Der Wächter des Drachen von Xanderle (Fortsetzung von "Drachenherz" und "Die Söhne des Drachen") ================================================================================ Kapitel 10: Sherlock Han ------------------------ So ... nur noch ein kleiner Schnitt. Nicht zu tief. Vorsichtig .... „LORD ZUKO! LORD ZUKO!“ Daneben! Die kleine Schere, mit der eben einem empfindlichen Bonsai zu Leibe gerückt worden war, wurde frustriert fallen gelassen. „Was?“ Da das Bäumchen ein äußerst altes und kostbares Exemplar darstellte und zudem ein Geschenk Lady Jins gewesen war, klang die Frage recht ungehalten. „Der Ausguck ... sie haben gesehen ... die Prinzessin angegriffen.“ „Wo?“, schnappte Zuko sofort. „Im ... äh ...“ „WO?“, brüllte der Feuerlord. „Park! Im Park!“, keuchte der Soldat. Seine Lordschaft war bereits los gespurtet. An jedem Eck, um das er stürmte, gesellten sich mehr Wachen zu ihm. Auf dem Hof standen hastig gesattelte Reittiere bereit. Zuko brauchte nicht nach der Richtung zu fragen, in die er reiten musste, denn in diesem Moment wuchs im Osten eine Säule aus Flammen in den Himmel. Aya wusste nicht, wie lange sie schon auf der Erde sass, seinen Kopf an ihre Brust gedrückt. Sie wusste nicht, wie viele Tränen ihr schon über die Wangen und in sein Haar geronnen waren. Sie wusste nicht, dass die Erde sich noch immer um die Sonne drehte. Ihre Welt stand still. Erstarrt im Schmerz. Selbst der brennende Ring um sie war zu Asche erstarrt. Sie nahm auch nicht wahr, wie Are unruhige Kreise um sie zog und mit der weichen Schnauze immer wieder ihren Herrn anstupste. Und sie nahm die Reiter nicht wahr, die in wildem Galopp heranstürmten. Der Mann an der Spitze sprang ab, bevor sein Tier zum Stillstand gekommen war. „AYA?“ Ihr Gesicht wurde umfasst und angehoben. „Ist Dir was passiert?“ Sie schüttelte langsam den Kopf. Nachdem seine schlimmste Sorge beschwichtigt war, widmete Zuko sich sofort der nächsten. Er drückte zwei Finger seitlich an den Hals des Hauptmanns. „Komm schon.“, knurrte er unwirsch. „Komm schon!“ DA! War das ein Puls gewesen? „Aya, Du musst ihn loslassen.“ Die Hände der Prinzessin blieben in den burgunderroten Stoff gekrallt. Ihre Augen wirkten glasig. „Aya?“ Sie blinzelte, von ihren Wimpern fielen schimmernde Tropfen. „Aya! Wir müssen ihm helfen!“ Es schien nicht zu ihr durchzudringen. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, öffnete Zuko den Griff seiner Tochter und entzog ihr den reglosen Körper. „Nein!“, wimmerte sie. „Bringt ihn zum Palast. Schnell!“, befahl der Feuerlord seinen Soldaten. Ayas Hände, die ihren Besitz zurückforderten, fing er ein und barg sie in seinem warmen Griff. „Flämmchen, es ist gut.“, murmelte er eindringlich. „Noch lebt er.“ „Was?“, flüsterte sie. „Aber sein Herz ... es hat nicht mehr...“, ihre Stimme brach. „Doch. Ganz schwach. Aber es schlägt noch. Dr. Giu?“ „Er atmet. Auch wenn es kaum wahrnehmbar ist.“, antwortete der Mediziner besorgt. „Nur ... ich kann keine Verletzungen erkennen. Ehrlich gesagt ...“ Sein Kopfschütteln lies wenig Raum für Hoffnung. „Der Pfeil.“, stiess Aya aus. „Da drüben. Gift. Sie haben Gift benutzt.“ Han Osaru rannte in die angedeutete Richtung. „Da ist nichts!“, rief er. „Kein ... HIER! Sie hat Recht, Mylord.“ Er hob einen Gegenstand von der Größe eines Zahnstochers in die Luft. „Bringen sie das Ding sofort in die Laboratorien des Palasts!“, rief Dr Yuri, während er darüber wachte, wie der leblose Körper Hauptmann Nezus auf eine Bare gelegt und festgegurtet wurde. In all dieser Hektik brachte Zuko seine Tochter schliesslich dazu, ihm in die Augen zu blicken. Noch immer zitterte sie am ganzen Leib. „Du weisst, dass er stark ist.“ Liebevoll strich er eine ihrer losen Haarsträhnen zurück. Seine Hand liess er beschwichtigend auf ihrer Wange liegen. „Er ist stark, zäh und ein verdammter Dickschädel. Und er weiss, dass ich ihm niemals verzeihen würde, wenn er das hier vermasselt.“, sagte er rau. Ein paar Sekunden starrte Aya ihren Papa an. Dann weinte sie nur noch. Sie weinte, als ihr er sie tröstend in die Arme zog und an sich drückte. Sie weinte, als er langsam mit ihr nach Hause ritt. Sie weinte, als ihre Mutter vollkommen aufgelöst auf sie zustürzte. Sie weinte, als sie mit erleichterten Küssen nahezu überschüttet wurde. Und sie weinte, als sie mit kühlen Laken zugedeckt wurde. „Es wird alles gut, Spätzchen.“, flüsterte Jin. „Der Arzt hat Dir etwas gegeben, damit Du schlafen kannst.“ Noch lange sass sie am Bett ihres Kindes. Streichelte die kalten Hände und die heissen Wangen. Irgendwann begab sie sich einige Räume weiter, sah ihren Ehemann haareraufend mit den Ärzten debattieren. Sein Gesichtsausdruck verhiess nichts Gutes. Momentan war er allerdings nicht in Stimmung für Zuspruch. So ging sie wieder. Die ganze Nacht lief sie zwischen beiden Zimmern hin und her und versuchte ihre quälende Angst loszuwerden. Wälder von Oshakiwa, eine der weniger wirtlichen Gegenden der Feuernation Entgegen seiner üblichen Sorglosigkeit zuckte Masaru Shouta nervös zusammen, als unflätig gegen die leicht marode Tür seiner momentanen Bleibe gehämmert wurde. Endlich! Das hatte ja lange genug gedauert. Als er öffnete, stutzte er. „Was soll das?“, knurrte er ungehalten. „Was haben Deine Kumpane hier zu suchen? Du solltest alleine kommen. Das war der Deal!“ „Deal? Der Deal?“, spie Triefauge Joe, Anführer des illustren Haufens. „Den kannst Du Dir sonst wo hinschieben, Deinen Deal!“ „SCHT! Sei doch leise, verdammt!“ Mit einer knappen Geste bedeutete Masaru den drei Männern, einzutreten. Nach einem misstrauischen Blick in die finsteren Gänge der miefenden Absteige schloss er schnell die Tür. „Also, was soll das?“, fauchte er Joe an. „Mir wurde gesagt, ihr seid Profis.“ „Und UNS wurde gesagt, das Mädel wär kein Problem. Nur der Typ is gefährlich wurde uns gesagt. Und mit Deinem tollen Wundermittel auch nich mehr, wurde uns gesagt.“ „Ja und?“ „Verdammte Scheisse war das Ganze! Ich musste dem Riesenklotz ne zweite Ladung von dem Zeugs verpassen, sonst hätte er uns allesamt kalt gemacht. Von wegen Kinderspiel! King und Tzu hat´s den Kopf gekostet. Und die hingen ziemlich dran. Und von wegen, das Weib ist kein Problem. Warum haste nich gesagt, dass das kleine Biest ne verdammte Feuerbändigerin ist?“ „Was?“, knurrte der Herzog. „Was läuft hier? Wollt ihr mich für dumm verkaufen? Sie ist keine Feuerbändigerin!“ „Stimmt! Feuerteufel trifft´s eher! Wir mussten abhauen, sonst hätte sie uns geröstet.“ „Was soll das heissen, ihr musstet abhauen? Habt ihr den Mann erledigt, oder nicht?“ „Ich denke schon.“ „Du denkst? DU DENKST??“ „Na, schliesslich ham wir ihn vergiftet.“ „Ihr solltet ihn aufschlitzen! Es sollte so aussehen, als hättet ihr ihn mal eben so abserviert! Habt ihr wenigstens die Spuren beseitigt, wie es vereinbart war?“ „Äh ...“ „HABT IHR?“ „Nu hab Dich mal nich so. Die Pfeile findet kein Mensch, so klein wie die sin ...“ „Halt Dein Maul!“, zischte Masaru. „Halt Dein verdammtes Maul! Ihr seid die größten Stümper, die mir je untergekommen sind! Und jetzt versucht ihr euch aus der Patsche zu ziehen, indem ihr mich belügt? Es ist allgemein bekannt, dass Aya das einzige von Zukos Kindern ist, das nicht bändigen kann.“ „Zuko?“, keuchte der Bandenführer entsetzt. „Welcher Zuko?“ „Na, welchen Zuko werde ich wohl meinen.“, höhnte der Herzog von Yun. „Zuko, den arroganten Bastard von Feuerlord, werde ich wohl meinen.“ „Die ... das Weib war Zukos Tochter?“, schrie Joe. Er war leichenblass geworden. „Ja und?“ „DAS HAST DU NICH GESAGT! Du verblödeter Zuckerlutscher! Denkst Du, wir legen uns einfach so mit dem Feuerlord an?“ „Das ist dann wohl euer Pech, wenn ihr vor lauter Geldgier euer Hirn abschaltet.“ „Wir wolln das Doppelte!“ „Was?“ „Das Doppelte! Hörst Du schlecht?“ „Nimm sofort die Pfoten von mir!“ Masaru starrte auf bedauernswert schmutzige Finger, die seinen sorgsam gestärkten Kragen zerknitterten. Seinem Befehl wurde Folge geleistet. „Gut! Und jetzt zum Finanziellen. Ihr ...“ Der Herzog gestattete sich einen angewiderten Blick in die Runde. „könnt froh sein, wenn ich euch auch nur ein roten Heller gebe. Der Auftrag wurde nicht wie vereinbart ausgeführt!“ „Ja, wie hätten wir ihm denn den Rest geben sollen, wenn die Kleine ...“ „Das ist mir doch egal! Ihr solltet ihm ein Schwert in seine stinkenden Eingeweide rammen und das habt ihr nicht!“ „Ach? So läuft das? Aber weißte, was wir gut können? Singen. Vor allem, wenn wir beschissen worden sin.“ „Wirklich? Dann will ich mal eure Stimmchen aufwärmen!“ Dem böses Glühen in Masarus Augen folgte ein noch böseres an seinen Fingerspitzen. Der Herzog von Yun war beileibe nicht der einzige, die sich diese Nacht um die Ohren schlug. Fast der gesamte Feuerpalast war auf den Beinen. Unter anderem auch Prinz Lu Ten Aang Tatzu. Vor Seiner Hoheit stand, unter Schlamm und Regennässe kaum zu erkennen, Han Osaru. „Könnt Ihr mir schon Ergebnisse vorlegen?“ Hauptmann Osaru schüttelte bedauernd den Kopf. „Nicht wirklich, Herr.“ „Verdammt!“, stieß Lu Ten aus. „Wenn wir nicht bald einen Anhaltspunkt bekommen ...“ „Einen Verdacht hätte ich zu bieten.“, sagte Han leise. „Ihr meint Shouta.“ „Ja.“ „Mhm. Ich verwette den Thron, dass Ihr Recht habt. Aber wir können einen Herzog nicht einfach so beschuldigen.“ „Nun ...“ „Ja?“ „Ich habe sämtliche Grenzen und Eingänge zum Park und in den Palast überprüft. Am Tag des Überfalls waren alle Posten bestens besetzt. Alles erfahrene, vertrauenswürdige Männer. Niemand hätte unbemerkt hinein oder hinaus gekonnt.“ „Also müssen die Halunken schon vorher auf dem Gelände gewesen sein.“ „Ja. Und gestern wurden nur Passierscheine an Leute verteilt, die schon seit Jahr und Tag im Palast verkehren. Mit einer Ausnahme.“ „Die wäre?“ „Seine Gnaden, der Herzog, liess fünf seiner persönlichen Diener kommen. Angeblich, um der Unmengen an Gepäck Herr zu werden. Seltsam nur, dass das fünf mehr sind, als bei seiner Ankunft vonnöten waren.“ „Fünf Diener. Fünf Angreifer. Wir haben ihn!“, murmelte Lu Ten. „Ich wette, er wollte in der Nähe seines inszenierten, kleinen Spektakels bleiben. Versucht herauszufinden, wo er jetzt ist.“ „Das habe ich bereits, Hoheit. Ein Außenposten hat beobachtet, wie Shouta eine Meile von hier plötzlich nach Nordwesten abschwenkte.“ „Die Glutmarschen liegen im Süden. Nach Hause wollte er also nicht.“ „Nordwestlich liegt die alte Schmuggler-Route. Mit einigen sehr alten, sehr dubiosen Gasthäusern. Die perfekten Brutstätten und Unterschlupfe für zwielichtige Gestalten jedweder Art. Ich dachte, ich sehe mich dort mal um.“ „Hervorragend. Tut das. Viel Glück!“ „Danke!.“ Han verbeugte sich und eilte zur Tür. Dort zögerte er kurz. „Hoheit, wie ...“ „Sein Zustand ist unverändert, Han.“, beantwortete Lu Ten die in der Luft hängende Frage leise. „Leider.“ Hauptmann Osaru nickte knapp und verliess den Raum. Wenige Minuten später jagte er bereits Richtung Nordwesten. Ihn scherten weder das heftige Gewitter, noch die Zweige herabhängender Äste, die ihm ins Gesicht peitschten. Yuna Nezu stand vor der großen Tür, die in eines der vielen Gästezimmer führte und atmete ein letztes Mal tief durch. Wenn ihr Sohn verwundet worden war, wurde er immer hier untergebracht. Seine Wohnung befand sich zwar ebenfalls im Palast, doch dieser Raum hier lag viel zentraler, so dass die Ärzte jederzeit abrufbereit waren. Außerdem hatte Yuna den Verdacht, dass Seine Lordschaft für den Fall der Fälle ebenfalls in der Nähe sein wollte. Vor drei Stunden hatte ein Kurier Takerus Mutter die Nachricht überbracht. Die Nachricht, die sie Tag um Tag fürchtete, und die sie jedes mal so unverhofft traf. Manchmal haderte sie mit ihrer Entscheidung, nach Numatzi gezogen zu sein. Doch hier im Palast hatte sie die Gefahr mit der ihr Sohn lebte zu oft und zu direkt vor Augen gehabt. So hatte sie vor sechs Jahren Lady Jins Angebot angenommen und die Aufsicht über die Seidenraupenzucht in Numatzi übernommen. Aber letztendlich machte es keinen Unterschied, wo sie wohnte. Letztendlich trafen die schlimmen Nachrichten dann ein, wenn sie wollten. Wie oft hatte sie das schon durchmachen müssen? Wie oft hatte sie sich gefragt, ob es das letzte Mal wäre. Wie oft noch, bis sie sich daran gewöhnen würde? Wenigstens die letzte Frage konnte sie beantwortet. Niemals. Sie würde sich niemals daran gewöhnen. Sie atmete ein letztes Mal tief durch und drückte die Klinke. Das Zimmer war durch das Feuer im Kamin nur schwach erleuchtet. Gegen das Fenster konnte Yuna eine große, beeindruckende Silhouette erkennen. Das war keine Überraschung. Er war immer da, wenn ihr Sohn verwundet worden war. Lord Zuko wandte sich um. „Yuna?“ „Mylord.“ Yuna verneigte sich. „Ich kam so schnell ich konnte.“ „Yuna, es tut mir so leid! Im Park hätte kein Mensch sein dürfen. Er wird streng bewacht. Wir sind noch dabei herauszufinden, wie es dazu kommen konnte.“ „Das weiss man doch nie.“, sagte Takerus Mutter leise. „Andernfalls würden die Kage nicht gebraucht.“ Sie ging zu dem Bett, in dem ihr Sohn lag. Er war so blass. Wirkte so anders. Aber auch das war nichts neues. Sie sank auf die Bettkante und fasste eine seiner schwieligen Hände. Wie oft noch? „Er hat gar kein Fieber.“, stellte sie fest. „Nein. Die Ärzte wünschten, er hätte es.“ Sie nickte. „So schlimm?“, fragte sie tonlos. „Ja.“ Zukos Stimme klang müde. „Diesmal sind es keine Wunden, die wir behandeln können. Es ... er wurde vergiftet.“ Yuna schloss die Augen. Der Tod kam also nicht abrupt, sondern schlich feige im Zimmer umher. Sie hörte, wie Zuko tief Luft holte. „Ich hätte niemals zulassen dürfen, dass er diese Laufbahn einschlägt.“, stiess er hervor. „Ich hätte dafür sorgen müssen, dass er ...“ „Mylord.“, unterbrach Yuna ihren Fürsten. „Ihr wisst, dass er es wollte. Es war sein größter Wunsch. Immer. Als er Kage wurde ... nie habe ich ihn so stolz und glücklich gesehen, wie an diesem Tag. Es war alles, was er je zu erreichen gehofft hat. Wenn er wüsste, dass Ihr Euch Vorwürfe macht ...“ „Sollte ich nicht?“, fragte Zuko fast unwirsch. „Er wurde Kage, weil er dachte, mir etwas zu schulden. Er. Mir!“ „Wer weiss schon, was passiert wäre, wenn ihr ihn damals in Ba Sing Se nicht aufgegriffen hättet. Wahrscheinlich hätte man meinen kleinen Jungen früher oder später tot aus irgendeinem Rinnstein gezogen.“ In Yunas Augen schimmerten Tränen. Noch immer erinnerte sie sich nur mit Widerwillen an diese Zeit. An die Zeit, in der ihr Kind schutzlos dieser fürchterlichen, korrupten Stadt ausgeliefert gewesen war. Sie hatte den Kleinen bei Nana gelassen, in der Annahme, dass ihm dort nichts geschehen würde. Doch ihre Mutter war krank geworden. So krank, dass sie sich nicht hatte um Takeru kümmern können. Im Gegenteil. Yuna hatte von all dem nichts gewusst. Dabei hätte sie es spüren doch müssen ... „Meine Aya wäre jedenfalls nicht mehr am Leben.“, gab Zuko leise zu. „Und das macht es mir unmöglich, die damalige Entscheidung zu bereuen. Aber jedes mal, wenn ich ihn so sehe ... Welches Recht habe ich denn, sein Leben wieder und wieder zu gefährden?“ „Das tut Ihr nicht.“, stellte Yuna ruhig fest. „Er tut es selbst. Es ist seine Aufgabe. Vielleicht auch seine Bestimmung. Sein Vater ...“ Es tat weh an Takeo zu denken. Wie konnte es nach all diesen Jahren immer noch so weh tun? „Sein Vater sagte mir immer, die Erde sei das Element des Schutzes. Was wäre also passender für einen Erdbändiger, als ein Wächter zu sein.“ „Nichts. Für ihn wäre nichts passender. Doch das macht es nicht weniger schwer ihn so zu sehen.“ In den frühen Morgenstunden erreichte Hauptmann Osaru endlich den ersten Gasthof und zügelte sein erschöpftes Hirschzebra. Die Absteige wirkte zwar reichlich heruntergekommen, aber wenn Han richtig vermutete, war Masaru Shouta hochmütig und auch dumm genug, sich derart in Sicherheit zu wähnen, um mit dem erstbesten Unterschlupf vorlieb zu nehmen, der ihm untergekommen war. Nachdem er seinen Hengst abseits der Straße sicher angebunden hatte, schritt er zielstrebig auf die Vordertür des Gebäudes zu. Im Inneren roch der Schuppen wie ein zur Schnapsbrennerei umfunktionierter Kartoffelkeller, was wohl auch ziemlich genau den Tatsachen entsprach. Ein Mann mit mehr Flecken als Stoff an der Schürze sah misstrauisch auf. „Aus dem Bett gefallen?“, fragte er den tropfnassen Reisenden mit den Dimensionen eines gutgebauten Kleiderschranks brüsk. „Guten Morgen!“, antwortete Hauptmann Osaru ruhig, während er sich die klammen Lederhandschuhe von den Händen schälte. „Ich hätte gerne eine Auskunft.“ „Sehe ich aus wie eine Wahrsagerin?“ Hans Laune wurde mit einem Schlag noch schlechter. Der arme Wirt versuchte nicht einmal nachvollziehen, wie die Visage dieses Kerls so schnell vor seiner eigenen auftauchen konnte. „Sehe ICH aus, wie jemand, der nicht meint, was er sagt?“, knurrte Han. „Ich ... äh! Was willst Du wissen?“ „Hast Du neue Gäste? Sagen wir ... seit gestern?“ „Wer will das wissen?“ Der Hausherr fand er hätte durchaus das Recht, es noch einmal mit Aufmüpfigkeit zu versuchen. „Ich!“, zischte sein schlammbesudelter Albtraum kalt. „A ... also gut. So ne schnieke Type ist gestern hier angekommen. Hat alle Zimmer gemietet, um ungestört zu sein.“ „Na, dann wollen wir ihn doch gleich mal enttäuschen.“ Die sorgsam manikürten Fingernägel des Herzogs hatten ihre besten Zeiten offenbar hinter sich. Diese Nacht hatte ihnen übel mitgespielt. Seit Masaru erfahren hatte, wie diese Stümper seinen Plan in den Sand gesetzt hatten, war er ein nervliches Wrack. Die ganzen Spuren, die sie hinterlassen hatten ... Na ja, wenigstens war ihr Ableben eine saubere Sache gewesen. Nur noch ein akkurat zusammengekehrter Asche-Haufen im Kamin erinnerte an Triefauge Joe und seine Jungs. Sobald die Sonne aufging, wäre er hier verschwunden. Wolkenbruch hin oder her. Wenn er Burg Yun erst einmal erreicht hatte, konnte ihm keiner was. Auch nicht Zuko der verdammte Erneuerer. Erneuerer. Pah! Der Mann war ein Verräter. Er hatte die Feuernation, ihre glorreiche Geschichte und ihre glorreichen Traditionen verraten. Egal, wie viele alte Tänze und Riten er wieder zum Leben erweckte. Die eigentliche Macht des Feuers hatte der Gebieter der Flammen stets verkannt. Das zeigte sich schon an dem Schmusekurs, den er gegenüber den anderen Nationen einschlug. Und seine Brut? Die war ebenso verweichlicht und degeneriert. Ihn zurückzuweisen. IHN! Dem zickigen Eisprinzesschen selbst konnte man es noch nicht mal vorwerfen. Ihre Mutter war schliesslich nur eine gewöhnliche Schlammwühlerin. Nun, wenigstens hatte er der kleinen Schlampe eine Lektion erteilt. Wenn er nur schon zu Hause wäre. Unwillkürlich fuhr Masaru mit der Hand zum Mund und begann wieder mit dem Nägelkauen. Es blitzte. Verdammtes Gewitter! Ohne dieses Unwetter wäre er schon längst weg! Es donnerte. In absoluter Synchronität zu diesem Ereignis krachte auch die Tür seines Zimmers gegen die Wand. Feuerpalast, etwa zur gleichen Zeit Aya schreckte aus einem fürchterlichen Traum hoch. „NEIN!“ Sofort wurden trostspendende Arme um sie geschlungen. „Scht. Alles gut, Mäuschen.“, wisperte Jin. „Alles gut!“ Verwirrt, blickte Aya sich um. Was sollte das alles? Ihre Geschwister umlagerten ihr Bett, Tante Ria und Tante Sela saßen auf dem Sofa, Großfürstin Ursa in einem Sessel. General Iroh stand am Kamin. Und allesamt blickten ziemlich besorgt drein. „Dir ist nichts passiert.“, murmelte Jin und streichelte über das Haar ihrer Tochter. „Alles gut.“ „Warum sind alle hier?“, wollte Aya wissen. Ihr Mund war staubtrocken. Wie lange hatte sie denn ..? Mit der Erinnerung fuhr ihr erneut ein eiskalter, lähmender Schreck in die Glieder. „Wie ... wie geht es ihm?“, flüsterte sie. „Willst Du nicht erst einmal ...“ „Wie geht es ihm?“, insistierte die Prinzessin und umklammerte den Ärmel ihrer Mutter. „Nicht gut.“, gab Lady Jin leise zu. „Aber er lebt.“ „Nicht gut? Was heisst nicht gut?“ „Die Ärzte wissen noch nicht, womit er vergiftet wurde.“ Aya wandte den Kopf ab und nickte. Sie wirkte derart verloren, dass ihre jüngere Schwester im gut gemeinten Versuch sie aufzuheitern, das erste sagte, was ihr einfiel. „Du hast gebändigt!“, stiess Zirah aus und fasste nach Ayas Hand. „Zirah, ich glaube nicht, dass Aya das im Moment wichtig ist.“, mahnte Lu Ten leise. „Aber ihre Feuersäule war unglaublich mächtig!“ „Ja. Und jetzt ist sie unglaublich erschöpft. Vielleicht sollten wir sie lieber mit Mutter alleine lassen.“ Lee, der sonst nichts lieber tat, als seinem großen, unfehlbaren Bruder zu widersprechen, nickte zustimmend. Er liess es jedoch nicht nehmen, sich zu Aya zu beugen und ihr einen Kuss auf den Scheitel zu drücken. „Kopf hoch, Dreikäsehoch.“, flüsterte er. Danach schaffte er es in seiner unnachahmlichen Art, das Zimmer zu räumen, ohne auch nur einem der Anwesenden das Gefühl zu geben, fehl am Platze zu sein. Lu Ten war der Letzte, der ging. Bevor er das Zimmer verliess, tauschte er einen mitfühlenden Blick mit seiner Schwester. „Pippa und die Ärzte suchen fieberhaft nach einem Gegengift. Sie werden es finden!“ Damit schloss er die Tür. Allein mit ihrer Tochter, konnte Jin deren Unruhe nicht länger mit ansehen. „Yuna ist gerade bei ihrem Sohn. Warum gehst Du nicht zu ihr, und versuchst ihr ein bisschen beizustehen?“, schlug sie vor. „Ich ... weiss nicht, ob sie mich jetzt gerade sehen möchte. Jedes mal wenn ihm etwas zustösst, ist es meine Schuld.“ Ayas Stimme wankte bedenklich. „Ach, Spätzchen. Denkst Du wirklich, jemand gibt Dir die Schuld?“ Aya zuckte mit den Schultern. Sie TRUG die Schuld dafür. Zumindest in diesem Fall. Und vielleicht war es an der Zeit, dies jemandem zu sagen. Kaum eine halbe Stunde später fand sie sich neben Hauptmann Nezus Mutter inmitten eines kläglichen Geständnisses wieder. „Dabei ... dabei wollte er den Ausritt verschieben. Er hat gespürt, dass etwas nicht stimmt. Aber ich ...“ Ein kurzes, unfreiwilliges Schluchzen entfuhr Aya. „Ich hab nicht auf ihn gehört!“ Schon wieder. Hatte sie nicht erst ein paar Tage zuvor eine Lektion erhalten, was geschehen konnte, wenn sie den Warnungen des Hauptmanns kein Gehör schenkte? Und doch ... Und doch hatte sie seinen Rat erneut in den Wind geschlagen. Und doch war nicht sie diejenige, die den Preis dafür zu zahlen hatte. Er war es. Wieder einmal. Wenn er starb wäre es ihre Schuld. Ihre Schuld und ihr Schmerz. Eine tröstende Hand legte sich auf Ayas Wange. „Nicht.“, sagte Yuna. „Tut das nicht. Macht Euch keine Vorwürfe. Das wäre das letzte, was er will.“ Das verhaltene Weinen der Prinzessin war zuviel für Takerus Mutter. Sie zog Aya an sich. So saßen die beiden Frauen, denen Hauptmann Nezu das Liebste auf der Welt war, an seinem Krankenlager und spendeten sich Trost. So sehr sie sich für den Rest des Tages auch bemühte nach außen hin Ruhe zu bewahren, immer wieder zog es Aya zu der Unterkunft ihres Kage. Am Abend fand sie dort Hauptmann Osaru vor. „Hoheit!“ Han erhob sich von seinem Stuhl und verneigte sich. „Hauptmann Osaru. Ich wollte nicht stören.“ „Das tut Ihr nicht! Obwohl ... jetzt, da er nicht bei Bewusst sein ist, führen unsere Gespräche wenigstens zu einem Ergebnis.“ Er versuchte zu scherzen, doch die Besorgnis wich nicht von seinem Gesicht. „Also immer noch nicht besser?“ „Nein.“ Aya wandte den Blick ab. „Das ist schlecht.“, flüsterte sie. Ihr Tonfall liess Han überrascht aufblicken. Forschend sah er sie an. Ihre Augen ruhten auf den blassen, ungerührten Zügen seines Freundes. Und der Ausdruck darin ... „Ich möchte mich bedanken, Hoheit.“, sagte er leise. „Wofür?“ „Für die wundersame Errettung dieses Steinschädels. Am besten auch gleich in seinem Namen, da er es wohl nicht tun wird. Ich nehme eher an, er wird Euch abkanzeln. Natürlich mit allem gebührenden Respekt und der ihm eigenen Kaltblütigkeit. Aya lächelte traurig. „Im Augenblick hätte ich nichts, gegen eine Gardinenpredigt“, gab sie zu. „Nein. Ich auch nicht. Aber mit etwas Glück wird er bald wieder zur Hochform auflaufen.“ Er wurde ernst „Seid Euch gewiss, weder die Kanijo, noch die Kage werden vergessen was Ihr getan habt. Es ... wäre nicht das selbe, ohne ihn. „Nein. Das wäre es nicht.“ „Er wird es schaffen.“, versicherte Han. „Alles andere wäre schliesslich die ultimative Befehlsverweigerung.“ Etliche Stunden des Bangens und Hoffens später Pippa war totmüde. In den letzten beiden Tagen hatte sie nicht mehr als vier bis fünf Stunden Schlaf bekommen. Vielleicht wäre es besser, wenn sie sich ein bisschen hinlegte, sonst verhunzte sie noch die wenigen, verbleibenden Proben des Gifts. Dr. Giu untersuchte auf fettlösliche Substanzen, sie selbst auf wasserlösliche. Bislang hatte keiner ihrer Tests ein Ergebnis gezeigt. Frustriert griff sie nach einigen Fläschchen, um sie beiseite zu stellen. Zu spät bemerkte sie, dass an einem davon noch einige Tropfen der darin befindlichen Flüssigkeit hingen. Sie fielen in ihre säuberlich präparierte Probe. Mist! „Ich brauche dringend Schlaf.“, murmelte sie halblaut vor sich hin. „`Türlich.“, brummte Dr. Giu geistesabwesend und schüttelte sein Reagenzglas. „Ich räume das hier morgen ... Gute Güte!“ „Was?“ „Es hat sich verfärbt!“ „Was denn?“ „Meine letzte Probe. Vorher gab es keine Reaktion, bis ... mir ein paar Tropfen hiervon hineinfielen.“ Sie hob die kleine Flasche hoch, um die Aufschrift zu lesen. „Ethanol.“ „Was war in der Probe?“, wollte der Arzt sofort wissen. „Na ja ... Destilliertes Wasser, eine winzige Menge des Gifts und ... äh ...“ Sie schielte auf das Schildchen an der Petrischale. „Jod.“ „Jod? Wolltet Ihr die Probe auf Stärke untersuchen?“ „Ja. Aber scheinbar hat sie sich erst durch den Alkohol gelöst.“ Die beiden starrten sich an. „Chlorophyll!“, riefen sie gleichzeitig. „Dann ist das Gift pflanzlich und zumindest teilweise aus Blättern.“ Mit einem Mal waren Pinerias Lebensgeister wieder erwacht. „Ich untersuche auf die Gängigsten Pflanzengifte!“, stiess Dr. Giu hervor. „Gut! Ich knöpfe mir die Enzyklopädia Botanika vor.“ „Müsste da drüben stehen.“ Pippa hinkte hastig zum überfüllten Bücherregal. Lu Ten hatte ihr damals auf Tutuk nicht zuviel versprochen. Verglichen mit der Anzahl der hiesigen Bücher und Schriften wirkten die Bibliotheken ihrer Eltern wie ein Schuhkarton voll Kleingedrucktem. Dank der hier herrschenden Ordnung war die Enzyklopädie schnell gefunden. Doch ein anderes, sehr viel schmaleres Buch erregte Pippas Aufmerksamkeit. Das Leder des Einbandes war alt, brüchig und verschlissen. „Tödliches Grün.“, las sie. „Hm.“ Sie schlug die erste Seite auf. „Eine Auflistung aller uns bekannter Gifte und Gegengifte und wie sie zu erkennen sind. Verfasst von Dr. Puah, Oberhofarzt 231 ZT.“ Eine Liste mit Giften liesse sich auf jeden Fall schneller durcharbeiten, als ein komplettes Pflanzenlexikon. Außerdem war das Buch sehr alt. Und wie sagte ihr Vater nicht immer? Altes Wissen ist fundiertes Wissen. Für die nächste Stunde vergrub Pippa ihre Nase also in einem nach Staub und altem Pergament riechenden Büchlein. „War die Atmung gelähmt?“, fragte sie schliesslich in das konzentrierte Schweigen. „Nein. Nur ... unterdrückt, irgendwie.“ „Unterdrückt. Hm. Und der Herzschlag?“ „Auch. Alle Vitalzeichen sind sehr viel schwächer als üblich. Es grenzt an ein Wunder, dass er noch lebt.“ „Haben wir Bleiglanz hier?“ „Aber ja. Warum?“ „Ich habe hier vielleicht etwas. Drachenkraut. Früher war es anscheinend sehr bekannt. Es wurde hauptsächlich gegen Bändiger eingesetzt, da es den energetischen Fluss drosselt. Der heisse Aufguss frischer Blätter wurde als Heilmittel verwendet, da er negative Einflüsse aller Elemente neutralisiert. Senkt zum Beispiel Fieber oder hilft bei Untertemperatur. Getrocknet und pulverisiert unterdrückt es schon in winzigen Mengen sämtliche Bändigerkräfte. Allerdings ist es hochgefährlich. Bei Überdosierung blockiert es Lebensenergie, Kampfgeist und Willen des Opfers.“ „Klingt vielversprechend. Der Nachweis erfolgt durch Bleiglanz?“ „Ja!“ Zehn Minuten später kreischten zwei übermüdete Wissenschaftler entzückt auf. Eigentlich war dieses Verhalten für die zukünftige Feuerlady recht unziemlich, aber im Augenblick war das Pippa vollkommen egal. „Wir haben es!“ Sie strahlte. „IHR habt es! Das war unglaublich! Steht da auch was über das Gegengift?“ „Moment ... da steht ... Oh nein!“ „Was?“ „Es gibt keins.“, hauchte sie. „Verdammt!“ Dr. Giu liess sich in seinen Stuhl fallen. „Oh verdammt!“ Feuerpalast, in den privaten Gemächern des Fürstenpaares „Kein Gegengift?“ Seine Lordschaft schüttelte vehement den Kopf. „Nein! Das kann ich nicht akzeptieren.“ „Drache, ich glaube im Augenblick geht es nicht darum, was Du akzeptieren kannst und was nicht.“, warf Jin vorsichtig ein. „Sollen wir ihm etwa gleich der ewigen Flamme übergeben?“ „Nein. Das sage ich ja nicht, aber ...“ „Es tut mir so leid!“, sagte Pineria Tatzu leise. „Wir wissen nur, dass das Gift alle Energien absorbiert. Auch die heilenden. Man kann nur versuchen, den Patienten so lange am Leben zu erhalten, bis er aus eigener Kraft einen Weg findet. Doch das ... kommt äußerst selten vor, denn das Drachenkraut lähmt vor allem den Kampfgeist und den Lebenswillen des Opfers.“ „Es lähmt seinen Lebenswillen?“, rief Zuko „Warum stirbt er dann langsam vor sich hin? Ich kenne niemanden, der einen größeren Willen hätte als dieser Junge.“ Pippa zuckte hilflos und resigniert mit den Schultern. Als Jin diese Geste sah, warf sie ihrem Gatten einen tadelnden Blick zu. „Ist schon gut, Pippa.“, sagte sie, umarmte ihre Schwiegertochter und drückte einen Kuss auf ihre Wange. „Du kannst ja nichts dafür, wenn es kein Gegenmittel gibt. Dir haben wir es zu verdanken, dass wir überhaupt wissen womit wir es zu tun haben. Geh schlafen, Schatz, sonst fällst Du uns noch um.“ Sanft schob Jin das übermüdete Mädchen aus dem Zimmer. „Also wirklich Zuko. Du hättest Dich zumindest bedanken können!“ „Ja. Tut mir leid! Aber ich weiss einfach nicht, was wir noch tun sollen!“ Zuko fasste sich müde an die Nasenwurzel. „Wenn es hier um seinen Kampfgeist geht ... ich hab schon alles mögliche versucht. Ich hab ihn angeschrien, abgekanzelt und Befehle erteilt, aber nichts dringt zu ihm durch.“ „Wenn er etwas zu schützen hätte, vielleicht schon.“, warf General Iroh ein. Zuko wendete sich ihm zu. „Daran habe ich schon appelliert. Ich habe sogar behauptet, der Palast stünde in Flammen.“ „Hm. Das mag vielleicht daran liegen, dass er nicht auf Dich geeicht ist.“ Einen Moment lang starrte Zuko seinen Onkel an. „Onkel! Das ist ...“ „Ich weiss.“, meinte General Iroh und lächelte bescheiden. „Und nicht nur, dass er auf das Mädel gedrillt wurde, nein, rein zufällig liebt er sie auch noch. Ich denke, das erhöht die Chancen, dass sie zu ihm durchdringt ungemein.“ Mit hochgezogenen Brauen blickte er seinen Neffen und dessen Frau an. „Was? Was seht ihr mich so an? Habt ihr beiden wirklich geglaubt, ich wäre schon zu verkalkt, um dahinter zu kommen? Ihr seid nicht die einzigen mit Augen im Kopf.“ „Onkel ...“ „Entschuldigen darfst Du Dich später, mein Junge. Jetzt haben wir wichtigeres zu tun.“ „Ich soll was tun?“ Verständnislos sah Aya ihre Eltern an. Da es mitten in der Nacht war, saß sie in einen Morgenmantel gewickelt auf deren Sofa. Ihre sonst so klaren Augen waren vom Schlafmangel gerötet. Zumindest war das die Ausrede, die sie vorgeschoben hatte. „Zu ihm gehen.“, sagte Jin. „Mit ihm reden.“ „Aber ... das haben wir doch alles schon versucht.“ „Du allein noch nicht.“, meinte Zuko ruhig. „Onkel Iroh hatte die Idee, der Hauptmann würde auf Dich wahrscheinlich am besten reagieren. Er ist Dein Kage. Somit sind seine Antennen auf Dich abgestimmt. Wenn Du ungestört auf ihn einwirken könntest ...“ „Schrei um Hilfe. Oder, oder ...“ „Ich glaube, sie hat es verstanden, mein Herz.“ „Denkt ihr wirklich ...?“ Aya stockte und blickte auf ihre Hände hinab. Der Hoffnungsschimmer war so quälend. So verlockend! „Ich werde es tun.“, sagte sie fest. „Wenn ihr denkt, es könnte funktionieren, würde ich sogar mit Messern jonglieren.“ Feuerpalast, der etwas ungemütlichere Teil davon. Die Kerker des Feuerpalastes waren seit den Tagen Ozais zum größten Teil verwaist. Nun herrschte in einer der kleineren Zellen jedoch reger Verkehr. Masaru Shouta saß auf einem Stuhl. Um ihn zog Hauptmann Osaru seine Kreise. Kreise, die immer enger wurden. „Ihr solltet nicht weiter versuchen, uns für dumm zu verkaufen, Shouta. Wir wissen bereits, dass Ihr Drachenkraut verwendet habt. Und wir wissen, dass Euer Herzogtum eines der wenigen Gebiete ist, wo es wächst. Wir wissen, wie groß Euer Hass auf Hauptmann Nezu ist. Und wir wissen, dass Ihr Euch entgegen des Befehls des Feuerlords nicht auf Euren Besitzt zurückgezogen habt. Ihr seht, wir wissen vieles, Herzog!“ Das letzte Wort klang überaus verächtlich. „Um genau zu sein, wissen wir alles. Doch leider gibt es zwei Gründe, aus denen Euer Kopf nicht rollen wird. Zum einen hat Seine Lordschaft die Todesstrafe abgeschafft. Und glaubt mir, niemand bereut das momentan mehr, als er selbst. Und zum andern habt Ihr die einzigen Zeugen verschwinden lassen. Dankt den Göttern auf Knien, dass wir keine festen Beweise gegen Euch in der Hand haben. Und wenn Ihr schon dabei seid, bittet Ihr sie am besten gleich um die Genesung des Hauptmanns, denn sein Verlust würde Seine Lordschaft überaus ... unberechenbar machen.“ „Ihr könnt mich nicht hierbehalten!“ Die Arroganz in der Stimme des Herzogs wirkte weit weniger überzeugend als sonst. „Natürlich können wir. Dies ist eine laufende Ermittlung.“, sagte Han ruhig. „Ich bin ein Herzog! Der Stammbaum meiner Familie ...“ „Nutzt Euch in diesem Fall herzlich wenig. Ich rate Euch eines: sollte es doch ein Gegengift für Eure Mixtur geben, dann spuckt es aus. Ansonsten sind Eure Zukunftsaussichten eher beschränkt.“ "Gegengift?" Das Lachen, dass nun aus Masaru brach, wirkte hysterisch, fast irr. "Es gibt kein Gegengift, Du Trottel! Zukos verdammter Wachhund wird die Nacht nicht überstehen." Weissglühender, blinder Zorn übermannte Han. Er packte den Gefangenen am Schopf und riss dessen Kopf nach hinten. "In diesem Fall.", flüsterte er in das Ohr des jungen Herzogs. "Mach schon mal Dein Testament." Derweil saß Aya am Bett Hauptmann Nezus. Mittlerweile bereute sie es, die Hoffnung überhaupt zugelassen zu haben. Sie war verzweifelt. Sie hatte alles versucht. Sie hatte gefleht, geweint und gebetet. Doch er lag nur stumm da und starb mit jeder Stunde ein bisschen mehr. Sie wollte sich der Wahrheit nicht stellen. Sie wollte nicht! Aber ... wenn sie sich verabschieden wollte, müsste sie es jetzt tun. Eine Träne fiel auf sein Gesicht, als sie sich über ihn beugte. Irgendwo, so irgendwie. Takerus Seele war auf Wanderschaft. Irgendwohin. Irgendwo musste es doch besser sein. Da war dieses Licht! Trotz der hellen, blendenden Reinheit war es warm, ruhig und freundlich. Es war das Licht, aus dem jedes Wesen kam und das jedes Wesen in sich trug. Die Quelle und das Ziel. Vielleicht bedeutete der Tod ja endlich Frieden? Vielleicht hatte er sich zu guter Letzt von der Hölle losgekauft? Es war erstaunlich leicht, auf das überirdische Leuchten zu zu driften. Warum hatte er nur so lange gekämpft? Wo er doch sein ganzes Leben nichts anderes getan hatte, als Dinge zu begehren, die er nicht haben konnte? Niemals haben konnte. Er musste nur loslassen. Es wäre das Ende seiner Wünsche und Sehnsüchte. Das Ende seiner schmerzhaften Begierde. Das verzweifelte Wispern seines verleugneten, verkrusteten Herzens … er würde es nicht mehr hören müssen. Im Licht durfte er sie vergessen. Im Licht war Frieden. Nichts sonst. Takeru, der Krieger, streckte die Waffen, gab den Kampf auf, um den letzten Gang in Würde zu tun. Schon jetzt überkam ihn eine ungeahnte Ruhe. So nah. Das Strahlen war so nah. „Ich liebe Euch, Takeru Nezu.“ Das zitternde Flüstern war kaum zu hören. „Ich liebe Euch. Und das werde ich bis ans Ende meiner Tage tun.“ Ja, es war kaum zu hören. Aber sein Herz verstand. Nur allzu gut. Und es begann aufs Neue zu klopfen. Zu begehren. Er spürte Lippen. Kühl, sanft. Auf seiner Stirn, seinen Lidern. Drei Fingerspitzen strichen unendlich sacht über die Narben auf seiner Wange. War es das? War der Tod nötig, um all seine närrischen Wünsche erfüllt zu sehen? War der Abschied wirklich so bitter? So süss? Hätte er dies nur früher gewusst! Er wäre schon früher gegangen, hätte sich unendlich viele Kämpfe erspart. Kämpfe … Er hatte etwas zu schützen gehabt. Er hatte eine Bestimmung gehabt. Etwas wichtiges … Nein. Er hatte es vergessen. Erneut lockte ihn die vollkommene Ruhe. „Ich liebe Dich …“ Diesmal klang es tränenerstickt. Dann entriss man ihm den Frieden. Ein weicher, liebevoller Mund drückte sich auf seinen. Also gut … DAS würde er noch nehmen, bevor er ging. Blind griff Takeru ins Dunkel und hielt diese letzte Gabe fest. Nur ein Bisschen. Er wollte ja nur ein Bisschen! Dann würde er gehen. Doch es war zu spät. Der Duft ihres Haars hatte seine lebensmüden Sinne überflutet und die Welt zurückgebracht. Aya keuchte erschrocken auf, als plötzlich eine Hand ihren Nacken umklammerte und ihren Kopf nach unten drückte. Ertappt!? Er hatte sie ertappt. Für ein schlechtes Gewissen blieb ihr keine Zeit. Fieberheisse Lippen pressten sich besitzergreifend auf ihre. Agni! Ihre Glieder begannen derart zu zittern, dass sie hilflos gegen ihn sank. Der Gedanke an seinen Tod trat in den Hintergrund; schmolz unter der Hitze des fordernden Mundes zu Nichts. Alles, was sie tun konnte - was sie tun wollte - war diesen Kuss zu erwidern. Tief in ihr schlummerte das Wissen, hier und jetzt die vielleicht einzige Gelegenheit dazu zu haben. Takerus Verstand weigerte sich, die Tatsache anzuerkennen, nur einer Illusion aufzusitzen. Es war egal. Man starb schliesslich nur einmal. Die Leidenschaft, die er in all den Jahren so eisern geleugnet und im Zaum gehalten hatte, forderte ihr Recht. Für diesen Augenblick war Aya sein. Eingebildet, oder nicht. Endlich füllte sich dieses bodenlose Loch in seinem Inneren; diese aussichtslose Begierde, die ihn niemals losgelassen hatte. An ihre Stelle traten Wärme und Leben. Er hörte ihre zarten Seufzer, hingebungsvolle, kleine Laute, die ihn seiner Vernunft beraubten. Bei Gott, bisher waren seine Träume niemals so echt gewesen. So real. Greifbar. Also tat er genau das. Griff sie, presste sie an sich, in der Hoffnung, dies könnte genügen. Doch das tat es nicht. Er vertiefte den Kuss. Und da es im Angesicht des ewigen Lichts um Alles oder Nichts ging, packte er seine Illusion und beugte sich über sie. Als sie sich so plötzlich auf dem Rücken liegend wieder fand, riss Aya die Augen auf. Dann jedoch schlossen sich ihre Lider langsam und flatternd wieder. Das also war Leidenschaft. Diese kribbelnde, konfuse Explosion an Empfindungen, überall in ihrem Körper. Dieses nicht zu unterdrückende Verlangen. Diese Gier nach mehr. Nach ihm. Dieses Wissen, ihm niemals nahe genug sein zu können; und der Drang, es dennoch zu versuchen. Das war Leidenschaft. Unverhofft. Unvertraut. Und doch war da noch so viel mehr. Eine wohlbekannte Sehnsucht, die sich damit begnügt hätte, ihn einfach nur zu halten. Ihn auf ewig zu halten. Es war der Teil von ihr, der alles dafür gegeben hätte, dass er am Leben bliebe. Egal wie. Egal wo. Egal mit wem. Es war der andere Teil. Weder unverhofft, noch unvertraut. Das war die Liebe. Eine wohlerzogene Prinzessin mochte ja in der Lage zu sein, einem dieser Gefühle die Stirn zu bieten, aber beide gemeinsam ... Gemeinsam rissen sie die Mauern ein. Sie konnte nur noch annehmen, was ihr geschenkt wurde, packen, was sie zu fassen bekam. Also zog sie ihn noch enger an sich, umklammerte seinen Kopf, ergab sich dieser wonnetrunkenen, irrsinnigen Begierde. Sie überliess ihm ihre willigen, betörten, überwältigten Lippen während er sie küsste. Küsste. Und küsste. Irgendwann, aus purem Luftmangel, riss Aya sich los. Sie sah keuchend zu ihm auf. Ihre Finger hatten sein goldbraunes Haar zerzaust. Eisgraue, unnatürlich glänzende Augen starrten direkt in ihre. Starrten sie an und sahen sie doch nicht. In ihren eigenen sammelten sich Tränen. Wem hatte dieser Kuss gegolten? Wem galt die unvermutete Leidenschaft dieses sonst so beherrschten Mannes? Der Gräfin? Dass sie selbst in dieser Situation ihre Eifersucht nicht beherrschen konnte ... Sie schloss die Augen. „Takeru.“, flüsterte sie verzweifelt. „Mein Takeru.“ Dann, plötzlich, lag eine raue Hand besänftigend an ihrer Wange. „Aya!“ Ein einziges, leises Wort, bevor die Kräfte ihn verliessen und er wieder auf das Bett fiel. Fassungslos schlug Aya die Hände vor den Mund. Er hatte sie erkannt. Sie hatte es an seinem Blick gesehen. Für einen Moment waren seine Sinne klar gewesen. Trotz ihrer zitternden Knie raffte sie sich auf, ordnete mit fliegenden Händen ihre Erscheinung und rannte zur Tür. „Holt Dr. Yuri!“ Der wachhabende Gardist blinzelte verwirrt, als die Tür, hinter der Hauptmann Nezu die letzten Stunden seines Lebens verbrachte, aufgerissen wurde. „Königliche Hoheit?“ „HOL DEN DOKTOR! Sofort!“ „Ist ... ist er tot?“, fragte der Wächter betroffen. „Nein! Er lebt. Und wenn Du jetzt nicht sofort ...“ Der Kanjio flitze los. Der erste, der eintraf, war nicht Dr. Yuri, sondern Seine Lordschaft. Nur mit einer leichten Hose bekleidet stürmte er in den Raum. „Hat sich sein Zustand verschlechtert?“, stiess er aus. „Nein. Ich ... ich weiss nicht. Eben hat er mich erkannt.“ „Er war bei Bewusstsein?“ „Irgendwie ...“ Zuko eilte zum Bett. „Hauptmann Nezu?“ Er schüttelte den reglosen Körper. „Takeru?“ Eine harte Ohrfeige traf die hagere, vernarbte Wange. „Wach auf, Junge!“ Etwas das Protest hätte sein können huschte über das Gesicht des Offiziers. Zuko holte erneut aus. Doch dann holten Vater und Tochter kollektiv Luft. „Hat er gerade `verdammter Trottel´ gesagt?“ „Ja.“, flüsterte Aya. „Agni sei Dank!“, raunte Zuko. „Agni sei Dank! DOKTOR YURI?“ Wenig später Licht. Zu grell. Zu direkt. " ´ie vi ´e Fing´ ha´te i´  ´och? War das eine Fangfrage? "Vier." Warum hörte er sich nicht? "Wie ´iel?" Oh, Himmel! Konnte der Kerl nicht selbst zählen? "Vier!", krächzte Takeru. "Einer weniger als fünf." Seine eigene Stimme wies ebenfalls einen Wackelkontakt aus. Interessant. Dann lag es wahrscheinlich an seinen Ohren. Würde das Rauschen erklären. Jedenfalls wollte er schlafen. Keine Mathematik-Stunden geben. Es wurde wieder dunkel. Dunkel und still. Als Takeru erneut erwachte, drangen Frauenstimmen an sein Ohr. Da sie nur flüsterten, konnte er sie nicht einordnen. Er dachte kurz nach. Zwei Frauenstimmen. Das konnte nur bedeuten, dass er ausgeschaltet gewesen war. Die zentrale Frage also: Wo war er? Um das zu klären musste er wohl oder übel das Risiko eingehen, die Augen zu öffnen. Sollte diese Umgebung feindlich sein, musste er sich dem früher oder später ohnehin stellen. Das Bild war verschwommen. Die Farben wirkten vertraut. Dunkles Rot. Tiefes Schwarz. Sattes Braun. Warmes Gold. Der Hauptmann versuchte, seinen Blick zu fokussieren. Phönixe und filigrane Farne? Späte Lao-Dynastie! Er kannte dieses Muster. Er sah es nur, wenn er ernsthaft verletzt worden war. Kurz horchte er in sich hinein. Schmerzen schien er nicht zu haben. Das war so ziemlich das schlechteste aller möglichen Zeichen. Er versuchte trotzdem, sich aufzusetzen. Jetzt stellte sich heraus, dass seine schöne Theorie über die fehlenden Schmerzen kühn, voreilig und überaus optimistisch gewesen war. Sie überfluteten seinen gesamten Körper! Takeru fühlte sich, als ziehe man ihm mit einem Ruck die komplette Haut ab. Feuer ergoss sich in sein Inneres. Leise ächzend liess er seinen Kopf wieder auf das Kissen fallen. "Takeru?" "Mutter?" Wenn sie hier war, handelte es sich jedenfalls nicht nur um die Folgen einer durchzechten Nacht. Ohnehin sehr unwahrscheinlich, da er niemals trank. "Takeru!" Sie wirkte älter. Oder war es nur Müdigkeit und Sorge, die ihr Gesicht zeichneten? Als sie ihre Wange gegen seine schmiegte, seinen Kopf umfasste und zu weinen begann, überfluteten den Hauptmann eine Welle von Kindheitserinnerungen. Geborgenheit. Ihre Anwesenheit hatte stets Geborgenheit bedeutet. Dieses warme, seltene Gefühl, dass er so unendlich herbeigesehnt hatte, wenn sie wieder einmal hatte fortgehen müssen. "Mutter?" Seine Stimme hörte sich noch matter an, als er sich fühlte. Nach einiger Zeit schaffte Yuna es, sich am Riemen zu reissen. Sie drückte drei Küsse auf seine vernarbte Wange und setzte sich wieder auf. "Was ist passiert?", raunte ihr Sohn. "Möchtet Ihr vielleicht zuerst einen Schluck Wasser, Hauptmann?" Ach, richtig! Es waren ja zwei Stimmen gewesen. "Lady Jin?" Mylady strahlte ihn erleichtert an, reichte seiner Mutter ein Wasserglas und meinte "Dann gehe ich mal unser aller Gebieter wecken. Er würde mir nie verzeihen, wenn ich ihm diese Nachricht nicht sofort überbringe.“ Sprach´s, bückte sich und drückte dem überrumpelten Hauptmann einen dicken Schmatzer auf. „Yuna, sag Deinem Sohn bitte, er soll sich nicht so anstellen. Das war schliesslich nicht der erste Kuss, den ich ihm verpasse. Auch wenn er sich nur ungern an die Zeit erinnert, in der er unter meinem Arbeitstisch herumgekrochen ist. Sogar die Nase hab ich ihm geputzt.“ Yuna lächelte. „Ich werd´s versuchen. Aber er hört schon lange nicht mehr auf mich.“, sagte sie, konnte sich jedoch nicht verkneifen, dem eben als so störrisch diffamierten Sohn das Haar aus der Stirn zu streichen. „Das ist das schöne an bettlägrigen Patienten.“, sinnierte Jin. „Sie sind uns hilflos ausgeliefert.“ Die Nachricht über die Genesung des Hauptmanns verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Und das nicht nur im Palast. Vier Stunden nach seinem Erwachen wusste selbst das abgelegenste Dorf darüber Bescheid, dass Zukos Blutwolf außer Lebensgefahr war. Unzählige Mütter waren zutiefst erleichtert, ihren Knirpsen nun doch nicht erklären zu müssen, warum ihr großes Vorbild den Heldentod gestorben war. Das Bruttosozialprodukt der Feuernation erlitt an diesem Tag zwar beachtliche Einbußen, aber man muss die Feste feiern wie sie fallen. Und in diesem Fall beschlossen die Bürger, dass sie quasi hagelten; die Feste. Der selbe, erfreuliche Tag, Gegen Mittag „Wir alle dachten, das wär´s für Dich gewesen", murmelte Han. Dann straffte er sich und schlug einen leichtfertigeren Tonfall an. "Sag mal, hast Du eigentlich eine Ahnung, was Dein Zustand im Land ausgelöst hat? Man könnte glatt meinen, Du hättest mit Absicht den Todeskandidaten gespielt. Ich weiss nicht, wie viele Kerzen und Feuer die Menschen für Dich entzündet haben. Aber es waren verdammt viele! Die Wächter sind nur noch auf Zehenspitzen durch den Palast geschlichen. Seine Lordschaft war außer sich. Mylady hat sogar geweint. Und Aya ...“ er schüttelte den Kopf. „Was?“ Die Frage kam wie aus der Pistole geschossen. „Ich hab das Mädel noch nie so gesehen. Sie war vollkommen aufgelöst.“ „Das ist kein Wunder.“ Takeru versuchte neutral zu klingen. „Wir wurden angegriffen. Außerdem hatte sie noch nie zuvor gebändigt.“ „Na klar.“, murmelte Han ironisch. „Hat sie noch nie. Sie hat aber auch noch nie ihren Kage gerettet.“ Damit traf er einen empfindlichen Nerv. Er merkte es an der Art, wie sein Freund scharf die Luft einsog. Für Hauptmann Osaru war diese Reaktion mehr als nachvollziehbar. Ein Kage widmete sein Leben dem Schutz eines Anderen. Wenn dieser Andere den Spiess plötzlich umdrehte stellte das Wert und Sinn des Daseins als Leibwächter in Frage. Das Leben des Schützling sollte schliesslich bewahrt werden, nicht gefährdet. Han kannte Takeru gut genug, um zu wissen, wie er auf die Nachricht, welches Risiko Aya eingegangen war, reagiert haben musste. Stinksauer war der zahmste Begriff, der ihm dabei in den Sinn kam. „Weisst Du, mein Freund, vielleicht solltest Du mal damit aufhören, Deine Gefühle zu verleugnen.“ „Bitte?“ „Selbst so ein Erdferkel wie Dich muss es doch krank machen, sich immer hinter diesen meterdicken Mauern zu verschanzen.“ Hauptmann Nezu fragte sich kurz, warum sich jedermann berufen fühlte einem gut gemeinte, ungebetene Ratschläge zu geben, wenn man flach auf dem Rücken lag, enthielt sich aber eines Kommentars. „Ich meine, ist Dir schon mal in den Sinn gekommen, sie wissen zu lassen, wie es um Dich steht?“ „Was?“ Trotz des Brennens in seinem Brustkorb stiess Takeru ein freudloses Lachen aus. „Hast Du getrunken?“ „Keinen Tropfen! Ich mein nur ... Na ja. Ich weiss nicht, ob Du es damals bemerkt hattest, aber früher hat sie Dich immer ziemlich komisch angesehen.“ Ja. Dieser Blick. Dieser ertappte, leuchtende Blick. Takeru hatte sich damals immer gewundert, wie in einem einzigen Blick so grenzenloses Vertrauen und so viel Unsicherheit auf einmal liegen konnte. „Das war einmal.“ „Taku ...“ „Hör auf, Han! Du weisst verdammt gut, was ich war!“ „Nein, mein Freund. Ich weiss, was Du BIST.“ „Und wenn schon. Das ändert nichts an der Vergangenheit. Nichts daran, dass sie eine Prinzessin ist. Nichts daran, dass ich ein Dieb war. Und auch nichts ... daran.“ Er deutete auf seine zerfurchte Gesichtshälfte. „Sie kann mich nicht einmal mehr ansehen.“, sagte er tonlos. „Was soll das alles also?“ „Verdammt, Takeru, für jemanden, der so viel Orden abgestaubt hat, bist Du ein verdammter Feigling.“ „Ich bin nur kein Träumer!“ Hauptmann Osaru blickte seinem Freund nur ruhig in die Augen. Takeru sah fort. Dann sprach er leise den Satz aus, den er sich Tag für Tag ins Gedächtnis rief. „Sie ist nicht für mich.“ „Ach? Bist Du da sicher?“ „Ja! Ja ich BIN sicher!“ „Hm. Mal sehen. Ihre gesamte Familie schätzt Dich über die Maßen. Ihr Vater lässt nichts, aber auch GAR nichts über Dich kommen und sie ...? Rettet mal eben so Dein nutzloses Leben.“ „Ich habe nie geleugnet, dass sie sich mir verpflichtet fühlt.“ „Jaja. Pflichtgefühl und Dankbarkeit. Blabla. Ich werd jetzt gehen, dann kannst Du Dir das weiterhin schön in Deinen harten Schädel hämmern. Aber keine Angst, ich komme nachher wieder. Muss nur eben Deine Rekruten um den Block scheuchen. Die kommen sich ohne Dich bestimmt schon vor, wie im Paradies." Nun, es gab durchaus Worte, die in Hauptmann Nezus Schädel hämmerten. `Sie ist nicht für mich!´ Das war sie nie gewesen und würde es auch nie sein. Nicht für ihn. Und doch waren da diese Träume. Träume in denen sie seine Küsse leidenschaftlich erwiderte. Träume, in denen sie seinen Namen flüsterte, in denen zarten Finger seine Wange kosten. Träume, die ihn seit seiner Bewusstlosigkeit nicht mehr losliessen. Ähnliche Träume hatte er schon des öfteren gehabt. Aber nie so realistisch. Diesmal hatte er ihren Geschmack erahnen können. Den Duft ihres Haares. Die Weichheit Ihrer Haut. Zweifellos ein Verdienst des Giftes. An diesem Tag wollte der Besucherstrom gar nicht mehr abreißen. Anscheinend hatten die Leute nichts besseres zu tun, als mal eben vorbeizuschauen, um zu sehen, wie es Hauptmann Nezu ging. Nicht nur die gesamte Familie des Feuerlords beehrte ihn, sondern auch die Konsul Tian Fus. Kommandant Kuroto machte seine Aufwartung ebenso, wie Ryo Rafu. Han Osaru war ein Kapitel für sich. Er belagerte die Bettkante seines Freundes derart ausdauernd, dass vermutlich sein gesamter Jahresurlaub daran glaube musste. Sein holpriger Sarkasmus schaffte es immerhin, die Sorgenfalten auf Yunas Stirn nach und nach zu glätten. Nur eine Person liess sich nicht blicken. Und das war ausgerechnet die, von deren Unversehrtheit Takeru sich am dringendsten hätte überzeugen wollen. Erst dann wäre diese Sache für den Hauptmann endgültig ausgestanden. Doch die Prinzessin kam nicht. Was Aya aufhielt? Nichts. Nichts und Alles! Sie war zu konfus. Schlicht und einfach. Sie wusste beim besten Willen nicht, was sie tun sollte. Stunde um Stunde zog sie unruhige Kreise in ihrem Zimmer. Und ihre Gedanken taten es ihr gleich. Er lebte. Lebte! Die Götter hatten ein Einsehen gehabt, und ihn ihr nicht genommen. Aber ... der Kuss? Sie konnte diesen dummen, unseligen, unvergesslich berauschenden Kuss nicht rückgängig machen. Würde er sich erinnern? Was würde er tun? Agni! Sie hätte ihn nicht küssen dürfen. Unwillkürlich tasteten ihre Finger nach ihren Lippen. Sein Mund ... Mit weichen Knien sank sie auf einen Sessel. Nein. was auch immer noch kommen sollte; um nichts in der Welt würde sie diesen kurzen Augenblick missen wollen. Um nichts! Sie konnte nicht bereuen, was ihr für einige Momente solche Glückseligkeit verschafft hatte. Wenn er sich erinnerte, könnte sie es nicht ändern, und wenn er ginge, könnte sie ihn nicht aufhalten. Aber sie hätte ihn geküsst. Wenigstens dieses eine Mal. Und doch ... Wenn er sich erinnerte ... Ihre rastlose Wanderung begann aufs Neue. Sie wusste, sie hätte diesen Krankenbesuch hinter sich bringen sollen, doch sie konnte nicht. Nicht heute. Noch nicht. Wenn das ein seltsames Licht auf ihr Verhalten warf, konnte sie daran eben auch nichts ändern. Am nächsten Tag „Tut das weh?“ „Ich spüre es.“ „Und das?“ „Auch.“ „Aber Schmerzen sind es keine?“ „Keine nennenswerten.“ Dr. Yuri seufzte. „Hauptmann, wenn ich Euren Zustand beurteilen soll, brauche ich eine ehrliche Antwort. Dass ich Euch mit blankem Hintern auf einen Haufen glühender Kohlen setzen könnte, ohne einen Mucks von Euch zu hören, weiss ich selbst. Also zum letzten Mal: Habt Ihr irgendwo noch Schmerzen?“ „Eine leichte Enge in der Brust.“ „Das Atmen fällt Euch schwer?“ „Schwerer als sonst.“ „Hm. Infolge der verminderten Atmung könntet Ihr eine Entzündung der Bronchien davongetragen haben. Mal sehen. Frei machen!“ Gehorsam streifte Takeru sein Hemd ab. Wenn er nicht bald wieder voll einsatzfähig war, nutzte er schliesslich niemandem. Der Doktor zückte ein gebogenes Kupferrohr, dessen trichterförmiges Ende er auf die Brust des Hauptmanns drückte, um am anderen zu lauschen. Als es klopfte, rief er ein zerstreutes „Herein!“ in den Raum. Wer tagein tagaus dem Anblick diverser entblößter Körperteile ausgesetzt ist, degradiert Privatsphäre eben irgendwann zur Nebensache. Ayas erste Reaktion bei Betreten des Zimmers war Erleichterung. Zum einen konnte der Patient bereits aufrecht sitzen und wirkte recht erholt. Zum anderen war er nicht allein. Ihre zweite Reaktion war ... ein staubtrockener Mund. Denn wie gesagt: Zum einen saß der Patient bereits aufrecht und zum anderen gab ihr das eine äußerst exclusive, äußerst aufschlussreiche Sicht auf dessen äußerst entblößten Oberkörper. Bei allen Göttern! Sie schuckte. Ihrem Mund half das allerdings herzlich wenig, denn der erinnerte sich ... Hastig riss sie ihren Blick los, dieser landete prompt in aquamarinem Eis, prallte erschrocken ab und heftete sich schliesslich hilfesuchend auf das unverfängliche Gesicht Doktor Yuris. Verzweifelt durchforstete sie ihren Kopf nach etwas passendem. „Verzeihung!“, stiess sie aus. „Ich wollte nicht stören.“ Soviel zum Thema Ruhe bewahren. „Ah, Prinzessin! Ihr stört nicht. Ich höre den Hauptmann nur noch ab. Tief Luft holen, bitte!“ Man holte. Und richtete Dinge mit Ayas Herzschlag an, die so nicht geplant waren. Dieser Mann bräuchte eindeutig einen Waffenschein für jeden einzelnen seiner wundervoll ausdefinierten, festen ... „Wie geht es dem Patienten?“, fragte sie kopflos. Wenn sie nur mit Dr. Yuri sprach, könnte sie das hier vielleicht doch noch zu einem würdevollen Ende bringen, statt wie ein stammelnder, betörter, hilflos gaffender Backfisch dazustehen. Aya sorgte sich umsonst. Der Hauptmann war viel zu sehr damit beschäftigt, seine eigenen Reaktionen unter Kontrolle zu halten. Seit er ihre Stimme die vermeintlich süßesten Dinge hatte sagen hören, schien es, als seien die bisher meterdicken Mauern um ihn nurmehr papierdünn. „Wunderbar. Bis auf eine leichte Reizung der Bronchien, ist alles Bestens!“, sagte Dr. Yuri und räumte seine Instrumente wieder in die Tasche. „Gut genug jedenfalls, dass ich diesen Starrkopf wohl festschnallen müsste, um die nötige Bettruhe durchzusetzen.“, fuhr er fort und taxierte Takeru streng über den Rand seiner Brille. „Eigentlich würde ich sagen, noch eine Woche, aber in diesem Fall bestehe ich zumindest noch auf morgen, und dann sehen wir weiter.“ „Es geht mir gut!“ „Morgen liegt Ihr gefälligst flach, oder ich jage Euch höchstpersönlich eine dritte Ladung Drachenkraut in die Venen.“ „Hm.“ „Hm? Ich könnte auch zu Seiner Lordschaft gehen und ihm mitteilen, Ihr wäret für den nächsten Monat dienstuntauglich. Hinlegen!“ Das saß. Nachdem der Grund für ihre Unruhe wieder unter weissen Laken verschwunden war, fiel Aya endlich die Schale in ihren Händen wieder ein. „Nun. Wie schön, dass Ihr Euch wieder besser fühlt.“, sagte sie etwas zu hastig. „Ich habe ein paar Pfirsiche mitgebracht. Der Gärtner hat versichert, es seien die schönsten der gesamten Ernte.“ Das vielgelobte Obst wurde umständlich auf den Nachttisch gestellt. „Ich ... Jetzt weiss ich ja, dass Ihr auf dem Weg der Besserung seid.“, schloss sie lahm. „Also dann.“ Sie lächelte, nickte dem Doktor freundlich zu, streifte den Hauptmann mit einem kurzen Blick und war auch schon wieder entschwunden. Vor der Tür atmete sie tief durch. Was hatte sie sich nur gedacht? Diese konfuse Aktion hatte nicht das geringste eingebracht. Sie war so schlau wie zuvor. In Wahrheit hatte sie natürlich genauestens gewusst, wie es ihm ging. Jedes Hüsteln, jedes schmerzhafte Zusammenzucken, jeder ungnädige Blick, mit dem die verordnete Schonkost stoisch quittiert wurde. Alles war bis ins kleinste Detail an die Prinzessin herangetragen worden. Selbst den Zeitpunkt ihres Besuches hatte sie sorgfältig abgepasst, um nicht mit ihm allein sein zu müssen. Aya hatte eine fast panische Angst vor diesem Aufeinandertreffen gehabt und durch die Anwesenheit einer dritten Person wurde diese doch erheblich minimiert. Aber da ihre erste Begegnung seit dem kuss-involvierten Vorfall aufgrund ihrer eigenen Feigheit eigentlich keine gewesen war, wusste sie leider noch immer nicht, ob der Hauptmann sich erinnerte. Gewirkt hatte es jedenfalls nicht so. Wie ... schön. Takeru nahm nur mit halben Ohr wahr, wie Dr. Yuri das Zimmer verliess. Sie wußte, wie sehr er Pfirsiche mochte? Sie ... Natürlich wusste sie es! Es gab keinerlei Grund, sich deswegen wieder so aufzuführen wie der vernarrte, weltfremde Junge, dem sie in der Weberei ihrer Mutter einen Keks in die Hand gedrückt hatte. Sie wusste solche Dinge eben. Mit Sicherheit kannte die auch die Lieblingsfarbe des Oberhofkochs. Und doch ... Sie hatte ihm Pfirsiche gebracht. Verdammt! Takeru schloss die Augen. Ach, zum Teufel damit. Noch eine Runde hitziger Träume mehr oder weniger tat ohnehin nichts mehr zur Sache. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)