Die Nachhilfe
„Aber so glaubt mir doch! Sie war es, ganz sicher! Sie geht nun auf die Schule, in die ich gegangen bin. Aber sie scheint nicht von hier zu kommen“, erklärte Kagome, die bereits 24 Jahre alt war. Die Zeit verging auch in der Vergangenheit und zog an Kagome, so wie allen anderen auch, nicht einfach nur vorbei. Die Splitter waren alle gefunden worden, Kohaku konnte man auch ein eigenständiges Leben wieder geben. Es war eine riesen Herausforderung gewesen, doch bis jetzt lief es gut. Wie lange das anhalten würde, wusste jedoch niemand. Er litt manchmal unter Schwächeanfällen, doch Hauptsache er lebte.
Das Juwel wurde von Kagome bewacht, so wie auch von InuYasha und der Gruppe. Keine leichte Aufgabe, manchmal waren die anstürmenden Dämonen sehr lästig.
Gerade schien die Sonne auf das Dorf, in dem Kaede lebte und erschwerte den Männern bei der Arbeit auf dem Feld das Leben. Die Sonne brannte sich regelrecht in die Haut. Doch damit mussten sie leben. Kagome und der Rest der Gruppe saßen im Schatten eines großen Baumes. Wie nicht anders zu erwarten, hatte sich InuYasha auf einen Ast gesetzt, wo er jedes kühle Lüftchen abbekam. Er war platt, völlig gerädert und ausgelaugt. Aber so erging es gerade jedem. Die Hitze war nicht nur in der Neuzeit unerträglich!
„Und wie soll das funktionieren? Ich meine hier sind nicht einmal fünf Jahre vergangen und sie soll dort schon bald zwanzig sein?“ Miroku dachte nach.
„Das ist ganz einfach. Kagome's Zeit liegt uns 500 Jahre voraus. Stirbt hier jemand, hat er also 500 Jahre Zeit. Das Schicksal läuft auch in ihrer Zeit weiter“, erklärte Kaede und hustete. Auch ihre Zeit war scheinbar bald gekommen. Es war selten dass jemand über die sechzig Jahre kam im Mittelalter, nicht sehr selten, aber selten genug. Immerhin gab es dort keine Operationen, wo man hätte Geschwüre oder Tumore entfernen können.
„Aber wenn es nur eine Seele gibt, wie ist es dann möglich, dass zwei davon existieren?“, fragte nun schließlich Sango.
„Das tut sie nicht. Sobald sie Seele hier stirbt, taucht sie in der Zeit lebend wieder auf, in der sie inkarniert. Das ist sehr kompliziert, aber es gibt eine Seele nur einmal“, erklärte auch hier wieder Kaede.
„Ob wir sie hier her holen sollten? Würde das denn gehen?“, warf Kagome in den Raum.
„Nein. Was wollt ihr denn damit bezwecken?“, seufzte InuYasha und lag wie ein fauler Hund auf dem Baum, was er schließlich im Grunde auch war.
Was man damit bezwecken wollte? Gute Frage. Wenn es Sesshoumaru sowieso gleichgültig war, dass Rin starb, würde es ihn sicher nicht glücklicher machen, wenn sie wieder auftauchte. „Sesshoumaru würde vor Glück nicht weinen, schlagt es euch aus dem Kopf. Es ist ihm egal. Sie ist schließlich nur ein Mensch gewesen und ist es jetzt auch. Er hat sie nicht gerettet, nicht einmal Anstalten dazu gemacht und nun hofft ihr, er würde ihr um den Hals fallen und Freudentränen weinen?“, InuYasha lachte.
Miroku pflichtete ihm bei. Gutes Argument! Nein, Miroku glaubte auch nicht, dass der Ältere glücklich darüber wäre. Es gäbe dazu keinen Grund. Es kam ihm sicher nur Recht, denn sie war in Sesshoumaru's Augen doch sicher nur ein nervendes Anhängsel. Immerhin hatte Sesshoumaru sie im Alter von sieben Jahren in einem Dorf gelassen, bei einer Ersatz-Familie.
„Aber Sesshoumaru-sama!“, rief sie ihm hinterher und Tränen bildeten sich in den wunderschönen Augen des Mädchens. Sie wollte nicht von ihm getrennt sein! „Ihr seid doch meine Familie!“
Doch er ging. Die Worte, es wäre besser für sie, wenn sie nicht ständig blutige Kämpfe sah, reichten dem Mädchen nicht aus. Sie hatte sich so sehr an ihn gewöhnt. Er war ihr großes Vorbild. Aber das hatte wohl alles nichts gebracht. Die Bitte, die Kette um ihren Hals niemals abzulegen, war sie später nicht nachgekommen und die Folge daraus war der Tod.
„Ich werde mich mit ihr anfreunden! Vielleicht ist sie es ja gar nicht!? Ähnlichkeiten müssen ja nicht zwingend gleich die Wiedergeburt sein“, sagte Kagome schließlich und stand auf. InuYasha passte es sichtlich überhaupt nicht, dass sie wieder in ihre Zeit gehen wollte! Er war noch immer nicht erwachsener geworden. „Und wann kommst Du wieder?“, grummelte InuYasha, war aber zu faul sich zu bewegen.
„Nachher, jetzt mach nicht so ein Theater, außerdem ist Dir doch viel zu warm“, winkte Kagome lächelnd ab und stieg auf ihr Fahrrad, welches sie immer noch mit in die Vergangenheit nahm. Als sie den kleinen Hügel hinunter fuhr, kam ihr ein schöner Wind entgegen. Herrlich!
Sie kletterte über den Brunnenrand und sprang schließlich hinein, womit sie in ihrer Zeit wieder auftauchte. Kagome sah auf ihre Uhr. „Perfekt! Die Schule ist in einer halben Stunde aus.“
Somit machte sie sich gleich auf den Weg. Es war nicht allzu lange bis zu ihrer alten Schule, aber lieber zu früh als zu spät.
Immerhin wollte sie den Moment abpassen und war sich schon am überlegen, wie Kagome es am Besten anstellen sollte? Es sollte nicht auffällig wirken, denn sie könnte das Mädchen verschrecken und das wäre keine gute Idee, ebenso wenig wie es ein gutes Resultat ergeben würde. Sie lehnte sich an die Schulmauer und verschränkte nachdenklich die Arme vor der Brust. Was sollte sie nur tun? Gab es denn keine Möglichkeit? Mit ihr zusammenstoßen und ihr beim Aufheben ihrer Bücher zu helfen, das wäre Klischeehaft, aber vielleicht sogar effektiv!
Als die Schulklingel ertönte, bereitete sie sich hinter der Schulmauer schon vor und sah die Schüler, wie sie praktisch heraus stürmten, nur um schnell nach Hause zu kommen. Manche blieben auch noch auf dem Gelände selbst, aber wo blieb Rin? Na ja, mehr oder weniger ihre Wiedergeburt? Selbst zehn Minuten nachdem es geklingelt hatte, war sie nicht zu sehen. Ob sie etwa schon gegangen war und Kagome hatte es nicht bemerkt? Wäre aber seltsam! Denn sie würde auffallen, vor allen Dingen ihr! Sie kannte das kleine Mädchen und sie hatte eine solche Ähnlichkeit, die würde sie niemals übersehen können!
Seufzend sah sich Kagome um und erblickte wieder den Eingang ins Schulgebäude. Und tatsächlich, da kam sie heraus! Trotz dass sie scheinbar nicht aus Japan kam, hatte sie unglaubliche Ähnlichkeiten. Kagome ging einen Schritt zurück, sodass man sie erstrecht nicht sah und es mehr nach Zufall aussah, als sie schließlich den Schatten des Mädchens auf dem Boden erblickte und zwei Schritte nach vorne sprang. Kopf gegen Kopf war schmerzhaft, das mussten beide feststellen! „Au!“, seufzte das fremde Mädchen und ließ aber ihre Schulsachen nicht fallen. Stattdessen rieb sie sich die Kopfseite und sah direkt in das Gesicht der jungen Frau, mit der sie zusammengestoßen war.
„Tut mir leid, ich habe nicht aufgepasst“, entschuldigte sich Kagome und musste enttäuscht feststellen, dass nichts dergleichen geschehen war. Wie sollte sie jetzt nur an das Mädchen ran kommen? Einfach so zum Eis einladen? Das war doch zu auffällig und würde in jedem Menschen Skepsis hervorrufen.
„Macht nichts. Aber sagen Sie, können Sie mir vielleicht sagen, wo der Tempel der Higurashi ist?“, fragte das Mädchen schließlich. „Ich bin nur eine Austauschschülerin und mein Lehrer sagte, ich solle mich bei einer Kagome Higurashi melden, als Nachhilfe“, fügte sie noch hinzu.
Sie beherrschte die Sprache hervorragend. Immerhin musste sie ein ganzes Jahr lang lernen, ehe sie hierher kam und es fiel ihr besonders leicht. Warum auch immer...
Kagome war verwirrt. Warum zu ihr? Gut, niemand wusste von ihrem Geheimnis, außer ihre Eltern und ihr kleiner Bruder. Aber... ach, egal. So fügte das Schicksal sie beide doch zusammen! Es schien sie wirklich zu sein. Sie musterte das fremde Mädchen eingehend und bemerkte nicht einmal, dass man ihr eine Frage stellte. Kagome bekam den Sinn ihres Satzes mit, aber nicht, dass es sich um eine Frage handelte.
„Ich bin Kagome Higurashi“, antwortete und stellte sie sich sogleich vor.
„Ich bin Avira Katō.“
Also war sie doch eine Asiatin? Sie sah aber gar nicht so sehr danach aus? Teilweise schon, aber... Das Ganze war so verwirrend.
„Ich sehe nicht wie eine Asiatin aus, aber mein Vater ist Japaner“, lächelte sie schließlich. Sie hatte mehr von ihrer Mutter scheinbar geerbt, wobei man die Gene ihres Vaters nicht verachten sollte.
Kagome führte Avira zu sich nach Hause. Sie lebte noch immer bei ihrer Mutter und half ihr so gut sie konnte. Sie führte das Mädchen in ihr Zimmer und bat sie Platz zu nehmen. Sie tat wie ihr geheißen und setzte sich auf den Stuhl. Kurze Zeit später kam die Mutter von Kagome herein und brachte Tee. Sie war noch immer so fürsorlich, wie vor zehn Jahren.