Der Ruf des Zwillings von Ryu_no_Sekai ================================================================================ Kapitel 1: Der Ruf des Zwillings -------------------------------- Der Ruf des Zwillings Viele von euch werden mir meine Geschichte vielleicht nicht glauben, aber das ist nicht wichtig, denn ich weiß, dass sie wahr ist. Es war vor genau 70 Jahren, ich erinnere mich noch genau, an diesen Tag. Es war der 15. Januar 1995, der Tag, an dem ich den Mann meiner Träume heiratete. Es war keine große Hochzeit gewesen und wir hatten sie auch nicht geplant. Ich bin damals einfach mit ihm durchgebrannt. Wir fuhren nach Las Vegas und heirateten in einer schillernden bunten Kapelle, wo alle aussahen wie exotische Vögel. Auch wir. Ich weiß noch genau, wie mein Mann gelächelt hat, als ich in diesem furchtbaren bunten Kleid und den Federn in meinem, damals noch rotem, Haar auf ihn zu ging. Es hat sich alles furchtbar gebissen, und ich bin mir sicher, dass ich die hässlichste Braut war, die man sich vorstellen kann. Und er stand da, in diesem dunkel blauen, mit Strasssteinen besetzten Anzug und lachte über mich. Es war das erste mal seit Monaten, dass er wieder dieses wundervolle Lachen lachte, das jeden in seiner Umgebung ansteckte. Wir lachten die ganze Trauung durch immer wieder. Und ich hatte das Gefühl, dass dieses Lachen, dieses Glück, dass wir nach so einer langen, schweren Zeit verdient hatten, nie enden würde. Erst in der Nacht sollte ich herausfinden, wie sehr ich mich irrte...... Irgendetwas hatte sie geweckt, verschlafen richtete sie sich auf und blickte sich in dem durch die Neonlichter der Stadt beleuchteten Zimmer um. Noch immer lagen das kunterbunte, mit Federn bestückte Hochzeitskleid, und der mit Strasssteinen besetzte Anzug durchs ganze Zimmer verstreut. Der Anblick löste eine neue Welle des Glücks in ihr aus. Es war nicht nur ein wunder schöner Traum gewesen, sie waren wirklich in Las Vegas, sie haben es tatsächlich getan. Sie sind zum trotz aller einfach durchgebrannt und haben geheiratet, obwohl es heute morgen noch den Anschein hatte, als ob sie nie wieder zusammen kämen. Und da auf der Bettkante saß er, der Mann, den sie über alles liebte und der nun ihr Mann war, und schaute sie einfach nur an. Ihr sprang fast das Herz aus der Brust vor Glück, als sie alle Einzelheiten von ihm in sich aufsog. Seine rabenschwarzen Haare, die im Neonlicht der Casinos in allen erdenklichen Farben schimmerten, seine silbergrau leuchtenden Augen und die Lichtpunkte, die über seinen Brustkorb tanzten, auf dem diverse Operationsnarben unheilverkündend, milchig weiß leuchtend hervortraten. Bedrückt blieb ihr Blick genau dort über seinem Herzen hängen. Langsam hob sie ihre Hand und berührte leicht seine Narben. „Denk nicht mehr darüber nach.“ Sanft hob er ihr Kinn an, so dass sie ihm nun in die Augen sehen musste, „Das ist nun alles vorbei.“ „Wie kannst du dir da sicher sein?“ „Ich weiß es einfach. Glaub mir, ich werde nie wieder ins Krankenhaus müssen...“ Bei diesen Worten huschte ein trauriges Lächeln über seine Züge. Ungläubig sah sie ihn an. Und eine jähe Angst ihn zu verlieren überkam sie. „Aber was, wenn du einen Rückfall erleidest. Ich könnte nicht ohne dich leben...“ „Sag so etwas nicht!“ Heftig fasste er sie an den Schultern „Bitte sag so etwas nie wieder!“ Geschockt sah sie ihn an, und bemerkte zum ersten mal, das Tränen in seinen wunderschönen Augen glitzerten. „Was ist los?“ Diese ganze Situation machte ihr Angst. Langsam zog er sie in seine Arme, drückte sie ganz fest an seine starke Brust und flüsterte: „Ich will nur, dass du weiter lebst. Ich will, dass du dein Leben genießt, auch ohne mich. Und wenn du nicht für dich weiter leben willst, dann tu es für mich. Und für unsere Tochter.“ Verwirrt löste sie sich aus seinen Armen: „Ich verstehe dich nicht. John, du machst mir langsam wirklich Angst. Von was für einer Tochter redest du?“ Traurig lächelnd sah er sie an: „Schon im ersten Augenblick, in dem ich dich sah, habe ich mich unsterblich in dich verliebt. Ich liebe dich sogar noch über den Tod hinaus. Es gibt so vieles, was ich dir noch gerne sagen würde, aber ich fürchte, mir fehlt die Zeit.“ Eine unangenehme Unruhe nahm nun von ihr besitz. Warum sagte er so was? Sie würden noch Tage, Wochen, ach was Jahre haben. Genug Zeit, um ihr alles zu sagen, was er wollte. Sie wollte protestieren, doch er bedeutete ihr zu schweigen, indem er seinen Finger auf ihre Lippen legte. Er fühlte sich merkwürdig irreal an, so als würde er gar nicht mehr aus Fleisch und Knochen bestehen. Sie musterte den Mann, der da so ruhig saß genauer, und irgendwie wirkte er durchscheinend, wie ein Geist, der immer durchscheinender wurde. „Was ist mit deinem Körper los?“ „Es tut mir wirklich Leid. Ich wünschte, ich könnte noch bei dir bleiben. Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit gehabt...Aber ich habe es ihm versprochen. Du weist, ich kann ihn nicht allein lassen, er ist doch mein kleiner Bruder.“ Er lachte über diesen mittlerweile schon uralten Witz. Es war ein ansteckendes lachen, und auch sie musste schmunzeln. Doch das bedrückende Gefühl der Angst, des Verlustes verschwand nicht und auch sein Blick war noch genauso traurig wie vorher. Tränen kullerten ihre Wange hinunter, obwohl sie immer noch sein lachen teilte, als sie verstand, was ihr Mann ihr sagen wollte. Sie wusste, dass sich die Zwillingsbrüder schon früh versprochen hatten, dass sie zusammen sterben würden. Aber musste es ausgerechnet jetzt sein? Sollte ihr Mann wirklich wegen einem Versprechen aus frühster Kindheit sterben? Nach allem, was sie durch gemacht hatten. Und wo sie jetzt endlich glücklich waren sollte er einfach so sterben? Gab es denn nichts was sie dagegen tun konnte? Er wischte ihr die Tränen weg,: „Es ist in Ordnung so...also gibt es keinen Grund zum Weinen...“ Er hatte sich nun schon fast ganz aufgelöst und seine Stimme klang wie aus weiter ferne. Sie versuchte ihn festzuhalten, wollte ihn nicht gehen lassen. Sie schrie, dass er da bleiben solle, doch es brachte nichts. Sein Körper löste sich auf, bis er schließlich vollends verschwand. Das einzige, was im Raum nachhallte waren seine letzten Worte: „Lebe weiter und wir werden uns wiedersehen, versprochen...“ Schweißgebadet wachte sie auf. Saß kerzengerade im Bett und schaute sich hektisch im Hotelzimmer um. Es war das selbe Zimmer, in dem sie eben schon einmal aufgewacht war. Es lagen immer noch die Kleider überall verteilt und es schien immer noch das selbe Neonlicht ins Zimmer, auch wenn sich nun die ersten Sonnenstrahlen darunter mischten. Doch das wichtigste war, dass sie nicht alleine war. Ihr Mann lag neben ihr. Immer noch am ganzen Leib zitternd, aber durch seine Anwesenheit beruhigt, beschloss sie ihren Albtraum zu vergessen und sich wieder schlafen zu legen. Sie kuschelte sich an ihren Mann und versuchte an etwas anderes zu denken. Doch immer wieder wanderten ihre Gedanken zu ihrem Mann und seiner Herzkrankheit, zu den Zwillingen und ihrem Versprechen, zu der Angst ihn zu verlieren und zu dem, was er ihr im Traum gesagt hatte. Sie schallt sich selbst dafür, dass sie auch nur noch einen Gedanken an dieses Hirngespinst verschwendete. Niemand starb wegen einem einfachen Versprechen! Da ihre Gedanken trotzdem kein anderes Thema zu finden schienen, begann sie an nichts zu denken und stattdessen auf die Atmung und den Herzschlag ihres Mannes zu hören. Doch da war kein Atem, und auch kein Herzschlag. Sie horchte genauer hin, nahm die unzähligen Geräusche der Stadt war, blendete sie aus. Und hörte doch nur das Rasen ihres eigenen Herzens und ihren aufgeregten Atem. Das beklemmende Gefühl der Angst kehrte zurück und schnürte ihr förmlich die Kehle zu, als sie nach seinem Puls tastete und keinen fand. In heller Panik rief sie einen Notarzt, obwohl sie da schon wusste, dass es zu Spät war und ihr wurde bewusst, dass ihr Traum wirklich gewesen war... Kurz darauf traf auch schon der Notdienst ein und stellte den Tod meines Mannes offiziell fest. Zu diesem Zeitpunkt war ich kaum noch ansprechbar und bekam etwas zur Beruhigung. Von meinem Traum habe ich keiner Menschenseele erzählt, bis heute nicht. Zuerst habe ich nichts von dem verstanden, was John mir gesagt hat. Jedoch war die Nachricht, dass sein Bruder nur eine Stunde vor ihm verstarb keine Überraschung für mich gewesen. Immerhin ist John auf seinen Ruf hin mit ihm gestorben. Ich verlor den Menschen, der mir alles auf der Welt bedeutete und bekam dafür einen neuen: Meine wunderschöne Tochter, Isabella, die ab da an mein Leben war. Ich erfuhr etwa eine Woche nach dem Tod meines Mannes von der Schwangerschaft und nach der Geburt musste ich für Isabella Mutter und Vater in einem sein. Und obwohl ich nicht viel Geld verdiente hat es uns nie an etwas gefehlt. Auch größere Krankheiten und Verletzungen machten um uns einen großen Bogen. Ich bin mir sicher, dass er dafür verantwortlich war. Bestimmt hat er über uns gewacht, wo auch immer er war. Ich lebte also weiter, für uns beide. Und ich kann nicht sagen, dass es ein schlechtes Leben war. Es gab viele glückliche Zeiten, auch, wenn ich mich noch immer Frage, wie es gewesen wäre, wenn er nicht gestorben wäre. Doch das werde ich nie erfahren. Ihn vergessen konnte ich nicht und eine lange Zeit quälte mich der Gedanke, ihn nie wieder zu sehen. Doch dann fielen mir seine letzten Worte ein, sein letztes Versprechen an mich: „Lebe weiter und wir werden uns wiedersehen, versprochen...“. Er hat jedes einzelne seiner Versprechen gehalten. Also weiß ich, dass ich ihn wiedersehen werde und zwar schon bald. Denn nun bin ich alt und auch mein Leben wird bald zu ende sein, so wie das eines jeden von uns einmal zu ende geht. Doch ich habe keine Angst vor dem Tod, denn ich weiß, dass jemand auf mich wartet, der mich liebt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)