Wenn Schatten ins Licht treten von Nessi-chan ================================================================================ Kapitel 4: Der erste Schritt zur Allianz ---------------------------------------- Leise trat Haruhi ein paar Schritte zurück und flüsterte dann Fuyumi zu: „Sie sollten jetzt vielleicht draußen mal Ihren Bruder anrufen und ihm Bescheid sagen, dass Kyouya wach ist.“ Fuyumi nickte nur, sie schien mit der Situation noch immer überfordert zu sein. Haruhi legte ihr den Arm um die Schultern und schob sie mit sanfter Gewalt aus dem Raum. Gleichzeitig gab sie Mori, Honey und den Zwillingen mit einer harschen Kopfbewegung ein Zeichen, dass auch die Vier sich entfernen sollten. „Warum hast du uns denn mit rausgenommen?“, fragte Kaoru draußen. „Genau.“, stimmte Hikaru zu. „Glaubst du, sie braucht uns beim Telefonieren?“ Dabei nickte er zu Fuyumi, die ein paar Meter entfernt mit ihrem Handy ihren Bruder Akito zu erreichen versuchte. „Natürlich nicht.“, antwortete Haruhi. „Ich wollte nur, dass die beiden ein bisschen mehr Raum haben.“ Dabei lenkte sie den Blick der Jungs wieder ins Krankenzimmer, wo Tamaki inzwischen auf der Bettkante saß und seinen nervlich völlig zusammengebrochenen besten Freund im Arm hielt und ihn mit einem leichten Streicheln über den Rücken zu beruhigen versuchte. „Tamaki ist irgendwie zu ihm durchgedrungen.“, fuhr Haruhi fort. „Möglicherweise ist er der einzige, dem Kyouya vielleicht den Grund dieser Aktion anvertrauen würde.“ Haruhi hatte das Verhältnis dieser beiden Jungs nie ganz verstanden. Zu Anfang hatte sie einmal die Vermutung gehabt, die beiden könnten ein heimliches Paar sein, da Tamaki sie ja auch offen als „Mutter“ und „Vater“ des Clubs bezeichnete. Doch diese Theorie hatte sie nach kurzer Zeit wieder aufgegeben: Tamaki war ein Mann der Frauen und Kyouya unterstützte das nicht nur, er nutzte es sogar aus, wo er nur konnte. So war sie zu dem Schluss gekommen, dass zwischen diesen beiden eigentlich grundverschiedenen Jungen eine wahnsinnig tiefe Freundschaft bestehen musste, deren Ursprung für ihr völlig unklar war. „Glaubst du, Tama-tama kann Kyo beruhigen?“, holte Honeys Stimme sie aus ihren Gedanken. „Ich weiß es nicht, Honey.“, antwortete sie ehrlich. „Aber ich hoffe es.“ Eilige Schritte hinter ihnen veranlassten die Mitglieder des Host Clubs, sich umzudrehen. Fuyumi war offensichtlich mit ihrem Telefonat fertig und kam auf sie zugestöckelt – in Begleitung ihres ältesten Bruders Yusuke. „Er ist also wach?“, fragte dieser, obwohl es wohl mehr eine Feststellung in Form einer rhetorischen Frage war. „Gut, dann werden wir ihn jetzt möglichst schnell nach Hause schaffen.“ „Einen Moment.“, wandte Haruhi ein und bedeutete Mori, sich vor die Tür und damit Yusuke Ootori in den Weg zu stellen. „Soweit ich das vorhin verstanden habe, dürfen Sie das doch gar nicht so einfach. Ihr Bruder Akito hat gesagt, dass ein Mensch nach einem Suizidversuch erst dann entlassen werden darf, wenn ein Psychologe das für ungefährlich erklärt hat. Außerdem ist Kyouya bei weitem noch nicht dazu in der Lage, irgendwohin verlegt zu werden.“ „Und du bist diesbezüglich sicher Experte, wie?“, fragte Yusuke spöttisch und wandte sich dann an seine Schwester. „Was machen die überhaupt hier? Zur Intensivstation haben nur die Angehörigen Zutritt.“ „Nein, Expertin bin ich nicht.“, antwortete Haruhi, denn sie würde sich von diesem Kerl auf keinen Fall so abfällig behandeln lassen. „Aber ich habe Ihrem Bruder vorhin gut zugehört. Und zu Ihrer anderen Frage: Wir sind hier, weil Ihr Bruder und Ihre Schwester Verständnis dafür hatten, dass wir bei Kyouya sein wollten, wenn er aufwacht – schließlich haben wir ihn auch gefunden.“ Yusuke Ootori schien überrascht aber auch etwas wütend. Offenbar war er es nicht gewohnt, dass ihm jemand – und wohl gerade ein Mädchen – in dieser Art und Weise widersprach. „Das stimmt, Yusuke.“, traute sich nun auch Fuyumi zu sagen. „Vielleicht sollten wir besser auf Akito warten. Ich habe ihn gerade angerufen…“ „Wozu?“, fuhr ihr ihr Bruder harsch ins Wort. „Welchen überlegenen Sachverstand soll er denn dazu haben? Falls du es vergessen hast: Ich bin Arzt – er ist noch Medizinstudent. Ich weiß, wie man mit Patienten umgeht.“ „Aber wie ich vorhin schon sagte: Einen fremden Patienten würdest du jetzt nicht so einfach entlassen.“ Erschrocken fuhr Yusuke herum. Akito war gerade auf dem Flur eingetroffen und hatte wieder Position gegen seinen Bruder bezogen. „Ich kann mir vorstellen,“ fuhr er fort, „dass Vater und du – im Interesse der Firma – diesen ‚unschönen‘ Vorfall unter den Teppich kehren wollt, aber eines sag ich dir: Das könnt ihr getrost vergessen! Hier geht es um das Wohl – und zwar jetzt in erster Linie das seelische Wohl – unseres kleinen Bruders und das geht bei weitem über die verdammte Firma.“ Haruhi nickte entschlossen. Das musste ja auch endlich mal gesagt werden! „Die verdammte Firma, die für Kyouyas und deine Ausbildung sorgt – nur ganz nebenbei.“, bemerkte Yusuke. „Deshalb ist sie noch lange nicht jedes Opfer wert.“, widersprach Akito. „Wo steckt eigentlich Vater? Ich dachte, du wolltest ihn informieren.“ „Das habe ich auch.“, antwortete Yusuke. „Ich habe kurz mit ihm gesprochen. Er ist in einer wichtigen geschäftlichen Verhandlung und kann deswegen nicht, aber er ist über alles soweit informiert.“ „Bitte was?“ Nun war es an Akito, seinen Bruder wütend anzusehen. „Sein jüngster Sohn versucht sich umzubringen und diesem geldbesessenen Despoten ist eine Geschäftsverhandlung wichtiger?“ „Akito, bitte!“, versuchte Fuyumi verzweifelt aber erfolglos ihren Bruder zu beruhigen. „Was denn, Fuyumi?“, widersprach dieser. „Es stimmt doch. Dass er in unserer Kindheit – außer wenn es um Druck oder öffentliches Auftreten ging – nicht präsent war: Gut, da werden wir in unseren Verhältnissen wohl nicht die einzigen sein. Aber dass er so eindeutig die Priorität setzt ‚erst Geschäft, dann Familie‘, ist einfach nur unmenschlich.“ „Heb dir deine pathetischen Reden für später auf.“, kommentierte Yusuke. „Ich werde jetzt erst einmal meiner Tätigkeit als Arzt nachgehen und Kyouya entlassen.“ Dabei machte er zwar einen Schritt in Richtung Tür, blieb dann aber doch wieder leicht zögernd stehen, da er es nicht wagte zu versuchen, Mori von der Tür wegzuschieben. „Das wirst du nicht.“, erklärte Akito entschieden. „Da Vater nicht da ist, um als Erziehungsberechtigter zu entscheiden, liegt die Entscheidung mit gleichem Stimmrecht bei uns dreien – und ich bin definitiv gegen eine Entlassung, solange nicht die Meinung eines Facharztes zu Kyouyas psychologischem Zustand vorliegt.“ „Nun, dann steht es wohl 1:1.“, stellte Yusuke fest und drehte sich mit einem unangenehmen, hochmütigen Lächeln zu Fuyumi um. „Schwesterherz, es liegt an dir.“ „Nun, ich…“, stotterte Fuyumi. „Ich weiß nicht.“ Doch bevor einer der Brüder sie beeinflussen konnte, ging Haruhi zu ihr. „Hören Sie, Fuyumi, eine psychologische Einschätzung bedeutet doch nicht, dass Kyouya direkt in die Psychiatrie gesteckt wird. Da kommt eine Psychologin oder ein Psychologe und unterhält sich mit Kyouya. Und wenn er meint, dass Kyouya stabil genug ist, um nach Hause gebracht werden zu können, dann können Sie ihn ja auch sofort mitnehmen. Aber wenn Sie ihn jetzt ohne Fachgespräch einfach nach Hause bringen, dann weiß doch immer noch keiner, warum Kyouya das gemacht hat. Und Sie haben doch gesehen, wie er bei Tamakis Entschuldigung zusammengebrochen ist. Da ist noch lange nicht alles gut. Und solange der Grund nicht geklärt ist, könnte Kyouya das jederzeit wieder versuchen. Wollen Sie das?“ „Nein.“ Fuyumi schüttelte den Kopf. „Nein, natürlich nicht.“ „Er wird das nicht tun.“, versuchte Yusuke das Ganze zu relativieren. „Er wird eben zu Hause unter Beobachtung gestellt und nach einer bestimmten Zeit hat sich das wieder.“ „Wir können ihn nicht 24 Stunden überwachen – das weißt du.“, kommentierte Akito, klang aber nach einem Blick in das Krankenzimmer seines Bruders nicht mehr so angriffslustig wie zuvor. „Und außerdem solltest du auch wissen, dass sich solch psychische Konflikte – außer bei sehr labilen Persönlichkeiten – über Jahre entwickeln. Das Grundereignis kann Jahre zurückliegen, aber ebenso kann es auch Jahre dauern, bis eventuell ein weiterer Suizidversuch auftritt. Was willst du also tun? Ihn lieber über Jahre einsperren, als jetzt ein paar Stunden für ein therapeutisches Gespräch zu opfern?“ Akito trat an den ältesten der Brüder heran. Er schien überraschend ruhig. ‚Er genießt diese Wortgefechte offenbar auf eine gewisse Art und Weise, aber jetzt stellt er das Wohl seines jüngeren Bruders über dieses Missverhältnis und über seinen Stolz.‘, stellte Haruhi bewundernd fest. „Yusuke, ich bitte dich: Die Ärzte in diesem Hause haben nicht nur die allgemeine Schweigepflicht, sondern auch eine besondere Verbundenheit zur Familie Ootori. Wo wäre Kyouya jetzt besser aufgehoben? Ich bitte dich wirklich: Spring über deinen Schatten – ich lasse dir auch gern die Wahl der Person – und benachrichtige einen kompetenten Kollegen. Tu es für Kyouya.“ Dabei hatte Akito seinen Bruder etwas zur Seite gezogen, sodass sie durch das halbverdeckte Fenster ins Zimmer sehen konnten: Kyouya hatte sich offenbar wieder ein bisschen beruhigt, zumindest lag er wieder normal im Bett und Tamaki hatte nur noch die Hand seines Freundes zwischen den eigenen und schien beruhigend mit Kyouya zu sprechen. „Nun gut.“ Yusuke nickte. „Da ich annehme, dass auch Fuyumi einverstanden ist, werde ich mich um einen Kollegen vom psychologischen Dienst kümmern. Aber… Akito… vielleicht könntest du mir helfen? Du warst doch in deinem letzten Praktikum gerade in diesem Bereich sehr aktiv.“ Akito mochte von dieser Bitte überrascht sein, doch er verbarg es gut. „Gerne, wenn es dir recht ist.“ Die Brüder nickten einander zu, warfen noch einen Blick ins Zimmer und verließen dann die Station, um einen passenden Kollegen aufzutreiben. „So schlimm das alles auch ist,“ bemerkte Fuyumi plötzlich, „so einig waren sie sich schon lange nicht mehr.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)