Tabu
Die Lösung fand sich in Form von Tomomi, einem Mädchen aus seiner Stufe, das ihm bisher eigentlich noch nie aufgefallen war. Aber plötzlich war sie da, warf ihm ständig Blicke zu, grüßte ihn und verwickelte ihn in Gespräche.
Nach drei Dates waren sie ein Paar.
Nach einem Monat schlief sie mit ihm.
Kyo verstand zwar nicht wirklich, was sie an ihm fand, aber für seine Veränderungen kam sie genau richtig und eine Freundin war wohl nie schlecht. Außerdem sah sie echt gut aus und war wirklich nett. Sie war sogar kleiner als er und das traf leider nicht auf alle Mädchen zu. Irgendwie passte sie wirklich richtig gut zu ihm, fand er und ein bisschen verliebt war er ja schon. Auf jeden Fall war sie unkompliziert und hatte keine Probleme damit, jede seiner freien Minuten mit ihm zu verbringen.
Kyo wusste nicht mal, wie das immer kam, aber je länger sie zusammen waren, desto öfter landeten sie am Ende sowieso immer im Bett, egal wie der Tag geplant war.
Ein paar Mal hatte er versucht, mit Tomomi und Kaoru zusammen etwas zu unternehmen, aber die beiden verstanden sich nicht wirklich gut. Im Grunde eigentlich gar nicht, was schnell dazu geführt hatte, dass Kyo versuchte, die beiden so weit wie möglich voneinander fern zu halten. Deswegen war Tomomi normalerweise schon wieder weg, wenn Kaoru samstagmittags zu Besuch kam. An Kaoruwochenenden war der nun mal wichtiger, schon allein deswegen, weil sie immer seltener wurden.
Für dieses Wochenende hatte sich Kaoru wieder mal nicht angemeldet und deswegen lagen sie immer noch im Bett, Tomomi schlief noch und Kyo spielte mit ihren langen Haaren, als plötzlich die Zimmertür aufging, Kaorus Lächeln sofort auf seinen Lippen gefror und kaum eine Sekunde später war die Tür wieder zu. Noch bevor Kyo ihn überhaupt hatte begrüßen können. Seufzend verdrehte er die Augen, hüpfte aus dem Bett, zog sich noch schnell ein Shirt über und lief Kaoru nach, bis in die Küche.
Mine und Yoshio waren Lebensmittel einkaufen, wie jeden Samstagmorgen, Kaorus Bruder schlief selbst noch.
„Guten Morgen auch.“, murrte Kyo, als er Kaorus missmutigen Blick sah. „Hättest dich halt anmelden müssen, dann wär sie weg.“
„Ach, muss ich mich jetzt schon anmelden, wenn ich mal wieder nach hause will?“, blaffte Kaoru gleich zurück. Kyo zuckte kurz zusammen. Das war normalerweise nicht seine Art…Klar, wenn Kaoru genervt war, wurde er schon mal ausfallender, aber ihm gegenüber war er das noch nie geworden. Im Gegenteil, meistens war er gerade zu ihm sanfter, wenn er anderen gegenüber bissig wurde und schenkte jedem seinen Killerblick, der es wagte, Kyo in seiner Nähe irgendwie anzugreifen. Konnte manchmal auch nerven, immerhin war Kyo kein kleines Kind mehr und konnte auch auf sich selbst aufpassen. Dass ihn jetzt selbst dieser Blick traf, war absolute Premiere. Kaoru hatte ihn ja sogar vor seinen Eltern verteidigt, die natürlich wenig begeistert über Kyos neue Haarfarbe und das Metall in seinem Gesicht waren.
„Naja, wenn du ihr nicht über den Weg laufen willst…“, antwortete Kyo nur schulterzuckend. Konnte er doch nichts dafür, dass der jetzt so drauf war.
„Kann ich wissen, dass du grad mit der am rumvögeln bist, wenn ich komm? In unsrem Bett!“, was bitte war denn mit dem los?? Kaoru war doch sonst so beherrscht… Aber okay, den Ton konnte Kyo auch.
„Wir warn nicht am ‚rumvögeln’ und außerdem ist das nicht mehr unser Bett. Falls du dich erinnern kannst, bist du vor ein paar Monaten ausgezogen. Und außerdem will ich gar nicht wissen, wie viele Tussen du jedes Wochenende flachlegst, wenn du uns erzählst, dass du zu viel zu tun hast! Macht man doch als Student so, oder?“, so, das hatte gesessen!
Nur irgendwie schien das ein bisschen zu sehr gesessen zu haben. Offenbar hatte Kyo da einen wunden Punkt erwischt, denn es schien Kaoru mehr getroffen zu haben, als er beabsichtigt hatte. Kaoru sah ihn erst erschreckt, fast wütend an, dann beschämt weg und… scheinbar wusste er nicht genau, was er sagen sollte. Warum bitte traf ihn das jetzt so? Wer austeilen konnte, musste ja wohl auch einstecken können.
„Garkeine…“, murmelte Kaoru plötzlich kaum hörbar.
„Du willst mir doch nicht erzählen, dass du noch Jungfrau bist.“, Kyo verschränkte die Arme vor der Brust. Verarschen konnte er sich selbst. Warum hätte er denn dann sonst weggehen sollen? Weil’s näher an der Uni ist? So ein Streber war Kaoru jetzt auch wieder nicht! Außerdem war er oft genug in Kaorus Zimmer gewesen, um zu wissen, dass er zumindest auf alles vorbereitet war.
„Nein…“, Kaoru sah ihn immer noch nicht an, das machte ihn langsam echt wütend. Warum konnte der Kerl ihn nicht ansehen?? Was ging mit dem eigentlich auf einmal?
„Vögeln und Jungfrau sein schließen sich aber irgendwie aus.“, war doch so.
Jetzt fing Kaoru auch noch an, an seinen Fingernägeln rumzukratzen. Was bitte war hier los? Konnte der nicht einfach Klartext reden, wie sonst immer? Schon allein diese Unsicherheit hätte Kyo verrückt machen können, er erkannte seinen Kaoru, den es höchstens aus der Bahn warf, wenn einen Bad-Hair-Day hatte, kaum wieder. Falls Kaoru mal verunsichert sein sollte, wurde er doch eher wütend, weil er zu stolz war, das zu zeigen, aber selbst dann hatte er sich meistens im Griff. Aber im Moment…
„Ich steh nicht auf Frauen.“, konnte Kaoru Gedanken lesen? Ein bisschen weniger Klartext wäre vielleicht doch besser gewesen…
Und überhaupt, das sagte er ihm jetzt einfach so? Kyo sah Kaoru einen Augenblick lang fassungslos an. Das war doch wohl ein Witz, oder? Okay, Kyo hatte nichts gegen Schwule aber… sein Ru-chan?? Und warum wusste er das nicht? Das hätte er doch merken müssen, oder etwa nicht? Doch von Kaoru kam keine Entwarnung. „Echtjetzt??“
Nur ein Nicken.
„Wow…“, Kyo war sprachlos. Wirklich komplett sprachlos. Was sagte man denn auch bitte, wenn der Typ, mit dem man 14 Jahre lang in einem Zimmer gelebt hatte, der wie sein eigener Bruder war und von dem man glaubte, ihn in- und auswendig zu kennen – also, auf seinen Charakter und sowas bezogen jetzt, wobei, wenn er genau überlegte war ihm auch Kaorus Körper nicht unbekannt, vom Sehen her jedenfalls, immerhin hatten sie sich quasi ihr ganzes Leben lang ein Bad geteilt – was jedenfalls sollte man schon sagen, wenn der sich urplötzlich outete? Erstmal hinsetzen. Hinsetzen war nie schlecht. Also ließ sich Kyo einfach auf einen Küchenstuhl fallen.
Aber Kaoru wusste das doch sicher nicht erst seit gestern, oder? Und es war ja wohl wirklich nicht so, dass sie keinen Kontakt gehabt hätten, also: „Wie lange weißt du das denn schon?“, ja er war mehr als nur ein bisschen enttäuscht darüber, dass Kaoru ihm sowas nicht sagte und irgendwie auch darüber, dass er selbst das nicht gemerkt hatte.
„Naja mit Mädchen konnte ich doch noch nie wirklich was anfangen…“, murmelte Kaoru. Ihm war das sichtlich unangenehm. „Deswegen… wollte ich unbedingt weg von hier… ich wollte dich nicht alleine lassen oder sowas, aber es ging nicht anders… vielleicht verstehst du’s ja jetzt…“
„Warte… du wusstest das sogar schon bevor du hier weg bist?!“, das schlug dem Fass ja echt den Boden aus! „Warum hast du mir das nie gesagt??“
„Ich dachte… wegen deinem Vater… damals… du würdest mich hassen…“, Kaoru sah aus wie ein Häufchen Elend. Und es war definitiv das erste mal, dass Kyo ihn so leiden sah.
„Ru-chan! Dadran kann ich mich doch nicht mal mehr erinnern…“, Kyo konnte nicht anders, es kam einfach total sanft raus.
Und es war ja auch so. Er konnte sich daran nicht erinnern. Er wusste, dass es so war, er hatte erst viel später begriffen, was da passiert war und er hatte geweint und geschrien, weil er doch sein Papa gewesen war und er nicht glauben konnte, dass sein Papa so böse war und er zu ihm wollte, aber nicht durfte. Dass sein Papa böse sein sollte, hatte ihn viel mehr beschäftigt, als das, was er getan hatte und er hatte noch mal lange gebraucht, um das zu verarbeiten, aber das Thema war doch jetzt wirklich durch, abgehakt, tot. Er wollte seinen Vater auch gar nicht mehr sehen, aber nicht, weil er ihm das angetan hatte, sondern einfach, weil er keinen Bezug mehr zu ihm hatte und auch keinen haben wollte. Mine und Yoshio waren jetzt seine Eltern, auch wenn er sie nie Mama und Papa nennen würde.
Aber das alles hatte doch rein gar nichts mit normalen Schwulen zu tun. Schon gar nicht mit seinem Ru-chan!
„Also… hasst du mich nicht? Und hältst mich nicht für irgensonen…Perversling, oder sowas?“, das erste Mal, dass Kaoru ihn wieder ansah.
„Nein. Du bist doch mein Ru-chan… das hat doch damit gar nichts zu tun… und nur weil du schwul bist, bist du ja jetzt nicht plötzlich anders.“, er zuckte mit den Schultern. Gut, vielleicht müsste er sich daran erst gewöhnen, aber im Grunde war das doch wirklich egal. „Und außerdem, ob du jetzt Frauen fickst oder Männer kommt aufs selbe raus, also ist das mal total keine Ausrede!“
Dass Kaoru der Mann war, war ja wohl klar. Sein Ru-chan ließ sich von niemanden in den- …naja… das konnte er sich auf jeden Fall mal gar nicht vorstellen…wollte er eigentlich auch gar nicht. „Du liegst doch oben, ne?“, fragte er aber sicherheitshalber noch mal nach.
Und jetzt lächelte er sogar wieder, auch wenn er ein bisschen verwirrt über den plötzlichen Themenwechsel schien. Irgendwie war die ganze Situation verquer…„Joa, normalerweise schon…“
„Okay, und was genau ist dann bitte dein Problem dabei, wenn ich mit meiner Freundin schlafe?“, das interessierte ihn schon noch. Brauchte Kaoru bloß nicht meinen, dass er da ein erfolgreiches Ablenkungsmanöver gestartet hatte.
Kaoru zuckte mit den Schultern. Na tolle Erklärung. „Ich vermisse dich…“
Schön. Was sollte er damit jetzt anfangen? „Ich dich auch.“, als Freund halt, das meinte Kaoru doch, oder? Er hatte ihn wirklich vermisst, die ganze Zeit, als er weg gewesen war, als da irgendwas nicht stimmte, aber das war ja jetzt geklärt, oder? Jetzt konnte das doch werden wie früher und vielleicht konnte Kaoru ja zum nächsten Semester zurück kommen… Irgendwie sah Kaoru aber immer noch ein bisschen verloren aus, wie er da geknickt an der Küchenzeile gelehnt stand, den Kopf gesenkt und an seinen Nägeln rumspielend. Das fiel ihm echt nicht leicht, sowas zuzugeben, selbst Kyo gegenüber…
Fast wie von allein stand Kyo einfach auf und umarmte ihn ganz fest. Das war einfach immer noch schön, auch wenn sie keine kleinen Kinder mehr waren. Umarmen war immer gut. Und festhalten. Und festgehalten werden. Genau wie damals…und immer noch war Kaoru größer als er.
Aber eines wollte er dann doch gern noch wissen.
„Du Kao?“, er sah kurz hoch und Kaoru sah zu ihm runter. Direkt in seine Augen. Und eigentlich hatte er fragen wollen, ob Mine und Yoshio das wussten, aber soweit kam er erst gar nicht, weil plötzlich Kaorus Lippen auf seinen lagen!
Es fühlte sich nicht schlecht an, wirklich nicht, aber das kam so… so unerwartet und plötzlich, dass sein Herz auf einmal vor Schreck aussetzte und dann panisch weiterraste. Für einen Moment war Kyo wie gelähmt und dann fiel es ihm mit einem Mal wie Schuppen von den Augen: Das meinte Kaoru damit, dass er ihn vermisste?! Deswegen störte es ihn, wenn er mit seiner Freundin in „ihrem“ Bett schlief – er hatte doch aber hoffentlich nicht gedacht, dass… nein das konnte er nicht gedacht haben, das konnte einfach alles nicht wahr sein! Es war doch gerade alles wieder gut gewesen und jetzt machte er sowas.
„Kaoru…“, Kyo drehte einfach den Kopf weg. Das ging nicht. Das war… nicht richtig und er wollte das auch gar nicht. Er wollte, dass es so war wie früher! „Das… das ist alles grad ein bisschen viel, ich… ich hab ne Freundin, weißt du, ich mag sie echt gern und… das war doch noch nie sooo zwischen uns!“, er war am verzweifeln. Klar mochte er Kaoru, sogar mehr als jeden anderen, aber eben doch nur als seinen besten Freund, wie einen Bruder…
Kurz sah er Kaoru an, aber sein Blick war so enttäuscht, so verletzt, dass er ihm nicht standhielt.
„Tut mir leid… ich… wollte dir das alles heute sagen…ich hab das selbst erst gemerkt, als du erzählt hast, dass du eine Freundin hast, das hat mich so eifersüchtig gemacht und… ich hab’s einfach nicht mehr ausgehalten… nicht, dass du denkst ich hätte dir die ganzen Jahre was vorgespielt oder so…es…tut mir leid…“, seine Stimme war nicht viel mehr als ein Flüstern und im nächsten Moment hatte er Kyo losgelassen. „Ich…geh dann mal besser wieder…“
Kyo nickte nur, trat einen Schritt zur Seite. War wohl besser so. Und Kaoru ging. Ohne ein weiteres Wort.
Eifersucht war das also gewesen… Sein Ru-chan…schwul… der Kuss… Was sollte das alles? Das passte doch alles gar nicht zusammen! Sie waren doch schon immer beste Freunde gewesen, wie Brüder, aber das war doch nicht… Seine ganze Welt schien aus den Fugen gehoben, zerschmettert und die einzelnen Stücke drehten sich einfach sinnlos durcheinander um ihn…
Geistesabwesend schlurfte Kyo die Treppe hoch, in sein Zimmer. Das Mädchen in seinem Bett war inzwischen aufgewacht, aber er hatte gerade keinen Kopf dafür. „Gehst du bitte?“
„Aber warum?“, sie sah ihn vorwurfsvoll an, aber gegen Kaorus Blick eben war das gar nichts.
„Geh einfach, okay?“, das war ein bisschen grober, als es hätte sein sollen. Egal. Sie sollte verschwinden und das tat sie auch. Er wollte sich jetzt einfach nur ins Bett wühlen, einschlafen und wenn er wieder aufwachte, war das alles nur ein schlechter Traum gewesen. Genau so würde es sein. Dann war alles wie vorher…
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sooo endlich mal ein neues Kapitel, leider mit ein bisschen Verspätung aber dafür wieder ein bisschen läger^^~ <3
btw~ nochmal danke für die Kommis~
was Kaoru von der neuen Haarfarbe und den Piercings hält, kam jetzt leider nicht vor... ehrlich gesagt hab ich daran nämlich nicht wirklich gedacht gehabt... aber ich denke er findet's okay^^''
und wer Lust hat, kann sich ja mal [achtung Schleichwerbung xD] die neue FF von Yusuke und mir anschaun^.~ <3