Das Portal von Rubinfuchs88 (Die Welt in dir) ================================================================================ Kapitel 2: Bedrücktes Schweigen ------------------------------- Dad war schon weg, als ich das Haus betrat. Wie sollte es auch anders sein. Vermutlich schlummerte er schon im Flugzeug und wartete darauf, irgendwo in Europa wieder zu erwachen. Es war ruhig. Kein Kater kam angeschnurrt und umschmuste mir die Beine, in der Hoffnung auf etwas zu Fressen. Die Dielen knirschten nicht unter verräterischen Schritten. Es drang kein Rattern aus dem Keller zu mir hinauf. Ich war wieder allein. Tief ausatmend, warf ich achtlos meinen Rucksack an die Treppe und ging nach links in die Küche. Die Sonne schien nicht mehr, so dass die blauen Wände auf einmal einen traurigen Grauton angenommen hatten. Das Frühstücksgeschirr stand noch auf dem Tisch und ein paar Brötchenkrümel umzingelten die gefaltete Zeitung. Dads After Shave lag noch in der Luft, wie ein herber rauer Wind an der See. Ich mochte den Duft. Er war nicht so weich und süß, wie es heute viele bevorzugten. Meine Gedanken wollten trotz alledem nicht von jenem Moment ablassen, als Nanuk mich so angeschaut hatte, mit einem Blick, den ich von ihm nie erwartet hätte. Ich war nicht im Stande jetzt irgendetwas aufzuräumen, oder die Hausarbeit zu schreiben. Purer Zufall hatte mich überhaupt erst das richtige Haus finden lassen. Anwohner mussten bei meinem Anblick gedacht haben, ich stünde unter Drogen oder starken Medikamenten. Leise vor mich hin murmelnd war ich benommen die Straßen entlang getorkelt. Immer noch war mir schlecht und auch mit der Ankunft zu Hause wurde es nicht besser. Schnee klebte noch immer an meinen Hosenbeinen. Betrübt ließ ich mich auf meinen Platz am Esstisch fallen. Langsam schmolz die weiße Schicht an meinem Fußende und bildete eine kleine Pfütze unter mir, während ich gedankenlos einen Punkt an der Wand fixierte. Wenn ich ganz genau hinhörte, vernahm ich in regelmäßigen Abständen sogar ein leises Tropfen. Ob er wohl kommen würde? Wir wollten schließlich den Film heute Abend schauen, ging es mir durch den Kopf. Für den Bruchteil einer Sekunde wollte ich ihn anrufen; fragen was los war und ob ich etwas falsch gemacht hatte. Im nächsten Moment flaute der Wille allerdings ruckartig ab und schlug in schiere Wut um. Ich wurde oft wütend, wenn ich etwas nicht verstand und mir einfach keine Lösung dafür einfiel. Jeder gute Freund hätte besorgt nachgefragt, ob alles in Ordnung sei. Und was machte er. Stürmte davon und schenkte mir Blicke, als hätte ich ihn zutiefst beleidigt. Meine Stimmung begann sich im Kreis zu drehen. Eine Minute verzweifelt und von mir selbst angewidert, die anderen wutschnaubend. Nichts davon brachte mich weiter. Irgendwann hielt ich es einfach für sinnvoll den Tag abzuwarten und zu schauen, ob er kam und was er zu sagen hatte; falls er was zu sagen hatte. Wie bereits am Morgen festgestellt machte ich mich nun doch wiederwillig an die Hausarbeiten; nahm die Wäsche ab, hängte die nächste auf, stockte das Brennholz in den Körben auf, säuberte die Öfen und letztlich hatte ich mich mit dem Bügeleisen bewaffnet in der Stube eingefunden und schaute mir Der Pferdeflüsterer an. Warum ausgerechnet dieser Film? Es war der erste der auf dem Stapel vor dem DVD Player lag. Meine Motivation war nicht groß genug, mir auch noch einen aus der unzähligen Menge von Filmen rauszusuchen. Ich kannte sie eh alle, von daher war es egal. Als ich das Holz die Treppe hochgeschafft hatte, überkam mich das letzte Mal das Gefühl bewusstlos nach hinten zu fallen. Ab da schien sich mein Kreislauf wieder gefangen zu haben. Erklären konnte ich es mir dennoch nicht. Generell trank ich nicht sonderlich viel, dass wusste ich. Trotzdem hatte ich deswegen nie Probleme mit meinem Kreislauf gehabt; auch wenn ich Sport gemacht hatte, zeigte mein Körper keine Anzeichen einer Dehydrierung. Es war mir ein Rätsel. Ruckartig hob ich das Bügeleisen an. Die Erkenntnis über Nanuks Verhalten, kam so plötzlich und unerwartet, dass ich nur mit geweiteten Augen nach draußen starrte. Er stand hinter mir, flüsterte mir etwas ins Ohr; war mir so nahe. Vielleicht war das der Moment, in dem er mir sagen wollte, dass ihm unsere Freundschaft nicht genug war. Vielleicht wollte er mir mitteilen, dass ich ihm mehr bedeutete. Wenn mir mein Gegenüber in so einer Situation einfach umkippen würde, wäre ich vermutlich auch zutiefst gekränkt gewesen. Obwohl es nun wirklich, - alles andere mal beiseite schiebend- ein gänzlich ungünstiger Zeitpunkt für so eine Offenbarung war, wie ich fand. Genauso gut hätte er es heute Abend tun können. Wir wären alleine gewesen, keiner hätte etwas mitbekommen und man hätte in Ruhe darüber reden können. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er so etwas dem Zufall überlassen würde und demnach schien es nicht seine Art, einfach in der Schule damit herauszuplatzen. Sollte ich jedoch Recht haben -eine andere Möglichkeit kam für mich gar nicht mehr in Frage- so war ihm für sein Verhalten definitiv verziehen. Leider schlich sich nun das nächste Problem an mich heran. Wie sollte ich ihm heute Abend gegenübertreten, sollte er kommen -jetzt war ich mir sicher er würde kommen-. Ein sachtes Kribbeln schlich sich in meinen Magen, bevor meine Vernunft alles im Keim erstickte. Wir waren Freunde; gute Freunde sogar. Auch wenn ich mir fast sicher war, dass ich mit der Zeit mehr für ihn empfinden würde - würde ich solche Gefühle zulassen- so wollte ich diese Freundschaft nicht verlieren. Zu oft hatte ich beobachtet, dass sich ein Paar nach einer Trennung noch nicht einmal mehr „Hallo“ sagen konnte. Natürlich mochte es Ausnahmen geben aber seien wir doch mal ehrlich; hatte das jemals so geklappt, wie es sich beide vorgestellt hatten? Nein. Irgendeiner empfand immer noch etwas mehr für den anderen, als er sich eingestehen wollte und das war der Punkt, der mir nicht behagte. Derjenige würde leiden. Und hätte etwas verloren, was er nie wieder zurückerlangen würde. Mein Entschluss stand fest. Wir würden eine andere Regelung finden müssen. Ich wirbelte nach dieser Erkenntnis, mit neuer Kraft beseelt, durch das Haus und erledigte die restlichen Aufgaben im Handumdrehen. Nach und nach verschwand die Sonne, die durch die Wolken dämmerte, hinter den mächtigen Wäldern, die um unser Dorf lagen und auf dem uns einkesselnden Gebirgskamm thronten. Ein letztes Mal tauchte sie die weiße Welt in ein sachtes Lila, bevor alles in grau und blau Tönen überging. Das letzte Licht wurde von den dunklen Möbeln und Wänden verschluckt und ließ mich in dämmrigen Räumen umhergehen. Ich wollte kein Licht anmachen, mochte ich doch die Dunkelheit und die damit verbundene Gleichheit aller Dinge lieber. Bei Nacht war ein Sofa nur ein Sofa. Man sah nicht, ob es ein teures Ledersofa war oder nur eine ausgesessene alte Couch. Grantig fiel mir wieder die Hausarbeit ins Gedächtnis. Nach dem zermürbenden Tag jedoch, hatte ich keinesfalls noch einen Funken Elan dafür. Getrost verschob ich es auf morgen, wohlwissend, dass mir diese Zeit noch durchaus reichen würde, um eine vernünftige Arbeit abzugeben. Genauso wie es der liebe Alex haben wollte, dachte ich grimmig. Langsam trottete ich die Treppe hinauf und bog links in mein Zimmer ab. Ein unangenehmes Gefühl an meiner Socke veranlasste mich nach unten zu schauen. Raschelnd klebte da ein gelber Handflächen großer Klebezettel. Leise seufzend und mit einem leichten Lächeln, bückte ich mich und zupfte ihn von meiner Wollsocke. „Denk an die Hausarbeit! Hexenverbrennung im Mittelalter!“, las ich geräuschlos die geschwungenen Linien. Einige Augenblicke auf den Zettel starrend, seufzte ich abermals an diesem Tag. Die Lieder senkend, zwang sich mir ein Lächeln auf die Lippen. Es klingelte. Erschrocken ließ ich den Zettel fallen und zuckte unmerklich zusammen. Mein Herz begann wie auf Knopfdruck schneller zu schlagen. Irgendwie hatte ich Angst vor der Situation, die mir, nein, die uns bevorstand. Nervös leckte ich mir über die Lippen und zupfte mit den Schneidezähnen trockene Hautfetzen ab, wie ich es immer tat, wenn mir langweilig war oder ich nervös wurde. Zurückhaltend schritt ich die Treppe hinunter, überlegte tatsächlich einen Moment, ob ich mir was anderes hätte anziehen sollen, anstelle des schlabbrigen Pullis und der Jogginghose und bog dann in den Gang zur Haustür ein. Es war bereits düster draußen und unsere Außenbeleuchtung war noch immer kaputt. Innerlich ärgerte ich mich über Dad, dass er es nicht schon längst repariert hatte. Dabei wusste er ganz genau, dass ich mich mit so etwas nicht auskannte. Der Schatten vor der Tür verschwamm fast nahtlos mit dem dunklen Hintergrund. Ich konnte nicht sagen, ob es wirklich Nanuk war, wusste aber auch nicht, wer sonst bei uns hätte klingeln sollen. Etwas kurzatmig öffnete ich langsam die Tür, schwang sie jedoch nicht vollends auf, sondern stoppte nach dem ersten Drittel und lugte hinaus. „Ich wusste nicht, ob du heute lieber Popcorn oder Chips magst!“ Er wirkte nicht mehr wütend oder enttäuscht; nur noch bedrückt -was für ein Wunder. Niedergeschlagen senkte er den Blick, hielt die beiden Tüten in der Hand und schien mit sich selbst nichts anfangen zu können. „Komm rein!“, flüsterte ich und schwang die Tür auf; etwas beiseite tretend, um ihn passieren zu lassen. Wie ein getretener Hund schlich er an mir vorüber, in die Küche und legte dort die Tüten auf den Küchentisch. Emsig holte er Schalen aus den weißen Schränken, schnitt die Tüten auf und füllte mit dem Inhalt die Schalen auf. Es war erschreckend wie gut er sich bereits bei uns auskannte, erschreckender jedoch fand ich, dass er mich zu meiden schien. Schweigend lehnte ich am Türrahmen, die Arme wärmend um meine Brust gelegt und beobachtete ihn. Was jetzt wohl passieren würde? Würde er es noch mal versuchen? Ich konnte mir nur schwer vorstellen, wie er mir auf einmal seine Liebe gestand. Es passte einfach nicht zu ihm. „Was war eigentlich heute in der Schule?“, fragte er, drehte sich jedoch nicht zu mir um; schaute mir nicht in die Augen. „Das fragst du mich?“, raunte ich, versuchte jedoch noch im selben Atemzug meiner Empörung keinen freien Lauf zu lassen. „Ja. Sonst kann mir hier wohl keiner antworten.“, sagte er ohne jeglicher Art einer Betonung. „Ich bin umgekippt und du bist getürmt! Ganz einfach!“ Er atmete schwer, lehnte sich auf die Küchenzeile und starrte in die Schalen. Minuten verstrichen, in denen ich krampfhaft versuchte nicht wütend zu werden. Sollte ich ihm jetzt erklären, dass er mir seine Liebe gestehen wollte? Sollte er das tatsächlich gewollt haben, schließlich wusste ich es nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Das war doch alles lächerlich. Langsam drehte er sich um, den Blick noch immer nach unten gerichtet. Eine weitere Minute verstrich. Ein langer gleichmäßiger Atem entfuhr seinen Lungenflügeln und dann -endlich- hob er langsam den Kopf. Sein Blick war fest und fordernd. Er wirkte plötzlich so erwachsen. „Sag mir was heute passiert ist Elizabeth…bitte!“, verlangte er, mit einer harten Stimme, dass letzte Wort leicht flehend. Ich hatte das Gefühl, er würde auf eine bestimmte Antwort hoffen. Den Wunsch konnte ich ihm nicht erfüllen, denn ich wusste nicht was er hören wollte. Ich hätte es gern gewusst; nur zu gern das geantwortet, was er hören wollte. So jedoch, konnte ich nur berichten was passiert war; nichts weiter. „Ich bin ans Fenster gegangen“, überrascht über mich selbst, dass ich so willentlich seiner Aufforderung nachkam, begann ich zu sprechen; leise und unsicher. Immer wieder brach meine Stimme ab, suchte nach den passenden Worten. Ich schaffte es nicht ihm dabei weiter ins Gesicht zu schauen. Aus bizarren Gründen glaubte ich, ich würde ihn enttäuschen und ich wollte sein frustriertes Gesicht nicht sehen. „…wollte in den Wald hinausschauen. Plötzlich warst du hinter mir. Ganz dicht. Hast mich gefragt, was ich sehe. Du warst so nah hinter mir, dass ich deinen Atem im Nacken spüren konnte. Dann hast du meine Schultern ergriffen. Ich hab geantwortet, dass ich den Wald sehen und sonst nichts. Danach weiß ich nur noch, dass ich am Boden aufgewacht bin.“. Ich wollte nicht aufschauen. „Warum bist du weggelaufen und hast mich ignoriert; hast mich angestarrt, als hätte ich dich beleidigt oder sonst irgendetwas getan? Ich versteh das nicht. Was ist denn los mit dir?“, meine Stimme wurde zum Ende hin immer unsicherer. Was für ein Blödsinn. Ich fragte ihn, was mit ihm los war, dabei hätte ich mich eher selber fragen sollen. Was war mit mir los? Es war lächerlich. Die ganze Szenerie entsprach eher einem Schnulzentheater. Zumindest für mich. Nanuk blieb ernst; ließ keinen Spott über die Situation einhergehen. Seine grünen Augen bohrten sich in die meine, bis ich ihm fröstelnd auswich. Er wirkte traurig und bedrückt aber irgendwie auch beschämt. Nach Worten suchend, nestelte er in seinen Hosentaschen nach etwas. Zumindest sah es so aus. „Ich wollte dir nicht zu nahe treten“, fing er an und bemühte sich sein sanftes Lächeln aufzusetzen. Es sah gezwungen aus und wirkte auf mich überhaupt nicht so ehrlich, wie er es rüberbringen wollte. „Es war dumm. Ich wollte dich nur ein wenig aufscheuchen. Du bist doch so ein Träumerchen.“, schmunzelte er gequält. Das letzte Wort sprach er mit Wehmut aus, als würde er etwas schlimmes und verhängnisvolles damit verbinden. „Lass uns das einfach vergessen, ja. Versprich mir, nicht so viel vor dich hinzu träumen, sonst tust du dir wirklich noch mal was.“, bat er und machte einen kurzen Schritt auf mich zu, stockte jedoch und haftete seinen Blick wieder gen Boden. „Du lebst in der Realität Beth. Nicht in einer anderen Welt. Du lebst hier.“, plötzlich ballten sich seine Hände zu Fäusten und er klang hart und verbittert. Ich wollte auf ihn zugehen, wollte seine Hand nehmen und ihm sagen, dass das alles okay war und er sich keine Sorgen machen sollte. Meine Beine bewegten sich nicht. Verständnislos musterte ich seine versteiften Muskeln, die breiten Schultern, die unter den Anspannungen unmerklich bebten. Wie ein Schwall vom Duft einer betörenden Pflanze, schien seine starke Persönlichkeit den Raum einzunehmen, meinen Willen zu beugen und mich nur noch wünschen ließ, dass das alles nie passiert wäre. „Der Film fängt gleich an.“, hauchte ich gedämpft, zwang mit aller Kraft, meinen Beinen sich wieder zu bewegen und schritt, mit einem sachten Bogen, an ihm vorbei, um die Schalen zu greifen. Meine Socken scharrten dumpf auf den glatten hellen Fliesen und ich bewegte mich vorsichtig, um nicht auszurutschen -das hätte mir gerade noch gefehlt-. Stumm tapste ich in die Stube, stelle den Knabber Kram auf den Glastisch, vor unserem dunklen weichen Polstersofa und ließ mich zurückfallen. Anschmiegsam formte die Couch eine perfekte Sitzkuhle für mich. Schweigend wartete ich. Mehrere Augenschläge später folgte Nanuk und ließ sich eine Armlänge neben mich nieder. Ich schaltete den Fernseher ein. Wir redeten nicht mehr; keiner rührte das Popcorn oder die Chips an. Betreten ließen wir uns von dem Film berieseln, waren beide dankbar das Thema nicht weiter auszuweiten. So sehr es mich auch aufgewühlt hatte und so wenig ich es auch verstand, ich wollte nicht weiter darüber diskutieren. Was auch immer war und warum auch immer er meinte so zu handeln, er musste seine Gründe gehabt haben. Ich hoffte es inständig, denn das war der einzige Gedanke, der mich ruhen ließ. Das letzte Gespräch, das wir an diesem Abend noch führten, war ein knapper Abschied. „Schlaf gut. Bis morgen.“. Mehr nicht. Mein Gefühl heuchelte mir vor, ich hätte eine halbe Stunde am Türrahmen gestanden und Nanuk hinterher gestarrt, wie er die Straße hinunter schritt und nach und nach von der Dunkelheit verschluckt wurde. Die Kälte legte sich wie eine raue fordernde Decke über mich; entzog mir die letzte Wärme, die mich davor bewahrt hatte, wie ein elendiges Häufchen Elend mit den Zähnen zu klappern. Letztlich waren es wohl nur zehn Minuten, die ich reglos dastand. Bedächtig zog ich mich ins Haus zurück, ließ die Tür langsam ins Schloss fallen und lehnte mich mit der Stirn gegen das kalte Glas der Eingangstür. Müdigkeit überkam mich so schlagartig, dass ich mich am liebsten auf der Stelle zusammengerollt hätte. Träge schob ich mich von der Tür weg, schlürfte ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher aus. Der Weg die Treppe hinauf kam mir elendig lang vor, während ich meine Beine schläfrig hinter mir her zog. Durch das Ofenfenster vor meiner Tür glühte es noch sacht orange und legte einen sanften Schimmer über alles. Licht brauchte ich nicht, um mein Bett zu finden. Umständlich zog ich mir, auf der Matratze liegend, meine Sachen aus und warf mir das lange schlaksige Nachthemd über. Leise seufzend zupfte ich mir die kuschlige Biberdecke bis unters Kinn und zog meine Beine an die Brust. Die Zimmertür stand noch offen. Knackend fielen die letzten Holzscheite in sich zusammen. Ich mochte das Geräusch. Es ließ mich schnell und ruhig einschlafen. Irgendwann in der Nacht spürte ich ein kleines Knäuel, das sich an meinem Fußende auf der Decke zusammenrollte. Ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen, bevor ich wieder weg döste. Die folgenden Tage waren komisch. Wir hatten uns unmerklich voneinander distanziert. Keiner schien noch etwas über das leidige Thema verlieren zu wollen aber das änderte nichts daran, dass es noch immer wie ein Damoklesschwert über uns hing. Stumm teilten wir den Bürgersteig auf dem Hin- und Rückweg zur Schule. Nur das Eis, gepaart mit verstreutem kleinem Kies, knirschte unter unseren Schritten und vermied, dass es gänzlich still um uns war. Ab und an versuchte einer von uns, plump ein Gespräch anzufangen aber wir merkten beide schnell, dass wir noch nicht bereit dafür waren, einfach weiter zu machen. Man sollte meinen, dass es einfach wäre, es zu vergessen und so zu tun, als sei es wie zuvor. Aber das war es nicht. Nicht für mich und anscheinend auch nicht für ihn. Mit jedem Tag hatte ich das stärkere Gefühl, dass irgendwie mehr dahinter steckte; dass er mir etwas verschwieg. Wenn es nicht um Gefühle ging, was sollte es dann sein? Was meinte er, als er sagte, ich würde nicht in einer anderen Welt leben? Wollte er, dass ich nicht mehr las; keine Bücher mehr wälzte, als seien es nur Kurzgeschichten? Was sollte ihm das nützen? Ich hatte schon immer gelesen. Das war einfach so und ich hatte nie gehört, dass es in irgendeiner Weise schädlich wäre. Es war einfach meine Art, das ganze Chaos um mich herum zu vergessen und die Dinge zu erleben, die mir in diesem Leben niemals wiederfahren würden. Ich würde niemals mit einem Drachen durch die Luft reiten oder aus meinen Fingern Magie versprühen; niemals durch einen Wald wandern, der von kleinen leuchtenden Elfen erfüllt war und ich würde auch nie so geliebt werden, wie es in den großen Schnulzen immer beschrieben wurde. Zumindest war ich davon überzeugt. In den Pausen verschwand Nanuk meist sehr schnell und kam auch erst am Ende der Pause wieder. Ich erklärte mir das Verhalten damit, dass er vermutete, ich würde ihn sonst wieder fragen, was das alles bedeutete. Ehrlich gesagt, wollte ich es gar nicht mehr wissen. Zumindest nicht jetzt, wo die ganze Sache noch so frisch war; man sich immer noch auf irgendeine Weise verletzt fühlte. Als Nanuk noch nicht an meiner Schule war, verbrachte ich viel Zeit mit Ben und den anderen aus der Clique. Ich hatte zwar nie das Gefühl gehabt, dass auch nur einer unter ihnen war, der mich wirklich verstand aber es waren trotzdem meine Freunde. Wir unternahmen viel; erlebten auch Diverse Blockbuster, die man eben im Alter von zehn so erlebte und hatten viel Spaß zusammen gehabt. Bei diesem Gedanken musste ich zwangsläufig innerlich schmunzeln. Aber mit der Zeit zog es mich immer mehr zu Nanuk und schließlich kapselte ich mich fast komplett von ihnen ab. In den letzten Tagen freute sich Ben über meine gestiegene Anwesenheit in der Gruppe aber Marie war alles andere als begeistert. Sie glaubte ich würde ihr ihren Ben wegnehmen, da er schon immer sehr aufmerksam im Bezug zu mir war; ihr gegenüber allerdings nicht. In einer ruhigen Mittagspause, saß ich bei Ben und den anderen. Genüsslich aß ich mein Mettbrötchen und lauschte den Gesprächen der anderen. Ich erfuhr, dass sie für die nächsten Tage einen Ausflug ins Hallenbad geplant hatten. Zur Enttäuschung für Marie, lud Ben mich prompt ein mitzukommen. Es war eine Weile her, dass ich das letzte Mal dort gewesen war und Dad hatte mir erlaubt den Wagen zu nehmen, so lange er fort war. Ich sagte zu und bot mich also als Fahrer an. Ben war offensichtlich sehr zufrieden mit sich, denn er grinste bis über beide Ohren und schwärmte schon davon, was wir noch alles tun konnten an dem Wochenende. Zaghaft versuchte ich in seine Freude mit einzustimmen, schaffte es allerdings nicht sonderlich gut, da mich Maries boshafte Blinke ablenkten. Das blondhaarige Mädchen schien mich zu ihrem Erzfeind auserkoren zu haben, obwohl ich eigentlich immer deutlich gemacht hatte, dass Ben und ich nur Freunde waren und ich kein Interesse hatte daran etwas zu ändern. Ich war gespannt darauf, was die Pubertät für Spuren an allen hinterlassen hatte. Ob sie muskulös geworden waren oder immer noch schlaksiger Natur. In den dicken Winterklamotten, in die wir uns immer hüllten war das nur schwer zu erkennen. Wenn man im Sommer einen dünnen Pullover tragen konnte, dann war es schon warm. An Shirts war gar nicht zu denken. Ein Grund mehr, warum mich viele für meine untypische etwas dunklere Haut beneideten. Ich verdankte sie meiner Mutter, deren Eltern irgendwo aus dem Mittelmeerraum kamen und uns diese Gene mitgegeben hatten. Beim Gedanken an sie, schlich sich ein schmerzliches Gefühl der Entbehrung ein. Es war drei Jahre her, dass ich sie und meine Schwester Merle das letzte Mal in Deutschland unserer Heimat besucht hatte. Vielleicht würde ich es diesen Sommer schaffen den großen Teich zu überqueren; geschweige denn Dad bezahlte mir den Flug. Dies bezüglich war er glücklicherweise immer recht spendabel gewesen aber ich wollte und konnte es nicht als selbstverständlich voraussetzen. Das Wochenende rückte schnell näher. Nanuk war mir den Rest der Woche nun gänzlich aus dem Weg gegangen, von den Strecken zur Schule und zurück mal abgesehen, so dass ich alle Pausen bei Ben und den anderen verbrachte. Ich war überrascht, wie offen und herzlich mich alle wieder aufnahmen und sich anscheinend freuten, dass ich wieder mehr Interesse für sie hatte; von Marie natürlich abgesehen. Ihr Modelkörper umzingelte jeden Moment Ben und ließ mich nicht aus den Augen. Grace war es am wenigsten anzumerken, dass ich lange nichts mit ihnen zu tun hatte. Munter plapperte sie vor sich hin, berichtete mir von lustigen Geschichten und ihren neu errungenen Erfahrungen bezüglich der Männerwelt. Entzückt stellte ich fest, dass es sehr angenehm war nicht nur mit Nanuk zusammen zu sein. Ich freute mich mal wieder reine Mädchengespräche führen zu können und schwor mir, dass ganze nicht wieder einschlafen zu lassen, auch wenn ich mich mit Nanuk wieder vertragen hatte. Überraschenderweise entschied ich mich Grace am Freitagabend zu mir einzuladen. Wir verstanden uns so gut, dass es einfach aus mir raus gesprudelt kam. Sie strahlte übers ganze Gesicht und ihr Sprachtempo überschlug sich fast vor Freude. Ehrlich gesagt, kam ich mir ein wenig schäbig vor. Immer hatte ich geglaubt es gäbe nur Nanuk und sonst würde sich keiner für mich interessieren. Vollkommen verblendet hatte ich gar nicht bemerkt, dass sie mich nicht vergessen hatten; vielleicht immer mal wieder die Hoffnung hatten, ich würde zu ihnen kommen aber sich letztlich nicht trauten von selbst an mich heranzutreten. Warum auch? Ich war diejenige gewesen, die gegangen war. Sie waren mir keine Rechenschaft schuldig. Das wichtigste jedoch war, dass mich das alles von den merkwürdigen Ereignissen ablenkte und mich meine Langeweile nicht zwang darüber nachzudenken. Ich würde mir ein schönes Wochenende machen und hoffen, dass sich bis Montag alles ein wenig gelegt hatte und wieder Normalität einkehrte. Grace nussbraune Augen funkelten voller Vorfreunde, als wir uns Freitagmittag verabschiedeten und sie zu Ben in den dunkelblauen kleinen Opel Corsa stieg. „Bis nachher!“, rief ich ihr noch zu und konnte gerade noch sehen, wie sich Bens dunkler Haarschopf zu ihr rüber lehnte und sie angestrengt nach irgendwas befragen wollte. Ich musste grinsen, denn ich konnte mir denken, was nun kommen würde. Nanuk war ruhig und schritt ein wenig steif neben mir her. „Du triffst dich heute also mit Grace?“, fragte er. Ich suchte verzweifelt nach einem Unterton oder irgendeinem Anzeichen, was er mir damit sagen wollte aber ich fand keinen. Entweder war er sehr gut darin -davon ging ich aus- Gefühle zu verbergen oder es war tatsächlich nur eine einfache Frage. „Ja. Ich habe ganz vergessen, dass wir mal gute Freundinnen waren und da dachte ich mir, es wäre schade drum, dass kaputt gehen zu lassen.“, antwortete ich wahrheitsgetreu. Er sagte nichts weiter dazu, nickte nur und ging stumm weiter. Kühler Wind pfiff uns um die Ohren und wehte lockeren Pulverschnee von den Dächern der Häuser. Der Baustil war hier sehr einheitlich. Die Fassaden der Einfamilienhäuser waren mit Holzbrettern verkleidet und in den verschiedensten Pastelltönen gestrichen. Nur die wenigstens waren in kräftigen Farben gehalten. Die meisten Fenster im ersten Obergeschoss waren nicht schräg mit dem Dach bündig, sondern stachen unter einem separaten Spitzdach nach vorne heraus. Neben den Wohngebäuden schlossen sich entweder Carports oder Garagen an. Die kleinen Vorgärten, mit den hölzernen Zäunen waren komplett eingeschneit. Hier und da stand ein großer weißer Schneemann neben der überdachten Eingangstür und lächelte uns mit seiner Karottennase entgegen. „Bis Montag! Viel Spaß.“, brummte er gegen den Wind an und ging, ohne eine Antwort abzuwarten, über die Straße und folgte einer, nach kurzer Zeit abknickenden, Abzweigung. Das Haus von meinem Dad und mir war fast am Ende der Straße und somit auch fast am Ende des Dorfes. Ich ging noch gute fünf Minuten ehe ich ankam. Die Garageneinfahrt war komplett zugeschneit. Sollte ich tatsächlich irgendwohin wollen, würde ich erst mal eine Stunde dafür investieren müssen, die Auffahrt frei zu bekommen. Die Holztür des dunkelblauen Zaunes ließ sich quietschend aufschwingen. Ich stöhnte leise und stapfte zur Haustür, ging die drei Stufen unter das Vordach hinauf und wollte aufschließen. Der Schlüssel ließ sich nur schwer umdrehen und das Schloss knirschte bedenklich. Im selben Moment, wie ich es schaffte die Tür aufzubekommen, überlegte ich wo wir das Enteisungsmittel und Öl für das Tor hingetan hatten. Eigentlich konnte es nur irgendwo im Keller oder auf dem Dachboden sein aber das hieß leider nicht, dass ich es auf Anhieb finden würde. Mikosch schob sich unerwartet hinter mir durch die Tür und hüpfte auf die Fliesen des Kachelofens. Erwartungsvoll schaute er mich aus seinen dunklen unergründlichen Augen an und miaute leise. „Na du Rumtreiber! Dich habe ich auch schon ein paar Tage nicht mehr gesehen. Was machst du bloß immer solange draußen bei dem Wetter?“, fragte ich ihn und streichelte ihm über das hübsche orangene Köpfchen. Schnurrend schmiegte er sich an meine liebkosenden Hände und genoss jedes Kraulen. „Jetzt muss ich aber.“ Leise schnurrend blieb er sitzen und musterte mich, wie ich die Haustür endlich schloss und meine verschneiten Winterstiefel auszog und auf altes Papier auf die erste Kellerstufe stellte. Den Rucksack an die gewohnte Stelle an die Treppe werfend, entledigte ich mich dem gefütterten Wollmantel und meinem weichen Schal. Ich hängte beides über das Treppengeländer und ging in die Stube. Es war frisch im ganzen Haus. Die Öfen mussten ausgekühlt sein. Einen prüfenden Blick auf unsere CD Sammlung werfend, nahm ich schließlich ein älteres Album von Priscilla Hernandez heraus und legte es in die Anlage. Sachte ertönte die melodische Stimme, gepaart mit kräftigen und ausdrucksstarken Klängen. Minutenlang blickte ich aus den großen Fenstern hinaus in den Wald und genoss die Musik, bevor ich meine Tasche nahm und hoch in mein Zimmer ging. Das Licht war gedämpft, durch den dunklen Vorhang der noch immer vor meinem Fenster hing und mich in Ruhe, bis zum Klingeln des Weckers schlafen ließ. Ich schritt nach rechts, quer durch den länglichen Raum und zog den dicken Stoff hoch. Den Rucksack neben meinem weißen Schreibtisch platzierend, der direkt neben dem Fenster in der Ecke stand, warf ich einen kurzen Blick auf den Tisch. Das Klebezettelchaos wies nichts auf, was dringend noch erledigt werden musste. Zum Glück. Die Kissen auf der breiten Fensterbank aufschüttelnd, starrte ich hinaus. Dicke Zweige bogen sich im Garten unter der kaum vorstellbaren Last des Schnees, der sich auf ihnen gesammelt hatte. Manchmal knarrte es Nachts laut und einer von ihnen barst unter einem kräftigen Windstoß. Irgendwann hatte ich mich an das Geräusch gewöhnt und zuckte nicht mehr zusammen, als würde draußen ein Krieg ausbrechen. Direkt vor der breiten Fensterbank stand ein kleines Schränkchen, mit einer Lampe und zwei Büchern. Die Fächer darunter waren ebenfalls mit diversen Romanen gefüllt, die ich bereits gelesen hatte oder noch lesen wollte. Sorgsam legte ich die dicke dunkle Felldecke zusammen und platzierte sie am Ende der Bank. Echtes Fell wäre mir jedoch nie untergekommen. Ich verbrachte die meiste Zeit in meinem Zimmer, auf dieser Fensterbank und gönnte mir gelegentlich einen Moment, um einen Blick hinauszuwerfen und mir die gerade gelesene Szene in Ruhe vorzustellen. Das war das Beste an einem Buch. Man ließ sich in der Fantasie eines anderen Menschen fallen und lebte seine Ideen, mit einem kleinen Hauch der eigenen Wünsche angereichert. Schließlich las jeder in einem Buch etwas anderes. Für den einen war der Hauptcharakter unglaublich schön und für den anderen eher durchschnittlich, wohingegen der fesche Bösewicht einen großen Reiz ausmachte. Ich drehte mich in Gedanken zur Dachschräge nach links, unter der mein breites Bett stand, legte die Biberdecke zusammen und schüttelte die unzähligen Kissen auf. Natürlich stieß ich mir, wie immer, den Kopf beim Aufrichten und hätte beinahe das Panorama Poster von der Wand gerissen. Wenn ich nicht einschlafen konnte, starrte ich gerne auf die dunkle Ozeanfläche und den leuchtenden Mond, der in den Fluten verschwand. Meine Mutter und ich hatten einmal alte Verwandte am Mittelmeer besucht. Eine Nacht verbrachten wir am Strand mit Lagerfeuer und sternenklarem Himmel. Ich konnte mich an keinen Abend erinnern, an dem ich die Natur und das Meer so geschätzt hatte. Das Poster wirkte auf mich, wie ein Foto jenes unvergesslichen Abends. Seufzend kramte ich meine Klamotten zusammen und hing sie in den massiven Buchenschrank, der neben meinem Bett stand. Mikosch kam in mein Zimmer gestiefelt und rollte sich auf einem Kissen auf der Fensterbank zusammen. Während ich so vor mich hin wuselte, musste ich mir eingestehen, dass ich doch etwas nervös war. So lange hatte ich mich nur mit Nanuk befasst und alle anderen links liegen lassen. Ich hoffte, dass ich Grace nicht enttäuschen würde, denn irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie die Hoffnung barg, ihre alte beste Freundin zurückzubekommen. Es war ein Wunder, dass sie mir die ganze Sache nicht Übel nahm und sich stattdessen sogar freute. Die Gruppe schien im Allgemeinen nicht sehr nachtragend zu sein. Heutzutage war das viel wert. Vermutlich hatte ich mit ihnen mehr Glück, als ich mir eingestehen wollte. Die Türklingel ertönte und die melodische Melodie aus der Stube wurde für einen Moment von einem ohrenbetäubenden Läuten verdrängt. Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer. Mikosch hob neugierig das Köpfchen und spitzte die Ohren, während ich schon aus dem Zimmer lief und die Treppe hinunter polterte. Die Stufen knarrten wie immer trügerisch aber hielten dennoch beharrlich meinem Gewicht stand. Ein dunkler Schopf schimmerte durch die milchigen Glasscheiben der Haustür. Meine Schritte wurden langsamer. Die Person war definitiv größer als Grace. Für einen Augenblick blieb ich stehen. Mein Herz hatte sich von dem plötzlichen Sprint noch nicht ganz erholt. Stirnrunzelnd legte ich die rechte Hand auf die Türklinke und schwang sie auf. „Nanuk?“, fragte ich irritiert und schaffte es nicht den entrüsteten Ton gänzlich aus der Frage zu verbannen. „Hi. Ich wollte gar nicht lange nerven, ich weiß ja das du gleich noch Besuch bekommst“ - meine Augenbraue schob sich nach oben- „ Ich wollte dir nur das hier geben.“ Er streckte die Hand aus und hielt mir eine Kette hin. Die etwas großen Kettenglieder wirkten alt und ein wenig angelaufen, fast wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit, oder einer anderen Welt, huschte es mir durch den Kopf. An ihr hing ein kleiner Tropfen förmiger Anhänger aus einem mir unbekannten Stein, der in ein dunkles Metall gefasst war. Der Stein schimmerte ein wenig, als würde fließendes Wasser durch ihn hindurch gleiten. „ Ich… ich weiß gar nicht was sagen soll. Warum schenkst du mir das?“, fragte ich und konnte meinen Blick nicht von der Kette abwenden, traute mich jedoch auch nicht meine Hand nach ihr auszustrecken. „Sieh es als zu frühes Geburtstagsgeschenk.“, lächelte er matt und legte mir das kühle Metall auf die Hand. „Trag sie bitte. Leg sie nicht weg, auch nicht zum schlafen. Sie wird dir Glück bringen, vertrau mir.“ Irgendetwas an seinem Verhalten war komisch. Er wirkte schon wieder wehmütig und blickte mich traurig an, mit einem gezwungenen Lächeln auf den Lippen. Ich wollte nicht unddankbar sein und spielte ihm vor, mich unwahrscheinlich über das Geschenk zu freuen. Es musste erst wieder ein wenig Zeit ins Land gegangen sein, bevor ich ihn fragen konnte, was es tatsächlich mit der Kette auf sich hatte und ebenso mit allem anderen. Unendlich lange schien er mir forschend ins Gesicht zu schauen, auf der Suche nach etwas, was er nicht zu finden schien und vielleicht auch gar nicht wollte. Er sagte nichts; stand nur da und beobachte, wie ich die Kette in der Hand hin und her wog und mit dem Finger über den scheinbar flüssigen Stein strich. Er war angenehm kühl und es kam mir vor, als würde er mit jeder Bewegung, die ich machte anders Funkeln. Es dämmerte langsam. Die Straßenlaternen fingen hinter ihm an leise surrend vor sich hin zu glimmen. In ein paar Häusern brannte Licht und Schatten bewegten sich hinter den meist durchscheinenden Gardinen. Kleine Flocken rieselten vereinzelt vom Himmel und benetzten seine dunklen Haare. Seine grünen Augen durchforsteten mein Gesicht und ich spürte, wie mir innerlich etwas unwohl wurde. „Ich werde sie tragen. Versprochen.“, flüsterte ich und wandte, aus mir unerfindlichen Gründen, etwas beschämt den Blick ab. Ein kurzes unglückliches Lächeln umspielte seine schimmernden Lippen, bevor er sich abwand und ohne ein weiteres Wort, den Weg hinunterging und nach geraumer Zeit in der Seitengasse verschwand. Ich weiß nicht was passiert war, dass er auf einmal so anders wirkte. Betroffen und abwesend tat er Dinge, die er sonst nie getan hatte. Sehr selten hatte er, seit meiner Ohnmacht, noch ein ehrliches Grinsen auf den Lippen oder einen kecken Spruch für mich übrig. Betrübt schaute ich ihm nach und legte in Gedanken die Kette um. Sie war nicht so schwer, wie ich es erwartet hatte. Angenehm schmiegten sich die Kettenglieder an meinen Hals und schienen, im Bruchteil einer Sekunde meine Körperwärme aufgenommen zu haben. Der Anhänger lag direkt unter der Mitte meiner Schlüsselbeine und funkelte und glitzerte geheimnisvoll. Für einen Moment glaubte ich er würde Wärme ausstrahlen, die meinen Körper und meinen Geist erfasste und meine Rastlosigkeit und Träumereien bannte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)