicht gesehen hätte wie sie zusammengezuckt war als eine ihrer langen Haarsträhnen ihr ins Gesicht gefallen war. Kaum zu glauben, dass er sie mit der unschuldigen, kleinen Mira verwechselt hatte. Tiefes Schuldgefühl nagte an ihm, und Hunter wusste nicht genau, wem es eigentlich galt. Um sich etwas von seinen düsteren Gedanken abzulenken, begann Hunter damit seinen Arm zu versorgen der höllisch schmerzte, doch er hatte gelernt die Wunden zu ignorieren, nicht ehe ein Auftrag zu Ende ausgeführt war. Hunter hatte bereits gemerkt, dass die gebrochenen Knochen falsch wieder zusammen wuchsen und er sie erneut brechen musste, wenn er seinen Arm noch zukünftig benutzen wollte. Er legte besagtes Körperteil auf den Rand der Badewanne und sog noch einmal scharf die Luft ein, ehe er mit seiner gesunden Hand darauf schlug und ein erschreckend lautes Krachen ertönte. Hunter fühlte sich, als hätte man ihm den Arm abgerissen, statt gebrochen und er brauchte einen Moment, um das schmerzhafte Pochen, dass durch seinen ganzen Körper strömte, unter Kontrolle zu bringen. Anschließend ließ er sich in einen Schneidersitz fallen und legte den Kopf in den Nacken. Bei Gott, er hoffte, dass er hier schnell wieder wegkam. In den nächsten, verstreichenden Stunden, kam Hunter ab und zu wieder in das Zimmer, um nach Mirabelle zu sehen, die entweder schlief oder an die Decke starrte und Däumchen drehte. Jedenfalls verging die Zeit für beide viel zu langsam, doch sie hatten keine Schwierigkeiten damit zu schweigen. Es fühlte sich sogar behaglich an, wenn Hunter genauer darüber nachdachte. Sie verlangte nicht von ihm ein Gespräch am Laufen zu erhalten, wie so manche andere Stammesgefährtin in der Zentrale, und nicht zuletzt Mira. „Wie lange arbeitest du schon für Dragos?“, fragte Hunter nach einer Weile dann doch, weil er bereits zu angespannt war, um weiterhin still sitzen zu bleiben. Die Sonne würde bald untergehen und bis dahin brauchte er eine sinnvolle Beschäftigung, ehe die Krieger eintrafen. Und es würde gewiss nicht schaden, die Informantin noch etwas auszuquetschen. Mit undurchdringlicher Miene neigte sie den Kopf zur Seite und folgte mit ihren Augen dem Jäger, der wie ein Raubtier in einem Käfig umher tigerte. „Je crois … seit meinem zwölften Lebensjahr. Wie alt ich jetzt bin, weiß ich nicht genau. Die Zeit vergeht in Dragos‘ Nähe in Zeitlupe.“ „Was für einen Wert hast du für ihn?“, fragte der Jäger und er betete für sie, dass sie nicht dasselbe durchmachen musste, wie die vielen anderen entführten Stammesgefährtinnen, die Dragos als Brutmaschinen benutzt hatte, um seine Privatarmee von Gen-Eins Jägern zu erschaffen. Mirabelle schwieg und sah demonstrativ weg. Diese Frage würde sie ihm nicht beantworten, das stand schon einmal fest. Der Grund dafür konnte jedoch nicht allzu traumatisch sein, wenn sie es noch schaffte die Mundwinkel trotzig zu verziehen. Wieder breitete sich Stille aus und überdeckte beinahe den penetranten Geruch ihres Blutes, der den Jäger in der Nase kitzelte. „Deine Freunde haben es wohl nicht so mit Pünktlichkeit“, bemerkte Mirabelle mit unterschwelligem Hohn. Mit einem Knurren riss Hunter das Bettlaken vom Fenster. Der letzte Sonnenstrahl war schon längst am Horizont verschwunden und präsentierte ihnen nun die dunkle Seite von Paris. Normalweise hätte es Hunter nicht gekümmert, wann die Krieger aufgetaucht wären, doch Mirabelles pure Anwesenheit machte ihn allmählich verrückt. Nicht nur dass er das Böse, dass sie auszuströmen schien, beinahe schon mit Händen fassen konnte, nein, er musste auch noch ständig die Vision ihres Todes vor Augen haben. Noch dazu hörte sich jedes Wort, das ihren Mund verließ, wie eine Beleidigung an. Zwar hatte Hunter einen langen Geduldsfaden, aber selbst der drohte bei ihrer Unverschämtheit bald zu reißen. Schritte vor dem Hotelzimmer lenkten den Jäger von seinen düsteren Vorstellungen fort und er schnappte sich sein Jagdmesser, dass er jedoch getrost sinken ließ, als er Tegan rufen hörte. „Hunter? Wo steckst du, Mann?“ Der Jäger stellte das Bett, das die Tür versperrt hatte, wieder an seine ursprüngliche Stelle und ließ den blonden Krieger eintreten. „Bist du bereit?“, fragte er und warf einen skeptischen Blick auf die Stammesgefährtin, den sie gleichgültig erwiderte. Hunter nickte, schlüpfte in seinen noch immer nassen Mantel und verstaute seine Waffen. Dann wandte er sich an Mirabelle und befreite sie vom Klebeband. Ihre Handgelenke waren stark gerötet, aber sie beklagte sich nicht und ließ sich von Hunter unwirsch aus dem Motel ziehen. Rio wartete in einem französischen Mietwagen vor dem Eingang und stieß einen leisen Pfiff aus, als Hunter Mirabelle auf den Rücksitz drückte und sich neben sie setzte. Tegan nahm wieder seinen Platz auf dem Beifahrersitz ein und warf immer wieder einen kurzen Blick in den Rückspiegel. „Na da hast du aber einen Fang gemacht, amigo“, bemerkte Rio trocken und ließ seine topasfarbenen Augen provozierenden über Mirabelles Aufzug streifen, ehe er sich wieder kommentarlos nach vorne drehte und Gas gab. Hunter sagte nichts dazu. Auch wenn man es ihm nicht anmerkte, machte es ihm ziemlich zu schaffen, wenn Mirabelle so dicht neben ihm saß und aus dem Fenster starrte, während die erleuchteten Straßen von Paris an ihnen vorüber zogen. „Wohin fahren wir?“, fragte Mirabelle schließlich und strich sich eine Strähne hinter das Ohr, die sich wieder über ihre Narbe zu legen drohte. Die Krieger wechselten einen Blick untereinander. „Du bist eine Stammesgefährtin. Wir bringen dich in einen Dunklen Hafen, wo sie sich um dich kümmern werden.“ „Das geht aber nicht. Ich muss mit euch kommen.“ „Wieso?“, fragte Rio misstrauisch. Ihm war anzuhören, dass er nichts von dieser Idee hielt. Tegan und Hunter waren ebenso begeistert darüber. Mirabelle zuckte mit keiner Wimper, als sie sagte: „Ich habe wichtige Informationen über Dragos, die ich euch geben möchte. Jedoch nur eurem Anführer persönlich.“ „Warum hast du das Hunter nicht schon eher gesagt?“ Sie warf einen Blick auf den Mann neben sich und musterte ihn von oben bis unten. Hunter hatte nicht den Hauch einer Ahnung was sie möglicherweise denken mochte. „Er ist ein Jäger. Ich konnte ihm nicht trauen, solange ich alleine mit ihm war. Ich denke allerdings, dass meine Informationen beim Orden in guten Händen sind.“ „Du weißt mehr, als gut für dich ist“, bemerkte Hunter warnend und vermied es mit aller Macht sie noch einmal anzusehen. Mirabelle brachte seine Sinne durcheinander und rief das Tier in ihm hervor. Er konnte sich nicht entscheiden, ob er sie einfach packen und an sich drücken oder mit seinen Fangzähnen zerfleischen wollte. „Also was ist nun? Werdet ihr mich in dem Dunklen Hafen absetzten, oder interessiert ihr euch doch für mein Angebot? Bedenkt, damit könntet ihr Dragos endlich vernichten. Für meinen Geschmack arbeitet ihr viel zu langsam.“ „Vorsicht“, knurrte Hunter und legte eine Hand in ihren Nacken. Nur ein leichter Druck, und Mirabelle würde in seiner Hand wie ein Zweig zerbrechen. Sie spannte sich an, in Erwartung, dass der Jäger seine Drohung wahr machen würde. „Pardon“, murmelte sie, da sie wohl merkte, dass ihr Leben an einem seidenen Faden hing. Widerstrebend ließ Hunter sie los und starrte aus dem Fenster. In dem Glas spiegelten sich die Konturen seiner Kameraden wieder, die sich so leise flüsternd, dass die Stammesgefährtin es nicht hören konnte, berieten. Hunter hatte noch kein Mitspracherecht, um etwas zu diesem Gespräch beizusteuern. Nach einer Weile drehte sich Tegan in seinem Sitz herum und wandte sich an die Menschenfrau. „Und was verlangst du im Gegenzug? Ich vermute mal nicht, dass du das aus reiner Herzensgüte machst.“ „Selbstverständlich nicht“, lautete ihre frostige Antwort, als wären die vielen Leben die auf dem Spiel standen völlig irrelevant. „Ich möchte, dass ihr meine Schwester rettet, die zu Dragos gefangenen Stammesgefährtinnen gehört.“ Der blonde Krieger überlegte einen Augenblick, dann nickte er. „In Ordnung, aber wir können es nur versuchen. Es gibt keine Garantie. Sonst noch etwas?“ „Ja, ich will dabei sein, wenn ihr Aufbrecht, um Dragos zu töten.“ „Warum solltest du das wollen?“ Mirabelle neigte den Kopf leicht zur Seite und lächelte den Krieger so gefühlskalt an, wie eine Puppe. „Das ist eine persönliche Angelegenheit.“ „Dann haben wir einen Deal?“, fragte Tegan und streckte ihr die Hand aus. Sie machte keine Anstalten ihn anzufassen, besann sich jedoch eines besseren und legte ihre zierliche Hand in seine. Tegan drückte zu, und Hunter bemerkte wieder, wie sich Mirabelles Haltung veränderte. Der Jäger wusste, dass der Mann mit den grünlichen Augen seine Empathie einsetzte, was bei ihm selbst immer zu großem Unbehagen geführt hatte, doch die Frau blieb völlig ruhig und wartete geduldig darauf, bis er sie wieder los ließ. Tegan runzelte die Stirn, warf einen letzten Blick auf Hunter und setzte sich dann wieder. „Ein Jet wird uns in zwei Stunden am Flugplatz erwarten“, sagte Rio. „Wir müssen vorher noch einen Abstecher bei mir zu Hause machen“, ließ Mirabelle in den engen Raum fallen. „Ich habe dort einen USB versteckt, der einige wichtige Daten beinhaltet, die dazu beitragen, euch meine Geschichte zu bestätigen.“ Das war schlau, dass musste selbst Hunter zugeben. Hieß das etwa, sie hatte Dragos schon seit geraumer Zeit aus von innen infiltriert? War sie deshalb seine Informantin geworden? Oder gab es einen anderen Grund dafür, weshalb sie solange bei ihm blieb? Hunter wurde schlecht bei dem Gedanken, Mirabelle wäre von dem abtrünnigen Vampir abhängig geworden. Aber erklärte das ihre Einstellung? Nein, nicht im Geringsten. Rio wendete und fuhr an die Adresse, die die Stammesgefährtin ihm diktierte und hielt kurze Zeit später neben einer Wohnsiedlung, bestehend aus eingezäunten Bäumen; Wohnhäuser, die so dicht aneinander gepresst waren, dass kein Zentimeter zwischen sie gepasst hätte und all das bestehend aus Backstein, von dem bereits die Farbe abblätterte. Auf eine Schräge Art und Weise, machte die Siedlung einen wohlhabenden und gleichzeitig schmuddeligen Eindruck, aber was verstand schon ein Jäger von Architektur, wo er sein halbes Leben in einer spartanisch eingerichteten Zelle verbracht hatte? „Warten Sie hier“, sagte sie und stieg aus. „Bestimmt nicht“, erwiderte Hunter und folgte ihr. „Es ist nicht nötig, mit mir zu kommen, chasseur. Es dauert nicht lange, und jetzt, da wir einen Deal haben, hätte ich auch keinen Grund zu fliehen.“ Mirabelle erklomm athletisch die Treppen und warf einen kurzen Blick über die Schulter. „Du bist eine von Dragos Leuten. Ich bin nicht der einzige, dem man nicht trauen kann.“ „Touché“, sagte sie. Er meinte sogar, einen schwachen aber dennoch amüsierten Ton aus ihrer Stimme herauszuhören. Im vierten Stock blieben sie endlich vor einer Tür stehen. Mirabelles Atem ging etwas schneller als zuvor, aber ansonsten zeigte sich nicht, dass sie erschöpft war. Hunter ging es körperlich bereits besser, als noch vor wenigen Stunden und mit gebrochenem Arm. Er spürte die Heilung nun zwar stärker voranschreiten, doch auch das würde sich bald ändern, wenn er demnächst nicht wieder auf Nahrungssuche ging. Der Hunger zehrte bereits wieder an ihm. Hunter fragte nicht weiter, warum die Frau ihre Wohnung nicht absperrte als sie die Tür aufdrückte und ins Innere trat. „Warten Sie hier“, wiederholte sie ihre Worte von vorhin, doch diesmal blieb Hunter ausnahmsweise gehorsam und sicherte das Stockwerk. Mirabelle würde ohnehin nicht verschwinden können. Die einzigen Wege waren eine Feuerleiter, vor der die Krieger parkten, und den anderen Ausgang bewachte Hunter. Ihre letzte Chance, aus dem ganzen Schlamassel wieder herauszukommen, war der Orden. Er hoffte für sie, dass sie es nicht vermasselte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)