Fremd von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 23: Kapitel 23 ---------------------- 23. Kapitel Es war still. Zu still. Eisblaue Augen verengten sich misstrauisch. Verfolgten jede Bewegung, jedes Zucken, jeden Atemzug. Beobachtete ihn wie ein Seemann das unnatürlich ruhige Meer. Wartete auf den Ausbruch. Doch er kam nie. Seufzend lehnte Tala sich in seinem Stuhl zurück. Seine Aufmerksamkeit war immer noch auf Ray gerichtet. „Was ist los, Kleiner?“ Der Chinese war plötzlich in seine Wohnung gestürmt, heftig atmend, zitternd, mit feuchten Augen. Hatte sich, ohne den Russen zu beachten, auf den Boden vor die Couch sinken lassen, die Knie an seinen Körper gezogen, seine Arme darum gelegt und sein Gesicht darin verborgen. Und dann war er plötzlich unnatürlich still geworden. Hätte er nicht geatmet, hätte Tala gedacht, dass Ray ihm plötzlich weggestorben wäre. Kein schöner Gedanke. Seit dem hatte der Schwarzhaarige nichts gesagt und sich kaum gerührt und es machte Tala nahezu wahnsinnig. „Ich bin ein Mörder“, flüsterte Ray plötzlich. Fast hätte der Rothaarige die Worte verpasst, weil er ehrlich gesagt nicht mehr damit gerechnet hatte. Doch als der Sinn Rays Worte von seinem Verstand verarbeitet worden war, zog er leicht die Luft ein. „Wie kommst du darauf?“ Der Rothaarige war sich sicher, dass sein Freund heute keinen Auftrag von Biovolt gehabt hatte und somit das Gelände auch nicht verlassen konnte. Kein Auftrag bedeutete gleichzeitig keine Jagd und damit auch niemanden, den Ray hätte umbringen können heute. „Hast du heute einen von Biovolts Leuten versehentlich erwischt?“, schon als Tala das fragte wusste er, dass auch das – leider – nicht der Fall sein konnte, denn dann hätte man sie beide längst eingesperrt oder getötet. Gespannt wartete er auf Rays Antwort. Der Chinese hob den Kopf, seine goldenen Opale waren glanzlos, wirkten merkwürdig gräulich. Sein nächster Satz erwischte Tala völlig unerwartet. „Ich habe Kai getroffen.“ Stille breitete sich aus. Tala blinzelte. Einmal. Zweimal. „Was…?“ „Ich habe Kai getroffen. Heute. Hier. Er lebt noch…“ Ein breites Grinsen breitete sich, ohne das er es verhindern konnte, auf dem Gesicht des Rothaarigen aus. Freudig sprang er auf. „Was?! Wirklich?! Das ist doch super!!!“ Plötzlich verstummte er, sah wieder auf Rays zusammengekauerte Gestalt hinunter. „… oder nicht ..?“ Er war etwas unsicher mit dem Verhalten seines Freundes. Sollte dieser nicht eigentlich wie ein Honigkuchenpferd strahlend durch die Gegend laufen? Warum so depressiv? Plötzlich weiteten sich Talas Augen geschockt, als ihm ein Gedanke kam. Ein Schrecklicher. Ray hatte gesagt, er hätte jemanden umgebracht. Er hatte doch nicht…. Doch der Chinese schien seine Gedankengänge zu verfolgen, denn er schüttelte plötzlich heftig den Kopf. „Nein! Nicht ihn! Niemals ihn!“ „Oh Gott“, erleichtert ließ sich Tala neben Ray auf dem Boden nieder. „Wo liegt dann das Problem? Im Gegenteil, es läuft doch alles besser als erwartet, oder? Ich meine Kai lebt noch, er ist auch hier, das ist doch die Chance für uns!“ „Die Chance für euch. Nicht für mich. Ich … kann nicht.“ Verwirrt runzelte Tala die Stirn. „Wen hast du denn umgebracht?“ Ray zuckte zusammen. Schließlich sagte er etwas. Na gut, es war eher eine Mischung aus Murmeln und Flüstern. Der Russe verstand es jedenfalls nicht. „Wie bitte? Könntest du vielleicht lauter sprechen?“ „Bryan.“ „Hä? Bryan? Wer ist Bryan?“ Plötzlich schluchzte Ray laut auf. Und bei Tala machte es hörbar Klick. „Du meinst … wie in Kais Bruder???!!! Scheiße! Das ist nicht dein Ernst oder??!“ Fassungslos griff Tala Ray an den Schultern, schüttelte ihn unbewusst, doch das Schweigen war Antwort genug. Plötzlich verschwand Talas fester Griff. Unsicher sah Ray auf, blickte in kühle blaue Augen. „Wie?“, fragte der Rothaarige mit seltsam belegter Stimme. „Ich.. ich weiß es nicht … ich …“ „Ich meine“, verbesserte Tala sich, „woher weißt du das? Du hast dich wohl kaum plötzlich an alles erinnert, oder?“ Kraftlos schüttelte Ray den Kopf. „Ich war in Gebäude fünf. Zufällig. Du weißt schon, da wo die Laboratorien sind und so. Und … dann stand ich plötzlich Kai gegenüber … und … oh Gott! Ich hab mich so gefreut, ich war erleichtert, glücklich… ich konnte es gar nicht fassen …!“, wieder durchfuhr ein Zittern Rays Körper, als dieser sich an Talas Hemd klammerte. Er hatte gar nicht bemerkt, dass der Andere ihn in den Arm genommen hatte, „und dann fing Kai plötzlich an, mich zu beschimpfen. Er schrie mich an … ich wusste erst gar nicht warum, bezeichnete mich als Mörder… Da war so viel Hass in seiner Stimme! So viel Wut! Seine Wache, die ihn begleitet hatte, war zu überrascht um zu reagieren, als er plötzlich zu mir ist. Er hat mich gegriffen … und … gegen die Wand gedrückt…. seine Augen…. sie haben förmlich geglüht vor Hass….“ Ray schniefte. Tala presste den kleineren Körper nur enger an sich, versuchte, Ray zwischen dem Schluchzen zu verstehen, einen Sinn aus den abgehackten Sätzen zu machen. Was der Chinese ihm da erzählte klang eher nach einem Ausschnitt aus einem schlechten Horrorfilm, statt nach Kai. „Und dann hat mich gewürgt, ganz ruhig, als wäre es das … normalste der ...Welt. Ich hatte solche Angst in dem Moment. Ich dachte, er würde mich umbringen. Und seine Stimme …. sie war plötzlich so ruhig, so … gelassen. Er hat mich gefragt … warum ich seinen Bruder umgebracht habe … ob es mir denn auch Spaß gemacht hat … ob ich denn … oh scheiße! Er hat gefragt ob ich Spaß daran hatte, ihn und dich zu verraten, so hinters Licht zu führen! Er hat mich in der Uniform gesehen ... er denkt, ich hätte ihn verraten! Und dann, dann fing er plötzlich an, auf mich einzuschlagen… es ging alles so schnell! Viel zu schnell…. Und ich hab noch mehr Panik bekommen, hab nicht mehr Kai gesehen… da war nur noch diese Angst … und dann … dann hab ich mich gewehrt. Oh Gott! Ich hab Drigger gegen ihn eingesetzt! Ich hab ihn weggeschleudert… Und dann, dann hab ich mich umgedreht und … bin gerannt. Einfach nur weg. Ich wollte nur weg.“ Hilflose, nasse Augen sahen zu Tala hinauf. „Hab ich Kais Bruder wirklich umgebracht…?“ Ray wirkte eher wie ein kleines verängstigtes Kind in diesem Moment, das erwartete, jede Sekunde für sein Verhalten bestraft zu werden, als wie die starke, unbeugsame Persönlichkeit, die er eigentlich war. Herrgott nochmal! Tala fluchte innerlich. Der Chinese hatte einen Gedächtnisverlust, die ‚Entdeckung‘ seiner Kräfte, die Flucht vor Biovolt und die Gefangennahme gemeistert, kaum Schwäche gezeigt, immer einen kühlen Kopf bewahrt, immer an dem Fluchtplan gearbeitet und vor allem, die Hoffnung trotz ihrer scheinbar ausweglosen Situation nie aufgegeben. Tala mochte das Selbe durchgemacht haben, aber jetzt saß er hier, Tag ein Tag aus, und musste nicht wie Ray fast jeden Tag raus, mit dem Auftrag, andere Zeros zu töten, immer heimlich flehend, dass er niemanden töten musste. Immer am Rande des Nervenzusammenbruchs, immer diese psychische Belastung ertragen. Tala durfte und wollte nicht zulassen, dass es ausgerechnet Kai war, der Ray den Rest gab, der ihn endgültig in die Hoffnungslosigkeit trieb, der ihm seinen Überlebenswillen nahm. Dennoch war Tala auch klar, dass er Ray jetzt ehrlich antworten musste, denn eine offensichtliche Lüge würde seine im Moment ziemlich instabile Psyche wohl nicht verkraften. „Ich … weiß es nicht“, zögerte Tala, „es könnte durch aus stimmen.“ Ray zuckte zusammen, sofort verfluchte der Rothaarige sich für seine Worte. „Aber es könnte auch eine Lüge sein, die Biovolt Kai eingetrichtert hat, um uns zu trennen und gegeneinander aufzubringen. Das wäre genau ihr Stil. Ich fürchte, die Wahrheit werden wir wohl nie herausfinden… vielleicht steht in den Akten irgendetwas darüber, aber weder du noch ich haben Zugriff darauf…. von daher….“ Hilflos zuckte der Russe mit den Schultern. „Mmh…“, Ray war wieder relativ ruhig, auch wenn er sich noch immer an Tala festklammerte. Kurzentschlossen fällte dieser eine Entscheidung. Ohne große Kraftanstrengung hob er den Schwarzhaarigen auf seine Arme, was diesem einen kleinen Aufschrei entlockte, und trug ihn zu seinem Bett. „Ich glaube, du solltest etwas schlafen. Das war ziemlich viel Aufregung und wir können jetzt eh nichts machen. Zerbrich dir nicht den Kopf darüber.“ Sanft legte er Ray auf der weichen Matratze ab und wollte schon gehen, doch eine Hand umfasste sein Handgelenk. „Geh nicht“, murmelte Ray. Tala grinste müde. „Was? Angst, alleine zu sein? Ich pass schon auf dich auf. Hier kommt kein böser schwarzer Mann rein.“ Ein kläglicher Versuch, die Situation aufzulockern. Doch Ray schüttelte nur den Kopf. Er sah plötzlich wieder erstaunlich munter aus. „Schlaf mit mir.“ Tala erstarrte. „Was…?“, glaubte er, sich verhört zu haben. Doch Ray lächelte bloß. „Schlaf mit mir“, wiederholte er. Tala schüttelte ungläubig den Kopf. „Das… das kannst du doch nicht ernst meinen?“ Doch Ray stemmte sich wortlos hoch von der Matratze, ohne den Rothaarigen loszulassen, und zog diesen näher zu sich, hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. „Bitte…“, flüsterte er heiser, „lass mich vergessen. Einfach alles. Lass es mich spüren, nur einmal, dieses Gefühl, dass von allen immer so umschwärmt wird. Bitte..“ Rays Stimme jagte kleine Schauer über Talas Haut, ließ sein Herz schneller schlagen, er spürte die aufwallende Hitze in sich. Er konnte es nicht verleugnen. Er wollte es auch nicht verleugnen. Schon seit einiger Zeit hatte Tala darüber nachgedacht, wie es wohl wäre, den kleinen Chinesen derart nah an sich zu spüren. Hatte sich vorgestellt, wie dieser stöhnend und sich windend unter ihm liegen würde. Tala wusste, dass diese Fantasien kaum echter Liebe, sondern eher Neugierde entsprangen – immerhin sah Ray verdammt gut aus -, daher hatte er sie in dem Moment aufgegeben, als ihm die sich bildende Beziehung zwischen Kai und Ray bewusst wurde. Sollte seine Vorstellungen doch noch Realität werden? Hier? Jetzt? „Das willst du nicht“, versuchte der Rothaarige, seinen Freund umzustimmen. „Du bist verwirrt und durcheinander, denk noch Mal darüber nach.“ „Nein!“, Ray schüttelte heftig den Kopf, zog Tala noch näher zu sich, bis dieser fast über ihm und halb auf dem Bett kniete. „Ich will dich und das jetzt! Bitte…“ Das Flehen in Rays Stimme versetzte einen Stich in Talas Herzen. Ob er es auf Grund seiner eigenen Fantasien oder auf Grund von Mitleid tat, konnte er hinterher nicht mehr sagen, als Tala sich schließlich zu Ray hinunter beugte und seine Lippen auf dessen Mund presste, damit sein Einverständnis gab Aber eines wusste er. Sie würden es beide bereuen. Nachher. Hinterher. Wenn ihnen ihre Tat bewusst wurde. Wenn ihnen die Konsequenzen klar wurden. Doch jetzt, jetzt war es für Beide eine wunderbare und einladende Möglichkeit der grausamen Realität hier mitten im Herzen des Feindes zu entfliehen. Mit der Kleidung wurde nur ein kurzer Prozess gemacht, unordentlich landete sie irgendwo zerwühlt neben dem Bett. Erneut fing Tala Rays Lippen ein, drang dieses Mal mit seiner Zunge in das fremde Gebiet vor, erforschte und animierte den Anderen zum Mitmachen. Für den Bruchteil einer Sekunde glomm der Gedanke in ihm auf, dass Ray wahrscheinlich noch nie einen Zungenkuss vorher hatte, zumindest nicht soweit er sich erinnern konnte. Tala hatte keine Ahnung, wie weit Kai und der Kleine damals in der Scheune in diesem Dorf irgendwo im Ural gegangen waren, doch er bezweifelte, dass sie weit gekommen waren. Schließlich trennten sie sich. Rays Atem hatte sich bereits erheblich beschleunigt. Tala löste das weiße Band, welches die langen schwarzen Haaren zusammen hielt. „Du weißt, was passiert?“, fragte er, um sicherzugehen. Der Chinese nickte. „Ja. Ich… hab mich informiert.“ Kurz musste Tala grinsen. Er fragte sich, wie Ray sich über die Abläufe beim Geschlechtsverkehr homosexueller Paare informiert hatte. Am Computer in der Schule? Er konnte es kaum glauben. Aber jetzt war auch nicht der Moment, um danach zu fragen. Seine Finger fuhren über Rays blasse Brust, spielte mit den Brustwarzen. Dann beugte er sich wieder hinunter, begann, mit seinen Lippen über Rays Oberkörper zu fahren, widmete sich mit seinen Fingern eher den unteren Partien des Anderen. Ray keuchte überrascht auf, krallte sich in die Matratze. Ab da an ging alles erstaunlich schnell. Talas Finger krallten sich an Rays Hüfte, ihre Körper entfernten sich immer wieder kurz, nur um wieder aufeinander treffen zu können, Schweißperlen glänzten auf ihrer Haut, Keuchen und Stöhnen erfüllte den Raum, sie waren weg, weit weg mit ihrem Kopf, kaum noch zu klaren Gedanken fähig, allein von Lust und Verlangen erfüllt. „Kai…“, stöhnte Ray da. Tala erstarrte. Blickte für einen Moment auf den heftig atmenden und leise stöhnenden Chinesen unter sich, der die Augen geschlossen, die Finger in die Laken gekrallt hatte, sich nichts um sich herum bewusst war. Nicht einmal Talas Innehalten schien er wahrzunehmen. Ein trauriges Lächeln schlich sich auf das Gesicht des Rothaarigen und er strich seinem Freund eine schwarze, verklebte Strähne aus dem Gesicht. Dann nahm er den Rhythmus wieder auf. Beförderte sie Beide schließlich in den Himmel, als der Orgasmus sie fast gleichzeitig überrollte. Erschöpft rollte der Rothaarige sich von dem Anderen herunter, seine kühlen Fingerspitzen glitten über Rays erhitzte Haut, die feinen Härchen stellten sich daraufhin auf. Noch bevor sich ihr beider Atem beruhigt hatte, schliefen sie tief und fest. Leere. Kai fühlte nur unendliche Leere in sich. Noch vor ein paar Stunden war diese Leere von einem anderen Gefühl ausgefüllt worden. Von Hass. Von tiefem, heißem, brodelndem Hass, der jeden Moment auszubrechen gedroht hatte. Es hatte nur noch ein kleiner Funken gefehlt. Hass auf Biovolt, die ihm ein Teil seines Inneren genommen haben, Hass auf die Menschheit, die ihm die Chance auf ein normales Leben genommen hat und zuletzt Hass auf Ray, welcher ihm seinen Bruder, seinen letzten und wichtigsten Verwandten genommen hat. Er war wie ein Vulkan gewesen, wie heiße Lava schien das Blut durch seine Adern zu fließen, wie eine riesige Lavakammer war das Herz, dass das Blut nur noch zu dem einen Zweck durch seinen Körper gepumpt hatte: Um auf den Ausbruch zu warten, ausbrechen zu können, sich befreien, sich rächen, alles hinter sich lassen. Was ihm dabei in die Quere kam, war Kai egal gewesen. Alle anderen Gefühle, Emotionen, Wünsche und Hoffnungen waren von der heißen Glut in seinem Inneren zermalmt worden. … Und jetzt? Was war ihm jetzt geblieben? Es war ausgebrochen. Hatte seine Wut ausgelebt. Hatte seinen Hass Gestalt annehmen lassen und ihn gegen Ray gerichtet. Und hatte verloren. Ohne Schwierigkeiten hatte der Andere ihn vernichtet. Besiegt. Ray war ein Jäger. Und Kai? Kai war ein Nichts. Zu schwach, um sich zu wehren. Zu schwach, um Dranzer zu schützen. Zu schwach, um seinen Bruder zu rächen. Und doch… Aus irgendeinem unerfindlichen Grund schlug sein Herz noch. Dieses Organ, dass ihn quälte und ihm am Leben erhielt… warum hatte es noch nicht aufgegeben? Bis zum nächsten Mal, achat Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)