Post Blue von Mebell (It's between you and me) ================================================================================ Kapitel 1: 04:00 ---------------- 04:00 Das hässliche Würgegeräusch hallt durch das kleine Bad, taucht ein in das Schummerlicht und prallt an den schmutzigen Fliesen ab. Der Auslöser hängt halb zusammengekrümmt über der Badewanne, zittert am ganzen Leib. Daneben ein Körper in ähnlicher Pose, vielleicht mit noch etwas mehr Anstand oder auch wahlweise nur Gesundheit. „Ist... das entwürdigend.“ Mehr Keuchen als Satz. „Die Frage ist, wie viel Würde man haben kann, wenn man kotzend mit seinem besten Freund über der eigenen Badewanne hängt.“ Manchmal hasst er Bela für diese Eigenschaft. Manchmal liebt er ihn aber auch für seine unverschnörkelten Konkretisierungen. Farin spürt neben der Übelkeit, wie ihm eine seiner wirren blonden Strähne vorsichtig aus dem Gesicht gehalten wird. Ein Blick nach oben zeigt ihm ein eher groteskes Lächeln seines besten Freundes, der mit der anderen Hand versucht seine eigene Haarpracht vor dem Erbrochenen zu schützen. Kurzerhand greift Farin in den schwarzen Schopf und kämmt mit den Fingern die Strähnen zurück. Wobei Kämmen hier ein relativer Begriff ist, sind die Haare des Schlagzeugers doch verklebt mit Haarspray und anderen Pflegeprodukten. „Was wird...“ Bela wird jäh durch seinen eigenen Brechreiz unterbrochen. Mit leicht angewidertem Blick, der so gar nicht in die Situation passt, beobachtet Farin seinen Freund. Die Hand behält er fest in der eh zerstörten Frisur, das Haarspray hätte ihm auch keine andere Wahl gelassen. Nur Sekunden später übermannt Farin der Ekel. Hustend und keuchend fallen seine glorreichen ein Meter und fünfundneunzig in sich zusammen. „Synchronkotzen.“, stellt der Schlagzeuger lakonisch fest. Obwohl Farin sich dagegen sträubt, muss er kurz lachen. Heiser und mit Bitterkeit versetzt ist der Laut nur bedingt schöner als die vorangegangen Geräusche. Sekunden später schlägt seine Stimmung um, es gleicht fast schon Wehmut: „Wenigstens weißt du, warum du dir die Seele aus dem Leib kotzt.“ Dieses Mal lacht Bela trocken. Farin hat in diesem Thema keine Antwort erwartet, braucht sie auch nicht. Er hat vor Belas Sucht kapituliert, will eigentlich gar nicht mehr wissen, was der Schlagzeuger trinkt, spritzt oder sonst wie konsumiert. Unweigerlich krallt er seine Hand fester in die schwarzen Haare. „Was hab ich für 'nen Grund? Wegen dem beschissenen Konzert in Kreuzberg klapp ich doch nicht zusammen. Ich hab danach nicht noch in dieser Bude gehockt und mich abgeschossen vor lauter Frust und Hass auf die Welt.“ Bela übergeht die Anspielung erneut gekonnt und murmelt nur leise: „Geteiltes Leid ist halbes Leid...“ „Für dich mach ich das hier sicher nicht.“ Eine dreiste Lüge, das wissen sie beide. Farin würde alles für Bela geben. Wenn er das nicht sogar schon tut. Das hier äußert sich in diesem Moment schon wieder, heftiger als zuvor. Zitternd verkrallt Farin seine freie Hand in dem weißen Porzellan der Badewanne, sucht Halt, wo es keinen gibt, bekommt ihn dann von einer langfingrigen, blassen Hand. „Wieso mach ich überhaupt noch was? Wir sind nichts. Unbedeutender als jede andere Band in Berlin. 'Ne Karte für uns kauft man nur, weil man mal wieder nach Herzenslust lachen will...“ Kurzes Schweigen, unterbrochen von Belas Würgen. Als er sich wieder gefasst hat, schaut er fast beleidigt. „Natürlich lachen sie. Jetzt noch. Die Betonung auf noch.“ „Willst du die Bühnen der Welt erobern?“, Farins Stimme trieft vor Sarkasmus. Der Schlagzeuger übt sich in Ignoranz. „In ‘n paar Jahren spielen wir vielleicht in Stadien, nicht mehr in dreckigen Kreuzberger Clubs. Sind richtig auf Tour, verkaufen unsere Platten, haben Fans, haben Groupies. Sind 'ne Band.“ Beim letzten Wort versagt Belas Stimme, Farin kennt den Grund zu gut. Eine echte Band beendete ihre Proben nicht mit Prügeleien zwischen dem Schlagzeuger und dem Bassisten. Farin glaubt, dass sein Part des gegenseitigen Wundenleckens gekommen ist. „Es gibt auch erfolgreiche Duos. Scheiß auf diesen Typ am Bass. Wir beide, das is' viel wichtiger. Wir beide können alles, wenn wir wirklich wollen.“ Leise, zittrig kommen die Worte über seine Lippen. Er versucht sie so ehrlich zu meinen, wie er aktuell nur kann. Bela kauft sie ihm ab, ist einfach nur dankbar für den kühlenden Balsam, ignoriert die Hoffnungslosigkeit. Nur halb registriert Farin, dessen Welt sich immer noch dreht, wie Bela leicht schwankend aufsteht. Sicherheitshalber stützt er sich sofort wieder auf dem Rand des Waschbeckens ab, was sich jedoch als Fehler herausstellt. Der Schlagzeuger muss direkt in sein eigenes, erbärmliches Spiegelbild blicken. In die kajalunterstrichenen, trüb-grünen Augen, in das blasse Gesicht, dessen Haut wie aus Papier wirkt. Er sieht die verfilzten schwarzen Haare, die dünnen, rissigen Lippen, die Schatten unter seinen Augen. Er sieht eine Person, die er niemals werden wollte. Einer plötzlichen Eingebung und vor allem seiner aufkochenden Aggressivität folgend schlägt Bela mit einer Kraft, die er sich selber nicht zugetraut hätte auf das silberne Ebenbild ein. Das laute Klirren ist Musik in seinen Ohren, der Schmerz an seinen Handknöchel Beruhigung, das Blut zeigt ihm, dass er doch noch lebt. Mit verächtlichem Blick betrachtet Bela die Scherben, die doch so bezeichnend sind für sein eigenes Dasein. In genauso viele ungleichmäßige Teile ist auch das zerbrochen, was der Schlagzeuger einmal Leben nannte. Völlig in den bitteren Gedanken, in seinem Stimmungsumschwung gefangen, bekommt er überhaupt nicht mit, wie Farin mit der Duschbrause die Reste des Abends fortspült. Erst als er eine eiskalte Hand auf seiner blutverschmierten spürt, kehrt er zurück in die Realität. „Genug Selbstverletzung für heute, mhm?“ Sanft wischt Farin das warme Blut von der bleichen Hand, wickelt grob etwas Mullbinde um die Verletzung, so gut wie es mit zittriger Hand eben geht. Er weiß, warum der Verbandskasten immer griffbereit im Bad steht. „Schon vier...Wir sollten schlafen.“, murmelt Bela desorientiert mit einem verstohlenen Blick auf die Uhr über der Tür. Die Wut scheint ihn zusammen mit seinem Blut verlassen zu haben und was bleibt ist Fürsorge gegenüber Farin und absolute Gleichgültigkeit für den ganzen verdammten Rest der Welt. Die Schwankungen in Belas Stimmung würden jeden Statiker zum Verzweifeln bringen. Farins Blick schweift von dem glitzernden Scherbenmeer, zu den kleinen Bluttropfen auf den Fliesen, bevor er sich bereitwillig vom Schlagzeuger in sein Zimmer schieben lässt. An der Schlafstätte angekommen wiederholt sich ein allabendlicher Dialog. Wechselnde Spielstätte, aber immer der gleiche kurze und bündige Text. „Kann ich...?“ „Ja, klar.“ Auch die darauf folgende Handlung ist allabendlich die gleiche. Farin schließt die Augen, belässt den Schlagzeuger in dem Glauben, dass er sicher im Land der Träume angekommen ist. Wie jeden Abend folgt der letzte prüfende Blick von Bela, der schüchterne Kuss auf die Wange, dann pumpen Alkohol und Drogen endgültig alle Kraft aus dem Schlagzeuger. Leise schnarchend rollt er sich auf der Matratze zusammen, vergisst wenigstens für ein paar Stunden alles. Wie sehr Farin sich diese Fähigkeit auch wünscht. Er liegt, immer noch zitternd, hinter Bela und starrt an die bröckelige Decke. Ziellos sieht Farin sich im Zimmer um, entdeckt einen Batmancomic und eine Pizzaschachtel, die definitiv nicht ihm gehören. Seufzend bleibt sein Blick schließlich an der bandagierten Hand hängen, wandert dann zu einem seiner Finger, an dem verkrustetes Blut seines Freundes klebt. Die einzig wirklich gute Sache an ihrem gemeinsamen Zusammenleben ist so entscheidend, dass sie der Grund für alles war und ist. Ohne den jeweils Anderen wären sie schon lange mausetot. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)