Insane. von Mirabelle (110) ================================================================================ Kapitel 1: 103 ~ Machst du mich nach? ------------------------------------- 103. Machst du mich nach? Blaise starrte das Mädchen an. Verdammt, er war hier in der Bibliothek und lernte für seine Zaubergradprüfungen. Und einen Tisch weiter saß Luna 'Loony' Lovegood, die verrückteste Ravenclaw der Geschichte von Hogwarts und ahmte ihn nach. Wenn er sich räusperte, räusperte sie sich. Wenn er sich zurücklehnte, lehnte sie sich zurück. Wenn er aufstand, um ein Buch zu holen, stand sie kurz darauf ebenfalls auf und nahm das gleiche Buch aus dem Regal, sofern es doppelt vorhanden war. Wenn es nur einmal dort stand, nahm sie sich keins, tat aber so, als hätte sie eins bei sich. Blaise äugte Luna misstrauisch. Sie starrte ihn kurz konzentriert an, schloss dann kurz die Augen und starrte misstrauisch zurück. Daraufhin schüttelte er den Kopf und beugte sich wieder über seine Aufzeichnungen. Glücklicherweise war niemand in der Nähe, es war einer der ersten warmen Frühlingstage und die meisten Schüler, auch die, die wichtige Prüfungen vor sich hatten, lagen draußen auf der neu erblühten Wiese. Nur Blaise (und irgendwo, in einer anderen Ecke, auch Granger) war noch in der Bibliothek, weil er genau wusste, dass er das Lernen viel zu lange sträflich vernachlässigt hatte. Er wollte niemals so enden wie Draco, der die ganze Zeit darauf vertraute, dass seine Vater die guten Noten schon kaufen würde. (A propos Draco. Wenn er das hier sehen könnte, hätte Blaise in seinem Leben keine ruhige Minute mehr, so viel stand fest.) Genauso wenig wollte er werden wie seine Mutter, die sich ihr Leben lang auf ihre ihm vererbte Schönheit verließ. Nein, so wollte Blaise nicht sein und obwohl er wusste, dass er als arrogant und hochmütig verschrien war (was er keinesfalls abstritt, er war eindeutig arrogant und hochmütig), wollte er niemals seine eigene Leistung herabsetzen. Er war ein guter Schüler und stolz darauf, daran würden weder Freunde noch Familie noch vererbtes Aussehen etwas ändern. Einige Minuten später verspürte Blaise ein gewissen essentielles Bedürfnis, dem er nachgehen musste, ob er nun wollte oder nicht. Also stand er auf, versuchte, Loony Lovegood so gut es ging zu ignorieren und verließ die Bibliothek. Jemand folgte ihm. Genervt schloss Blaise die Augen – er musste sich nicht einmal umdrehen um zu wissen, wer es war. Sie versuchte gerade sogar, seinen Gang nachzuahmen, er konnte es hören, denn ihre Schritte waren gezwungen schwer und stapfend. Ohne zu zögern betrat Blaise die Toiletten. Sie würde ihm nicht hier hinein folgen, nicht wahr? So seltsam war nicht einmal Loony Lovegood. Wie man sich doch irren konnte. Da stand Blaise, wollte eigentlich allein oder zumindest unter Männern sein und war mit Luna Lovegood auf der Jungentoilette. Es war einfach zu viel. „Was machst du hier?“, fragte er so beherrscht, wie es ihm in dieser Situation nur möglich war. „Ich folge dir“, erklärte sie mit ihrer verträumten, hohen Stimme und Blaise stöhnte auf. „Nein, das habe ich nicht bemerkt“, zischte er und starrte sie nun böse an. Ihrer Aufgabe nachgehend starrte sie böse zurück, fragte jedoch in ganz normalem Ton: „Tatsächlich nicht? Ich dachte, du hättest mich bemerkt. Du hast mich angesehen. Oder siehst du etwa auch die Nargeln?“ Der letzte Satz ließ Blaise stutzen. Er war wütend, verdammt wütend und vor allem überfordert, aber – „Was sind Nargeln?“ „Also doch nicht“, stellte sie nüchtern (so nüchtern es bei dieser Person eben möglich war) fest und imitierte nun seinen fragenden Blick. „Du hast mich also nicht bemerkt, obwohl du mich angestarrt hast? Interessant.“ Erneut stöhnte Blaise und sagte so sachlich wie möglich: „Ich habe dich bemerkt. Das eben war Sarkasmus. Aber warum machst du das?“ „Sarkasmus, so, so“, murmelte Loony, ohne näher auf seine Frage einzugehen. Inwzischen beinahe synchron zu Blaise verschränkte sie die Arme, als er es tat. „Warum?“, wiederholte er, nun wieder etwas genervt. „Ich mache eine Studie“, sagte sie nun und versank wieder in Gedanken. Oder so ähnlich. „Eine Studie“, wiederholte Blaise mit schwacher Stimme. „Ja, die Blaise Zabini-Studie“, erklärte sie nun mit glücklicher Stimme, seinen leeren Gesichtsausdruck übernahm sie jedoch ziemlich gut. „Blaise … Zabini-S-Studie“, stammelte er nun und lehnte sich gegen die angenehm kühle Wand. „Du hast einen Sprachfehler? Warum bemerke ich den erst jetzt?“ Er wusste weder ein noch aus. Dieses Mädchen trieb ihn absolut in den Wahnsinn. Am Besten war es, er würde sie zu Ende studieren lassen und dann darauf hoffen, dass sie irgendwann genug über ihn herausgefunden hatte. „Ich habe keinen Sprachfehler“, erwiderte er nun so ruhig wie möglich, Blaise war ganz begeistert davon, wie freundlich er klang „Ich bin … überrascht.“ „Ach so“, meinte Luna fröhlich. „Wenn … wenn du eine Studie über mich anstellst“, Blaise lief es bei den Worten kalt den Rücken herunter. Aber es war bald vorbei … „Dann frag mich doch am Besten direkt. Ich war wirklich verwirrt, als du da plötzlich saßt und mich nachgeahmt hast, musst du wissen.“ Sie schien ernsthaft zu überlegen, meinte dann aber kryptisch: „Nein. Das wäre dann ein Interview, keine Studie am lebenden Objekt. Ich muss dein Verhaltensmuster beobachten, sonst kann ich nie so werden wie du.“ „Was?!“ „Habe ich so undeutlich gesprochen?“, fragte Luna träumerisch und Blaise lenkte schnell ein: „Überrascht. Ich war überrascht. Du willst so werden wie ich? Wieso denn das?“ Sie war ihm eindeutig nicht geheuer. Er war sich nicht einmal ganz sicher, ob sie ein richtiger Mensch war, oder ob da irgendein Vorfahre einer anderen, ausgestorbenen, sehr, sehr seltsamen Rasse war. „Weil ich dich cool finde“, antwortete sie schlicht und Blaise war verwirrter denn je. Cool. Sie fand ihn cool. Er musste sein Verhaltensmuster eindeutig ändern, wenn Luna 'Loony' Lovegood ihn cool fand. „Inwiefern cool?“, hakte er mit schwacher Stimme nach und sie antwortete ohne Umschweife: „Du siehst gut aus, du bist beliebt, zumindest in deinem Haus, du hast gute Noten, du bist ruhig und gelassen und außerdem mag ich dich.“ „Aha.“ Mehr fiel ihm nicht ein. Diese Dinge hatte er schon öfter zu hören bekommen, allerdings von niemandem, der so … außergewöhnlich war. „Ja. Ich will sein wie du. Meine Haare sind nicht so schön, ich habe keine Freunde, meine Noten sind schlecht und alle finden mich komisch, also muss da ja etwas dran sein. Auch wenn ich nicht genau weiß, was es ist. Aber eins haben wir gemeinsam – ich mag mich. Und dich. Deswegen habe ich mich für dich entschieden, nicht für Hermine Granger. Die hat auch komische Haare und außerdem ist sie so verkrampft. Und unbeliebt. Draco Malfoy hat auch keine schönen Haare und seine Noten sind gekauft. Harry Potter hat schreckliche Haare und seine Noten sind miserabel. Deswegen will ich sein wie du und nicht wie einer von ihnen.“ Draco hatte nie jemandem verraten, dass sein Vater Noten erkaufte, oder? Woher wusste sie es? Woher kannte sie Hermine Granger so gut, dass sie wusste, dass sie verkrampft war? Hatten die beiden überhaupt etwas miteinander zu tun? „Außerdem bist du ein echt netter Mensch, Blaise Zabini“, fügte sie beiläufig hinzu, aber erst diese Aussage verwirrte Blaise vollends. Sie sagte es einfach so, weil sie es so sah, weil er in ihrer Weltanschauung ein echt netter Mensch war. Sie verblüffte ihn. Blaise hatte immer gedacht, Luna sei … eben loony. Und das war sie auch – der Spitzname war einfach so unglaublich treffend, aber er hatte nie daran gedacht, dass diese Verrücktheit nur eine eigene Logik, eine eigene, bewundernswerte Art zu denken war. Sie durchschaute Leute, weil sie sie so wahrnahm, wie sie wirklich waren. Sie wusste nicht, was Sarkasmus war und verstand nicht, was es hieß, etwas zu wiederholen, weil man geschockt war. Aber dadurch konnte sie etwas ganz anderes – aus jedem Wort eines Menschen schließen, wie er war. Blaise brauchte für diese Gedanken keine zwei Sekunden. Er war fasziniert. „Okay, dann bin ich dein Studienobjekt“, meinte er, immer noch etwas überfordert, aber (solange keiner etwas davon erfuhr) amüsiert, „Aber bitte tu mir den Gefallen und lass mich allein aufs Klo gehen.“ Das verstand sie. Mit einem verträumten Lächeln ging sie nach draußen. Blaise sah ihr kurz nach, erledigte sein Geschäft und öffnete dann die Tür. Da stand sie und wartete auf ihn. Als sie seinen forschenden Blick analysiert hatte, versuchte sie, ihn nachzumachen. Blaise konnte einfach nicht anders, als schwach zu lächeln. Auch dies imitierte sie so gut sie konnte. Niedlich. Kapitel 2: 104 ~ Gott!? ----------------------- 104. Gott!? „Evans, geh mit mir aus, es ist Hogsmeade-Wochenende!“ Genervt sah Lily von ihren Zaubertränke-Hausaufgaben auf und direkt in das fröhliche, selbstsichere Gesicht von James Potter. Er hatte sich auf die Kante ihres Tisches im quasi leeren Gryffindor-Gemeinschaftsraum gesetzt und lässig die Arme verschränkt, zumindest schien es, als war das seine Absicht. Auf Lily wirkte es eher als versuchte er ein bisschen Nervosität zu verstecken, aber vermutlich lebte sie in einer kleinen Traumwelt, in der Potter so etwas wie Scham oder Nervosität besaß. „Sicher nicht“, erwiderte sie kalt und sah schnell wieder auf ihr Pergament um zu verstecken, dass sie etwas rot geworden war. Nicht etwa, weil sie doch auf ihn stand, auf keinen Fall! Gut, vielleicht ein kleines bisschen. Weil er gut aussah, aber es war tatsächlich so irrelevant gegenüber ihrer gesammelten Wut auf Potter, dass sie es auch gleich vergessen konnte. Seit nunmehr fünf Jahren schien er es wie ein Besessener darauf anzulegen, sie wütend zu machen, sei es indem er sich regelmäßig ihrend guten Freund Severus als Lieblingsmobbingopfer aussuchte oder indem er sich durchschnittlich fünfmal am Tag an sie heranmachte. Lily hasste derart eingebildete Menschen und sie hatte es James auch schon oft genug gesagt, aber es schien an ihm abzuperlen wie Wasser an einem Neoprenanzug. Schade nur, dass James gegenüber diesen Vergleich nichts Wert war, er wusste vermutlich nicht einmal, was Neopren war, so wenig interessierte er sich für Muggel. „Warum nicht, Evans?“, hörte sie ihn etwas schmollend fragen und kurz schloss sie die Augen, um sich zu sammeln. Seine Taktiken waren unerträglich, der Schmollpotter war vermutlich der Schlimmste von allen, weil diese Süßer-Junge-Taktik ab einem Alter von zirka zehn Jahren einfach keine Wirkung mehr zeigte, bei Gleichaltrigen schon viel früher. Lily seufzte. Sie sah wieder auf, hoffte, dass die verräterische Röte die James immer als Verliebtheit interpretierte, verschwunden war und sagte wie jedes Mal: „Weil du ein selbstverliebter Vollpfosten bist, deshalb.“ „Evans, ich liebe diese Antwort. Sie ist so unglaublich süß.“ Lily hasst ihn. Unter anderem deswegen. Sie meinte es mit dieser Aussage so beängstigend ernst, aber da sie sie jedes Mal von sich gab, wenn sie in der Warum-Phase angekommen waren, hatte Potter angefangen, es als ein kleines Zeichen ihrer Zuneigung zu sehen und sagte ihr immer, wie süß er es fand. „Ich meine es ernst“, erwiderte sie beharrlich, was ebenso zu diesem kleinen Ritual gehörte. „Niedlich“, gab er nur zurück und grinste sie vermeintlich liebenswürdig an. Lily hasste dieses Grinsen. Sie sah Potter so fest in die Augen wie sie nur konnte, um ihm klar zu machen, dass sie es schlicht nicht als Spiel betrachtete, sondern endlich in Ruhe gelassen werden wollte. Im Gegenzug legte Potter seinen Kopf leicht schief und grinste weiter. Sie war froh, dass seine Freunde nicht da waren, um ihn zu bejubeln, wie sie es sonst immer taten. Ein paar Sekunden, in denen sie sich beobachteten verstrichen, aber schließlich hatte Lily genug. Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen stand sie auf und fragte: „Du hältst dich wirklich für den Größten, nicht?“ James' Grinsen wurde etwas breiter, er erwiderte aber nichts, während er seinem inneren Zwang nachging und sich durch die unordentlichen Haare wuschelte. Für Lily war dies der Starschuss. „Du hältst dich als für einen Gott, ja? Aber soll ich dir etwas sagen, Potter? Das bist du nicht! Du bist es einfach nicht!“ Sie konnte genau sehen, wie seine Augenbrauen unter dem krampfhaft durcheinandergbrachten Haar verschwanden, aber ansonsten versuchte Potter offenbar, sich nichts anmerken zu lassen. Lily aber war noch nicht fertig. „Weißt du Potter, deine Eltern haben Geld, du siehst gut aus, deine Freunde vergöttern dich und du bist gut in der Schule. Aber das ist nicht alles, verdammt! Willst du wissen, warum ich dich hasse?“ Bei diesen Worten zuckte er tatsächlich kurz zusammen, die schöne Abwechslung zu dem selbstgefälligen Blick. „Dich scheint es zu wundern, dass ich das überhaupt ernst meine, oder? Aber es ist so! Du bist arrogant, selbstverliebt und egozentrisch. Du verletzt Leute, wie es dir gerade in den Kram passt, nur um etwas Spaß zu haben. Du gehst mit Frauen aus, die nur etwas mit dir zu tun haben wollen, weil du gut aussiehst und alle um den kleinen Finger wickeln kannst. Die Sicherheit bekommst du durch all die Bestätigung, die du aus deiner Umwelt bekommst. Egal, ob es die guten Noten sind die du ohne größere Probleme schreibst oder die Schwärmereien von allen Seiten auch wenn du Mist machst, du hältst dich deswegen nur umso toller anstatt dich einfach darüber zu freuen, dass du nicht ganz dumm bist. Es gibt Leute, denen es schwerer fällt, gut zu sein, aber das ist dir vollkommen egal, du siehst deine eigene Überlegenheit als selbstverständlich an und betrachtest es überhaupt nicht als Geschenk. Das ist unfair, verstehst du das?“ Lily hatte sich in Rage geredet und hatte während ihrer kleinen Rede mehrmals mit dem Fuß auf dem Boden aufgestampft, außerdem war sie immer lauter geworden. James hingegen saß auf der Tischkante und schien vollkommen verdattert. So hatte noch nie jemand mit ihm geredet, er war es gewohnt, dass alle nach seiner Pfeife tanzten oder ihn hassten, aber die zweite Gruppe konnte ihm generell nichts anhaben, weil er einfach zu viel Unterstützung besaß. Evans war noch nicht fertig. „Du denkst du hast viele Freunde und bist beliebt aber du denkst gar nicht dran, dass es sich vielleicht nur um kopflose Bewunderer handelt, die sich ein bisschen in deinem Ruhm sonnen wollen. Du bist gut im Sport und alle rennen dir deswegen hinterher, du wirst regelmäßig gefeiert weil du kein Quidditchspiel verlierst, aber hast du überhaupt einmal daran gedacht, dass du trotzdem nur ein normaler Mensch bist? Keiner sieht deine Fehler, Potter, aber du hast sie wie jeder andere auch! Akzeptier das endlich! Du bist kein Gott!“ Scheinbar erschöpft ließ sie sich wieder auf ihren Stuhl fallen und sah James noch einmal mit einer Mischung aus Wut und Mitleid an, bevor sie sich wieder ihren Hausaufgaben zuwandte. James selbst rutschte vom Tisch und setzte sich auf einen Fenstersims um das Treiben draußen zu beobachten. Außer ihnen war niemand im Gemeinschaftsraum, es war ein warmer Tag und die, die nicht in Hogsmeade waren, lagen unten am See. Drei Wochen später gingen James und Lily miteinander aus. Kapitel 3: 31 ~ Niemals zurück schauen -------------------------------------- 31. Niemals zurück schauen Hermine sah sich um. Chaos. Alle Ordnungen waren auf den Kopf gestellt, doch es gab nichts mehr zu befürchten. Soeben hatte Harry Voldemort, Tom Riddle, endgültig ausgelöscht, der Krieg war vorbei, sie konnten ihr Leben geordnet fortsetzen. Nach einigen Sekunden – oder waren es Minuten? Stunden? – der Atemlosigkeit brach auf dem Gelände von Hogwarts eine kleine Vorhölle aus. Zwar lachten die meisten, konnten kaum fassen, was soeben geschehen war, doch andere verloren sämtliche Anspannung und realisierten plötzlich die Verluste. Freunde, Geliebte, Familie. So viele hatten in dieser Schlacht ihr Leben gelassen, viel zu viele, um es sich ausmalen zu wollen. Hermine wollte nicht daran denken. Fred. Tonks. Remus. Snape. Verflucht, Snape, den sie alle so falsch eingeschätzt hatten. Und so viele andere, dass Hermine nicht daran denken wollte, ihr standen schon jetzt die Tränen in den Augen. Und … Panisch sah sie sich um. Ein blonder Schopf. Zwei. Zwei? Lucius und Narcissa. Hermine scherte sich nicht um die beiden, wie sie panisch durch die Halle rannten, bleich und verängstigt, in ihrem Glauben erschüttert und vor allem eins – besiegt. Doch sie suchte das gleiche wie sie. Ohne auf ihre Umgebung zu achten rannte Hermine los. Suchte mit ihren Augen verzweifelt die Halle ab. Wo bist du. Wo bist du. Wo bist du nur… bitte, sei okay. Sei in Ordnung! Das Leid um sie herum war schwer auszublenden, doch Hermine konnte nun niemanden unterstützen. Sie konnte sich nicht um andere kümmern, während sie selbst so schmerzlich jemanden vermisste. Da. Da war er. In der hintersten Ecke der Halle, allein und mit bösen Blicken gestraft. Verängstigt. Verwundet. Draco. Sie wusste, dass sie ihm nicht zu nahe kommen durfte. Über so lange Zeit hatten sie es geheim gehalten. Fast zwei Jahre. * Hermine beobachtete Malfoy nun schon seit Tagen und war sich sicher. Auch wenn sie Harry niemals glauben konnte – Malfoy war einfach kein Todesser – irgendetwas stimmte mit dem Slytherin nicht. Er bewegte sich, als wäre er konstant auf der Suche nach einem Versteck, er aß wenig, hatte tiefe Ringe unter den Augen, war bleich. Malfoy wirkte besiegt. Und wann immer Hermine versuchte, ihm unauffällig zu folgen, verschwand er. Doch, es stand fest, dieser Fiesling versteckte etwas, und Hermine war gewillt, herauszufinden, worum es sich handelte. „Harry“, fragte sie mit angespannter Stimme, „du willst mir nicht zufällig morgen zum Frühstück deinen Unsichtbarkeitsumhang leihen? Nur bis nachmittags.“ „Uhm…“, Harry schien nicht sicher, was er von dieser Frage halten sollte und sah Hermine fragend an, doch sie lächelte nur schwach. „Ich werde ihn schon in einem Stück zurückbringen. Ich will nur etwas nachprüfen.“ „Na gut. Du willst mir aber nicht sagen, worum es geht?“ „Tut mir leid.“ Noch immer lächelte Hermine ein wenig melancholisch. Sie hatte ungern Geheimnisse vor ihren Freunden, doch sie würde niemals herausfinden, was es mit Malfoys Verhalten auf sich hatte, wenn sie zu dritt herumgeisterten. Merlin, die zwei konnten nicht leise sein, und wenn sie den Slytherin verfolgten, würden sie ihn vielleicht verhexen, bevor er überhaupt irgendetwas Verdächtiges getan hatte. Am nächsten Morgen nahm Hermine dankbar den Tarnumhang entgegen und warf ihn schon im Gryffindorturm über. In der großen Halle setzte sie sich an den Kopf des Tischs, kaute unter dem Umhang auf einem Toast herum und starrte auf den Slytherintisch. Malfoy kam spät. Er kippte eine Tasse Kaffee und war im Begriff die Halle wieder zu verlassen. Hermine verlor keine Sekunde und wollte sich auf den Weg ihm hinterher machen, doch Malfoy wurde von Theodore Nott aufgehalten. Die Gryffindor unterdrückte ein Fluchen. Nach dem Mittagessen hatte sie mehr Glück. Wieder war Malfoy auffällig spät, wieder nahm er fast nichts zu sich. Dieses Mal kam er jedoch unbehelligt davon, nach ein wenig Suppe sprang er wie von der Tarantel gestochen auf und ging mit großen Schritten aus der Halle, Hermine ungesehen auf den Fersen. Er lief die Treppen hoch, nicht wie erwartet in die Slytherinkerker. Die Gryffindor war verwirrt. Sie hatte vieles erwartet, aber alles davon hatte sich in den Kerkern abgespielt. Abrupt stoppte Malfoy. Er drehte sich ein letztes Mal um, doch er sah niemanden und seufzte erleichtert auf. Nun, das stimmte nicht ganz. Hermine stand drei Meter hinter ihm, atemlos, und starrte auf die altbekannte Wand vor ihr. Der Raum der Wünsche. Sie traute ihren eigenen Augen kaum. Woher kannte Malfoy den Raum? Was hatte er vor? Und überhaupt, was tat sie nun? Betrat er den Raum erst einmal, konnte sie nur davor warten und würde nicht herausfinden, was er trieb. Ehe sie sich versah, lief er gezielt dreimal vor dem Raum auf und ab. Hermine wurde panisch. Als Malfoy die Tür öffnete, sprintete sie vor und steckte ihren Fuß zwischen Tür und Rahmen. Malfoy war sichtlich irritiert. Sah Hermine einen Schimmer Panik in seinen müden Augen? Definitiv. Er schlug die Tür ein wenig fester zu und Hermine entwich ein Schmerzenslaut. Malfoy zog überraschend wendig seinen Zauberstab und griff, scheinbar vage ahnend, was sich abspielte, ziellos in die Luft vor ihm. Bei dem Glück, das Hermine heute hatte, brauchte er natürlich nur zwei Schnapper, bis ihr Lockenkopf wieder sichtbar wurde. Sie hatte die Augen zusammengekniffen, aber als nichts passierte, öffnete sie sie langsam. Malfoy sah sie ausdruckslos an. Hinter ihr erhob sich ein Raum mit scheinbar zahllosen magischen Artefakten. Nahe am Eingang stand ein seltsamer Schrank. Er kam ihr bekannt vor. * Es war fast zwei Jahre her, dass Hermine Draco und das Verschwindekabinett entdeckt hatte. Er hatte sie bedroht, sie hatte gleichgezogen, sie hatten sich ignoriert, Hermine war wieder auf ihn zugekommen. Er war verwundert, dass sie ihren Freunden scheinbar noch nichts verraten hatte. Sie war irritiert, dass er sie noch nicht verhext hatte. Nach einem angespannten Monat hatte Hermine ihn noch einmal zum Raum der Wünsche verfolgt, und sich wortgewaltig Einlass verschaffen. (Vermutlich, weil er nicht wollte, dass ihr Gezeter noch mehr Leute anlockte, auch wenn es unwahrscheinlich war.) Erneut wurden sie handgreiflich, als Hermine versuchte, Dracos Umhang an seinem linken Arm hochzuziehen. Sie schaffte es. Draco erschlaffte sofort, Hermine brach in Tränen aus. Sie umarmte ihn. Damals fing alles an. Nun stand sie hier. Alles um sie herum schien zu verschwimmen, als Draco aufsah und ihr fragende Blicke zuwarf, die ihr nur noch mehr wehtaten. Sie waren nie wirklich ein Paar gewesen, es war schlicht zu gefährlich. Doch Hermine verband alles mit Draco. Nun war alle vorbei. Fast unmerklich schüttelte sie den Kopf. Kurz schien er die Fassung zu verliere – tu das nicht, dachte Hermine, wenn du jetzt einbrichst, schaffe ich es nicht – doch dann nickte er ebenso unauffällig. Sie seufzte. Ein letzter, trauriger Blickwechsel. Im Augenwinkel sah sie Lucius und Naricssa herbeieilen. Sie drehte sich um. Langsam, als ob etwas sie zurückziehen würde, lief Hermine davon. In Richtung der Mitte der Halle. Dorthin, wo Harry war. Und vor allem Ronald. Ronald, der in sie verliebt war. Es war besser so, für alle Beteiligten. Sie zwang sich ein Lächeln auf, überbrückte die letzten Meter zwischen ihr und Ron, warf sich ihm in die Arme und ließ es zu, dass er sie küsste. Um sie herum hörte sie leisen Jubel. Es war besser so. Sie würde glücklich sein. Er ebenfalls. Es war besser so. Sie durfte nur niemals zurück schauen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)