Kein Zurück von Jefferson ================================================================================ Kapitel 1: Ein Weg zwischen Wahnsinn und Liebe ---------------------------------------------- Vorwort: Es war eine Heidenarbeit, das alles zu schreiben. Ich dachte zunächst, es würde sehr, sehr viel kürzer werden. Es war als fünfseitiger oder sechsseitiger One Shot geplant. Genau genommen als ‚Übergangsposting’ in einem RPG. Dafür war mir die Idee aber zu schade und ich habe sie ausgearbeitet. Und sie ist dann immer mehr und mehr gewachsen und nun ist sie fertig. Allerdings muss ich anmerken, dass ich mich mit Medizin kaum auskenne. Alles hier basiert auf meinen eigenen Nachforschungen im Internet – es kann also da zu Fehlern gekommen sein. Das bitte ich zu entschuldigen – vielleicht könnte mich der ein oder andere dann auch auf etwaige Fehler hinweisen. Ansonsten muss ich sagen, dass ich hoffe, dass das Thema nicht zu anstößig ist. Ich habe mich bei einigen Dingen absichtlich schwammig gehalten, obwohl ich es gerne ausführlicher geschrieben hätte. Aber nun ja. Ich hoffe natürlich, der ein oder andere sagt mir seine Meinung am Ende. Für schonungslose Kritik bin ich immer offen. Widmung: Geht an – weil sie meiner Meinung nach die beste Elisa ist, die man sich wünschen kann! ^__~ Und, weil diese FF für ihren Wettbewerb ist, und weil sie mich dazu inspiriert hat und weil das RPG von dem ich gesprochen hatte, AUCH von ihr und mir ist. ____________________________________________________________________________ When you hope that your luck might last forever… … it ends faster than you could imagine. _______________ Wie von Sinnen attackierte Faust seinen Gegner erneut, er schien völlig wahnsinnig – und war er sich seines Sieges gewiss! Denn, wie wollte dieser kleine Junge dort, dieser Yoh Asakura, sich noch einmal aufrappeln? Er hatte bereits zu Beginn des Kampfes all seine Schamanenkraft, all sein Furyoku aufgebraucht. So leicht würde es sein, zu gewinnen, ihn niederschmettern zu schlagen. Für das, was er ihm, Faust, angetan hatte! Nein, schlimmer noch!. Was er seiner Elisa angetan hatte, hatte er sie doch als ‚Puppe’ beschimpft! Dafür würde er sich nun rächen! Trotz des Wahnsinns drangen die Worte des Bengels an sein Ohr. So wenig sie ihm auch gefielen. Woher nahm dieser Bengel sich das Recht heraus, ihn darauf hinzuweisen, dass Schamanen die Toten nur beschwören würden, damit die Lebenden sich verabschieden konnten?! Das akzeptierte er, Faust VIII., nicht! Er wollte seine Elisa zurück bekommen, er würde sie zurück bekommen! „Faust!“ Yohs Schwert war auf ihn gerichtet, konnte aber keine sonderliche Bedrohung darstellen. Alles was Asakura noch geblieben war, war ein letzter Rest konzentriertem Furyoku auf der Spitze seines Schwertes. „Du lebst in der Vergangenheit! Du hast kein Anrecht darauf, Schamanen-König zu werden!“ Für einen Augenblick war dem deutschen Schamanen, als würde seine Welt ein weiteres Mal in sich zusammenbrechen. Als würde Elisa ein zweites Mal sterben, direkt vor seinen Augen. Dieser dreiste Bengel hatte es geschafft, mit dem letzten Rest seiner Kräfte seine geliebte Elisa kaputt zu machen! Ihre Beine – völlig wertlos! Völlig zerschmettert, von den Knien abwärts! Geschockt sackte der junge Mann auf die Knie, direkt vor dem nun völlig leblosen Skelett seiner Angebeteten. Weder die Jubelschreie seiner Gegner noch sonst etwas klang in seinen Ohren. Nur das Rauschen seines eigenen Blutes. Sollte alles wieder so werden, wie schon vor zehn Jahren…? Damals, das war die wohl schlimmste Zeit seines Lebens gewesen… „Ich bin bald zurück, mein Engel.“ Johann konnte die Wärme ihrer Haut spüren, als seine Finger über ihre Wangen strichen. Konnte ihr schwaches Lächeln sehen. Und der junge Arzt wusste, dass sie ihn nur schwer gehen lassen wollte. So war es immer. Am liebsten wären sie stehts beieinander. „Ich weiß, du musst, Johann…“, gab die junge Frau schweren Herzens von sich. Andernfalls hätte sie ihn wohl niemals gehen lassen, das wusste er. Oh, er konnte ihre Gefühle nachvollziehen – jede Sekunde die die beiden zusammen verbringen konnten, war kostbar, ein Geschenk. „Du weißt doch, manche Patienten sind etwas eigen…“ Ein unbekümmertes Lachen erklang aus dem Mund des Mannes. „Ein paar weigern sich strikt, eine Klinik oder etwas derartiges zu betreten.“ Wäre es anders gewesen, so hätte er an diesem Tag das Haus nicht verlassen müssen, müsste sich nun nicht auf den Weg machen, einem Patienten einen Hausbesuch abzustatten. Sicherlich war es eine Lappalie, wie so oft. Johann kannte den ein oder anderen Patienten inzwischen recht genau, wenngleich er doch erst seit so kurzer Zeit Arzt war. Er war begabt, ohne Frage. Nicht nur das, er war ein wahres Naturtalent, das hatte ihm jeder seiner Professoren und jeder Arzt den er bisher getroffen hatte, bestätigt. Seine Fingerfertigkeit war grandios, sein Kopf klar und scharf. Niemand hatte wohl je etwas anderes erwartet, vom Nachfahren des berühmten Doktor Faust. „Ich werde mich beeilen.“ Seine Lippen suchten sich den Weg zu ihrer Stirn, hauchten einen sanften Kuss darauf, ehe er Elisa ein Lächeln schenkte. Sie lehnte ihre Wange leicht gegen seine Hand, während seine geschickten Finger noch immer sanft über ihre Haut streichelten. Nur langsam und widerwillig zog Johann sie zurück, seufzte bedauernd. Er musste nun wirklich los, eine weitere Verabschiedung von seiner geliebten Frau, dann lächelte er ein weiteres Mal und wandte sich endgültig ab, um das Haus zu verlassen. Nun ja – die Klinik. Denn das alles gehörte ihnen, es war nicht unpraktisch, das zuhause mit dem Arbeitsplatz zu verbinden. Elisa hatte dem erst kritisch gegenüber gestanden, dann aber doch zugestimmt. Andernfalls würde sie ihn wohl sehr viel seltener zu Gesicht bekommen. Denn seine Liebe zu ihr musste sie noch mit zwei Dingen teilen: seine Schwäche für die Dichtkunst und seine Ergebenheit zu seinem Beruf. So wenig Johann Faust auch mit den Menschen anfangen konnte, so war es ihm dennoch ein tiefes Bedürfnis, Menschen zu retten, zu heilen. Ganz gleich, was sie von ihm hielten, oder was er von ihnen hielt. So schrieb es schließlich früher der Eid des Hippokrates vor, oder inzwischen auch das Genfer Gelöbnis, abgelegt von einem jedem Arzt. So auch von ihm. Bis in die Stadt war es kein sonderlich weiter Weg. Dennoch würde er erst nach dem Einbruch der Dunkelheit zurück sein. So sehr Johann sich auch beeilte – er wusste, dass Elisa einige Stunden ohne ihn verbringen musste. Gleichzeitig fühlte er sich ein klein wenig schuldig dafür, so wenig er vermutlich auch dafür konnte. Sie sagte es ihm immer wieder – und ein Rest der nagenden Schuld blieb doch stehts zurück, wenn er sie all zu lange allein zurück ließ. Zwar war Johann bewusst, dass er an diesem Abend alles noch ein klein wenig mehr hinauszögerte, doch hoffte er dennoch, dass seine Liebste ihm das nicht übel nehmen würde. Schließlich liebte sie Blumen! Und der Blumenladen in der Stadt hatte noch offen gehabt, gerade als er sich auf dem Rückweg befunden hatte. Als der junge Arzt den Laden betrat, schlug ihm sogleich der Duft der Blumen entgegen, vernebelte für einen kurzen Augenblick seine feinen Sinne. Die Glocke der Tür hatte auch eine junge Frau aufsehen lassen – sie dürfte nur ein klein wenig älter als er selbst sein. „Ah, Doktor Faust!“ Sie lachte, warf mit einer geschickten Bewegung die zu einem Pferdeschwanz gebundenen braunen Haare über die Schulter zurück. Dabei hob sie die Hände aus dem Topf, in den sie gerade ein kleines Pflänzchen eingesetzt hatte, befreite sich von den Gummihandschuhen und legte diese beiseite. Johann beobachtete sie dabei genau, wartete einfach nur ab, bis sie zu ihm heran getreten war. Ein strahlendes Lächeln umspielte ihre Lippen. Verübeln konnte er es der Frau nicht. Immerhin war er ein guter Kunde, ungefähr einmal die Woche kam er vorbei, um Blumen zu kaufen. „Was darf’s denn heute sein? Wieder ein paar Lilien?“ Sie kannte seinen Geschmack. Oder, besser gesagt, Elisas Geschmack. Schließlich waren die Blumen immer für sie. „Nein, dieses Mal nicht.“ Ein wenig lachend schüttelte der junge Mann den Kopf, deutete auf ein paar andere Blumen. „Ich hätte gern einen Strauß Rosen.“ „Oh…. eine gute Wahl!“ Wissend lächelte die Verkäuferin, als sie sich geschickt ans Werk machte, einen ganzen Haufen von weißen Rosen zu einem Strauß band. Denn genau diese hatte der junge Mann sich ausgesucht. Und nur diese. „Bitteschön!“ Mit einem Augenzwinkern reichte sie dem jungen Arzt schließlich den Strauß – während er ihr das Geld dafür reichte. „Wie immer für ihre Frau, oder?“ In ihren Augen blitzte etwas auf, fast ein klein wenig Neid. Hätte Johann es nicht besser gewusst, so wäre er sich sicher gewesen, dass sie sich wohl ebenfalls einen solchen Mann wünschte, der ihr ständig Blumen schenkte, ihr seine Zuneigung, Liebe und Treue bewies. Auf ihre Worte hin allerdings nickte er bestimmt, lächelte ein wenig müde. So, wie immer. Stehts wirkte der junge Mann ein kleines bisschen müde, fast überarbeitete. Das lag wohl auch daran, dass ihm alles immer sehr zu Herzen ging, ganz gleich was es war. Niemals hatte er es jemandem außer Elisa erzählt. Und dennoch wusste er, dass die Blumenverkäuferin ihm gegenüber, genau wie fast alle hier in der Stadt die ihn kannten, wussten, wie sehr ihm ein Fehler zu schaffen machte. Einmal schon hatte er einen Patienten während einer Operation verloren. Es hatte fast drei Wochen gedauert, ehe er darüber hinweg gekommen war. Vielleicht war das der Grund, warum er sich niemals zu sehr mit Menschen beschäftigte: Johann war einfach zu feinfühlig. „Bestellen Sie ihr schöne Grüße.“ Die Worte der brünetten Frau rissen ihn in die Gegenwart zurück, ließen ihn kurz blinzeln. „Oh, natürlich.“ Als sie ihm nachblickte wie er den Laden verließ, wusste die Frau, dass er es wohl erneut vergessen würde. So, wie jedes Mal. Und als sie nach ihren, mit Erde beschmutzten, Handschuhen griff, zeichnete sich dennoch ein Lächeln auf ihren Lippen ab. Doktor Faust war ein genialer, aber manchmal durchaus etwas zerstreuter Mann. Privat traf man ihn oft gedankenversunken an – wo auch immer er dann mit eben diesen Gedanken stecken mochte. Insgeheim tippte sie darauf, dass er in diesen Momenten an seine Frau dachte. Um ehrlich zu sein, hatte sie selbst es mit der Männerwelt bereits aufgegeben, war doch auf die allerwenigsten von ihnen Verlass. Nur Doktor Faust, der war wohl eine Ausnahme, so treu, so romantisch, so liebevoll. Hin und wieder war auch Elisa Faust hier in der Stadt, in ihrem Blumenladen, gewesen – und so hatte sie ihren Ehemann stets beschrieben. Als den hinreißendsten, zärtlichsten Mann, den man sich vorstellen konnte. „Ich wünschte…. Ich würde auch einmal einen solchen Mann treffen.“ Ein Seufzer kam über ihre Lippen, als sie damit begann, die Begonien von einem Topf in einen anderen setzte. Es war dunkel geworden, noch immer befand sich Elisa allein zuhause. Nun gut – gänzlich allein war sie nicht. Im angrenzenden Bereich der Klinik, den Privaträume, befand sich noch Francis. Ganz ausgewachsen war der junge Dobermann noch nicht und in die Klinikräume durfte er schon gar nicht, schon allein aufgrund der Hygiene. Abgesehen davon würde Johann sicherlich alles andere als begeistert davon sein, wenn der Hund mit seinen teuren, chirurgischen Instrumenten spielen würde. Elisa würde ohnehin wohl gleich hinüber gehen zu dem Hund. Sich ein wenig aufs Sofa setzen, vielleicht ein wenig fernsehen, auf Johann warten. Sie setzte noch ein paar letzte, schwungvolle Worte auf ein Stück Papier, ehe sie es beiseite legte und einige Schritte zurück trat. Ein letzter Kontrollblick über die Medikamente die sie in diesem Raum lagerten – dann würde sie hinüber gehen. Es konnte ohnehin nicht mehr lange dauern, bis Johann zurück kam. Zumindest hoffte sie das! Seufzend sah Elisa aus dem hohen Fenster vor dem Schreibtisch nach draußen. Welch finstre, mondlose Nacht es doch war. Sie mochte die Finsternis nicht, mochte hasste es sehr, allein zu sein. Zumindest dann, wenn- Ein Knacken ließ sie aufschrecken, erschrocken dadurch drehte die junge Krankenschwester sich herum. Befand sich jemand hier? „Johann…?“ Ihre Stimme klang ein klein wenig unsicher, als sie sprach. War er endlich zurück? Oh, es war so gar nicht seine Art, sich so anzuschleichen, er wusste doch, wie schreckhaft sie zuweilen war! „Johann, das ist nicht lustig, hör auf mit-“ Elisas Stimme versagte, als die Schritte die sie zuvor auf dem Gang vernommen hatte, die Tür erreicht hatten. Brutal wurde diese aufgestoßen, ein Mann stand dort, ihr sehr wohl bekannt. Es war der junge Schneider, der früher nicht weit von ihr entfernt gewohnt hatte. Ihre Eltern hatten in ihr vorgestellt, noch ehe sie überhaupt gewusst hatten, dass sie mit Johann Faust zusammen war. Und das schon seit einiger Zeit. Doch dieser Mann hier, ihr gegenüber, war all das gewesen, was sie niemals hatte heiraten wollen! Er hatte eine Karriere als Rechtsanwalt eingeschlagen, verteidigte sogar Verbrecher! Etwas, was Elisa niemals gut hatte heißen können, noch moralisch mit sich hätte vereinbaren können. Niemals hätte sie einen solchen Mann heiraten können! Er war so anders als Johann, war böse und achtete nur auf seinen eigenen Vorteil. Und nun stand er hier vor ihr, richtete eine Pistole auf sie. Warum? Neid? Hass…? Was veranlasste ihn dazu…?! Ihre Augen hatten sich vor Schreck geweitet, Hilflosigkeit und die nackte Angst waren daraus heraus zu lesen. Dieser Mann hatte sie gewollt. Nicht, weil er sie geliebt hatte, nein. Er hatte sie zu seiner Frau machen wollen, weil sie mit Johann Faust zusammen war. Das war der einzige Grund, das wusste sie. Denn diese beiden Männer – nun, sie mochten sich nie sonderlich, um es nett auszudrücken. Elisas Stimme schien zu versagen, sie wollte um Hilfe schreien, konnte es doch nicht. Niemand war hier, niemand konnte ihr helfen! Nicht einmal zu Tränen war sie fähig. Irgendwann aber hatte sie doch zu Schreien begonnen – sie konnte nicht sagen, wann es gewesen war, wann sie ihre Stimme wieder gefunden hatte. Ein Schrei, ein Schuss. Schwärze. In dem Moment in dem sie den Schuss hören konnte, sackte sie zu Boden. Als sie aufschlug, war sie bereits tot. Der Mann hatte etwas davon verstanden, hatte gewusst, dass sie durch einen Kopfschuss am schnellsten sterben würde. Die Waffe bei sich tragend verließ er das Haus. Er würde nicht zurückkehren. Er hatte sich dafür gerächt, dass Elisa ihn abgewiesen hatte. Dass sie sich für Johann Faust entschieden hatte, nicht für ihn. Und damit seinen Stolz verletzt hatte. Sogar eine Ohrfeige hatte sie ihm gegeben, als er ihr gesagt hatte, sie solle sich das gut überlegen! Sich überlegen, für wen sie sich entschied! Nun, jetzt war es zu spät für alles Flehen gewesen. Damit hatte er sicherlich auch ihrem, von ihm verhassten, Ehemann Schmerzen zugefügt, die nicht vergehen würden. Niemals. „Elisa?“ Nicht wirklich besorgt, aber doch mit wachsender Unruhe schritt der Arzt die Gänge ab, eilte zum hinteren Teil der Klinik. Es war dunkel, aber noch nicht all zu spät. Dennoch brannte nirgendwo Licht. Ob seine Liebste bereits zu Bett gegangen war? Er konnte es sich kaum vorstellen. Normalerweise wartete sie doch stehts auf ihn! Wollte sich sicher sein, dass er auch tatsächlich bei bester Gesundheit war, dass er wieder hier war, bei ihr. Nun aber antwortete sie nicht auf seine Rufe, nirgendwo brannte Licht, obwohl sie doch die Dunkelheit nicht wirklich mochte. Johanns zitternde Finger schlossen sich fester um den Strauß Rosen, als er die Tür öffnete, die zum Lagerraum führte. Dort, wo sie Medikamente aufbewahrten. War sie vielleicht hier? Für den Bruchteil einer Sekunde hatte der junge Mann das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Eiskalte Finger schlossen sich um sein Herz, schienen zuzudrücken, während er mit schreckensgeweiteten Augen auf die Szene starrte, die sich vor seinen Augen erstreckte. Elisa lag blutend vor auf dem Boden, ein Loch in ihrer Stirn, ganz eindeutig von einer Schusswaffe. In diesem Augenblick hatte sich Johanns Verstand abgeschalten. Der Arzt in ihm schrie, dass sie nicht mehr am Leben sein konnte, dass ihre Lichter verloschen waren. Diesen Schuss konnte sie nicht überlebt haben. Doch das wollte er nicht glauben, das wollte Elisas Ehemann nicht wahr haben. Klatschend landete der Strauß Rosen auf dem Boden, als er zu der Frau eilte, sich neben ihr auf den Boden sinken ließ. „Elisa… meine liebe, liebste Elisa… alles wird gut…“ Zitternd schob er die Hände unter ihren Leib, hob sie hoch, drückte sie an sich. Er würde sie retten, so wie er sie schon einmal gerettet hatte, wie er sie schon einmal von einer unheilbaren Krankheit errettet hatte! Er musste sich nur beeilen, er konnte es schaffen! Ganz sicher! Die Gedanken rasten, sein Herz hämmerte, als er die junge Frau in ein anderes Zimmer hinüber schaffte, sie auf einem Operationstisch ablegte. In Windeseile waren alle nötigen Dinge herbei geschafft. Er würde es schaffen, ganz allein! Niemanden benötigte er dazu! Doch auch Stunden versprachen keinen Erfolg, alles hatte er versucht, alles was er konnte! Selbst seine hervorragenden medizinischen Kenntnisse und all seine Fingerfertigkeit hatten ihn scheitern lassen. Verloren hatte er, gegen den Tod. Tränen der Wut und der Verzweiflung rannen über Johanns Gesicht, als er die Finger in Elisas Kleidung krallte, das Gesicht an ihrer Brust verbarg. Tot war sie, tot! Nachdem er noch heute morgen mit ihr gesprochen hatte! Einfach entrissen worden war sie ihm! Völlig von Sinnen riss er Skalpelle, Spritzen und all die anderen Dinge zu Boden, die er besaß. Glasspritzen fielen zu Boden, zerbrachen. Skalpelle fielen klappernd darauf. Erst, als hunderte von gläsernen Scherben auf dem Fußboden verteilt waren, sank Johann auf die Knie, gab sich völlig seiner Hoffnungslosigkeit und den Tränen hin. Es war dem jungen Mann völlig egal, dass seine Finger brannten, dass jeder Finger aufgeschnitten war, als er die Hände nur noch tiefer in den Scherbenhaufen drückte. Was hatte er der Menschheit getan, dass sie ihm das Liebste nahm, was er besaß….? Vielleicht wäre Johanns Leben kurz darauf zu Ende gewesen. Vielleicht wäre er seiner Elisa in den Tod gefolgt. Doch scheinbar hatte das Schicksal andere Pläne mit ihm gehabt. Es waren seine Eltern gewesen, die ihn am nächsten Tag, einem Sonntag, gefunden hatten. Das Ehepaar hatte die kleine Klinik ihres Sohnes endlich selbst sehen wollen, hatten sich für diesen Tag angemeldet, zu Besuch zu kommen. Sie konnten nicht wissen, dass ihr Sohn sie vergessen hatte, war er ja schließlich mit anderen Dingen beschäftigt gewesen… Doch der Anblick war schockierend. Die Türen, alle weit geöffnet. Und als sie ihren Sohn und ihre Schwiegertochter gefunden hatten, so stieg das Entsetzen nur weiter an, schier ins Unermessliche. Johann saß apathisch dort, in einem Scherbenhaufen den er selbst verursacht hate, der Kopf an ein Bein des Operationstisches gelehnt, die Hände mit Blut verschmiert. Während Elisa noch immer dort lag wo er sie abgelegt hatte, der tödliche Schuss deutlich sichtbar. „Johann!“ Es war Margarethe Faust, seine Mutter, die sich zuerst fing. „Oh mein Gott…! Gregor, hilf mir doch!“ Längst hatte die Frau sich durch den Scherbenhaufen gekämpft, blickte zu ihrem eigenen Ehemann, der noch immer fassungslos auf die Szene starrte, sich kaum rühren konnte. Der Anblick seines Sohnes beförderte ihn wohl zurück in die Wirklichkeit. Dieser war inzwischen von seiner Mutter hoch gehievt worden, sie hatte ihn schlichtweg unter den Achseln gepackt und nach oben gezogen. „Johann, Herrgott! Sag doch was!“ Sie hätte am liebsten danach gefragt, was geschehen war. Was mit ihrer Schwiegertochter passiert war. Doch… ihr würden sie nicht mehr helfen können, im Augenblick ging es wohl mehr darum, den Sohn zu versorgen. Dieser gab für den Augenblick nur völlig unzusammenhängende Worte von sich, starrte ausdruckslos ins Leere, mit einem Blick, als hätte er den Teufel persönlich getroffen. Vermutlich bekam er von seinem Umfeld nichts mit, weder wie seine Eltern ihn aus dem Raum schafften, noch, dass seine Mutter versuchte, ihn durch sanfte Ohrfeigen in die Wirklichkeit zurück zu rufen. „Er scheint stark traumatisiert…“ Schwach schüttelte Gregor Faust den Kopf, blickte seinen Sohn schmerzerfüllt an. Was passiert war, war ihm nicht klar, doch ließ sich die Situation erfassen, die sich ihnen bot: Elisa war tot. Und Johann kam mit dieser Situation nicht klar, sie schien ihn völlig traumatisiert zu haben. „Mama…? Papa….?“ Unsicher streichelte Margarethe ihrem Sohn über die Wange, als dieser sie endlich anblickte. So gerne hätte sie ihm gesagt, dass alles gut werden würde. Doch sie konnte es nicht. Für ihn würde wohl nie wieder alles gut werden. Er hatte sein Leben für Elisa gelebt. Schon mit sechs Jahren hatte er sich in der Medizin vergraben um diesem Mädchen zu helfen. Stehts hatte er nur sie geliebt. „Oh Johann…. Wir sind bei dir. Wir helfen dir.“ Während ihr Ehemann aufgestanden war um einen Arzt zu rufen, der fähig war sich seinen Sohn anzusehen, hatte Margarethe diesen umarmt, strich ihm behutsam über den Rücken, sprach ihm gut zu. Sie wusste, dass ihr Ehemann ihr nicht hätte leise erklären müssen, dass ein Arzt auf dem Weg war. Im Augenblick schien ihr Sohn ohnehin nicht aufnahmefähig zu sein, für nichts. Nur eines stand in diesem Moment ganz fest: es war besser für ihn, wenn er die Klinik verließ, wenn sie ihn mit sich zurück nahmen, nach Hause. In diesem Zustand konnte der junge Mann wohl kaum für sich alleine sorgen…! Während dieser Tag an Johann vorbei zog, als wäre er selbst längst tot, zermürbte er seine Eltern sehr. Mit solch einem schrecklichen Ereignis hatten sie niemals gerechnet, noch hatten sie jemals daran gedacht, ihren Sohn noch einmal bei sich aufnehmen zu müssen. Wie sehr sich die Situation in nur einer Woche verändert hatte. Das alte Zimmer des jungen Mannes war wieder von ihm bezogen worden, allerdings beschäftigte er sich mit kaum einem Gegenstand darin, mit nichts. Den ganzen Tag über saß er am Schreibtisch vor dem Fenster, starrte teilnahmslos nach draußen. Zumindest, wenn er nicht gerade dabei war, seinen Tränen freien Lauf zu lassen. Diese gingen Hand in Hand mit seiner Wut. Oftmals hörten Margarethe und Gregor Faust ihren Sohn oben wütend, wie er Bücher gegen die Wand warf in seiner Verzweiflung und Hilflosigkeit. „Meinst du nicht, wir sollten einmal hochgehen…?“ „Ich weiß es nicht…“ „Aber… wir müssen mit ihm reden, Gregor! So kann es nicht weiter gehen, er braucht dringend Hilfe! Von einem Therapeuten oder etwas in der Art! Außerdem…“ Margarethe setzte ab, seufzte leise. „Morgen ist die Beerdigung.“ Hilflos fuhr Gregor sich durch die kurz geschnittenen, blonden Haare, die denen seines Sohnes so ähnlich waren. „Vielleicht sollte ich noch einmal mit ihm sprechen, du hast Recht, Liebling…“ Wie oft dieser Satz in den letzten sieben Tagen gefallen war, das wussten sie nicht mehr. Sie kamen an ihren Sohn nicht mehr heran. Doch, was blieb ihnen übrig, als es weiter zu versuchen…? Weitere Versuchen zu starten, mit ihm sprechen zu wollen…? Vermutlich sagte Gregor dies nur, um seine Frau ein wenig zu beruhigen. Irgendjemand musste schließlich etwas tun, einen klaren Kopf bewahren, oder…? Schweren Herzen stieg Johanns Vater die Treppenstufen hinauf, seine Schritte führten ihn den Gang entlang, bis zum hintersten Zimmer. Dort war es still geworden – nur noch ein leises Schluchzen erklang inzwischen. Es veränderte sich auch nicht, noch stellte es sich ein, als der blonde Mann die Tür öffnete. Alles was er sah, zwischen den vielen Büchern die sich vom Boden aus nach oben stapelten, war sein Sohn. Dieser saß auf dem Boden in einer Ecke, die Arme um seine Knie geschlungen, den Kopf darauf gelegt. „Elisa…“ Seufzend ließ Gregor Faust sich neben seinem Sohn nieder, legte behutsam einen Arm um dessen Schulter. ‚Elisa’. Das war alles, was der junge Mann seit einer Woche von sich gab. Und so konnte es nuneinmal eindeutig nicht weitergehen. „Johann.“ Die Stimme seines Vaters klang sanft, doch der Angesprochene wollte es nicht hören, wollte sich nur weiter in sein Schneckenhaus verkriechen. Er wollte wieder bei ihr sein, er wollte sie sehen, ihre Hand halten, mit ihr tanzen. Das war alles, was er sich wünschte! „Johann! Jetzt hör mir doch mal zu!“ Grob wurde der junge Arzt an den Schultern gepackt, er spürte, wie sein Vater ihn dieses Mal dazu zwang, ihn anzusehen. „Du musst dir helfen lassen! So kann das nicht weitergehen!“ Nun, das wusste er auch…. Weder war er fähig weiter zu praktizieren, noch konnte er in diesem Zustand selbst für sich sorgen. So hilflos wie in diesem Augenblick, war er völlig auf seine Eltern angewiesen. „Du musst leben, verflucht! Elisa hätte sicherlich nicht gewollt, dass du dich selbst so fertig machst!“ Wie weh es tat! Wie konnte sein Vater es wagen, das auszusprechen?! Es war, als hätte er ihm eine verbale Ohrfeige gegeben, die ihn in Windeseile zurück in die Gegenwart holte. Grob stieß er die Hände seines Vaters von sich, verzog wütend das Gesicht. „Sag mir nicht, was sie gewollt hätte! Hör auf mir zu sagen, was ich tun soll, verdammt!“ Erschrocken blinzelte sein Vater ihn an. Nun, vielleicht war es genau das, was Johann hatte bezwecken wollen. Der sonst so gutmütige, ruhige, junge Mann war nicht der Typ für einen plötzlichen Wutausbruch. Doch mit Elisas Tod hatte sich einiges verändert. Es war, als könne Johann nicht ohne Elisa existieren. Er spürte, wie er von Tag zu Tag mehr seinen Verstand zu verlieren drohte. Vielleicht sollte er sich dem einfach hingeben…? Was hatte er denn noch zu verlieren? „Verdammt, Johann! Komm doch zu dir!“ Wieder wurde er grob an den Schultern gepackt, als sein Vater sich auf die Knie sinken ließ, direkt vor ihm. „Morgen ist ihre Beerdigung! Du musst dich endlich zusammen reißen! Das Leben geht weiter, so schwer es dir fallen mag!“ Diese Worte hätte er vielleicht besser nicht in den Mund genommen. Ein grässlicher Laut kam über Johanns Lippen, ein bisschen klang es wie das Heulen eines Wolfes. „Ich will nicht, dass es weitergeht! Verschwinde! Lass mich allein! Raus!“ Wie von Sinnen hatte er nach Büchern gegriffen, warf sie nach seinem Vater. Es hatte zumindest für den Moment den erwünschten Effekt. Denn kurz darauf war Johann allein in seinem Zimmer. Er wollte keine Hilfe, wollte keine Therapie. Er war nicht krank! Nein, er war einsam. Er wollte Elisa zurück! Dabei konnte kein Therapeut ihm helfen! Auf diese Beerdigung wollte er morgen auch nicht. Andererseits… konnte er sie nicht allein lassen. Er konnte nicht zulassen, dass sie völlig allein all diesen Menschen ausgesetzt war. Seine arme Elisa…! Nein, er konnte sie nicht im Stich lassen, er musste morgen bei ihr sein. Um an ihrer Seite zu sein. So wie er es immer gewesen war, wie er es immer sein würde. Johann konnte sich nicht entscheiden, ob er all dies hier abstoßend finden sollte oder nicht. Wie diese Menschen dort alle, einer nach dem anderen nach vorn zu dem geöffneten Sarg gingen, um Abschied zu nehmen. Er selbst war der erste gewesen, stand nun fast apathisch in der vordersten Reihe, sagte nichts, starrte nur auf die vielen Menschen. Elisas Eltern waren hier, fiel ihm auf. Sie waren schon immer gegen seine Verbindung zu ihr gewesen, von Anfang an. Immer und immer wieder hatten sie versucht, das junge Paar voneinander zu trennen, Elisa anderweitig zu verheiraten. Am Ende hatte es nicht funktioniert, sie hatten nichts gegen die Heirat unternehmen können. Vermutlich warf ihm ihr Vater darum einen hasserfüllten Blick nach dem Anderen zu. Vielleicht war er der Meinung, dass er, Johann, Unglück über sie gebracht hatte. Erschreckend, wie klar seine Gedanken in diesem Augenblick waren. Erst, als die allerletzte Person am Sarg gewesen war, wieder in der Masse untertauchen wollte, kam Bewegung in die Menge – nur, um im nächsten Augenblick alle erstarren zu lassen. Johann hatte sich aus der Menge gelöst, war raschen Schrittes nach vorn zum Sarg geeilt. „Elisa…“ Zitternd glitten seine Finger über ihre kalte Haut. Sie fühlte sich so kalt an, so tot… doch es störte ihn nicht. Stattdessen legte er den Kopf an ihre Brust, schmiegte seinen eigenen Kopf an sie. Ein Raunen ging dabei durch die Menge – auch wenn der junge Mann nicht wusste, ob es gut oder schlecht war. Es war ihm völlig egal. „Er muss verrückt geworden sein….“ „…. krank, einfach krank…!“ „Hat er denn keinen Anstand…?!“ Wortfetzen drangen an sein Ohr, als seine Lippen ihre berührten. Kalt… aber so vertraut. Und als er ihren toten Körper küsste, war ihm, als könne er alles ungeschehen machen. Als wäre das alles nie passiert. Als könne er noch immer bei ihr sein, glücklich mit ihr vereint. Doch währte sein Glück erneut nur für eine kurze Weile. Grob wurde er von ein paar Händen zurück gerissen, von Elisa getrennt. „Nein…!“ Keuchend stieß der junge Mann die Luft aus, wehrte sich gegen die starken Hände seines Vaters. Doch er hatte keine Chance. Sein Körper war schwach, hatte er selbst doch seit dem sie von ihm getrennt worden war, kaum noch gegessen oder geschlafen…! Die Kraft fehlte ihm, sich entgegen zu stemmen, zu ihr zu gelangen. „Lass mich!“ Lauter wurde seine Stimme, immer lauter, als er sich wie verrückt gebärdete, knurrte. „Ich will zu ihr, ich muss bei ihr sein! Lasst mich zu Elisa!“ Seine Arme wurden auf dem Rücken festgehalten, er selbst zu Boden gedrückt. Nur langsam, sehr langsam, erlahmten seine Bewegungen, ehe Johann schwer atmend dort auf dem Boden vor dem Sarg lag, ein leises Wimmern von sich gab. Er wollte doch nur bei ihr sein, war das zu viel verlangt…? Das Getuschel der anwesenden Personen war ihm gleichgültig. Auch, dass es in Mitleid umgeschwungen war. Sie hielten ihn wohl alle für verrückt! Aber… sie alle hatten keine Ahnung, verstanden seinen Schmerz nicht! „Beruhige dich, Johann!“ Die beruhigenden Worte seines Vaters, direkt an seinem Ohr; sie waren ihm auch nicht wichtig. Doch würde er ihn sicherlich nicht gehen lassen, ehe er sich nicht gefasst hatte. Er würde Elisa nie wieder sehen…! Ohne es zu wollen, rollten erneut Tränen über seine Wangen. „Ihr könnt sie nicht… beerdigen.. meine Elisa… meine liebe, liebe Elisa…“ Als der junge Mann den Kopf drehte, konnte er sehen, wie sie den Deckel des Sarges verschlossen, wie sie ihre letzte Ruhestätte, den Sarg, davon trugen, mit sich nahmen. Das war auch der Moment, in dem sein Vater ihn langsam und vorsichtig los ließ. Mit ausdrucksloser Miene und rollenden Tränen hievte Johann seinen Körper in eine aufrechte Position, schloss sich stumm dem Trauermarsch an, der nun zum Grabe zog. Ihm war bewusst, dass der achtsame Blick seiner Eltern auf ihm lag. Jeden seiner Schritte überwachten sie, wollten wohl nicht zulassen, dass er noch einmal ausrastete. So, wie gerade eben an ihrem Sarg. Spätestens in diesem Augenblick war wohl allen bewusst, wie sehr ihr Tod ihn mitgenommen hatte… Am Grabe wurde es einmal mehr sehr deutlich. Vorsorglich hatte Gregor seinem Sohn die Hand auf die Schulter gelegt, hielt diesen fest, als er am ausgehobenen Grab stand. Sicher war sicher, er wollte nicht, dass sein Sohn noch mehr Dummheiten anstellte, sich selbst verletzte, sich selbst Schaden zufügte. Schlimm genug war es, dass sie Elisa verloren hatten! Immerhin hatten Johanns Eltern die Schwiegertochter so sehr geliebt, als wäre sie die eigene Tochter gewesen. Noch einen weiteren Verlust würden sie im Augenblick wohl nicht verkraften. Wann die Tränen erneut zu laufen begonnen hatten, konnte der junge Arzt nicht sagen. Hatten sie überhaupt zwischenzeitlich aufgehört…? Es war ihm einerlei Jede Hemmung fiel von Johann ab, als er mit einem Mal laut aufschluchzte. Es war jener Moment, in dem sie den Sarg in die Erde sinken ließen. Verzweifelt sank der junge Mann auf die Knie, in die Erde neben dem Grab, während bittere Tränen sich ihren Weg zu Boden suchten. Alles war wie in einen Schleier gehüllt. Die Menschen die an ihm vorüber gingen bemerkte er nicht. Auch nicht, wie seine Eltern ihn nach einer gefühlten Ewigkeit dazu zwangen aufzustehen. Wie tot ging er neben ihnen her, völlig leblos. Es war… wie ein Abschied. Musste er doch seine Liebste hier zurücklassen, sie hier einsam liegen lassen. Für immer sollte sie hier verweilen…! Schwach drehte der blonde Mann den Kopf, blickte zurück, auf das Grab. „Ich lasse dich nicht allein… ich werde wieder kommen…dich zu mir holen, Elisa… das verspreche ich.“ Er würde einen Weg finden, wieder bei ihr sein zu können. Dennoch wurden seine Worte hinfort getragen vom Wind, wurden von niemandem gehört. Und vielleicht, vielleicht war dies auch besser so. Die nächsten Wochen vergingen manchmal wie im Fluge, manchmal zogen sie sich in die Unendlichkeit, wie Kaugummi. Johanns Eltern waren inzwischen kurz davor, zu verzweifeln. Sie wussten weder ein noch aus, hatten keine Ahnung, was sie mit ihrem Sohn noch machen sollten. Mehrere Therapeuten hatte er bereits gehabt, doch war er unwillig, sich helfen zu lassen. Seiner Meinung nach benötigte er keine Hilfe. Nicht von Menschen die ihm sagten, er solle seine Elisa los lassen, er sollte weiterleben, mit ihr abschließen! Einst hatte er mit ihr den Bund der Ehe geschlossen. Hatte versprochen, sie zu lieben und zu ehren. Bis das der Tod sie scheide. Aber für ihn war der Tod nicht das Ende! Weit über den Tod hinaus war sie die Seine, weit über den Tod hinaus erstreckte sich seine Liebe für sie. So stark, dass der junge Arzt nicht akzeptieren konnte, dass Elisa Faust nicht mehr unter den Lebenden weilte, dass sie ihr Leben nicht mehr mit Johann Georg Faust teilen konnte, dem sie geschworen hatte, immer treu zu bleiben. Immer länger blieb Johann in seinem Zimmer, schloss sich ein, verbarg sich vor den Augen der Welt, vor seinen Eltern, vor allem. Stehts sinnierte er, dachte darüber nach, wie er den gottverdammten Tod überwinden konnte. Es musste doch einen Weg geben, er musste sie wieder sehen können! Ganz gleich, wie. Es war über ein ganzes Jahr her, dass sie gestorben war. Zu jenem Zeitpunkt, war es, als dem jungen Mann klar wurde, dass er alles über Bord werfen musste, wenn er seine geliebte Frau wieder sehen wollte. Die Ethik, die Moralvorstellungen, ja sogar alle Verbote. Eines war ihn in den durchwachten Nächten klar geworden: wer er war. Er war nicht Johann Georg Faust. Nein. Johann war mit Elisa gestorben. Er war Faust VIII.! Wenn er wie sein Vorfahre den Pfad der Menschlichkeit verlassen musste um zu erhalten war er begehrte, so war das nur recht und billig. „Johann…? Willst du noch was?“ Wie sie stehts versuchten, ihn zu integrieren! Und sei es nur beim Abendbrot. Ständig fragten sie ihn danach, ob er etwas wollte, was er wollte. Munterten ihn dazu auf, etwas zu unternehmen. Wie lachhaft das doch war – als hätte sein Leben ohne Elisa einen Sinn, als gäbe es etwas, was ihm ohne ihre Anwesenheit noch Freude bereiten würde! Wie ein Verräter käme er sich vor, sollte er je wieder Freude haben. Nun, wo sie so tief unter der Erde lag, nicht mehr bei ihm sein konnte! Verstanden seine Eltern das denn nicht?! „Alles was ich will, ist sie!“ Wütend schlug er mit den flachen Händen auf den Tisch, war so abrupt aufgestanden, dass sein Stuhl krachend nach hinten umkippte. Diese einfallslosen Tölpel, die sich seine Eltern nannten! Niemals, niemals, würden sie seinen Schmerz nur im Ansatz begreifen, seine Trauer nachvollziehen können! Erschrocken zuckten die beiden Eheleute zusammen, als ihr Sohn erneut so aufbrauste, auf diese doch so simple Frage hin. Doch nicht nur sie, auch Katharina. Die Haushälterin der Fausts hätte um ein Haar den Stapel mit dem Geschirr fallen gelassen, den sie in den Händen hielt. Der junge Faust hatte sich so stark verändert… Einstmals sanftmütig, zurückhaltend und freundlich war er nun aggressiv, jähzornig und cholerisch geworden. Und von Tag zu Tag schien es nur immer schlimmer zu werden mit ihm. Weder sie selbst, noch seine Eltern kannten Rat darauf. Mehr als ein Jahr war Elisa Faust nun schon tot! Doch Johann kam nicht darüber hinweg. Niemand war sich sicher, ob er je wieder glücklich werden würde. Darüber hinweg kam, über diesen Verlust. Katharina selbst bezweifelte das. Johann war nicht einmal mehr fähig zu arbeiten. Wie sollte ein Mann in diesem Zustand noch als Arzt praktizieren…? Fehler konnte er sich keine erlauben in diesem Beruf. Alles was er noch tat, war sich selbst zugrunde zu richten. Ging es so weiter, würden sie ihn in spätestens zwei Jahren ebenfalls unter der Erde suchen müssen. Dünn war er geworden, so dünn. Margarethe Faust war sich sicher, dass ihr Sohn nur noch das Allernotwendigste aß. Und auch das sicherlich nur, weil sie und ihr Mann, ebenso wie Katharina, darauf bestanden. Schon früher war Johann nicht dick gewesen, stehts musste man ihn ermahnen zu essen – andernfalls hätte er es neben seinen Studien wohl völlig vergessen. Nun aber aß er bewusst nicht mehr, was noch weitaus schlimmer war. Ihr letzter Wissenstand bezüglich seines Gewichtes lag bei 52 Kilogramm! Das war wirklich, wirklich wenig. Kein Wunder, dass er inzwischen mit Vorliebe weitere Kleidung trug, darüber stehts seinen Arztkittel obwohl er längst nicht mehr praktizierte. Er konnte wohl weder von seinem Beruf, noch von seiner verstorbenen Frau ablassen. Außerdem war sich Margarethe sicher, dass ihr Sohn längst weniger als 52 Kilogramm wog – sein Gewicht nahm kontinuierlich ab. Er achtete nicht mehr auf sich und auf seinen Körper, alles schien ihm völlig egal und nichts drang mehr an seine Ohren. Keine Sorge, kein guter Zuspruch. Weder von ihr, noch von irgendjemand anderem. All das machte auch Johanns Vater zu schaffen. Wenngleich seine Sorgen doch um einiges tiefer an ihm nagten, seine Gedanken weiter reichten als die seiner Frau und die der Haushälterin. Sein Sohn vergrub sich wieder in seinen Büchern, so wie früher, ehe er Elisas Krankheit besiegt hatte. Er schien wie besessen, wollte bei seiner Elisa sein, konnte sie nicht loslassen, nicht ruhen lassen. Zuerst hatte Gregor Faust Angst gehabt, dass sein Sohn sich das Leben nehmen könnte, um wieder bei seiner Frau zu sein. Erschreckenderweise schien das Gegenteil der Fall! Wie verrückt schien der junge Mann zu sein, wollte sie ins Leben zurück holen! Nichts schien ihm das ausreden zu können, geschweige denn, dass er sich in irgendeiner Weise aufhalten ließ. Etwas, was ihm Sorge bereitete war, dass Johann sich nicht einmal von Ethik aufhalten ließ – er wurde dem verhassten Urahn in diesem Punkt immer ähnlicher… das machte ihm Angst. Er wollte seinen Sohn nicht verlieren, schon gar nicht an den Wahnsinn. Gregor wusste, dass sich Faust I. mit der Beschwörung der Toten beschäftigte. Seinem Sohn hatte er davon niemals erzählt. Und nun wusste er, dass es so besser gewesen war. Doch… Was, wenn Johann je herausfinden würde, mit welchen Künsten sein Vorfahre sich beschäftigt hatte…? Was, wenn es mit seinem Sohn das gleiche Ende nahm…? Was, wenn er ebenfalls durchdrehen, den Verstand verlieren würde…? Das Schlimmste war, dass Johann sich ohnehin schleichend dem Wahnsinn hingab, wie es aussah… „Lasst mich einfach zufrieden!“ Wütend umrundete er den Küchentisch, allerdings nicht in Richtung seines Zimmers. Stattdessen begab er sich in die Küche, gleich darauf konnten seine Eltern hören, wie Johann die Kellertüre hörbar ins Schloss warf. Seine Schritte führten ihn die schmale, steinerne, ausgetretene Treppe hinunter. Zumindest eine Wasserflasche benötigte er, wenn er schon nichts mehr oder kaum mehr aß. Denn, sterben und Elisa folgen? Das konnte er nicht“ Immerhin hatte er ihr versprochen, sie wieder zu sich zu holen! Als der junge Mann nach der Wasserflasche griff, raschelte es hinter ihm. Abrupt drehte er sich um – doch da war nichts. „Vermutlich nur eine Maus…“, redete er sich zu, hoffte, dass er nicht schon tatsächlich den Verstand verlor. Es war nichts sonderlich ungewöhnliches. Der Keller war alt, uralt. Nicht einmal er selbst oder seine Eltern kannten jeden Winkel davon. Hier konnte sich alles mögliche verstecken. Mäuse oder Ratten waren nichts sonderlich ungewöhnliches. Der hinterste Teil hier allerdings war ihm stehts verboten worden. Nicht nur ihm, auch seinem Vater und dessen Vater davor. Angeblich ging es von dort aus noch sehr viel weiter hinunter, in einen anderen Teil. Vielleicht auch schlichtweg zur Kanalisation, so weit unten wie es liegen musste… Sicherlich war jener Teil seit Jahren, vielleicht Jahrzehnten oder Jahrhunderten nicht betreten worden. Aber nun? Genau genommen war sich Johann nicht sicher, warum der Teil allen untersagt worden war. Es hatte vielleicht mit seinem Vorfahren zu tun. Vielleicht. Doch… Langsam, sehr langsam und ohne dass es ihm selbst bewusst gewesen war, war er Schritt für Schritt weiter gegangen. Nur noch die Hand musste er ausstrecken, die Tür öffnen. Vielleicht half ihm das, was sich dort befand, vielleicht hatte sein Vorfahre- „Johann?!“ Schrill drang die Stimme seiner Mutter an sein Ohr, riss seine Gedanken brutal ins Hier und Jetzt zurück. Nur sehr widerwillig wandte er sich ab, griff nach der Flasche die er ursprünglich hatte holen wollen. Würde er sich mit seinem Ahnen eben ein anderes Mal auseinander setzen. Er würde ohnehin mit seinen Eltern in einen noch größeren Konflikt geraten, wenn er dies tat. Aber vielleicht… war es das wert. Elisa wäre ihm jedes Opfer wert, auch, dass er mit seinen Eltern brach. Noch war aber nicht gesagt, ob ihm sein Vorfahre wirklich helfen konnte. Er würde seinen Vater befragen. Morgen, beim Abendbrot. Ganz gleich, was dieser davon hielt. „Vater.“ Der angesprochene Mann blickte nur sehr langsam auf. Früher hatte Johann ihn immer ‚Papa’ genannt. Seit Elisa fort war, waren diese Zeiten vorbei, sein Sohn unterkühlt und distanziert geworden. „Warum sprechen wir niemals über unseren Vorfahren? Womit hat er sich beschäftigt?“ Diese Frage hatte Gregor Faust stehts gefürchtet. Berechnend lag der Blick seines Sohnes auf seinem Gesicht, während der junge Mann nach dem Wasserglas griff. Johann wandte den Blick keine Sekunde ab, verzog nicht einmal das Gesicht. Und das, obwohl der Geruch des Bratens den es zu Abend gab, in ihm Übelkeit auslöste, ihm den Magen umdrehte. Keinen Bissen davon brachte er runter, nur ein paar mickrige Nudeln hatte er hinunter gewürgt. Das war alles. Es würde ausreichen für heute. Auch, wenn der anklagende Blick seiner Mutter noch immer auf ihm lag. Der junge Mann war inzwischen gut darin, diesen zu ignorieren. „Seine Forschungen widersetzten sich jeder Ethik, Johann. Es nahm kein gutes Ende mit ihm. Wir sprechen nicht darüber, weil wir nichts damit zu tun haben wollen.“ Abschließend klangen die Worte, hart und abweisend. Ganz klar, dass sein Vater nicht darüber sprechen wollte, aus welchem Grund auch immer. Doch so einfach würde er damit nicht davon kommen. Diese Antwort befriedigte ihn nicht, sorgte dafür, dass Johann die Augen verengte. Er wusste, sein Vater hatte Antworten parat, sah er doch nervös aus, wollte ihm wohl nicht mehr sagen. „Er hat sich also mit verbotenen Dingen beschäftigt?“ Nur sehr widerwillig bestätigte sein Vater ihm das. Wie nervenaufreibend, wenn er, Johann, dem Mann alles aus der Nase ziehen musste…! Denn das was er bisher erfahren hatte, reichte noch nicht aus, um seinen Wissensdrang zu stillen, herauszufinden, ob es ihm nützen konnte. Vermutlich wusste sein Vater das. Die Frage war nur, wer zuerst aufgab. Und er, würde es nicht sein. Denn, wenn es keinen menschlichen Weg gab den er wählen konnte, so würde er den Pfad der Vernunft eben verlassen, um Elisa wieder zu finden! „Worum ging es? Ich weiß, dass er alles studiert hat. Aber warum wurde er verstoßen, verachtet, gefürchtet? Welchen Weg hat er eingeschlagen, der das rechtfertigen würde, der so verhängnisvoll endete?“ Beschwörend klang seine Stimme und leise, doch deutlich vernehmbar. Und in seinen Augen glitzerte etwas gefährliches, fast wahnsinniges. Vielleicht war es genau das, was seinen Vater dazu veranlasste, ihm doch noch zu antworten. Weil er wohl nicht wusste, was Johann sonst tun würde. Stumm legte dieser sein Besteck beiseite, er sah seinen Sohn an. „Es wird erzählt, dass er mit dem Teufel einen Pakt einging. Durch diesen wuchs seine Kraft. Er… unser Vorfahre beschäftigte sich zuletzt… mit den Toten.“ Durchdringend lag Johanns Blick auf seinem Vater, entschlossener denn je. „Was genau hat er getan?“ „Johann!“ Margarethe presste die Lippen zusammen, verzog hilflos das Gesicht, während ihr Mann ihr seine Hand auf die Schulter legte. „Gretchen, bitte…“ Was, wenn er es seinem Sohn sagen würde, sich nicht nur so vage ausdrückte? Das was in die Geschichte seiner Familie eingegangen war, bis heute anhaftete, konnte so ohnehin niemals geschehen sein. Solche Dinge gab es nicht. Die Toten waren tot, es gab keinen Weg für sie zurück in die Welt der Lebenden. Vielleicht war es nicht schlecht, Johann alles zu sagen. Er würde sich vermutlich an allem versuchen und am Ende scheitern – eine Schocktherapie. Vielleicht würde es ihm helfen und er kam endlich wieder zu Verstand, wenn er nicht einmal über diesen Weg zu seinem Ziel gelangte, dass er sich selbst gesetzt hatte! Ein Versuch war es wert. Sie hatten ohnehin kaum noch irgendetwas zu verlieren, waren mit ihren Weisheiten wie sie Johann helfen konnten, am Ende. „Faust I. beschäftigte sich kurz vor seinem Ende mit Nekromantie. Aber das ist völliger Blödsinn, es gibt keinen Weg, wie die Toten zurückkehren könnten, nimm das lieber nicht zu ernst. Die Toten sind tot, mach dir keine falschen Hoffnungen, Johann!“ Dieser schien aber längst nicht mehr zuzuhören, ein manisches Grinsen hatte sich auf seine Lippen geschlichen, haftete dort an. Gerade so, als wolle es nie wieder verschwinden. Nekromantie. Das war also der angebliche Weg des Bösen, den Faust I. eingeschlagen hatte. Wenn dieser es hatte meistern können, wenn er dieser Kunst hatte Herr werden können, so würde er das auch können! Er würde Elisa mit Nekromantie wieder beleben! Ohne noch auf seine Eltern und Katharina zu achten, die inzwischen die Hände vor den Mund geschlagen hatte, war er aufgesprungen. Das Nebenzimmer war sein Ziel, das Wohnzimmer. Er brauchte Bücher, Informationen. Zuerst würde er herausfinden, was genau Nekromantie war. Und dann musste er sie erlernen! Es würde nicht lange dauern, dann würde Elisa wieder bei ihm sein. Ganz bestimmt. Ganz so einfach wie Johann sich das vorgestellt hatte, war es dann aber doch nicht. Nicht umsonst war die Nekromantie eine verbotene Kunst, die Nekromanten Ausgestoßene. Es ließ sich zwar herausfinden was diese Kunst war, doch nirgendwo stand etwas darüber, was er zu tun hatte, wie sie ausgeübt und erlernt werden konnte! Es schien schlichtweg so, als gäbe es in diesem Haus und auch sonst nirgendwo irgendwelche Bücher darüber. Nicht in dieser Stadt. Verzweifelt vergrub Johann die Finger in seinen Haaren, den Kopf auf die Tischplatte seines Schreibtisches gesenkt, diesen fast mit der Nasenspitze berührend, während er grübelte. Es musste einen Weg geben, an die Dokumente seines Vorfahren heran zu kommen. Er musste einfach irgendwelche schriftlichen Hinterlassenschaften verfasst haben, so viel stand fest! Das was er erlernt hatte, das was er studiert hatte, konnte nicht verloren sein, nicht einfach so! Sie mussten existieren, irgendwo in diesem Haus des Mannes, den er bisher stehts so sehr verachtet hatte! Nur langsam, ganz langsam, hob er den Kopf, den Blick auf das Fenster gerichtet und dennoch ins Leere starrend. Jener Kellerteil, der verboten worden war, der stehts verboten gewesen war. Nekromantie, die verbotene Kunst der Totenbeschwörung. Die Wiederbelebung der Dahingeschiedenen. Die Erkenntnis, woher er das Wissen nehmen konnte. Sie war ihm gekommen. Diese Erkenntnis. So einfach war es die ganze Zeit über gewesen, immer direkt vor seiner Nase hatte sie gelegen! Stehts hätte er nur die Hand danach ausstrecken müssen um das erhalten zu können, was er sich ersehnt hatte! So nah war es gewesen und doch so fern. Nun aber wollte er nicht länger zögern und das ergreifen, was er sich mehr wünschte als alles andere – einen Weg Elisa zurück zu holen! Schon viel zu viel Zeit hatte er verschwendet! Elisa konnte nicht warten, keine Sekunde länger! Er konnte nicht länger warten. Das war das Einzige, dessen sich Johann ganz sicher war. Schwer und schleppend waren seine Schritte. Fast wie die eines Menschen, der nicht mehr gänzlich am Leben war. Wie die Schritte der Zombies in diesen Horrorfilmen… Genau genommen war der junge Arzt kaum mehr richtig am Leben, es fühlte sich nicht mehr so an Das Leben lohnte sich nicht mehr, nicht ohne Elisa. War sie erst zurück, konnte auch er wieder leben. Bis dahin war er nur ein Schatten seiner selbst. Und das sah man dem jungen Mann längst sehr deutlich an. Schatten untermalten inzwischen seine Augen. Doch das blau seiner Iriden strahlte noch immer von solch einer Kraft, ja wurde durch die Schatten nur noch verstärkt. Die Vernunft hingegen war gewichen. Mit jedem Schritt verschwand sie mehr, je weiter er sich hinunter in den Keller begab. Vielleicht war es Glück, vielleicht nicht, dass an diesem Tage niemand zuhause war der ihn aufhielt, sich ihm in den Weg stellte. Es mochte eine glückliche Fügung für seine Eltern gewesen sein, dass sie sich ihm nicht in den Weg gestellt hatten. Denn Johann hätte sie ohne noch lange zu zögern aus dem Weg geschafft. Niemand durfte sich ihm entgegen stellen. Längst schon war es ihm egal geworden, wie er sein Ziel erreichen konnte und über welche Wege er dabei gehen musste. Den Pfad der Menschlichkeit und Vernunft hatte der ehemalige Arzt vor langer Zeit verlassen. Seine Finger legten sich um die Klinke der Tür. Alt war sie, verrostet und aus Metall. Doch obwohl es zugig war in diesem Keller, obwohl es niemals richtig warm war, schien sie keine Kälte auszustrahlen. Ganz im Gegenteil. Johann war, als würde die Türklinke eine Wärme ausstrahlen, die ihn geradezu einlud weiter zu gehen. Sie zog ihn zu sich und ohne darüber nachzudenken, drückte er sie nach unten. Doch es geschah nichts. Er stemmte sich gegen die Tür, drückte. Wie lange sie wohl nicht geöffnet worden war? Oh, wie sie klemmte! Mit einem solch banalem Problem hatte der blonde Mann nicht gerechnet. Noch ehe er aber darüber sinnieren oder gar lamentieren konnte, gab das alte Holz endlich nach, schwang nach innen auf. Nur aber, um ihn einige Schritte nach vorn stolpern zu lassen, einige Treppenstufen hinunter. Es war ein unglaubliches Glück, dass er sich so schnell wieder fing! Andernfalls wäre er wohl noch weiter hinunter gefallen, hätte sich vielleicht den Hals gebrochen. Düster war es dort, finster, kein Licht brannte. Kein Wunder, wie lange hier wohl niemand mehr gewesen war? Die Luft roch muffig und dennoch war es Johann ein tiefes Bedürfnis, weiter zu gehen, weiter nach unten vor zu dringen. Aber nicht so hastig! Widerwillig trat er zurück, blickte sich im vordersten Teil des Kellers noch einmal um. Schnell fand er, was er gesucht hatte: eine Petroleumlampe, die seine Eltern hier aufbewahrt hatten. Nichts außergewöhnliches, nichts modernes, etwas sehr schlichtes. Für seine Zwecke würde es allemal ausreichen. Dorthin wo er hinwollte, gab es sicherlich weder Strom noch sonst etwas… er würde altmodisches Licht benötigen. Mit zittrigen Fingern entzündete Johann ein Streichholz. Das erste riss beim Versuch es zu entzünden in der Mitte entzwei. Achtlos ließ er es fallen, versuchte sich am nächsten. Prompt verbrannte er sich die Finger dabei, zischte wütend auf und das kleine, flammende Hölzchen fiel nutzlos zu Boden. Dort erlosch es und der junge Mann griff zeitgleich nach einem weiteren, seinem dritten, Streichhölzchen. Mit diesem schien er endlich auch sein Glück zu finden, es flammte zwischen seinen Fingern auf, geschickt entzündete er dieses Mal den Docht. Warmes Licht verbreitete sich im Kellerraum, ließ Johann in grimmiger Zufriedenheit das Gesicht verziehen. Nun konnte er beginnen. Erneut trat er auf die oberste Stufe, hielt die Lampe ein klein wenig nach unten, um im Schein des Feuers vielleicht ein klein wenig erkennen zu können. Doch die alten, steinernen Stufen schienen geradewegs ins Leere hinunter zu führen, in die Schwärze der Finsternis, die all das Licht verschluckte. Davon würde er sich aber sicherlich nicht einschüchtern lassen! Schritt für Schritt setzte der junge Mann einen Fuß vor den Anderen, immer weiter hinunter. Wer wohl als letzter hier gewesen sein mochte? Vielleicht tatsächlich sein berühmter Vorfahre selbst? Oder der ein oder andere, der sich über das Verbot das hier zu betreten, hinweg gesetzt hatte? Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, einen Fuß setzte er vor den anderen, immer weiter hinunter, immer weiter abwärts in die Finsternis hinein, die nur ein paar Schritte weit erleuchtet wurde. Doch seine Geduld machte sich bezahlt – irgendwann, abrupt und direkt vor ihm erblickte der Arzt schließlich eine Tür. Auch diese war alt und als seine Hände sich auf den Türgriff legten, erzitterte er kurz, das Herz schlug ihm schneller, bis zum Halse. Die Antwort all seiner Fragen, die Erfüllung seiner Wünsche würde vielleicht hinter dieser Tür liegen. Hoffentlich! Niemals hatte der junge Mann das Öffnen einer Tür mehr herbei gesehnt. Im Gegensatz zur letzten Tür musste er sich gegen diese nicht dagegen stemmen, ganz leicht ließ sie sich öffnen, als wäre sie immerzu benutzt worden, über all die Jahre hinweg. Fast war es als haftete… Magie an ihr. Stickige Luft schlug Johann entgegen, ließ ihn kurz husten. Die Luft war nicht nur einfach schlecht, es stank bestialisch nach Tod und Verwesung. So schlimm war es, dass Johann sich einen Augenblick lang mit der Hand an der Wand neben der Tür abstützte, zittrig ein- und ausatmete. Erst nach und nach klärte sein Blick sich und der Anblick des Raumes den er betreten hatte, erschloss sich ihm. Gleich das Erste, ihm ins Auge fallende, waren Bücher. Überall lagen Bücher herum. Wie alt sie sein mussten….! Nur langsam trat er an die wackligen Stapel heran, die hier wohl seit Jahrhunderten vergessen und verboten herum lagen. Seine Hände streckten sich begierig danach aus, seine Augen huschten über Titel wie ‚Lemegeton Clavicula Salomonis’ oder ‚Von den Gattungen der Ceremonialmagie’. Ein jeder Titel behandelte mehr oder minder das Gleiche – oder zumindest einen kleinen Teil davon beinhalteten sie alle: Nekromantie. Sein Vorfahre musste sich wirklich damit auseinander gesetzt haben. Denn, nicht nur die Bücher zeugten davon…! Als Johann den Blick schweifen ließ, fiel eines der Bücher ihm zwangsläufig aus der Hand, sehr langsam öffnete sein Mund sich, er war sich nicht ganz sicher, ob er das hier unglaublich oder furchterregend und widerwärtig finden sollte. Allerlei Symbole schmückten die Wände, waren auf steinerne Wände gekratzt, Flaschen mit allen möglichen, merkwürdigen Inhalten standen auf Regalen. Zudem war der ausgesprochen hohe Raum voller merkwürdiger Apparaturen, die Johann in seinem Leben noch niemals gesehen hatte! Zu seiner linken, im vorderen Teil des völlig runden Raumes, konnte man eine Leiter erklimmen, ein Stockwerk empor steigen. Dadurch erreichte man einen kleinen, steinernen Vorsprung der mit einem Geländer gesäumt war – es erstreckte sich einmal rund herum um den Raum. Und dieser Raum war so unglaublich hoch, erstreckte sich mindestens zehn Meter in die Höhe! Oh, war er tatsächlich so tief hinunter gestiegen, so tief in die Erde eingedrungen….? Wer auch immer damals das hier alles gebaut hatte, er hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. Dies alles mochte ja noch ganz nett sein und recht. Das Schlimmste an diesem Raum aber war, dass überall Totenschädel und Knochen herum lagen. Bei allem was Johann sagen konnte – er war sich ganz sicher, dass dies keine Imitate waren, sondern sie tatsächlich einmal zu lebenden Menschen gehört hatten. Es dauerte sehr lange, ehe sich Johann gesammelt hatte, einige weitere Schritte hinein wagte in diese Kammer. Vorsorglich hatte er die Tür hinter sich geschlossen, schwenkte seine Petroleumlampe herum, um alles in Augenschein zu nehmen. Begierig wollte er jedes noch so kleine Detail in sich aufnehmen, nichts davon sollte ihm entgehen! Lange Schatten warf die flackernde Lampe an die Wände, gab dem ohnehin düsteren Raum eine noch unheilvollere Atmosphäre. Johann mochte verrückt geworden sein, doch er konnte hier fast soetwas die die Präsenz seines Vorfahren spüren. Ein Grinsen huschte über seine Lippen, verzerrte seine Gesichtszüge, als er den Raum durchschritt, am hinteren Ende einen kleinen, steinernen Tisch vorfand, mehr schon ein Pult. Kerzen befanden sich darauf, diese hatten ihr Wachs auf der Tischplatte verteilt, direkt vor ihnen lag ein dickes Buch. Es war in schwarzes Leder geschlagen, ein einfaches, weißes Zeichen von zwei überlappenden Dreiecken befand sich auf der Vorderseite, umrahmt von einem perfekten Kreis. Es wirkte so dominierend in diesem Raum, als würde sich alles um dieses eine Buch drehen. Zittrig streckte Johann die Hände danach aus, seine Finger streichelten über den ledernen Einband, ehe er es aufschlug. Seine Augen huschten über die verschlungen geschriebenen Worte die darin geschrieben standen, doch so wenig verstand er von alledem was dort stand. Von ‚Furyoku’ war die Rede. Von ‚Schamanen’ und von allerlei anderen Dingen, die er nie zuvor gehört und die ihn niemals interessiert hatten. Zeit verging, Johann bemerkte nicht, wie er sich irgendwann auf einen Stuhl hatte sinken lassen, wie besessen seine Lektüre studierte. Er würde sie noch einige weitere Male lesen müssen, zumindest dies stand fest. Er war so ein Dummkopf gewesen, stehts! Intelligenz? Ja, er war hochintelligent, begabt! Doch er wusste so vieles nicht, das war ihm nun gänzlich bewusst. Was wusste er schon vom Leben? Vom Geheimnis des Lebens? Nichts! Solange er davon nichts verstand, würde es ihm verwehrt bleiben, Elisa zurück an seine Seite zu holen. Auch Faust I. hatte nach dem Geheimnis des Lebens geforscht, das war ihm nun klar. Dessen Geist, lebte in ihm, in ihm, Faust VIII.! Nun wurde ihm alles bewusst, mit einem Mal. Wer sein Feind war, wen er zu schlagen hatte: Den Tod. Er war selbst Arzt, so vielen Menschen hatte er das Leben gerettet! Doch nein, halt! Stehts hatte er ihr Leben nur verlängert. Am Ende würden sie doch dahingerafft werden. Schieden aus dem Leben durch Alter, Unfälle oder neue Krankheiten die noch nicht genug erforscht waren um sie besiegen zu können. Am Ende hatte er den Tod also niemals geschlagen, nur gegen ihn angekämpft, um am Ende verlieren zu müssen. Zitternd ballten seine Hände sich zu Fäusten, während er wütend damit auf den Untergrund schlug, auf dem das Buch lag. Das Licht der Petroleumlampe war schwächer geworden, zeugte davon, dass er sich schon lange hier unten befinden musste. Warum überhaupt war er hier? Warum war er geboren worden, wenn er doch sterben musste am Ende? Wofür lebte er? Nur der Tod wartete am Ende auf ihn. So, wie auf jeden anderen Menschen. Es musste doch einen Sinn geben….! Ohne darüber nachzudenken hatten seine Finger sich in der Tischplatte vergraben, während sich Johann auf die Unterlippe biss. Dieses Buch hatte seine Fragen nicht ausreichend beantwortete, es gab ihm nur immer neue Fragen auf! Doch eines war er sich nun gewiss: um Elisa wieder zu beleben, benötigte er ihren Körper. Daran war kein Zweifel erkennbar. Und daran zweifelte der junge Mann auch keine Sekunde. Seine Augen hatten sich müde ein wenig geschlossen, doch noch immer war sein Blick auf den Schein der flackernden Lampe gerichtet, während er nachdachte. Er benötigte Elisas Körper. Seit einem Jahr lag sie nun unter der Erde. Doch das stellte für ihn kein Hindernis dar. Jegliche Ethik und Moral war ihm vollkommen egal geworden, stellte lediglich ein Hindernis auf dem Weg zu seinem Ziel dar. Was ihn hinderte, würde er nicht beachten, sollte es sich ihm entgegen stellen, so würde er es beiseite schaffen. So würde es auch dieses Mal sein. Niemand konnte ihn aufhalten in seinem Vorhaben. Schwankend kletterte der Schein der Lampe die vielen Treppenstufen nach oben, Stufe für Stufe, während der Besitzer tief in Gedanken versunken schien. Um die Nekromantie zu meistern, musste er also ein Schamane werden. Die Frage war nur, ob er die Kraft dazu besaß. Ob soetwas wie Furyoku in ihm existierte. Das, wovon sein Vorfahre geschrieben hatte in seinen Aufzeichnungen. Diese waren aber schwierig zu entziffern gewesen und vor allem erschienen sie ihm unvollständig! Wenn er seine Elisa aber wiedererwecken sollte, konnte er sich keine Fehler erlauben! Er musste zuerst üben, musste an einem anderen Skelett probieren, was er an Elisa nicht wagte zu testen. Er brauchte ein Versuchsobjekt, etwas oder jemand, der schon tot war. Jemand, bei dem es keine großen, moralischen Probleme geben würde. Weil er kein Mensch war. Und langsam, ganz langsam hellte sich sein Gesicht auf – Francis. Auch der Hund war längst tot, zusammen mit Elisa dahin geschieden. Würde er einen Fehler machen, so war es nicht so schlimm. Würde er etwas falsch machen, so konnte er es noch einmal verbessern. Wenn er hingegen erfolgreich war, so hatte er bereits einen Teil seines Glückes zurück. Denn Francis hatte doch irgendwie zu ihnen gehört, Elisa hatte sehr an dem Hund gehangen. Sicherlich würde sie ihn vermissen. Die Entscheidung war gefällt, vom Augenblick an, als Johann daran gedacht hatte. Nichts und niemand würde ihn daran hindern. Das Bild das sich einem Zeugen dieses Vorganges in dieser mondhellen Nacht bieten würde, wäre absolut grotesk. Ein junger Mann kniete am Boden, auf blanker Erde. Der ehemals blütenweiße Arztkittel den er trug, war dreckverschmiert, zerrissen und ausgefranst. Es hatte geregnet, die Erde war feucht und matschig, haftete gut an den weißen Kleidungsstücken. Auch die Knie waren voller Dreck, ebenso wie die Hände des Mannes. Ohne Unterlass, ohne sich im Geringsten von irgendetwas stören zu lassen, grub er in der Erde, an einem kleinen Loch, das stetig größer wurde. Er befand sich am Rande eines kleinen Waldes, hinter und vor ihm erstreckte sich die Dunkelheit, nur erhellt vom fast vollen Mond, der am Himmel stand. Auch die Schreie der Eulen störten ihn nicht, schienen ihn weder dazu zu veranlassen inne zu halten, noch seine Arbeit zu beschleunigen. Erst nach einer ganzen Weile schien er zu finden, was er gesucht hatte. Denn der Mann stieß einen Schrei des Triumphes aus, wischte sich mit der dreckbeschmierten Hand kurz übers Gesicht. Das einzige Ergebnis davon war, dass nun auch an seiner Stirn verschmiert war, braun und erdig. Er schien es nicht einmal zu bemerken. Stattdessen holte er etwas aus dem Loch hervor, drapierte es fein säuberlich neben der von ihm ausgehobenen Grube. Seine Züge verzerrten sich zu einem verrückten Grinsen, seine Mundwinkel hoben sich mehr und mehr an, in seinen Augen funkelte ein irrer Glanz. Johann Georg Faust VIII. hatte gefunden was er gesucht hatte. Die Knochen des verstorbenen Hundes gehörten ihm, ihm ganz allein! Mit ihnen würde er seinem Ziel einen großen Schritt näher kommen, er würde zuerst diesen Hund wieder zum Leben erwecken, ehe Elisa ihm folgen würde. Sorgsam packte er all die Knochen, darauf achtend, dass keiner fehlte, in einen alten Koffer, den er hier her mitgebracht hatte. Denn, bei allem Verstand, wer würde ihm nicht nachsehen, ihn aufhalten wollen, wenn er mit einem ganzen Haufen Knochen im Arm durch die Straßen der Stadt marschierte, zurück nach Hause? Des weiteren ließen sich die Knochen natürlich in so einem Koffer sehr viel besser transportieren. Ganz oben auf den Haufen, sehr vorsichtig, legte Johann den Schädel des Hundes ab, ehe er ihn ein wenig gereinigt hatte, befreit hatte von Dreck und Erde. Nachdem er sich nun sicher war, dass er alles hatte, ließ der junge Mann den Koffer zuschnappen, verschloss ihn sorgfältig, um sich zurück auf den Heimweg zu machen. Wie gut, dass seine Eltern längst schliefen. Nun, aber das war auch kein Wunder, dachte er bei sich, während er sich keine Mühe machte, das Grinsen aus seinem Gesicht zu verbannen. Natürlich schliefen seine Eltern. Er war immerhin Arzt! Ein klein wenig Triazolam das er ihnen nach dem Abendessen, kurz bevor er gegangen war, untergeschoben hatte, ließ sie nun tief und fest schlafen. Ebenso wie Katharina, die Haushälterin. Zwar war dieses Medikament nicht ungefährlich, doch er wusste, was er tat. Triazolam war verschreibungspflichtig und es konnte schnell, nur innerhalb weniger Wochen, zu einer körperlichen und seelischen Abhängigkeit kommen. Ein einziges Mal aber würde seinen Eltern und Katharina nicht schaden. Sie sollten nur nichts von alledem erfahren, was er hier zu tun gedachte. Nein, denn inzwischen traute er nicht einmal mehr ihnen! Sie würden ihn in seinen Plänen behindern, würden dafür sorgen, dass man ihn aufhielt. Vielleicht kam ihm sogar die Polizei in die Quere. Wie lächerlich, sie verstanden doch einfach gar nichts… Schlurfend klangen seine Schritte auf dem Asphalt, ehe Johann sie stoppte, aus seiner Tasche einen Schlüssel für die Wohnungstür heraus kramte. Geschickt, ohne einen Laut, öffnete er sie. Obwohl es doch gar nicht notwendig gewesen wäre, niemand würde ihn hören. Auf seine Kompetenz als Arzt konnte man sich verlassen. Ohne Umwege führte sein Weg ihn hinunter in den Keller, zu jenem Raum, der inzwischen fast schon sein Zuhause geworden war in den letzten Tagen. Immer und immer wieder war er dorthin zurück gekehrt, um zu lernen, um zu verstehen und zu begreifen. Noch während Johann die alten, steinernen Stufen hinunter stieg, mit dem Koffer in der Hand, konzentrierte er sich auf die innere Kraft in ihm. Noch fiel es ihm nicht leicht, diese zu kontrollieren, doch er hatte herausgefunden, dass es besser funktionierte, wenn er ruhig und gelassen an diese Sache heran ging. Eine wütende, aufbrausende Seele konnte hier nichts tun, verbrauchte diese Kraft blindlings. Johann hatte bereits davon gelesen, wusste, dass es sich schrecklich anfühlen musste, wenn einem Schamanen das Furyoku ausging. Er selbst hatte diese Erfahrung noch nicht gemacht, wollte es aber nicht unbedingt darauf ankommen lassen. Seine Überlegungen endeten, als er vor der hölzernen Tür stoppte, diese mit Leichtigkeit öffnete und eintrat. Der Raum war erfüllt von Licht, überall hatte er Petroleumlampen aufgestellt und –gehängt, um seine Forschungen so einfacher zu gestalten. Hinter sich schloss er die Tür sorgsam, durchschritt anschließend den Raum ohne ein einziges Zögern. Die vielen Totenschädel und Knochen die herumlagen störten ihn kaum noch. Auf dem großen, steinernen Tisch in der Mitte des Raumes legte er seinen Koffer ab, öffnete diesen. Sehr vorsichtig packte er die Knochen aus, ordnete diese richtig an und machte sich auch sonst viel Mühe dabei, den Hund in seine ursprüngliche Form zurück zu versetzen. Obwohl dreckverschmiert, war er doch nach einer ganzen Weile zufrieden, betrachtete sein Werk. Alles was dem Hund noch fehlte, war Leben…! Langsam, doch stetig konzentrierte sich Johann auf seine Kräfte, auf das Furyoku. Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn, die Anstrengung ließ ihn erzittern. Wie dumm es war was er hier tat, war ihm egal. Geradezu töricht war es, ja… Die Anstrengung ließ ihn fast einknicken, ließ ihm schwindlig und übel werden. Aber so schnell konnte er noch nicht aufgeben, nicht jetzt…! Die Knochen erzitterten, Johann konnte spüren, wie sie sich mit Leben füllten. Und vom Augenblick an als das Knochengerüst mit einem Mal kläffend von dem steinernen Tisch herunter sprang, spürte der junge Mann, wie sein Körper vor Anstrengung sprichwörtlich ächzte. Aber das war nicht alles…! Während Francis Schwanz wedelnd dort vor ihm saß, fühlte er, wie eine warme Flüssigkeit über seine Brust lief, heruntertropfte. Blut. Wie war das möglich…? Niemals zuvor hatte er davon gehört, dass ein Körper von offenen Wunden geplagt werden konnte, nur aus reiner Anstrengung! Diese schamanischen Kräfte waren gefährlicher, als er dachte. Besonders für jene, die sie nicht richtig einzusetzen wusste. Aber soweit würde es nicht kommen, er würde sie zu beherrschen wissen und er würde- Abrupt setzen seine Gedanken ab, stöhnend sank Johann zu Boden. Noch ehe er den kalten Stein durch seinen Kittel spürte, war alles um ihn herum schwarz geworden. Er hatte es eher im Gefühl, als dass er es wusste: Francis Knochen waren wieder in sich zusammen gefallen, waren wieder der gleiche tote Haufen Knochen wie zuvor. Die Nekromantie erschien gefährlicher, als er zunächst gedacht hatte. Es schien Menschen zu geben, die dafür nicht geeignet waren. War er dafür nicht geeignet…? War sein Körper nicht geeignet, um der Belastung Stand zu halten….? „Oh… verdammt…“ Sein Körper brannte höllisch, alles tat ihm weh – und das bemerkte der junge Arzt sogar in seiner Bewusstlosigkeit, in die langsam hinüber geglitten war. Schweißausbrüche suchten ihn heim, sein gesamter Körper zitterte aufgrund der hohen Kraftanstrengung, die er nicht gewohnt war. Nekromantie war wirklich eine scheußliche Sache. Ein jedes Ritual in diesem Buch hatte scheußlicher geklungen als das andere… alle waren sie dazu da, die Toten wieder zu beleben, zu beherrschen, zu manipulieren und sich selbst mehr Macht zu verschaffen. Etwas, das seinen Preis forderte. Totenbleich war Johann, als er zu sich kam. Seit Tagen hatte er nicht mehr geschlafen, nur noch wenig gegessen. Doch sein Magen wehrte sich in diesem Augenblick dennoch gegen das wenige was er zu sich genommen hatte. Eilig rappelte der junge Mann sich auf, ließ alles stehen und liegen und verließ das Kellergewölbe fast fluchtartig. Schnell genug schaffte er es dennoch nicht ganz nach oben. In jenem Keller der auch seinen Eltern allgemein zugänglich war, sank er schwach auf die Knie, das Gesicht inzwischen fast grünlich. Länger konnte sein Körper das gegessene, bereits verdaute, nicht bei sich behalten. Mit einem Ekel erregendem Geräusch übergab Johann sich auf den Boden, ehe er kraftlos auf den kalten Stein sackte. Wieder griff eine eiskalte Ohnmacht nach ihm. Als er erneut zu sich kam, lag alles in einem Nebel, nur von fern konnte er bekannte Stimmen hören. „Johann….?! Oh Gott, Johann! Ist alles in Ordnung…?!“ Jemand packte ihn an den Schultern, rüttelte ihn, versuchte ihn zu wecken wie es schien. Gedämpft stöhnte er auf, versuchte sich dagegen zu wehren. Diese rohe, grobe Behandlung, davon wurde ihm erneut schlecht…! Doch sein Magen war längst leer, hilflos verzog er das Gesicht, würgte noch einige Male, ohne dass irgendetwas geschah. Nur sehr langsam klärte sein Blick sich, er konnte die fast schon hysterische Stimme seiner Mutter zuordnen, die da ununterbrochen auf ihn einredete. Fähig ihr zu antworten, war er im Augenblick nicht, dafür konnte er aber den widerlichen Geschmack von Magensäure auf seiner Zunge schmecken. Die Präsenz seines Vaters hingegen bemerkte er erst, nachdem dieser einen seiner Arme packte, sich diesen um den Nacken legte und den jungen Mann so nach oben hievte. „Ich bringe ihn erstmal ins Bett, mach dir keine Sorgen, Gretchen.“ Ganz eindeutig, das war sein Vater. Niemand sonst nannte seine Mutter ‚Gretchen’. Ein Spitzname, den nur sein Vater zu sagen pflegte. Den Weg nach oben in sein Zimmer bekam Johann nicht mehr mit. Eben so wenig wie er die nächsten Tage mit bekam. Sie waren gezeichnet von Schmerzen und Ohnmacht, Bewusstlosigkeit. Oh, wie er dieses Gefühl hasste, nichts tun zu können! In diesen Tagen kam ihm auch das erste Mal das Gefühl, er könnte übertrieben haben. Jene Technik mit der er Francis wiedererwecken hatte wollen, war nicht für Anfänger geeignet gewesen. Sie gehörten zur höchsten Stufe der Nekromantie. Dennoch war es nur das, was er wollte. Er wollte keine Zeit mit Dingen verbringen, die ihm unnütz erschienen…! Schwach drehte Johann sich zur Seite, öffnete die Augen. Noch immer war ihm schlecht, er hatte seit Tagen nichts richtiges gegessen. Nein. Gar nichts hatte er gegessen. Und die Schmerzen hielten noch immer an, länger würde er es nicht ertragen. Dies war wohl noch etwas, das ihn unaufhaltsam näher an den Abgrund brachte. Im Augenblick fühlte er sich ungut, zu schwach um aufzustehen. Andererseits konnte er sich von körperlicher Schwäche nicht abhalten lassen! Langsam, sehr langsam stützte er sich am Bett ab, hievte sich nach oben, um aufzustehen. Johanns Hände zitterten, als er sich über die Bettkante schob. Nun wusste er, was zu tun war. Ihm war klar, wie er die Schmerzen beseitigen konnte, die ihn daran hinderten seine Aufgabe zu erfüllen! Schwankend steuerte der junge Mann die Schritte auf den Gang hinaus, in ein nahe gelegenes, anderes Zimmer. Dort wurden einige seiner Sachen aufbewahrt – vor allem Medikamente, die in der Klinik gelagert hatten. Inzwischen wurden sie hier verwahrt. Es war alles andere als einfach, etwas zu finden, was er benötigte. Genau das zu finden, was er suchte! Doch seine Ausdauer erwies sich als nützlich. So viel davon war noch da, so viel! Seine Finger schlossen sich um winzige Fläschchen. Sie würden ihm helfen, all das durchzustehen. Als er das Arzneimittel zu sich nahm, fühlte der junge Mann sich sehr viel besser. So, als habe er etwas entdeckt, das ihm den Weg ebnen würde auf seiner langen Reise bis zum Ziel. Es würde ihm nützliche Dienste erwiesen, ja. Als Arzt würde er immer wieder daran heran kommen. Ohne würde es nicht gehen, so viel stand fest. Was es war? Ein Opium. Morphin. Die nächsten Wochen rasten an ihm vorbei wie im Flug, nicht an eine Einzelheit konnte er sich erinnern. Hatte er mit seinen Eltern noch zu Abend gegessen? Hatte er sie überhaupt hin und wieder gesehen? Alles was Johann wusste war, dass er nun fast kontinuierlich im Keller saß um sich an der Nekromantie zu versuchen. Vermutlich würden seine Eltern früher oder später dahinter kommen, was er tat. Doch im Augenblick war ihm dies egal. Alles war ihm egal, solange er keine Erfolge erzielte! Da er allerdings ein begabter Mann war und der Geist seines Vorfahren in ihm zu stecken schien, war Johann wie beflügelt. Mehr und mehr Wissen sog er in sich auf, alles was dort unten versteckt in der Kammer schlummerte und ihm helfen könnte. Der Tag kam, an dem er keine Probleme mehr damit hatte, den Hund zum Leben zu erwecken. Einzig eines bereitete ihm seelische Schmerzen…. Sehr langsam kniete sich Johann hinunter, streichelte dem Hund über den Kopf. „Ach Frankensteiny…“ Ja, längst hieß das Tier nicht mehr Francis. Irgendwann, im Laufe der Zeit, hatte er es umbenannt. Es war ohnehin nicht mehr das Selbe. Ob der Hund überhaupt noch wusste, was geschah? Ob er etwas spürte? Ob er wusste, dass er eigentlich längst tot war? Sicher war der junge Mann sich nicht, als Frankensteiny ihn aus leeren Augenhöhlen und mit gehobenem, blankem Knochenschädel ansah. Denn das war es, was er war. Ein Knochengerüst, gefüllt mit wenig Furyoku. Einst hatte er es ausprobiert, hatte ihn mit mehr Furyoku angefüllt. Gab er ihm so viel seiner Kraft, so erschien auch sein Körper. In diesem Fall war Johann dann so, als könne er über das weiche Fell des Hundes streichen. So, als wäre er noch am Leben. Doch dieser Zustand strengte ihn an, beraubte ihn seiner Kräfte die er doch noch benötigte! Wenn es schon so schwer war, Frankensteinys Zustand aufrecht zu erhalten, wie unglaublich schwerer musste es dann sein, Elisa wieder zu beleben? Sie permanent bei sich zu behalten? Hin und wieder passierte es tatsächlich, dass Johann für einen kurzen Augenblick zweifelte. Nicht lange aber. Denn dann holte seine Manie ihn wieder ein. Sein Größenwahn, dass er alles schaffen konnte, wenn er das nur wollte. Immerhin war er der Nachfahre des großen Faust! Frankensteiny war nur der Anfang, so viel stand fest. Eine Woche darauf beging er den ersten Mord seines Lebens. Verzweifelt hatte er nach Möglichkeiten gesucht, an Leichen heran zu kommen. Doch so einfach war das nicht. In ein Krankenhaus kam er nicht so einfach mit einem toten Körper heraus. Geschweige denn, dass er irgendwo sonst eine Leiche herbekommen könnte! Und dann… dann reifte die Idee in seinem Kopf heran, dass er selbst für einen Toten sorgen könnte. Es würde nur ein kleines Opfer sein auf dem Wege zu seiner Geliebten… er tat es nur für sie. Sicherlich würde sie das verstehen! Er benötigte diesen toten Menschen schließlich nur, weil er bei ihr keine Fehler machen wollte, durfte. Also benötigte er jemanden, der tot war, an dem er üben konnte. Und keines der Skelette hier in diesem Raum war vollständig. Doch er benötigte ein völlig vollständiges, um zu üben! In aller Seelenruhe hatte Johann zusammengepackt, was er für diese Nacht benötigte. Es war nicht viel – vor allem einige Skalpelle, die er in seine Kitteltasche schieben konnte. Denn noch immer hatte der junge Mann es sich nicht abgewöhnt, seine Arztkittel zu tragen. Genau genommen trug er fast permanent einen, warf ihn fort, wenn er ihn nicht mehr benötigte, wenn er zerrissen und kaputt war, legte sich dann einen neuen zu, den er trug. Nach der heutigen Nacht… würde er vermutlich auch diesen Kittel entsorgen müssen. Denn seine Eltern sollten nicht erfahren, was er tat, getan hatte. Nein, sie waren eine Gefahr für ihn! Diese Angst war es, dieser Verfolgungswahn, dass er ihnen erneut Triazolam gegeben hatte. Immerhin musste er sichergehen, dass sie ihn bei seiner Arbeit nicht überraschten. Nur im Keller, dort fanden sie ihn niemals. Denn immer versicherte er ihnen, er würde sich außer Hause befinden. Das war auch gut so. Immer mehr Sorgen schienen sie sich um ihren Sohn zu machen. Die angebliche Tatsache, er würde viel Zeit an der frischen Luft verbringen, beruhigte sie hingegen. Er selbst hatte sich mit Morphin voll gepumpt. Um sicher zu sein, dass ihn keine Schmerzen plagen würden, sein Verstand klar und scharf sein würde. Alles andere wäre in dieser Nacht wohl tragisch und unverzeihlich. Ein kurzer Blick auf die Uhr, die laut in der Stube tickte, dann griff der junge Mann nach seinem dicken Mantel, zog ihn sich über und verschwand dann hinaus in die Nacht. Er wusste, wo er nach einem Opfer suchen musste. Er wusste, wo es Menschen gab, die niemand vermisste. Still war es um ihn herum. Die belebten Straßen vermied er, nur Hintergassen nutze er. Dort, wo sich die Penner stehts herum trieben, der Abschaum der Gesellschaft. Sie waren es, die wohl am wenigsten vermisst wurden. Und in dieser gottverfluchten Nacht hatte auch ein Mann mittleren Alters das Unglück, ausgerechnet auf Faust zu treffen. Dieser hatte sich in den Schatten einer Wand gedrückt, eine Sackgasse war es. Das Klappern eines metallenen Deckels einer dieser alten Mülltonnen klang in seinen Ohren. Anschließend wurde darin herumgewühlt. Ein beißende, widerlicher Geruch von Müll drang an seine Nase und für einen kurzen Moment verzog Johann das Gesicht. Nicht aber für lange. Mit langsamen Schritten trat er an sein Opfer heran. Dann, mit einem einzigen Ruck zog er es an sich heran, presste seine Handfläche auf dessen Mund. Erstaunlich stark war der Mann…! Oder war er selbst so schwach geworden? In jedem Falle wehrte der Kerl sich, zappelte, versuchte nach ihm zu treten. Nicht aber mit ihm, nicht mit Johann, er würde bekommen was er wollte! Zu groß war die Gefahr, wenn er diesen Penner gehen ließ….! Mit einer geschickten Bewegung zog er eines seiner Skalpelle hervor, zog es dann über die Kehle des Mannes. Kein einziger Schrei, stattdessen sprudelte warmes Blut über seine Finger, als er langsam locker ließ, den Mann unter den Armen packte. Über den Boden schleifte er ihn, zerrte ihn mit sich. Wie schwer er war…! Glücklicherweise war es nicht weit bis nach Hause. Und noch besser war es, dass es eine regnerische Nacht war. So würden alle Spuren vom Regen hinfort geschwemmt werden. Niemand würde je von der Tat erfahren, die er begangen hatte. Trotz des kurzen Weges nach Hause war Johann am Ende seiner Kräfte, als er den toten Körper hinunter in den Keller geschleift hatte, bis in das unterste Gewölbe hinunter. Er drapierte den Mann auf dem steinernen Tisch, versicherte sich anschließend mehrmals, dass er ganz sicher tot war. War er nicht tot, war alles sinnlos was er hier tat. Konnte er diesen Mann wieder erwecken, so war er sich endlich sicher, die Nekromantie völlig zu beherrschen. Es war ein aufwendiges Ritual, das er praktizierte. Anstrengend, sowohl für seinen Körper, als auch für seinen Geist. Nur ganz dumpf ahnte der Mann, dass er, würde er nicht unter Morphin stehen, das hier nicht durchgehalten hätte. Tatsächlich hielt Johann es nicht durch. Da sein Körper keine Warnsignale ausstoßen konnte, bemerkte der junge Mann es schlichtweg nicht. Irgendwann versagte ihm der Körper, er spürte nicht einmal, wie warmes Blut über seine Brust hinunter rann. Erst, als er keinen Finger mehr rühren konnte, seine Beine einfach unter ihm einknickten, begriff Johann, dass sein Körper sich ihm verweigerte. Erneut verweigerte, wie schon einmal. Damals, als er Frankensteiny hatte wieder erwecken wollen! Mit einem Gefühl von Schock sah er, dass sein Körper verletzt war, dass er sich viel zu sehr angestrengt hatte. Ein weiteres Mal. Er hatte sein Furyoku überschätzt, hatte gedacht, er käme klar. Doch dem war nicht so gewesen. Sein Furyoku war am Ende, erschöpft. So war das also, wenn es zu Ende war. Er fühlte sich wie tot. Schwach sackte der junge Mann zu Boden herunter, schloss die Augen und lehnte sich an den steinernen Tisch, um die Augen zu schließen und zur Ruhe zu kommen. Das Ritual musste er später ein weiteres Mal versuchen. Noch einmal schaffte sein Körper das in diesem Augenblick nicht. Als Frankensteiny zu ihm kam, den Kopf an seine Brust drückte, sich an ihn schmiegte und ein winselndes Geräusch von sich gab, hatte Johann das Gefühl, doch nicht völlig allein zu sein. Beruhigend streichelte er dem Knochenhund über den Kopf, lächelte schwach. „Ist schon gut… mir fehlt nichts… es wird alles wieder, Frankensteiny…“ Und mit diesen Worten sank Johann wieder in einen schläfrigen Dämmerzustand. Eine Woche verging. Eine Woche, in der Johann dazu lernte, in der der Körper des toten Mannes langsam vor sich hin verweste. Es störte ihn nicht. Dieser Kerl war ohnehin nur ein Test-Objekt. Nicht mehr und nicht weniger. Und es wert, dass er sich um ihn kümmerte, das war er auch nicht. Doch auch dieses Mal schaffte Johann es nicht, den toten Körper wieder zu beleben, erneut mangelte es ihm an Kraft und Erfahrung. Doch aufgeben, das wollte er nicht! Stattdessen verbiss er sich mehr und mehr in das Ritual, ging weit über seine Grenzen hinaus. Am Ende wäre es fast soweit gewesen, dass er sich selbst ins Totenreich katapultiert hätte. Er kurierte sich nicht aus, stürzte sich immer wieder in die Versuche, in sein Experiment, kaum, dass er wieder auf den Beinen war. Natürlich war das für seine Gesundheit alles andere als gut. Dieses Mal allerdings befand er sich sehr nahe an der Schwelle zum Tod. Seine Brust war fast völlig offen, die Nekromantie schien ihn wirklich zu zerstören. Bei diesem Experiment ging so wirklich einiges schief. Und so genau wusste er nicht einmal mehr, was es war… in jedem Fall aber schmerzte es aufgrund des Morphins nicht. Johann konnte klar denken. Und der junge Mann wusste, dass er wohl, würde er nichts tun, in baldiger Zeit verbluten würde. Da Johann sich längst schon aber keiner Ethik mehr bewusst war, tat er das, was er für nötig hielt. Nur einen kurzen Augenblick hielt er inne, zögerte – dann setzte er das Skalpell an und schnitt. Sein Testobjekt musste ihm nun ein wenig Haut borgen – es gab in diesem Augenblick keine andere Möglichkeit, wenn er nicht sterben wollte. Er musste sich Haut transplantieren. Zwar sah es nicht sonderlich hübsch aus, aber Johann war es egal. Ein Teil seiner Brust war nun eben ersetzt mit einem anderen Stück Haut, mit der Brust des Versuchsobjektes. Längst war das Fleisch nicht mehr das, was es einmal gewesen war… doch es war alles was er hier hatte. Und der junge Mann hatte schnell handeln müssen. Andernfalls wäre es ihm vielleicht nicht möglich gewesen, sich selbst zu retten… Es gab weitere Fehlschläge. Viele Fehlschläge! Doch Johann gab nicht auf, war besessen von dem Gedanken, seine Elisa wieder zu beleben, die Nekromantie zu meistern. Nichts und niemand konnte ihn aufhalten, er mordete, grub Leichen aus, bediente sich am Friedhof, an Medikamenten. Das Essen stellte er fast gänzlich ein, ernährte sich komplett über Infusionen. Auch das Schlafen stellte er fast komplett ein, war es doch eine absolute Zeitverschwendung! Sein Körper dankte es ihm nicht, am Ende nahm Johann dennoch nur noch das Minimum zu sich, um am Leben zu bleiben. Dürr war er geworden, wie ein Stecken. Die Schatten unter seinen Augen wurden tiefer und tiefer, je länger er nachdachte, wach blieb, studierte und Nekromantie erlernte und verbesserte, perfektionierte. Immerzu hatte er Frankensteiny um sich herum. So war er zumindest nicht völlig einsam. Seine sozialen Kontakte hingegen verkümmerten immer mehr, solange, bis er gar keine mehr besaß. Nicht einmal seine Eltern bekam er mehr zu Gesicht. Alles was Johann benötigte, lagerte er im Kellergewölbe. So, dass er niemals nach oben gehen musste, wenn es nicht absolut notwendig war. Vielleicht hatten seine Eltern ihn längst als vermisst gemeldet, wer wusste das schon? Es war ihm völlig egal. Alles war ihm egal, wenn er die Nekromantie nicht meistern konnte! Nur noch wenige Male ging er in den nächsten Jahren an die Oberfläche, hinaus an die frische Luft. Kein Wunder, dass er inzwischen selbst totenblass geworden war, seine Augen nicht besser wurden beim stetigen Schein der Petroleumlampen. Ein wichtiger Tag war es damals, als er hinauf ging, um den Friedhof zu besuchen. Damals hatte er Elisa ausgegraben. Es hatte ihn viel Zeit und Kraft und Schweiß gekostet. Oh, wie hatte es geschmerzt, als er sie in Händen gehalten hatte, ihr Skelett. So zerbrechlich… noch immer sah man deutlich das Einschussloch an ihrer Stirn… Sanft hatte Johann sie in den Arm geschlossen, gelächelt, und sie dann mit sich genommen. Niemals würde er seine Geliebte wieder allein lassen. Niemals! Sie zurück zu holen war aber alles andere als ein leichtes Unterfangen gewesen. Es hatte ihn all seine Kräfte gekostet, obwohl er über die Jahre hin immer stärker geworden war, immer mehr von der Nekromantie verstand. Und er hatte geübt. Lange geübt. Als sie dann aber endlich vor ihm stand wusste er, es hatte sich gelohnt! Freudentränen schossen Johann in die Augen, als Elisa dort vor ihm stand, ihn ansah. Randvoll gefüllt hatte er ihren Körper mit Furyoku, als er die Hände ausstreckte, ihre vollen Wangen berührte, durch ihr schimmerndes Haar streichelte. „Elisa… liebste Elisa…“ So wenig er sich das auch eingestehen wollte: das war nicht das, was er sich erhofft hatte! Nein! Er hatte alles richtig gemacht, es so gemacht, wie sein Vorfahre es beschrieben hatte! Und dennoch war Elisa nichts weiter als ein toter Körper! Ohne Willen, ohne einen eigenen Gedanken. Ein… Zombie. Eine … Puppe?! Hilflos krallte er seine Finger in ihre Schulter, drückte die geisterhafte Frau an sich. „Elisa… ich lasse dich nicht allein, ich helfe dir, ich werde dich wieder beleben!“ Immer schneller und schneller kamen die Worte über seine Lippen, als die Tränen über seine Wangen strömten, als Frankensteiny sich an sein Bein schmiegte. Fast gänzlich ohne sein Zutun. Warum funktionierte es bei Elisa nicht genauso gut wie bei Frankensteiny…?! Er verstand es nicht. Doch wollte er es auch nicht verstehen. Elisa war wieder bei ihm. Und selbst wenn es nur ihre Erscheinung war, so machte es ihn glücklich. Scheinbar glücklicher, als er jemals gewesen war. Nun ja, fast… Wie verrückt hatte Johann immer und immer wieder die Aufzeichnungen seine Vorfahren durchwühlt. Wieder und wieder. Und alles was er am Ende entdeckt hatte, war der Hinweis auf ein Turnier… einen Wettkampf. Ein Schamanenwettkampf, der nur alle 500 Jahre statt finden würde. In Tokio. Und bei diesem Wettkampf, der so selten statt fand, gab es nur einen Gewinner. Ein Schamane, der am Ende zum König gekrönt wurde. Der Schamanenkönig, der am Ende allmächtig wurde….! Das war es, was er wollte. Er, Johann Georg Faust VIII. würde am Schamanenwettkampf teilnehmen! Er würde gewinnen und am Ende würde er zum König gekrönt und allmächtig werden. Dann hatte er endlich die Macht, Elisa vollständig wieder zu beleben! Erregung durchflutete den jungen Mann, als der Tag kam, an dem er den Stern des Anbeginns sehen konnte. Tatsächlich, sein Vorfahre hatte Recht behalten, der Schamanenwettkampf fand tatsächlich statt! Genau zur rechten Zeit! Er würde nur noch nach Tokio reisen müssen, um sich seinen Wunsch endlich erfüllen zu können… „Komm, Frankensteiny…“ Ein Grinsen huschte über die Züge des jungen Arztes, zwei schwere Koffer in seinen Händen, neben sich herlaufend sein Knochenhund. Wie groß und geschäftig der Flughafen doch hier war…! Aber was kümmerte es ihn. Sie würden ihm nicht in die Queren kommen, noch ihn aufhalten. Alles was er wollte, war nach Japan zu reisen. „Es geht los. Nicht mehr lange, dann wird Elisa zurück sein. Dann, wenn ich Schamanenkönig bin!“ Ein Winseln erklang, dann jagte Frankensteiny ausgelassen seinem Herren nach, der sich langsam durch die große Halle bewegte… Das alles lag in der Vergangenheit. Einen Kampf hatte er schon hinter sich, hatte gewonnen. Auch der zweite Kampf war zu seinen Gunsten entschieden. Doch mit tragischem Ausgang. Asakura Yoh hatte seine geliebte Elisa kaputt gemacht…! War tatsächlich alles umsonst gewesen, was er getan hatte….? Nein! Nichts war umsonst gewesen. Es gab nichts, was er für Elisa nicht tun würde. Absolut gar nichts. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)