Des Räubers Melodie von abgemeldet (Die Liebesgeschichte zweier Menschen, deren Leben sich auf dem gemeinsamen Weg vereinen.) ================================================================================ Prolog: Anekdote ---------------- Es existiert eine ganz bestimmte Folge von Noten und Tönen. Viele Musiker und Barden benutzen sie in vielen Liedern, ohne deren Ursprung zu wissen. Manche sagen sie stammt aus dem gierigen Adel, der mit diesem Musikstück feiert, wenn er eine arme Bauernfamilie um deren Reichtum gebracht hatte. Wiederrum Andere glauben es ist eine Melodie der Kirche eines kleinen Dorfes gewesen, in dem die Geistlichen die gutgläubigen, christlichen Bürger um jedes hart verdientes Geldstück brachten. Nun, dies sind alles Gerüchte und Sagen, doch der Grundgedanke ist bei jeder der Selbe. Es erklingt Musik und es wird gestohlen. Es folgt die Geschichte, wie stehlen und musizieren ihre Wege kreuzten, um den Weg dann gemeinsam zu laufen. Und vielleicht könnte dies ja der Ursprung von des Räuber's Melodie sein..? Kapitel 1: Traumdeutung ----------------------- Die Musik findet ihren Ursprung in einem kleinen Dorf am Rande des Waldes. Die Menschen leben dort schon seit vielen Generationen und als ihre Gemeinde wuchs und wuchs holzten sie nicht den nahe gelegenen Wald ab, nein, sie bauten in ihn hinein. Durch manche dieser Fenster der „Waldbewohner“ konnte man schlafende Tiere beobachten, wenn man selber eigentlich schon im Reich der Träume wandern sollte. Dieses Umweltbewusstsein äußerte sich in klarer Luft, sauberem Wasser und scheuen Waldtieren, die sich ab und an auf die unbefestigten Wege ins Stadtinnere trauten. Und wenn dieses Dorf auch wenig zu bieten hat existiert dort ein Zauber. Dieser Zauber zog Menschen an, wie Motten vom Licht. Diese Menschen blieben oft tagelang, einige blieben ganz. Sie brachten Freunde, Familie, Arbeitskräfte. Dieser Zauber existiert erst seit einigen Jahren. Sein Name ist Silvester und er ist die Musik. Er ist eine sehr ruhige Person. Niemals rebellisch, sanft, liebevoll. Er liebt die Aufmerksamkeit, die er bekommt, wenn er Töne spielt. Das war der Grund warum er es gelernt hat. Alles fing an mit einer Flöte. Es folgte die Laute, das Klavier, die Harfe. Er lernt jedes Instrument zu spielen, das man ihm anvertraut. Die Meisten sogar gleichzeitig und mehrmals am Tag. Wenn er spielt, dann vergisst er einen Moment lang seine Umgebung. Und wenn er dann die Augen öffnet und die glücklichen Gesichter sieht, die seine Musik bewundern, dann wallt ein Glücksgefühl durch seinen ganzen Körper, wie eine Flutwelle über ein Reisfeld. Er ist keine sehr sportliche Person, für die Feldarbeit war er zu schwach und für Frauenarbeit zu grobmotorisch. Am Ende hatte er nichts zu tun außer den Anderen dabei zuzusehen, wie sie ihr Leben leben. Und es fing an mit einer Flöte. Noch fünf Tage bis zu Ihrer Ankunft. Es ist Frühling. Der sanfte Wind trägt die verschiedensten Düfte und Geräusche über die Felder, an frischen Blumen und Nestern vorbei, über die unbefestigten Waldwege bis auf seine Wangen. Das sanfte ding – ding – ding der Windspiele mischt sich mit den Geräuschen das Waldes zur Symphonie des Dorfes. Und deren ersten Bewohner wachen auf, bevor die Sonne selbst ihre ersten Strahlen preis gibt. Der erste ist der Bäcker. Er ist schon wach, bevor die nachtaktiven Tiere sich zum schlafen einen sicheren Ort suchen und verarbeitet Mehl und Hefe zusammen mit seinen hübschen Töchtern zu Gebäck und Süßspeisen. Die nicht später folgenden sind die beiden Farmer Familien. Der Getreide Farmer ist häufig der erste der wach ist. Er weckt seine Familie und trabt dann fröhlich pfeifend ein paar Schritte bis zum Tier Farmer und weckt diese dann mit Klopfen auf. Der Hahn, der das übernehmen sollte ist leider vor ein paar Monden gestorben. Seitdem züchtet der alte Dough ein Küken nach dem Anderen. Bisher allerdings nur Hennen. Doch die neusten Eier scheinen viel versprechend zu sein. Die letzten derer, die vor dem Sonnenaufgang aufstehen bilden dann die alten Dorfdamen. Ihre Gewohnheit lässt sie aufstehen, zum Brunnen laufen, Wasser schöpfen, Fegen – bis auch der Rest des Dorfes die Augen aufschlägt. Und der Letzte des Tages ist Silvester. Er liebt es zu schlafen. Und ihn kann Niemand wecken, weil keiner genau weiß wo er schläft. Die Sonne steht schon eine Stunde am Himmel, wandert langsam immer weiter nach oben und taucht den nachtschwarzen Himmel in ein helles, strahlendes Blau. Vögel zwitschern und flirten, flattern und spielen. Eichhörnchen quietschen, sammeln Nüsse, rascheln in den Baumkronen und spielen. Der junge Mann schläft noch tief und fest. Träumt von Abenteuern, bunten Blumen, Musik. Er hat ein Lächeln auf dem Gesicht und die Sonne wandert langsam seinen Torso an nach oben. Noch wärmt sie einen Hals, sein Kinn. Der Baum kann der Sonne nicht lange Stand geben, sie sickert durch seine Krone. Und dann steht sie ihm genau im Gesicht. Seine Miene verzieht sich, wirkt gequält und dann öffnet er träge seine Augen für den Sonnenschein. Drei Sekunden lang sieht er nichts. Diese Zeit nutzt er um seine Muskeln zu strecken. Er wirft die Arme nach Oben, drückt sie und seinen Rücken durch. Sein herzhaftes Gähnen verscheucht die neugierigen Tiere, die sich, als er noch geschlafen hat, um ihn gesammelt hatten. Als er die Augen wie öffnet hatte er keine Ahnung, das bis gerade noch ein Reh an seinen Füßen lag und schlief. Eine hastige Kopfbewegung bringt sein Haar in Wallung und seine Gedanken an seinen Traum aus seinem Bewusstsein. Mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht blinzelt er nach oben in das dichte Grün der Baumkronen, durch die wie etwas Heiliges das Sonnenschein nur schwer hindurch auf den kalten Waldboden gelangt. Das ding – ding - ding der Windspiele erreicht ihn, zusammen mit dem Duft nach Lilien und Rosen. Und wenn er es nicht besser wüsste, dann hätte er schwören können darin schwang eine leise Stimme mit die rief: „Es kommt ein Abenteuer, ein Abenteuer.“ Kapitel 2: kleines Glühen ------------------------- Musik ist universell. Jeder versteht sie. Musik muss man nicht übersetzen. Wenn Sprache und Gestik nicht mehr weiter hilft, dann probiere es mit ihr. Es verbleiben noch vier Tage, bis Sie in sein Leben tritt. Der Morgen ist die einzige Konstante in seinem Leben. Er wacht von der Sonne oder den Tieren geweckt dort auf, wo er gestern eingeschlafen ist. Dann wird er erst einmal langsam wach, streck sich und sammelt sein Hab und Gut vom Boden oder schultert seinen Rucksack. Die nächste Konstante ist ein Bad. Es ging genug Wasser in seinem Dorf. Syrea’s Grenze bildet der Fluss „Elva“, der seine Quelle in dem großen Gebirge „Bernaj“ im Nordwesten findet. Der große Fluss teilt sich vor den großen Grasgebieten in zwei kleinere, verläuft so getrennt eine weite Strecke und vereint sich dann später wieder zu seiner Ursprünglichen Größe. Und auf diese „Insel“ hat sich der Vater des heutigen Dorfältesten niedergelassen und mit seiner kleinen Familie ein Dorf gegründet. Zusätzlich zu diesem Fluss jedoch kommen noch viele kleine Bäche und See’n, die alle von den gewaltigen Wassermassen der Elva gespeist werden. Und die zwei Brunnen, der große auf dem Dorfplatz und der kleinere beim Haus des Fischers und des Holzfällers etwas Abseits an der Ost-Brücke. Doch am liebsten wäscht er sich am Wasserfall. Dieser ist Künstlich. Die erste in dem Dorf geborene Generation war viel im Wald und den kleineren Gebirgen unterwegs. Diese kleinen Gebirge sahen neben dem Bernaj allerdings wie Hügel aus. Dort fanden sie einen kleinen Fluss, nach langer Suche und in Begleitung eines Erwachsenen folgten sie diesem, bis sie zu dessen Quelle kamen, der Ur-Elva direkt aus dem Gebirge. Da der kleine Fluss zu weit weg vom Dorf verlief ließen die Kleinen sich etwas einfallen. Mit Schaufel und Steinen bauten sie einen künstlichen Flusslauf und verstopften den natürlichen wie ein Biber mit einem Damm. So umgeleitet rauschte das Wasser nun einen kleinen Hang hinunter in ein künstliches Loch, dann weiter Südöstlich, bis er sich mit der wiedervereinten Elva traf und in diesen letztendlich fließt. Zu Überraschung aller war dies erfolgreich und nach einigen Wochen floss das Wasser glasklar den neuen Weg. Und ein Wasserfall war geschaffen. Den Dörflern ist die Schönheit allerdings verwehrt, da diese viel zu viel zu tun haben, als im Wald erkunden zu gehen und zu suchen, was sich dort alles Sehenswertes verbirgt. Schließlich ist der Wasserfall auch weit weg vom Dorfplatz, dem Zentralen Punkt in den Leben vieler Dorf- und Waldbewohner. Früh morgens braucht er Wasser. Nicht zum trinken, auf seiner Haut. Nach dem aufstehen fühlt er sich immer verkrampft, dreckig, taub. Wasser ist einfach klar, kalt, belebend auf seiner müden Haut. Es scheint als dringe es durch seine Haut und wäscht all die unangenehmen Gefühle einfach hinaus. Es bleibt einfach im Wasser zurück. Normalerweise verläuft sein morgen träge. Mit noch müden Augen geht er ins Wasser und genauso müde aber um einiges frischer kommt er auch aus diesem heraus. Dann zieht er sich an, sammelt seine Sacher vom Boden und wandert Richtung Dorfplatz. Nicht heute. Das Wasser war genauso erfrischend. Bis zur Nasenspitze ist er darin. Seine Haarspitzen saugen sich wie ein Schwamm langsam voll Wasser, aus seinem Mund kommen lebhafte Bläschen, die bis zur Oberfläche tanzen und um ihn herum stimmen verschiedene Vögel zu ihrem Lied an. Er war ungewöhnlich müde an diesem Tag, vielleicht ist es deswegen passiert. Aber als er dann wieder an das Ufer schwimmt, sich aus dem Wasser hievt und solches in Bächen an ihm herunter läuft, da fällt es ihm auf. Wohin sind seine Klamotten? Helles Lachen wie Glockenschläge, Kichern und rascheln, kleine tapsige Schritte. Seine Verwunderung schlägt jedoch nicht in Wut um, eher in eine Art… Belustigung. Die Kleinen sind schon niedlich. Aber dennoch nicht besonders angenehm, klitschnass ohne Kleidung im sanften Wind. Wohlig seufzend lässt er sich wieder zurück in das Wasser gleiten. Dann wartet er eben, bis den Kindern langweilig wird. Oder sie mit seinen Klamotten davon laufen. Kapitel 3: Sonnenwende ---------------------- Der heutige Tag ist Stress. Alles muss schnell gehen, es wird geschrien, angewiesen, geschmückt, die Kinder werden unruhig. "Silvester" hat sie gesagt, "Geh doch mit den Kleinen etwas in den Wald." Dann hat sie eine Kette an die Wand gehoben und ihr Mann klopfte die beiden Enden mit einem Nagel fest. "Sie stehen uns hier nur im Weg und weinen, weil ihnen langweilig ist." Sie stehen im Weg. Er auch. Also müssen sie weg. "Pass mir gut auf sie auf, Silvester!" ermahnte die mütterliche Stimme. "Dass mir keiner verletzt wird!" "Ist okay, Granny", hat er geantwortet. "Ich gehe mit ihnen schwimmen." Nur noch eine Nacht übrig, bis sie eintrifft. Plitsch. Plitsch. Helles Kinderlachen. Platsch. Irgendwas kitzelt an seiner Nase. Blubber. Plitsch. Kichern, das Rascheln von Blättern. Müde zwingt der junge Mann seine hellen Augen auf. Er kann sie nicht fokusieren, alles ist verschwommen, sie flirren wild umher. Seufzend reibt er mit dem rechten Ärmel seines Pullovers über sein Auge. Zweimal blinzeln. Im See (schrägstrich Wasserfall) tobten drei Kinder, spritzen sich nass oder drücken sich gegenseitig unter Wasser, tauchen oder paddeln. Sein Blick fällt auf das Gras am Ufer. Kleidung lag dort verteilt, von Schuhen zu Hosen, sogar ein Hut war dabei. Es war Kleidung für mindestens sieben Kinder. Wo waren nur die anderen Racker hin? Mit tauben Knochen richtet Silvester sich auf, streckt seinen Rücken durch und lauscht seinen Knochen beim Knacken. Wohlig seufzt er, dann streckt er die Arme von sich und lässt seine Füße ins Wasser gleiten. Als er bis zu den Knien im Wasser steht setzt er sich an das Ufer und wedelt mit der Hand einem Mädchen ein Blatt über die Wasseroberfläche zu. Ihn stört es kaum, dass ein paar Kinder fehlen. Er war nicht so übervorsichtig wie deren Eltern. Und kaum wollte er sich mit dem Rücken wieder auf das Gras legen und zu den Blätterdächern schauen, da spürt er ein Gewicht auf seinen Schultern und Armen. "Siilvie." Das plötzliche Gewicht hätte ihn fast vorwärts ins Wasser befördert. "Spiel was!" Kichern. Lachen. "Spielen! Spielen!" Ziehen. Lachen. Er lässt es über sich ergehen, lächelnd. Man drückt ihm eine Flöte in die Hand. Lächeln. Sanfte Töne erklingen. Platsch. Duck. Blubber. Wie Wellen im Gras flackert das Licht, das durch die Baumkronen rinnt. Es windet sich, springt, spielt. Ein Vogel entschied sich dazu sein eigenes Lied zu dem seinen erklingen zu lassen. Eine Zeit lang existieren nur der Vogel und er. Dann ertönt eine Sirene so grell, dass der Vogel verängstigt mit seinen Flügeln flattert, kreischt und flüchtet. Mit einem kurzen Blick in das Blätterdach erkennt er, dass die Sonne recht schwach geworden ist. Er nimmt die Flöte von seinem Mund und legt sie neben sich in das Gras. "Kommt ihr kleinen Mäuse. Anziehn!" Ein Kind nach dem anderen steigt aus dem Wasser, trocknet sich mit demselben Handtuch - Silvesters Handtuch, eigentlich zu groß für die Kinder - ab und zieht dann die eigenen Klamotten wieder an. Ein Kind hatte am Ende die falschen Hosen genommen, aber das wurde lachend wieder richtig gestellt. Als sie wieder im Dorf ankahmen, war alles geschmückt, es duftete nach Brot und Leckereien und es dröhnte aus dem großen, weißen - etwas dreckigem - Zelt eine laute Musik. Natürlich zog diese ihn zuerst an. - - - - - - - Gwyneth's Sichtweise- - - - - - Es könnte ein wunderschöner Tag sein. Der Frühling traf allmählich die Entscheidung, in den Sommer überzugehen, somit war das üppige Grün rings um sie herum noch voller bunter Farbkleckse, als hätte ein Maler wahllos herumgespritzt – nicht dass einer auf die Idee käme, Farbe war teuer – die im schemenhaft durchsickernden, goldenen Licht leuchteten, während die Bäume sich arge Mühe gaben, die schlimmste Mittaghitze auszusperren. Die Vögel verbreiteten gute Laune. In der Tat – ein wunderschöner Tag. Zumindest, wenn sie Wälder nicht hassen würde, einen Sinn für Natur hätte und nicht gerade auf der Flucht wäre. Da das aber der Fall war, interessierte sich Gwyneth Sterngesang recht wenig für ihre Umgebung, fluchte höchstens mal in nicht gerade damenhaften Zungen, wenn sie mal wieder über eine Wurzel stolperte. Das einzige Interesse, das sie dieser Gegend entgegen brachte, war ein solches, dass sie so langsam in solche kam, in denen sie Städten und Dörfern nicht mehr auf zehn Meilen aus dem Weg gehen musste. Gut so. Sie war ein Stadtkind, schon immer gewesen. Auch wenn die meisten anderen Leuten sie rein instinktiv als Naturwesen einstuften. Ihre spitzen Ohren waren wohl auch kaum dazu geeignet, die Leute vom Gegenteil zu überzeugen. Darum verbarg sie sie für gewöhnlich unter dem langen, schneefarbenen Haar. Nein, die hübsche, blutäugige Halbelfe war keinesfalls eine unauffällige Erscheinung – sah man davon ab, dass sie neben fast jedem – wenn es nicht gerade ein Zwerg oder Halbling oder so etwas war – mindestens zwei Handbreiten kleiner war, mit ihren knapp 55 Zoll [~140 cm]. Was ihren Beruf nun auch alles andere als einfacher machte. Eine Diebin, die ein leicht zu merkendes Gesicht hatte, überlebte nicht sehr lange – oder war rasch zu einer Meisterin geworden, die dem König Auvens selbst aufs Dach gestiegen war – oder eher in die Schatzkammer. Ihr Köpfchen war jetzt eine recht stattliche Summe wert – war es doch nur ein Bruchteil dessen, was das hübsche Kind erbeutet hatte. Oder angeblich erbeutet hatte. Sie vermutete, dass an Hofe einiges unterschlagen worden war und ihr ebenfalls angehängt wurde. Aber es war dennoch genug, dass sie, würde sie ihre Freiheit nicht so sehr lieben, sich davon bequem irgendwo zur Ruhe setzen konnte. Dennoch, sie kannte ihren Lebensstil, und war realistisch genug, um zu wissen, dass sie damit vielleicht einen Sonnenzyklus, ein wenig länger über die Runden kommen mochte. Gut über die Runden. Im Moment jedenfalls war noch mehr als genug davon vorhanden, um mit einem nicht unerheblichen Gewicht die ausgefranste Umhängetasche auf ihre Schulter zu drücken. Sie war abgesehen davon leer. Ihr Handwerkszeug hatte sie bei der Flucht zurücklassen müssen – schade eigentlich, es war gutes Material gewesen – und seit sie das letzte Mal dazu gekommen war, vernünftig zu essen, waren auch schon der ein oder andere Tag ins Land gezogen. Gwin war müde, auch wenn der Tag an sich noch jung war. Der Tag selbst war ja auch noch nicht fast einen ganzen Mondzyklus durch Felder und Wald und Wiesen auf der Flucht. Das hatte kein Stück Romantik, wie man vielleicht glauben mochte, es war lediglich ermüdend und nervenaufreibend. Als hätte etwas auf die angespannte Laune des jungen Halbbluts reagiert (das so jung auch wieder nicht war; sie mochte aussehen wie siebzehn, achtzehn Zyklen, hatte aber das doppelte davon hinter sich), begannen sich die Bäume nach und nach zu lichten. Gut. Wenn sie noch einen einzigen Umlauf lang Bäume statt Häusern sah, würde sie den Verstand verlieren. Denn wenngleich nur sacht, so litt Gwin doch an einer Art umgedrehter Klaustrophobie – sie hasste Orte wirklich, die keine Mauern hatten. Doch, in der Tat. Rauch über den Kronen. Wurde auch langsam mal Zeit. Wo war sie eigentlich mittlerweile gelandet? Sie hatte, und das waren ihre eigenen Worte, den Orientierungssinn von trocken Brot. Das man ein paar Mal schnell im Kreis gedreht hatte. Und in völliger Dunkelheit lag. Wahrscheinlich war sie nicht mal mehr in Auven – vielleicht Lysia. Ihre geographischen Kenntnisse waren ebenso bescheiden. Sie glaubte zwar, dass Lysia das Nachbarland von Auven war, aber es konnte genauso gut auf dem anderen Ende des Kontinentes liegen. Wenigstens war sie nicht im Meer gelandet, das ihre Heimat von Norden, Westen und Süden umschloss. Wie auch immer, sie hätte kaum ein Problem damit, das Reich verlassen zu haben. Sie hatte nämlich recht wenig Interesse daran, aus erster Hand herauszufinden, wie so ein Galgen funktionierte. Oder ähnliches. Aus einem unerfindlichen Grunde hing die Diebin doch sehr an ihrem Leben. Es war nicht so, als hätte sie eine Diebin werden wollen. Aber Frauen waren zu dieser Zeit ohnehin kaum geachtet, war man nun auch noch ein Mischling und ein uneheliches Kind, wurde man regelrecht zu einem unehrlichen Beruf gezwungen. Den elfischen Vater hatte sie nie kennen gelernt, die Mutter war auf offener Straße gesteinigt worden – Spitzohrhure. Sie konnte von Glück sagen, dass sie überhaupt ihr zehntes Lebensjahr erreicht hatte. Endlich gab der Wald den Blick auf die ersten Häuser frei. Sie seufzte leise erleichtert auf, ihre Schritte wurden wieder ein wenig rascher, gewannen für den Moment ihr übliches leichtes Tänzeln zurück. Menschliche Nähe. Auch wenn die meisten Menschen dem schönen Halbblut nicht über den Weg trauten, und sie konnte es ihnen kaum verübeln, so fühlte sie sich doch bei ihnen wesentlich wohler als bei… Eulen und Lerchen und Füchsen und Bäumen und Büschen und… Bildete sie sich das ein, oder war das Musik? Irgendetwas hier war komisch, irgendetwas hier irritierte sie. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, was genau das war. Die Abwesenheit von anderen. Das offensichtliche Fehlen des Alltagslebens. Die Albinohalbelfe sah keine Menschen zwischen den Häusern umgehen, sie sah niemanden arbeiten, hörte nicht das Hämmern von Äxten auf Holz, hörte kein Rufen, kein Lachen. Nein, halt – das war falsch. Letzteres hörte sie sehr wohl, wenn auch erst einen Augenblick später. Und es war nicht das, was sie erwartet hatte. Kinderstimmen. Ganz ausschließlich Kinder. Sie hatte noch kaum einen Fuß in diesen Ort gesetzt und schon irritierte er sie. Entweder etwas stimmte hier nicht, oder sie litt unter Wahnvorstellungen. Was gar nicht mal so unwahrscheinlich wäre, wenn man die Ereignisse der letzten Zeit betrachtete. Wahrscheinlich gab es dazu eine ganz einfache, völlig natürliche Erklärung, nicht wahr? Nun, so oder so. Wo Kinder waren, würden früher oder später auch Erwachsene sein. Es war…still. Nicht auf die Weise still, die sie erwartet hätte. Ihr fehlten irgendwie die… Alltagsgeräusche. Menschen, die über die Straßen liefen und sich dabei unterhielten. Das gleichmäßige Hämmern des Dorfschmiedes auf heißem Metall. Das Sägen von Holz. Lachen. Sie sah auch niemanden arbeiten oder einfach nur umhergehen. Es fiel Gwyn zugegeben nicht sofort auf, aber sobald sie es erst einmal bemerkte, störte es sie. Gewaltig. Die kleine Albino hielt inne, als sie zwischen den ersten Häusern ankam und legte den Kopf in den Nacken. Von einigen Schornsteinen schienen sich Rauchfahnen hoch zu kräuseln. Also wohl doch keine aufgegebene kleine Siedlung, von denen es auch viele gab. Das wäre bei ihrem Glück ja durchaus möglich gewesen. Und auch so… war es nun wirklich befremdlich genug. Warum war denn hier draußen keine Seele zu sehen? Sie konnte ja schlecht in irgendein Haus reinplatzen… na gut, in Ordnung, dumme Aussage. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie irgendwo eingestiegen wäre. Aber dazu bestand im Moment keine Notwendigkeit. Sie wollte einen Platz zum Schlafen, nicht schon wieder einen überstürzten – und nicht freiwilligen – Abgang. Nein, halt – sie hatte etwas gehört. Kinderstimmen. Lachen. Vielleicht ein halbes Dutzend, vielleicht auch mehr. Und weiter entfernt, fast nur ein leises Hintergrundgeräusch, wieder diese Musik. Fast wäre Gwyneth versucht zu glauben, dass diese sanfte Melodie nur in ihrem Kopf ertönte… allerdings sprach dagegen, dass sie sich nicht erinnern konnte, sie schon jemals gehört zu haben. Sie hatte ihr Leben in Städten – oder darunter – verbracht, Dorfweisen waren ihr unbekannt. Mit einem leisen Seufzen verlagerte sie die schwere Tasche auf die andere Schulter. Sie hatte wenig Lust, nun auch noch die Dorfbewohner zu suchen, aber etwas Anderes blieb ihr ja wohl doch nicht übrig. Also zwang sich die hübsche Diebin wieder in Bewegung, auf die Kinderstimmen zu. Gwyneth brauchte die Kinder nicht suchen. Sie fanden sie ganz von allein Kichern, ein gegenseitig Anstoßen und auf sie Zeigen. Das größte der Kinder, ein Junge von vielleicht zehn Sommern, war schon beinah so groß wie sie selbst. Es fiel ihr schwer, ihr sonst so sicher zu ihr gehörendes Lächeln zu behalten. Die meisten Leute reagierten ein wenig merkwürdig auf das ungewöhnliche Aussehen der hübschen Albinohalbelfe. Aber Kinder… nun, die waren immer ein Sonderfall. Schließlich tappte ein kleines Mädchen vor. Sie mochte 5 oder auch 6 sein, ihr blondes Haar schien noch nie geschnitten worden zu sein. Später einmal würde sie sie sicher hübsch sein – keine herzensbrechende Schönheit, aber durchaus ansehnlich. Vor allem, wenn der lange, blutige Kratzer über ihrer linken Wange verschwunden war. „Schiescht komisch ausch“, stellte die Kleine dann nuschelnd fest. Gwyn musste sich anstrengen, um sie zu verstehen, also kniete sie sich kurzerhand vor ihr hin – und war jetzt ungefähr auf derselben Höhe wie das Kind, wenn nicht niedriger. Sie hasste es manchmal wirklich, so klein zu sein. Besagtes Kind nahm dies kurzerhand zum Anlass, eine der weißen Strähnen in die Hand zu nehmen und daran herumzuziehen. Gwyn zuckte kurz, sagte aber nichts dazu. In der Hoffnung, dass sie dann schon von allein das Interesse verlor. „Wie heißt du, Kleines?“ Sie ignorierte die anderen Kinder und konzentrierte sich nur auf dieses eine. Auf diese Weise würde sie am ehesten Antworten kriegen. Wenn die anderen etwas zu sagen hatten, würden sie sich schon melden. Das Blondchen warf einen kurzen Blick zurück, dann wandte sie sich wieder der Halbelfe zu. In den grauen Augen leuchtete Faszination. „Leah.“ „Ein hübscher Name. Ich bin Gwyn. Kannst du mir bei etwas helfen, Leah?“ Die hingegen hatte etwas Anderes, Interessanteres entdeckt und schob ohne nachzufragen die Haare der Frau zur Seite. „Spitzohr.“ Geduldig nickte sie. „Fee?“ „Keine Fee. Elfe. Aber auch nur zum Teil.“ Sie stockte und schloß kurz die Augen, lauschte. „Hört ihr die Musik auch?“ „’sch Schilvie.“ Leahs Tonfall war ein wenig selbstgefällig, als wollte sie fragen, warum sie etwas so Selbstverständliches nicht wusste. Gwyneth mochte diesen Ton nicht. Sie hatte ihn zu oft gehört. Meistens war er mit Schwierigkeiten verbunden. „Silvie?“ Leah nickte eifrig. „Schilvie. Ischt schon groß – gröscher als du – aber immer bei unsch. Macht Muschik. Ganz hübsch. Muschik wie Geschichten.“ Das war ja schon fast eine Rede für das kleine Mädchen. Aber was sie wirklich wissen wollte, sagte ihr das leider nicht. „Und wo finde ich sie?“ „Schie?“ Leah kicherte und wandte sich den anderen Kindern zu. „Scheltschame Fee fragt, wo SCHIE findet!“ Gwyn verstand nicht wirklich, was daran so lustig sein sollte, sagte aber nichts, sondern versuchte weiterhin, ihr Lächeln beizubehalten. Sie mochte Kinder. Sie mochte Kinder wirklich. Aber manchmal… könnte sie ihnen die zarten Hälse brechen. Leah klatschte mit einem Mal in die Hände und tippte mit einem Finger gegen die Stirn der Albino – fast in ihr Auge. „Wasch willschu Schilvie?“ Sie könnte nun die Wahrheit sagen. Weißt du, Kleines, ich bin eine Meisterdiebin, die außer Landes fliehen musste und jetzt brauche ich einen Platz zum Schlafen und das scheint mir der einzige auffindbare erwachsene Mensch hier zu sein. Nein… besser sie sagte das nicht so. „Ich mag die Musik“, stellte sie darum schlicht fest. Und schließlich zeigten ihr die Kinder, unter viel Lachen und Fragen, den Weg. 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