Shadows of the NewMoon von Darklover ================================================================================ Kapitel 18: 18. Kapitel ----------------------- Nataniel hatte noch nicht einmal ein Auge zu getan, als er Palia hörte, die wohl gerade dabei war, seinen Hochsitz zu erklimmen. Um ihr den Weg zu ersparen, kam er von selbst runter, um sich anzuhören, was sie zu sagen hatte. Die Neuigkeiten vertrieben sofort seine immer größer werdende Müdigkeit, trotz der er noch immer nicht hatte schlafen können, weil er sich so große Sorgen um Amanda machte. Dass sie jedoch aufgewacht war und sogar mit ihren Bruder gesprochen hatte, beruhigte ihn etwas- Allerdings würde er erst Frieden geben, wenn er sich selbst über ihren verbesserten Zustand ein Bild hatte machen können. Also gab er Palia bescheid, dass er selbst für Eric die Ablöse übernehmen würde und er nur gestört werden wollte, falls es ernsthafte Probleme geben sollte. Danach verabschiedete er sich und machte sich auf den Weg zu Amanda.   Ihre Wangen hatten etwas Farbe bekommen. Das war ihm sofort aufgefallen, als Nataniel die kleine Hütte betrat und Eric ablöste. Dieser sah zwar nicht einmal annähernd so aus, wie er sich fühlte, aber bestimmt war auch er erschöpft, weshalb er ihm aufmunternd auf die Schulter klopfte und ihm dann befahl ins Bett zu gehen. „Ich werde solange hier bleiben, bis du wieder kommst. Also ruh dich aus und komm bloß nicht auf den Gedanken, dich innerhalb einer Stunde wieder blicken zu lassen. Bis Sonnenaufgang will ich dich hier nicht mehr sehen, es sei denn, es brennt irgendwo, klar?“ Mit diesen Worten schob er den anderen zur Tür hinaus und machte sie hinter ihm wieder zu. Wenn er ein 'Bitte nicht stören'–Schild gehabt hätte, würde er es vor die Tür hängen. Verdammt, eine Leuchtreklametafel hätte es auch getan. Zwar hatte Amanda bisher wohl nicht die ganzen Besucher mitbekommen, die immer wieder ihre Köpfe herein gesteckt hatten, aber für ihn selbst war es lästig, ständig im Mittelpunkt zu stehen. Das war er einfach nicht gewohnt und auch wenn es nett von seinen Rudelnmitgliedern war, so bestand er doch nicht aus Zucker. Nataniel hielt einiges aus und die paar Kratzer würden auch bald wieder verheilt sein. Jetzt, wo sich offenbar sein Stoffwechsel um einiges beschläunigt zu haben schien und somit seine Wundheilung deutlich effizienter von statten ging. Woran das lag, konnte er allerdings wirklich nicht sagen und seine Vermutungen waren alles andere als glaubwürdig. Da er sich aber sicherlich nicht beschweren würde, trat er leise an Amandas Bett heran und nahm ihre Hand. Sie hatte immer noch etwas kühlere Finger als er, aber normalerweise war das noch deutlicher zu spüren. Wenigstens schien das Fieber zurückgegangen zu sein. Als er seine Hand kurz prüfend auf ihre Stirn legte, kam er zum gleichen Urteil, wie bei ihren Fingern. Einerseits war das Fieber gut, da es die Bakterien abtöten würde, andererseits war es auch ein Zeichen für eine Entzündung im Körper gewesen. Vielleicht aber auch einfach nur eine durch Stressreaktion bedingte Temperaturschwankung. Und dass Amanda Stress gehabt hatte, stand außer Frage. Seufzend zog sich Nataniel einen Stuhl so nahe ans Bett, dass er immer noch ihre Hand halten konnte. Er mochte ihre weiche Haut sehr. Aber nichts im Vergleich zu ihrem verführerischen Duft. In dem Bewusstsein, dass sie tief und fest schlief, hob Nataniel Amandas Hand an sein Gesicht und sog erst an dem Geruch von ihrem Handrücken, ehe er seine Nase gegen ihre Handfläche drückte und so tief Luft holte, dass ihm leicht schwindelig wurde. Oh ja, auf gewisse körperliche Art duftete sie wirklich zum Reinbeißen gut. Der Panther schnurrte in seinem Kopf, während er sich wieder an die Gitterstäbe schmiegte und leise gurrte. Er wollte spielen. Nataniel hätte das in einer anderen Ausgangssituation ebenfalls in Betracht gezogen, aber im Augenblick war er einfach nur froh, dass es ihr schon etwas besser ging und sie dem Tod von der Schippe gesprungen war. Am liebsten würde er sie ausschimpfen, weil sie sich in den Kampf eingemischt hatte. Klar hätte ihn der Gepard überrascht, aber um einen tödlichen Hieb auszuführen, hätte dieser ihm schon an die Gurgel springen und sofort zubeißen müssen. Allerdings war Nataniel in diesem Augenblick nicht in der dafür optimalen Position gewesen. So wäre er vermutlich mit ein paar blutigen Spuren an seinem Körper mehr davon gekommen. Aber selbst wenn es tödlich geendet hätte, Amanda sollte sich nicht noch einmal für Nataniel auf diese Weise einsetzen. Er schuldete ihr bereits ein Leben und jetzt sogar zwei. Es gab einfach keine Gründe dafür, dass sie sich immer wieder für ihn gegen den Tod stellte und sich dabei selbst in Lebensgefahr brachte. Schon gar nicht, wenn er eigentlich sie beschützen müsste. Aber auf dem Gebiet hatte er auch gründlich versagt, nicht wahr? Immerhin war er zu ihrer Rettung gekommen und ließ dabei zu, dass man sie verletzte. Noch einmal durfte das nicht passieren. Da Amanda aber im Augenblick ohnehin ans Bett gefesselt war und sie hier im Lager vermutlich auch in Sicherheit sein dürften, legte Nataniel seinen Kopf neben ihrer Hand aufs Bett und schmiegte seine Wange hinein. Einerseits da sie so immer wieder mit seinem Geruch an das Rudel gebunden wurde und andererseits da er nur jetzt die Möglichkeit besaß, sie anzufassen, ohne dass sie gleich wieder eine Wahnsinnsangst vor ihm bekam. Die Chance musste er nützen, solange er konnte. Danach würden sie sich vermutlich wieder gegenseitig angiften. Aber irgendwie freute er sich auch darauf. Sie war eine würdige Gegnerin, die er gerne neckte, um von ihr geneckt zu werden, auch wenn es sich wohl eher wie verbale Arschtritte anhören musste. Er fand es auf jeden Fall amüsant. Wenn er aber an das Frühstück im B&B dachte, sank seine Stimmung ins Bodenlose. Das würde sie nicht vergessen haben und er garantiert auch nicht. Nataniel war klar, dass sie vor allem gegen seine unkontrollierte Wut solch eine Abneigung gezeigt hatte, weil er sie damit nicht nur in Gefahr gebracht, sondern auch in Angst und Schrecken versetzt hatte. Aber trotz allem, es lag in seiner Natur und es würde immer einmal wieder vorkommen, auch wenn er nächstes Mal noch besser darauf achten würde, dann alleine zu sein. Nataniel konnte die Wut und die Aggressionen dennoch genauso wenig abstellen, wie er seine neuen Gefühle als Alphatier ignorieren konnte. Er wollte kein Anführer sein und trotzdem hatte ihn das Schicksal genau in diese Rolle hinein getreten. Jetzt musste er selbst sehen, wie er damit klar kam und zwar möglichst ohne weitere Verletzte. Schwermütig seufzend schloss Nataniel die Augen und versuchte einfach an gar nichts mehr zu denken, außer an die weiche kühle Hand an seiner deutlich wärmeren Wange. Mit einem Gefühl, als würden Tonnen auf seinen Schultern lasten, setzte sich endlich die Müdigkeit gegen seine Sorgen um Amanda und das ganze Rudel durch, woraufhin er auf der Stelle in tiefen Schlaf versank.   ***   Ein gequältes Murren entkam ihr, als sie sich wieder auf die falsche Seite umdrehen wollte. Es war so wie damals, als sie sich den Arm gebrochen hatte und sich die Nacht, in der sie nur auf dem Rücken schlafen konnte, angefühlt hatte, als hätte man sie am Bett festgezurrt. Gerade dann, wenn sie sich nicht bewegen sollte, hatte sie das größte Bedürfnis es zu tun. Aber es tat im ersten Moment höllisch weh und bewirkte keinerlei Erleichterung vom Bewegungsdrang. Allerdings war sie jetzt wieder wach. Amanda schlug die Augen auf und sah an ihrer Seite hinunter, wo Nataniel mit dem Gesicht auf ihrer Hand lag. Er berührte sie zwar nur an dieser Stelle, aber Amanda hatte das Gefühl, dass seine Körpertemperatur den ganzen Raum hätte heizen können. Ihre Augen suchten den Bungalow nach Anderen ab, aber sogar Eric schien gegangen zu sein und sie war mit Nataniel allein. So gut sie eben konnte und vor allem so leise wie möglich, um ihn nicht zu wecken, drehte sie sich ein wenig und rückte von ihm weg. Allerdings eher, um ihn beim Schlafen betrachten zu können, als aus dem Grund, nicht so nah bei ihm sein zu wollen. Man sah ihm den Kampf, den er hinter sich hatte, kaum an. Vielleicht täuschte sein entspanntes Gesicht, aber er sah noch nicht einmal wirklich mitgenommen aus. Die Narbe über seinem Auge war inzwischen auch nicht mehr als ein hellrosa Streifen und die Kratzer auf seinen Armen waren ebenfalls schon am verheilen. „Deine neue Rolle scheint dir gut zutun“, raunte sie mehr sich selbst als Nataniel zu, brachte dabei aber kein Lächeln zustande. Amanda ärgerte sich ein wenig über sich selbst, dass der Gedanke, dass Nataniel die Nachfolge seines leiblichen Vaters angetreten hatte, sie bitter machte. Sie erinnerte sich noch zu gut an seine Wut über die Organisation, über Amanda selbst, weil sie zur Moonleague gehörte… Amanda war sich nicht sicher, ob er dafür bereit war diese Rolle zu übernehmen. Er war impulsiv, leicht zu reizen und wahnsinnig von sich selbst eingenommen. Das konnte eine verdammt explosive Mischung sein, die nicht gerade dazu geeignet war Frieden zu stiften. Aber was ging sie das eigentlich an? Sie hatte sich in sein Vorhaben oder sein Leben nicht einzumischen. Vorsichtig zog sie ihre Hand unter seiner Wange heraus, was ihn dazu brachte kurz scheinbar unzufrieden die Stirn zu runzeln. Aber die Erschöpfung war wohl zu tief, weswegen er weiter schlief, ohne die Augen geöffnet zu haben. Amanda konnte ihren Blick nicht von Nataniel abwenden, während sie darüber nachdachte, dass sie sich tatsächlich einmischen musste. Zumindest wenn er mit seiner Meinung über die Moonleague unrecht hatte. Dann müsste sie diesem internen Krieg der Wandler ein Ende bereiten. Um sie alle zu registrieren und unter die Kontrolle der Organisation zu bringen. Dieser Gedanke, der sich wie ein dunkler Schatten über ihr Gemüt legte, ließ sie nun doch wegsehen und ihre Augen Richtung Decke wenden. Sie hatte die Hände über ihrem Bauch gefaltet und strich unwissentlich mit den Fingern über ihren immer noch warmen Handrücken. Was sollte sie nur tun? Nataniel hatte ihr das Leben gerettet. Aber wenn sich alles aufklären sollte, dann würden sie an unterschiedlichen Fronten stehen. So, wie es gewesen war, als sie ihn in diesem Käfig gefunden hatte. Die Vorstellung widerstrebte ihr zutiefst, aber es war nicht besser, wenn sich die Organisation als Lügengebilde herausstellen sollte. Dann stand sie vor einem Trümmerhaufen, hatte nichts und niemanden und war noch dazu selbst auf der Flucht. Denn falls Nataniel Recht haben sollte, würde das bedeuten, dass Amanda nie wieder zur Organisation zurückkehren würde. Ganz im Gegenteil, sie würde sich sofort zu deren Feind erklären. Und dann wäre sie noch mehr eine Gejagte als Nataniel und sein Rudel, denn anders als er, war sie registriert. Am liebsten hätte sie Nataniel in diesem Moment aufgeweckt, um mit ihm darüber zu reden. Wieder sah sie ihn an, wie er völlig ruhig auf ihrem Bett lag. Er sah wirklich so aus, als könnte er kein Wässerchen trüben. Vielleicht stieg ihr die Verletzung zu Kopf, weil sie doch Fieber hatte, aber Amanda fand es in diesem Augenblick schade, dass sie zu zwei verschiedenen Arten gehörten. Zurückhaltend streckte sie ihre Hand aus, auf der zuvor seine Wange gelegen hatte. Sie konnte sogar noch einen Zentimeter von seinem Gesicht entfernt spüren, wie viel Wärme er ausstrahlte. Millimeter über seiner Haut schwebte ihre Hand von seiner Augenbraue zu seinem Mundwinkel hinunter. Amanda wagte kaum zu atmen, um ihn nicht aufzuwecken. Schließlich lächelte sie ihn an und zog ihre Hand unter das Leintuch und die Decke und schloss wieder die Augen, ohne tatsächlich einzuschlafen. Sie würde sich nur weiter ausruhen, bis er aufwachte. Vielleicht hatte er ein wenig Zeit zum Reden, bevor die Pflicht ihn wieder rief.   Im Schlaf bemerkte er, wie sich die samtene Weichheit seiner Wange entzog, was er nur unwillig hin nahm. Aber er war so müde, er hätte auch auf einem Nagelbrett schlafen können, ohne sich zu beschweren. Es war ohnehin ein tiefer traumloser Schlaf. Tiefer als gewöhnlich, aber dafür umso erholsamer. Dennoch entging ihm dieses sanfte Prickeln auf seiner Haut nicht, als sich etwas über seinem Gesicht bewegte. Woher er das wusste oder spüren konnte, war ihm schleierhaft. Er wusste nur, dass er das Gefühl mochte und sich wie immer nach mehr sehnte. Aber er durfte es nicht haben. Es wurde ihm wieder entzogen. Eine weitere Enttäuschung und doch so viel mehr, als er eigentlich erhoffte. Der Panther schnurrte selig im Schlaf und auch er streckte sich etwas aus. Vergrub sogar sein Gesicht tiefer in das weiße Laken, um noch intensiver den herrlichen Duft wahrzunehmen, der ihm immer wieder die verlockendsten Tagträume bescherte, wenn er nicht aufpasste. Samtene Haut, seidiges Haar, Augen so goldbraun wie köstliches Karamell und ein Körper der sein Männerherz höher schlagen ließ ... in den ein Gepard seine Zähne versenkte. Nataniel fuhr mit weit aufgerissenen Augen hoch und wäre mit dem Stuhl beinahe hinten über gekippt, als sich die Vorderbeine bereits bedrohlich in der Luft befanden. Doch er bekam noch einmal sein Gleichgewicht wieder, was die Stuhlbeine lautstark zurück auf den Boden krachen ließ. Wenn das Amanda nicht geweckt hatte, musste sie wirklich tot sein. Völlig erschrocken hielt er sich seine Hand aufs Herz, ehe er sich mit der anderen in einer Geste der Frustration, Sorge und Hoffnungslosigkeit über das Gesicht fuhr. Da war wieder die tonnenschwere Last und drückte ihn nieder, kaum, dass er die Augen geöffnet hatte.   Amanda fuhr bei dem Krach erschrocken zusammen und keuchte, als ihr der Schmerz ihrer Wunde in die Seite stach. Mit etwas wässrigen Augen sah sie zu Nataniel, der sich mit der Hand übers Gesicht fuhr. „Nicht nötig Tote aufzuwecken. Ich bin nur verletzt.“ So wie er aussah, hatte er sich fast mehr erschrocken als sie selbst. Wahrscheinlich hatte ihr, was auch immer gerade passiert war, direkt aus dem Tiefschlaf geholt. Zumindest sah er so aus, als wäre er ein bisschen neben der Spur. Das erste Mal versuchte Amanda sich zum Kopfende des Bettes hochzuziehen und sich ein wenig aufzusetzen. Wieder keine gute Idee, was ihre Seite anging, aber sie wollte einfach nicht mehr liegen. Schon gar nicht vor Nataniels Augen. Ihm gegenüber kam sie sich sowieso schwach vor, da musste sie den Eindruck nicht noch unterstützen. Seine blauen Augen blinkten zu ihr herüber und er versuchte ihr dabei zu helfen, sich aufzusetzen. Allerdings waren sie dabei beide etwas ungeschickt. Amanda wurde erst jetzt, da er sie berührte, richtig bewusst, dass sie nur dieses dünne Leintuch und die Decke darüber am Leibe trug. Natürlich interessierte Nataniel das nicht. So wie er mit Nacktheit umging, würde er es nicht einmal bemerken, wenn sie ohne das Leinen vor ihm läge. Trotzdem war es ihr unangenehm und sie ließ sich zwar helfen, hielt dabei aber einigermaßen verkrampft die Decke an ihre Brust gepresst. Als sie endlich saß, ohne den Biss in ihrem Bauch zu belasten, sah sie ihm in die Augen. Es kam ihr so vor, als hätte sie das schon lange nicht mehr getan. Dabei war es erst… Sie hatte ehrlich keine Ahnung, wie lange es her war. Amanda konnte nicht einmal sagen, ob sie nur eine oder mehrere Nächte hier in diesem Bett verbracht hatte. „Du bist Anführer, hab ich gehört.“ Was für ein plumper Anfang für ein Gespräch, aber ihr fiel beim besten Willen nichts Besseres ein. „Glückwunsch.   Als Amanda ihn ansprach, blieb ihm einen Moment sogar das Herz stehen, ehe es schnell weiter raste, da ihm noch immer der Schreck in den Knochen saß. Allerdings war er auch verdammt froh, dass sie wieder aufgewacht war und noch dazu Witze reißen konnte. Auch wenn das wohl eher unter schwarzen Humor fiel. Er fand es auf jeden Fall kein Bisschen komisch. Erst recht nicht, als sie versuchte sich aufzusetzen. Da er nicht einfach zusehen konnte, wie sie sich abmühte, weil er dann vermutlich noch überheblicher auf sie wirken würde, half Nataniel Amanda, sich vorsichtig aufzusetzen. Er tat es nicht, wegen seinem Image, sondern weil er nicht wollte, dass sie unnötig Schmerzen erlitt. Aber das musste sie ja nicht unbedingt wissen. Wieso sonst klammerte sie sich an ihr Laken, als könne er sie jeden Moment auffressen? Als würde er ihre Schwäche ausnützen! Aber anstatt eines bissigen Kommentars darüber, dass er im Moment andere Sorgen hatte, verkniff er sich jedes einzelne Wort und setzte sich wieder. Dabei achtete er sogar darauf, so unscheinbar wie möglich auf dem Stuhl zu sitzen, was nicht wirklich möglich war. Das Möbelstück wirkte unter ihm regelrecht filigran. „Danke“, antwortete Nataniel schließlich auf ihre Glückwünsche und versuchte dabei keinen Tonfall zu treffen, der ganz ehrlich zeigte, wie wenig glücklich er über diesen Umstand war. „Möchtest du etwas essen? Die Suppe ist bestimmt schon kalt geworden, aber ich kann dir etwas Warmes bringen“, fragte er ruhig, um sein inneres Zittern zu verbergen. Sie wieder wach zu sehen, erleichterte ihn mehr, als vermutet und nahm ihm im Augenblick sogar den Rest der Sorgen. Natürlich hatte er Verpflichtungen, aber momentan brauchte ihn niemand und sollte sich das ändern, würde man ihm Bescheid geben. Er war sicher der Erste, der es erfuhr und etwas unternehmen musste. Fast wäre ihm erneut ein schwerer Seufzer entkommen, doch er riss sich zusammen. Weshalb er sich auch dazu zwang, Amanda anzusehen. „Ich habe gehört, du hast mit deinem Bruder geredet? Möchtest du ihn sprechen? Ihr habt euch sicher viel zu erzählen.“ Er war ja nicht so sehr wichtig. Eben nichts weiter als ein wildes Tier. Amanda gehörte zu dem Menschen, der ihr etwas bedeutete – zu Eric. Wie gut, dass sich die Geschwister wieder hatten. Das musste Amanda sicher sehr freuen. Immerhin war Eric doch der Grund gewesen, weshalb sie überhaupt hierher gefahren war. Sofort legte sich eine bleierne Schwere in seinen Magen und ein Gefühl, als würde man ihm Eiswasser in den Nacken gießen, überkam ihn. Wenn Amanda ihren Bruder wieder hatte, würden die beiden doch sicher wieder gehen, oder nicht? Immerhin war Eric nun in Sicherheit und vor allem wohlbehalten. Mehr wollte Amanda doch gar nicht, oder? Es sei denn … nein, sie hatte gesagt, sie war nicht wegen der Registrierung hier. Zumindest nicht wegen seiner, aber was war mit dem Rest seines Rudels? Sofort schlug das Alphatier in ihm zu und ein Knurren wollte ihm entkommen, doch zugleich fühlte es sich verdammt falsch an, Amanda anzuknurren. Das war nicht das, was er wollte. Ganz im Gegenteil. Der Gedanke, sie würde wieder weggehen, behagte ihm gar nicht. Er wollte sie nicht gehenlassen. Sie gehörte zu ihm! Wie Eric war sie nun Teil dieses Rudels. Sein Duft hing unverkennbar an ihr. Jeder andere Gestaltwandler außerhalb seines Clans würde das wissen, genauso wie die Tatsache, dass man verdammt großen Ärger bekam, sollte man ihr oder ihrem Bruder etwas antun. Sie waren alle eine große bunte Familie. Und die wurde beschützt!   Sein 'Danke' passte hervorragend zu ihren Glückwünschen, denn es bedeutete rein gar nichts. Diesen Teil der Unterhaltung hätten sie sich schon mal sparen können. Als er allerdings die Suppe erwähnte, die Amanda überhaupt nicht neben ihrem Bett hatte stehen sehen, überlegte sie kurz. Ein kleines Hungergefühl hatte sie schon, aber sie wollte nicht, dass er sie allein ließ. Aus irgendeinem Grund, der vielleicht in seinem Blick oder auch in seinen nächsten Worten lag, hatte Amanda Angst, er würde nicht wiederkommen, sobald er den Raum verlassen hatte. Deshalb winkte sie auch ab und antwortete leichthin auf seine Frage nach Eric. Geh nicht weg!, schrie sie ihn irgendwo unhörbar in ihrem Hirn an, was sich äußerlich nur dadurch zeigte, dass sie ihn unentwegt ansah. „Nein, ist schon gut. Wir haben ein wenig geredet. Er muss sich auch ausruhen.“ Es sah so aus, als hätte ihr Nataniel gar nicht zugehört. Seine Miene war verschlossen und frustriert, wechselte zu verwirrt und schließlich wurde er wütend. Was hatte sie denn jetzt schon wieder getan, um ihn aggressiv zu stimmen? Amanda hatte es schon bei manchen Menschen geschafft, sie durch ihre bloße Anwesenheit auf die Palme zu bringen. Aber dann war das ihre Entscheidung gewesen. Bei Nataniel hatte sie keine Ahnung, was ihn aufregte. Sie hatten über nichts gesprochen. War es der bloße Gedanke, wen sie verkörperte, der ihn wütend machte? „Darf ich dich um einen Gefallen bitten?“ Sein Gesichtsausdruck war offen und fragend. Ganz anders, als seine versteinerte Miene, die er eben noch aufgehabt hatte, während er tief in Gedanken versunken gewesen war. „Ich weiß, dass es dir wahrscheinlich nicht recht ist. Aber so schnell kann ich hier nicht weg.“ Sie sah ihm weiter in die blauen Augen, während sie unwillkürlich in sich hineinfühlte, ob sie vielleicht sagen konnte, wann sie Nataniels Wunsch nachgeben und verschwinden konnte. „Bald sollte ich Nachrichten bezüglich meiner Nachforschungen bekommen … Egal wie die Antwort ausfällt, ich hab dir versprochen, dass ich dich nicht verrate. Ich werde kein Kommando anfordern, um euch alle zu registrieren.“ Weiter sah sie ihm stur in die Augen, die ihren Blick festhielten. „Aber ich kann nichts tun, damit sie euch nicht irgendwann doch finden. Zumindest nicht, wenn du Unrecht hast.“ Nun sah sie doch auf ihre Hand, die immer noch verkrampft die Decke festhielt. Aber für die Frage brauchte sie sich weder zu schämen, noch sich unterlegen zu fühlen. Das tat sie ohnehin. Also sah sie wieder hoch und versuchte nicht zu flehentlich zu klingen. „Können Eric und ich unbehelligt hierbleiben, bis ich so fit bin, dass ich es zurück schaffe? Ich verspreche dir, dass du mich danach nie wieder sehen wirst.“ Warum versetzte es ihr einen Stich, das zu sagen? Es war doch die Wahrheit. Wenn er sie wegschickte, gab es keinen Grund wiederzukommen. Und er betrachtete sie als Feind. Nichts Anderes würde sie je sein.   Die völlig unerwartete Tatsache, dass Amanda ihn um einen Gefallen bitten wollte, riss ihn effizient wieder ins Hier und Jetzt zurück, wo sie ihn immer noch ansah, als könne sie ihn mit Blicken an sich fest pinnen. Zumindest war es fast unmöglich, wegzuschauen. Schweigend hörte er ihr zu, versuchte ihre nur dürftigen Gesichtszüge und Regungen zu interpretieren, während er selbst von Gefühlen hin und her gerissen wurde. Zuerst war da einmal Verblüffung, weil sie ihn um einen Gefallen bat. So wie er sie kannte, musste ihr das schwer fallen, andererseits war es anhand der Tatsache, dass sie nur wegen ihm hier war, völlig blödsinnig, ihn um etwas zu bitten. Er würde für sie alles tun, was nötig war, um seine Schuld bei ihr zu begleichen und noch einiges darüber hinaus. Immerhin schuldete er ihr sein Leben. Dann kam auch schon der nächste Schlenker in seine Magengrube. Glaubte sie wirklich, ihm wäre es nicht recht, dass sie hier blieb, bis sie von selbst gehen wollte? Für was für ein herzloses Arschloch hielt sie ihn eigentlich? War er echt so? Oder hatte nur sie den Eindruck gewonnen? Gut, er war nicht gerade ein Gentleman und ihr gegenüber hatte er auch schon ganz andere Seiten gezeigt, aber ein gefühlskalter Bastard war er auch nicht. Trotzdem war es mehr die Tatsache, dass sie es wohl bedauerte, nicht so schnell von hier weg zu können, die ihn eiskalt erwischte. Also hatte er recht gehabt. Sie würde so schnell wie möglich von hier verschwinden. Wenigstens würde er sie nicht aufhalten müssen, weil sie die Sache mit der Registrierung einfach beiseite schob. Nataniel bezweifelte, dass sie etwas tun könnte, selbst wenn sich herausstellte, dass all das, was er von der Moonleague gehört hatte, sich als falsch herausstellte. Man würde sie immer jagen. Deshalb war er hier. Seine schwere Pflicht würde es sein, von nun an Anstelle seines Vaters den Clan vor der Registrierung und anderen Feinden wie diesen Nicolai zu beschützen. Er würde dafür sorgen müssen, dass die Jungen in Frieden aufwachsen konnten und es nicht noch mehr blutige Opfer gab. Vielleicht würden sie eines Tages auch einen sicheren Ort finden, wo sie in Ruhe gelassen wurden. So wie seine Pflegefamilie. Da er ohnehin schon wusste, dass Amanda nur hier blieb, da sie durch ihre Verletzungen ans Bett gefesselt war, konnten ihre letzten Worte ihn kaum noch treffen. Er würde sie gehen lassen … ja, das würde er. Aber der Gedanke alleine war so schwer, wie ein Sack voll Steine. Noch dazu, weil sie auch noch versprach, ihn nie wieder zu sehen. Sein Gesicht war seltsam ausdruckslos und seine Augen ruhten auf einem Punkt am Boden. Weshalb sie die Gefühle darin nicht lesen konnte. Seine Augen waren stets das einzige Zeichen an ihm, das seine Emotionen nicht verbergen konnte. Sie mochten so kalt wie Eiskristalle sein, aber diesen Eindruck erweckten sie nur selten. „Eric hat bereits zu diesem Rudel gehört, als mein Vater es noch anführte“, begann er langsam und jedes Wort wohl überlegt. „Und seit ich das neue Alphatier bin, wird niemand auch je anzweifeln, dass du nicht ebenfalls zum Rudel gehörst. Du kannst also solange bleiben, wie du möchtest. Der Clan wird euch beide beschützen.“ Der Panther in seinem Kopf brüllte lautstark, als wolle er bekunden, dass es ihm lieber wäre, wenn er alleine als ihr Beschützer fungierte. Aber diesen nachlässigen Schutz konnte er nicht riskieren. Er hatte schon einmal versagt. Er würde wieder versagen. Nataniel stand auf, sah sie aber immer noch nicht an. Seine Gefühle tobten hinter seinen Augen. Amanda hatte ja keine Ahnung, wie schwach sie ihn machte. Auf eine Art, die er noch nicht kannte. Da er ohnehin schon so oft in ihrer Nähe Schwäche gezeigt hatte und jetzt auch noch als Anführer stark sein musste, brauchte er einen Moment, um sich wieder zu fangen. Alleine. „Du musst etwas essen. Ich werde dir etwas Wärmendes bringen.“ Bei der Tür zögerte er noch einen Moment und wagte einen kurzen Blick über seine Schulter zu ihr zurück. „Du liegst übrigens falsch. Egal wie lange du bleiben willst, es ist mir recht.“ Danach öffnete er die Tür und glitt in die Nacht hinaus, um Essen und frische Kleider für sie zu besorgen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)