Bunch of Flowers von S_ACD (Auf Blumensuche...) ================================================================================ Kapitel 1: One-Shot ------------------- --- Vielen Leuten war diese Tatsache wahrscheinlich nicht bekannt, aber Vize zu sein war ein knochenharter Job. Es bedeutete, Verantwortung zu tragen und Entscheidungen treffen zu müssen. Es bedeutete, loyal und verlässlich zu sein. Es bedeutete, den eigenen Captain immer und zu jeder Zeit zu unterstützen. Ben Beckman seufzte verhalten. Und ganz offensichtlich bedeutete es auch, besagtem Captain mitten in der Nacht hinaus zur nächstbesten Blumenwiese zu folgen, weil der so besoffen war, dass er kaum mehr mitbekam, wohin er seine Füße setzte. Zweimal war er hingefallen, viermal gegen eine Hausmauer gerannt (das fünfte Mal war nur ganz knapp verhindert worden) und einmal hatte er sich übergeben. Und das alles nur, weil... Ben hielt inne und runzelte die Stirn. Verdammt gute Frage. Warum eigentlich? „Shanks?“ Die Gestalt vor ihm stolperte weiter die Straße entlang, die aus dem Dorf hinausführte und schien ihn nicht einmal zu hören. Er beeilte sich, mit ihr Schritt zu halten. „Shanks.“ „Hmmm?“, der Angesprochene drehte sich halb zu ihm herum, allerdings ohne vorher stehenzubleiben, was zur Folge hatte, dass er beinahe zum dritten Mal umfiel, „Was’n?“ „Wohin sind wir eigentlich unterwegs?“ Das „wir“ war reine Formsache. Es war ja schließlich nicht so, dass Ben irgendetwas mitzubestimmen hatte. Seine Aufgabe bestand darin, hinterherzulaufen und sicherzustellen, dass niemand ernsthaften Schaden nahm. Shanks runzelte ob der Frage die Stirn, so als müsste er selbst erst überlegen, was er hier draußen zu suchen hatte. „Das...“, murmelte er und wiederholte dabei exakt den Gedanken, den Ben vor wenigen Sekunden noch gehabt hatte, „Is’ne verdammt gute Fra... Blumen!“ Er wirbelte herum und fuchtelte mit dem rechten Zeigefinger vor Bens Gesicht herum. „Ich brauch’ Blumen!“ Ben nickte entnervt. So viel hatte er bereits mitbekommen. „Ich weiß“, sagte er, „Nur... würdest du mir auch sagen, warum?“ Doch Shanks hatte sich schon wieder umgedreht und seinen Weg fortgesetzt. Inzwischen hatten sie die letzten paar Häuser hinter sich gelassen, links und rechts erstreckten sich ebene Flächen. Weit hinten konnte man die großen, fast schon bedrohlichen Umrisse der Windmühlen sehen, die in den dunklen Nachthimmel aufragten wie Schiffe, die dabei waren, in einen Hafen einzulaufen. Ben betrachtete sie sekundenlang nachdenklich und fiel im nächsten Moment beinahe über Shanks, der am Wegesrand in die Knie gegangen war und eingehend ein Grasbüschel untersuchte. „Heilige...!“, fluchte er, „Was machst du denn?!“ Shanks sah auf, eine Hand immer noch zwischen den Halmen vergraben. „Wassagst du, hmm? Sin’ das Blumen?“ Ben verzichtete darauf, neben ihm in die Hocke zu gehen, tat jedoch so, als würde er eingehend darüber nachdenken. „Nein“, sagte er dann, „Nein, ich denke nicht.“ Shanks kniff die Augen zusammen und brachte den Kopf ganz nahe an das Büschel heran. „Scheiße...“, murmelte er gedämpft, „Glaub fast, du hast Recht...“ „Jahh“, sagte Ben schmunzelnd, „Kommt durchaus mal vor, weißt du?“ Er machte Anstalten, seinem Captain dabei zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen, aber das erwies sich als überflüssig. Shanks sprang federnd auf, drehte sich kurz desorientiert um die eigene Achse und setzte seinen Weg dann ungerührt fort. Zufall oder nicht, er erwischte sogar die richtige Richtung – weg vom Dorf und hinein ins Grüne. Ben seufzte abgrundtief und fragte sich zum wiederholten Mal, ob es moralisch vertretbar war, ihn einfach am Kragen zu packen und zurück in die Bar zu zerren. Schön, einen besonders guten Eindruck hätte es vermutlich nicht gemacht, aber... mal ehrlich, der Rest der Mannschaft war sowieso hinüber und außerdem, ein bisschen Verständnis für seine Lage musste man doch auch aufbringen können. Oder? Shanks war in der Zwischenzeit mitten hinein ins nächstbeste Feld gestolpert. „Ach du...“, stieß Ben hervor und beeilte sich, ihm zu folgen, „Warte, warte! Wo willst du denn hin?“ „Was’n das für’n Scheiß!“, Shanks breitete ungehalten die Arme aus, „Da sind nirgendwo Blumen!“ „Was unter Umständen daran liegt, dass das hier ein Feld ist“, Ben hatte ihn erreicht und zerrte ihn aus Ermangelung an Alternativen jetzt doch am Ärmel zurück auf den Weg, „Los, komm da raus.“ Shanks protestierte halbherzig. „Aber... aber, hey! Mann, du kapiers’das nich’! Kann hier nich’ wech ohne Blumen...“ Der Blick, den er Ben zuwarf, war der eines trotzigen Kindes und sein Vize schüttelte entnervt den Kopf. Dieser Kerl war einfach unmöglich. Die Grenze zwischen dem ewig betrunkenen Vollidioten, der alleine mehr Mist baute als seine ganze versoffene Mannschaft zusammen und dem entschlossenen Mann, der in einer Minute verkatert und kaum ansprechbar in der Ecke lag und in der nächsten gebieterisch und vollkommen sicher Befehle erteilte, weil wie aus dem Nichts ein Marineschiff am Horizont aufgetaucht war, schien fließend zu sein. War sie immer schon gewesen. Und er hatte auch überhaupt nichts dagegen, wirklich nicht. Es war gut so, wie es war und ganz ehrlich, er hätte alles für diesen Mann getan, aber manchmal... nun, manchmal wurde es eine winzige Spur anstrengend. „Shanks“, sagte er überdeutlich, „Wofür? Wofür in Dreiteufelsnamen brauchst du um halb zwei Uhr morgens gottverdammte Blumen?!“ Der Angesprochene blinzelte so überrascht, als sähe er zum ersten Mal, mit wem er es eigentlich zu tun hatte. „Huh?“, fragte er verblüfft, „Ben? Was machst du’n hier?“ Ben unterdrückte den Drang, ihn an den Schultern zu packen und zu schütteln. „Ist egal“, knurrte er, „Das tut jetzt nichts zur Sache. Blumen – was willst du damit?“ Shanks legte die Stirn in Falten. Zwei, drei Sekunden lang schien er ernsthaft über die Frage nachzudenken. „Ahh!“, wieder schoss sein Zeigefinger in die Höhe, „Genau! Fast hätt’ichs vergessen...“ Er klopfte Ben mit aufrichtiger Dankbarkeit auf die Schulter. „Danke, Kumpel.“ Mit diesen Worten wollte er sich wieder davonmachen. Ben war gezwungen, den Ärmel, an dem er ihn festgehalten hatte, loszulassen, aber geschlagen gab er sich trotzdem nicht. Er machte ein paar hastige Schritte und blockierte dem Flüchtenden den Weg. „Blumen“, sagte er laut und deutlich, „Wozu? Warum Blumen?“ Shanks hatte doch tatsächlich den Nerv, die Augen zu verdrehen. „Tse“, sagte er, „Dumme Frage. Das is’ doch wirklich einfach.“ Wer weiß, vielleicht war es das auch. Vielleicht war Ben bloß zu dämlich, um es zu kapieren... und wenn schon. Er hatte die Verantwortung, also hatte er auch das Recht, nachzufragen, Punktum. „Erleuchte mich“, sagte er. Auf Shanks Gesicht erschien ein unglaublich breites, dämliches Grinsen. Das Traurige an der ganzen Sache war, Ben wusste genau, dass daran nicht der Alkohol schuld war. Wenn er nüchtern war, konnte der Kerl ganz genauso aussehen. „Brauch Blumen für ’nen Blumenstrauß“, sagte er, „Is’ doch logisch.“ „Ah“, sagte Ben. „Für Makino“, fügte Shanks hinzu, „Alles klar? Die soll nich’ glauben, dass ich nich’su schätzen wüsste, wasssie immer füruns tut...“ „Ah“, wiederholte Ben. Das machte tatsächlich Sinn. Auf eine sehr seltsame, verquere Art und Weise, für die sich jeder normale Mensch vermutlich an die Stirn gegriffen hätte. Aber hey- sie waren Piraten. Steckbrieflich gesucht. Vogelfrei. Rein vom Gesetz her durften sie alles – und vermutlich schloss das eine volltrunkene Blumensuche mitten in stockdunkler Nacht mit ein. Shanks stand da und schien immer noch auf seine Reaktion zu warten. Fast sah er aus, als hätte er soeben irgendein schwerwiegendes Geständnis gemacht. Möglicherweise hatte er das auch. Ben seufzte zum dritten Mal. Na schön. Es machte zwar überhaupt keinen Sinn, aber schließlich war er Vize. Wenn der Captain etwas wollte, dann hatte er dafür zu sorgen, dass er es auch bekam... selbst wenn es ein Blumenstrauß um zwei Uhr morgens war. „Okay“, sagte er gottergeben, „Meinetwegen, suchen wir eben ein paar Blumen. Wie schwer kann das schon sein?“ Shanks sah aus, als wäre er mit sich und der Welt zufrieden. Und als sie weiter den gewundenen Weg entlanggingen, einer mit sicheren Schritten, der andere eher schwankend, ging Ben durch den Kopf, dass er trotzdem um nichts in der Welt getauscht hätte. Mit niemandem. --- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)