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Lower Instinct

von

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Prolog der Nacht

Als ihre Füße den Boden berührten, seufzten sie auf. Sie hatten einen langen Tag in Enge verbracht, solange, dass es nun schon wieder finster war, als man sie endlich entkommen ließ.

Es war bereits seit Stunden Nacht. Sie verzog das Gesicht. Ihre Knöchel schmerzten und in den Fußballen hatte sie ein solches Reißen, dass sie glaubte, keine Sekunde mehr stehen zu können.

Sie zog das rechte Bein an. Ihr Kopf sank kraftlos an ihr Knie, als ihre Finger die Waden hinab fuhren um schließlich die schmerzende Extremität zu umfassen. Langsam und kreisend ließ sie die Finger über die schmerzenden Stellen wandern. Ihre Lider waren halb herab gesunken. Das Gefühl war angenehm. Sie spreizte ihre Zehen, ließ mehrere Male den Spann auf und ab wippen. Und sie ließ sich Zeit. Alle Zeit der Welt.

Nach einer halben Ewigkeit wechselte sie den Fuß, zog gleichfalls auch das linke Knie an und begann die wohltuende Prozedur von neuem. Das hatte sie sich verdient. Der Tag war grausam gewesen.

Wie viele Räume waren ihre heut zur Inspektion vorgeführt worden? Irgendwann hatte sie aufgehört zu zählen. Am liebsten hätte sie schon nach der ersten Stunde abgewunken und etwas gesagt wie: „Ja. Sie machen das sicher ganz toll. Auch ohne mich. Ich beschäftige mich dann mal mit etwas, das meine Aufmerksamkeit wirklich benötigt.“ Aber nein. Stunde um Stunde um Stunde hatte sie sich Anlagen angeschaut, Soldaten zugenickt, Konferenzräume betrachtet, elektrische Vorkehrungen bejaht. Sie konnte sich nicht einmal mehr erinnern, wem sie welchen Orden angesteckt hatte und warum. Sie hörte sich nur immer wieder selbst wiederholen: „Im Namen Ihrer Majestät der Königin…“

Kein Vertreter. Nur sie allein und ihre Aufgabe Repräsentant zu sein, Oberhaupt zu sein, „Sir Hellsing“ zu sein. Was für ein Tag.

Die Bettstatt unter ihr fühlte sich verlockend weich an, jetzt da sie an der Kante der Matratze hockte und ihre schmerzenden Glieder zur Ruhe kamen. Sie wollte nichts sehnlicher als den wohlverdienten Schlaf der ihr heut zustand. Ein Tag des Kampfes wäre wohl weniger aufreibend gewesen. Trotzdem verharrte sie noch einige Sekunden, die Beine angezogen und die Stirn fest gegen die Knie gepresst. Sie hörte ihren ruhigen Atem, schmeckte den würzigen Geschmack des letzten Zigarillos der noch auf ihrer Zunge haftete. Sie kam zur Ruhe. Endlich. Erst jetzt, da sie aufhören kann die Situationen immer und immer wieder in ihrem Kopf abzuspulen.

Es fiel ihr sonderbar schwer sich von diesem Zustand zu lösen. Vielleicht hätte sie noch länger so verharrt, wenn ihre Müdigkeit sie nicht vehement daran erinnert hätte, dass sie dem wohligen Schlaf schon zum Greifen nahe war. In solch ruhigen Momenten überkamen sie stets eigenwillige Gedanken, derer sie ungern nachgab. Aus einschlägigen Gründen.

Als ihre Gedankenströme sich dorthin neigen, zieht sie die Luft um sich scharf zwischen den Zähnen ein und ist dann schneller auf den Beinen, als der Beobachter es wohl vermutet hätte. Welcher Grund es auch immer war, der ihr durch die Schläfen spazierte: Er muss es in sich gehabt haben.

Einige unruhige, barfusse Schritte führen die Frau zum hoch zulaufenden Fenster und lassen sie dort verharren. Gedankenverloren schlingt sie den langen, weißblonden Haarstrom über ihrer Schulter um die Hand, während ihre Blicke über das ruhige, mondbeschienene Gelände schweifen. Erneut ein ähnlicher Gedanke. Farbiger dieses Mal. Sie schüttelt den Kopf und spürt, wie ihre Wangen sich erwärmen.

Abrupt wendet sie sich von dem Idyll ab. Beide Hände heben sich energisch und schließen die schweren, samtenen Vorhänge, sodass nur noch der schmale Lichtstrahl der Stehlampe am Kopfende des Bettes den Raum erhellt. Sie atmet aus. Zu ihrem eigenen Ärger flattert ihr Puls. Ungesund. Unruhig. Aufgeregt. Sie sollte lernen diese Eingebungen zu zügeln, sonst würden sie ihr irgendwann zum Verhängnis. Sicher sogar.

Die Frau grämt sich über ihre Gedanken, mag diese nicht, stuft sie unter „Unerwünscht“ ein und kann sie dennoch nicht leugnen. Das ist vielleicht der Fakt, der sie am meisten wurmt. Dieses Wissen nagt an ihr, frisst an ihr und sie weiß, dass sie ihre Gedanken nicht zu gut hörbar platzieren darf. Denn die Wände haben Ohren und Augen. Und denen entgeht so gut wie nichts.

Umso schwerer ist es also, etwas zu verbergen, das nie, nie, nie gehört werden darf. Vor allem wenn man es selbst so wenig unter Kontrolle hat, wie sie.
 

Die Wand unterdessen verengt die Augen und lächelt. Ihre blanken, scharfen Zähne treten dabei raubtierhaft hervor und ein amüsiertes Raunen dringt von deren Innern kaum wahrnehmbar in die Schatten.

~Ich habe dich längst gehört,~ denkt die Wand ruhig und bedächtig.

~Denn egal wie sehr du die Stimme deiner Gedanken unterdrückst, sie dringt doch einem zarten Flüstern gleich an mein Ohr.~

Die Wand lässt die Lider sanft sinken und umspült die rötlichen Augenfunken mit zäher Dunkelheit.

~Nie ist dein Ruf je ungehört in mir verhallt. Es wundert mich, dass dir das nicht klar ist. Oder ist es das? Und noch gaukelst du dir selbst etwas vor? Darin bist du groß, Gebieterin.~

Ein schwer hörbares, dumpfes Auflachen, welches kaum echte Belustigung enthält, tröpfelt die lebendige Wand herab und verebbt schließlich ohne einen fremden Gehörgang benetzt zu haben.

~Ja, so wird es wohl sein. Du hoffst, flehst, versuchst dir selbst weiß zu machen, dass es so ist. Doch dein Innerstes hat diesen Punkt schon lang überschritten. Nun denn Herrin. Ein Diener soll zur Stelle sein, um dem Herrn die Augen zu öffnen. Ist es nicht so? Und ich habe es dir geschworen. Wenigstens an mein Wort halte ich mich… zumindest heut Nacht.~

So denkt die Wand für sich und ihr Grinsen wird breiter. Dann folgt ein Moment der Stille und mit einem Mal denkt die Wand gar nichts mehr. Der Schatten ist aus ihr gewichen. Wohin? Das ist leicht zu erraten. …

Das Lächeln der Schatten

Kapitel 1 – Das Lächeln der Schatten
 

Absurd. Integra schüttelt neuerlich und dieses mal energischer den Kopf. Was bringen diese haarsträubenden Vermutungen heute Nacht noch? Genau. Nichts. Es gab noch so viele Tage um sich über die Lösung dieses Problems den Kopf zu zerbrechen und wer weiß, wenn sie ihre eigenen Gedanken nur lange genug ignorierte, dann verschwanden diese vielleicht von selbst. Es gab immer einmal komische Phasen.

Ja genau. Eine Phase. Weiter nichts. Andere bekamen Winterdepressionen, wenn die kalte Jahreszeit nahte. Bei ihr waren es eben merkwürdige Eingebungen. Das würde sich geben. Kein Grund zur Sorge, solange sie genug Selbstdisziplin besaß um nicht zu ernstlich über diese Seltsamkeiten nachzudenken. Was geradezu lächerlich wäre. Hah! Als wenn man wirklich ernstlich über so etwas nachdenken könnte.

Innerlich lacht die Frau zittrig, aber keinesfalls überzeugt. Willenstärke besaß sie. Das wusste sie. Irgendeinen Vorzug muss dieses „von Kindesbeinen an Chef sein“, ja haben. Genau. Eine Mischung aus Willensstärke, Ignoranz und dem Bewusstsein, dass ein ernstliches Nachdenken eine absolute Absurdität wäre. Das müsste passen um diese eigenwillige Phase zu überstehen. Vielleicht ja nur noch ein paar Tage und dann ließ es bereits nach. Dann wäre alles wie üblich. Kein Problem.

Dann würde sie im Stillen wahrscheinlich sogar über sich selbst schmunzeln und sich fragen, warum ihr Kopf überhaupt ein solches Drama aus dieser Lappalie geformt hatte. Einfach. Sehr einfach. Überhaupt kein Grund zur Panik- Ihre Überlegungen lassen die junge Frau etwas Beruhigung finden und hinterlassen ein schmales, sichtlich positiv verstimmtes Lächeln auf ihren Lippen. Sie wähnt das Problem als so gut wie behoben. Doch ihr Hinterkopf arbeitet weiter, unbemerkt und sehr still, als sie ihre Hosen von den langen, schlanken Beinen streift, das dunkle Jackett zu Boden gleiten lässt und ihre weiße Bluse aufknöpft. Ihre schmalen Finger zeichnen sich dunkel vor dem blütenweißen Stoff ab, als sie am letzten Verschluss der Knopfreihe nestelt.

„Verflucht!“ kommt es ihr leise von den Lippen, als sie nach unten schaut und erblickt, wie sich ein weißer Faden des Saums, filigran um den Knopf geschlungen hat und diesen funktionsuntüchtig macht. Während sie mit beiden Händen versucht den Faden zu lösen ohne die Bluse zu zerstören, schiebt sie die Unterlippe angestrengt vor, lässt die Augenbrauen zusammengleiten und pustet immer wieder einige, störende Strähnen des silbrig blonden Haares aus der Stirn.
 

In einer Ecke des Raumes verdichten sich die Schatten unterdessen unnatürlich stark und konzentriert. Diese befinden sich selbstverständlich im Rücken der jungen Frau, welche mit dem fesselnden Kampf gegen ihren Blusenknopf völlig eingenommen scheint. Eine große Kontur schält sich aus der Dunkelheit und wirkt in diesem geschlossenen, halb erleuchteten Zimmer so fehl am Platze, wie ein Panther auf einer Rassepudelausstellung.

Ein Mann? Sein Gesicht ist schwer auszumachen, denn spinnenwebsfeine, teerschwarze Haare verdecken einen Großteil des schmal zulaufenden, markant gezeichneten Schädels. Die Gestalt ist groß, selbst in ihrer lauernden Haltung muss sie die Zweimetermarke locker hinter sich lassen.

Die Gliedmaßen wirken verstörend lang, Füße und Hände beängstigend groß. Vor allem die Spannweite der weiß behandschuhten Handteller ist beklemmend, da diese zusammen mit den kraftvollen, langen Fingern ohne Probleme jeden Hals umfassen könnten, den man sich nur vorstellen kann. Trotz seiner Größe bewegt sich der Mann lautlos, als könne er keinerlei Geräusche verursachen.

Seine halblangen Haare bewegen sich kaum merklich in einem nicht vorhandenen Windhauch. Sie haben eine eigentümliche Lebendigkeit inne, die man sich nicht so recht zu erklären weiß. Zwar sind die Augen des stummen Mannes nicht zu sehen, doch ist nicht abzustreiten, dass diese fest an dem Rücken der Frau haften. Um dies zu wissen, muss man seine glimmenden Sehschlitze nicht erblicken. Es genügt, dies zu wissen. Und man wusste es. Keine seiner Bewegungen ließ auch nur irgendeine andere Vermutung oder Schlussfolgerung zu.

In aller Seelenruhe, die ihm gegeben ist, tritt der Hüne hervor. Schwarz schmiegt sich ein veränderlich anmutender Stoff an seine breite Brust. Seine Sinne verfolgen das Schauspiel gebannt und es scheint eine Ewigkeit zu dauern, bevor er die Stimme erhebt. Erst kurz bevor er beginnt zu sprechen, lüften sich wenigstens die Schatten um seinen Mund und ein selbstsicheres Grinsen tritt hervor. Der matte Schein der Lampe bricht sich in dem Weiß seiner scharfkantigen Zähne, als er beginnt zu sprechen. Langsam. Gedehnt. Ruhig und unglaublich tief. „Du scheinst Hilfe zu benötigen, Herrin. Lass mich dir helfen.“ Seine letzten Worte sind kaum mehr als ein eindringliches, aber amüsiertes Hauchen. Er legt den Kopf etwas schräg, als er die Hand verlangend nach vorn streckt. Eines seiner glutroten, flüssig wirkenden Augen wird dabei freigelegt. Die ganze Aufmerksamkeit des roten Funkens lastet auf ihr. Integra. Seiner Herrin.
 

Bis die Stimme sich ihren Weg direkt in ihren Kopf bahnt, ahnt die Blonde nicht, wer oder was sich in ihrem Rücken befindet. Seine Worte allerdings lassen sie erstarren. Wie zerschmolzenes Gold rinnt seine Stimme heiß ihren Nacken herab bis hinein in ihre Wirbelsäule und hinab bis zwischen ihre langen Beine, wo sie jede ihrer Nervenzellen baden. Brennend.

Ein unangenehmes Schauern geht in einen angenehmen Schauer über, während Integra nach Luft schnappt. Sie ist vollkommen überrumpelt. Er war der Letzte mit dem sie jetzt außerhalb ihrer Gedanken gerechnet hatte. Wenn sie ehrlich ist, hatte sie den Tag für sich bereits abgeschlossen und mit rein gar niemandem mehr gerechnet. Umso härter trifft sie die Verwunderung zwischen die hellen, weit geöffneten Augen.

Ohne einen klaren Gedanken wirbelt Integra herum. Sie hört sich selbst einen herben, kalten, aufgebrachten Ton anschlagen und könnte sich geradezu dafür ohrfeigen. Was musste er denken, wenn sie nicht ruhig blieb? So würde er doch gleich wissen, dass ihr seine Anwesenheit weit mehr ausmachte, als die jedes anderen. Zu spät. Ihr natürlicher Schutzreflex hatte sie sofort losbellen lassen. „Wie kannst du es wagen ohne Erlaubnis meine Schlafräume zu betreten? Du weißt, dass dir das verboten ist! Raus! SOFORT!“ Ihre Stimme kommt einer Ohrfeige gleich, so stark hatte diese vibriert.

Doch ihr ergebener Vampir scheint heut keine Lust zu verspüren, auch dieses Mal gehorsam zu sein. Das jedenfalls schießt Integra durch den Kopf, als er den Kopf leicht nach vorn neigt und sich ihr ohne Umschweife nähert. Sie verzieht das Gesicht augenblicklich und realisiert nun erst, dass sie ja halb ausgezogen vor dem gnädigen Herrn herumspringt. Wütend beißt die Frau die Zähne zusammen und rafft den Stoff vor ihrem dunklen, straffen Brustansatz schützend zusammen. Hoffentlich hatte sie seinen Jagdinstinkt mit ihrer Freizügigkeit nicht geschürt. Ein Vampir in Jagdlaune hatte ihr gerade noch gefehlt.

„ALUCARD! Ich habe mich deutlich genug ausgedrückt! Zieh dich sofort zurü…“ Sie schafft es nicht einmal den Satz zu vollenden und eine Drohung anzuhängen, so schnell hatte sich der Vampir auf sie zu bewegt. Erschrocken weicht Integra einen halben Schritt zurück, auch wenn ihr Körper nicht sehr weit kommt. Aus dem Nichts, wie es ihr scheint, umfasst ein kühler Arm ihre halbnackte Taille, drängt ihre Hüfte nach vorn und entlockt ihr ein ungewolltes Aufgellen. Gleichzeitig kann die Frau nur auf den kohlrabenschwarzen Kopf des Mannes starren, der vor ihr in die Knie gegangen ist.

Er hält sie noch immer eisig und fest umschlungen, bedient sich aber mit der freien, rechten Hand der Knopfleiste bzw. um genau zu sein, des streikenden Knopfes. Sein schmales Gesicht ist dabei sowohl ihrem nackten Bauch, als auch ihrer Scham verdammt nahe. In diesem Wissen erschrocken die Luft anhaltend, lässt Lady Hellsing den Vampir gewähren und versucht die Schamesröte zu unterdrücken, die sich unerbittlich auf Stirn und Wangen der Frau schleicht.

Am liebsten hätte sie mit dem Knie ausgeholt und ihm das Nasenbein zertrümmert, in dem guten Wissen, dass sie dies immer wieder tun konnte, da es augenblicklich wieder verheilen würde. Doch sie reißt sich zusammen, versucht den Gedanken das Schweigen beizubringen. Ein unterschwelliges Glucksen seinerseits, lässt Integra jedoch daran zweifeln, ob es ihr wirklich gelungen ist. Schließlich ist ein Rascheln zu vernehmen und der Blusenknopf springt aus dem Knopfloch.

„Siehe da. Schon erledigt. Warum auch immer du dich so zieren musstest, Gebieterin. Als würde ich beißen…“ Das knurrende Lachen und das tiefe Luftholen ganz in der Nähe ihres Bauches, lässt sie neuerlich zusammenfahren. Er machte sich über sie lustig! Zweifellos. Integra ist froh, als sich der Arm aus ihrem Rücken löst und sie ohne weitere Gegenmaßnahmen von ihm zurücktreten kann. Der erste Schritt ist klein und zögerlich, dem Zweiten ist davon schon gar nichts mehr anzumerken. So von ihm getrennt fallen ihr Denken und Kontern wesentlich leichter. Wenn er sie auf diese Weise berührte, verlor sie manchmal wirklich die Sprache. Und die Hitze in ihrem Leib ließ jeden Zulauf klarer Gedanken unmissverständlich verstopfen.

„Du bist unmöglich. Langweilst du dich? Brauchst du einen Auftrag? Oder warum treibst du dich einfach hier unten rum, wie ein streunender Hund und bringst deine Herrin in Verlegenheit?!“ Trotzdem kaum Stoff ihren glatten Körper verhüllt, versucht Lady Hellsing dominant zu wirken. Sie verschränkt die Arme starr vor der Brust und nimmt eine leicht aggressive Körperhaltung ein. Diese Show benötigte sie auch. Um ihn zu täuschen. Weder sollte er sehen, dass ihre Hände noch immer zitterten, noch sollte ihm bewusst werden, wie es um ihre wirklichen Gedanken stand.

„Eintönigkeit. Boshaftigkeit. Neugierde… spielt das eine Rolle?“ fragt der Vampir aalglatt und mit interessierter Stimme. Sein Körper richtet sich zu voller Größe auf, ohne dass der Blonden ein neuerliches Geräusch aufgefallen wäre. Er wirkt bedrohlich, sein Schatten wie der Vorbote einer höllischen Fata Morgana und doch zieht genau diese Kontur sie unwiderstehlich an. Die Sonnenbrille hatte er heut Nacht abgelegt. Zwar hatte diese ihr nie sonderlich gefallen, doch hatte es wenigstens ein wenig Abstand zwischen sie und diese Augen gebracht, die ihr stets das Gefühl gaben, als verzehrten sie sich nach irgendetwas.

Normaler weise hätte sie sich über einen aufmerksamen Blick von ihm gefreut, doch zu dieser Stunde ist er ihr einfach zu nahe. Zu echt. Zu wenig Diener. Und sie wusste nicht, was sie tun würde, berührte er sie erneut.

Es ist schwer diesen Gedanken abzuschütteln, muss Integra feststellen. Er ist sehr hartnäckig. Doch irgendwie gelingt es ihr. Seiner Frage hat sie dennoch nicht geantwortet, was der Vampir wohl fälschlicher weise als Aufforderung versteht.
 

Ihr folgend lässt er die breite Hand nach vorn wandern, streckt den langen Arm und lässt gedankenverloren eine silberblonde Haarsträhne durch seine Fingerkuppen gleiten. Im matten Lampenschein wirken die feinen Haare, als seien sie aus reinem Silber gesponnen. Einmalig und doch fühlen sie sich anders an, als er vermutet hatte. Selbst durch den Handschuh hindurch kann er dies spüren.

„Ich war es leid, dir nur immer zuzusehen. So viele Nächte und immer durfte ich nicht mehr sein, als ein Schatten. Ich weiß, dass du oft an mich gedacht hast, wenn du dir die Kleider vom Leib gezogen hast. Du warst nicht selten erregt…“ Während er mit grollender, leiser Stimme spricht, hatte sich ein selbstgefälliges, erwartungsvolles Grinsen über seine Züge gelegt.

Es stimmte. Er hatte ihre Gedankengänge wohlwollend, wenn auch überrascht aufgenommen und inzwischen ist er nahezu besessen von diesen. In seinen Vorstellungen hatte er bereits die ein oder andere düstere, erotische Idee daran verschwendet, doch hatte er dies immer für aussichtslose Träumerei gehalten. Nichts Ernsthaftes, was ein Sklave, ein Vampir wie er auch nur im Entferntesten in Erwägung hätte ziehen können. Seitdem er ihre Gedankenfetzen jedoch aufgeschnappt und später systematisch in sich aufgesogen hatte, sieht die Welt ganz anders aus.

Plötzlich gibt es da Möglichkeiten, weil auch der strengen Herrin solche Einfälle plötzlich nicht mehr fremd sind. Ja, sie gefallen ihr sogar. Anders als ihm. Ihm gefallen sie nicht nur: Er kann kaum noch an etwas anderes denken.

Nicht einmal die von ihm so gern ausgeführten Kämpfe und Vernichtungen füllen seinen Kopf sosehr, dass er seine Vorstellungen von dem Was-wäre-wenn reißen kann. Er ist geradezu besessen. So sehr, dass er sich nicht mehr hatte zurückhalten können. In dieser Nacht. Und nun steht er hier. Vor ihr. Noch planlos. Nur ein vages Verlangen in den Schläfen. Beide Hände bereits erhoben. Kaum ein paar Zentimeter von ihr getrennt. Die stark lodernden Augen bereits fest in ihre gebettet. Sein Wille stark und fokussiert, ausschließlich auf sie gerichtet.

Wie sollte dem ein normaler Mensch standhalten? Wie sollte sie dem dämonischen Lächeln seines Mundes und dem blutigen Strahlen seiner Augen, dem einladenden Locken seiner Natur widerstehen? Ihre Gedanken rufen ihn. Ihr Blut ruft ihn. Ihr Körper ruft ihn. Ihre Jungfräulichkeit ruft ihn. Doch ihre eisige Stimme weist ihn von sich. Ebenso ihr fester Wille. Es ist wohl an der Zeit zu testen, was stärker ist.
 

Integra getraut sich kaum einen Atemzug zu holen, als sich Alucard über sie beugt und sie so eindringlich fixiert, dass sie glaubt, sie hätte sich unter seinem Blick vollständig entblößt. Für einen Moment verliert sie sich geradezu wehrlos in seinen schimmernden Schlafzimmeraugen. Wärme perlt an ihren Schultern herab und Hitze wallt in ihrem Gesicht auf. Sie ist verwirrt ob seiner Blicke. Sehr sogar.

Erst der Nachklang seiner Worte und das Realisieren seines überheblichen Grinsens, lassen Integra endlich zu sich kommen. Zornig legt sich eine Wutfalte auf ihre Stirn und um ihren Mund. Sie hebt das Kinn voller Stolz, ihm direkt entgegen, die Lippen so stark aufeinander gepresst, als beiße sie auf eine besonders saure Zitrone. Niemals würde sie zu seinem Spielzeug werden. Gedanken hin oder her. Er hatte ihr zu gehorchen und sich an ihre Instruktionen zu halten. Basta!

Und dass er in ihrem Räumlichkeiten nicht einfach treiben konnte was er wollte, das gehört da ja wohl mit hinein. Immerhin ist sie noch immer das Oberhaupt des Ritterordens Hellsing. Jawohl! „Was nimmst du dir heraus, Vampir?! Ich werde jetzt bis drei zählen und falls du dann nicht verschwunden bist, durchsiebe ich dir höchstpersönlich die Stirn mit einer geweihten Schrotflinte!“ faucht die Blonde und zischt ihm die Silben nur so entgegen.

In ihren Worten schwingt eine solche Wut mit, dass Alucard instinktiv ein wenig verdutzt dreinblickt und sich zurückneigt. „Eins.“ beginnt Integra äußerst showträchtig zu zählen und ihre Hand ertastet auch augenblicklich die Waffe, die aufrecht an der Wand hinter ihr lehnt. Bewaffnet ist sie ja glücklicher Weise immer.

Sie schließt ihre Faust fest um den Lauf des Gewehrs und will gerade weiterzählen, als sie spürt, wie der Mann sich bereits von ihr entfernt. „Es ist nicht die letzte Nacht, Lady Hellsing. Seit unbesorgt.“ tönt es noch irgendwoher, als die Blonde den wachsamen Blick suchend durchs Zimmer gleiten lässt. Tatsächlich. Er ist verschwunden. Mit so wenig Gegenwehr hatte sie nicht gerechnet. Es verstimmt sie sogar ein wenig. Hat er sich nur einen Spaß erlaubt?

Sie wartet noch eine ganze Weile bevor sich erleichtert ausatmet. Was war heut Nacht nur in ihn gefahren? In diesen Vampir. Und. Was war in sie gefahren? Integra schüttelt nur den Kopf. In dieser Nacht würde sie es nicht mehr herausfinden.

Vinum Intermezzo

Kapitel 2 – Vinum Intermezzo
 

Er versucht seinen Blick fest nach vorn gerichtet zu belassen. Denn das ist gesünder. Für ihn, aber vorwiegend für sie. Verflucht. Wenn er jetzt so darüber nachdenkt, kommt ihm die Situation eigenartig, ja fast grotesk vor. Das war ihm noch nie passiert. Ihm war bisher nicht einmal die Idee dazu gekommen, obwohl der Gedanke doch so spielend leicht gewesen wäre. Jetzt fühlt es sich eigentümlich an und er hatte sich noch nicht recht entschieden. Nutzen oder ungenutzt verstreichen lassen?

Die weiß behandschuhten Finger seiner linken Hand spannen sich fest um das dünnwandige Weinglas, das nur zur Hälfte gefüllt ist. Es ist seit Stunden bis zur Hälfte gefüllt. Er sieht den Schatten, der sich in dem Getränk bricht und versucht die Bewegung auf ihm zu ignorieren. Was sich sehr schwer gestaltet.

Nicht etwa wegen des Gewichtes das ihn zu Boden und gegen die Wand in seinem Rücken drückt. Nein. Was auf seinem Körper lastet, ist leicht und geradezu anschmiegsam. Er ignoriert es, weil ihm etwas sagt, dass er sich zurückhalten sollte, auch wenn er es nicht wirklich will.

Kurz zuckt ein Muskel in seinem Gesicht, als er der Versuchung widersteht, nach unten zu blicken. Er zieht nur ein Bein an. Mehr kann er nicht verantworten, ohne seinen Willen zu sehr zu strapazieren. Die Bewegung auf ihm wird rechtslastig. Alucard hebt die Rechte und legt sie locker an den Rücken der jungen Frau, während diese ihren Kopf sanft an seine Schulter lehnt. Sie wäre wohl von ihm heruntergerutscht, hätte er es nicht getan. Wäre doch gut. Nein wäre es nicht. Oder?

Der Vampir ist eingehend überfordert mit diesem Zustand und lässt ein unwilliges Brummen vernehmen. Die junge Frau unterdessen angelt weiter fahrig nach einem Schachbrett, das neben ihnen auf dem Boden liegt und welches gefüllt ist, mit relativ ungeordneten Figuren. Natürlich. Sie ist ja auch dran. Selbst wenn ihre Züge in den letzten Stunden erst ein wenig an Überlegtheit, dann gänzlich an Sinn verloren haben. Macht nichts. Macht gar nichts. Sie liegt immer noch auf ihm. Ja?. Gut. Oder? Vermaledeite Gedanken.

Vielleicht hilft es, sich auf etwas anderes zu besinnen? Der große, schwarzhaarige Mann denkt zurück. Früher Abend. Der langen Weile anheim gefallen, hatte er sich in einem der weiträumigen Zimmer des Hellsinganwesens niedergelassen um eine Partie Schach gegen sich selbst anzufangen. Er war nicht weit gekommen, als er die Gedankenfetzen seiner Herrin aufschnappte, welche dann auch prompt in der Tür stand.

Er hatte sie in seiner typischen Art um eine Partie bei einem guten Glase Wein gebeten. Gegen die Eintönigkeit. Sonst komme man nur wieder auf andere Ideen. Nachdem er ihren kalten, strafenden Blick überstanden hatte, willigte sie komischer Weise ohne Umschweife ein. Beginn der ersten Runde. Sie war eine überlegte, durchaus ernst zu nehmende Gegnerin und Alucard bereitete es Freude sie über den Rand seiner Brille anzuschauen, derweil sie nachdachte. Forschend. Während sie seinen Blick nüchtern erwiderte und schließlich ihre Figur setzte, ohne den Blick aufs Brett zu neigen.

Nach der ersten Flasche Wein hatte sie ihr Jackett ausgezogen und über den Stuhl gehangen. Ihr dunkler BH schimmerte unter dem weißen Stoff verräterisch hervor. Alucard war sehr dankbar dafür gewesen, dass sie seine Gedanken nicht hatte hören können.

Nach der zweiten Flasche Wein, einer lieblichen Spätlese, die sie zusammen geleert hatten, waren ihre Wangen rot angelaufen. Neckisch, wie er fand, aber ihr Verhalten modifizierte sich zum Trotz kaum. Das änderte sich anschließend jedoch schlagartig.

Schon nach der dritten Flasche, die sie inzwischen allein vernichtet hatte, verhielt sie sich ausgelassener. Die Blonde hatte sich auf den Boden gesetzt und nicht mehr aufgehört hinreißend zu lachen, immer wenn ihr etwas in den Sinn kam, das sie komisch fand. Und das passierte in immer kürzeren Abständen. Der Vampir konnte es hören, denn ihre bunten Gedanken öffneten sich ihm wie ein Eimer Regenbogenfarbe.

Vielleicht hätte Alucard sie an dieser Stelle nehmen und zu Walter bringen sollen, aber etwas hatte ihn davon abgehalten. Er mochte ihr Lachen. Nur verursachte er es bei ihr nie. Vielleicht ein wissendes Schmunzeln. Mehr aber auch nicht. Meist schimpfte sie ihn in höchsten Tönen an, wie ein Rohrspatz oder schickte ihn mit herber Stimme in den Kampf. Auch eine Art, die er zu schätzen wusste.

Trotzdem. Umso faszinierter war er zu diesem Zeitpunkt gewesen, als sie zwanglos vor sich hinkicherte und es nie müde wurde, die hellblonden Strähnen aus ihrem Gesicht zu wischen.

Nachdem sie die vierte Flasche geköpft hatten, fing Integra an sich zu beschweren, dass nur er die letzten Partien gewonnen hatte. Sie hatte sich vor ihn gekniet, sodass er zu ihr hochschauen musste, da auch er mittlerweile auf dem Boden zum Sitzen gekommen war. Sie hatte seinen Kragen ergriffen und sich zu ihm geneigt. Die hellen, vom Alkohol bereits getrübten Augen nur auf ihn gerichtet. So nah, dass Alucard ihren Pulsschlag hatte hören können und die blutroten Augen nicht mehr von ihren geröteten Wangen nehmen konnte.

„Du behh… schaisssd doch! Glaub nischisch wähe ssssu betrung umds ssssu sehn!“ hatte sie ihm versucht glaubhaft und mit extrem schwerer Zunge zu vermitteln, bevor sie vorn über gekippt war und direkt auf seiner Brust zum Liegen kam. Wo sie jetzt auch immer noch lag.

Zum Verrücktwerden nah. Wehrlos. Hilflos. Berauscht. Leichte Beute. Ein gefundenes Fressen. Er müsste sie nur packen und sie auf den Boden drücken. Auf den Rücken gedreht. Es wäre ein Leichtes. Ihre Haare würden sich auf dem Boden verteilen, wie Bächlein aus purem Silber. Sie würde zu ihm hochschauen. Vor Trunkenheit nicht wirklich wissend, was geschah. Wahrscheinlich würde sie nicht einmal um Hilfe rufen und wenn doch, konnte er ihren Mund mit dem seinen problemlos zum Schweigen bringen. Sie hätte keine Möglichkeit sich ernstlich zur Wehr zu setzen. Er könnte sich nehmen, was er wollte. Was immer er wollte. Ihr duftendes Blut. Ihren schmalen, weiblichen Körper. Ihre Reinheit. Einfach alles. Seiner Herrin. Und er würde dafür sorgen, dass es ihr gefiel…

Ein Zittern erfasst den Vampir. Er hebt mechanisch die Hand mit dem Weinglas und wischt sich mit dem Handrücken einen schmalen Blutstrom von der Oberlippe.*

Der Schatten der sich über sein Gesicht schiebt, scheint keinesfalls vom Licht im Zimmer erzeugt worden zu sein. Die Rechte, mit der er Integra noch immer auf sich hält, drückt stärker zu und presst ihren Körper spürbarer an seinen. Was ihm ein hörbares, tiefes Stöhnen entlockt. Unmöglich. Sie spricht den Wahnsinn in seinem Kopf zu sehr an, als dass er sich gegen sein animalisches Verlangen zur Wehr setzen könnte. Doch er stockt, als er den Kopf nach unten neigen will.

Integra rappelt sich erneut. Dieses Mal schiebt sie sich jedoch mit unkoordinierter Kraft zu ihm herauf und legt ihre Wange an seine. Sie schmunzelt selig in sich hinein. „Duuh..biss.. dan. Saai liep jah?“ flüstert sie schwer verständlich und der Hauch ihres Atems kitzelt ihn empfindlich am Ohr. Ihre Haut ist erhitzt und weich. Wie lebendige Seide. Doch dem ist nicht genug. Ohne Vorwarnung schlingt sie träge beide Arme um seinen Hals, bettet ihren Kopf unter sein Kinn und döst einfach ein.

Die schwere, süße Alkoholität hat ihre Wirkung getan und Lady Hellsing friedlich ins Land der Träume geschickt. Der Schatten in seinen markanten Zügen löst sich auf. Das leise Schnarchen, das augenblicklich von ihr ausgeht, ernüchtert den Vampir mit einem Schlag. Seine Gedanken verrauchen und er atmet sie aus, wie giftigen Dampf. Die Entscheidung ist gefallen. Er lässt die Schultern sinken und ergibt sich. Mit einem Lächeln. Die Lider sanft gesenkt.

Er erlaubt sich nur eine Bewegung. Eine Fließende. Alucard hebt die Hand von ihrem Rücken, streicht über ihren Kopf, durch ihr Haar bis hinab zu der Biegung ihres Rückrates, wo er seine Finger für einige Sekunden nochmals zum Ruhen kommen lässt. „Herrin. Du kannst alles von mir haben.“ flüstert er. Er erwartet keine Antwort und erhält auch keine. Sein Kopf liegt für einige Augenaufschläge schräg auf ihrem weichen Haar. Dann strafft er die Gestalt.

Umsichtig stellt er sein Weinglas zu Boden. Das zarte Klirren des Glases mischt sich mit dem Rascheln der Kleider, die nun in Bewegung geraten. Kaum ein paar Sekunden später, ist der große Schatten des Vampirs in der Tür zu erkennen, auf dem Weg nach draußen. In den Armen hält er einen hellen Leib, der sich inzwischen regungslos an den Stoff seines Oberhemdes klammert.
 

Eine Weile herrscht Stille im Hause Hellsing. Man könnte schon an einen friedlichen Ausgang dieses Abends glauben. Allerdings wird diese Hoffnung von einem männlichen Aufschrei und einem darauf folgenden lauten Poltern zunichte gemacht. Spitzt man die Ohren gut, kann man ein paar Wortschnipsel auffangen.

„Walter. Ehrlich. Ich will sie nur ins Bett bringen. … Bitte schreien Sie nicht so. Sie wecken sie noch. … Äh Blut? Warum ich Blut im Gesicht habe? Ich hatte Nasenbluten. … Walter! Nein, ehrlich. NASENBLUTEN. … Sehen Sie. Nichts. Ihr geht’s gut. Sie ist nur betrunken. … Äh. Was? Wie viel? Vier Flaschen Wein. … Es war guter Wein? … Ich wollte sie doch nicht abfüllen! Ich bin ja nicht pervers. … Woher sollte ich wissen, dass sie das nicht verträgt?? … Sie wollte es so. Ehrlich. Als sie umgefallen ist, hab ich.. … Schhhht! Walter! Schreien Sie doch nicht gleich wieder so. … Ganz ruhig. Wir wollen doch vernünftig bleiben. Walter. … Walter? … Walter! Stecken Sie die Handschuhe weg. Argh! WALTER! … Schon gut! Nehmen Sie sie. NEHMEN SIE SIE! Sie können sie haben. SCHON GUT! … Au. Meine Nase. Verdammter Butler. …“
 

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Fußnote zu *

Autorenkommentar: JA. Er hat Nasenbluten, auch wenn das an dieser Stelle schwer zu erlesen ist. xD

Schwarz wie ihre Seelen

Kapitel 3 - Schwarz wie ihre Seelen
 

Sie starrte auf das dunkle, matte Massivholz ihres Schreibtisches, während sie einen filigranen Stift in der Hand hielt. Ihre Finger krampften sich so fest um das Schreibutensil, dass ihre Fingerknöchel hell hervor traten. Der Füllfederhalter war ein Geschenk gewesen, das mindestens ebenso langweilig wie nützlich war. Es ähnelte seinem Schenker, einem teigigen, farblosen Mann mit braunem Seitenscheitel und Schnurrbart, der genauso war, wie dieser Füller. Langweilig, aber nützlich. Sie versuchte sich an seinen Namen zu erinnern. Irgendwas mit „B“ – Baltwin, nein das hörte sich nach einer englischen Polomannschaft an. „Balto?“, nuschelte sie fragend. Ihr Kopf begann zu hämmern. Auch nicht, das war nur ein alberner Trickfilm. Wieso fiel er ihr gerade jetzt ein? „Barnaby.“ Nein, nicht ganz. … „Banani?“ … „Oder Bananas?“ Schwachsinn! „Batman!“ Jetzt wurde es langsam absurd. „B… B…? B… wie … Blöder Mist!“ Sie warf den Füllfederhalter entnervt auf die Mappe und starrte ihn verächtlich an, bevor sie sich frustriert in ihrem Stuhl zurück warf. Sie fixierte die Decke und fragte sich, was mit ihr nicht stimmte. Sie war seit Tagen gereizt und verdrossen. Doch als sie tiefer in ihre Gefühle vorzudringen suchte, setzte sie sich blitzschnell wieder auf. Wollte sie das überhaupt wissen?
 

In ihrem Arbeitszimmer herrschte Stille. Die einzigen Geräusche erzeugte der Kamin. Er spuckte knackende Funken und prasselnde Wärme aus, wofür Lady Hellsing mehr als dankbar war. Ihr war kalt und sie fühlte sich erschöpft und müde. Ihre Augen brannten. Sie schloss die Lider und strich sanft mit Daumen und Zeigefinger der Linken von außen nach innen über ihren Lidrand. Ihre Fingerglieder zogen die immer schwerer werdenden Brille hinab, die mit einem leisen Geräusch auf der Tischplatte landete. Der Laut ließ sie zusammen fahren. Er durchquerte ihren Kopf als greller, weißer Blitz und sie riss die Augen schnell wieder auf. Einen Moment lang spürte sie, wie ihr Herz aufgeregt gegen ihre Rippen stieß, bis sie realisierte, dass es dafür keinen Grund gab. Ihre Miene, die finster und ernst gewesen war, wurde nun beinahe ausdruckslos. Wieso war sie so erschöpft und schreckhaft? Das passte überhaupt nicht zu ihr. Und ständig spürte sie diesen Druck in ihrem Gesicht, der von der breiten Sorgenfalte herrührte, die ihre Stirn unablässig durchfurchte. Sie konnte die Gedankenkreise in ihrem Kopf einfach nicht durchbrechen. Inzwischen hatten sie sich zu einem sonoren Mantra zusammen getan, das unaufhörlich in ihrem Kopf zirkulierte. Es war wie ein Jucken in ihrem Hinterkopf. Ein ekelhaft penetrantes Empfinden, das sie nicht befriedigen konnte, also juckte es immer und immer weiter, bis sie fast wahnsinnig davon wurde. Sie hatte versucht ernst zu sein, mürrisch, böse, aufgebracht, kalt, ignorant, herrisch, abweisend … aber keine Gemütslage hatte sie ablenken können oder die Gedanken in ihr zum Schweigen gebracht. Im Gegenteil. Es erschöpfte sie so sehr, sich gegen diese destruktive Schleife zu stemmen, dass sie inzwischen müde und schreckhaft war, während sie die Spirale in ihrem Kopf ins Unendliche schraubte.
 

Integra öffnete die Lippen. Die sich immer und immer wieder gleich erneuernden Worte wollten aus ihr heraus, wollten ihren Mund verlassen, damit ihr Kopf leichter wurde. Die Frau stützte die Ellenbogen auf den Tisch und vergrub ihre Stirn in ihren Händen. Ihre Haut war fiebrig heiß und bevor sie zu flüstern begann, spürte sie, dass die kleinen Wolken ihres Atems ebenfalls drückend warm waren. Stimmenlos hauchte sie die Worte, die sie umliefen, während sich hinter ihren geschlossenen Augen Bilder aufdrängten, die sie nicht zur Seite schob, weil ihr so simpel die Kraft dazu fehlte:
 

„Ein unheimliches Märchen.“ wisperte sie. Ihre Finger umfassten ihre Stirn fester.

„Rot wie Blut. Weiß wie Schnee. Schwarz wie Ebenholz.“

Integra senkte den Kopf, ließ ihn weit in Richtung ihrer Brust sacken und presste die Hände auf die Ohren. Sie wollte ihre eigene Stimme nicht hören. Sie wollte die Worte nur endlich loswerden.

„Ganz fern, ganz nah, ganz kalt und heiß.“ flüsterte sie.

„Rot wie Blut. Weiß wie Schnee. Schwarz wie Ebenholz.“

Der Knoten in ihrer Brust zog sich so eng zusammen, dass sie kaum mehr atmen konnte.

„Und dann sterben sie alle.“ hauchte sie und spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen.

„Das Märchen ist aus. … Rot wie Blut. … Weiß wie Schnee. ...“
 

„Und schwarz … wie die Nacht.“ raunte etwas, nicht in ihr Ohr, sondern in ihren Kopf.
 

Integra sprang auf, wie vom Donner gerührt. Die Stimme war ihr vom Schädeldach bis in die Fußsohle gefahren und hinterließ ein elektrisches Prickeln in ihrem Körper. Zwischen Sehnen und Muskeln glaubte sie, die Enden ihrer überreizten Nervenfäden deutlich und brennend mit jeder Faser ihres Leibes wahrzunehmen. Der Stuhl krachte zu Boden und hektisch drehte sich die junge Frau um. Sie stierte mit glänzenden Augen in das knisternd warm erleuchtete Zimmer. Alles wirkte normal. Schatten tanzten auf den Buchrücken, die träumend in den hohen Regalen verharrten, sonst nahm sie keine Bewegung wahr. Gar nichts, bis sich plötzlich seine Arme um sie schlossen.
 

Erst jetzt spürte sie, dass er hinter ihr stand, als sei er aus dem Nichts gewachsen.

Er umschloss sie, so fest und unnachgiebig, dass sie sich nicht zu rühren wagte. Ihr Herz schlug so wild. Ihr Blut schoss durch ihre Venen, als sei es plötzlich entzündet worden. Seine breite Brust war deutlich in ihrem Rücken zu fühlen. Ganz kalt, ganz nah, kein Atmen, kein Geräusch. Ihr Gesicht war heiß, so fiebrig heiß. Seine Arme hatten sich in einer gefährlichen Falle um ihren Oberkörper geschlossen, pressten sie an ihn. Sie bekam kaum Luft.

Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, um ihn zurück zu weisen, zu schreien oder wenigstens, um Luft zu holen. Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen wand sich eine geradezu riesige Hand wie ein bleierner Verschluss um Mund und Nase der Frau. Ihre Augen weiteten sich. Nackte Angst kroch in ihrer Kehle empor, wie eine dicke Schlange. Sie war machtlos, schutzlos …

Eine kalte Berührung streifte ihre Wange.

Sein Atem geriet in ihr Ohr. Das leise Raunen tropfte zäh in ihre Gedanken.
 

„Und schwarz wie ihre Seelen.“ Das Raunen wurde zu einem Flüstern. Integra bekam keine Luft mehr, sie wollte um sich schlagen, aber sie konnte sich nicht bewegen. Ihre Glieder waren taub und leblos, während der Druck, der sie umgab immer stärker zu werden schien. Ihr war heiß, so heiß … und sie erstickte langsam.

„Meine…Herrin. Alles, was du bist.“ hauchte er und sie spürte die ertränkende Schwere auf ihren Schultern. Er war so nahe, so dicht, umschloss sie, wurde tonnenschwer. Die Farben verblassten und lösten sich in immer matter werdenden Konturen auf. Alles wurde dunkler. Ihr Bewusstsein flackerte, wie das Feuer des Kamins. Es brannte unaufhaltsam herunter. Bald würde es wie der müde Docht einer Kerze ein letztes Mal schwach glimmen, bevor es in einer dünnen Rauchfahne erlosch. Nein, das durfte nicht passieren.

„Gib. Dich. Mir. Hin. …“ drang es stimmlos in ihren Kopf, bevor das Bild ihr endgültig entglitt.

„Für immer…“


 

Integra riss die Augen auf, als sie etwas an der Stirn berührte.

Sie packte blindlings zu und realisierte erst viel zu spät, dass sie ein Handgelenk so fest umklammerte, dass sich ihre Fingernägel in fremdes Fleisch gruben. Sie schnappte nach Luft und warf den Kopf herum, wie eine Ertrinkende, wirr vor Panik und Desorientierung. Walters Gesicht starrte zurück. Er sah blass aus und nicht weniger erschrocken als sie, während er ergeben sein Handgelenk still hielt. Etwas tropfte auf das Gesicht der verwirrten Frau und sie sah ein weißes, dickes Tuch über sich schweben. Der Butler hielt es in der Hand.

Langsam ließ sie Walters Arm los, doch ihre Brust hob und senkte sich noch immer angsterfüllt, während sie den Bediensteten und Freund mit runden Augen taxierte. Er räusperte sich.

„Lady Hellsing, Sie sind wach. Sehr gut. Wie fühlen Sie sich?“ fragte Walter in seinem gewohnt höflichen Tonfall, aber eine Spur sanfter und besorgter, als es ihr geläufig war. Er ignorierte geflissentlich, dass sie ihm beinahe das Handgelenk gebrochen hätte.

„Ich… Walter, wo bin ich? Was ist hier los?“ fragte sie und konnte nicht verhindern, dass sich ihre Stimme am Ende der letzten Frage überschlug. Sie schluckte, um die in ihr aufsteigende Panikattacke nieder zu kämpfen.

„Lady Integra…“ setzte er an und schien zu überlegen, wie er am besten antworten sollte.

„Sie waren beinahe einen Tag lang bewusstlos.“ sagte er und ließ das weiße Tuch in eine Wasserschüssel gleiten, das am Kopfende des Bettes auf einem Nachttisch stand. „Sie befinden sich auf der Krankenstation Ihres Anwesens. Wir waren der Meinung, dass es besser sei, Sie hierher zu bringen. Sie hatten hohes Fieber.“

„Fieber?“ flüsterte Integra ungläubig und ließ sich endlich zurück in ihr Kissen sinken. „Ja…“ murmelte sie schließlich, während sie sich langsam im Zimmer umsah. Sie hatte sich nicht orientieren können, weil weiße Sichtschutzwände sie umgaben. Durch einen Spalt konnte sie hindurch spähen und erkannte das soeben von Walter erwähnte Krankenzimmer augenblicklich. Sie wandte den Kopf erneut zu dem Mann, der sie mit einem fürsorglichen Lächeln betrachtete und seine Hände abwartend im Schoß gefaltet hatte. „Walter, berichte mir bitte, was passiert ist.“
 

Der Butler tat wie ihm geheißen, blickte kurz an die Decke und begann dann nüchtern zu berichten.

„Sie hatten in Ihrem Arbeitszimmer das Bewusstsein verloren. Scheinbar durch einen heftigen Fieberschub, wie ich vermute. Jedenfalls lagen Sie auf dem Boden und zitterten am ganzen Leib, als Herr Alucard Sie fand.“ Integra sog scharf die Luft zwischen ihren Lippen ein, unterbrach den ältlichen Butler jedoch nicht. Alucard. Der Vampir hatte sie gefunden? „Er informierte mich umgehend und wir verbrachten Sie auf die Krankenstation. Bis der Morgen anbrach, hielt Meister Alucard an Ihrem Bett Wache, zum Morgengrauen löste ich ihn ab. Es ist inzwischen“ Er zückte seine Armbanduhr und schaute unter dem Rand seiner Brille hinweg auf das Ziffernblatt. Walter wirkte dabei stets wie ein aufgeblasener Aristokrat, aber Integra hatte es noch nie übers Herz gebracht, ihm das zu beichten. „4Uhr nachmittags. Ich bin sehr froh, dass Sie wieder zu sich gekommen sind. In ein paar Stunden hätte ich einen Arzt verständigt, wenn Sie nicht aufgewacht wären. Das Fieber ist inzwischen auch gesunken. Aber Sie sollten dennoch weiterhin das Bett hüten. Nur zur Sicherheit.“

Walter stand auf und verneigte sich. Lady Hellsing konnte sehen, wie steifbeinig er aufgestanden war. Er musste keinen Augenblick von ihrer Seite gewichen sein. Guter, treuer Walter.

„Benötigen Sie noch etwas Lady Integra? Ansonsten würde ich mich gern kurz zurück ziehen.“

„Nein. Nein Walter, geh ruhig. Du hast genug getan. Mir geht es recht gut. Zieh dich zurück und ruh dich aus. Das ist ein Befehl.“ Sie brachte ein schmales Lächeln zustande, obwohl sich ihre Lippen wund anfühlten. Der Mann nickte, ging aber nicht, ohne ihr noch einmal glaubhaft zu versichern, dass sie nur nach ihm klingeln brauchte, wenn sie etwas benötigte. Dann war sie alleine mit sich und ihren Gedanken.
 

Ihr wurde siedend heiß bewusst, dass sich das, was sie erlebt hatte, nicht wirklich zugetragen haben konnte. Es war ein Fiebertraum gewesen, eine beklemmende Halluzination ausgelöst durch ihr kochendes Blut und das damit einher gehende Delirium. So war es gewesen. Ganz sicher. Alles passte zusammen. Sein urplötzliches Auftauchen. Die Hitze. Die Beklemmung, als er sie so aggressiv umfasste, dass sie keine Luft mehr bekam. Fieberwahn. Die hellblonde Frau schloss die Augen und atmete hörbar aus. Erleichterung überflutete sie. Obwohl Integra so lange geschlafen hatte, drückten ihre Augenlider bleischwer. Sie war in Sicherheit. Alles war nur ein böser Traum gewesen und wenn sie wieder gesund war, war alles vorbei.
 

Integra döste davon und bemerkte nicht, wie ein dunkler, hoher Schatten an ihr Bett trat. Eine große Hand strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn, während sich die Gestalt tief über die schlafende Frau beugte. Sein großer Mund schwebte über ihren leicht geöffneten Lippen. Er witterte ihren Atem und mischte ihn mit seinem, als er flüsterte. „Und schwarz wie ihre Seelen. Für immer.“ Dann grinste er.

Kontrolle

Kapitel 4 - Kontrolle
 

Sie zog den schweren Mantel von der Stuhllehne und schwang ihn um ihre Schultern. Die Ärmel des olivgrünen Gehrocks baumelten an ihrer Seite herab und wippten rhythmisch bei jeder ihrer Bewegungen. Die hellblonden Strähnen ihrer langen Haare flossen wie kleine Silberbächlein durch den derben Wollstoff, während sie mit langen Schritten das Zimmer durchmaß. Die Absätze ihrer ordentlich geschnürten Stiefel hackten hart auf das blitzsaubere Parkett. Sie rauschte an ihrem Koffer vorbei, an der großen schwarzen Tasche und dem staubgrauen Aktenkoffer, die sich in der Nähe der Zimmertür stapelten. Lady Hellsing durchflog gedanklich bestimmt zum einhundertsten Mal ihre Packliste, kontrollierte die Fensterriegel und versicherte sich, dass alle Geräte abgeschaltet waren, alle Ordner verschlossen, alle Unterlagen sauber einsortiert in den Schubladen ihres Sekretärs ruhten. Sie würde das Anwesen für längere Zeit verlassen und wollte nicht, dass auch nur die kleinste Ungewissheit an ihr nagte. Kontrolle. Vor kurzem hatte sie einen so einschneidenden Kontrollverlust erlebt, dass es nun wie ein innerer Zwang in ihr lohte, jeden Faden und sei er auch noch so winzig, straff in der Hand zu behalten.
 

Das merkwürdige Fieber, dem sie diese pedantischen Handlungen verdankte und dem sie vor etwa anderthalb Wochen anheimgefallen war, hatte sie inzwischen vollkommen auskuriert. Die Symptome waren verschwunden, nachdem sich ihre Körpertemperatur auf ein Normalmaß reguliert hatte. Keine Albträume mehr, kein Koma, keine Visionen. Sie war wieder völlig gesund und, was noch viel wichtiger war, Alucard verhielt sich absolut unauffällig. Keine grotesken Avancen, keine aggressiven Handlungen, keine Zudringlichkeiten. Ja, er verhielt sich typisch bizarr, seinem Wesen entsprechend, aber zutiefst ergeben und pflichtbewusst – im Grunde also harmlos. Zumindest für sie. Integra blieb mitten im Zimmer stehen und fischte aus der Innentasche ihres Gehrocks ein silbernes Etui, dem sie einen Zigarillo entnahm. Beiläufig zündete sie ihn an und blies den blauen Rauch bis unter die Decke des hohen Raumes, während sie zufrieden nickte. Ein schmales Lächeln glitt über ihr Gesicht, als sie spürte, dass sie mit der Entwicklung der Ereignisse zufrieden sein konnte.

Als hätte sie damit ein geheimes Zeichen gegeben, klopfte es an der Zimmertür und Walter schwebte herein. Formvollendet neigte er den Oberkörper und schaute die junge Frau über seine runden Brillengläser hinweg lächelnd an. Dabei hatte er kaum einen Laut verursacht, dachte sie. Manchmal vergaß sie beinahe, welch tödlicher Kern in ihrem Butler schlummerte. Aber stets nur fast.
 

„Walter.“ intonierte Integra sofort. „Sind alle Vorbereitungen abgeschlossen?“

„Natürlich, Lady Hellsing. Ganz so, wie Sie es gewünscht haben.“ erwiderte der Butler beflissen und bedachte sie mit einem Lächeln.

„Darf ich dann Myladys Gepäck hinunter tragen? Es wird Zeit aufzubrechen, wenn Sie Ihren Flieger noch pünktlich erreichen wollen.“ bot der Mann ihr an und Integra stimmte ihm mit einer schnellen Handbewegung zu. Walter würde ihr fehlen, während sie in Westeuropa waren. Die Reise war allerdings unvermeidlich. Wenn sich die führenden Köpfe der europäischen Monsterliquidierungseinheiten zusammen fanden, durfte die wichtigste Vertreterin Großbritanniens zweifellos nicht fehlen. Die Zeiten hatten sich geändert. Freaks waren nicht länger ein staatliches Problem, sondern gerieten viel mehr zu einer globalen Bedrohung, der man geschlossen gegenüber treten musste. Sie wusste, dass man auf den britischen Inseln zu Lebzeiten ihres Vaters anders darüber gedacht hatte und dass sie sich mit diesem neuen Kurs nicht nur Freunde geschaffen hatte. Doch es war ihr gleich. Sie. Sir Integral Fairbrook Wingates Hellsing war dazu bestimmt, das Werk ihres Vaters fortzusetzen. Sie würde sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Kräften, bis zu ihrem letzten Atemzug dafür kämpfen und wenn das hieß, neue Wege zu finden, dann würde sie auch davor nicht zurück schrecken.
 

Integra wartete in der großen Eingangshalle, während Walter schwer beladen die Treppe hinab taumelte. Sie blickte ihm entgegen und kniff schnell die Lippen zusammen, um nicht laut loszulachen. Walter hatte sich, neben ihrem Gepäck, noch zwei weitere Taschen unter die Arme geklemmt. Im Klartext hieß das, er schleppte ihren zum Platzen vollgestopften Koffer, drei Reisetaschen und Integras Aktenkoffer, der scheinbar nur noch zwischen seinen Zähnen Platz gefunden hatte. Walter mühte sich ab, so würdevoll wie möglich die Treppe hinab zu schwanken, aber seine Augen traten bereits alarmierend aus ihren Höhlen hervor. Seine bebenden Nasenflügel und die pochende Ader auf seiner Stirn, wurden noch von der ungesund dunkelroten Gesichtsfarbe unterstrichen. Jetzt fehlte eigentlich nur noch, dass er Rauchwolken aus schnaubte. Integra eilte ihm entgegen und wollte ihm gerade zumindest den Aktenkoffer aus dem Mund nehmen, als der mit einer unnachgiebigen Bestimmtheit den Kopf schüttelte und etwas murmelte, das sich wie: „Hommt haa naah han Fahge!!“ anhörte. Seine Augen blitzten und die junge Frau trat schnell aus seinem Weg. Walter hievte die Gepäckstücke breitbeinig an ihr vorbei und watschelte schnaufend durch die offene Eingangstür nach draußen, wo bereits ihr Chauffeur vorgefahren war. Integra unterdrückte ein Kichern, als sie das Ächzen des Butlers hörte, als dieser rumpelnd die Gepäckstücke in den Kofferraum des Wagens purzeln ließ. Guter, treuer Walter. Er würde sich nie ändern und das war gut so.

Als der Butler wieder eintrat, tupfte er sich gerade mit einem Taschentuch über die Stirn und wirkte durchaus zufrieden.

„Jetzt sollte alles verstaut sein. Sind Sie bereit zum Aufbruch, Lady Hellsing?“ fragte er.

Integra schüttelte langsam den Kopf.

„Nein, etwas fehlt noch.“ sagte sie und bemerkte amüsiert, wie Walter kurz erschrocken zusammen zuckte. Sie hob schnell die Hände, um ihn zu beschwichtigen.

„Keine Sorge, das Gepäck ist vollständig. Es fehlt lediglich…“

Doch Integra kam nicht dazu ihren Satz zu beenden, denn eine tiefe Stimme vervollständigte die Aussage abrupt für sie.

„… ihr ergebener Begleitschutz.“ raunte eine sonore Stimme.

Walter lächelte stoisch und seine Augen zuckten zu der kleinen Gruppe von Sesseln, die im Foyer standen, hinüber. Dort hatte sich lautlos die hohe umschattete Gestalt eines Mannes erhoben. Lady Hellsing rührte sich nicht. Dünne Rauchkringel stiegen lautlos von ihren Lippen auf und nur das Knistern des glühenden Zigarillos war zu vernehmen. Noch während der Mann sich zu voller Größe aufrichtete, wurde Integras Gesicht ernster und distanzierter. Hatte er die ganze Zeit schon dort gesessen? Sie hatte ihn nicht bemerkt. Die hellblonde Frau rührte sich, strich ihren Hosenanzug glatt und taxierte ihn. Sein Haar war länger als üblich und zu einem makellosen Schwanz zurückgebunden. Die glutroten Augen verbargen sich hinter einer runden Sonnenbrille, während sein großer, schlanker Körper in einem tiefschwarzen Anzug steckte. Nur Hemd und Handschuhe waren, wie üblich, weiß.

Alucard fuhr sich mit der Hand von der Brust bis zum Bauch und verneigte sich dann in einer fließenden Bewegung vor ihr. Sie sah sein scharfzahniges Grinsen, als er sich wieder aufrichtete und bemerkte das leise Lachen, das aus seiner Kehle drang. Er wirkte abstrus, wie ein übergroßes Raubtier, das sich brav auf die Hinterläufe stellte. Als er auf sie zuschritt, hob sie nur das Kinn und blickte ihm direkt ins Gesicht, ohne zurück zu weichen. Sie zuckte nicht einmal mit der Wimper und ihre Züge behielten vollumfänglich ihre gelassene Autorität bei.

„Herrin.“ raunte er leise und bot ihr den Arm an. Sie zögerte kurz, legte dann aber ihre Hand langsam in seine Armbeuge und spürte, wie er neben ihr ein Stück zu wachsen schien. Die junge Frau berührte ihren gefährlichen Diener nur äußerst selten, auch wenn sie nichts vor ihm zu befürchten hatte. Der Abstand zu ihm war ihr wichtig. Essentiell. Er schützte sie. Integra wusste, auf welche Weise es dem Vampir möglich war, die Gedanken und Handlungen seiner Gegner zu beeinflussen. Alucard war mächtig und gerissen. Manipulation war für ihn nicht mehr als eine Fingerübung und er fühlte keine Reue, kein Gewissen. Lady Hellsing war es, die ihn in seine Schranken wies. Sie erteilte die Autorisierungen zur Auflösung der Bannsiegel, die seine Macht beschränkten. Sie gab ihm seine Aufträge und er gehorchte. Er musste das bleiben, was er war. Ein gut abgerichteter Hund, ein nützliches Werkzeug, ein unterwürfiger Diener. Solange diese Distanz gewährleistet war, konnte nichts geschehen.

Integra straffte ihre Schultern und wandte sich an Walter.

„Pass gut auf das Anwesen auf, bis wir zurück sind … und auf dich natürlich auch. Ich melde mich, sobald wir unser Hotel erreichen.“ sagte sie noch, während der Butler sich bereits verneigte und Alucard sie hinaus führte. Der Vampir öffnete ihr die hintere Tür des schwarzen Wagens mit einer leichten Verbeugung, bevor er selbst auf der anderen Seite einstieg. Dann ließen sie die lange Einfahrt des Anwesens der Hellsings hinter sich.


 

Der kleine Page mit seiner albernen Bedienstetenkappe schloss die Tür hinter sich und Integra ließ sich auf das weiße, frisch bezogene Hotelbett sinken, das in ihrem Zimmer bereit stand. Mit einem Seufzen schlüpfte sie aus den engen Schuhen und warf Gehrock und Jackett neben sich auf den Bettbezug. Der Flug war reibungslos verlaufen, genau wie die Fahrt in ihr Hotel. Kaum hatten sie jedoch das Flugzeug verlassen, war Alucard spurlos verschwunden. Die junge Frau war ein wenig erbost über sein Verhalten, kannte diese Anwandlungen aber bereits. Solange er auftauchte, sobald sie ihn brauchte, versuchte sie, sich nicht weiter daran zu stoßen. Schon morgen würde die erste Konferenz stattfinden, dachte sie, während sie den obersten Knopf ihrer Bluse löste und so die Enge des Kragens etwas entschärfte. Ihr erster Auftritt musste Eindruck schinden und durfte keinen Zweifel an ihrer Autorität zurück lassen. Schon aus diesem Grund wollte sie Alucard dabei haben. Er war ein unmissverständliches Zeichen der Macht der Familie Hellsing, um die sich freilich bereits ohne einen domestizierten Vampir mehr als genug Mythen rankten. Er würde ihre Stellung sofort festigen und ihren Worten augenblicklich mehr Gewicht verleihen.

Ein Klopfen riss sie aus ihren Gedanken. Integra blickte zur Hotelzimmertür und blinzelte kurz. Wer mochte das sein? Noch einmal der Page? Hatte er vergessen ihr etwas hoch zu tragen? Lady Hellsing ließ kurz ihren Blick über den Berg Gepäck gleiten und entdeckte auf Anhieb nichts, das fehlte.

„Moment.“ rief sie kurz angebunden, fuhr mit ihren Händen unter ihre Haare und befreite diese aus ihrem Kragen, sodass sie in einer silbernen Platinkaskade über ihren Rücken wallten. Dann ging sie zur Tür und öffnete sie, aber für einen Augenblick sah sie niemanden. Integra schob die Augenbrauen zusammen, bis sie schließlich den Blick ihrer hellen Augen auf einen Schatten senkte. Vor ihr saß ein riesiger schwarzer Hund, dessen lange Zunge ihm wie ein monströser Wurm schlaff seitlich aus dem Maul hing. Mehrere blutrote Augenpaare betrachteten sie gleichzeitig, was dem Gesicht des Hundes Züge einer haarigen Spinne verlieh. Als die junge Frau die Tür öffnete, erhob sich das Tier, schüttelte den schweren Kopf, sodass seine zotteligen Ohren schlackerten und trabte einfach in Seelenruhe an Integra vorbei in ihr Zimmer. Verdutzt ließ die Frau ihn passieren, fand aber spätestens zu ihrer alten Form zurück, als sie die Zimmertür geräuschvoll schloss.
 

Die Hellsingerbin stemmte die Hände in die Hüften und verengte die Augen, während sie das Tier fixierte, das es sich auf ihrem Bettvorleger bequem machte.“Alucard!“ schalt sie und ihre Stimme durchschnitt die Luft scharf. „Was soll der Blödsinn?“ Das Fell des Hundes schien sich stetig zu bewegen, als sei es eine lebendige Flüssigkeit. Ab und an blinzelten stierende Augen zwischen den Zotteln hervor, die sich schnell zwinkernd schlossen und wieder verbargen, wenn man sie bemerkte. Integra mochte diese Gestalt des Vampirs nicht. Sie gehörte zu ihm und vermischte sich hin und wieder mit seiner Erscheinung. Zumeist bereitete es ihm Freude, diese animalische Seite im Kampf hervor brechen zu lassen. Seine Feinde reagierten irritiert, oft schockiert und das noch bevor sie das eigentliche Grauen auch nur erahnen konnten. Die junge Frau wusste, wie gern ihr Diener mit seinen Opfern spielte und wie bestialisch er sie folterte, wenn ihm der Sinn danach stand. Das fröhliche Abreißen von Körpergliedmaßen gehörte da eher zum Standardprogramm.

Der Hund begann zu grinsen. Integra lief ein kalter Schauer über den Rücken und die feinen Haare auf ihren Armen und in ihrem Nacken stellten sich auf. Tiere sollten nicht grinsen können, das war widernatürlich. Sie spürte, dass ein Muskel in ihrem Gesicht angeekelt zuckte und versuchte ihre Abscheu unter einer Maske aus Gleichgültigkeit zu verbergen. Die blonde Frau verschränkte die Arme und sah das Wesen mit unverhohlener Ungeduld strafend an, während sie innerlich aufatmete, als dieses sich endlich rührte. Der Hund streckte seine Vorderläufe aus und reckte sich genüsslich, bevor seine Gestalt zu zerfließen schien, als würde man einer Kugel Eis im Hochsommer beim Schmelzen zuschauen. Die roten Augen quollen in alle Richtungen davon, tropften klatschend zu Boden, wo sie einen Moment lang schwammen und versanken dann in der zähen schwarzen Masse, die von dem Leib des Tieres übrig blieb. Integras Nasenflügel blähten sich bei dem abstoßenden Schauspiel, ansonsten hielt sie ihre gleichgültige Fassade aber aufrecht. Die Konturen des schwarzen Klumpens gerieten abermals in Bewegung und ordneten sich neu. Der Frau war es noch nie möglich gewesen, den genauen Zeitpunkt zu erhaschen, wenn die Gestalt des Vampirs wieder menschlich wurde. Es war, als würde man blinzeln und dann stand er vor einem, als wäre nichts geschehen. Manchmal bewegte sich sein Haar ein wenig oder man sah ein verräterisch amüsiertes Glimmen in seinen Augen, mehr Indizien auf seine Gestaltänderung gab es aber nicht. Genauso verhielt es sich auch jetzt. Er stand wie aus dem Nichts vor ihr, die Lider halb geschlossen, ein unverhohlenes Grinsen auf den Lippen.
 

„Ich wollte sehen, wie es dir geht...“ gab er mit ruhiger, tiefer Stimme zurück und sein Grinsen wurde breiter. „… und dir etwas Zerstreuung verschaffen.“ erklärte er belustigt. Integra starrte ihn verblüfft an. Es waren allerdings nicht die weißen scharfkantigen Zähne, die sein unheilschwangeres Grinsen offenbarte, die das Oberhaupt der Hellsing Familie stutzen ließen. Viel mehr rutschte ihr Blick perplex an ihm herunter. Sie schluckte. Sein Oberkörper war lediglich mit einem offenen weißen Hemd bekleidet, das locker über seine ausladenden Schultern hing und den Blick über die breite Brust und den Bauch bis zum Ansatz seines Hosenbundes frei ließ. Drahtige Muskulatur zeichnete sich unter seiner hellen Haut ab. Auf seiner Brust ruhte eine schwere, eiserne Kette, die in einem steifen, breiten Lederhalsband endete, das fest um seinen Nacken saß. Er legte den Kopf schräg, als er einen Schritt auf sie zutrat. Integra wich zurück. Sie starrte ihn noch immer an, offensichtlich um Worte ringend, während ihre linke Augenbraue nervös zuckte. „Stimmt etwas nicht, Herrin?“ knurrte Alucard und breitete seine Arme aus, als erwarte er, sie jeden Moment zu umarmen. Schatten huschten über sein Gesicht, die seine Augen nur umso heller leuchten ließen. Seine schmalen Pupillen waren fest auf die junge Frau gerichtet, deren Puls zu rasen begann. Was war in ihn gefahren? Kalter Schweiß trat der sonst so beherrschten Lady auf die Stirn, während sie weiter vor ihm zurück wich. „Du wolltest einen gehorsamen Hund. Hier hast du ihn.“ Hatte er ihre Gedanken belauscht? ,schoss es ihr durch den Kopf, doch Integra kam nicht dazu, ihre Gedanken zu beenden. Leichter Stoff raschelte, als er plötzlich auf sie zu schoss. Sie erschrak so sehr, dass sie nach Luft schnappen musste.

Alucard war im Bruchteil einer Sekunde bei ihr und legte beinahe zärtlich seinen langen Arm um ihre Taille. Er zog sie an sich und spürte das lebendige Pulsieren ihrer Haut, während ein furchterfülltes Zittern unkontrolliert durch ihre Glieder fuhr. Ihre Arme waren zwischen ihrem und seinem Körper eingeklemmt. Es war ein Leichtes das Ende der Kette zu ergreifen und sie mit seiner freien Hand straff um ihren Nacken zu schlingen. Noch war sie zu perplex, um auch nur einen Muskel zu rühren. Er spürte sie, durch den dünnen Stoff ihrer Kleidung hindurch, an seine nackte Brust gepresst und es fiel ihm schwer, die Beherrschung zu wahren. Er musste sich eingestehen, wie besessen er wirklich von ihr war. Sie fütterte seinen Wahnsinn mit jeder Faser ihres Körpers und war doch gleichzeitig so unerreichbar für ihn. Eine süße Qual. Ein Hunger, den er niemals stillen konnte. Ein Verlangen, das er nicht befriedigen konnte. Er konnte haben, was immer er wollte, nur sie nicht. Lady Hellsing. Die Herrin. Die Einzige. Zumindest hatte er das gedacht, bis er eines Nachts ihre Gedanken aufgefangen und wie ein Verdurstender in sich aufgesogen hatte. Sie hatte Gedanken über ihn, die sie sich nur selten erlaubte, aber sie waren da, hatte Alucard voller Euphorie festgestellt. Ihr unbändiger Stolz verbot ihr allerdings auch nur einen Augenblick die Kontrolle zu verlieren. Er wusste noch nicht, wie er diese Hürde überwinden sollte, aber er würde es. Sie musste die Kontrolle verlieren, sie ganz und gar aus ihrem Griff gleiten lassen. Er war zu krankhaft von ihr besessen, um es nicht zu versuchen und irgendwann würde er den Punkt finden, an dem ihre Schale zerbrach und dann … würde sein Vergnügen erst richtig beginnen. „Hmm. Was hast du? Hat es dir die Sprache verschlagen?“ raunte er, ruckte die Kette ein wenig enger und drückte ihr Kinn nach oben. In diesem Moment kehrte das Leben in die junge Frau zurück.
 

Integra verkrampfte sich. Ihr Gesicht wurde hart, als sie die Hände langsam zwischen ihnen hinab sinken ließ. Ob sie wollte oder nicht, dadurch spürte sie die markante Biegung seines Körpers. Die junge Frau ließ alle ihre Gedanken und Empfindungen gegen eine hohe Mauer prallen, sie pferchte sie ein, erlaubte nicht, dass sie an die Oberfläche ihres Geistes gelangten. Seine Finger ruhten noch immer eisig wie Marmor an ihrem Kinn. Ihre Emotionen waren nicht zu erraten, während sie, ohne einen Wimpernschlag in seine hell leuchtenden, glutroten Augen starrte. Er war ihr so nahe. Eine kurze Bewegung und er hätte sie nieder ringen können. Sie machte keine Anstalten, sich zur Wehr zu setzen und es reizte ihn so sehr, sie zu berühren. Die Erbin der Hellsings schreckte nicht vor ihm zurück, wich seinem Blick nicht aus, ja sie schrie nicht einmal. Sollte er es bereits geschafft haben? Hatte dieser Übergriff genügt, um ihre Abwehr zu senken? Hatte sie vielleicht nur auf einen Schritt wie diesen gewartet? Wenn ihre herrische Abweisung jetzt schwand, konnte diese Nacht mehr als nur interessant werden. Eine leise Aufregung ergriff den hoch aufgewachsenen Mann, die jede Spannung überstieg, die er während der letzten Jahrzehnte gefühlt hatte. Er lächelte, als er sich nach vorn neigte. Seine Stimme nichts weiter als ein sanftes Flüstern, während sein kalter Körper sich spannte. „Sag es mir.“ raunte er. Alucard wollte, dass sie es aussprach, dass sie sich ganz hingab und sich in seine bereitwillig wartenden Hände fallen ließ. Die Luft war zum Zerreißen gespannt. Schweigen umhüllte sie. Es zog sich in die Länge, dehnte sich aus, bis es das ganze Zimmer auszufüllen schien. Aber er hatte Zeit, mehr Zeit, als es sich irgendein Wesen auch nur im Entferntesten vorstellen konnte.
 

Ein leises Klicken. Alucard senkte den Blick , seine heiß glühenden Iriden huschten nach unten. Seine unnatürlich großen Hände packten fester zu, dennoch reagierte er zu spät. Ein lauter Knall ließ ihn zusammen fahren, gefolgt von einem brennenden Schmerz und dem ungesunden Geräusch zersplitternden Fleisches und berstender Knochen. Die Augen des Vampirs weiteten sich, als seine Beine ohne Vorwarnung unter ihm nachgaben und er zu Boden sackte.

Integra hielt den kleinen Revolver noch in der Hand, als der Hüne zusammenbrach. Ihre Brust hob und senkte sich erregt. Jeder Atemzug schmerzte, so schwer rasselte die Luft in ihrer Lunge. Sie biss die Zähne so fest zusammen, dass sie glaubte, Blut zu schmecken. Ihr Kiefer mahlte. Ihre Augen funkelten hasserfüllt, als sich ihr Blick klärte und sie sah, was der Schuss aus dem noch immer dampfenden Lauf, angerichtet hatte. Die junge Frau hatte, als sie ihre Hände langsam hatte sinken lassen, aus einem verborgenen Futteral eine Waffe ziehen können. Walter hatte es ihr anfertigen lassen. Ein unauffälliger, filigran gearbeiteter, kleinkalibriger Revolver, der ohne Mühe zu verbergen war, bis er benötigt wurde. Zum Glück hatte der vorausschauende Butler sie mit geweihter und dazu auch noch streuender Munition bestückt. Alucards Dunkles Blut war über den Boden des Hotelzimmers gespritzt, vermischt mit Splittern aus Gewebe und Stoff, als Integra ihm blind das Knie durchlöchert hatte. Ihre Hände zitterten kaum merklich, als der Druck um ihren Nacken nachließ und sie einen Schritt zurück treten konnte, während ihr Diener vor ihr auf die Knie gefallen war. Die Kette des Halsbandes schleifte über den Teppich und ohne nachzudenken, trat sie auf dessen Ende, sodass der Kopf des Vampirs mit einem Ruck in Richtung Boden gerissen wurde. Es war ihr gleichgültig, dass ihm durch den Schuss die gesamte Kniescheibe weggeblasen worden war. Sie spürte keine Reue oder Mitleid und war sich außerdem sicher, dass ihn dieser Kratzer wohl auch leider nicht umbringen würde. Integra zitterte noch immer vor Wut. Alucards Gesicht klebte beinahe am Boden, während sie sich aufrichtete und ihn verächtlich anstarrte.
 

„Wie kannst du es wagen?“ zischte sie, hob den Revolver erneut und setzte dessen Lauf auf den schwarzen Hinterkopf des Vampirs. „Ich sollte dir zur Strafe deinen Schädel wegblasen.“ knurrte sie. Ihre Stimme war kalt und fest, kein Hauch Angst schwang darin mit. „Hunde beißen ihre Herren nicht, hast du verstanden? Du wirst mich nie wieder auch nur ansehen wie eines deiner Spielzeuge. Ich bin das Oberhaupt der Hellsing Familie und du nicht mehr, als ein willfähriges Werkzeug. Vergiss das niemals.“ fauchte sie, hob den Fuß von der Kette und rammte ihm ihre Ferse in die Schläfe. Der große Leib des Mannes, der auf allen Vieren vor ihr kauerte, erzeugte keinen Laut. Sie sah nur, wie sein Brustkorb sich heftig hob und senkte. „Ich werde jetzt in die Hotellounge gehen und mir einen Martini genehmigen, oder zwei und wenn ich zurück komme, will ich deinen Kadaver hier nicht mehr sehen!“ Integra trat zurück und richtete den Kragen ihrer Bluse, während sie den Revolver zurück zog und in dem eingenähten Halfter an ihrer Hüfte verstaute. Es war ihr gleich, ob Blutspritzer an ihr klebten, sie musste hier raus. Abrupt wandte sie sich von ihm ab. Ihre hell blonden Haare flogen wild um ihren Kopf, als sie zur Zimmertür stürmte und diese aufriss. Sie kochte noch immer vor Wut und Scham, ihr Körper bebte. Wie zum Teufel hatte er es nur wagen können? Dieser Bastard! Die Adrenalinschübe ließen nur langsam nach und Integra spürte, dass sie vor Zorn beinahe die Beherrschung verloren hätte. Kontrolle. Ganz ruhig, Integra. In der offenen Tür hielt sie abermals inne, drehte sich noch einmal um und zischte „Du wirst morgen pünktlich sein und mich zu der Vollkonferenz begleiten. Und lass dir ja nicht einfallen, dich auch nur eine Sekunde eher bei mir blicken zu lassen. Das nächste Mal ziele ich besser. Das ist ein Versprechen!“ Dann knallte sie lautstark die Tür hinter sich zu.


 

Alucard richtete sich nach einer Weile langsam auf und ließ sich rittlings gegen die Kante des Hotelbettes sinken. Sein Blick flog über sein verstümmeltes Knie, während die im Raum verteilten Fetzen und Spritzer langsam in seinen Körper zurück kehrten, um seine versprengten Fasern neu zusammen zu setzen. Er legte seinen schweren Kopf in den Nacken und schloss die schimmernden Augen. Sie würde es ihm nicht leicht machen. Ihr Stolz war unbändig. Ein Lächeln umspielte seinen Mund, das sich mit einem glucksenden Lachen vereinte, das kehlig zwischen seinen Fängen hindurch drang. „Sehr gut, Lady Integra Hellsing. Deshalb bist du es, du allein.“ raunte er und spürte, dass seine Lust nur gewachsen war. Was für eine herrliche Nacht.



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Kommentare zu dieser Fanfic (10)
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Von:  CharlieBlade1901
2018-05-02T18:32:17+00:00 02.05.2018 20:32
Uuuuuuhhhh. Verspricht interessant zu werden. Mehr bitte.
Von:  Kurayko
2016-05-25T10:18:42+00:00 25.05.2016 12:18
Böses Kopfkino...aber die werte Lady Hellsing weiß wie man´s macht nur hat Meister Alucard einen langen Gedulstfaden.
Freu mich wenn es weitergeht *,*

Von:  Kurayko
2016-05-06T12:24:46+00:00 06.05.2016 14:24
Meister Alucard und Nasenbluten? bei den Schatten, dass würd ich zu gern mal erleben ^,^
Stimmt jedoch, sobald Walter die Handschuhe überstreift ist es meist zu spät um die Fliege zu machen *lachflash*

Von:  fahnm
2016-02-13T07:58:58+00:00 13.02.2016 08:58
Spitzen Kapitel
Mach weiter so
Von:  Zeku
2016-02-09T20:38:33+00:00 09.02.2016 21:38
Danke für deinen Kommentar. Ich habe gerade wieder angefangen zu schreiben, nette Ermutigung. :) Thanks. ^^
Von:  fahnm
2016-02-09T20:14:35+00:00 09.02.2016 21:14
Hammer Kapitel
Mach weiter so
Von:  sleeping_snake
2009-12-02T20:40:51+00:00 02.12.2009 21:40
Ui!!!
Alu und Nasenbluten. Ein hysterischer Walter. *g*
Dooooooooch gefällt mir. ^____________^

Das Verlagen der Beiden kannst du echt gut umschreiben. Bin gespannt, was du mit den beiden noch anstellst. ^^

Das erste Kapitel hat mich etwas verwirrt.
Die Sätze sind sehr sprunghaft und ich habe das Gefühl, dass sie oft abgehackt wurden. Wie nicht ganz fertig. In den nachfolgenden Kapis hast du deinen Rythmus gefunden. Sehr angenehm zu lesen.
Sehr vielversprechend.
Bitte weiter schreiben. ^^
Von: Lupus-in-Fabula
2009-12-01T15:41:32+00:00 01.12.2009 16:41
Du bist einfach göttlich! Wie du mit Worten umgehst *dich anhimmel*
Von: abgemeldet
2009-11-25T21:47:43+00:00 25.11.2009 22:47
Ich glaube ich habe gerade das Tor zum FF Himmel gesehen.

Fanfictions lesen ist eines meiner größten Hobbies, doch leider entäuschen mich deutsche immer öfters,sodass ich größtenteils nur noch englische lese. Du hast gerade Hoffnung in mir geweckt, dass es noch wahre Wortkünstler gibt.Selbst meine lesefaule Freundinn war von dem jetzigen Teil deiner Story begeistert.
Abropo jetzigen, ich will doch schwer hoffen, dass du diese Geschichte fortsetzen oder auch noch weitere veröffentlichen wirst.Ich weiß zwar nicht wie deine Einstellung zum Schreiben ist, aber bitte mach weiter so. Ich hätte sogar Bis(s) gelesen wäre es so gut vormoliert (nichts gegen dich wenn du twilight magst oder gegen twilighter aber vampir-glitter ist für mich ein absolutes No-go)

Übrigens die betrunkene Integra war zum niederknieen, ich hätte nicht gedacht, dass man so einen Zustand so poetisch beschreiben kann.

Von:  Boom_Squirrel
2009-11-25T21:30:17+00:00 25.11.2009 22:30
ich hab die ersten paar zeilen gelesen und dachte:
'hm...'
ich hab die nächsten paar zeilen gelesen und dachte:
'hmmmmmmmm...'
dann hab ich wieder ein paar zeilen gelesen und dachte:
'hmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmm... das kommt dir doch verdächtig bekannt vor, die szene!'
ich hohhe ich lehne mich jetzt nicht zu sehr aus dem fenster, wenn ich sage:
sehr schöne umsetzung des bildes von solid&etc ^^

das ende war auch wieder zum schreien XD
'ich bin doch nicht pervers'
naaaaaaaaatürlich, alu! hauptsache ist, du glaubst selbst dran ^^
dennoch braver alu *pat pat* bist schön brav gewesen obwohl es ja wirklich soooooooooo einfach gewesen wäre.

eigentlich kann ich mir inti nicht wirklich derart besoffen vorstellen,d ass sei rumlallt und siche inen abkichert. dennoch hat es gut zu dem kap gepasst, was wohl deinem wundertollen schreibstil zuzuschreiben ist.
ich bin gespannt, was du mir damit noch alles schmackhaft machen kannst, was ich mir eigentlich nicht wirklich vorstellen kann ^^

ps: hab grad gelesen, dass sich das kap tatsächlich auf dieses bild bezieht ^^
aber hey, ich hab's erkannt OHNE deinen kommentar zum 2. kap vorher gelesen zu haben XD


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