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Orangenblüten

Zemyx
von

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Prolog

Komplette Finsternis hüllte den Raum ein wie ein dunkler Vorhang. Kein Lichtschein fiel unter der Tür hindurch in den Flur, die Fenster waren geschlossen, die Jalousien heruntergelassen. Die einzige Lichtquelle war ein kleiner Radiowecker, der beharrlich mit seinen neongrünen Ziffern die Uhrzeit verkündete: 3:21 Uhr nachts. Ab und zu hörte man draußen ein Auto vorbeifahren oder die Bäume, die sich im Wind bewegten, die Vögel würden erst viel später erwachen und mit ihrem Konzert die Stadt zu neuem Leben erwecken. Aber momentan war es noch Nacht, eine tote Zeit, gefühllos und abweisend aber gleichzeitig auch entspannend ruhig. Sie machte alles gleich, die Häuser, die Bäume, die Menschen, hüllte alles gleichermaßen in eine Stille, die der des Todes wohl näher kam als jede andere.

Niemand würde vermuten, dass sich in diesem Moment eine einzelne Person von der Masse abhob, nicht vom Nebel der Nacht verschluckt wurde, ein einzelnes geöffnetes Augenpaar unter den tausend schlafenden einer Großstadt.

Dunkelblaue Augen, im schwachen Licht schwarz erscheinend, wanderten ruhig durch den vertrauten Raum, trotz der schlechten Lichtverhältnisse erstaunlich klar sehend. Sie streiften zuerst die Bettdecke, dann den Stuhl, auf dem ein unförmiger Haufen kaum als die Kleider vom Vortag auszumachen war, dann den Tisch mit haufenweise weißen Blättern, die sich kontrastreich von dem grauschwarz des Raumes abhoben. Seine Augen waren an Dunkelheit gewöhnt, er saß oft nächtelang im Dunkeln ohne eine einzige Lichtquelle und so hatten er sich der Finsternis angepasst und gelernt, mit ihr zu leben. Er wusste genau, dass er später einmal Probleme mit seinen Augen bekommen würde, aber momentan war ihm das relativ gleichgültig. Es zählte nur, die Stunden bis zum Morgen herumzukriegen, in denen er nicht schlief, und das waren viele. Es war nicht seine Schuld, er war hoffnungslos schlafgestört. Aber er spürte den Schlafmangel auch nicht, er wurde nie müde. Kein Wunder, dass ihn die Anderen langsam für einen Außerirdischen hielten, er schlief nicht, aß so gut wie nichts… also normal war das wirklich nicht!

Langsam stand er aus dem Bett auf, vorsichtig, um bloß keinen Lärm zu machen. Sollte sein Vater ihn hören würde er seine Glühbirne weitere drei Wochen weggenommen bekommen und im Dunkeln sitzen müssen und das war gerade jetzt, wo die Tage langsam aber sicher immer kürzer wurden, nicht sehr angenehm. Er seufzte lautlos. Die Bestrafung mit dem Licht war -direkt nach den Schlägen- die Lieblingsbestrafung seines Vaters. Sie war ihm in den Sinn gekommen, als er bemerkt hatte, dass Stubenarrest ihm kaum etwas ausmachte, er verbrachte die Zeit sowieso lieber drinnen. Und sein Vater benutzte sie immer öfter, praktisch jedes Mal wenn ihm etwas an seinem Sohn nicht gefiel -und das war ständig-, und er Angst hatte, die blauen Flecke und Narben würden in der Schule auffallen. Denn das war die größte Angst seines Vaters: es könne bekannt werden, wie er seinen verhassten Sohn behandelte und er würde als Verbrecher abgestempelt werden.

Ja, sein Vater hasste ihn wirklich, dessen war sich Zexion durchaus bewusst, er bekam das schließlich jeden Tag mindestens dreimal zu hören. Aber dumm war sein Vater nicht. Er quälte ihn, misshandelte ihn, aber immer nur so sehr, dass niemand es mitbekam. Er erlaubte ihm nichts, außer den Dingen, die mit der Schule zu tun hatten um seinen Notendurchschnitt aufrecht zu erhalten, damit ja niemand etwas merkte. Und das funktionierte. Schon seit siebzehn Jahren.

Geräuschlos ging er durch den Raum, ohne zu zögern -er stolperte längst nicht mehr im Dunkeln- auf das große Bücherregal zu, das Heiligtum seines Zimmers. Das Lesen war seine absolute Lieblingsbeschäftigung, nicht allein, weil es die einzige Beschäftigung war die sein Vater ihm erlaubte. Er liebte es, in andere Welten einzutauchen, die heller waren als seine eigene oder auch dunkler, je nachdem, in welcher Stimmung er gerade war. Hauptsache er konnte seiner eigenen Realität für einige Stunden entfliehen. Hätte er diese Beschäftigung nicht, wäre er bestimmt längst an seiner Situation verzweifelt. So aber schien es ihm, als ob die Bücher ihm Mut machen wollten, ihn unterstützten. Sie hatten ihn gelehrt, mit der perfekten Rationalität und Logik, die die Buchstaben verkörperten, zu denken und zu handeln, sie auf das tägliche Leben zu übertragen. So überstand er auch den Schulalltag, den er fast ebenso sehr hasste wie sein sogenanntes “Zuhause” oder seine Familie.

Fast zärtlich strich Zexion über den Rücken eines schon viel zu oft gelesenen Buches und zog es vorsichtig heraus. Ohne ein Geräusch zu machen setzte er sich auf den Boden und begann zu lesen. Die Buchstaben vertrieben -wie so oft- die Schatten der Nacht, so lange, bis vor den Fenstern die Vögel ihr Konzert begannen.

1. Kapitel - Orangenblüten sind bunt

Tit-tit. Tit-tit. Tit-tit.

Ein kleiner Wecker versuchte verzweifelt, auf sich aufmerksam zu machen. Sein Piepsen hallte durch den Raum mit der hellblauen Tapete und den dunkelblauen Möbeln, der immer den Eindruck einer Wasserwelt vermittelte. Eine strandfarbene Bettdecke verschluckte das Geräusch gierig und ließ offensichtlich keinen einzigen Ton zu demjenigen durchdringen, der momentan unter ihr lag und noch tief und fest schlief. Das Piepsen des Weckers wurde immer lauter und aufdringlicher, sein Besitzer ließ sich davon jedoch nicht stören, sondern schlief einfach weiter. Erst nachdem das Gerät seit etwa dreißig Minuten auf ein absolut durchdringendes “Tiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiit!” übergegangen war, begann der Deckenberg, sich zu regen. Verschlafen blinzelte zunächst ein Auge hervor, dann schob sich eine Hand heraus, schlug unsanft auf den armen Wecker und zog ihn zu dem noch unter der Decke verborgenen Körper hin, um die Uhrzeit sehen zu können. Dann ein erschrockenes Luftholen und die Bettdecke flog hochkant quer durch das Zimmer und blieb reglos neben dem Mülleimer liegen. Der Bewohner des blauen Zimmers war aufgesprungen und wühlte nun hektisch in den Schubladen eines blauen Schrankes, wobei unzählige bunte Socken und T-Shirts ebenfalls auf dem Boden landeten.

“Scheiße!” Ein weiteres T-Shirt wurde herausgezogen und auf den Boden geworfen. “Scheiße, Scheiße, Scheiße!” Ein hellgrünes T-Shirt wurde vom Boden aufgehoben, für gut befunden und über den Kopf des Bewohners gezogen, während gleichzeitig eine schwarze Hose ein neues Zuhause unter dem Schrank fand. Demyx war absolut in Eile!

“Wie kann man nur an seinem ersten Schultag verschlafen?!”, fragte er sein Spiegelbild entnervt, während er sich bemühte, seinen Gürtel mit einer Hand zu schließen und mit der anderen gleichzeitig seine Schuhe zuzubinden. Nach einem viel zu langen Kampf hatte er es schließlich geschafft, sich fertig anzuziehen und stürmte aus dem Zimmer, natürlich nicht ohne vorher noch einmal über die am Boden liegenden Anziehsachen zu stolpern. Dann polterte er die Treppe hinunter, schnappte sich im vorbeigehen einen Apfel aus der Küche, sowie seine Schultasche aus dem Flur und raste zur Tür hinaus, verfolgt von den irritierten Blicken der Nachbarn, an denen er wie ein Tornado vorbeirauschte. Völlig außer Atem kam er schließlich am Schulgebäude an, gerade in dem Moment, als ein lautes Schrillen den Unterrichtsbeginn ankündigte. Er hatte es wieder nicht geschafft, pünktlich zu sein. Resigniert seufzte er, atmete tief ein und klopfte an die geschlossene Tür seines neuen Klassenzimmers.
 

Als es an die Tür klopfte drehten sich achtundzwanzig Augenpaare fast völlig synchron um und fixierten denjenigen, der jetzt das Klassenzimmer betrat. Auch Zexion blickte zur Tür, erleichtert über die Störung des Unterrichts, der ihm schon jetzt viel zu lang vorkam. In den fünf Minuten, in denen er jetzt in diesem Klassenzimmer saß, hatte er schon mindestens drei Schimpfnamen -allesamt uralt und schon viel zu oft gehört um noch einen Gedanken an sie zu verschwenden-, einen Bleistift -eine Seltenheit, Bleistifte waren normalerweise nicht wertlos genug, um geworfen zu werden- und mindestens zehn Papierkugeln an den Kopf geworfen bekommen. Es war nur zu offensichtlich, dass seine Klassenkameraden ihn nicht mochten.

Einen Moment fixierte er den Jungen, der gerade hereingekommen war, fast analytisch, nur um sich dann wieder abzuwenden. Das war also der neue Klassenkamerad, derjenige, über den seit Wochen geredet wurde. Wer wechselte schon mitten im Schuljahr die Schule?! Er war also das Gesprächsthema der letzten Wochen gewesen. Zexion hatte sich nicht dafür interessiert. Für ihn war dieser neue Junge mit den hochstehenden, dunkelblonden Haaren, für deren Styling er bestimmt täglich eine ganze Tube Haargel verbrauchte, ein Feind wie jeder andere. Nur ein weiterer Papierkugelschmeißer unter all den anderen, die einen nur vom Arbeiten abhielten. Und wenn er es noch nicht war, würde er in spätestens einer halben Stunde einer geworden sein.

Nur mit halbem Ohr hörte er zu, während der neue Schüler sich vorstellte. Er hieß also Demyx. Nun gut, ein Name wie alle anderen. Er hatte die Schule aus Umzugsgründen gewechselt… also war er ganz neu in der Stadt! Wäre es nicht so absolut irrational, wäre Zexion jetzt wohl neugierig geworden. Aber was interessierte es ihn?!

“Gut, Demyx.”, hörte Zexion den Lehrer freundlich sagen. “Dann such dir doch bitte einen freien Platz aus.”

Desinteressiert wandte Zexion sich ab. Das Thema war für ihn erledigt. Der Neue würde sich einen Platz aussuchen und alles würde schon bald wieder seinen gewohnten Gang gehen, ein neues Gesprächsthema gefunden werden. Wahrscheinlich setzte er sich zu Axel, von der Frisur her passten sie gut zueinander, auch Axel beschäftigte sich womöglich Stunden mit dem Hochstylen seiner feuerroten Haare. Außerdem sahen sie beide aus, als könnten sie einer dieser bekloppten Bands angehören, die immer auf diesen Kopfschmerzen bereitenden Konzerten auftraten. Oder er setzte sich zu einem der Mädchen, die ihn schon so interessiert beäugten -kein Wunder, dieser Junge könnte fast ein Model aus einer Modezeitschrift sein.

Er hörte, wie der Stuhl neben ihm weggerückt wurde, trotzdem schaute er nich auf. Der Neue -Demyx- wollte sich wohl neben Larxene setzen, an deren Tisch schon immer ein Stuhl fehlte. Aber fragen hätte er wenigstens können, bevor er sich einfach so einen Stuhl nahm.

Erst als der Stuhl sich nicht weiterbewegte und er hörte, wie sich jemand auf den Stuhl setzte, stutzte er. Irritiert drehte er sich um, nur um in das breit grinsende Gesicht von Demyx zu blicken, der ihm zuwinkte. Schnell wandte er sich ab. Das hätte er jetzt nicht erwartet. Er war seit etwa sieben Jahren an dieser Schule und noch nie, noch nie, hatte sich irgendjemand neben ihn gesetzt. Der Platz neben ihm war immer leer gewesen. Dieser neue Schüler hatte als erster diese unsichtbare Barriere durchbrochen, die alle davon abhielt, sich ihm zu nähern. Aber warum? Hatte er sich irgendwie anders verhalten als sonst? Seine Gedanken schwirrten in seinem Kopf herum und versuchten verzweifelt, eine Antwort auf die Frage zu finden, warum dieser Junge sich ausgerechnet ihm genähert hatte, obwohl er doch ganz offensichtlich allein war -alle Tische um ihn herum waren so weit wie möglich von ihm weggerückt worden. War es nicht das Ziel eines jeden neuen Schülers, sich zuerst in eine Gruppe zu integrieren, dazuzugehören, Freunde zu finden? Wer setzte sich bitte neben die einzige Person in der ganzen Klasse, deren bloßer Blickkontakt ausreichte, um einen neuen Schüler sofort ins gesellschaftliche Abseits zu katapultieren?!

Er blickte kurz noch einmal zur Seite, um sich zu vergewissern, dass die Person neben ihm noch da war. Es war schließlich auch möglich, dass der Neue sich nur für einen Moment hier hingesetzt hatte, um etwas aus seiner Tasche zu holen oder seinen Schuh zuzubinden und gleich wieder weggehen würde. Das war zumindest wesentlich wahrscheinlicher als dass er sich neben ihn… Er war immer noch da! Schnell drehte Zexion sich wieder weg, nur um dann mit dem einen Auge, das seine graublauen Haare nicht verdeckten, zu Demyx rüberzuschielen. Dieser schaute jetzt wie gebannt nach vorne und hörte offensichtlich -im Gegensatz zu Zexion- konzentriert zu. Wahrscheinlich um den schlechten Eindruck wieder wettzumachen, den er durch sein Zuspätkommen erweckt hatte. Zexion schaute ihn etwas genauer an. Er könnte wirklich ein Model sein! Seine Augen waren meerblau, sein Haar hatte die Farbe des Strandes, sogar sein grünes T-Shirt erweckte den Eindruck von Palmen. Er sah aus wie die Verkörperung eines Strandes, ein Wesen aus einem Fantasyfilm, er trug sogar einen Muschelohrring… Moment mal! Rasch wandte Zexion sich wieder ab. Was war nur in ihn gefahren, dass er die Regeln der Höflichkeit missachtet und diesen Jungen angestarrt hatte?! Jemanden so intensiv anzuschauen, dass ihm sogar ihr Schmuck auffiel passte nicht zu ihm! Das war ihm noch nie passiert! Er hasste Leute, die schamlos ihre Mitmenschen beobachteten und sich nicht darum scherten, wie störend das für die Betroffenen war. Und jetzt war ihm das selbst passiert. Mit einem leichten Schaudern des Ekels vor sich selbst begann er, konzentriert auf die Tischkante zu starren und die kleinen, dunkleren Maserungen im Holz zu zählen. Eins, zwei, drei, vier, fünf… Bloß nicht wieder nach links gucken, nicht die Kontrolle verlieren! Kontrolle und Selbstbeherrschung waren schließlich extrem wichtig, um nicht zu sagen absolut Unabkömmlich. Diese Punkte waren schließlich das, was den Menschen vom Tier unterschied, die Fähigkeit, Instinkte und Unterbewusste Handlungen zu unterdrücken und nur mit dem Verstand zu handeln. Und er hatte nicht vor, dieses Ideal an einen Mitschüler zu verlieren!

Er schaffte es, sich einigermaßen auf den Unterricht zu konzentrieren, bis die Glocke zur Pause ertönte. Dann stand er sofort auf und ging so schnell es ging aus dem Klassenzimmer. Er wusste selbst nicht, warum er das tat, es kam ihm selbst fast wie Flucht vor aber das war ja lächerlich.
 

Irritiert schaute Demyx seinem Sitznachbarn hinterher, als dieser den Raum verließ. Seltsam… An dem Jungen war sowieso einiges seltsam! Schon allein seine Haarfarbe, aber das schien ja hier normal zu sein, was war schon Blau-grau im Vergleich zu dem Pink eines Mitschülers -oder doch einer Mitschülerin?- in der hintersten Reihe oder zu dem Knallrot des großen Jungen ganz vorne… Aber auch sein Verhalten war komisch gewesen! Er hatte ihn zuerst die ganze Zeit angestarrt -Demyx war fast schon stolz, das bemerkt zu haben ohne hinzusehen- und dann fast krampfhaft weggeschaut. Und auf Demyx’ Begrüßung hatte er überhaupt nicht reagiert. Kurz überlegte Demyx, ob es richtig gewesen war, sich neben ihn und nicht irgendwo anders hinzusetzen, aber er verwarf den Gedanken sofort wieder. War sowieso nicht mehr zu ändern, sogar Demyx wusste, dass es absolut unmöglich wäre, sich jetzt umzusetzen, obwohl er in Sachen Höflichkeit sonst nicht so viel Ahnung hatte und öfters mal jemanden aus versehen beleidigte… Naja egal! Mit diesem Jungen würde er sich jedenfalls anfreunden, das hatte Demyx beschlossen. Deshalb hatte er sich auch neben ihn gesetzt, sofort als er in die Klasse gekommen war hatte er gewusst, dass er genau auf diesem Platz sitzen würde. Dieser Mitschüler hatte etwas an sich, was Demyx faszinierte. Er sah… interessant aus. Ja, das war das richtige Wort! Er sah so aus, als würde es spannend werden, sein Vertrauen zu gewinnen. Und diese Art der Ablenkung war genau das richtige um die ewige Langeweile loszuwerden.

Demyx stand auf, um dem Jungen nachzulaufen -schade, dass er seinen Namen noch nicht kannte-, blieb aber stehen, als sich jemand vor ihn stellte. Es war der Typ mit den roten Haaren, der Demyx auch sofort aufgefallen war. Der war ja auch kaum zu übersehen! Der Rothaarige beugte sich ein kleines Stück herunter -er war ziemlich groß-, bis er auf Augenhöhe mit Demyx war und die strahlend grünen Augen -farbige Kontaktlinsen?- starrten ihn so intensiv an, dass Demyx sich an eine Hypnoseshow erinnert fühlte. Trotzdem hielt er dem Blick stand. Er war ja schließlich kein Weichei!

“Hey Neuer, Demyx heißt du, oder?” Die Stimme des Rothaarigen klang leicht spöttisch, trotzdem war er Demyx sofort sympathisch. Der Typ sah aus, als könnte man Spaß mit ihm haben. Er grinste den Größeren an.

“Genau, Demyx! Und wer bist du?”

“Axel! Kannst du dir das merken?” Der Rothaarige grinste zurück. Demyx hatte also recht gehabt, ihn als nett einzuschätzen.

“Klar, obwohl mein Gehirn hier schon fast überladen ist von dem ganzen Mist den euer Lehrer labert. Ich frag mich echt ob der sich selbst zuhört!”

“Das fragen wir uns alle.” Axel lachte kurz auf, schaute ihn dann aber wieder genauso intensiv an wie vorher. “Hat dir schon wer die Schule gezeigt? Sonst kann ich dich kurz mal rumführ’n, wir haben in den Pausen normalerweise eh nix spannendes zu tun.”

“Wer ist denn ´wir`?” Demyx schaute kurz, ob hinter Axel jemand stand. “Ich sehe nur dich!”

“Die anderen sind noch da hinten. Faul wie wir alle!” Axel lachte wieder und Demyx beschloss, dass er sein lachen mochte. “Das da sind die wirklich coolen Kids hier an der Schule.”, sagte Axel grinsend und zeigte auf die hinteren Plätze. “Die blonde mit den Käferantennen -sag ihr nich, dass ich das gesagt hab, die braucht morgens ‘ne halbe Stunde um ihre Haare so hinzukriegen- ist Larxene. Wenn du was falsch machst kann’s passieren dass sie dich aus versehen umbringt, also pass auf! Und der Typ neben ihr mit den rosa Haaren is Marluxia. Seine Haare sind übrigens von natur aus so. Meine auch.”

“Aha.” Etwas besseres fiel Demyx nicht ein. Was sollte man auch darauf erwidern?

“Jedenfalls zeigen wir dir jetzt die Schule und heute Mittag kannst du wenn du willst auch mit uns essen. Damit du an deinem ersten Tag nich alleine sitzen musst.”

“Ja… danke!” Demyx warf einen kurzen Blick auf Marluxia und Larxene, die mittlerweile aufgestanden waren und sich hinter Axel aufgestellt hatten. Sie sahen wirklich aus, als wären sie die “coolen Kids” der Schule. Zu ihnen dazuzugehören würde bestimmt Spaß machen. “Okay, können wir los? Ich denk mal auch an eurer Schule geht die Pause nich ewig!”

“Stimmt leider.”, sagte Marluxia mit einem theatralischen Seufzen. An seiner Stimme merkte man erst wirklich, dass er definitiv kein Mädchen war.

“Okay, dann los!” Axel ging mit großen Schritten voraus und die anderen mussten fast rennen um ihm zu folgen. Ohne das Tempo zu verlangsamen zeigte Axel ihm alle wichtigen Teile der Schule, sodass ihm am Ende der Kopf schwirrte, aber er auch das Gefühl hatte, sich nicht mehr sofort zu verlaufen. Außerdem hatte Demyx in der Viertelstunde, in der sie unterwegs waren mehr gelacht als in den letzten fünf Tagen zusammen. Er war froh, so schnell Freunde gefunden zu haben. Als es zum Anfang der Stunde klingelte, waren sie alle vier noch längst nicht in ihren Klassenräumen und Demyx kam auch zu seiner zweiten Unterrichtsstunde zu spät

2. Kapitel - Orangenblüten sind hübsch

Erschöpft ließ Zexion seinen Kopf einen Moment lang auf die Tischplatte sinken. So einen Tag hatte er wirklich noch nie erlebt. Er hatte seit seiner ersten Begegnung mit Demyx heute morgen noch sechs Unterrichtsstunden gehabt und in jeder Stunde hatte sich dieser Typ neben ihn gesetzt! Dabei waren zwei der Fächer, die er gehabt hatte, Chemie und Physik gewesen, die beide nur in Kleingruppen unterrichtet wurden und es somit so gut wie unmöglich war, beide Stunden mit denselben Klassenkameraden zu haben. Und in ganzen sechs Kursen nacheinander den gleichen Sitznachbarn zu haben war absolut unrealistisch! Dieser Typ musste fast genau die selben Stunden gewählt haben wie Zexion, dass sie sich so oft begegneten!

Er seufzte. Wenigstens hatte er nach der Mittagspause nur noch eine Stunde Sport und danach noch die freiwillige Chemiestunde. Für den Sportunterricht hatte er -glücklicherweise- ein Dauerattest: hätte er sich vor den anderen umziehen müssen, hätte man definitiv die Spuren der “Fürsorge” seines Vaters gesehen und um das zu vermeiden hatte dieser den Arzt erfolgreich bestochen. Zexion war nicht besonders traurig darüber, er war nicht unbedingt talentiert, wenn es darum ging, körperliche Fähigkeiten mit anderen zu messen. Er würde also wieder eine Stunde herumsitzen, den anderen zusehen und irgendetwas ins Stundenprotokoll schreiben, das er führen musste. Selbst wenn er diese Stunde also zufälligerweise wieder mit Demyx haben sollte, würde er kaum Kontakt mit ihm haben. “Kontakt” konnte man das, was sie bis jetzt gehabt hatten sowieso nicht nennen. Obwohl sie nebeneinander saßen, hatte Zexion es erfolgreich vermieden, auch nur ein Wort mit ihm zu wechseln, indem er beharrlich so tat, als würde er diese fast als Aufmerksamkeitsdefizitsymptome bewertbaren Aktionen von Demyx einfach nicht bemerken. Der Typ hatte bis jetzt so gut wie alles versucht, um ein Gespräch mit ihm anzufangen. Von einfachem Zuflüstern über Zettelschreiben bis hin zu nervtötendem, minutenlangem Klopfzeichengeben war er jede Möglichkeit durchgegangen, die Zexion einfielen, alle erfolglos. Schließlich kam Zexion nicht in die Schule, um sich für verbotene Kontaktaufnahme während des Unterrichts eine Strafe geben zu lassen. Außerdem hatte er auch definitiv nicht vor, sich von diesem Neuen -auf gut Deutsch- verarschen zu lassen. Er hatte immerhin Erfahrung! Der Trick war wirklich alt: Man wählte sich ein “Opfer”, meistens ein Außenseiter, da diese soziale Kontakte oft vermissten und so schneller darauf ansprangen, und versuchte, so schnell wie möglich sein volles Vertrauen zu gewinnen. Hierbei legten die Ausführer der Aktion oft eine unglaubliche Ausdauer an den Tag, um selbst die Opfer zu verunsichern, die den Trick kannten. Sobald das Opfer sich dann sicher fühlte, wurde es irgendwann, wenn es es am wenigsten erwartete, plötzlich, ohne Vorwarnung, wieder zurück in seine Außenseiterwelt fallen gelassen, natürlich nicht ohne es vorher noch mal so gut wie möglich mit Worten oder auch physischer Gewalt verletzt zu haben. Dadurch erlangte der Ausführer meistens die Bewunderung der gesamten Klasse und hatte sich außerdem eine gute Position als “Nicht-Opfer” in der Klasse gesichert. Und das Opfer hatte danach einen noch schwereren Stand als zuvor.

Aber Zexion würde das nicht passieren, dafür würde er schon sorgen. Wer brauchte schon soziale Kontakte?! In seiner gesamten Zeit an dieser Schule hatte er sich mit niemandem so stark befasst, dass er ihn mehr als nur einen “Arbeitskollegen” nennen könnte, also würde er auch jetzt nicht auf diese Spielchen eingehen. Das wichtigste war nur, das Grundprinzip nicht aus den Augen zu verlieren: Niemand würde je etwas mit ihm zu tun haben wollen und jede Art von Aufmerksamkeit, die ihm geschenkt wurde, war als Verletzungsversuch aufzufassen. Solange er das nicht vergaß konnte ihm nichts passieren.

Er schaute auf die Uhr. Die Mittagspause ging noch zehn Minuten. Er seufzte wieder. Mittagspausen waren für ihn einfach nur sinnlos! Reine Zeitverschwendung, als ob er es nötig hätte, während der Schulzeit etwas zu essen. Nur noch mehr Zeit, die er totschlagen musste. Er begann damit, sich seinen Stundenplan rückwärts aufzusagen und tippte mit den Fingern auf den Tisch, als der Lärmpegel in der Cafeteria plötzlich anschwoll. Entnervt drehte er sich zu den Verursachern des Lärms um und war absolut nicht überrascht, als er Axel und seine Gruppe sah, die sich gerade zwei Tische weiter hinsetzten und sich so laut unterhielten, als gelte es, ein ganzes Volk über ihre Erlebnisse am Wochenende zu informieren. Ebenso wenig erstaunt war er darüber, dass Demyx bei ihnen saß. Also hatte er sich nicht getäuscht, Demyx hatte sich genau in die Gruppe integriert, die Zexion vorausgesagt hatte. Und es war gut gewesen, nicht mit ihm zu reden. Mit Marluxia und seinen Freunden -das hatte er schnell herausgefunden- sollte er am besten so wenig Kontakt wie möglich haben. Wie gut, dass er diese Typen nur selten im Unterricht sah, ihre Interessen waren den Seinen absolut unähnlich und sie hatten ganz andere Schwerpunkte gewählt als er. Also war das einzige Problem der Neue dieser Gruppe, Demyx. Aber vielleicht würde er ihn ja bald in Ruhe lassen… Hoffentlich!

Er sah, wie Axel auf ihn zeigte, etwas sagte, worauf Marluxia in Gelächter ausbrach. Demonstrativ drehte er sich weg. Schwachköpfe… eine Welt voll mit Schwachköpfen!
 

Als sie die Cafeteria betraten blickte Demyx sich interessiert um. Um diese Zeit musste hier die ganze Schule versammelt sein, also sah er hier wohl jeden, der irgendwann mal sein Klassenkamerad sein würde. Und natürlich suchte er nach dem Jungen, neben den er sich die ganze Zeit gesetzt hatte. Wie er sich gedacht hatte, der Grau-blauhaarige war eine gute Ablenkung! Es war gar nicht so leicht mit ihm in Kontakt zu treten… Er verschwand nach jeder Stunde sofort irgendwohin und reagierte auf keinen seiner Versuche, mit ihm zu reden. Entweder er war ziemlich taub oder ziemlich gut darin, Leute zu ignorieren.

Als Demyx sich setzte, sah er ihn zwei Tische weiter sitzen. Ihre Blicke trafen sich für einen Moment und Demyx zuckte fast zurück. Das sichtbare Auge, das nicht hinter den grau-blauen Haaren verschwand, war von einem tiefen Dunkelblau und funkelte ihn so feindselig an, als ob sein Besitzer gleich über die Tische springen und ihn abstechen würde! Schnell wandte er sich ab und schaute zu Marluxia, der gerade irgendwas über irgendeine Party erzählte, auf der er sich offensichtlich betrunken hatte. Demyx war fast froh, nicht zugehört zu haben und hörte schnell wieder weg, als Marluxia irgendwas über giftgrüne Kotze erzählte. Axel tippte ihn an.

“Na, schon irgendwen gesehen, den du kennst?”

Demyx nickte. “Ja, der Typ da, mit der komischen Haarfarbe, bei dem man nur ein Auge sieht. Ich glaub der ist in ziemlich vielen von meinen Kursen. Wer ist das?” Wurde Zeit, dass er endlich mal den Namen von diesem Typen erfuhr, wenn er ihn schon ständig sah.

“Ach, unser Emolein?” Axel zeigte mit dem Finger in die Richtung, in der der Typ saß und Marluxia lachte fast hysterisch auf. “Das is Zexion! Von dem solltest du dich fernhalten, der hasst nämlich alles, was laufen kann… Obwohl ich glaube der hasst generell alles. Außerdem is der schon seit Jahren mit Marluxia verfeindet, weil Marlu wegen ihm nich mehr der Klassenbeste is. Stimmt’s, Mar?” Marluxia knurrte nur zur Antwort und starrte Zexion böse an. “Jedenfalls is der ’ne gute Beschäftigung, wenn man mal nix zu tun hat, der wird so schön sauer wenn man ihn ärgert!”

Demyx sah wie Zexion sie noch einmal böse anfunkelte und sich dann so hinsetzte, dass er sie nicht mehr ansah. “Guck, jetzt is unser Emolein beleidigt weil wir über ihn lachen. ” Axel lachte und erzählte prustend noch ein paar Erlebnisse, die sie mit Zexion gehabt hatten, sodass die Anderen vor Lachen halb am Boden lagen und Demyx, der nur mit halbem Ohr zuhörte, aus Höflichkeit mitlachte. Zexion also… Das würde wirklich interessant werden.

3. Kapitel - Orangenblüten ziehen Insekten an

Als es zum Ende der letzten Stunde klingelte, atmete Zexion erleichtert auf. In der gesamten letzten Stunde hatte er Demyx kein einziges Mal gesehen. Es wäre aber auch zu seltsam gewesen, wenn dieser Junge auch noch dieselben freiwilligen Fächer gewählt hätte wie er. So blieb das Ganze wenigstens im Rahmen des Möglichen, auch wenn es immer noch sehr merkwürdig war.

Er wollte gerade aufstehen, um nach Hause zu gehen, als plötzlich ein bei allen Schülern verhasstes Geräusch ertönte: der Gong zu einer Stufenversammlung. Es gelang ihm nicht, der Durchsage zuzuhören, weil es in dem Klassenraum mal wieder viel zu laut war, aber an dem verzweifelten Aufstöhnen seiner Mitschüler konnte er genau feststellen, welche Stufe diesmal dran war: natürlich seine. War ja klar.

Genervt schloss er einen Moment lang die Augen. Also durfte er noch eine Stunde länger hierbleiben, nur um sich irgendwelche sinnlosen und nervtötenden Ankündigungen und die Verkündung sogenannter “Verbesserungen” anzuhören, die “den Schulalltag auflockern” sollten aber eigentlich einfach nur lästig und zeitverschwendend waren. Und außerdem war das eine Versammlung für die ganze Stufe, also würde er auch Demyx wieder sehen müssen. Seine Laune war schlagartig noch tiefer in den Keller gefallen, als sie ohnehin schon gewesen war.

Automatisch lief er zum Versammlungsraum, ohne auf den Weg zu achten. Er ließ sich einfach von den Massen der Schüler mitreißen, die sich jetzt ebenfalls ihrem grausamen Schicksal beugen und zur Stufenversammlung gehen mussten. Anwesenheit war Pflicht und wurde streng kontrolliert, also gab es kaum jemanden, der sich traute, einfach nicht zu erscheinen. Dementsprechend voll war auch der Saal: Sitzplätze: so gut wie unmöglich, Stehplätze: ein Luxus, Plätze, auf denen man fast zu Tode gequetscht wurde und absolut nichts sehen konnte waren das, was die meisten bekamen. Zexion hatte Glück und ergatterte noch einen Stehplatz, von dem aus er den äußersten linken Rand des Rednerpults sehen konnte, wenn er sich streckte. Immerhin etwas.

Am Rednerpult stand wie immer der Schuldirektor, dessen Namen Zexion nie für so wichtig befunden hatte, um behalten zu werden und von dem er momentan sowieso nur die linke Hand sehen konnte. Und wie immer hallte seine Stimme viel zu laut -die sollten sich mal einen neuen Techniker zulegen- aus den Lautsprechern, als er begann, die Verkündigungen zu machen:

“Liebe Schülerinnen und Schüler!” Sollte das ein Brief werden oder was? “Ich freue mich, dass ihr heute so zahlreich hier erschienen seid! Wir haben euch zusammengerufen, weil wir heute eine besondere Ankündigung machen werden: Zur Auflockerung des Schulalltags” -was hatte er gesagt?!- “haben wir beschlossen, ein dreitägiges Projekt zu starten, das ab Morgen anstelle des Unterrichts stattfinden wird.” Begeistertes Murmeln im Publikum. “Wir werden euch in zufällige Zweier- bis Dreiergruppen einteilen und jede Gruppe bekommt ein zufälliges Projekt zugeteilt.“ Genervtes Stöhnen. “Und ihr werdet euch natürlich auch nach der Schule treffen müssen, um das fortzuführen, was ihr während der Unterrichtszeit anfangt.” Wieder genervtes Stöhnen. “Und natürlich wird euer Projekt auch benotet. Diese Note macht ein Viertel eurer Note für sonstige Mitarbeit aus, also strengt euch an! Ich rufe jetzt die einzelnen Gruppenmitglieder auf und sage jeder Gruppe, an welchem Projekt sie arbeiten wird. Gruppe eins: Olette und Saix!”

Zexion hörte nur noch mit halbem Ohr zu. Na super! Er hasste Gruppenarbeit! Jeder Arbeitspartner war für ihn bis jetzt immer nur hinderlich gewesen, Teamarbeit lag ihm einfach nicht. Und so was machte dann einen Großteil seiner Note aus! Etwas Dümmeres hätte denen gar nicht einfallen können! Hoffentlich bekam er wenigstens einen Teampartner, mit dem man einigermaßen arbeiten konnte…

“Gruppe dreizehn: Zexion und Demyx!”

… Nicht ernsthaft, oder? Das konnte doch nur ein Witz sein! Entgeistert starrte Zexion den Direktor an. So einen Zufall konnte es nicht geben! Das war doch irgendeine Intrige der Schulleitung!

“Ihr bearbeitet das Thema ´Die Entwicklung der menschlichen Sprache`. Gruppe 14...”

Zexion hätte am liebsten seinen Kopf auf den Tisch gehauen, aber hier war keiner. Er verdrehte die Augen, als er sah, wie Demyx ihm zuwinkte. Als ob der irgendeine Hilfe sein würde! Der würde ihn doch nur vom Arbeiten abhalten! Außerdem war Zexion jetzt gezwungen, sich mit ihm zu beschäftigen, er würde ganze, verdammte drei Tage nur mit diesem Typen arbeiten müssen, sogar noch nach dem Unterricht! Was hatte er bloß getan, dass das Schicksal ihn so bestrafte?

Als die Versammlung vorbei war und er endlich Zuhause war, ließ er sich auf sein Bett fallen und versuchte, den letzten Tag zu genießen, den er nicht mit Demyx verbringen musste.

4. Kapitel - Orangenblüten duften

Pfeifend ging Demyx am nächsten Tag sogar pünktlich zur Schule. Das war wirklich ein unglaublicher Zufall, dass er ausgerechnet mit Zexion in eine Gruppe eingeteilt worden war. Er hatte wirklich Glück! So musste Zexion ihn beachten! Und außerdem war es viel leichter, sich mit jemandem anzufreunden, mit dem man sich auch nachmittags traf und der praktisch keine Chance hatte, einem aus dem Weg zu gehen.

Als er die Tür zur Schule öffnete war er kurz irritiert. Wie sollte er Zexion überhaupt finden? Aber dann entdeckte er die grau-blauen Haare, die er schon so gut kannte, kaum fünf Meter weiter. Schon wieder Glück gehabt! Er beeilte sich, zu Zexion zu gehen und dabei nicht über seine Schnürsenkel zu stolpern. Sowas passierte ihm ständig, aber er hatte keine Lust sich an der neuen Schule direkt vor allen zu blamieren.

Als er bei Zexion ankam, hatte dieser ihn noch nicht bemerkt, sondern stand mit dem Rücken zu ihm vor einem Fenster und schaute hinaus. Demyx tippte ihm auf die Schulter, um auf sich aufmerksam zu machen -er war sich immer noch nicht sicher, ob der Grau-blauhaarige nicht doch schwerhörig war. Er spürte, wie Zexion kaum merklich zusammenzuckte, um sich dann langsam umzudrehen. Als er Demyx sah, wirkte er sowohl erleichtert, als auch genervt und Demyx hatte wieder das Gefühl, vor dem feindseligen Blick zurückweichen zu müssen. Er zwang sich, stehenzubleiben und zu lächeln. Er würde ganz sicher nicht aufgeben!

“Hi! Ich bin Demyx! Du bist Zexion, oder? Dann sind wir in einer Gruppe.” Zexion nickte nur. “Gut dann müssen wir jetzt anfangen! Ich würd’ sagen wir müssen als erstes Informationen raussuchen, dann können wir später ein Plakat oder sowas daraus machen, okay?” Zexion nickte wieder, diesmal hatte sich in seinen Blick jedoch auch ein Bisschen Erstaunen gemischt. Er hatte offensichtlich nicht erwartet, dass Demyx einen Plan hatte. “Weißt du denn, wo wir am besten Informationen suchen können? Ich kenn mich hier noch nicht so gut aus…” Axel hatte ihm viel von der Schule gezeigt, aber natürlich nicht die Orte, an denen man lernen konnte.

“Ja.” Demyx war erstaunt, als er Zexion sprechen hörte. Er hatte schon fast geglaubt, dass er gar nicht sprechen konnte. Aber er entschied, dass er Zexions Stimme mochte, sie war leise und ruhig, fast emotionslos. Sie passte gut zu ihm. “Wir können entweder in die Computerräume gehen und im Internet nach Informationen suchen, oder die Bibliothek unserer Schule benutzen, die ist jedoch meiner Meinung nach ein wenig schlecht ausgestattet.”

“Okay, dann gehen wir halt zuerst ins Internet!” Wo die Computerräume waren wusste Demyx noch. “Am besten fangen wir jetzt sofort an!” Er ging los, drehte sich kurz um, um sich zu vergewissern, dass Zexion ihm auch wirklich folgte, und machte sich auf den Weg durch die Flure der Schule.
 

Leicht verwirrt folgte Zexion seinem blonden Arbeitspartner durch die Schule. Offensichtlich kannte er sich sehr wohl hier aus, wie sollte er sonst so zielsicher den Weg finden? Also war es gelogen gewesen, als er gesagt hatte, dass er sich nicht gut zurechtfand? Außerdem war Zexion relativ erstaunt darüber, dass dieser Junge offensichtlich genau wusste, wie man an eine Arbeit dieser Art heranzugehen hatte und sofort anfangen wollte, zu arbeiten. Das war schon weit mehr, als Zexion erwartet hatte. Bis jetzt war es noch nicht hinderlich gewesen, einen Arbeitspartner zu haben, er hatte durch ihn noch kaum Zeit verloren… Naja das würde sich auf jeden Fall noch ändern, er glaubte nicht, dass Demyx seinen Arbeitswillen sonderlich lange aufrechterhalten würde. Aber im Computerraum würde er womöglich weniger störend sein, als in der Bibliothek, die meisten Jugendlichen kannten sich besser mit dem Internet als mit Büchern aus. Aber wahrscheinlich würde er im Internet sowieso nur irgendetwas machen, was nichts mit Arbeiten zu tun hatte, genau wie alle anderen!

Der Computerraum war ziemlich voll, offensichtlich hatten mehrere die Idee gehabt ihre Informationen im Internet zu suchen -beziehungsweise so zu tun als würde man arbeiten. Sie fanden einen einzigen freien Computer vor dem hinteren Fenster und schafften es sogar, ihn einzuschalten, was bei den veralteten Modellen dieser Schule ein wahres Wunder war. Nach einer gefühlten halben Stunde Hochfahrzeit war das Teil auch endlich wirklich an und sie konnten mit ihrer Suche anfangen. Zu Zexions Erstaunen begann Demyx, der sich sofort die Tastatur geangelt hatte, sofort damit, Informationen über ihr Thema zu suchen. Das hätte er wirklich nicht erwartet!

“Also hier steht, das Leben entwickelte sich im Meer.”, erklärte Demyx, während er die Seite langsam herunterscrollte. “Ich denk mal, da hat sich dann auch die Sprache angefangen zu entwickeln, oder? Also müssen wir, denk ich mal, mit der Sprache der Fische anfangen!”

“Ja, und danach sollten wir die Sprachen der Insekten und anderen Säugetiere mit der Ursprache des Menschen vergleichen.“ Zexion war immer noch leicht irritiert über das Pflichtbewusstsein und den Arbeitswillen seines Partners, war jedoch auch sehr zufrieden. Er kam fast so gut voran, wie wenn er alleine arbeiten würde und das hatte noch keiner seiner bisherigen Teampartner geschafft. Aber das würde mit Sicherheit nicht lange anhalten…

Sie arbeiteten den ganzen Vormittag ohne Pause an ihrem Projekt und hatten, als es zur Mittagspause gongte, schon sechs Seiten mit Informationen ausgedruckt, die sie für das Plakat verwenden konnten und sie waren gerade mal bei der Ursprache der Menschen angekommen, die die Neandertaler gebrauchten, die gesamte restliche Entwicklung fehlte noch. Zexion wurde immer erstaunter, die Teamarbeit hatte ihn immer noch kaum aufgehalten! Dieser Demyx war wirklich bemerkenswert. Er schaffte es zum einen, erstaunlich zielstrebig und schnell zu arbeiten, was Zexion niemals vermutet hätte, er war aber gleichzeitig auch so teamfähig, dass er Zexion ständig mit einbezog und ihn dazu brachte, mehr zu sprechen als er jemals mit irgendwem getan hätte. Sogar jetzt, während sie aßen -beziehungsweise Demyx aß, Zexion fand es zeitverschwendend- beugten sie sich über ihre Bögen mit Informationen und sortierten die einzelnen Punkte.

“Findest du jetzt, wir sollten die Sprache der Wale zu den Fischen tun, oder nicht?”

Zexion schüttelte den Kopf. “Sie sind und bleiben nun mal Säugetiere! Wir können sie nicht einfach in eine Gruppe einordnen, zu der sie nicht gehören.”

“Aber sie leben doch im Meer, von der Entwicklung her würden sie eher da hin passen…”

“Wissenschaftler vermuten, dass die Wale früher einmal an Land lebten und sie sich nur ins Meer zurückzogen, als ihre Beute ebenfalls ins Meer wanderte. Also sind sie von der Entwicklung her eindeutig Säugetiere.”

“Aber heute leben sie im Meer und wir wissen ja auch nur was über ihre Sprache von heute, was sollen wir uns da mit früher beschäftigen?!”

“Aber sie sind heute doch immer noch Säugetiere…”

Diskussionen wie diese führten sie praktisch ununterbrochen, während sie arbeiteten. Zexion konnte sich nicht erinnern, jemals einen so guten Gesprächspartner gehabt zu haben. Demyx vertrat seine Meinung so gut, dass man mit ihm richtige Diskussionen als gleichwertige Gegner führen konnte. Was ihm an Allgemeinwissen fehlte, machte er durch Überzeugung wieder wett und so hatte Zexion zum ersten Mal das Gefühl, sein Gegner sei ihm nicht unterlegen, was die Gespräche mit Anderen immer extrem langweilig machte. Mit allen Anderen hatten Diskussionen immer damit geendet, dass Zexions Gegenüber entweder aufgeben musste oder beleidigt wegging, mit Demyx endeten sie so, dass ihnen irgendwann einfiel, dass sie noch zu arbeiten hatten und einen Kompromiss finden mussten. So wurden die Wale als Übergang zwischen den Meeres- und den Säugetieren gesetzt und beide Parteien waren zufrieden. Trotzdem wartete Zexion immer noch auf den Moment, wenn Demyx’ Verhalten wieder in das umschlagen würde, was normal für andere Menschen war. Es war einfach nicht möglich, dass er sich so gut mit jemandem verstand, das konnte nicht von Dauer sein. Schade eigentlich.

5. Kapitel - Orangenblüten blühen

Auf dem Weg nach Hause war Demyx noch besser gelaunt, als am Morgen. Er hatte es tatsächlich geschafft, mit Zexion zu reden! Sie hatten sich sogar recht gut unterhalten, er hätte nicht gedacht, dass der Grau-blauhaarige so sympathisch sein würde.

Er hatte beschlossen, dass er Zexion mochte. Jetzt musste er nur noch Zexion dazu bringen, auch ihn zu mögen. Heute war wirklich ein guter Anfang gewesen, er hatte wirklich Glück! Ohne dieses Projekt hätte Zexion ihn wohl für den Rest seines Lebens einfach ignoriert, aber so hatte Demyx eine gute Chance. Der Blick, den er jetzt zugeworfen bekam war nicht mehr feindselig, nur noch ein wenig misstrauisch. Und das würde Demyx auch noch ändern!

Er schaute auf die Uhr. In anderthalb Stunden würde er sich mit Zexion treffen, um weiter an dem Projekt zu arbeiten. Schließlich war es wichtig, dass sie eine gute Note bekamen… auch wenn Demyx fand, dass es noch wichtiger war, mehr Zeit mit Zexion zu verbringen.

Er wusste selbst nicht, was ihn an diesem Jungen so sehr faszinierte, dass er ihm sofort aufgefallen war und er beschlossen hatte, sein Vertrauen zu gewinnen. Vielleicht, weil er und Demyx vom Charakter her von Grund auf verschieden waren. Man sagte ja Gegensätze zögen sich an…

Zuhause angekommen verbrachte Demyx die Zeit damit, sich auf einem Stadtplan zu orientieren. Zexion hatte gesagt, sie würden sich bei der Stadtbibliothek treffen, weil sie da noch mehr Informationen finden könnten, als im Internet. Demyx glaubte zwar nicht recht daran, dass irgendetwas mehr wissen könnte als das Internet, aber wenn Zexion lieber in Büchern suchte, konnte er auch zur Bibliothek kommen. Jetzt musste er nur noch wissen, wo die überhaupt war…

Demyx kam zu spät. Er hatte sich auf dem Weg zur Bibliothek zweimal verlaufen, weil er unterwegs seine Karte verloren hatte. Das war mal wieder typisch für ihn! Er ärgerte sich über sich selbst und beschloss, nächstes Mal früher loszugehen und die Karte an seinen Fingern festzutackern! Oder so ähnlich…

Er entdeckte Zexion sofort, als er den Platz betrat. Er stand gegen eine Mauer gelehnt auf der anderen Straßenseite und sah den herumflatternden Tauben auf der Suche nach Futter zu.

Demyx fand, dass Zexion viel zu zerbrechlich aussah, als würde ein einziger Windstoß ihn wegwehen können wie eine Feder. Er hatte das Gefühl, zu ihm laufen zu müssen, ihn beschützen zu müssen, ihn in den Arm nehmen zu müssen… Moment! Irritiert schüttelte Demyx den Kopf. Wo kamen diese Gedanken her?! Sowas durfte er nicht denken! Schließlich wollte er mit Zexion befreundet sein, nichts weiter! Und außerdem war Zexion doch ein Junge… Wieder schüttelte er irritiert über sich selbst den Kopf und hob den Blick zum wolkenverhangenen Himmel. Musste am Wetter liegen. Manche Leute reagierten eben seltsam auf schlechtes Wetter…

Er ging langsam auf Zexion zu, um mehr Zeit zu haben, seine Gedanken zu sortieren. Es musste am Wetter gelegen haben!
 

Zexion drehte sich um, als er Demyx Stimme hörte -er hatte Zexions Namen quer über den ganzen Platz geschrien. Er ging ihm ein Stück entgegen, natürlich nicht, wie Demyx, rennend, bis sie voreinander standen. Demyx grinste ihn an. “Hi! Tut mir leid, dass ich so spät komme, aber meiner Stadtkarte sind auf einmal Flügel gewachsen und ich hab mich verlaufen.”

“Kein Problem.”, erwiderte Zexion nur, hoffend, dass Demyx das nicht als Sarkasmus auffasste. Er war überhaupt nicht genervt davon, dass Demyx zu spät war und wunderte sich über sich selbst. Wann war es schon mal vorgekommen, dass er nicht von den Fehlern seiner Mitmenschen genervt war?

“Gut dann komm! Machen wir weiter!” Demyx ging voraus und Zexion folgte ihm, wieder verärgert über sich selbst. Warum war er nicht derjenige, der vorausging, wenn er sich hier doch besser auskannte als Demyx?! Stattdessen folgte er ihm wie ein Hündchen…

Im Eingangsbereich der Bibliothek blieb Demyx dann endlich stehen und Zexion beobachtete zufrieden genau die Reaktion, die er erwartet hatte: Demyx betrachtete staunend, fast andächtig die deckenhohen Regale, die sich einer komplexen, kaum erkennbaren Ordnung folgend durch den riesigen Saal vor ihnen erstreckten. Von oben gesehen, wusste Zexion, war ihr System erschließbar, es erschien wie ein großes Kunstwerk, beeindruckend, aber doch weltlich und begreifbar. Aus dieser Froschperspektive jedoch, wirkten die Regale eher wie die Tore zu einer fremden Welt, wie die riesigen Wächter eines Dimensionsportals, die irgendwo in ihrer Mitte den Schlüssel zum Schatz bewahrten und sich nur demjenigen offenbarten, der ihr Rätsel lösen konnte. Und ihr Inhalt, die teilweise uralten, ehrfurchtgebietenden Bücher, die seit Generationen hier gelagert wurden, enthielten das Wissen einer ganzen Welt…

Zexion wusste genau um den Eindruck, den dieser Raum bei denjenigen hinterließ, die ihn zum ersten Mal betraten. Obwohl er sich hier jeden Tag meist stundenlang aufhielt, lief ihm immer noch ein kleiner Schauer der Ehrfurcht über den Rücken, wenn er diese weisen, uralten Schätze sah oder sogar berühren durfte. Nicht umsonst war das hier die größte Bibliothek weit und breit und die wohl eindrucksvollste der ganzen Welt.

Das war der Ort, an dem sich Zexion wirklich “Zuhause” fühlte. Keine andere Umgebung -am allerwenigsten das Haus seines Vaters- konnten ihm so ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. Hier war der einzige Ort, an dem er frei durchatmen konnte, er lebte mit diesem Ort. Er war völlig in seinem Element.

“Wow.”, hörte er Demyx neben sich sagen. “Das ist… groß!”

“Groß?”, wiederholte Zexion belustigt, “Du kommst an einen der wohl beeindruckendsten Plätze der Welt, an dem das Wissen ganzer Epochen seit Jahrhunderten gelagert wird, und alles was dir einfällt ist groß?”

Demyx lachte und Zexion wünschte sich unwillkürlich, die Wiederholungstaste drücken zu können, um es noch einmal hören zu können.

“Es ist doch nun mal groß! Also ich könnte mich hier nicht zurecht finden.”

“Keine Sorge.”, erwiderte Zexion. “Wenn ich mich irgendwo auskenne, dann ist das hier!”

Demyx grinste. “Lass mich raten: Du bist der Typ in der Geschichte, der eigentlich von allen ignoriert wird, aber am Ende der Held ist, weil er praktisch in der Bibliothek wohnt und alle Lebenswichtigen Informationen im Kopf hat! Sag bloß, du hast einen Ferienjob hier!”

Zexion zog amüsiert eine Augenbraue hoch. “Du guckst definitiv zu viel Fernsehen. Ganz so Klischeebelastet bin ich dann doch nicht.”

Demyx schwieg eine Weile und Zexion viel auf, dass er lächelte. “Was ist los?”, fragte er irritiert.

“Nichts.”, erwiderte Demyx grinsend. “Mir ist nur aufgefallen, dass ich dich gerade zum ersten mal lächeln gesehen habe! Solltest du öfter machen, steht dir!”

Zexion spürte, wie er rot wurde und er drehte sich schnell weg. “Ach halt doch den Mund!”, murmelte er und warf Demyx einen Radiergummi an den Kopf.

“Au! Hey, was…”

Aber Zexion war schon weitergegangen. “Los jetzt!”, sagte er teilnahmslos “wir haben zu arbeiten!”

Grinsend folgte Demyx ihm.
 

Verstohlen lächelnd beobachtete Demyx Zexion, als dieser ihn wieder zielsicher quer durch den riesigen Saal führte. Zexion hatte Recht behalten, sie hatten an diesem Nachmittag tatsächlich mehr Informationen in der Bibliothek als am Vormittag zuvor im Internet gefunden, aber Demyx wusste genau, dass das nur daran lag, dass Zexion sich so gut auskannte. Er hatte jede Information, die sie brauchten, auf Anhieb gefunden, ohne auch nur eine Sekunde überlegen zu müssen, wo das richtige Buch denn sein könnte. Demyx war beeindruckt, Zexion musste ein extrem gutes Gedächtnis haben. Außerdem kam es Demyx fast so vor, als sei Zexion ein völlig anderer Mensch, seit sie die Bibliothek betreten hatten. Draußen wirkte er immer angespannt und nervös, hier drinnen bewegte er sich völlig sicher und frei. Auch ihre Unterhaltungen waren lockerer, er hatte Zexion sogar dazu gebracht, einmal kurz zu lachen, was er noch heute Morgen für unmöglich gehalten hätte. Es machte Demyx froh, ihn so zu sehen. Er wünschte sich, ihm immer diese Sicherheit geben zu können, die ihn so befreite…

Wieder schüttelte Demyx energisch das Bedürfnis ab, Zexion einfach in den Arm zu nehmen. Das ging nun wirklich zu weit! Hier drin konnte er es noch nicht mal auf das Wetter schieben…

Er bemerkte Zexion, der ihm ein neues Buch hinhielt erst, als dieser ihm mit dem Buch vorsichtig gegen die Stirn tippte. Demyx fiel auf, dass er Zexion noch nie berührt hatte und fragte sich unweigerlich, wie sich seine Haut anfühlen musste… Stopp! Schluss damit!

“Keine Zeit für Müdigkeit!”, hörte er Zexion sagen. Wieder fiel ihm auf, wie schön dessen Stimme klang… Oh, verdammt, konzentrieren! “Wir haben nur noch dieses Buch durchzugucken, dann haben wir alle nötigen Informationen zusammen. Danach kannst du dich ausruhen”

Demyx zwang sich zur Konzentration und schaffte es, mit den Gedanken fast die ganze Zeit bei der Sache zu bleiben. Er war nur ein paar Mal abgeschweift, wenn Zexion gesprochen hatte, zu sehr in den Klang seiner Stimme vertieft und hatte ihm so nicht richtig zugehört. Zum Glück sah Zexion das als Zeichen von Müdigkeit an und beeilte sich noch mehr, fertig zu werden.

Als die roten Strahlen der Abendsonne durch das große Fenster schienen, beendeten sie ihre Arbeit und Demyx ging so schnell er konnte nach Hause. Aber erst als er sich auf sein Bett fallen ließ, atmete er erleichtert auf. Endlich konnte er seine Gedanken sortieren, die um eine einzige Person kreisten, wie ein Schwarm Hornissen um ein Glas Marmelade: Zexion. Jetzt, wo Demyx ihn nicht mehr sah, begann er schon, sich wieder nach dem Klang seiner Stimme zu sehnen, seiner bloßen Anwesenheit, die ihn den ganzen Tag begleitet hatte…

Demyx stöhnte auf.

Er hatte sich tatsächlich in Zexion verliebt.

6. Kapitel - Orangenblüten trocknen

Am nächsten Tag ging Zexion auf dem Weg zur Schule langsamer als sonst. Er wusste nicht, was ihn erwartete und dieser Kontrollverlust störte ihn. Noch vorgestern war alles so schön einfach gewesen…

Er befand sich in einer Zwickmühle. Einerseits war er erstaunt und erfreut darüber, wie gut er sich mit Demyx verstand. Er hatte in seinem ganzen Leben noch nie einen Menschen getroffen, in dessen Gegenwart er sich so… wohl fühlte. Er hatte gestern den ganzen Tag mit ihm verbracht, ohne auch nur eine Sekunde zu hoffen, dass es bald vorbei wäre. Im Gegenteil: Er hatte es als unangenehm empfunden, wieder allein zu sein, nachdem er sich von Demyx verabschiedet hatte. Das irritierte ihn. Er war doch immer gerne allein gewesen! Er hatte sich nie länger als nötig mit jemand anderem beschäftigen wollen. Und jetzt war auf einmal Demyx aufgetaucht und hatte alles auf den Kopf gestellt, nur weil Zexion sich zu ihm hingezogen fühlte. Aber er durfte andererseits nicht so die Kontrolle über sich verlieren. Auf keinen Fall durfte er Demyx zu nah an sich heranlassen! Gestern hatte er fast den Grundsatz vergessen und einen großen Fehler begangen, indem er Demyx erlaubt hatte, sich ihm emotional so weit zu nähern. Er musste sich wieder bewusst machen, dass das alles nur ein Trick war. Demyx war wie alle anderen! Er würde versuchen, Zexion zu verletzen, er wartete nur auf die richtige Gelegenheit, versuchte sich sein Vertrauen zu erschleichen. Das durfte Zexion nicht zulassen! Er würde wachsam sein, gestern war er viel zu weit gegangen. Das würde ihm nicht nochmal passieren!

Das Problem war nur, dass er noch zwei ganze Tage mit Demyx direkten Kontakt haben musste, bevor er sich wieder ganz von ihm abkapseln konnte, bevor alles wieder normal werden konnte. Zwei Tage musste er durchhalten und nicht die Kontrolle verlieren. Auf gar keinen Fall würde er das Opfer dieses dummen Tricks werden! Demyx war genau wie alle anderen! Es war genau das gleiche…
 

Als Demyx die Schule erreichte, musste er erstmal einen Moment lang stehen bleiben, um zu Atem zu kommen. Ohne es zu merken war er den Schulweg viel schneller gegangen als sonst, was sich jetzt bemerkbar machte. Obwohl er versucht hatte, es abzuschütteln, hatte er die ganze Zeit an nichts anderes denken können, als daran, dass er Zexion jetzt wiedersehen würde. Jetzt musste er sich unbedingt wieder unter Kontrolle kriegen. Keiner durfte es wissen, vor allem nicht Zexion selbst. Demyx musste einfach hoffen, dass sich dieses übermächtige Gefühl wieder legte…

Er betrat das Schulgebäude und sah sich um. Er hatte schon wieder den gleichen Fehler gemacht und Zexion nicht gefragt, wo sie sich in der Schule treffen würden, also musste er wieder hoffen, dass er ihn durch Zufall fand. Und wieder hatte er Glück: Zexion stand, wie am Tag davor, mit dem Rücken zu ihm nur ein paar Meter weiter. Demyx kam sich vor, wie bei einem Déjà Vu. Der Ironie halber tippte er Zexion wieder auf die Schulter.

Als Zexion sich umdrehte, zuckte Demyx leicht zusammen. Der Blick, den der Grau-blauhaarige ihm zuwarf, war absolut kalt und noch abweisender, als an Demyx’ erstem Schultag. Er zwang sich zu einem Lächeln.

“Hi!”, sagte er und hoffte, dass seine Stimme normal klang. Er war verwirrt. Wieso war Zexions Blick auf einmal wieder so feindselig? “Wir müssen jetzt mit dem Plakat anfangen, oder? Also brauchen wir erstmal Pappe aus den Kunsträumen…”

Zexions Ausdruck änderte sich nicht. “Gut.”, sagte er kalt und ging voraus, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Demyx blieb einen Moment lang völlig verwirrt stehen. Hatte er den Tag gestern nur geträumt? Warum verhielt sich Zexion wieder so abweisend? Als sie sich gestern verabschiedet hatten war doch noch alles normal gewesen! Es hätte ihn kaum mehr erschüttern können, wenn Zexion ihm plötzlich ins Gesicht geschlagen hätte.

Er beeilte sich, Zexion hinterher zu gehen. Was sollte er jetzt tun? Sollte er ihn eher in Ruhe lassen oder eher wieder versuchen, sein Vertrauen zu gewinnen? Die zweite Möglichkeit erschien ihm sympathischer aber konnte er sich dann sicher sein, dass Zexion nicht herausfand, was Demyx über ihn dachte?

Er merkte erst, dass sie bei den Kunsträumen angekommen waren, als Zexion plötzlich stehenblieb und Demyx fast in ihn hineinlief. Ohne ihn zu beachten öffnete Zexion die Tür, ging rein und schloss die Tür vor Demyx’ Nase. Was war bloß in ihn gefahren?! Demyx merkte, sich zu seiner Erschütterung und Enttäuschung eine kleine Spur heiße Wut mischte. Er zwang sich, die Kontrolle zu behalten. Zexion musste seine Gründe für sein Verhalten haben und Demyx würde nicht alles kaputt machen, indem er jetzt ausrastete! So tief würde er nicht fallen!

Nach ein paar Augenblicken kam Zexion mit einem großen Bogen Pappe wieder heraus und ging an Demyx vorbei, ohne ihn auch nur anzusehen. Demyx fühlte sich, als hätte er einen Schlag in die Magengegend bekommen.

Entgegen Demyx’ Erwartung drehte Zexion sich noch einmal zu ihm um: “Wir gehen zum arbeiten in die Aula. Da sind große Tische.”

Demyx konnte nur stumm nicken.
 

Zexion blickte immer wieder verstohlen zu Demyx rüber, wenn er sich sicher war, dass der Blonde nicht hinsah. Sie arbeiteten jetzt schon seit Stunden an dem Plakat und kamen auch gut voran… aber die Atmosphäre war im Vergleich zu gestern wie am Nordpol.

Zexion wusste genau, dass das seine eigene Schuld war. Es war nicht so, als dass Demyx nicht versuchen würde, die Stimmung aufzulockern und ein Gespräch anzufangen, es war Zexion der seine immer weniger werdenden Versuche schlichtweg ignorierte. Zexion hasste sich selbst dafür. Es tat fast schon körperlich weh, Demyx so die kalte Schulter zeigen zu müssen. Aber das war nur ein Zeichen dafür, dass er gestern zu weit gegangen war! Er hatte sich zu stark auf Demyx eingelassen, also war es seine eigene Schuld dass er jetzt Probleme hatte, wieder auf seine eigene, abgeschottete, sichere Ebene zurückzukommen.

Es tat ihm Leid, Demyx so zu behandeln. Er merkte, wie tief es ihn verletzte und konnte es kaum ertragen. Nein! Demyx tat nur so, als sei er enttäuscht! In Wahrheit war er es doch, der nur darauf aus war, Zexion zu verletzen. Er durfte nicht zulassen, dass das passierte! Er war viel zu nah, viel zu nah schon an Demyx gebunden, wenn es ihm leidtat, ihn zu verletzen, wenn er sich danach sehnte wieder normal mit ihm reden zu können, seine Nähe genießen zu können. Es war seine eigene Schuld, dass er sich jetzt selbst hartnäckig zwingen musste, um zur Normalität zurückzukehren. Sein Verhältnis zu Demyx durfte um gar keinen Preis zu irgendeiner Form von Abhängigkeit von ihm ausarten. Sobald er Demyx’ Gegenwart vermisste, war er verletzbar. Und wer verletzbar war, der wurde auch auf jeden Fall verletzt, die Erfahrung hatte er schon oft genug gemacht.

Zexion betrachtete ihre Arbeit. Sie waren wirklich gut vorangekommen und er war sich sicher, dass sie, wenn sie so weitermachten, die Bestnote erwarten konnten. Demyx war wirklich ein guter Arbeitspartner. Aber trotzdem…

Die Glocke schrillte zum Ende der Stunde und Zexion erhob sich augenblicklich und begann damit, die Materialien wegzupacken. Er zwang sich, nur auf den Tisch zu gucken. Auf gar keinen Fall Blickkontakt herstellen! Er spürte, dass er die Kontrolle verlieren würde, wenn er Demyx in die Augen sah, dass er es nicht schaffen würde, auf Distanz zu bleiben und das durfte er nicht zulassen. Wie hatte es nur so weit kommen können?

“Wir können heute Nachmittag bei mir zu Hause weiterarbeiten.” Er achtete genau darauf, seine Stimme absolut emotionslos klingen zu lassen. “Da haben wir genug Platz und die nötigen Materialien direkt zur Hand.”

“Gut….” Demyx’ Stimme klang… traurig? Sie versetzte Zexion einen Stich… Stopp! Abstand!

Immer noch ohne Demyx anzusehen ging Zexion aus dem Raum. Er spürte den Blick des Blonden auf sich und hatte das fast zwingende Bedürfnis sich umzudrehen, aber er zwang sich, ohne anzuhalten weiterzugehen. Er durfte die Kontrolle nicht verlieren.

7. Kapitel - Orangenblüten welken

Immer noch völlig niedergeschlagen machte sich Demyx auf den Weg zu Zexions Haus. Er spürte den Drang sich umzudrehen und wegzulaufen. Er wollte nicht mehr! Er hatte es kaum ertragen, den ganzen Vormittag so ignoriert zu werden von der Person, deren Aufmerksamkeit er sich am meisten wünschte, auch wenn er das nicht zugeben durfte. Er hatte bestimmt tausendmal versucht, mit Zexion zu reden, die normale Atmosphäre vom Vortag wiederherzustellen und war jedes mal kalt abgewiesen worden. Warum nur? Was hatte er bloß falsch gemacht? Irgendwann hatte er aufgegeben, er ertrug es einfach nicht mehr. Und es bestand nicht die Aussicht, dass es jetzt besser werden würde…

Er stand bestimmt fünf Minuten vor der Tür zu Zexions Haus, bevor er sich traute, zu klingeln. Er wusste nicht, wie viel Feindseligkeit er noch ertragen konnte. Gerade, weil sie von Zexion kam, hatte er das Gefühl, nicht damit zurechtkommen zu können. Wenn das so weiterging würde er explodieren!

Als er hörte, dass sich jemand der Tür näherte, schloss er einen Moment die Augen und betete zu Irgendwem, dass Zexions Verhalten sich wieder normalisiert hatte. Er würde jeden Grund akzeptieren, weshalb diese seltsame Art nur eine einmalige Sache gewesen sein könnte. Alles was er wollte, war wenigstens freundschaftlich mit Zexion umgehen zu können. Weniger konnte er nicht aushalten! Weniger, hatte er das Gefühl, konnte er nicht überleben.

Entweder hatte das Schicksal gerade seinen Asozialen Tag oder es hatte eine Abneigung gegen Demyx’ Frisur. Zexions Blick hätte selbst gegenüber einer schleimigen Riesenschnecke nicht abweisender sein können… Diese Metapher machte ihm Angst.

“Komm rein.” Zexions Stimme hätte einen Schneesturm in der Sahara auslösen können. Am Rande der Verzweiflung angekommen, ging Demyx ihm stumm hinterher, im Bewusstsein dass sein Todesurteil gesprochen war.

Er folgte Zexion durch ein Haus, das man, hätte man es mit einem Wort beschreiben müssen, nur als dunkel bezeichnen konnte. Alle Fensterläden waren heruntergelassen, die einzigen Lichtstrahlen kamen unter der Tür hindurch. Trotzdem machte Zexion keine Anstalten, das Licht anzumachen und Demyx dreimal gegen irgendwelche Möbelstücke, die im Raum herumstanden. Zexions Familie schien nicht zu Hause zu sein, im ganzen Haus war kein Geräusch, außer dem seiner Schritte zu hören.

Sie gingen eine enge Treppe hoch und betraten ein Zimmer, in dem es ebenso dunkel war wie im Rest des Hauses. Demyx konnte nur vermuten, dass es sich um Zexions Zimmer handelte, alles was er erkannte waren die groben Konturen einiger Möbel und den Klang von Laminatfußboden, als Demyx darauf trat. Erst jetzt fiel ihm auf, dass Zexion sich unglaublich leise bewegte, seine Schritte waren selbst auf diesem Boden nicht zu hören. Kein Wunder, dass es so schwer war, ihm zu folgen. Demyx konnte nicht einmal sagen, wo sich Zexion im Moment befand…

“Gut, fangen wir an.” Zexions kalte Stimme kam aus einer komplett anderen Richtung, als er vermutet hätte. Was war er, ein Ninja? “Am besten wir nehmen diesen Teil hier für den Text über Schimpansen…” Er hörte, wie der schwarze Edding über die Pappe des Plakats gezogen wurde und erkannte auch den unverkennbaren Geruch des Stiftes. Dann hörte er das Geräusch einer Schere, die offensichtlich ihre Informationsblätter zerschnitt, um sie dann auf das Plakat kleben zu können.

“Ähm… Zexion?”

“Ja bitte?”

“Willst du nicht vielleicht vor dem Arbeiten das Licht anmachen?!”

“…” Zexions Erstaunen war fast greifbar. Demyx spürte es, obwohl er nichts sah. “… Oh… Das Licht…”

Demyx hörte nicht, wie Zexion zum Lichtschalter ging, er hörte erst das leise Klicken kaum einen Bruchteil einer Sekunde bevor das grelle Licht der Glühbirne ihn blendete. Er kniff kurz die Augen zusammen, bis sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatten. Zexion kniete schon wieder auf dem Boden neben dem Plakat und war damit beschäftigt, einen perfekt abgeschnittenen Absatz über Schimpansen darauf zu kleben. Demyx konnte eine Spur Röte in seinem Gesicht sehen.

Eine Weile herrschte wieder das unangenehme Schweigen, dass den Vormittag schon kontrolliert hatte, bis Demyx beschloss, es nicht gewinnen zu lassen.

“… Arbeitest du immer im Dunkeln?!” Er musste sich ein Lachen verkneifen. Zexion war einfach zu seltsam!

“Manchmal…”, murmelte Zexion und Demyx sah, dass sein Gesicht noch röter wurde. Offensichtlich war es ihm peinlich.

“Aber wie kannst du denn dann überhaupt was sehen?” Jetzt, wo er es geschafft hatte, Zexion irgendeine Emotion außer Abneigung zeigen zu lassen würde er ganz sicher nicht aufgeben!

“… Ich bin ans Dunkle gewöhnt.” Demyx konnte Zexions leise Stimme kaum verstehen. Ihm dämmerte, dass Zexion nicht darüber reden wollte und er schwieg. Er musste versuchen, wieder an Zexion heranzukommen!

Eine Weile saßen sie nur stumm nebeneinander und beklebten ihr Plakat. Dann griff Zexion genau in dem Moment nach der Schere, in dem Demyx sie gerade aufhob, um ebenfalls einen Absatz auszuschneiden. Ihre Hände trafen sich. Zexion zuckte zurück, als ob er einen Stromschlag bekommen hätte.

“Entschuldigung…”, murmelte er und wandte sich ab, um eine zweite Schere zu suchen. Demyx hatte das Gefühl, als ob er ihm auswich.

Eine Weile arbeiteten sie wieder schweigend nebeneinander, Zexion konzentriert darauf bedacht, weitere Berührungen zu vermeiden, Demyx sich immer wieder das Gefühl von Zexions Hand auf seiner in Erinnerung rufend. Irgendwann war es wieder Demyx der das Schweigen brach.

“Was ist eigentlich mit dir und Marluxia los?” Er sah, wie Zexion leicht zusammenzuckte. Das Eis, auf dem er sich mit diesem Gesprächsthema, befand war extrem dünn. Aber mit etwas Anderem würde er kaum weiter kommen. Und außerdem wollte er wissen, weshalb die beiden offensichtlich so verfeindet waren. “Ich hab das Gefühl, ihr versteht euch nicht besonders gut…”

Zu seiner Verwunderung antwortete Zexion fast sofort. “Das ist untertrieben. Er hasst mich. Und das beruht auf Gegenseitigkeit.”

Demyx jubelte innerlich. Jetzt bloß nicht den Faden verlieren! “Ja, aber wieso? Mochtet ihr euch von Anfang an nicht?”

“Nein, das ist nicht richtig.” Zexions Stimme klang nachdenklich. Ein Fortschritt! “Am Anfang haben wir uns sogar sehr gut verstanden… Das war noch im Kindergarten. Wir waren sogar beste Freunde.”

“Und wieso hat sich das geändert?”

“Marluxia ist ein Idiot!” Die Kälte aus Zexions Stimme war verschwunden. Stattdessen hörte Demyx jetzt Wut heraus. Und noch etwas anderes… war das… Verzweiflung? “Wir wurden zusammen eingeschult. Wir waren unzertrennlich! Aber dann begann der Schulalltag, das große Kräftemessen. Marluxia ist so ehrgeizig! Er wollte in allem immer der Beste sein. Und als er sah, dass ich ihn in so gut wie allen Fächern schlug, ist er Eifersüchtig geworden.” Schockiert stellte Demyx fest, dass Zexion Tränen über die Wangen liefen. Der Stift, mit dem er gerade noch eine Linie gezogen hatte, war ihm aus der Hand gerollt und er sah Demyx nicht an, sondern schien durch ihn hindurchzusehen. “… Irgendwann… ist er zu mir gekommen und hat mir gesagt… er hat gesagt….”

Es war, als wäre Zexion auf einmal aus einer Trance erwacht. Seine Augen weiteten sich einen Moment lang, um die Umgebung zu fokussieren, dann blinzelte er ein paar Mal. Dann schaute er sich um, bis sein Blick auf Demyx hängenblieb. Seine Augen weiteten sich wieder, diesmal erschrocken, und er wandte sich schnell ab. Demyx sah, wie er sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen wischte. Das Bedürfnis, ihn in den Arm zu nehmen, war fast nicht mehr zu unterdrücken.

“Was…?”, fragte Demyx vorsichtig. “Was hat Marluxia gesagt?”

Das war ein Fehler. Zexion ging augenblicklich in die Defensive zurück, schlang die Arme schützend um seinen Körper. “Nichts… Das hat dich nicht zu interessieren!” Seine Stimme, die emotionslos klingen sollte, zitterte. Demyx streckte die Hand aus, um Zexions Schulter zu berühren, ihn zu beruhigen, irgendetwas, aber Zexion wich seiner Berührung aus und wandte sich ab.

“Es ist schon spät.”, sagte er ohne Demyx anzusehen. “Du solltest jetzt gehen.”

Und irgendwie fand sich Demyx nur Augenblicke später vor Zexions geschlossener Haustür wieder, ohne wirklich zu begreifen, was da gerade passiert war.

8. Kapitel - Orangenblüten fallen

Die Dunkelheit um ihn herum war vollkommen. Er hatte eine Decke vor die Tür gelegt, eine weitere unter das Fenster, sodass nicht mal mehr der kleinste Lichtstrahl eindringen konnte. Den leuchtenden Radiowecker hatte er zerbrochen. Selbst er konnte jetzt nichts mehr sehen. Er saß in der Sicherheit der Dunkelheit auf dem Boden gegen die Wand gelehnt und starrte ins nichts und versuchte, wieder zur Ruhe zu kommen. Er war immer noch viel zu aufgewühlt.

Es war passiert. Jemand hatte es gesehen! Demyx hatte es gesehen! Zexion drückte seine Stirn in seine Handfläche. Diese Seite an ihm, die er immer versucht hatte zu verbergen. Er hatte alle Türen zu diesem Wesen verschlossen und es ausgesperrt, so viele Jahre lang erfolgreich, sogar vor sich selbst. Und jetzt kam Demyx und riss die Türen auf und warf einen Blick auf das, was niemand sehen durfte. Dieses schwache, zerbrochene, lächerliche Ding, das Zexions Seele geworden war. Zexion musste unwillkürlich Lachen, obwohl er immer noch die Tränen auf seinen Wangen fühlen konnte. Verdammt, wie erbärmlich er doch war!

Zexion war froh, dass sein Vater nicht zu Hause war. Wäre er da gewesen hätte er eine recht seltsame Vorstellung zu hören bekommen. Wann kam es schon vor, dass sich sein Sohn in seinem Zimmer die Seele aus dem Leib schrie, aus purer Verzweiflung, weil er so eine armselige Kreatur war?! Zexion lachte wieder. Warum lebte er überhaupt? Diese Frage hatte er sich schon oft gestellt, aber nie kam sie ihm so berechtigt vor wie jetzt. Womit hatte jemand, der so entsetzlich schwach war, es verdient, zu Leben? Oder war das Leben die gerechte Strafe für seine Schwäche? Wenn ja war es eine gute Strafe.

Zexion blickte hoch zur Decke, hinauf in die perfekte Dunkelheit. Er hatte es geschafft, die Tür zu seiner Seele wieder zu schließen, das unvermeidliche noch eine Weile hinauszuzögern. Aber er wusste, dass die Tür jederzeit wieder aufgehen konnte und dass er endgültig zerbrechen würde. Sein Panzer hatte Risse bekommen, der Schutz würde verschwinden und seine verstümmelte Seele würde endgültig untergehen.

Er lachte noch einmal. Demyx hatte seine Seele gesehen. Vielleicht war es zu kurz gewesen, als dass er es verstanden hätte, aber es war auf jeden Fall genug für ihn, um zu erfassen, wie erbärmlich und verachtenswürdig Zexion war. Warum nur? Wäre Demyx nicht gewesen, hätte Zexion in Ruhe sein Dasein weiterfristen können, seine dumme, kleine Seele immer schön vor der Welt verbergen können und ein normales Leben führen können, allein, wie er es immer gewesen war. Aber Demyx war anders als alle Anderen, er hatte es geschafft, sich ihm trotz seines Panzers zu nähern. Zexion hatte es nicht geschafft, ihn auszusperren. Wie armselig.

In wenigen Stunden würde er Demyx wieder sehen, wahrscheinlich zum letzten Mal. Hoffentlich würde er so lange aushalten können, dass Demyx den großen Knall nicht mitbekam, wenn er in tausend Teile zersprang und das ganze Ausmaß seiner Schwäche offenbart wurde.

Morgen um diese Zeit würde der Fluch endlich vorbei sein. Er würde nicht mehr leben.
 

Demyx saß neben Zexion am Tisch und klebte das letzte Stück Papier auf ihr Plakat. Jetzt waren sie fertig, fast einen ganzen Tag vor dem Abgabetermin, es hatte noch nicht einmal zur Mittagspause geklingelt. Jetzt packten sie die Materialien zum letzten Mal weg und falteten das Plakat zusammen, um es besser transportieren zu können. Während der gesamten Aktion war Zexions Blick auf den Tisch gerichtet, als wolle er ihn zum schweben bringen. Es machte Demyx wahnsinnig!

Seit sie sich heute morgen vor der Schule getroffen hatten, hatte Zexion kein einziges Wort gesagt, Demyx nicht einmal auch nur angesehen! Er hatte es geschafft, stundenlang nicht hochzuschauen und Demyx Worte so perfekt zu ignorieren, als sei dieser gar nicht da. Demyx spürte heiße Wut in sich hochkochen, die er nur mühsam unterdrückte. Dieser Junge würde ihn noch in die Klapsmühle bringen! Wie konnte man nur so verdammt stur sein?!

Demyx hatte ein paar Mal versucht, über das zu reden, was am Abend zuvor passiert war. Ein leichtes Zusammenzucken und noch konzentrierteres Tisch-Hypnotisieren waren die einzige Reaktion gewesen. Wie schaffte er es nur, sich so lange so zu verhalten, als sei er taub?!

Demyx verstand Zexion einfach nicht. Was hatte er ihm denn getan, dass er ihn so permanent abwies? Was hatte er bloß gegen ihn? Demyx fühlte sich tief verletzt, es tat wirklich fast weh. Warum war es so viel zu viel verlangt, Zexion nur nahe kommen zu wollen? Was machte er nur falsch? Warum hasste Zexion ihn nur so sehr?

Niedergeschlagen vor sich hin starrend saß er auf seinem Stuhl und beobachtete Zexion aus den Augenwinkeln. Er stand am Fenster und sah hinaus, schien jedoch nicht wirklich etwas zu sehen. Seine Arme waren wieder um seinen Körper geschlungen, als müsste er sich vor irgendetwas abschirmen.

Das Gefühl, ihn beschützen zu müssen, wurde übermächtig. Demyx stand auf, ging zu ihm hin und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

Die Reaktion hätte eindeutiger nicht sein können. Zexion zuckte zusammen, sog scharf die Luft ein, drehte sich um und entfernte sich schnell rückwärts ein paar Schritte von Demyx. Dabei hatte er ihn nicht ein einziges Mal angesehen!

Das war der Moment, in dem Demyx explodierte.

“Du verdammter Idiot!” Er machte wütend einen Schritt auf Zexion zu, der weiter zurückwich. “Du dummer, verdammter Idiot!” Mit jedem Schritt den Demyx machte, wich Zexion weiter zurück, bis er irgendwann mit dem Rücken an der Wand stand. “Was fällt dir eigentlich ein, so auf den Gefühlen anderer Leute rumzutrampeln?! Hast du kein Herz?! Kannst du nicht reden?!” Er stand jetzt direkt vor Zexion, der verzweifelt versuchte, ein wenig Abstand zu gewinnen, indem er seine Hände abwehrend hob, ohne Erfolg. Demyx konnte ihn durch den Tränenschleier nicht mal richtig erkennen. “Kannst du mich nicht wenigstens ansehen?! Du ignorierst mich, als ob ich ein verfluchter Stein wäre! Ich halt das nicht mehr aus!” Und er schlug Zexion mit voller Kraft mitten ins Gesicht.

Einen Sekundenbruchteil lang weiteten sich Demyx’ Augen geschockt. Was hatte er da gerade getan?! Dann drehte er sich um und rannte weg.

9. Kapitel - Orangenblüten sterben

“Marluxia!”

Der Rosahaarige drehte sich um und schaute Demyx an, der winkend auf ihn zurannte. “Was ist denn, Demyx?”

“Ich muss mit dir reden. Hast du kurz Zeit?”

“… Ja, klar.” Marluxia schaute auf seine Uhr “Aber nur kurz, in fünf Minuten treffe ich mich mit Xigbar für die Gruppenarbeit.”

“Gut!”, Demyx strahlte. “Dauert auch nich’ lang! Ich wollte nur fragen, was du mir über Zexion sagen kannst. Ich glaub ihr kennt euch schon ziemlich lange, oder?”

Marluxias Augen verengten sich leicht. Worauf wollte der Blonde hinaus? “Jaa… aber wieso willst du das wissen?”

“Naja, ich bin ja mit ihm in einer Gruppe und so… Und irgendwie hat er sich gestern total komisch benommen und ich wollte wissen, ob das an mir liegt, oder ob der immer so ist!”

Marluxia seufzte. Das war typisch für Zexion. “Lass mich raten: er hat dich praktisch immer ignoriert?”

Demyx nickte niedergeschlagen. “Ja, das auch. Warum macht er das? Kann er mich nich leiden? Ich hab’ ihm doch gar nix getan!”

Das sah Zexion ähnlich! “Keine Angst, das liegt nicht an dir. Zexion ist ein Idiot! Er hat panische Angst vor allen sozialen Kontakten, er lässt einfach keinen an sich ran.”

Demyx legte den Kopf schief. “Und wieso? Ist ihm irgendwas passiert, dass er so geworden ist?”

Nachdenklich tippte sich Marluxia ans Kinn. Er wusste zu gut, was Zexion passiert war. “Kann man so sagen, ja.”

“Und was?” Demyx wirkte ehrlich interessiert und Marluxia fragte sich, in welcher Beziehung er wohl zu Zexion stand. Naja, es ging ihn nichts an.

Einen Moment schwieg der Rosahaarige, unschlüssig, ob er es wirklich erzählen sollte. Er wollte Zexion nicht irgendwie schaden -nicht schon wieder- und er überlegte, welche Konsequenzen es haben könnte, wenn er Demyx die ganze Geschichte erzählte. Aber der Blonde schien wirklich besorgt zu sein! Marluxia beschloss, seinen Motiven zu vertrauen.

“Im Kindergarten haben ich und Zexion uns sehr gut verstanden. Aber irgendwann ist dann etwas passiert...” Er schwieg noch einmal kurz. “Das war im Frühling, als wir beide gerade fünf Jahre alt geworden waren, wir sind fast genau gleich alt. Zexion war bis dahin immer fröhlich gewesen, auch wenn er schon immer sehr ruhig gewesen ist. Und dann hat er sich von einem Tag auf den anderen völlig verändert…” Er erinnerte sich noch lebhaft daran. Damals hatte er sich danach eine zeitlang mit Aliengeschichten beschäftigt, um herauszufinden, ob sein bester Freund vielleicht durch einen Klon ersetzt worden war. “Er hat kaum mehr gesprochen und war am liebsten allein. So, wie er jetzt ist, also.”

Demyx legte wieder den Kopf schief. “Und was genau ist da passiert?”

“Das habe ich auch erst Jahre später erfahren.” Hätte er es früher gewusst, währ vieles anders gekommen. Naja, die Vergangenheit konnte man nicht ändern. “Das war ‘ne wirklich schlimme Geschichte… Sag bloß keinem, dass ich dir das erzählt hab, okay?” Warum erzählte er Demyx das alles überhaupt? Er wusste es nicht… “Also… Zexions Mutter war schon immer ein bisschen krank… also krank im Kopf weißt du? Sie war zeitweise sogar in ‘ner Psychiatrie, vor allem nach Zexions Geburt, weißt du, er war ein ungewolltes Kind und seine Eltern hatten nie besonders viel Geld damals… und irgendwann ist sie dann einfach ausgetickt. Sie hat Zexion gesagt, dass sie spazieren gehen wollten und er ist mitgegangen, klar, sie war ja seine Mutter… und sie hat ihn hoch auf ein Hausdach geführt. Und da hat sie ihm dann das alles gesagt, wie sehr sie in hasst, dass sie ihn nie gewollt hatte, dass er ihr Leben zerstört hat, dass er besser tot wäre und so weiter. Und dann hat sie ihn vom Dach geschubst und ist selber hinterher gesprungen. Er hat es überlebt, sie nicht. Seitdem hasst sein Vater ihn, weil er ihm vorwirft, am Tod seiner Mutter schuld zu sein.”

Demyx starrte ihn schockiert an und schien eine Weile nach Worten zu suchen. “Und deshalb…”

“… Deshalb hat Zexion Angst davor, anderen Leuten zu vertrauen. Kein Wunder irgendwie, wenn man mit seinen eigenen Eltern sowas erlebt hat.” Marluxia konnte nicht verhindern, dass Mitleid in seiner Stimme mitschwang.

Demyx schwieg betroffen. Dann schaute er Marluxia in die Augen. “Und was hast du mit der Sache zu tun? Zexion hat gesagt, du hättest etwas gesagt…”

Das hatte ja irgendwann kommen müssen. Irgendwann musste man sich für jeden Fehler rechtfertigen, den man im Leben machte. Aber Marluxia hatte beschlossen, es nicht mehr zu verleugnen. “Ja, ich weiß. Das war, bevor ich erfahren habe, was Zexion passiert ist, dass er sich so verändert hat. Ich hab’s einfach nicht mehr mit ihm ausgehalten, so wie er jetzt war. Also hab ich ihm gesagt, dass ich die ganze Zeit nur so getan hab’ als wäre ich sein Freund und würde ihn eigentlich hassen. Da hat er plötzlich angefangen zu schreien, ich wusste gar nicht was los war. Seitdem habe ich nicht mehr mit ihm geredet… Ich weiß, dass ich damals einen Fehler gemacht habe. Ich glaube, seitdem ist Zexion erst recht traumatisiert, aber er hat mich nie wieder an sich rangelassen. Mich nicht und niemanden sonst.”

Demyx starrte Marluxia nur geschockt an. Offensichtlich nahm ihn die Geschichte mehr mit, als Marluxia gedacht hatte… aber es hatte gut getan, es endlich jemandem erzählt zu haben.

“We-weißt du, Marlu, ich muss jetzt leider ganz schnell weg… ich hab was wichtiges vergessen! Danke, dass du mir das erzählt hast, das hat mir sehr geholfen.” Und schon war er weggerannt und ließ Marluxia leicht verwirrt stehen.
 

Lächelnd schaute Zexion auf den Boden. Auf den Boden, der Meter unter ihm lag, Häuser, Autos, Menschen, eine einzige Spielzeugwelt. Der Wind, der durch seine Haare fuhr und über seine Haut strich, war kalt, der Himmel grau vor Wolken. Bald würde es regnen, aber er würde es wohl nicht mehr mitbekommen. Ein Tropfen fiel auf die Erde zu und Zexion bildete sich ein, ihn auf der Straße zerspringen hören zu können. Es regnete noch nicht, erst jetzt fiel ihm auf, dass wieder Tränen seine Wangen hinabliefen und kalte Spuren auf ihnen hinterließen. Er musste fast über seine Schwäche grinsen, aber seine Mundwinkel verzogen sich nur leicht. Er hatte keine Kraft mehr.

Mit einer kalten Hand, die ihm schon fast wie die eines Toten vorkam, strich er über seine noch leicht gerötete Wange. Demyx hatte recht gehabt, ihn zu schlagen. Dafür, dass er ein Idiot war. Dafür dass er schwach war. Dafür, dass er jetzt gehen würde.

Demyx… Zexion hätte sich gewünscht, sich anders von ihm zu trennen. Er war der erste, der es geschafft hatte seinen Panzer zu durchbrechen, der Grund für seine Niederlage, für seinen baldigen Tod. Er war etwas Besonderes, anders als alle Anderen. Er war Zexions Tod. Ein schöner Tod.

Zexion schaute weiterhin konzentriert nach unten. Er wusste nicht, wie lange er hier schon stand, er hatte sein Zeitgefühl zusammen mit seinem Leben verloren. Er hatte keine Eile. Jetzt war er Nichts mehr, keine Emotionen, einfach nur eine Hülle, die Abschied nahm von ihrem grauen Leben, bevor sie in die endlose Dunkelheit springen würde. Etwas anderes konnte es für ihn nach dem Tod nicht geben. Das war, was er verdient hatte, dafür, dass er so armselig war, dafür, dass er Demyx wehgetan hatte.

Zexion musste wieder lächeln. Er wünschte sich, er wäre jemand anders gewesen, hätte eine Seele gehabt, die noch nicht zersprungen war. Er hätte Demyx so gerne vertraut, auch wenn er verletzt worden wäre. Aber dazu war er zu schwach gewesen. Und jetzt war es sowieso für alles zu spät.

Der Abgrund unter ihm schien ihn zu sich zu rufen. Das war das einzige Schicksal, das ihn erwarten konnte, der Tod, der ihm schon vor Jahren zugesprochen gewesen war. Jetzt würde er den letzten Wunsch seiner Mutter erfüllen. Er schaute noch einmal zum Himmel auf. Große Regentropfen fielen kalt auf sein Gesicht und er breitete die Arme aus, um sie aufzufangen. Dann machte er einen weiteren Schritt auf den Abgrund zu.

10. Kapitel [final]- Orangenblüten wachsen

Demyx rannte. Er blieb immer nur stehen, um ein paar Passanten zu fragen, ob sie einen Jungen mit einer seltsamen Haarfarbe hier langkommen gesehen hätten. Er musste Zexion finden! Er hatte einen Fehler gemacht. Was er getan hatte war das Falscheste gewesen, was er hätte tun können. Es war nicht so, dass Zexion ihn hasste, er hatte nur Angst davor, anderen zu Vertrauen. Und Demyx hatte ihn in seiner Furcht auch noch bestärkt, indem er ihn angeschrien, ihn sogar geschlagen hatte. Sein Herz schlug schnell, schneller noch als seine Schritte. Er hatte ein ganz schlechtes Gefühl bei der Sache… wäre er doch nur früher auf die Idee gekommen, mit Marluxia zu reden!

Er musste Zexion finden! Und wenn er ihn gefunden hatte, würde er ihn dazu bringen, ihm zu Vertrauen. Er würde nicht noch einmal aufgeben! Er würde Zexion definitiv nicht nochmal verletzen!

Ein paar Mal hätte er fast die Spur verloren, aber er hatte sie zum Glück recht schnell wiedergefunden. Sie führte ihn direkt zum höchsten Gebäude der Stadt, dem großen Kirchturm. So schnell er konnte rannte er die steinernen Treppen hinauf. Die ersten Regentropfen fielen auf sein Gesicht. Er hatte ein ganz schlechtes Gefühl…
 

Als Zexion die Schritte hinter sich hörte, drehte er sich nicht sofort um. Die Welt bestand nur noch aus einem Abgrund, er konnte sich kaum davon lösen. Nur langsam reagierte sein Körper auf die Befehle, die sein Gehirn ihm gab: umdrehen und schauen, wer da seinem Zusammenbruch beiwohnen wollte.

Als er die Person sah, die jetzt atemlos vor ihm auf dem Dach der Kirche stand, zuckte er innerlich zusammen. Warum nur?!

“Hallo, Demyx.” Er lächelte den Blonden an. Mehr Tränen liefen ihm über die Wangen und Zexion wunderte sich, wo sie bloß herkommen mochten. “Bist du hier, um das Ende der Vorstellung zu sehen?” Er war nicht erstaunt, seine Stimme völlig emotionslos und fern zu hören. Vom Leben hatte er sich längst verabschiedet.

“Ich… du… was?” Demyx Stimme war aufgewühlt. Zexion spürte einen stürmenden Tornado an Gefühlen und es kam ihm unwirklicher vor als seine eigene Ruhe. “Was zum Teufel tust du hier?!”

“Ist das nicht offensichtlich?”, fragte Zexion und legte leicht den Kopf schief. Sein eigener Körper erschien ihm wie der eines Anderen. “Ich engagiere mich für die Müllentsorgung.” Wie um seine Worte zu unterstreichen ließ er seinen Fuß über dem Abgrund schweben.

“… WAS?!” Demyx klang ehrlich entsetzt. Was für ein guter Schauspieler er doch war. Er machte einen Schritt auf Zexion zu, aber Zexion rückte noch näher an den Abgrund heran und Demyx musste anhalten. Zexion würde nicht zulassen, dass er sich ihm näherte.

“Du willst das doch nicht ernsthaft… machen, oder?” Fast, fast glaubte Zexion Demyx’ Schauspielerei. Aber nur fast.

“Warum denn nicht?” Er musste wieder kichern. Die ganze Situation war so unwirklich.

Demyx schwieg. Hatte er es doch gewusst! Es gab keinen Grund, zu bleiben.

“Auf Wiedersehen, Demyx.” Zexion hörte seine eigene Stimme kaum noch, so weit war sie jetzt schon weg. “Ich hätte dich gerne unter günstigeren Gegebenheiten getroffen.”

Er machte entschlossen noch einen Schritt zurück. Und der Abgrund zog ihn in eine stürmische Umarmung.
 

Als Zexion fiel schaltete die Welt in Zeitlupe um. Hilflos sah Demyx ihn nach hinten kippen, er konnte sich nicht bewegen! Er hörte einen Schrei und begriff, dass er selbst schrie. Seine Beine bewegten sich nicht! Oder vielleicht rannte er schon längst…? Er sah einen einzigen Wirbel aus Eindrücken, konnte nicht zuordnen, was Realität war und was nicht, was wichtig war und was nicht. Sein Herz schlug so laut wie die Welt sich drehte und er sah alles und nichts, nahm nichts wahr, alles drehte sich………

Das Drehen hörte so plötzlich auf, dass er einen Moment lang völlig orientierungslos war. Schnappend klar kam die Wirklichkeit zurück, als ein Ruck durch Demyx’ Arm fuhr. In weniger als einem Wimpernschlag begriff er, was passiert war und er tat das einzig Richtige: er stolperte zurück, bloß weg von der gähnenden Tiefe. Er konnte nicht sagen, wie er es geschafft hatte, Zexion hochzuziehen, ohne dass ihm der Arm abriss. Aber es war ihm auch absolut egal.

Am ganzen Körper zitternd zog er Zexion an sich heran und rückte bis an die Wand zurück. So weit weg wie möglich vom Rand des Daches. Er schlang die Arme schützend um Zexions Körper. Noch einmal würde er ihn nicht verlieren! Wie ein einziges Wesen saßen sie am Boden und versuchten, wieder zu Atem zu kommen, als seien sie gerade einen Marathon gelaufen.

Zexions Stirn lag an Demyx’ Schulter, sodass seine flüsternde Stimme kaum bei Demyx ankam. “Warum… warum hast du mich nicht gehen lassen?”

Anstelle einer Antwort nahm Demyx Zexions Gesicht in beide Hände und legte seine Lippen auf die des Kleineren. Er spürte, wie Zexion sich versteifte und hätte beinahe wieder aufgehört, als der Grau-blauhaarige sich entspannte und den Kuss zögerlich erwiderte.
 

Als sich ihre Lippen langsam lösten konnte Zexion seine schwirrenden Gedanken kaum beruhigen. Die Leblosigkeit von vorhin war verschwunden, sein Herz flatterte wie ein Vogel, den man gerade aus einem Käfig befreit hatte. Es war wie ein Traum und Zexion hatte Angst davor, aufzuwachen.

Er schaute auf und sah dass Demyx ihn anlächelte. Und hoffte, dass er nicht aufwachen würde.

“Ich hatte keine Lust, dich gehen zu lassen.”

Demyx schlang die Arme noch enger um Zexions Körper. Das Gefühl war… unbeschreiblich. Zexion hatte sich noch nie irgendwo so sicher gefühlt. Er lehnte sich gegen Demyx und genoss seine Wärme.

Vielleicht würde Demyx Zexion zerstören. Vielleicht war er wirklich sein Tod und war nur darauf aus, sein Ende so schmerzhaft wie möglich zu machen. Aber vielleicht war er auch derjenige, der Zexions zerstörte Seele wieder zusammenflicken konnte…. Zexion hatte beschlossen, es darauf ankommen zu lassen. Er hatte beschlossen, noch ein einziges Mal das Risiko einzugehen.

Er hatte beschlossen, Demyx zu vertrauen.
 

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so das wars mit meiner FF XP

danke an alle, die bis hierhin gelesen haben <3 *kekse verteil* ich hoffe sie hat euch wenigstens ein bisschen gefallen XD
 

vielleicht werd ich auch noch ne fortsetzung machen :D je nachdem, wie viele das möchten...

also wenn ihr ne fortsetzung wollt sagt einfach bescheid XDD *strange werbungsstimme*

Byebye, Eure Fishy



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Kommentare zu dieser Fanfic (23)
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Von: abgemeldet
2012-10-03T16:18:47+00:00 03.10.2012 18:18
ich muss sagen ich lese selten ff aber das war eine unheimlich schöne Geschichte und es ist schade das es nicht weiter geht .Aber du kannst echt Lebhaft und Fantasiereich schreiben .Vielleicht machst du ja irgendwann weiter ^^.
Von:  Blackmailer
2009-12-12T00:16:51+00:00 12.12.2009 01:16
XD
Ich find den Kommi so lustig
"Was war er, ein Ninja?"
Zexy ist nen NInja xD'
*lach*
Von: abgemeldet
2009-12-11T20:02:18+00:00 11.12.2009 21:02
Erstmal~....*tief Luft hol*
Eine echt süße und sau gutgeschriebene FF ^^
hat sehr viel spaß gemacht sie zu lesen. <3
Demyx und Zexion sind ja soooooo süß zusammen!!! TT-TT
Und wer weiss? Vielleicht könnten sich Marluxia und Zexy auch i-wann wieder leiden?? ^-^
Ich würds gern wissen!!!!!
Also mach bitte bitte bitte ne fortsetzung??? óò
büddddddeeeeeeee!!!!!!!!!! =3

Lg, Noel
Von:  Bittersweet-Sora
2009-11-19T16:07:56+00:00 19.11.2009 17:07
Oh gott ist die FF traurig T-T
*shnif*
ich hab so gehofft das noch alles gut geht
ich hab echt gedacht das du Zexion umbringen lassen wolltest *-*
zum glück war das der fall nicht
*erleichterung*
schade das sie schon vorbei ist...
ich fand die FF sau schön~
Von:  Rondine
2009-11-19T11:35:33+00:00 19.11.2009 12:35
Fertig...? ;_;
Oh Gott... Man was hatte ich eine Angst...
Aber Gott sei dank hat Demyx Zexion Leben gerettet...
Und die Emotionen, wie du sie beschrieben hast *.*
Einfach himmlisch <3
...
Fortsetzung??? *sternchen Augen*
Ich bitte darum!! ^_^
Ja, Fortsetzung? *dich mit riesigen Hundeaugen anguck*
vlg
Von:  PhantomOphelia
2009-11-18T15:05:38+00:00 18.11.2009 16:05
Ein Glück, Demyx hat sich nicht verlaufen XD
Schön, dass er es noch rechtzeitig geschafft hat *erleichtert aufatme*
Es geht jawohl hoffentlich noch länger weiter...?
Bitte beeil dich mit dem nächsten Kapi =3
Von:  OswaldBaskerville
2009-11-18T10:48:17+00:00 18.11.2009 11:48
boah gott sei dank!!!
ich hatte echt schiss das es das jetzt war XD
ich bin dir so dankbar das zexion noch lebt und demyx ihn retten konnte!!
*erleichtert ist*
das kapi war echt genial und endlich fasst zexion vertrauen ^^
er hat ja auch gefühle für demyx *gg*
und der kuss war so süß das ich den gleich zweimal lesen musste xDDD
ich hoffe die ff geht noch ne weile ^^
Von:  PhantomOphelia
2009-11-03T17:50:14+00:00 03.11.2009 18:50
Tja... wieder mal ein sinnloses Kommi, aber ich kanns nicht lassen... Mir fällt nix ein :3
Also...*nachdenk* Okay, ich versuch's...
Ich bin wieder mal begeistert, auch wenn das Kapitel ja nicht sonderlich 'toll' ist...
Zexions Vergangenheit ist jetzt auch endlich raus,
hoffentlich kommt Demyx noch rechtzeitig :3
Beeil dich Demyx, und verlauf dich nicht :3
Schreib bitte gaaaaaaaaaaaaanz schnell weiter!!!
Von:  Rondine
2009-11-03T14:53:48+00:00 03.11.2009 15:53
Nein...
Hoffentlich kann das Demyx wirklich noch verhindern...q_q
Zexion darf nicht sterben, die FF ist so toll *_*
Bitte weiter schreiben.

Von:  OswaldBaskerville
2009-11-03T10:25:53+00:00 03.11.2009 11:25
Q.Q
nicht zexion...
bitte nicht...
ich hoffe so sehr das demyx noch rechtzeitig kommt...
*wein*
schreib bitte schnell weiter.. bitte bitte..
die ff ist so traurig...


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