Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil von Izaya-kun (Das Tagebuch eines Gesuchten) ================================================================================ Kapitel 4: Der geheimnisvolle Blackborn --------------------------------------- Die Nacht war kühl gewesen und ich hatte es genossen, in einem warmen Bett mit einer weichen Decke zu liegen. Die Wanzen hielten mich zwar eine Zeit lang wach, aber als die Müdigkeit zu groß gewesen war, schlief ich letzten Endes ein. Als ich wieder aufwachte, fühlte ich mich erfrischter, als je zuvor. Meine Waden schmerzten ein wenig vom vielen Laufen am Vortag, ansonsten ging es mir gut. Ich trat an die Waschschüssel, säuberte mich und registriertem dass es bereits Mittag war. Laut drangen die Laute der Gäste aus dem Erdgeschoss zu mir herauf und auch jene von draußen am Hafen.Annonce war wieder lebendig, die Geisterstadt der Nacht kam mir vor wie ein Traum und ebenso die Begegnung mit Black. Da ich mit Sicherheit sämtliches Geld aufgebraucht hatte, welches Black mir am Vortag lieh, verließ ich das Wirtshaus ohne zu frühstücken. Ich verabschiedete mich nickend vom Wirt und trat nach draußen. Ein wenig mulmig war mir schon, wieder plötzlich unter so vielen Menschen, ganz ohne Gebete, oder gemeinsamem Frühstück mit den anderen Mönchen. Ob sie mich bereits suchten? Oder wussten sie, dass ich nicht zurückkehren würde? Ich beschloss mich auf die Suche nach Blackborn zu machen. „Unten am Kai“, hatte Black gesagt, würde ich ihn finden oder im Reichenviertel. Da ich ohnehin am Hafen war, entschied ich mich, dort als erstes nach ihm Ausschau zu halten, doch ich wagte es nicht, die Leute nach ihm zu fragen. Ich wusste nicht, was für ein Mann er war, es war zu riskant. Wer weiß, mit was für Menschen man mich in Verbindung brächte? Es dauerte nicht lange, ein, oder zwei Stunden, dann fand ich ihn. Blackborn war genauso, wie Hullingtan Black ihn mir beschrieben hatte, ich erkannte ihn sofort. Er stach förmlich hervor, umgeben von Unmengen herunter gekommenen Gestalten: Ein Mann Anfang dreißig, helle, reine Haut, zu einem Zopf gebundenes, schwarzes und lockiges Haar, ein langer, blauer Brokatmantel mit silbernen Knöpfen und Verzierungen und dazu schwarze, edel aussehende Galoschen. Unter seinem Arm trug er ein Holzbrett mit Pergamenten, dazu Schreibfeder und ein verschließbares Tintenfass. Immer wieder schaute er nach hier und da, dann schrieb er etwas auf, sprach mit Passanten und schrieb dann weiter. Einige Minuten stand ich unschlüssig in der Menge der stark riechenden Matrosen und Fischverkäufer und wusste nicht recht, wie ich ihn ansprechen sollte. Zwar hatte Black mir geraten, mich an ihn zu wenden, aber ich wusste nicht einmal wohin ich eigentlich wollte und Geld besaß ich auch keines mehr. Ich versuchte heraus zu finden, was er da tat, aber mit keiner Minute wurde ich schlauer. Als ich mich dann endlich überwand ihn anzusprechen, drehte er sich herum und sah mir entgegen, als hätte er mich bereits erahnt. „Ich grüße Euch.“, begann ich scheu und bemüht, entschlossen zu klingen, dann verbeugte ich mich vor dem Mann. Er nickte mir nur unhöflich zu. „Ich Euch ebenfalls. Kann ich Euch helfen?“, Blackborn war sichtlich verwirrt, was ein Mönch denn von ihm wollte. Unschlüssig starrte ich ihm entgegen. „Nun… Man sagte mir, dass Ihr dies könntet, ja.“ Er sah sich um, als würde er damit rechnen, dass mehr meiner Sorte sich näherten, doch scheinbar fand er keinen, also sah er mich wieder an. Ziemlich missbilligend, wie ich fand. „Ich?“, seine Stimme wurde spöttisch und verächtlich. „Einem Gottesdiener helfen? Wie käme ich dazu? Last mich in Frieden, ich habe mit der Inquisition nichts am Hut.“, und mit diesen Worten wandte er sich ab. Eine solche Abwehrhaltung hatte ich bei Weitem nicht erwartet. Mir fehlten die Worte und unschlüssig, was ich tun sollte, hob ich den Kopf. Sollte ich nun aufgeben? Ihn in Frieden lassen? Und was dann? Zurück ins Kloster? Niemals! „Herr.“, als ich mich gefasst hatte ging ich um ihn herum und suchte Blickkontakt, aber er hatte nur Augen für sein seltsames Geschreibsel. „Verzeiht, aber man sagte mir, Ihr würdet mir helfen können.“ „Das sagtet Ihr bereits.“, entgegnete Blackborn desinteressiert. „Ich suche ein Schiff.“ Mein Gegenüber hob den Blick, als hätte ich einen unheimlich schlechten Witz gemacht. „Ein Schiff? Ihr? Wollt Ihr mich veralbern? Ich habe keine Zeit für solche Spielchen. Wie Ihr seht, bin ich ein viel beschäftigter Mann.“ „Aber ich bin nicht von der Inquisition.“ „Es ist mir gleich, von wem oder was Ihr seid. Lasst mich in Ruhe oder ich rufe die Wachen, Geistlicher hin oder her!“ Verzweifelt starrte ich in seine hasserfüllten Augen. Weswegen war er so unfreundlich? Weil ich ein Mönch war? Waren Katholiken wirklich so unbeliebt? „Aber ich bin kein Geistlicher!“, kam es aus mir, wie aus der Pistole geschossen und ich glaubte, ein wenig Aggressivität in meiner Stimme zu hören. „Ich-…“ „Ich habe keine Zeit.“ „Bitte, ich-…“ „Ihr belästigt mich!“, wütend starrte er mir in die Augen. „Geht woanders hin!“ „Ich bitte Euch, ich brauche dringend-…“ „Seid Ihr taub?! Ich habe keine Zeit! Verschwindet endlich!“ „Herr, bitte, ich-…“ Er drehte sich weg. „Hört mich doch an, ehe Ihr Euch abwendet, verdammt noch mal!“, fuhr ich Blackborn lautstark an. Erschrocken drehte er sich zurück. „Ich habe das Kloster verlassen und nun will ich raus aus Annonce! Ich bin kein Mönch mehr! Verflucht sollt Ihr sein, dass Ihr mir nicht zuhört, zum Teufel noch mal! Ist das so schwer zu verstehen?! Man sagte, Ihr könnt mir helfen, also gebt mir doch wenigstens eine Chance, mich zu erklären! Ist das etwa zu viel verlangt?!“ Er war sichtlich überrascht, wie ich mich plötzlich aufrichtete, zu meiner vollen Größe und fluchend die Fäuste ballte. Ich wollte nicht zurück ins Kloster, ebenso wenig ins Armenhaus und von seinem Gehabe ließ ich mich gewiss nicht dorthin drängen! Blackborn glotzte mich an, den Mund leicht geöffnet, seine Schreibutensilien hatte er hinab sinken lassen. Ungläubig starrte er mir ins rote Gesicht, welches noch stärker errötete, als ich merkte, dass einige der Passanten mich ebenfalls anstarrten. Mit Schrecken registrierte ich, was ich getan hatte. Ich hatte geflucht, laut, gegen Gott und das mitten auf der Straße, als Mönch! Sofort sank ich wieder in meine demütige Haltung zurück und räusperte mich verlegen, das Gesicht in meiner Kapuze verborgen. Meine Knie wurden weich und nervös schluckte ich einen schweren Kloß hinunter. Blackborn rang um seine Fassung und räusperte sich ebenfalls. „Nun…“, sichtlich verlegen griff er mich freundschaftlich am Arm und zog mich etwas abseits der starrenden Passanten. „Dann ist das natürlich etwas anderes…“, begann er besänftigend. „S-so…?“, ich lief unsicher mit und wagte es nicht, den Blick zu heben. Ich schämte mich, als hätte ich etwas unheimlich Schlechtes getan, aber ich weigerte mich, um Entschuldigung zu bitten. Wir gingen näher an den Kai, etwas abseits der vielen Stände und unsicher sah Blackborn mich an. Er musste das Gefühl haben, ich sei irgendein Mann, welcher sich als Mönch verkleidet hatte, mehr nicht. Und das zeigte er auch. Er musterte mich von oben bis unten, während er leise sagte: „Ich kann Euch helfen, aber flucht nicht. Wollt Ihr uns etwa vor den Richter bringen?“, ich schüttelte nur den Kopf und wagte es nicht aufzusehen. Selbstverständlich wollte ich das nicht. Dumm fühlte ich mich, dumm und einfältig. Als hätte ihn meine Antwort beruhigt, atmete er auf. „Also? Wohin wollt Ihr?“ Sofort fuhr mein Blick wieder hoch. „Raus aus Annonce.“ „Ja, aber wohin?“ „Raus, weg, woanders hin. Dorthin, wo es keine Kirche gibt.“, er begann zu lachen. Blackborn lachte so stark, dass ich die Sätze, die ich gesagt hatte, im Kopf noch einmal durch ging, aber mir fiel nichts auf, was so lustig gewesen wäre, dass er so laut los lachte. „Dorthin, wo es keine Kirche gibt? Guter Mann, die Kirche ist überall. Gott ist überall, jederzeit, habt Ihr das nicht als erstes gelernt im Kloster?“ „Natürlich.“, ich senkte erneut den Blick und fuhr etwas leiser fort: „Ich meine, ich möchte dorthin, wo ich neu anfangen kann…“, und hoffnungsvoll starrte ich wieder in seine tief blauen Augen. „In ein Land, wo es nicht solch harte Gesetze gibt. Wo man auch nachts hinaus kann und nicht angeklagt wird, sollte man die Sonntagsmessen nicht besuchen.“ Blackborn dachte nach und strich eine schwarze Locke hinter sein Ohr, welche sich scheinbar aus seinem Zopf gelöst hatte. Von Nahem sah er noch edler aus, bemerkte ich. Seine Haut war auffällig glatt und hell gepudert und seine Lippen schmal und lang. Ein wenig verschlagen, dennoch höflich und vornehm. Er zeigte mir seine Liste. „Seht… Ich schreibe auf, welche Schiffe anlegen und ablegen, welche Waren im- und exportiert werden, welche Kapitäne den Hafen verlassen und betreten.“, dann schaute er selbst wieder hinauf, blätterte kurz und tippte nickend auf einen der Namen. „Nun, tatsächlich weiß ich einen Kapitän, welcher Euch mit Sicherheit als Matrosen an Bord nehmen würde…“, über sein Pergament hinweg sah er mich an und bemerkte mit einem Lächeln mein wachsendes Interesse. Er schlug das Tafelbuch zu. „Sein Name ist Keith Clayton. Er fährt die Constanca.“ „Die Constanca.“, wiederholte ich und nickte zum Zeichen, dass ich verstanden hatte. Er tat es mir gleich. „Genau. Dies ist sein Schiff. Er ist ein alter Freund von mir und ich weiß, dass er noch Matrosen, sowie einen Schiffsjungen für die nächste Fahrt sucht. Als nächstes steuert er Chichao an. Chichao ist eine Stadt, etwa einen Monat von hier, in Otori. „Otori?“ Ich wurde unsicher. Zwar hatte ich vorgehabt, die Stadt Annonce zu verlassen, aber gleich das ganze Land? Ich hatte noch nicht viel vom Land St. Katherine gesehen, nicht einmal ihre gleichnamige Hauptstadt. War es richtig, gleich das Land, gar den Kontinent zu wechseln? Ich hatte noch nie zuvor in meinem Leben vom Land Otori gehört und schon gar nicht von einer Stadt, die dort angeblich liegen sollte. Ich wusste weder, wie es dort war, noch wie man dort lebte, aber das konnte ich Blackborn unmöglich sagen. Schließlich war ich ein gebildeter Mann… Entschlossen nickte ich. Ich hatte nicht vor, einen Rückzieher zu machen. Auf keinen Fall! „Das wäre wunderbar, ich danke Euch.“, sprach ich stattdessen, bemüht selbstbewusst zu klingen. Abwehrend hob er die Hände, die Holztafel unter den Arm geklemmt. Sein Tintenfass baumelte an einem kleinen Faden herum. „Noch ist nichts entschieden, also dankt mir nicht. Ich werde Euch ihm vorstellen. Er wird Euch mustern und dann entscheiden, ob er Euch anheuert. Dazu kommt, dass Ihr einen Heuervertrag unterschreiben müsst und mit diesem müsst Ihr schließlich einverstanden sein, nicht wahr? Alles Weitere liegt also nicht in meiner Hand… Aber gern stelle ich ihn Euch vor.“, er lächelte abermals, als er bemerkte, wie meine Augen zu strahlen begannen. So viel Hilfe hatte ich bei Weitem nicht erwartet und wieder schwirrte in meinem Hinterkopf der Gedanke herum, dass ich all das nur dem Ungehorsam gegenüber Gott zu verdanken hatte. Hätte ich nicht geflucht, hätte er mich mit Sicherheit weiterhin ignoriert. Um meine blasphemischen Gedanken zum Schweigen zu bringen, nickte ich abermals und verneigte mich leicht. „Vielen Dank.“ „Nein, nein. Ich danke Euch.“, er schien plötzlich viel freundlicher und aufgeschlossener als sonst zu sein und als ich mich wieder aufrichtete, strahlte er mich förmlich an. „Ich bin mir sicher, mein Freund Kapitän Clayton wird sich sehr freuen, endlich jemanden für seine Mannschaft zu finden. Ihr müsst wissen, er nimmt nicht jeden in seiner Crew. Er hasst Raubeine und Meuterer auf seinem Schiff.“ „Und Ihr meint, mich nimmt er auf?“, fragte ich ihn erstaunt. Blackborn nickte. „Ihr seid ohne Frage nicht wie jeder. Nun gut… Ich werde ihn Euch vorstellen, geht ruhig schon einmal vor.“, und während er wieder ernst wurde zeigte er mit dem Finger auf ein unheimlich vornehm aussehendes Gasthaus, das etwas entfernter des Kais lag, als andere in diesem Gebiet. Ein Zeichen dafür, dass es auch normale Gäste, statt nur herunter gekommene Matrosen bediente und demnach ein hoch angesehenes Wirtshaus war. „Dies ist die Krone. Wartet dort.“ Beschämt senkte ich den Blick. „Ich habe keine Geld.“, doch der Mann lachte und legte mir unheimlich freundschaftlich die Hand auf die Schulter. „Natürlich nicht, Ihr seid Mönch. Ich lade Euch ein, bestellt, was immer Ihr wollt. Sagt, Ihr kommt von mir, Blackborn. Der Wirt ist ein alter Freund und wird Euch gerne bedienen.“ Als ich ihn wieder ansah, war mein Blick ernsthafte Dankbarkeit, aber noch ehe ich es in Worten von mir geben konnte klopfte er mir auf die Schulter, verabschiedete sich und ging, um seinen Freund zu holen. Ohne zu zögern steuerte ich die Krone an. Als ich sie betrat überfiel mich eine unheimliche innere Wärme. In einer Ecke spielte man angenehme Musik, die Räume waren hell erleuchtet von rötlich schimmernden Goldlampen, mehrere Holzpfähle standen herum, behangen mit einigen Pflanzen, Bildern oder anderem und es herrschte eine ausgesprochen positive und freundliche Atmosphäre. Mir fiel sofort auf, dass viele ähnlich gekleidet waren wie Blackborn und dass diese Schenke vorzugsweise von Adligen oder Menschen höherer Ränge genutzt wurde. Ich setzte mich ein wenig zögernd in eine der Ecken und als der Wirt kam, grüßte ich freundlich von Blackborn. Sein skeptischer Blick wich Offenherzigkeit und er brachte mir Suppe und etwas Brot dazu. „Gibt es oft Gäste, die Freunde von Blackborn sind?“, fragte ich, als er kam, um mir nachzuschenken. Er räumte ab und nickte dabei. „Ja, Blackborn und ich machen seit langem Geschäfte. Ich verdanke ihm viel und er weiß meine gute Küche eben zu schätzen!“, lachte der Wirt herzhaft. Auch ich lächelte ein wenig, dennoch war mir nicht ganz wohl. Blackborn machte Geschäfte mit einem Wirt? Was konnten das für Geschäfte sein? Als er abermals zurückkehrte nahm er meinen Krug, um Wein nachzufüllen. Lächelnd setzte er sich ohne zu fragen vor mich. „Aber was hat ein Mönch mit dem alten Blackborn zu tun?“, neugierig sah er mich an. Ich nahm dankend den Krug entgegen. „Ach… Wir begegneten uns. Unten, am Kai. Wir-…“, er lachte, als er mein Stottern bemerkte. „Ich versteh schon. Es wundert mich ohnehin, dass ein Mönch, fern von den weltlichen Dingen, in ein Gasthaus wie dieses hier kommt.“, und dabei deutete er mit einer großen Geste auf seine bescheidene Schenke. „Da wurde mir gleich klar: Da frage ich besser nicht nach. Dieser Mönch hier ist etwas Besonderes. Das geht mich alten Mann nichts an.“ Der Wirt grinste breit, nahm einen Krug Bier und prostete mir freundschaftlich entgegen. „Auf dass die Geschäfte gut verlaufen!“ Ich tat es ihm mit meinem Wein gleich, dann nahmen wir beide einen tiefen Schluck - wobei er den Krug fast vollständig leerte. Wir begannen ein Gespräch über das Dasein als Mönch und er erwies sich als äußerst interessiert am Leben im Kloster. Viele Dinge kannte er gar nicht, so dass er sie hinterfragte und im Hinterkopf zählte ich insgeheim die Minuten, denn sympathisch war mir dieser Mann nicht. Ich glaubte zu wissen, dass er nur noch mehr Gründe suchte, um zu trinken - wahrscheinlich auf Blackborns Rechnung - denn immer wieder fand er Gründe und Dinge, auf die es sich mit Sicherheit lohnte anzustoßen und ein Toast darauf auszusprechen. Während ich, ich hatte aus meinen Fehlern gelernt, noch immer an meinem ersten Wein nippte, hatte er mittlerweile bis zu fünf Krügen gelehrt. In mir waren gewisse Zweifel, dass Blackburn erfreut war, wenn er hörte, wie viel der Wirt auf seinem Namen trank. Davon abgesehen wurde er immer rauer und lauter und mir nur umso unsympathischer. Ich sehnte mich danach, dass die Tür aufging und Blackborn endlich eintrat, gefolgt von einem großen, stattlichen Kapitän mit edlem Hut und aufrechtem Kinn. Aber Blackborn kam nicht. Nach zwei Stunden etwa begann ich dann bereits das dritte Weinglas, die Stimmung hatte sich gelockert und die Schenke wurde leerer. Der Wirt, er hießt Marc, hatte sich noch immer nicht erhoben und saß mir gegenüber. Scheinbar wurde ich ihn nicht mehr los… Aber ihn weg zu schicken wäre mir zu unhöflich. Seine Nase war stark gerötet vom Alkohol und seine Augen benebelt und nuschelnd fragte er mich irgendetwas über das Schweigegelübde. Zu meiner Verwunderung verstand ich ihn nicht, was gewiss nicht daran lag, dass er lallte. Ich sah ihn sprechen, aber seine Stimme kam erst wenige Momente darauf bei mir an, verzerrt und unverständlich. Scheinbar tat der Wein seine Wirkung, tatsächlich waren die letzten Schlucke viel leichter in mich hinein gegangen und mit krauser Stirn beugte ich mich vor, um ihn besser zu verstehen. „Wie… Wie bitte?“ „Ich sagte…“, Marc holte mit seiner rauen Hand zu einer weiten Geste aus. „…wie lange dauert so ein Gelübde denn?“, ich starrte ihn an. Gelübde? Was denn für ein Gelübde? Dann dröhnte etwas unvorstellbar in meinen Ohren. Langsam drehte ich den Kopf und erblickte den Fidelspieler. Er hatte ein neues Lied angestimmt und einige Matrosen sangen fröhlich und durch Rum gelockert laut mit. Vor meinen Augen hob und senkte er sich in alle Richtungen und der Nebel der Pfeifen schlug Wellen um ihn herum, als würde er selbst ihn erzeugen. Gerade als ich mich wieder Marc zuwandte, um zu fragen, ob das Hexerei wäre stand dieser auf und begrüßte laut und herzlich seinen Freund Blackborn. Zu meiner Verwunderung war er nicht in Begleitung eines Kapitäns, stattdessen hatte er seine Kleidung gewechselt. Nun trug er einen blutroten Mantel aus weichem Stoff mit Goldenen Knöpfen an denen abermals goldene Ketten zur Verzierung hingen. In seiner Hand trug er einen schwarzen Gehstock, an dessen Ende lediglich eine goldene, kleine Abrundung war. Mir fiel auf, dass er sein Gesicht neu gepudert hatte und sein erhabenes Aussehen wirkte nun noch stärker dadurch, dass er seine Haare streng nach hinten in einem straffen Zopf enden ließ. Er klopfte Marc auf den Rücken, dann nickte er mir freundlich zu und mir erschien sein Grinsen unheimlich breit, fast wie verzerrt. Langsam, ganz langsam setzte er sich und mir war, als würde das Wirtshaus schwanken. Unbeholfen hielt ich mich an der Tischkante und starrte ihn an, bemüht ihn zu begrüßen, aber ich schaffte es nicht, mich zu erheben. Mein Inneres wurde heiß, unglaublich heiß und ich begann zu schwitzen. Die Welt um Blackborn herum verzerrte sich und sein Lächeln wich Besorgnis. Er sprach mit mir. Aber was er sprach, verstand ich nicht. Die Bank unter mir erhob sich und krachte zurück und verwirrt durch diese Halluzinationen klammerte ich mich keuchend an den Tisch. „Ist Euch nicht gut?“, drangen Stimmen zu mir hervor. „Bruder?“ „I-ich-… Mir-…“, dann wurde mir schwarz vor Augen, aber nur einen Moment. Als ich wieder sehen konnte, zogen die beiden mich unter dem Tisch hervor. Viele der Gäste waren aufgestanden und ich nahm wie im Fiebertraum ihre Gesichter wahr. Etliche fragten, ob alles in Ordnung sei und die Stimmen wurden für mich zu einem lauten und tosenden Sturm. Hilflos klammerte ich mich an Marc und Blackborn fest, wimmernd durch die starken Kopfschmerzen und die näher rückende Übelkeit. Diese schleppten mich ins Hinterzimmer. Mein Kopf schwankte, meine Augen verdrehten sich in den Höhlen unfähig sich irgendwo zu halten und das einzige was ich hörte, war mein eigenes Keuchen. Um in das Hinterzimmer zu gelangen durchquerten wir eine Tür, bedeckt mit einem violetten und sehr staubigen Vorhang. Es herrschte Dämmern und wenn ich mich heute an diesen Raum zurückerinnere, kommt er mir vor, wie aus einem Traum. Solche Träume, welche man hat, wenn man unter starkem Fieber leidet und das Gefühl hat alles wächst und schrumpft vor einem. Es war eine Art kleine Küche, nur erhellt durch einen sanft glühenden Ofen. In der Ecke stand ein Tisch, das Messer darauf schien zu leuchten und das viele Gemüse ebenso, wie kleine Kobolde. Es gab ein Fenster verziert mit schwarzen Metallmustern über der Scheibe und vor dem Kamin saß ein riesiger, brauner Hund, der mich anglotzte. Seine Augen waren nur tiefe schwarze Höhlen, da das Licht in seinem Rücken lag, aber ich hörte sein Hecheln, als wäre er direkt neben mir. Sie setzten mich auf einen Stuhl mitten im Raum und Blackborn hielt mich an den Schultern fest, damit ich nicht fiel. Ich war unfähig zu sprechen, meine Zunge glich einem dicken Lappen und in meinem Kopf spürte ich schmerzvoll meinen eigenen Puls. Zugleich lähmte mich die Angst. Ich hatte das Gefühl, ich war mehr als nur betrunken und ich meinte, der Hund wäre kurz davor, mich anzufallen. Er war aufgesprungen und mit leicht offenem Mund starrte er mich unentwegt an. Ich sterbe., dachte ich damals immer wieder, Das ist Gottes Strafe, jetzt sterbe ich! Dann kippte mein Kopf vornüber und ich schloss die Augen, um das Gefühl zu Fallen zu vergessen. Marc begann zu sprechen: „Und? Wie viel?“ „Nicht mehr als fünfzig…“, Blackborns Stimme erschien mir kühl und zerschneidend, bestimmend. Marcs hingegen aufgeregt und wütend, besonders als er zur Antwort zischte: „Was?! Dafür die Mühe?!“ „Halt den Mund, Idiot, er ist noch wach.“ Man zog mich an den Haaren nach hinten, so dass mein Kopf im Nacken lag. Ich meinte durch den Spalt meiner Augen erkennen zu können, wie Blackborn mich mürrisch ansah. Dann ließ er meinen Kopf wieder nach vorne fallen. „Kümmere dich darum, dass er richtige Kleidung kriegt, dann werden es mindestens achtzig… Los jetzt, wir haben keine Zeit!“ Seine letzten Worte hallten in meinem Kopf wieder, als gäbe es ein endlos langes Echo. Erst nach einigen Sekunden fiel mir auf, dass ich seine Stimme immer und immer wieder in meinem Hinterkopf wiederholte. Um dem ein Ende zu setzen und wieder eigener Herr meiner Gedanken zu werden sah ich auf. Wieder starrte mich der Hund an. Anschließend grinste Marc mir mit seinen schwarzen Zahnstummeln entgegen. Er hielt mir etwas unter die Nase und angewidert nahm ich einen unheimlich scharfen Geruch war. Dann wurde mir schwarz vor Augen. Das war das letzte Mal, dass ich die beide je zu Gesicht bekam… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)