Normal von Minouett (Omg. It's Creek.) ================================================================================ Kapitel 2: Professor des Bösen ------------------------------ „Meint ihr ich hab 'ne Chance, wenn ich sie am Wochenende auf meiner Party abfülle?“ Clyde ging mal wieder gewaltig auf den Wecker. „Ich mein; Frauen trinken sich Männer schön und Bebe ist schließlich anspruchsvoll, also-...“ Craig versuchte Clydes Gelaber auszublenden und stattdessen auf die Geräuschkulisse des Klassenzimmers zu wechseln. Die Obsession mit der hübschen, vollbusigen, selbstbewussten Blondine aus ihrem Jahrgang, gehörte zu Clydes Alltag wie seine geliebten Tacos zu seiner Hauptmahlzeit. Der Braunhaarige war über beide Ohren verschossen, hing dabei zwischen strotzendem Selbstbewusstsein und nagenden Zweifeln. Er mochte sich selbst, hasste aber die zwei Kilo zu viel auf seinen Rippen, von denen er überzeugt war, dass sie Schuld daran waren, dass Bebe ihn abweisen würde. Er war nicht dick, nicht einmal mollig. Aber eben auch nicht durchtrainiert, wie zum Beispiel Stan. Und er war davon überzeugt, dass Bebe nur den perfektesten Mann, aller männlichen Männer nehmen würde. Also ihn. Nur mit zwei Kilo weniger. Kritisch wanderte der Blick des Braunhaarigen an sich runter und er zupfte ruhelos an seinem roten Shirt. „Bebe trinkt dich unter'n Tisch, man. Da ist nichts mit 'Abfüllen'“, kommentierte Token resigniert. Craig sagte überhaupt nichts. Für Craig waren Frauen... Frauen. Alle hatten sie diese Sucht nach Aufmerksamkeit, nur unterschiedlich stark ausgeprägt. Sie waren neidisch auf das Aussehen der anderen und machten vergangene Freunde lieber zu Feinden als zu ehemals Vertrauten. Vielleicht war er aber auch einfach noch nie verliebt genug gewesen, um die Unterschiede zu sehen. „Frag sie einfach“, brummte er schließlich und blätterte durch seine Hausaufgaben. Er hoffte dieses unwichtige Thema abbügeln zu können, bekam allerdings nur einen entzürnten Blick seitens Clyde zugeworfen. „Einfach Fragen? Bist du des Wahnsinns? Sie würde doch NIE zusagen!“, jammerte er sofort und Token wandte sich kurzerhand Elisabeth zu, mit der er seit etwa einem Monat ging. Da tat er auch gut dran. Wann immer Clyde diesen Tonfall anschlug, konnte man sagen was man wollte; er badete sich in seiner Wanne mit Selbstmitleid und schlug jede Hand, die ihm ein Handtuch des Zuspruchs hinhielt, wehleidig weg. Während Token sich, wie immer, elegant einfach aus der Konversation herauswand, indem er sich von seiner Freundin in ein Gespräch verwickeln ließ, stopfte Craig sich demonstrativ seine Ohrstöpsel in die Gehörgänge. Vielleicht war es unhöflich, aber es erfüllte seinen Zweck. Clyde sah seinen Kumpel beleidigt an, schien noch irgendetwas zu sagen, was der Mützenträger allerdings nur als Mundbewegung wahrnahm und ließ sich verdrossen auf seinem Stuhl nieder. Craig war sich sicher, dass sich Bebe auf ein Date mit Clyde eingelassen hätte, wenn dieser einfach mal beweisen würde, Eier zu haben und sie fragte. Sie genoss die Aufmerksamkeit der Männer und dramatisierte viele Dinge gern, aber sie war eigentlich ein umgängliches Mädchen. Und sie mochte es umworben und erobert zu werden. Der Schwarzhaarige fischte sein Smartphone aus seiner Tasche und checkte seine Nachrichten, während seine Musik die Klassengeräusche verschluckte. Nur Kenny hatte ihm geschrieben und fragte, ob er am Freitag dabei war. Sie waren nicht mehr in einer Klasse und so war sein Nachrichtenordner hauptsächlich mit kurzen SMS von dem blonden Jungen gefüllt, mit dem er sich, abgesehen von seiner Clique, noch am besten verstand. »Jup«, tippte er faul zurück und war froh, dass ihm seine Flatrate solche Kurznachrichten verzieh. Keine 5 Sekunden später vibrierte es und er las » :D Mariah hätte gern ein Date mit deinem Schwanz. Ich geh auf Blondinen-Kurs.« Craig ließ sein Smartphone wieder in die Tasche gleiten ohne zu Antworten. Abwesend richtete er sich vom Kramen in seiner Tasche wieder auf und sah direkt in ein paar braune, große Glubschaugen. Blonde, leicht wuschelige Haare, schmale Lippen, himmelblauer Pullover und braune Jeans. Tweek stand direkt vor seinem Tisch. Er hatte die Hände in den Stoff seines Pullis gekrallt, als hätte er Angst, dass Jemand ihm seine Klamotte hochziehen wollte, und sah seinen Gegenüber aufmerksam an. Im ersten Moment hatte Craig das Gefühl diesem Jungen das erste Mal zu begegnen. Wie auch schon am Morgen, als Tweek nach seinen Fehltagen das erste Mal wieder in der Klasse aufgetaucht war. Er schien wie ein ganz normaler Junge, der nicht an sich rumzerrte, keine seltsamen Laute von sich gab und der dem Blick anderer Menschen stand halten konnte. Craig war sich nicht mal sicher, ob er überhaupt vorher gewusst hatte, welche Augenfarbe Tweek besaß. Nicht, dass es relevant war, es ergänzte nur das seltsame Phänomen, eines nicht nervösen Tweek Tweaks. Langsam nahm Craig seine Stöpsel aus den Ohren und erwiderte Tweeks Blick nüchtern. „Was geht?“, brachte er etwas lahm über Lippen und Tweeks Mundwinkel zogen sich leicht nach oben. „Merkst du...merkst du es?“, stieß er völlig zusammenhanglos hervor und Craig hob die Augenbrauen. „Was?“ Sofort senkten sich Tweeks Mundwinkel wieder, wenn auch nur um wenige Grade. „Na...meine Veränderung!“ Craig griff nach seinem Bleistift und spielte etwas damit. Er mochte nicht, wie Tweek sprach. Wo war sein Gestotter? „Ach das“, antwortete er knapp, als wäre es ihm bisher völlig entgangen. Er gab Menschen nicht gerne das Gefühl, dass er sich mit ihnen mehr als nötig beschäftigte. „Ich bin davon ausgegangen, dass du noch unter Medikamenten stehst, weil du krank warst“, antwortete er schlicht und Tweeks Ausdruck verfinsterte sich, ehe er zurückhaltend erklärte: „Ich...Ich werde jetzt ärztlich betreut...meine Nachhilfelehrerin hat mit meinen Eltern gesprochen.“ „Aha.“ Der Blonde schien einen Moment zu brauchen um neue Worte zu finden. Er hatte offensichtlich mit einer anderen Reaktion seitens seines schwarzhaarigen Freundes gerechnet. „In-Interessiert dich das überhaupt nicht?“, fragte er deswegen etwas reserviert und schien so gefasst wie möglich wirken zu wollen. Doch seine Fingerknöchel färbten sich weiß und seine Augen huschten etwas unruhig im Raum umher, als sei er abgelenkt. Craig spürte eine leichte Befriedigung. Er konnte Tweek aus der Fassung bringen. Dann würde er sich nicht um gewöhnen müssen und alles war gut. „Doch, klar.“, antwortete er monoton und wusste, dass er das genaue Gegenteil offensichtlich ausstrahlte. Tweek schien es ebenfalls zu merken, denn sein Griff an seinem Pulli wurde noch etwas fester, als wäre der Stoff Schuld an allem, was sich ereignete und er kaute auf seiner Unterlippe herum. „Okay“, sagte er nur noch, wandte sich ab und setzte sich auf seinen Platz, direkt vor Craig. Dieser war mit sich zufrieden. Ohja, er würde Tweek wieder zu dem machen, was er vorher gewesen war. Er hatte keinen Nerv sich mit einem veränderten Idioten zu konfrontieren. Klar war es erstaunlich angenehm mit ihm zu reden, ohne quiekende Laute und unverständliches Gestotter, aber darum ging es Craig nicht. Er war Tweek mit seiner eigenen Art und Weise gewohnt. Er wusste, wie er mit ihm umging, was für Sprüche er sich leisten konnte und wie sie interagierten. Jetzt, wo Tweek sich therapieren ließ und versuchte sich zu ändern, würde er sich ebenfalls umstellen müssen. Rücksicht nehmen, auf neue Fettnäpfchen aufpassen. Das lag ihm ja so gar nicht. Es gab Gründe, weswegen er seit der Grundschule noch immer dieselben Freunde hatte und keine neuen. Er hasste Veränderungen. Sollte doch lieber alles beim alten, gewohnten bleiben. Langweilig, eintönig und vertraut. Das war alles was er wollte. Es dauerte nicht mal die Doppelstunde Philosophie, ehe sich die Chance für Craig bot, Tweek unter seine Fittiche zu nehmen. In Zweier-Teams, sollten sie ein gemeinsames Thema finden und zwei verschiedene Texte mit ihren persönlichen Ansichten verfassen. Einen Begriff, den sie analysieren konnten. Kaum hatte Mrs. Hooper, ihre Lehrerin, in den Raum geworfen, dass sich jeweils ein Partner melden und das Arbeitsteam bekannt geben sollte, schoss Craig's Hand in die Höhe. „Ich arbeite mit Tweek zusammen“, sagte er ruhig und ohne den Betroffenen überhaupt gefragt zu haben. Tweek fiel beinahe vom Stuhl, als er versuchte sich ruckartig zu Craig umzudrehen, als hätte dieser eine Kanone abgefeuert. Für gewöhnlich bestand Craig darauf mit Token zusammen zu arbeiten, weil dieser intelligent war und ihm am wenigsten auf den Sack ging. Tweeks große Augen starrten ihn mit einer Mischung aus Unverständnis und Misstrauen an und Craig zeigte ihm den Mittelfinger, ehe er wieder zur Lehrerin sah. Sie war mittleren Alters und für die Umstände, die in dieser Schule herrschten, recht gelassen im Umgang. „Bist du damit einverstanden, Tweek?“, fragte sie und ermahnte Craig nicht einmal wegen des Mittelfingers. Tweek wandte sich etwas zögerlich seiner Lehrerin wieder zu und nickte. „AWWW, hat das Popopärchen wieder zueinander gefunden?“, dröhnte Cartmans Stimme durch das Klassenzimmer und ein paar kicherten. Craig wandte sich nicht mal in die Richtung des korpulenten Jungen. „Sagt der, der von uns allen die meisten Schwänze angefasst oder gelutscht und einem rothaarigen Schwachmaten bereits in der Grundschule ein Liebesgeständnis gemacht hat“, kommentierte er nüchtern und schrieb weiter in sein Heft; wusste er doch, dass Cartman rot vor Wut anlief und Kyle ihm säuerliche Blicke zuwarf. „Fick dich, Craig!“ „Mach ich später, danke.“ „Ruhe jetzt!“, schritt Mrs. Hooper streng ein und die Klasse gehorchte, einfach weil sie nicht auch in diesem Fach Mr. Garrison haben wollten, der sie aus Serien zitieren lassen und von Sex auf dem Fußboden berichten würde. Mrs. Hooper notierte weitere Paarkonstellationen, ehe sie restliche Formalien klärte und die Klasse nach Hause entließ. Craig packte in gewohnter Langsamkeit seine Sachen, merkte zwar, dass Tweek auf ihn zu warten schien, aber ignorierte es. Erst als er seinen Rucksack schulterte, sah er den Blonden an. Doch wider Erwarten starrte Tweek ihn lediglich an. Tatsächlich; seine Augen waren hellbraun. Es war wirklich komisch so lange Blickkontakt zu haben, ohne dass Tweek nervös wegsah. Gerade wollte Craig fragen, was der Junge von ihm wollte, da wandte dieser sich wortlos ab und ging hastig aus der Klasse. Stirnrunzelnd folgte Craig ihm, doch als er den Gang entlang blickte, war Tweek im Gemenge der Klasse bereits untergegangen. __ „Craiiiiiigg, sag doch!“ „Ruby, ich schwör' dir, ich will seinen Namen nicht aus deinem Mund hören.“ Craig's Stimme zeigte selten Emotionen, doch im Moment war sie unterdrückt gereizt. Seine jüngere Schwester versperrte ihm den Blick auf den Fernseher. Er mochte es nicht, wenn er beim Sehen seiner Serien gestört wurde. Und schon gar nicht, wenn es seine Schwester war. Sie war inzwischen 15, ihre goldblonden, langen Haare schmiegten sich an ihre Hüften, die sich gerade genau dort befanden, wo Craig den Bildschirm vermutete. „Du bist mit ihm befreundet!“, ihre Stimme war etwas schrill und vorwurfsvoll, denn sie war aufgebracht. Doch Craig blieb unbeirrt. „Ja. Und ich will nicht wissen, was er mit dir machen würde. Wenn Kenny dich anfasst, hack' ich ihm die Finger ab und verknote seinen Schwanz.“ Ruby war inzwischen den Tränen nahe. „Du bist so ein Wichser! Ich will ihn nur kennen lernen, nicht mit ihm ins Bett gehen! Ich bin 15, ich kann das schon selbst entscheiden!“ Ihre blauen Augen schimmerten verräterisch und Craigs eiserne Miene wurde etwas weicher. Wenn es einen Menschen gab, der ihm wirklich viel bedeutete, dann war es seine Schwester. Und diese weinen zu sehen, gab ihm das Bedürfnis von der nächsten Brücke zu springen. Etwas widerwillig klopfte er auf den Platz neben sich auf seinem Bett. Einerseits, damit sie endlich wieder das Bild vom Fernseher freigab, andererseits, weil er wusste, dass knappe Verbote nichts bewirken würden. Dinge, die verboten wurden, aber bei denen man nicht verstand wieso, waren sinnfrei. Seine Schwester würde es umgehen und in ihr Unglück laufen. Und das wollte Craig ganz sicher nicht. Zögerlich setzte Ruby sich neben ihren Bruder und wischte sich flüchtig über die Augen, sodass sie eine Spur schwarzer Schminke hinterließ. Craig betrachtete seine Schwester. Große, offene Augen, aber eher mit einem herausfordernden Funkeln als einem naiven Glimmern. Craig räusperte sich leicht, ehe er mit recht monotoner Stimme begann: „Hör zu, Ruby. Kenny ist ein cooler Typ. Aber seit seiner letzten Beziehung hat er keinen Nerv mehr auf den Mist und er ist mehr für flüchtige Bekanntschaften.“ „Es heißt One-Night Stand, Craig. Ich bin keine 6 mehr“, korrigierte Ruby und Craigs Mundwinkel zuckten, unsicher darüber, wie er zu dieser Aussage seiner Schwester stehen wollte. „Schon gut. Also Kenny hat nur One-Night Stands. Nichts Festes. Und das ist nicht das, wonach du suchst. Fertig. “ Ruby zuckte etwas hilflos mit den Schultern. „Vielleicht kann ich ihn ja umstimmen?“, schlug sie vor und innerlich stöhnte Craig auf. Frauen. Noch so eine Sache, die er nicht kapieren konnte. Alles wollten sie ändern. Egal, ob der Zustand gut oder schlecht war, es ging immer anders. Zum wahnsinnig werden. „Kenny ist ein Lustmolch. Ein freundlicher, Frauen-respektierender, perverser Lustmolch“, legte er fest und hoffte, dass das Thema bald durch war und er die restlichen 10 Minuten seiner Serie genießen konnte. Ruby bekam wieder ihre Schmolllippe, die zeigte, dass Widerworte im Anmarsch waren. „Aber Menschen können sich ändern, Craig.“ „Menschen ja. Kenny nicht. Der ist seit der Grundschule so und wird es auch im Altersheim noch trei-...bleiben.“ Ruby's Augen füllten sich erneut mit Tränen und Craig schluckte. „Okay, okay“, wandte er deswegen etwas hastig ein und legte zögernd einen Arm um das junge Mädchen, „Ich mach' dir 'nen Vorschlag: Ich frag' Clyde, ob du am Freitag mit auf die Party kommen kannst. Kenny wird auch da sein und dann kannst du ihn ja live und in Action erleben.“ Craig schlug diese Vorgehensweise nicht ohne Grund vor. Kenny hatte ihm schließlich gerade erst geschrieben, dass er auf Blondinen-Kurs war. Das bedeutete, dass sein Kumpel sich bereits Jemand bestimmtes ausgeguckt hatte, bei dem er versuchen wollte zu landen. Vielleicht Bebe. Oder Annie. Wobei man bei Kenny nicht wirklich von „Versuchen“ sprechen konnte; die Frau die er erobern wollte, bekam er auch. Das war beinahe ein Gesetz. Und er, als wachsamer Bruder, würde den Abend eben ein Auge auf Ruby haben. Natürlich kostete es ihn Überwindung sich einen Abend lang mit einem anderen Menschen außer sich selbst zu beschäftigen, aber bei seiner Schwester machte er in fast allen Lagen gewissenhafte Ausnahmen. Genau wie bei seinem Meerschweinchen. Nach kurzer Überlegung nickte Ruby und umarmte ihn fest. „Danke, Craig.“ „Mach 'ne Biege in dein Zimmer, ich will die letzten 5 Minuten und 20 Sekunden meiner Serie schauen.“ Seine Schwester löste sich von ihm und streckte ihm keck ihren Mittelfinger entgegen, ehe sie aus dem Zimmer verschwand. Craig schüttelte leicht den Kopf und konzentrierte sich auf den Rest seiner Lieblingsserie. Gerade lief der Abspann, als sein Handy sich meldete. Er hasste es zu telefonieren, aber er nahm bereits aus Reflex einfach ab. „Ja?“ „H-Hey, Craig... Hier ist Tweek.“ Er lauschte Tweeks Stimme, verfolgte aber gleichermaßen die Werbung im Fernsehen, die er auf „stumm“ gestellt hatte. „Hi. Was gibt’s?“ „Ich wollte fragen, ob ich...heute vorbei kommen kann, damit wir uns schon mal ein Thema für unsere Aufsätze überlegen können. Ich möchte das so früh wie möglich anfangen, sonst gerate ich unter Stress und zu viel Druck und bekomme Angst, dass-...ah, dass...ich durchfalle und eine schlechte Note bekomme und-...“ Craig war indes aufgestanden und steckte seinen Zeigefinger durch die Gitterstäbe des Käfigs seines Meerschweinchens. So. Tweek würde also unter Stress geraten. „Heute passt es mir nicht“, antwortete Craig daher nüchtern und lächelte leicht als Stripe II. an seinem Finger knabberte. Tweek gab am anderen Ende der Leitung einen etwas erstickten Laut von sich. „Wirklich...gar nicht? Was machst du denn?“ „Zeug.“ „Craig-...bitte! Wir...wir haben nur zwei Wochen Zeit, ich...igh...ich will keine schlechte Note kriegen, ich...“ Craig lauschte Tweeks inzwischen etwas aufgewühlter Stimme und betrachtete fasziniert wie sein Lieblingshaustier an seinem Wassertank nuckelte. Viel besser. Tweek schien wieder normal. Nervös, gestresst, stotternd, stockend... Zufrieden mit seinem Werk, erbarmte Craig sich schließlich: „Wir treffen uns morgen nach der Schule. Du kannst zu mir nach Hause kommen.“ Tweek atmete hörbar auf und einen Moment lang kam nichts mehr am anderen Ende. Craig wandte den Blick von Stripe II. ab und lauschte in den Hörer. „Hast du gehört?“, fragte er irritiert nach und Tweek quiekte: „Ja, hab ich. Ist okay. Aber Craig-...“ „Was.“ Tweek zögerte erneut, doch Craig störte sich nicht daran. Er ließ sich auf sein Bett nach hinten fallen und zupfte an einigen seiner pechschwarzen Haarsträhnen herum. Sein Gesprächspartner atmete erneut hörbar durch, ehe er murmelte: „Vielleicht sollten wir nicht zusammen arbeiten, Craig...Du arbeitest immer mit Token zusammen, vie-vielleicht gefallen dir meine Ideen nicht. D-Das wäre okay; wirklich.“ Craig ließ sich Zeit mit dem Antworten, denn er gab es nicht gerne zu, aber diese Wendung irritierte ihn. „Red' keinen Scheiß. Wir haben öfters mal zusammen gearbeitet und nie schlecht abgeschlos-...“ „Okay, okay!“, fuhr Tweek nervös dazwischen, „Ich kann nicht gut lügen, tut-...tut mir leid, ich...es ist so...ich mach doch diese...uh...Therapie und du...i-ich reg mich immer auf, du-...verstehst du was ich meine?“ Craig richtete sich etwas auf, brachte sich in eine angenehme Sitzposition. Tweek wollte also den Schwanz einziehen weil er Angst hatte, dass Craig ihn zur sehr auf's Korn nahm? Das war nicht gut. Craig war kein Talent, das andere Menschen gut von Dingen überzeugen konnte. Er kümmerte sich für gewöhnlich schließlich nur um seinen eigenen Mist und es war ihm Latz, was andere Leute trieben. Aber wenn er wollte, dass Tweek seinen stinkigen Alltag nicht durcheinander brachte, dann durfte die Gruppenarbeit jetzt nicht im Klo runter gespült werden. „...Okay, komm vorbei“, überwand Craig sich schließlich. „W-...eh...jetzt sofort?“, fragte Tweek verwirrt und Craig sah an die Decke, an der ein einziger schwarzer Punkt haftete. „Ja, jetzt sofort. Bis gleich.“ Ohne abzuwarten legte er auf und schloss die Augen. Es war ihm unangenehm so mit Tweek zu reden. Diese neue Situation allgemein mochte er überhaupt nicht. Tweek war auf einmal so...vorsichtig. Bedacht wegen seiner blöden Entzugstherapie. Er zuckte nicht, er stotterte kaum. Nicht einen einzigen paranoiden Ausbruch hatte er bekommen. Was die ihm wohl für Medikamente gaben? Sicher genug um ein Pferd umzulegen. Er döste etwas weg, ehe es irgendwann an seiner Zimmertür klopfte. „Craig? Deine Mom hat mich direkt rein gelassen!“, hörte er Tweek's gedämpfte Stimme durch die Tür. „Hat sie toll gemacht. Komm rein“, brummte Craig noch etwas träge und sein blonder Freund trat ein. Die Klamotten vom Vormittag, seine Haare inzwischen wieder um einiges zerwuschelter und seine gefranste Umhängetasche aus Stoff von seiner Schulter baumelnd. Craig machte sich nicht die Mühe sich auf zu richten und blieb einfach weiter ausgestreckt auf seinem Rücken liegen. „Hi“, sagte Tweek offensichtlich angespannt. „Hi“, echote Craig und wartete, bis Tweek sich etwas unbeholfen auf die Bettkante setzte. „Pass auf, da hangelt sich gerade eine Spinne von der Decke auf deine Haare“ Mit einem Aufschrei sprang Tweek sofort wieder auf, schüttelte seinen Kopf und raufte sich mit seinen Händen den Haaren, wie ein wild gewordener Gärtner mit Harke, der Laub vom Rasen entfernen wollte. „Wo? WO? M-Mach sie raus Craig, MACHSIERAUS!“, schrie der Junge völlig panisch, sprang aufs Bett, krabbelte auf Craig zu und gab ihm beinahe eine Kopfnuss in dem Versuch ihm seinen Haarschopf hin zu halten. „ MACH SIE RAUS, ich will keine kleinen Tiere in meinem Haar haben! Bitte nicht, sie wird sich ihr Netz spinnen, in meinen Haaren; IN MEINEN HAAREN!“ „Ist ja gut, ist gut, ich hab sie!“, versuchte Craig den Ausbruch zu dämmen, indem er eine Runde in Tweeks Haaren wuschelte und seine Hand dann zurückzog. Er hatte gelogen. Die Spinne, die sich zuvor an der Decke befunden hatte, hatte sich nicht in Tweeks Haare abgeseilt. Sie hatte eine Wanderung gemacht und sich nah an seinem Bettpfosten versteckt. Mit einer Bewegung tat er so, als würde er sie dort absetzen und sah wieder zu Tweek. Mit erneuter Befriedigung. Genau so hatte es zu sein. Ein winziges Tier, Tweek flippte aus. Es war leichter gewesen, als er angenommen hatte. Als er in Tweeks Gesicht sah, zuckte er allerdings leicht zurück. Der Blonde hatte sich zwar in seiner Lautstärke wieder human angepasst, aber er zitterte, voller aufgestauter Emotionen. Seine braunen Augen glänzten mit dicken Tränen, die er mit Mühe zurückhielt. Und dann explodierte er. „GENAU DAS HAB ICH GEMEINT- I-ICH HAB GENAU DAS GEMEINT! ICH HASSE DICH, OKAY? DU VERFICKTER SCHEIßKERL!“ Craig fühlte sich taub und wusste nicht, ob Tweek schon immer so ein lautes Organ gehabt hatte. Er hatte auch nicht viel Zeit nachzudenken, denn der schmale Junge stürzte sich auf ihn und fing an mit ihm zu rangeln. Reflexartig wehrte Craig sich und versuchte sich von den Attacken des Blonden zu befreien, der selber nicht ganz zu wissen schien, ob er Craig wirklich schlagen und somit verletzen wollte. „Alter, was soll der Scheiß?“ fauchte der Angegriffene und bemühte sich Tweek an seinen Schultern von sich weg zu drücken. Er war noch immer etwas aus der Bahn geworfen und hatte, entgegen seiner gewöhnlichen Schlagfertigkeit, gerade keine Ahnung wie er sich verhalten sollte. Klar, Tweek drehte öfters am Rad. Er war nun mal ein Freak. Paranoid, ständig unter Koffeineinfluss, unkonzentriert, voller Ängste und voller Misstrauen. Aber Tweek wandte sich dabei nie gegen Personen, höchstens gegen sich selbst. Und das hier war anders. Es war auf einmal persönlich. Es war gegen ihn, Craig, gerichtet. Und er wusste nicht wieso. Wieso auf einmal alles anders war. Sein Herz setzte einen etwas erhöhten Rhythmus an. Zum Glück war er körperlich inzwischen überlegen und so griff er bestimmt nach den schlanken Handgelenken und hielt sie im eisernen Griff fest, während Tweek auf Craigs Oberschenkeln saß und versuchte sich heraus zu winden. Ohne Erfolg. „Bist du völlig auf Drogen?“, zischte Craig seinem zappelnden Gegenüber um einiges aggressiver entgegen, als er es von sich selbst kannte. Er war keine geladene Emotionsschleuder, dafür war er zu beherrscht. Im Gegensatz zu Tweek, der aussah als wüsste er nicht wohin mich sich und nach Worten zu suchen schien. „Schon i-in der Schule heute; alle waren nett, nur du warst plötzlich -ugh- voll das Arschloch und dann wolltest...wolltest du mit mir arbeiten, obwohl du das nie...nie tust! Uh-...und ich hatte schon gedacht, dass du irgendetwas ausheckst, dass du fies wirst, dass du es mir nicht gönnst, -hng--...du hast eine zweite Persönlichkeit, wie in Spiderman der Professor und-...“ „Du schweifst ab“, unterbrach Craig kühl, wenngleich sein Herz noch immer in Anspannung schneller klopfte, den Tweeks Augen brannten voller wütender Tränen, welche inzwischen ein Wettrennen auf seinen Wangen veranstalteten. „Ich geb'...ich geb mir solche Mühe!“, wimmerte er und schluchzte auf, angestrengt weiterhin Worte hervorzubringen, „Ich kann endlich-...-gh-...normal sein, ganz normal, so normal dass man mich auf Partys einlädt weil man mich mag und nicht weil ich zu euch gehöre! So normal, dass mich Mädchen fragen o-ob ich mit ihnen ausgehen will, von sich aus, ohne dass ihr sie anstiftet und ohne dass sie Wetten abschließen....und du-...du machst das kaputt!“ Craig schwieg. Nicht, weil er wusste wie man cool seinen Senf für sich behielt, sondern weil ihm schlichtweg keine Erwiderung einfiel. Tweeks Offenheit war entwaffnend. Die meisten, die sich als Freak bezeichneten, hatten keinen wirklichen Grund, außer Selbstmitleid. Sie konnten nicht die Person sein, die sie sein wollten und grenzten sich ab, aber eigentlich hatten sie die Chance sich selbst zu ändern. Aber Tweek...war tatsächlich anders. Ohne dass er etwas dafür konnte. Er sprach anders, als die Jugendlichen. Er war sensibel und wirkte häufig unkontrolliert, nicht so cool und gefasst, wie alle Typen sich gerne gaben. Und es kostete unglaubliche Kraft, gegen sich selbst zu arbeiten. Das begriff Craig in diesem Moment. Und entgegen Tweek konnte er nicht offen sein. Nicht ehrlich sein. Ihm war sein Selbstschutz nun mal wichtig. Inzwischen lief Tweeks Nase und Craig gab seine Handgelenke frei, damit er sein Gesicht von der Nässe befreien konnte. Fahrig wischte sich Tweek über die Augen und die Nase, zog sie ungalant hoch und verbarg seine Augen in seinem Ärmel, als wäre der Stoff ein guter Damm für neue Tränen. „Ich hab...hab es satt ein Freak zu sein...-hng-...und jetzt kann mir Jemand helfen, n-ngh-n-normal zu werden! Du hast...hast es einfach, du hast keine Angst und bist normal und alle, selbst Stan's Clique, die dich hassen, finden dich cool. Craig starrte den blauen Ärmel an, der Tweek's Gesicht zum Großteil verbarg. Ein wirklich unschönes Gefühl machte sich in ihm breit und nagte an ihm wie Stripe II, wenn er beleidigt war. Schuldgefühle. Verlegen und noch immer leicht vor restlichem Zorn bebend gab Tweek sein inzwischen etwas rötliches Gesicht frei und sah mit von Tränen geschwollen Augen umher, bloß nicht zu Craig. „Und du ...v-verteidigst dich nicht mal, du blöder Arsch.“ Craig senkte den Blick. „Weil du Recht hast“, gab er etwas schwach zur Antwort und Tweek wandte seinen Blick auf den Schwarzhaarigen. Starrte ihn an, mit einem nicht ganz definierbaren Ausdruck. Craig hörte sich selbst sprechen, ohne dass er überhaupt vorher nachdachte, was genau er tat. Es kam wie von selbst. „Für mich...bist du unnormal, wenn du normal bist. Du bist nun mal ein freakiger Idiot. Wenn du meinst, dass du einer dieser bekackten Mitläufer sein willst, dann mach das. Aber ich will dann nichts mehr mit dir zu tun haben.“ Craig spürte wie Tweeks Gewicht auf seinen Oberschenkeln schwerer wurde, weil die Anspannung in seinem Körper wich. Und genau wie die Anspannung, wich die zugesetzte Farbe aus dem Gesicht des Blonden, während Craig eine unveränderte Miene zeigte und froh war, dass Niemand sein Herzklopfen hören konnte. Tweek entfuhr ein nervöser Lacher. „I-Ist das dein...Ernst?“, fragte er mit kratziger Stimme und Craig nickte lediglich. Er war nicht herzlos, auch wenn er sich recht kompromisslos gab. Er wollte Tweek nicht als Freund aufgeben. Aber er konnte nicht über seinen Schatten springen. Er wollte, dass Tweek einfach nur dieses idiotische Bedürfnis beiseitelegen würde, sich anpassen zu wollen. Tweek fuhr sich mit leicht zitternden Händen durch seine blonden Haare, starrte abwesend auf Craigs dunkelblaue Bettdecke. Eine ganze Weile saß er nur da, zupfte leicht an ihr rum, als wäre er gedanklich in einem ganz anderen Universum. Schließlich rutschte er von Craigs Oberschenkeln und stand auf. Viel zu ruhig für Craigs Geschmack. So richtete er sich ebenfalls auf und sah, wie Tweek sich zu ihm drehte. Braune, große Augen, die auf seine eigenen trafen. Wieder wie bei einer neuen Begegnung, als schien da plötzlich etwas neues, Fremdes zwischen ihnen zu liegen. „...der...Professor von Spiderman ist nichts gegen dich, Craig“, sagte Tweek leise, beinahe zaghaft, mit einem etwas verzerrten, flüchtigen Lächeln auf den Lippen und ging. End of Chapter 2 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)