Diskretion
„Was sollen wir denn nun tun?“, fragte Kiyoshi und ging nervös auf und ab.
„Beruhig dich“, mahnte Neji ihn und sah zu seinem Freund. „Tenten kümmert sich um sie und dann werden beiden wieder zurückkommen.“
„Unter meiner Führung ist noch nie jemand vom Clan geflohen“, murmelte Hiashi, der auf dem Sofa saß.
„Ich bin mir sicher, dass es einen Grund für den Ausbruch gab, nicht wahr?“, versuchte Hisa die Stimmung etwas zu lockern und Neji ein wenig zu entlasten.
„Natürlich gibt es einen Grund“, sagte Neji und sah zu Kiyoshi. „Vielleicht solltest du es den beiden erklären.“
„Bin ich das Oberhaupt oder du?“, fragte Kiyoshi gereizt, dachte aber gar nicht daran stehen zu bleiben.
Plötzlich klopfte es an der Tür und Hisa zuckte etwas zusammen. Sie hasste es, wenn jemand unverhofft klopfte.
Tenten trat ein und war sichtlich überrascht, dass auch Hiashi und Hisa in Nejis Büro waren.
„Neji. Können wir kurz reden?“
„Wenn es um Hide geht sag es offen, sie sind eingeweiht.“
Tenten lächelte sachte und trat näher zum Schreibtisch. „Hide ist wieder da, sie ist in ihrem Zimmer und ich denke, dass es besser wäre, wenn wir sie erstmal in Ruhe lassen würden.“
„Was ist denn eigentlich genau passiert?“, versuchte Hiashi immer noch herauszufinden.
„Kiyoshi hat sich in Hide verliebt“, sagte Neji knapp und wandte sich wieder an Tenten. „Wie geht es ihr?“
„Den Umständen. Sie ist nur durcheinander.“
„Kann ich verstehen. Wir müssen eine Lösung finden.“ Neji sah zu Hisa. „Was meinst du? Immerhin bist du mit dem Gesetzbuch des Clan am besten vertraut.“
Hisa war etwas verlegen und sah erst zu Kiyoshi und dann wieder zu Neji. „Es gibt nur eine Lösung. Wir müssten Hide als Ziehtochter ausgeben und dann ist sie nicht direkt mit Kiyoshi verwandt.“
„Tolle Lösung“, murmelte Hiashi nur ironisch. „Und wer soll dann die leiblichen Eltern von Hide sein? Sollen wir noch jemand in dieses Geheimnis einweihen?“
„Wir beide“, sagte sie nur. „Sie könnte Hinatas Zwillingsschwester sein. Zeitlich gesehen würde das ungefähr passen.“
„Und warum hätten wir sie dann weggeben sollen?“, fragte Hiashi und schien immer noch nicht begeistert zu sein.
„Damit ihr nicht dasselbe wiederfährt wie deinem Bruder früher, Hiashi.“ Hisa stand auf, verbeugte sich kurz vor Neji und verließ wortlos und ohne auf die Reaktion von den anderen zu warten das Zimmer.
Sie wusste, dass sie mit diesem Argument einen wunden Punkt bei Hiashi getroffen hatte und sie bereute es ein wenig. Aber es musste sein.
Tenten sah irritiert zwischen Neji und Hiashi hin und her.
„Was wäre denn dann mit Hide passiert, wenn sie wirklich Hinatas Schwester gewesen wäre?“, fragte sie und sah ihren Ehemann an.
Neji zögerte einen Moment und wandte sich dann an Kiyoshi. „Entschuldigst du uns für einen Moment?“
Sein Freund nickte, verbeugte sich rasch und verließ ohne Nachfragen das Zimmer.
Als die Tür ins Schloss fiel, deutete Neji kurz auf seine Stirn, die, wie immer, mit einem Mullbinde umbunden war.
„Sie hätte das Siegel bekommen. Jeder im Clan könnte Hisa verstehen, wenn sie ihre zweite Zwillingstochter heimlich abgegeben hätte. Und Hiashi versteht den Sachverhalt am besten.“
„Mein Bruder“, begann Hiashi. „Nejis Vater war der zweitgeborene Sohn. Zwillinge sind wertlos, man braucht nur einen.“
Tenten presste die Lippen aufeinander. Sie kannte Nejis Siegel, das er auf der Stirn trug. Es war schon normal für sie gewesen, dass er es trug, aber dennoch versteckte er es, wenn er in der Öffentlichkeit war.
„Wird Hide das Siegel denn nachträglich noch bekommen?“, fragte Tenten zaghaft.
„Nein, für sie wird sich nichts ändern, nur das sie nicht mehr offiziell mit Raidon und Kiyoshi verwandt wäre“, erklärte ihr Hiashi.
„Und wenn es irgendwann angezweifelt wird?“
„Dann haben wir immer noch Neji, schließlich muss er erst zustimmen, bevor ein Vaterschaftstest genehmigt wird.“
„Dann müssen nur noch Raidon und Hide zustimmen und dann machen wir es offiziell.“
„Aber dennoch gibt es eine Klausel, oder? Sie sind schließlich immer noch Geschwister.“
„Ja, sie dürfen keinen Geschlechtsverkehr haben. Zumindest keinen nachweisbaren“, sagte Neji und deutete auf das Gesetzbuch des Clans, das vor ihm auf dem Tisch lag.
„Solange sie verhüten, ist es also erlaubt?“
„Ja, werden sie beim Sex erwischt, könnte sie niemand verraten, da sie ja angeblich keine Geschwister sind. Theoretisch könnten sie sogar heiraten.“
„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee wäre, immerhin hat Hide gar keine Gefühle für Kiyoshi“, sagte Tenten und verzog etwas das Gesicht.
„Für sie macht es keinen Unterschied ob sie Kiyoshis Schwester ist oder nicht. Besser wir machen es jetzt offiziell, als wenn sie jemand erwischt. Hiashi, du redest mit Raidon und Tenten kümmert sich um Hide.“
Hiashi nickte bloß, aber Tenten war überrascht.
„Wieso ich? Hide kann mich nicht leiden.“
„Wenn sie dich nicht leiden könnte, wäre sie nicht mit nach Hause gekommen, oder?“
Dennoch war ihr nicht wohl bei dem Gedanken mit Hide über so ein Thema zu sprechen, aber sie tat Neji den Gefallen, immerhin hatte er selbst viel zu viel zu tun um sich nun auch noch Stunden mit Hide zu unterhalten.
Hisa saß in ihren neuen Schlafzimmer am großen Tisch und las in einem Buch, obwohl sie sich nicht auf die Worte konzentrieren konnte.
Sie wusste, dass sie Hiashi mit ihrem Kommentar gereizt hatte, sie wusste auch, wie schwer es für ihn in Wahrheit war. Zwar sprach er zwar nicht offen darüber, aber sie kannten sich bereits über zwanzig Jahren und in dieser Zeit hat sie gelernt ihn auch ohne Worte zu verstehen.
Sie liebte ihn aufrichtig, auch wenn er manchmal ein Sturkopf war.
Ihre Beziehung hatte keinen guten Start gehabt. Hisa hatte ihn zwar stets bewundert, seine kühle Art, die dennoch Fassetten von Sanftheit durchließen und seinen stolzen Blick, aber sie wusste bereits vor ihrer Hochzeit, dass sein Herz einer anderen gehörte. Aber das war ihr egal, denn sie würde bis an ihr Lebensende seine Frau bleiben.
Die Jahre vergingen und aus der gezwungenen Ehe wurde eine scheue Liebelei und auch Hiashi begann anscheinend Gefühle für Hisa zu entwickeln. Zwar war es nie die große Liebe, doch ihr reichte es vollkommen.
Er war ein guter Mann, betrug sie niemals und schlug sie nur selten. Sie versuchte diese Momente auszublenden, in denen er seine Maske ablegte und die aggressive Seite von sich zeigte, wenn er sauer auf sie, auf seine Kinder oder auf den Rest der Welt war.
Er wurde nie ernsthaft handgreiflich, bereute es sofort, wenn er ihr eine Ohrfeige gab, doch scheinbar brauchte er diesen Wutabbau um ihr nicht noch mehr wehzutun.
Das seine Kinder ihn fürchteten hatte er sich selbst zuzuschreiben und daran konnte Hisa nichts ändern.
Zu Hinata hatte sie leider jeden Kontakt verloren, schon allein als sie mit diesem Uchiha geflohen war.
Dass ihre älteren Tochter nun wieder da war, änderte für sie nichts am Sachverhalt.
Zu ihrer anderen Tochter hatte Hisa ein gutes Verhältnis. Hanabi war ihr Ein und Alles, aber dennoch hielt sie sich im Hintergrund, da Hiashi sich um die Erziehung kümmerte.
Plötzlich klopfte es zaghaft an der Tür und Hisa musste sich zusammenreißen nicht wieder zusammenzuzucken.
Die Tür öffnete sich ein Stück und Hanabi kam etwas zögernd in das Schlafzimmer ihrer Eltern.
„Wo ist Papa?“, fragte sie etwas steif.
„Der ist noch bei Neji und klärt dort etwas.“
Hisa bemerkte wie sich die Mimik ihrer Tochter sichtlich entspannte. Sie legte ihr Buch zur Seite und klopfte auf ihren Schoß. „Komm her, Liebling.“
Dies ließ sich Hanabi nicht zweimal sagen, ging schnell zu ihrer Mutter und machte es sich auf ihren Schoß bequem.
„Was ist denn los?“
„Ich habe eigentlich bloß eine Frage“, sagte sie scheu. „Eine rein theoretische Frage natürlich.“
„Natürlich“, stimmte Hisa zu, obwohl sie wusste, wie ernst es ihre Tochter meinte und es nicht bloß eine Theorie werden würde.
„Ich kenne da ein Mädchen“, begann sie und suchte scheinbar die richtigen Worte. „Sie hat sich in jemand außerhalb des Clans verliebt und weiß jetzt nicht, ob es richtig oder falsch ist.“
„An sich ist es kein Problem. Onkel Raidon hatte doch auch eine Frau die keine Hyuuga war.“
„Und Neji auch“, sagte Hanabi. „Darf er das denn als Oberhaupt?“
„Nur wenn das frühere Oberhaupt damit einverstanden ist und da es die Idee von deinem Vater war sprach nichts dagegen.“
„Also muss Papa das erlauben?“
„Nein, jetzt ist Neji für so etwas zuständig und er muss theoretisch auch nicht deinem Vater fragen, was er aber gerne noch tut.“
„Traust du Neji zu, dass er die richtigen Entscheidungen treffen könnte.“
„Natürlich. Aber zurück zu deiner Frage“, sagte sie sanft und hielt die Hand ihrer Tochter, um ihr etwas Halt zu geben.
„Ja, ich meine, wenn nun ein Mädchen aus der Hauptfamilie einen Jungen außerhalb des Clans liebt, hat dies dann eine Zukunft?“
„Kommt drauf an welchen Stand sie hat.“
Hanabi schien kurz zu überlegen und wandte den Blick von ihrer Mutter ab. „Und wenn sie, rein theoretisch, die Tochter des früheren Oberhauptes ist und er dies eigentlich nicht will, da er denkt, dass seine Tochter nur einen Hyuuga heiraten sollte?“
„Dann solltest du Neji fragen, ob es für ihn in Ordnung wäre, wenn du – ich mein, deine Freundin eine Beziehung außerhalb des Clans haben dürfte.“
Hanabi sah auf und lächelte zaghaft. „Glaubst du, dass Neji so etwas erlauben würde?“
„Da bin ich mir ganz sicher, Schatz. Nur sag Papa nicht, dass du dich in einen Jungen verliebt hast, der nicht in seinem Heiratskandidatenordner existiert. Du kennst ihn ja.“ Sie strich ihrer Tochter sanft über die Wange und lächelte. „Und nun geh, dein Vater könnte jeden Moment zurückkommen und wenn er schlechte Laune hat musst du heute noch trainieren.“
Hanabi stand auf und drückte ihr einen raschen Kuss auf die Wange. „Danke, Mama.“
Hisa sah ihrer Tochter hinterher, die aus dem Zimmer eilte und die Tür leise hinter sich schloss.
Ihre Welt war zwar nicht perfekt, aber dennoch war sie stolz Teil dieses Clans zu sein und froh zu dieser kleinen, wenn auch nicht immer perfekten Familie zu gehören, auch wenn es nicht immer einfach war.
Obwohl sie sich nicht immer in den Vordergrund drängte, war sie froh, dass Hanabi immer erst zu ihr kam, wenn sie Fragen hatte. Vielleicht war dies auch nur die einzige Aufgabe die sie im Clan hatte. Aber wenn dies wirklich so war, wollte sie diese Aufgabe gewissenhaft lösen und ihre gesamte Energie reinstecken.
Vielleicht würde sie für Hide auch irgendwann diese Mutterrolle übernehmen können…
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Anmerkung der Autorin: Dieses Kapitel wurde etwas für hikari_hyuga geschrieben, die Hisa sehr gerne mag. Alles Liebe und Gute zum Geburtstag.