Fremd von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 25: Kapitel 25 ---------------------- 25. Kapitel Wassertropfen perlten langsam von seinem Gesicht ab, fielen auf das weiße Porzellan des Waschbeckens, über das er sich beugte. Langsam ließ er die Hände sinken, blickte still sein Spiegelbild an. Es sah nicht gut aus. Genau genommen sah es sogar verdammt mies aus. Er seufzte, trocknete sich erst die Hände an einem der weißen Papiertücher und dann das Gesicht. Irgendwie erschien es ihm falsch, dass, obwohl seine Welt gerade um ihn herum zerbrach und sein Leben total und völlig zerstört wurde, sein Körper noch immer auf so simple Dinge bestand, wie zum Beispiel Essen, Trinken, und halt auf die Toilette zu gehen. Sein Körper schien ihn damit geradezu zu verhöhnen und doch konnte Ray sich gegen diese natürlichen Bedürfnisse nicht wehren. Mental total erschöpft und ausgelaugt setzte er sich auf den heruntergeklappten Toilettendeckel. Die Motivation, sich einen schöneren Platz zu suchen, fehlte ihm. Der Wasserhahn tropfte. Hatte er ihn nicht richtig zugedreht? Tropf. Tropf. Tropf. Es war ein stetiges Geräusch, ein Rhythmus, der an Rays Nerven zehrte. Doch er konnte sich nicht dazu bringen aufzustehen. Sein unruhiger Blick landete auf der kleinen runden Uhr, die neben seiner Zahnbürste stand. Es war gerade Mal 13 Uhr. Noch drei Stunden. Noch drei Stunden blieben ihm, bis Tala wieder in seine Zimmer zurückgebracht werden würde, da die ‚Behandlung‘ für den Tag abgeschlossen wäre. So zumindest hatte Boris es vorhin behauptet. Ray seufzte. Das Gespräch mit Boris war nicht angenehm gewesen. Er hatte sich kaum davon abhalten können dem Lilahaarigen eine rein zu schlagen, aber das wäre seinem Ziel nur abträglich gewesen. 16 Uhr würde Ray Tala wieder sehen können. Bis dahin musste er sich noch die Zeit vertreiben. Wieder landete sein Blick auf der Uhr. Zwei Minuten nach 13 Uhr. Die Zeit verging schleppend. Das Ticken des Sekundenzeigers war mindestens genauso nervig, wie das Tropfen des Wasserhahns. Apropos Wasserhahn. Ray erinnerte sich daran, Mal irgendwo gelesen zu haben, dass tropfendes Wasser früher als Foltermethode benutzt wurde. Das Opfer lag wohl mit dem Kopf unter dem Wasser, die Tropfen würden immer auf die selbe Stelle an der Stirn fallen und mit vergehender Zeit würde das nervtötende Platschen erst in ein lautes Pochen und schließlich in ein ohrenbetäubendes Dröhnen übergehen. Innere Gehirnblutungen würden entstehen und das Opfer würde früher oder später sterben. Hieß das, wenn Ray sich jetzt unter den Wasserhahn legte, dass er damit praktisch Selbstmord begehen könnte? Das alles hier beenden könnte? Keine Sorgen mehr, keine Probleme, kein Stress, einfach … Nichts? Klang verlockend. Etwas verwirrt schüttelte Ray den Kopf. Schwarze Strähnen fielen ihm ins Gesicht. Er musste niesen, als sie ihn in der Nase kitzelten. Gott, er musste wirklich ein erbärmliches Bild abgeben, wie er hier saß und darüber nachdachte, sich umzubringen. Unter einem tropfenden Wasserhahn noch dazu. Hatte er denn wirklich keine Hoffnung mehr? Hoffnung… Er verzog das Gesicht. Das war sowieso so eine merkwürdige Sache. Hoffnung… du klammerst dich an sie, wie ein Bergsteiger an einen losen Stein, wenn seine Sicherung gerissen ist und er am Abgrund hängt. Du klammerst dich an sie, obwohl du ganz genau weißt, dass sie dich niemals halten wird, dass sie früher oder später zwischen deinen Fingern zerbröseln wird, dass sie es am Ende sein wird, die dich in den Tod reißt. Und dennoch hältst du dich an ihr fest, verzweifelt, hoffend, betend, denn sie ist das Einzige, was dir noch geblieben ist. Hoffnung… so trügerisch, verführerisch und eigentlich der größte Verräter von allen. Rays Blick wanderte erneut zu dem Wasserhahn. Sicherlich wäre es keine angenehme Art zu sterben… wenn es als Foltermethode verwendet wurde…. Außerdem sah das Waschbecken nicht sonderlich bequem aus, um sich rein zu legen…. Frustriert stöhnte Ray auf und erhob sich von dem Toilettendeckel, der protestierend knirschte. Diese finsteren Gedanken brachten ihn noch um, er musste sich dringend ablenken. Die Uhr zeigte sieben Minuten nach 13 Uhr an. Es waren also noch immer zwei Stunden und 53 Minuten, bis er Tala wieder sehen konnte. 2 Stunden und 53 Minuten. Definitiv viel zu viel Zeit. Kurz haderte Ray mit sich, doch dann entschloss er sich zu einem ‚Spaziergang‘. Vielleicht sollte er Mal das Außengelände des Stützpunktes erkunden? Bisher war er hier immer nur kurz draußen gewesen, um von einem Haus ins andere zu kommen. Es gab kein Grün, kein Gras und keine Bäume dort draußen, von daher also nicht sehr einladend für den Chinesen. Er konnte diese ewigen toten Betonwüsten nicht leiden. Aber alles war im Moment besser, als hier zu sitzen und den Sekundenzeiger beim Vorwärtskriechen zu beobachten. Schnell schlüpfte er in die weiß-grauen Stiefel seiner Uniform und verließ sein Zimmer, suchte sich den kürzesten Weg zur frischen Luft. Vielleicht würde der kühle Wind ihm helfen seinen Kopf klar zu bekommen und eine Idee zur Rettung Kais zu entwickeln. Kai… Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Der Gedanke, dass der Graublauhaarige bald sterben würde, war die reinste Folter für Ray. Seine Brust schnürte sich schmerzhaft zu. Kurz schloss er die Augen und konzentrierte sich auf das Atmen. Das Schlimmste war, dass er Kai vielleicht sogar retten konnte, aber dann müsste er Tala zurücklassen. Und das klang auch nicht sonderlich ansprechend. Sicher, überlegte Ray, seine Gefühle für Kai waren stärker als die für Tala … ob er den Graublauhaarigen liebte, konnte er nicht genau sagen, dazu fehlte ihm die Zeit sich seiner Gefühle bewusst zu werden. Aber selbst wenn er ihn nicht liebte, so war er doch verdammt dicht dran. Und Tala…? Ray mochte den Rothaarigen nicht so lieben wie Kai, aber er war viel zu wichtig für Ray geworden, um ihn hier zurücklassen zu können. Ray schüttelte den Kopf. Nein, ohne Tala hätte er das alles hier nie heil überstanden. Irgendwann wäre er zusammengebrochen. Irgendwann hätte er aufgegeben. Wenn er die Wahl hätte, Kai oder Tala aus dieser Hölle hier herauszuholen so wusste er, er würde sich nie entscheiden können. Nie. Aber im Augenblick sah es aus, als ob sie alle untergehen würden. Desinteressiert schaute Ray sich um. Die kleinen Kieselsteine auf dem grauen Beton knirschten unter den Sohlen seiner Stiefel. Ein paar Strohbüschel wurden von der lauen Brise über den Asphalt geweht. Ansonsten war da nichts. Gut, bis auf die Wachen, die brav ihre Runden liefen und ihn misstrauisch beobachteten. Ray schnaubte. Dachten die etwa, er würde sie gleich angreifen und töten? So verlockend es auch klang, aber damit würde er sich selbst nur in Schwierigkeiten bringen, mal abgesehen davon, dass er nicht daran glaubte, wirklich zu einem Mord in der Lage zu sein. Das Bild von Bryan tauchte vor seinem inneren Auge auf. Wie das Licht langsam aus seinen Augen erlosch und das Blut aus seiner Brust lief, am Griff von Rays Dolch entlang und schließlich auf den Boden tropfte. Der Chinese zuckte heftig zusammen. Warum konnte er diesen dummen Traum nicht einfach vergessen? Er wollte einfach nicht glauben, dass es sich dabei wirklich um eine Erinnerung handeln könnte. Sicher war es nur ein Alptraum gewesen, ausgelöst durch die Erlebnisse am Tag davor. Oder? Das Geräusch eines Motors ließ ihn aufhorchen. Ein LKW fuhr etwa 50 Meter neben ihm an einen großen Container. Neugierig legte Ray den Kopf schief. Was das wohl war? Seine Füße trugen ihn schnell zu dem großen Fahrzeug, Enttäuschung glomm in seinen Augen auf, als er sah, dass es sich nur um einen Abfalltransport handelte. Sperrmüll. Super. Zwei Männer hievten große Spanplatten, Teile von Stühlen und Tischen, Koffer, eine Bank und etliches mehr von dem Container in den LKW. Sie schenkte Ray keine Beachtung. Zumindest bis dieser plötzlich „Halt! Stopp!“ rief. Der dunkelhaarige und deutlich kräftiger gebaute der zwei Männer sah auf. „Was?“, brummte er, unzufrieden über die Störung. „Die Tasche da! Das ist… das ist meine!“, rief Ray, verwirrt, etwas unsicher, aber irgendwie auch begeistert. Grunzend starrte der Mann auf die demolierte Umhängetasche in seiner Hand, die er gerade in den LKW hatte werfen wollen. „Deine Knirps? Wie kommt sie dann hier her?“ Gute Frage, stimmte Ray im Stillen zu, zuckte aber lediglich mit den Schultern. „Ich hab sie aus den Augen verloren und … na ja….“ „Fang!“ Gerade noch rechtzeitig hob Ray seine Hände, als der Mann ihm die Tasche zuwarf. „Passen Sie besser auf ihre Sachen auf, Sir, wenn sie wichtig sind!“ „Huh?“ War der Mann gerade höflicher geworden? Dann bemerkte Ray, dass der Braunhaarige etwas respektvoller aber auch leicht ängstlich auf seine weiße Uniform starrte. Oha, dachte sich Ray, der Mann hatte wohl Angst vor Jägern. „Danke, Sir, das werde ich machen. Vielen Dank!“ Dann drehte er sich um und rannte zurück zu seinem Zimmer, die Arme fest um die Tasche geschlungen. Er konnte nicht fassen, dass diese den langen weiten Weg bis hier her tatsächlich überstanden hatte. Kai musste sie mitgenommen haben, nachdem Ray sie in dem Dorf hatte zurücklassen müssen. Und da der Russe morgen sterben würde, schien Biovolt beschlossen zu haben, seine Sachen einfach zu entsorgen. Anders konnte Ray es nicht erklären. Nun, die Tasche versprach etwas Ablenkung. Mal sehen, was noch alles drin war. Etwas kribbelte in seinem Inneren. Es fühlte sich merkwürdig an. Ungewohnt. Wie lauter Ameisen die seine Magenwand erklommen und zusammen mit Heuschrecken Salsa tanzten. Ein leichtes Übelkeitsgefühl mischte sich mit unter. Ray schüttelte den Kopf. War er aufgeregt? War es, weil er seit Stunden zum ersten Mal an etwas Anderes, als das Schicksal seiner Freunde dachte? Sollte er ein schlechtes Gewissen deswegen haben? Kurz warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. 13.47 Uhr. Ja… sicher konnte er sich jetzt bis 16.00 Uhr beschäftigen. Zwei Stunden sollten doch machbar sein, oder? In seinem Zimmer angekommen warf Ray die Umhängetasche auf das Bett. Der Raum war weder sonderlich groß, noch übermäßig gemütlich. Ein braunes breites Bett stand in der einen Ecke des Zimmers, daneben lag das Fenster mit dem Schreibtisch und dem Computer drunter. Auf der anderen Seite stand der große Schrank, in den alle von Rays Sachen hinein passen mussten. Dann gab es zusätzlich einen kleinen Nachttisch mit einer Leselampe und ein offenes Regal mit Fernseher. Irgendwie erinnerte all das an ein typisches Hotelzimmer. Oh, natürlich gab es noch die Tür, die zum eigenen Badezimmer führte. Und zwar zu eben jenem Badezimmer, in dem Ray vorhin gesessen hatte. Etwas erschöpft ließ sich der Schwarzhaarige auf das Bett plumpsen und griff nach der Tasche, öffnete sie vorsichtig. Der Reißverschluss klemmte leicht, aber mit ein wenig Ruckeln hatte er das Problem gelöst. Zuerst fielen ihm die Bilder entgegen. Wortwörtlich. Sie purzelten aus der Tasche heraus und verstreuten sich über die Bettdecke. Leicht seufzend bemerkte Ray die zahlreichen Knicke und Schrammen auf den Bildern, als er vorsichtig eines ergriff. Es zeigte Tala und Kai. Während der Rothaarige einen Arm um den Graublauhaarigen gelegt hatte und der Kamera die Zunge heraus streckte, schien Kai eher reserviert, die Arme vor der Brust verschränkt. Doch auch in seinen Augen konnte man ein amüsiertes Glitzern erkennen. Vorsichtig fuhr Ray mit den Fingern über das Bild, streichelte Kais Abbild geradezu sanft. Kai. Sein Kopf schmerzte. Es war nicht schlimm, ein schwaches Pochen. Doch es war da. Beständig, fortwährend und nervtötend. Zusammengesunken hockte Kai auf der billigen Ausrede eines Bettes in seiner Zelle. Sie war nicht groß, zwei Mal dreieinhalb Schritte, mehr maß sie nicht. Ein kleines Waschbecken und eine Toilette waren ihm gegenüber angebracht. Missmutig starrte er ins Nichts. Zu behaupten, er wüsste nicht, was auf ihn zukommt, wäre eine Lüge gewesen, dennoch zog er es vor, nicht daran zu denken. Hinrichtung. Exekution. Sterben. Kein angenehmer Gedanke. Aber die Realität. Dieser irre Wissenschaftler hatte es ihm vor ein paar Tagen bestätigt. Seitdem hatte Kai die Zelle nicht mehr verlassen. Anscheinend waren die Experimente an ihm beendet. Seufzend lehnte er sich zurück. Die kühle Mauer drückte gegen seinen Rücken ließ ihn leicht erschaudern. Die Nachricht von seinem baldigen Tod hatte er erstaunlich gut aufgefasst, meinte einer der Wachen. Kai hatte nicht darauf reagiert. Irgendwie … berührte es ihn kaum noch. Dann starb er halt. Und? War das nicht eh besser als zu leben? Leise fluchend sprang er auf. Verdammt! Wann?! Wann hatte er aufgegeben? Er konnte sich nicht an den genauen Zeitpunkt erinnern. Vielleicht als Biovolt ihn gefangen genommen hatte? Oder als er zu ersten Mal diesem Wissenschaftler gegenüber stand? Oder als er erfahren hatte, dass Ray der Mörder seines Bruders war? Oder als Dranzers Stimme auf ewig zu verschwinden schien? Oder als er Ray – diesen Verräter – hier getroffen hatte? Oder als ihm klar wurde, dass, wenn Ray hier war, sich sicher auch Tala in Biovolts Fängen befand? Oder als er seinen Exekutionstermin bekommen hatte? Irgendwo dazwischen, irgendwo zwischen diesen Ereignissen, hatte er wohl seinen Kampfgeist verloren und seinen Überlebenswillen begraben. Jämmerlich. Entkräftet sank er zu Boden. Dranzer? Dranzer, hörst du mich? Keine Antwort, wie immer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)