Das Geheimnis der Träne von Procven (AshxMisty) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Tiefschwarze Nacht lag über der heiligen Stadt, die man aufgrund seines Herzstückes ‚Lacrima’ nannte. Alles lebende schien zur Ruhe gegangen und allein die Wachposten zogen innerhalb der Straßen ihre Kreise. Die Meisten von ihnen postierten sich für gewöhnlich um den Tempel, der den Kern der Stadt darstellte, doch am Tage zuvor war aus vertrauten Quellen herangetragen worden, dass es jemand auf ihren Schatz abgesehen hatte, weswegen die Wachen an den Toren und Mauern der Stadt verstärkt, dafür jedoch am Tempel abgezogen wurden. Kriegszeiten hatte es hier nie gegeben, weswegen nur eine begrenzte Anzahl an Soldaten die Leben aller Bewohner schützen sollte. Ihr Schatz und der Schutz der Götter würde ihnen jedes Unheil vom Halse halten, meinten sie. Dazu kam, dass die Stadt einst auf einer kleinen Insel inmitten eines weiten Sees erbaut wurde. Handel gab es in erster Linie mit den bootbesitzenden Kaufmännern, die keine Mühen scheuten, auf die Insel überzusetzen. Von ihnen bekamen die Bewohner die notwendigsten Nahrungsmittel, die gegen hervorragende Fische, Muscheln vom Grund des Sees oder handwerkliche Meisterstücke getauscht wurden. Es war eine erstaunlich stille Nacht, bis wilde Taubsis aufschrieen und einen Schatten ausfindig machten. Der Schatten huschte die Hauswände entlang und näherte sich stetig dem Tempel bis er sich an dessen Toren und schließlich in seinem Inneren befand. Nervös zog die Gestalt seine edle Robe enger an seinen Leib, um möglichst jeden Laut zu vermeiden. Man fürchtete, dass das Rascheln der Kleidung ihn noch verraten würde, wenn er sich dem Raum näherte, der sich am Ende des Ganges befand. Da er schon auf seinen klirrenden Schmuck verzichtete, musste er nur noch auf seine Kleidung achten und auf dieses feine Gewandt konnte er keinesfalls verzichten. Falls man ihn doch entdeckte, könnte er den Verbleib seines Goldschmuckes erklären, nicht allerdings seine Nacktheit. Nur noch wenige Schritte waren es, die er tätigen musste, um sein Ziel zu erreichen. Aufmerksam sah er sich um. Nein, niemand in Sicht. Die Sonne ließ noch etwas auf sich warten, weswegen herbeiströmende Betende ausblieben, und in der Nacht befanden sich nur wenige Menschen im Inneren des Tempels, da Angriffe von innen nicht erwartet wurden. Allein die Tempeldiener waren noch hier, doch diese hoffte er am Tage zuvor abgelenkt zu haben. Diese Narren! Wenn sie doch nur wüssten! Gehässig verzog der Schatten seine Lippen zu einem Grinsen, einer höhnischen Fratze, die ihm bisher niemals zugetraut wurde. Er war ein Scharlatan, ein Blender und doch ein angesehenes Mitglied der Gemeinde. Der Gang aus dutzenden Säulen, die kunstvoll verziert und vergoldet waren, standen einsam in der riesigen Halle. Sie markierten den genauen Weg zum Heiligtum der Stadt. Jener Stadt, die ein einzigartiges Artefakt, einen Schatz, hütete. Beauftragt wurden sie einst von den Göttern persönlich, diesen Schatz aufzubewahren und ihn vor unheilvollen Menschen zu schützen, die ihm Schaden zufügen oder gar seine Macht ausnutzen könnten. Eben diese Geschichte stand auf den Säulen geschrieben, mit hervorragenden Zeichnungen dargestellt, die der Schatten gerade hinter sich ließ und er wusste, bald würde sich ein neues Ende dieser Geschichte finden lassen: Die Götter haben ihnen die ‚Träne’ wieder entrissen, da die Sünden der Menschen überhand genommen hatten. Oh, diese teuflischen Sachen! Alkohol, Fleischeslust – allein bei dem Gedanken an diese und weitere Dinge stieg Übelkeit in der Gestalt auf. Was war nur aus seinem Volk geworden? Reinigen sollte man es und das würde nur durch eine gutdurchdachte Lektion gelingen! Gleich hatte er sein Ziel erreicht. Hinter der schweren, vergoldeten Tür befand sich das Artefakt, das die Gestalt so sehr begehrte. Seine Hand spürte bereits den kalten Stahl der Klinke, als er erschrocken zusammenfuhr. „Halt! Wer seid Ihr?“ Laut schallten diese Worte durch die Halle, gefolgt von hastigen Schritten eines Mannes, der sich der Gestalt unaufhörlich näherte. Jetzt hatte man ihn doch entdeckt und das, wo er den Dienern doch aufgetragen hatte, in den Vorräumen zu bleiben und ihren Geist zu schulen in dem sie allein auf die Geräusche im Tempel lauschten und mit dem Gebäude eins werden, verschmelzen sollten. Sie sollten den Tempel in gewisser Weise von innen schützen. „Zeigt Euch mir!“, erklang die Stimme abermals fordernd, diesmal näher als zuvor. Doch ein Zittern in der Stimme blieb nicht aus. Sich zu voller, stattlicher Größe aufrichtend, ließ der Angesprochene von der Türklinke ab und wandte sich dem Fremden zu. Schlecht gelaunt musste dieser feststellen, dass es sich tatsächlich um einen seiner Tempeldiener handelte, der hier gerade ein Paradebeispiel für Ungehorsam darstellte. „Solltet Ihr nicht bei den anderen sein und Euren Geist trainieren?“, erklang seine helle, beinahe unmännliche Stimme und löste Erstaunen bei seinem Gegenüber aus, was ihn innerlich auflachen ließ. „Oh, der Hohepriester!“ Der Diener verneigte sich tief. „Ich hätte Euch zu so ungewohnter Stunde nicht hier erwartet. Ist etwas vorgefallen?“ Kurz sinnierte der Alte was er darauf antworten sollte und sein gescheiter Verstand schaltete schnell. „Ich habe etwas gesehen, mein junger Schüler.“ Neugierde stieg in dem jungen Mann auf, der sofort auf diese Anspielung ansprang. Wie berechnend! „Eine Vision? Eine Vorhersehung? Oh Hoher Priester, bitte sagt mir was Ihr gesehen habt! Ging es um die ...“ „Schht“, wurde das feurige Gemüt des Dieners zur Ruhe gezwungen, denn selbst im Tempel war es untersagt den Namen des Artefakts auszusprechen. Der lange, dürre Zeigefinger des Priesters ruhte auf seinen Lippen und ein verheißungsvolles Schweigen trat zwischen die beiden Männer. Nachdenklich strich der Ältere über sein langes Kinn. Im Halbdunkel des kargen Kerzenscheins wirkte er magisch, unheimlich, irgendwie nicht von dieser Welt. Sein schmales, eingefallenes Gesicht warf noch mehr Schatten, als es schon am Tage üblich war und die scharfen Augen glänzten wie Diamanten, die jeden Lichtstrahl in sich aufnahmen, um möglichst viel ihrer Schönheit preisgeben zu können. „Ich habe gesehen“, begann der Gottesdiener zu flüstern, „wie man SIE gestohlen hat und jetzt möchte ich sehen, ob SIE noch an ihrem Platz ist.“ Ein gespanntes Nicken seitens des Jüngeren folgte, der sogleich wusste, was ihn nun erwartete: Der Priester würde den Raum betreten und er, ein einfacher Diener, würde als erstes erfahren, ob SIE bereits gestohlen wurde oder noch an ihrem Platz verweilte. Sogleich wandte sich der Alte ab und berührte ein weiteres Mal die Klinke, um sich diesmal vollends Eintritt zu verschaffen. Geheimnisvoll lugte er durch einen kleinen Spalt und huschte anschließen hindurch, sodass sein neugieriger Schüler nichts vom dahinter liegenden Raum sehen konnte. Hinter sich schloss er die Tür und blickte freudig geradeaus. Da war sie, die ‚Träne des Meeres’. Zartes Mondlicht fiel durch ein kleines Fenster, das vom Stein reflektiert wurde. Ein gleißendes Licht ging von ihm aus, das dieses Heiligtum, einen reinen, strahlenden Saphir, gänzlich einhüllte. Gleich einem Kleinkind stieg ein Freudenfeuer im Priester auf, das mit jedem Schritt weiter aufloderte. Es versetzte ihn regelrecht in einen Trancezustand, der ihn seine Hand ausstrecken und nach dem Schatz greifen ließ. Endlich besaß er ihn. Nach jahrelanger Entbehrung und sorgfältiger Planung hielt er ihn in den Händen. Seine knochigen Finger umschlossen den etwa straußeneigroßen Edelstein und hoben ihn aus seinem goldenen Gestell. Der Triumph zeigte sich in seinen kantigen Gesichtszügen und einen Moment glaubte er sich als den Sieger. Lang sollte dieser Siegeszug jedoch nicht währen, denn sein Grinsen verebbte, als ein kräftiges Zittern, vom Boden ausgehend, seinen Körper durchzog. Ein Erdbeben? Rasch verstaute man die Kostbarkeit und rannte aus dem Raum, um den Dienern, die sich bereits versammelt hatten, zu verkünden: „Das Artefakt ist verschwunden! Der Dieb muss mit ihm soeben die Stadt verlassen haben!“ Ein Raunen ging durch die kleine Menge, die kurz darauf aus dem Tempel eilte, um den Wachen Bescheid zu geben. Mit ihnen verließ auch der Alte die heiligen Hallen. Den Saphir hatte er in seinem weiten Gewandt versteckt und hielt ihn dort in einer offenen Tasche verborgen. Jetzt musste alles schnell gehen. Er musste zu seinem Haus und den Stein verstecken, bevor man ihn noch bei dem Priester fand. Auf dem Vorplatz herrschte plötzlich reges Treiben. Wie aufgeschreckte Hühner liefen Diener wie Wachen wild durcheinander und Schlag auf Schlag gesellten sich auch die noch äußerst verschlafenen Bewohner dazu. Das wäre die perfekte Gelegenheit gewesen sich aus dem Staub zu machen, wenn nicht eine angsteinflößende Nachricht vom Aussichtsturm zu ihnen gedrungen wäre. „Das Wasser- es kommt immer näher! Das Meer steigt an!“ Markerschütterndes Schreien und Panik zog durch das Volk, das sich in diesem Moment an ihren obersten Hirten richtete, der sich in der Mitte aller befand und ungläubig einher sah. Da war der Zeitpunkt also dahin. Jetzt konnte er sich nicht mehr verkriechen, denn seine Schäfchen brauchten und verlangten nach ihm. „Die Götter sind erzürnt. Was sollen wir tun?“, richtete jemand nach kurzem Schweigen die Frage an ihn, was durch mehrfaches Wiederholen anderer nur bekräftigt wurde. Ruhe fordernd hob er die Hand. „Nicht wir tragen den Zorn auf unseren Schultern, sondern der elende Dieb, der nun auf der Flucht ist.“ Donner dröhnte in diesem Moment von Himmel herab und allein der Priester wusste diesen richtig zu deuteten, nutzte ihn allerdings zu seinen Gunsten. „Die Götter stimmen mir zu. Doch solltet auch ihr darüber nachdenken, welch frevelhaftes Verhalten ihr alle in den letzten Monaten und Jahren an den Tag gelegt habt. Betet nun, dass man euch verzeihe und der Zorn sich lege.“ Wie töricht von ihnen allen ihr Vertrauen in die Hände eines einzigen mächtigen Menschen zu legen. Selbst ihr König besaß nicht annähernd so viel Macht und Gunst wie ihr Hohepriester. Sich seines Sieges endgültig bewusst, war er gewillt den Kreis zu verlassen, während das Volk ehrfürchtig am Boden kauerte und ihre Gebete stammelte. Unter ihnen befanden sich die Mitglieder der königlichen Familie, die ebenso ihre Hoffnung auf den Priester legten, wie das einfache Gefolge. Auch sie knieten nun – zur Belustigung des Geistigen - im Staub und beteten für ihr Seelenheil. Zu sehr war der eigentliche Dieb damit beschäftigt, sich an den dummen, sinnlosen Belangen anderer zu erheitern, als dass er hätte bemerken können, wie sein Gewand sich verselbstständigte und der Saum sich mit seinem Fuß verhedderte. Ein ungeschicktes Straucheln ging dem Sturz voraus, der das Ende besiegeln sollte. Noch vor dem Fall löste sich der Stein aus seinem Versteck und rollte aus der Reichweite des Priesters, der ungläubig die Augen weitete. Sein Herz begann zu rasen und drohte zu zerspringen als die Königstochter aufmerksam wurde und den Blick von ihrem Gebet hob. Nur wenige Schritte entfernt rappelte sich der Priester wieder auf, der ihr seltsamerweise tötende Blicke zuwarf. Sogleich begriff sie dass etwas nicht stimmten konnte und sah sich rasch um. Vor ihr lag ein wunderschöner Saphir, welchen die ersten, sanften Strahlen des Tages berührten, die von schlagartig aufziehenden tiefschwarzen Wolken verschluckt wurden. Langsam bewegte sich ihre zarte Hand auf den Edelstein zu, doch der Alte kam ihr zuvor. „Er gehört mir“, raunte er dem rothaarigem Mädchen entgegen und riss den Stein an sich. „Ihr habt ihn gestohlen?! Ihr seid der Dieb!“, platze es voller Verwunderung aus ihr heraus und die Menge ließ die Gebete verebben. Blitz und Donner setzen augenblicklich ein und ein verheißungsvoller Sturm trug weitere Wolken mit sich. Nun galt der Zorn allein ihm. „Dieb!“ - „Betrüger!“ - „Niederstecken sollten wir ihn!“ –„Tod dem Priester!“ Grausame Flüche wurden dem einstig angesehensten Mann der Stadt entgegen geworfen, der Entschluss, ihn den Göttern zu opfern, war schnell gefasst. Ein grausames Blutopfer sollte die erzürnten Mächte milde stimmen. Die unbezähmbaren Menschenmassen stießen die junge Frau beiseite, die verzweifelt versucht hatte, den Geistigen zu schützen. Denn trotz seines Verbrechens galt es einen klaren Kopf zu bewahren, was in diesem Moment jedoch nur der Prinzessin bewusst zu sein schien. Der erste Hieb mit dem Schwert eines überwältigten Wächters ließ den Priester kopflos zu Boden gehen. Mehrmals setzte man dem leblosen Körper weitere Hiebe nach und das hasserfüllte Gelächter erfüllte den Platz. Noch ehe der tote Leib erkaltete, riss die Wolkendecke auf und mächtige Blitze fielen auf die Menschen hernieder. Das anfänglich eingesetzte Beben verstärkte sich rasch und der Boden zu ihren Füßen spaltete sich unzählige Male. Häuser, Türme, sogar die Boote – alles ging in Flammen auf oder stürzte zusammen und kreiste die Bewohner ein. Wer weder den Blitzen, den herabfallenden Trümmern noch dem Feuer erlag, sah schon wenig später seinen Untergang auf sich zukommen. Die Äußerung vom Aussichtsturm war nicht ganz die Richtige, denn nicht das Meer schwoll an, es war die Insel auf der sich die Stadt befand, die allmählich sank. Unaufhaltsam stiegen die Wassermassen an und binnen wenigen Augenblick fanden sich die Reste der einst blühenden Stadt auf dem Grund des riesigen Sees wieder. Das rettende Ufer erschien unerreichbar, schlugen die Wellen gefährlich hoch. So ward es selbst den besten Schwimmern unter ihnen untersagt, sich an Land zu retten und sie ertranken in unendlicher Qual und unzähligen Hilferufen. Nur eines heilt dem Zorn stand: Wie auf wundersamen, unsichtbaren Säulen stand der Tempel auf dem Wasser, an ihn geklammert rang die Königstochter um ihr Leben. „So sei es!“, dröhnte eine tiefe Stimme aus allen Richtungen zu ihr. „Du allein hast dich als würdig erwiesen, du allein sollst weiter leben. Bewache den Tempel und hüte in ihm die ‚Träne des Meeres’. Niemals mehr soll ein menschliches Wesen ihn berühren ohne das Schicksal deines Volkes zu teilen.“ Mit dem Verhallen der donnernden Stimme sank auch der Tempel. Mit sich riss er die schöne rothaarige Königstochter, die seither die Menschen vom heiligen Stein fern hielt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)