Drunk
Kapitel 3:Drunk
Die Jungentoilette der Schule war fast leer. Von außerhalb konnte man die Stimmen anderer Jugendlicher hören, doch hier drinnen war es still. Einzig das Geräusch des laufendem Wasserhahns, unter dem Fye sich die Hände wusch, durchbrach die Stille. Die weißen Fliesen des Fußbodens spiegelten die Leere in seinem Kopf wieder. Zwar waren die Kopfschmerzen, die ihn gestern den ganzen Tag geplagt hatten verschwunden, doch er wusste immer noch nicht wie es nun weitergehen würde. Es war ein merkwürdiges Gefühl zu wissen, dass man heute zum letzten Mal in seinem Leben schlafen würde. Dass man morgen zum letzten Mal aufstehen und essen würde. Denn in etwas mehr als vierundzwanzig Stunden war seine Frist abgelaufen. Mit einem ausdruckslosen Blick in den Augen starrte der Blondschopf seine fast leichenblasse Gestalt im Spiegelbild an. Er konnte nur hoffen, dass er dann wenigstens wieder mit seinem Bruder vereint sein würde...
Auf einmal knackte das Schloss einer der Kabinen, die Tür schwang auf und heraus trat die Person, die für all das Chaos in seinem Kopf verantwortlich war. Schnellen Schrittes trat Kurogane aus der Kabine und stapfte auf Fye zu, der dort auf ihn gewartet hatte. Plötzlich zuckte dem Schmächtigeren von beiden ein Gedanke durch den Kopf und ohne weiter darüber nachzudenken, hatte er ihn auch schon ausgesprochen.
"Was ist eigentlich mit deiner Familie? Machen sie sich denn keine Sorgen um dich wenn du den ganzen Tag weg bist?" Kaum hatte er diese Frage formuliert, bohrte sich der wütende Blick zweier blutroter Augen in seine eisblauen. Eine kalte Stimme durchschnitt die Stille.
"Das geht dich gar nichts an!"
Und ohne ein weiteres Wort rauschte der muskulöse Schwarzhaarige an ihm vorbei durch die Tür und verschwand auf dem Flur. Krachend diel die Tür ins Schloss.
Perplex starrte Fye an die Stelle, wo sein Mörder gerade den Raum verlassen hatte. Er war zwar an die heftigen Reaktionen seines selbsternannten Mitbewohners gewöhnt, doch war er sich sicher gerade einen Funken Trauer in den sonst so gefühlskalten Augen des Größeren entdeckt zu haben. Plötzliches Mitleid überkam ihn. Vielleicht hatte er in seiner Vergangenheit etwas ähnlich Schlimmes erlebt wie er selbst?
Immer noch wütend starrte Kurogane in sein Biologiebuch. Wenn Blicke töten könnten wären die Insekten, die dort abgebildet waren schon längst eines qualvollen Todes gestorben. Es war mittlerweile die fünfte Stunde und sie hatten Biologieunterricht. Die Wände des Biologieraums waren allesamt grün gestrichen und überall hingen Poster, auf denen Bilder von grünen Pflanzen zu sehen waren. Und als wäre das nicht genug, hatte der junge Referendar genauso grüne Haare und Augen wie seine Kleidung grün war. Von dem ganzen Grün wurde ihm ganz schlecht. Es hätte ihn nicht gewundert wenn sich irgendwo an der Decke Schimmel angsetzt hätte, denn das wäre farblich schließlich voll im Trend. Im Augenblick stand der spindelldürre Referendar alleine vor der Klasse und versuchte ihnen mit Händen und Füßen den Ablauf von Photosynthese zu erklären, wobei er mit beiden Armen wild in der Luft rumfuchtelte. Anscheinend sollte das die Aufnahme von Sonnenlicht darstellen...
>Bin ich denn nur von Idoten umgeben?<
Wenigstens saß der blonde Idiot in Biologie nicht neben ihm, sondern auf der anderen Seite des Klassenzimmers. So störte er ihn nicht und der Killer konnte sich in aller Ruhe einen Plan ausdenken, wie er eben diesen am besten erledigen konnte. Es sollte dem Blondschopf das Blut in den Adern gefrieren lassen. Er wollte den Ausdruck purer Angst in seinen Augen flackern sehen. Am besten sollte er um sein Leben flehen, so wie all die anderen es immer taten. Irgendwie musste er es schaffen diesen Ausdruck der Resignation und Gleichgültigkeit aus seinem Gesicht zu verbannen. Ansonsten nagte es zu sehr an seinem Stolz. Aber wie bekam er das hin?
Plötzlich vernahm er die Stimme einer Schülerin.
"Midori-sensei, das mit der Photosynthese haben wir doch schon längst verstanden. Können wir nicht lieber mit dem nächsten Thema anfangen?"
"Aber seid ihr denn sicher, dass ihr das auch alles verstanden habt? Das nächste Thema 'Einfluss von legalen und illegalen Drogen auf unser Wahrnehmungsvermögen' ist nicht einfach. Ich bin mir nicht sicher, ob..."
Ein teuflisches Grinsen legte sich auf Kuroganes Gesicht. Jetzt hatte er einen Plan. Unvermittelt packte er seine Sachen ein, schulterte seinen pechschwarzen Rucksack und ging in Richtung Tür.
"A-aber Kurogane-kun, was haben Sie vor? Sie können doch nicht einfach so meinen Unterricht verl-"
Doch noch bevor der junge Lehrer seinen Satz beendet hatte, war der große Schwarzhaarige schon verschwunden und alle Blicke folgten ihm, unter anderem Fyes.
Es war kurz nach sechs Uhr als Fye die Tür zu seiner Wohnung aufschloss. Drinnen schien gedämpftes Licht und es war verdächtig still. Er hatte noch bis halb sechs Nachmittagsunterricht gehabt und war lediglich in der Freistunde kurz zu einer Imbissbude in der Nähe der Schule gegangen um sich einen kleinen Snack zu holen. Aber Kurogane hatte mitten in der fünften Stunde einfach den Unterricht verlassen. Was heckte er nur aus? Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn während er sich seiner Jacke und seinen Schuhen entledigte und sich immer noch nichts rührte. War er etwa wirklich nicht da? Auf leisen Sohlen schlich er sich ins stockdunkle Wohnzimmer, doch als er gerade seine Hand ausstreckte um den Lichtschalter zu betätigen, spürte er wie sich etwas unvermittelt um sein Handgelenk schloss. Auch ohne Helligkeit wusste der Blondschopf, dass es sich dabei um seinen 'Mitbewohner' handelte. Im nächsten Moment wurde er von ihm in den Flur und anschließend in die Küche gezogen, wo es etwas heller war. Als Fyes Kater Yuun, der auf einem Stuhl hockte, den großen Mann erblickte nahm er sofort anklagend maunzend reißaus. Fragend blickte der Kleinere in die Augen seines Mörders. Was hatte das zu bedeuten? Als hätte eben jener seine Gedanken lesen können antwortete er:
"Das wirst du gleich sehen..."
Mit diesen Worten öffnete er die Tür des Kühlschranks und Fye erhaschte einen Blick auf dessen Inhalt. Nämlich...
...ganz viel Alkohol!
Der ganze Kühlschrank war von oben bis unten mit alkoholischen Getränken vollgestopft von denen Fye sich sicher war, dass sie vorher noch nicht da gewesen waren. Ungläubig richtete er seinen Blick wieder auf den Stärkeren.
"Was hast du mit all dem Alkohol vor?"
Erneut legte sich dieses teuflische Grinsen auf das Gesicht des Mörders und er erwiderte:
"Du wirst ihn trinken..."
Das Wohnzimmer wurde von einer kleinen Lampe in der Ecke des Zimmers beleuchtet. Der Boden war mit leeren Flaschen übersät und in der Luft hing ein stickiger Geruch. Die Digitaluhr auf dem Seitentischen zeigte kurz nach acht an. In der Mitte dieses Chaos, genauer gesagt auf der Couch, saß Kurogane. Auf seinem Schoß lag ein halb eingekauerter, betrunkener Fye. Er hatte noch nicht mal annähernd so viele Fläschen gebraucht um den Blonden stockbesoffen zu machen, wie er gedacht hatte. Normalerweise war dies zwar nicht unbedingt seine Art, doch um an sein Ziel zu kommen war ihm auch dieses Mittel recht. Mit Daumen und Zeigefinger nahm er das Kinn des Kleineren in die Hand und hob es hoch, sodass dieser gezwungen war ihn anzusehen. Fyes Blick war vom vielen Alkohol verschleiert und seine Wangen gerötet. Sein Verstand hatte schon längst ausgesetzt.
"Miau?"
Leise flüsterte der Killer ihm ins Ohr:
"Hast du ein Versteck in der Wohnung wo du immer hingehst, wenn dich keiner finden soll? So etwas für den Notfall, falls jemand einbricht oder so?"
Der Blondschopf schien sich zu konzentrieren, wobei ihm das Denken sichtbar schwer fiel. Nach einigen Momenten antwortete er:
"Ich verstecke mich immer in der Abstellkammer. Dort ist nämlich eine Fälltür im Boden, von der man auf eine Treppe gelangt, die in den Keller des Hauses führt. In der hinteren Ecke des Kellers stehen noch einige alte Umzugskartons, die ich noch nicht entsorgt habe. Das ist mein kleines Geheimversteck~"
Nun hatte der Killer die Informationen, die er haben wollte. Ein selbstzufriedenes Lächeln stahl sich auf seine Lippen und er lies das Kinn des Kleineren los, der sich sofort wieder wie eine Katze einrollte und sich auf den Schoß des Größeren legte. Morgen würde er sich garantiert an nichts mehr erinnern können, was heute abend passiert war. Und dann konnte das Versteckspiel beginnen...
~TBC~
Wie versprochen pünktlich ein neues Kapitel^-^ Hoffe es hat euch gefallen. Auf Kommis freue ich mich natürlich nach wie vor~