Kill me, Love me
Kapitel 1
Mein dunkles Haar weht im kühlen Nachtwind, umspielt mein Gesicht während ich wie so oft in den dunklen Nachthimmel blicke, die Zeit einfach verstreichen lasse, bis sich mein Warten gelohnt hat.
Ich stoße mich vom Geländer des Hotels ab, gehe normalen Tempos über den Flur, folge dem Mann, der soeben an mir vorbeigegangen ist.
Keine Gedanken, keine Reaktion, als ich schneller werde, meinen Revolver auf seinen Hinterkopf richte und einfach abdrücke.
Schalldämpfer.
Es wirkt nicht real, was ich sehe, wie der Mistkerl zeitlupenartig zu Boden geht und doch nur Bruchteile einer Sekunde braucht, um tot vor mir zusammen zu brechen.
Und ich renne. Renne um mein eigenes Leben, das ich so sehr verabscheue…
Schleichend, wie eine Raubkatze, bewege ich mich in der menschengefüllten Stadt fort, verstecke mein Gesicht hinter langem Haar und einer Sonnenbrille. Selbstschutz.
Das Einzige, das mich rettet, die Anonymität, die hier herrscht und mein Revolver, den ich immer bei mir trage. Ein Handwerker hat schließlich auch immer seinen Kasten bei sich.
Welch ein Vergleich.
Immer wieder sehe ich mich um, ob mir auch niemand folgt, als ich unbemerkt in die kleinen Seitengassen des Stadt verschwinde, immer wieder an meiner Zigarette ziehe. All das hat mich in die Sucht getrieben, ist mittlerweile das einzige, das mich irgendwie beruhigen kann. Kurz bevor ich an meinem Ziel ankomme, nehme ich einen letzten kräftigen Zug meiner Mild Seven Light, inhaliere das gasförmige Gift, das ich durch meine Lungen gefiltert wieder dem strahlend blauem Himmel entgegen puste. Den Filter schnippe ich einfach weg, bewege mich endlich auf das Gebäude zu.
Nur keine Angst zeigen. Dies wäre in diesem Milieu fatal.
Und so schreite ich durch den langen Korridor, dessen Wandfarbe abgesplittert ist und dessen Boden aus unzähligen, zerbrochenen Fließen und Dreck besteht.
Ein widerlicher Ort, den ich dennoch immer wieder aufsuchen muss.
Am Ende des Ganges befindet sich eine imposante, durch unzählige Schnitzereien geschmückte Eichenholztür, die einfach nicht in das Bild passen will, den völligen Kontrast zu der Außenfassade des Hauses und des Flurs bildet.
Ohne Anklopfen trete ich hinein, lasse mich nicht mehr von den teuren Gemälden an den Wänden und den reich dekorierten Möbeln beeindrucken, gehe geradewegs auf den Mann zu, der an seinem Schreibtisch sitzt, mich erwartend mit einem Lächeln begrüßt.
Ich verachte diesen Bastard und er weiß das und dennoch hat er mich in der Hand. Keine begrüßenden Worte, keine Gesten meinerseits.
Abwartend bleibe ich einfach vor ihm stehen. Er weiß, warum ich hier bin. Gerede wäre überflüssig, jedes noch so kleine Wort zu viel.
Und dieser verdammte Mistkerl grinst mich weiter an ohne etwas zu sagen. Am liebsten würde ich ihm den Hals umdrehen, ihm meine Waffe an die Kehle drücken, aber damit würde ich mir ins eigene Fleisch schneiden.
Ich brauche ihn. Ich bin abhängig. Ich verabscheue es zutiefst und dennoch kann ich nichts tun, um dies zu ändern. Viel zu tief stecke ich in der Sache drin und so leicht kommt man aus dieser nicht mehr heraus und schon gar nicht lebendig.
Noch immer warte ich darauf, dass er mir endlich meinen neuen Auftrag erteilt und ich endlich hier verschwinden kann. Weg von dem Mann, der mich kontrolliert, mich besitzt.
Endlich rührt er sich, sieht mich weiter mit diesem widerlichen Lächeln auf seinen rauen, kaputten Lippen an, als er mir das Geld für den letzten erfüllten Auftrag und ein neues Foto rüberschiebt. Sofort nehme ich beides an mich, verstaue die Geldscheine in der Innentasche meiner Jacke, während ich das Foto genauer mustere, so wie ich es jedes Mal tue, um mir das Gesicht genau einprägen zu können.
Doch dieses Mal erwartet mich etwas anderes, als ich es gewohnt bin.
Kein Mann mittleren Alters, der krampfhaft lächelt während er in einem teuren Markenanzug steckt.
Nein… ein schüchtern lächelndes Gesicht begegnet mir, blondierte Haarsträhnen bedecken seine dunklen Augen, Piercings durchstoßen seine schönen, roten Lippen. Er wird doch niemals älter als 16 sein!
Dennoch zeige ich keinerlei Reaktionen, drehe das Foto in meiner Hand einfach um und überfliege die Daten, die mein Auftraggeber für mich zusammengefasst hat.
Geburtstag, Name, Wohnort… 21!
Mehr brauche ich nicht. Eigentlich bräuchte ich noch nicht einmal einen Namen. Keine Geburtsdaten, aber ich will wissen, wem ich die Pistole an den Schädel drücke. Nochmals wende ich das bedruckte Papier. Ich kann einfach nicht glauben, dass er zu den 'Bösen' gehören soll. Sein schüchternes Lächeln wirkt dafür einfach zu ehrlich…
"Was hat er getan?"
Zum ersten Mal erhebe ich meine Stimme, sehe den Mann vor mir an, ernte ein kehliges, raues Lachen seinerseits. Ich hasse ihn, verachte diesen gottlosen Bastard!
"Was soll er schon getan haben? Du weißt, was für Kerle du für mich aus dem Weg räumen sollst."
Ja, das weiß ich, immerhin hänge ich seit ganzen drei Jahren in dieser Scheiße drin. Ich weiß, dass ich nicht mehr aus ihm herausbekommen werde, muss ihm Glauben schenken, dass er meine Prinzipien achtet, diese nicht verrät.
Anders als andere Auftragskiller habe ich welche: Ich lege keine Unschuldigen um! Die Leute, die durch meine Hand, meine Waffe sterben sind Verbrecher, die ihre Machenschaften ohne Rücksicht auf Verluste im Verborgenen ausleben. Betrüger, die andere um ihren Besitz bringen. Sie ans Ende treiben. Machtbesessene Egoisten, die andere umbringen lassen, um mehr Profit zu erzielen…
Auf dieselbe feige Art, wie es mein Auftraggeber tut. Mich bezahlt, um andere aus dem Weg zu schaffen…
Und dennoch tue ich es, werde es tun. Es ist nicht schade um sie und um die letzten Unschuldigen, die ich liebe zu retten, nehme ich alles in Kauf.
Es geht nicht anders.
Abhängigkeit. Mord. Teufelskreis.
Abschätzend sehe ich den Mann in seinem teuren Pelzmantel an, ehe ich einen letzten Blick auf das Foto werfe, es in der Tasche meiner Jeansjacke verschwinden lasse. Ich drehe mich einfach um, setze meine Sonnebrille erneut auf und gehe zurück zu der großen Eichenholztür. Was bleibt mir anderes übrig?
Sogleich da ich seine tiefe Stimme hinter mir vernehme, bleibe ich stehen, starre auf die Holztür. Was ist denn noch?
"Kaoru? Ich will ihn lebendig."
Ich verharre einige Momente, ehe ich meinen Weg einfach fortsetze, erneut den hässlichen Korridor entlang streife, bis ich wieder an der frischen Luft stehe. Doch anstatt den in der Luft liegenden Sauerstoff in meine Lungen zu lassen, findet schon wieder eine Kippe den Weg zwischen meine Lippen. Ich hasse diese verdammte Abhängigkeit. Ich hasse sie…
Ich hasse es, dass das Schwein meinen Namen kennt und dennoch werde ich es so hinnehmen müssen.
Ich kann es nicht ändern. Ich kann keine Entscheidungen treffen, wenn sie mir abgenommen werden ohne etwas tun zu können. Und nun werde auch ich dir deine Entscheidung 'Leben oder Tod' abnehmen, Nishimura Tooru…