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Heldenlied

Legenden leben ewig [NejiTen][NaruHina][KibaIno][PeinKonan]
von
Koautoren:  moonlight_005 Arianrhod-

Vorwort zu diesem Kapitel:
Warnung: Achtung! Das Kapitel ist an einigen Stellen sehr brutal. Es enthält eine Schlacht und teilweise sehr intensive Gewaltszenen. Wer also etwas schwächere Nerven hat, sollte sich vielleicht überlegen, ob er es liest. Komplett anzeigen

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Prologue ~ Eternal glory, spread your wide wings

Seit jeher pflegen die Menschen sich Legenden zu erzählen, jene Geschichten, die von heldenhaften Taten berichten und Bilder in die Köpfe malen, die so farbenfroh, lebendig und magisch sind, dass die Wirklichkeit plötzlich wie eine trostlose graue Welt erscheint.

Manches davon sind nur Märchen – Geschichten, die erfunden wurden für ihre Moral, mit einer lieblichen Prinzessin und einem edlen Prinzen, einer bösen Hexe und einem grausamen König.

Anderes wird mit der Zeit so verändert, dass im Kern selbst kaum mehr Wahrheit übrig bleibt. Von glorreichen Helden, die auf Podeste gehoben worden, die kein Mensch auch nur hoffen kann, zu erklimmen, geschweige denn davon, sie zu erreichen. Und selbst die größten Helden sind letzten Endes nur das: Menschen, die große Dinge taten, weil sie getan werden mussten, und weil sie es waren, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen waren und den richtigen Mut gefunden hatten.

Wieder andere sind einfach nur eines: Geschichten. Fiktion. Erfunden, weil die einfachen Menschen gerne hören, dass es Helden gibt, damit sie Hoffnung nicht verlieren in dunklen Zeiten, das letzte bisschen Mut und das kleine Stückchen Kraft, das noch übrig geblieben ist. In den guten Zeiten werden sie als Unterhaltung genutzt, für Erwachsene und Kinder gleichermaßen, denn wer mag sie nicht?

Doch es gibt sie noch, die Legenden, die Geschichte sind und nicht nur Erzählungen – die ausgeschmückt wurden, doch noch immer das erzählen, was gewesen ist. Die Legenden, die von Großartigkeit erzählen, von Glorie und Ruhm, von Liebe und Freundschaft, von Treue, Macht und wahrer Stärke.
 

Die Legenden, die Wahrheit sind...
 


 

~ [ ♥ ] ~
 

Das noch goldene Licht der untergehenden Sonne fiel durch die großen Bogenfenster und erhellte die große Bibliothek, während es gleichzeitig tiefe Schatten hinter die hohen Regale warf, welche bis auf den letzten Platz mit Büchern voll gestellt waren. Es roch nach Staub und Pergament, Papier und Leder und dem Holzfeuer, das in dem Kamin brannte, sorgfältig abgeschirmt von einem eisernen Gitter.
 

Tenten liebte diesen Raum. Sie liebte die Stille her und das pure Gefühl von Wissen, das sich in Form von Büchern über Jahrhunderte hier angesammelt hatte. Es waren Abertausende von Büchern, mehr als selbst die Universitätsbibliothek besaß. Als sie mit ihrem Studium begonnen hatte, hätte sie nie geglaubt, eine derartige Gelegenheit zu bekommen, die Möglichkeit hier, in der Bibliothek der Hohen Familie Nara, zu lernen oder überhaupt zu sein.
 

Es lag einfach ein zu großer Unterschied zwischen Tenten und der adligen Sippe, der sie gehörte. Natürlich hatte sie von diesem Ort gehört – er war einer der Gründe, warum das Haus Nara so bekannt war – aber er war auch Teil eines Schlosses, Teil des Besitzes eines Adligen. Und sie war nur ein einfaches Mädchen. Die Bibliothek selbst wurde noch bis vor die Totenkriege datiert, etwas, was sie sich kaum vorstellen konnte. Damals war so vieles zerstört, aufgegeben oder einfach zurückgelassen worden. Wie konnte eine Ansammlung von Büchern derartiges überleben? Darum konnte man nicht sicher sein, ob dieses Gerücht tatsächlich stimmte. Aber wie alt die Bibliothek auch immer war – sie war eine der größten im Kaiserreich und die größte Konohas.
 

Yahiko der Erste König selbst sollte einige dieser Bücher in der Hand gehalten haben. Andere Könige und große Helden waren hier gewesen, hatten hier ihre Schlachten geplant und herausgefunden, wie sie die Monster erschlagen konnten.

Und jetzt war sie hier, sie, Tenten, die Tochter eines Schreibers und Buchbinders, einer Familie, die gerade so das Geld zusammenkratzen konnten, damit sie in die Schule und zur Universität gehen konnte, wofür sie auch noch Zuschuss bekam. Weil sie ein so kluges und verständiges Mädchen war.
 

Tenten gestattete sich ein Grinsen. Wenn die wüssten, wo sie tatsächlich hineingeraten war, würde ihrem Studium ganz schnell ein Ende gesetzt werden. Und ihrem Leben wahrscheinlich auch. Sie war nicht hier in der Nara-Bibliothek, weil sie Stipendiatin war. Sie war hier, weil sie hineingeraten war, in einen Streit, der schon Generationen überdauert hatte.
 

„Hey, Tenten!“ Die laute Stimme erschreckte sie so sehr, dass sie mit einer ruckartigen Bewegung ihrer Arme gegen das dicke Buch stieß, in dem sie gerade las. Ein lautes Poltern folgte, als der Wälzer gegen einen Stapel weiterer Bücher stieß und ihn umwarf, worauf die Literatur sich lautstark über Tisch und Boden verteilte. „Naruto!“, rief sie empört und sprang auf um den gutaussehenden Jungen anzufunkeln, der so plötzlich zwischen den Regalen aufgetaucht war.
 

Eigentlich war er kein Junge mehr, sondern ein hochgewachsener junger Mann in der Blüte seiner Jahre. Er hatte wildes, goldblondes Haar, himmelblaue Augen und war stets sonnengebräunt. Außerdem hatte er das schönste Lächeln, das sie je bei einem Mann gesehen hatte. Zudem war er laut, charismatisch, wild und würde nie die Gelegenheit haben, in einer Universität zu studieren. Es sei denn, an der Struktur dieses Landes Konoha änderte sich gewaltig etwas.

Denn Naruto war ein direkter Nachkomme von Yahiko dem Ersten König, einer der letzten. Wäre die Geschichte etwas anders verlaufen, wäre er jetzt Kronprinz und die Leute würden sich um seine Gunst reißen. Stattdessen war seit seiner Geburt ein hohes Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, lieber tot als lebendig. Aber seine Eltern waren nicht dumm – den ersten Teil seines Lebens hatte er im Exil verbracht, so wie sein Vater vor ihm und auch seine Mutter. Erst vor ein paar Jahren war die Familie nach Konoha zurückgekehrt.
 

Jetzt rieb er sich entschuldigend lächelnd den Hinterkopf und half ihr gleich darauf, die Bücher wieder einzusammeln. „Ich wollte dich nur holen.“, berichtete er. „Ma ist schon den ganzen Vormittag auf der Suche nach allen. Nicht, dass sie dich zuerst in die Finger kriegt“, grinste er. Das konnte sie sich wahrhaft vorstellen. Narutos Mutter, Kushina, der Stern der Morgenröte, stand ihrem Sohn in ihrer offenen, aufbrausenden Art in nichts nach. Wahrscheinlich war sie schon den halben Tag damit beschäftigt sie alle zu finden, damit keinem das gemütliche Beisammensein am Abend entging. Doch trotz allem liebte Tenten sie für ihre unbekümmerte, liebevolle Natur. Kushina war ihr fast zu so etwas wie eine Seelenverwandte geworden und sie genoss jede Minute, die sie mit ihr und allen anderen verbrachte. Das Mädchen lächelte verträumt, als sie Naruto zurückgrinste und sich von ihm ins Kaminzimmer schleifen ließ.
 

Es war zwar erst früher Abend, aber in dem Raum herrschte bereits jetzt dichtes Gedränge. Tenten erkannte die missmutigen Gesichter von Minato, Narutos Vater und Kushinas Gemahl, Deidara, der mit einer Kerze herumexperimentierte, und Ino, die ihm dabei vernichtende Blicke zuwarf. Alle drei Blondschöpfe waren von Kushina auf ein bequemes Sofa bugsiert worden, wo sie sich nicht mehr zu rühren wagten, denn die Dame höchst persönlich wuselte durch den Raum und ließ nicht mal zu, dass sich einer von ihnen auf den Weg zum Abort machten. Das erklärte vermutlich die leicht angespannte Stimmung, die selbst Narutos Mutter nicht richtig dämpfen konnte.
 

Kushina lächelte Tenten kurz zu, bevor sie lautstark erklärte, sie müsse noch Shikamaru finden, der sich wie so oft irgendwo im Haus verkrochen hatte und manchmal unauffindbar war – darin war er gut und immerhin kannte er dieses Gebäude von klein auf. Naruto machte hinter ihr die Tür zu, während Tenten kurz ihren Blick durch den Raum schweifen ließ.

Sie mochte das Kaminzimmer fast so sehr wie die Bibliothek. Das kleine Eckzimmer war zwar nicht besonders groß, aber unheimlich gemütlich eingerichtet. An den Wänden hingen Gobeline und über dem offenen Kamin ein Portrait von Yahiko, das schon einige hundert Jahre alt sein musste. Der Fußboden war mit einem kunstvollen roten Teppich ausgelegt und in der Feuerstelle prasselten warme Flammen.
 

Ino fächelte sich Luft zu, sah auf, erkannte erst sie und dann Naruto. Sie sah erleichtert aus, wahrscheinlich hatte sie gedacht Kushina war zurückgekommen. Ino war das, was sich Tenten unter einer vollendeten Schönheit vorstellte: Sie war gertenschlank und mit Kurven genau an den richtigen Stellen, klug, schlagfertig, hatte wunderschöne goldblonde Haare und ein sanft geschnittenes Gesicht. Mit ihr anlegen sollte man sich trotzdem nicht – das taten nur Narren und die, die Spaß an Streitereien mit einem Mädchen hatte, das selbstverständlich dachte, es stände über allem und jedem, ohne, dass man sie dafür hassen konnte.
 

„Na endlich!“, rief sie, als Naruto sie gerade durch die Tür gezogen hatte. Dann wandte sie sich direkt an den blonden Neuankömmling: „Was hat das so lange gedauert, Naruto? Hast du sie nicht von ihren Büchern wegbekommen?“ Naruto zuckte nur unschuldig mit den Achseln und machte ein entschuldigendes Gesicht. Ino zog eine Augenbraue hoch. Ein Lächeln schlich sich auf Tentens Gesicht, als sie die alltäglichen Kabbeleien zwischen Naruto und Ino beobachtete. Es war doch immer wieder dasselbe. Beide machten den Eindruck als könnten sie sich nicht besonders gut leiden – was vollkommener Blödsinn war, das wusste Tenten – , aber ohne ihre Neckereien konnten sie auch nicht leben.
 

Bevor einer der Beiden noch etwas sagen konnte gab es einen lauten Knall, der alle sofort aufspringen ließ. Tenten wich reflexartig ein Stück zurück, während Ino und der jetzt wieder wache Minato vom Sofa aufsprangen, die Hände an den großen Dolchen, welche die einzigen Waffen waren, die Kushina ihnen innerhalb des Hauses erlaubte. Entgeistert starrten sie alle Deidara an, der einen verkokelten Kerzenstumpf in der Hand hielt und offenbar erstaunt auf das Überbleibsel seines Experiments herunterblickte, ehe sich ein breites Grinsen über sein rußgeschwärztes Gesicht ausbreitete.
 

Ino war die erste, die sich wieder fasste, ihn anfunkelte und ihm die Kerze aus der Hand schlug. Auch mit Deidara geriet sie ständig in Streit, doch im Gegensatz zu Naruto gab es tatsächlich einige unüberbrückbare Differenzen zwischen ihnen. „Deidara! Du weißt doch genau, dass du das lassen sollst! Willst du das Haus abbrennen!?“ Der blonde Mann sah der Kerze nach. „Ich hab doch nur ein bisschen Schwarzpulver mit rein getan…“

„Nur!?“, kreischte Ino.

Er sah sie überrascht an: „Ach komm, Ino. Du wirst es doch verkraften, dass du ein bisschen angekokelt bist.“ Deidara würde nie verstehen, warum niemand seine Leidenschaft für Flammen und explodierende Dinge teilte. Vielleicht war es mehr eine Obsession als eine Leidenschaft... Die Blonde wollte gerade zu einer heftigen Erwiderung ansetzen – weil sie derartige Dinge natürlich nicht ‚verkraftete’, wie konnte man das von ihr erwarten?! –, als Kushina im Türrahmen erschien.
 

„Was ist hier passiert? Wo kam der Krach her?“ Alle Blicke richteten sich auf Deidara, der unter Kushinas Blick ganz eindeutig immer kleiner wurde. Wenn er vor jemandem Angst hatte, dann war es diese Frau – feurig und jederzeit bereit zu explodieren. Wahrscheinlich jedoch war es gar keine Angst vor ihr, sondern eher Respekt vor ihr und die Angst, ihre ... Freundschaft oder ihren Respekt zu verlieren.
 

Kushina war eine wunderschöne Frau, nicht auf die Art wie Ino, sondern auf eine völlig andere, eine Art, die jedem Respekt und Bewunderung abverlangte und die nicht nur von ihrem Aussehen herrührte, sondern auch von der Art, wie sie sich trug, ihrer Ausstrahlung und dem lebendigen Funkeln in ihren frühlingsgrünen Augen. Sie war wie eine Königin aus alter Zeit oder eine Göttin.
 

Sie hatte langes, flammendrotes Haar, das ihr wie Seide den Rücken herunterfiel, wenn sie es nicht gerade zu einem seildicken Zopf gebunden trug. Ihre ebenmäßigen Züge zeigten jederzeit deutlich, was sie dachte und fühlte und ihre Augen konnten funkeln von Leben, brennen von Hass und glühen von Liebe. Allerdings entsprachen ihre herrischen, vorlauten Charakterzüge, die sie größtenteils zeigte und wie einen Schild vor sich hertrug, nicht ganz ihrem Äußeren, das sie auf den ersten Blick meist lieb und nett wirken ließ. Auch Tenten hatte sich ganz am Anfang in ihr getäuscht.
 

Sie grinste, als Kushina zuerst die Kerze vom Boden aufhob und dann den Blonden am Hemdkragen packte und ihn aus dem Raum schleifte, um ihm draußen auf dem Flur mit ohrenbetäubender Lautstärke die Meinung zu sagen. Eigentlich war Deidara ein netter Kerl, den Tenten sofort ins Herz geschlossen hatte, wie alle hier, aber manchmal war er schlicht und ergreifend leichtsinnig. Außerdem glaubte sie, dass er wahnsinnig war. Eine Theorie, die sich zum Glück noch nicht bestätigt hatte – aber auch noch nie wirklich eine Chance bekommen hatte, es zu tun.
 

Noch immer war es totenstill im Raum, dann erklärte Ino überzeugt: „Das hat er verdient.“

Als wenn sie es vorausgesehen hatte, brach draußen das Donnerwetter los. Kushinas Stimme hallte von den Wänden wieder und verursachte eine Gänsehaut bei Tenten. Hin und wieder hörte man auch Deidaras Stimme, aber im Vergleich zu Kushinas wirkte er eher kleinlaut, was eigentlich gar nicht zu ihm passte. Eigentlich war er laut und wild und verrückt, Kushinas eigenem Sohn und ihr selbst gar nicht so unähnlich.
 

Deidara war ein merkwürdiger Mann, er war zwar erst Ende zwanzig, hatte aber doch einen eigenartig verspielten Charakter, aber dahinter lauerte etwas dunkles, so wie hinter Kushinas vorgeschobener herrischer Fassade eine sanfte, besorgte Frau steckte. Aber wie bei ihnen allen täuschte der Schein. Sie waren … anders. Alle hier hatten ihre Probleme und Ängste. Manche von ihnen sah man sie deutlicher an, anderen gar nicht, aber sie alle hatten mehr durchgestanden als ein Durchschnittsbürger – sonst wären sie gar nicht hier. Doch es war ein stillschweigendes Einverständnis geworden niemals nach den Problemen der anderen zu fragen und man hielt sich einfach daran.
 

Nur von einem kannte Tenten sein Leid: Rock Lee, ihr bester Freund, der ein Ausgestoßener war. Lee war ein bisschen merkwürdig, er hatte kurze schwarze Haare und ein sehr sonniges Gemüt. Er ähnelte ein bisschen Naruto, aber auf eine schmerzliche Art und Weise war er noch enthusiastischer als der Blonde und ihm fehlten gänzlich Narutos schlechte Seiten.

Tenten hatte ihn kennen gelernt, als er auf dem Markt verprügelt worden war, obwohl er nur nach ein paar Lebensmitteln gefragt hatte. Sie wusste genau, was er durchgemacht hatte und konnte es noch immer nicht begreifen, dass er stets so fröhlich und optimistisch war. Damals hatte sie sich mit ihm angefreundet, zum ersten Mal hatte auch sie sich einem Menschen anvertraut und sie hatte Lee bewundert, weil er so unglaublich stark war. Es war keine körperliche Stärke, sondern eine innere, ein eiserner Wille, der ihn aufrecht hielt und mit dem Blick direkt nach vorn. Stärker als sie je sein würde…
 

Jetzt saß er in einer Ecke und begrüßte sie enthusiastisch. Tenten ließ sich neben ihm nieder, nachdem er sich wieder von ihr gelöst hatte. Lee blickte sie an und lächelte. „Du nimmst dein Studium wirklich ernst, Tenten-chan. Wenn ich doch nur auch so begabt wäre wie du.“ Das Mädchen drehte verlegen den Kopf weg. Lees Komplimente und deren aufbauende Art waren ihr immer noch peinlich, weil sie wusste, dass er nie in Frieden würde leben können. Außerdem waren diese Komplimente völlig fehl am Platz. Lee spielte sich immer herunter und das gefiel ihr nur bedingt.
 

Auf einmal war draußen eine dritte Stimme zu vernehmen. Anders als Kushina und Deidara war sie ruhig und beherrscht. Sachlich, wenn auch gelangweilt. Tenten wusste sofort um wen es sich handelte, auch wenn sie die Worte jetzt nicht mehr verstand. „Sieh mal einer an, der Hausherr hat sich von seinem Mittagsschlaf aufgerafft“, grinste Naruto.

Tenten warf ihm einen strafenden Blick zu. „Du solltest wirklich netter zu ihm sein, Naruto. Immerhin tut er doch alles was er kann.“ „Stimmt“, mischte sich Ino ein, die kritisch ihren angesengten Ärmel betrachtete. „und danach schläft er dann den ganzen Tag.“ Ihr Tonfall täuschte über die Tatsache hinweg, wie nah sie Shikamaru eigentlich stand.
 

Darauf wusste Tenten nun nichts mehr zu erwidern. Wieder herrschte Stille und draußen wurden die Stimmen wieder lauter. Jetzt verstand man schon deutlicher etwas und beinahe schien es so, als versuche Shikamaru von Nara, dessen Familie das Anwesen gehörte, die aufgebrachte Kushina zu beruhigen, die noch immer auf Deidara schimpfte, was dieser jetzt mit bissigen, fast frechen Bemerkungen quittierte.
 

Mitten in die Stille sagte Naruto: „Wie bist du bloß all die Jahre mit ihr ausgekommen, Pa? Ma kann manchmal ziemlich unheimlich sein.“ Minato, der bis dahin schweigend zugehört hatte, drehte ihm den Kopf zu. Naruto war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten: Die gleichen Gesichtszüge, die gleichen Augen und das gleiche wunderschöne Grinsen. Allerdings war Minato im Gegensatz zu seinem Sohn verantwortungsbewusster und beherrschter. Naruto kam ganz eindeutig nach Kushina.
 

„Das ist nun mal ihre Art, Naruto. Irgendetwas würde nicht stimmen, wenn sie anders wäre.“

Naruto seufzte, bevor er halblaut hinzufügte: „Manchmal könnte sie aber wirklich lockerer sein, es war ja nur ne’ kleine Explosion. Unser großer Wissenschaftler hat schon ganz andere Dinge in die Luft gejagt.“ „Aber nicht im Wohnzimmer, mein Sohn, nicht im Wohnzimmer.“ Ein belustigter Tonfall schwang in Minatos tiefer Stimme mit.
 

Nun wurde die Tür aufgeschoben und eine immer noch wutschnaubende Kushina trat ein, gefolgt von Deidara, der die Augen verdrehte, als sie gerade nicht hinsah, und einem zutiefst genervten Shikamaru. Kushina warf ihrem Sohn einen strafenden Blick zu: „Das habe ich gehört, Junge. Glaub mir, ich bin völlig entspannt, aber nicht, wenn-“, Sie erdolchte Deidara mit ihren Blicken, „-ein gewisser verantwortungsloser Künstler fast das ganze Schloss in die Luft jagt.“ Shikamaru stöhnte und ließ sich schließlich auf einem Sessel nieder. Minato ging zu seiner Frau und legte ihr einen Arm um die Schulter. „Komm, Shina, es war doch wirklich nicht so schlimm. Heute wollten wir doch noch einmal alle einen entspannten Tag verbringen.“ Sie atmete einmal tief durch, schien sich dann zu beruhigen und schließlich von ihm in einen Sessel bugsieren.
 

Die Möbelstücke standen in einem Halbkreis um das knisternde Kaminfeuer herum, dessen hellrote Flammen sich in die Holzscheite fraßen und eine angenehme Wärme verbreiteten. Tenten saß zwischen Lee und Naruto. Es war lange her, seitdem sie alle zusammen saßen und es war ebenso selten. Tenten liebte diese Momente in denen alle spürten, dass sie zusammengehörten. Vielleicht mochten sich nicht alle so recht, aber sie hatten sich alle der gleichen Sache verschrieben und sie alle respektierten sich. Es war ein gefährliches Unterfangen, das sie beschritten und noch gefährlicher wäre es wohl, wenn sie aufflogen, was mehr als einmal fast der Fall gewesen war – so etwas schweißte zusammen. Wenn ihre Eltern wüssten, was sie hier trieb, würden sie ihr das Schulgeld streichen und sie zu Hause einsperren…
 

Tenten betrachtete nacheinander die Gesichter. Kushina hatte sich an ihren Mann gelehnt und schien sich beruhigt zu haben – er hatte diesen Effekt auf sie. Minato war still und strich ihr liebevoll übers Haar. Tenten schluckte bei diesem Anblick. Wenn sie auch nur einen Fehler machten, wären sie alle tot und die königliche Familie stand ganz oben auf der Liste der Geächteten. Jeder, der Informationen über sie liefern konnte, wurde so reich belohnt, dass er sich damit ein Haus kaufen könnte und für den Rest seines Lebens ausgesorgt hatte.

Ihr Blick glitt weiter. Neben Minato saß Ino, die immer noch leicht angesäuert ihren geschwärzten Ärmel betrachtete und ab und an daran herum zupfte. Daneben hockte Shikamaru in seinem Sessel, hatte die Augen geschlossen und schien vor sich hin zu dämmern. Ohnegleichen! Manchmal fragte sich Tenten, ob er wohl an Schlafmangel litt, dass er an jedem Ort und zu jeder Zeit schlafen konnte.
 

Rechts von ihm lümmelte Deidara, der immer noch beträchtlichen Abstand zu Kushina hielt und schon wieder zu den Kerzen schielte, die überall im Raum aufgestellt waren und helles Licht spendeten. Dann kamen Lee, sie selbst und Naruto. Lee war gerade in ein angeregtes Gespräch mit Naruto verstrickt und sie meinte herauszuhören, dass es sich dabei schon wieder um eine unmögliche Wette handelte, dessen Verlierer irgendetwas Anstrengendes oder Demütigendes tun musste. Beim letzten Mal war Naruto doch tatsächlich mit nichts als einem Lendenschurz bekleidet in Inos Zimmer gelaufen, die ihn im Anschluss zwei schallende Ohrfeigen verpasst hatte. Sie waren schon ein verrückter Haufen, aber auch irgendwie wie eine große Familie.
 

„Wir sollten uns nicht so, wegen einer Kleinigkeit aufregen“, sagte Minato plötzlich, „Viel mehr sollten wir die Zeit genießen. Ich verurteile dich nicht, Kushina, du hast einfach zu viel Angst um alle und Deidara auch nicht. Immerhin sollte es ja nur ein kleiner Spaß sein.“ Minato lächelte und wieder wurde Tenten sich seiner sonderbaren Anziehungskraft bewusst. Er war charismatisch und zog die Menschen in seinen Bann, wenn sie ihm auch nur einmal die Chance dazu gaben. Minato war ein geborener Anführer und er liebte sie alle. Wahrscheinlich würde er sich sogar selbst opfern, wenn er sie damit retten könnte. Eine Welle der Zuneigung durchlief Tenten und wieder einmal wurde ihr bewusst, dass genau das ihr Platz war.
 

„Früher wäre das nicht so schlimm gewesen“, sagte Lee bitter. Seine Stimme klang mit einem Mal ernst und nachdenklich, „Früher müssten wir uns nicht über ein bisschen Leichtsinn aufregen.“

Deidara sagte nichts. Die nächste Reaktion überraschte Tenten, denn es war Kushina, die sprach. Nicht wie sonst, sondern mit einer eigenartig melancholischen Stimme, die eindringlich und samtweich war. „Es war nicht immer so wie jetzt. Als dieses Land gerade geboren worden war, herrschte Frieden. Es gab Regeln, aber die Menschen lebten glücklich zusammen, selbst nach jenen schrecklichen Jahren vorher. Es war der Lebensfrühling von Konoha und das Land stand in seiner Blüte, als Yahiko regierte.“
 

Es war jetzt still im Raum und Tenten hörte nur das Feuer prasseln. Kushina wurde die ungeteilte Aufmerksamkeit der Menschen in diesem Raum zuteil. Tentens Herzschlag beschleunigte sich, denn sie wusste, was Kushina ihnen erzählen würde, nicht was in den Büchern stand und auch nicht die offizielle Erklärung. Es war die Legende fünf Helden, die Konoha vor langer Zeit gerettet hatten. Damals … als die Totenkriege ihren Anfang genommen hatten.
 

„Es war eine Zeit, da versank die Welt in Chaos.“, begann die rothaarige Frau und ließ ihren Blick langsam von einem ihrer Zuhörer zum anderen wandern. „Es war eine Zeit, da streiften noch Ungeheuer und Andere Wesen über das Angesicht dieser Welt. Es war eine Zeit, da zerrissen Kriege und Kämpfe das Land, die über Generationen andauerten, so dass sich niemand daran erinnern konnte, was Frieden bedeutete. Es war eine Zeit, in der zahlreiche Kriegsherren und Fürsten gegeneinander in die Schlachten zogen. Es war eine Zeit, als es noch keine zusammenhängenden Reiche gab, sondern nur ein Flickenteppich an Marken und Fürstentümern, deren Grenzen in ständiger Bewegung waren. Es war eine Zeit, da erhoben sich die Toten aus ihren Gräbern.“
 

Ihre Stimme nahm für jedes Wort, jeden Satz genau die richtige Färbung an, dass man gebannt zuhören musste, während einem Schauer über den Rücken rannen. „Es war eine Zeit, da erhoben sich die Toten aus ihren Gräbern und die Gefallenen von den Schlachtfeldern. Denn im Westen erhob sich schließlich der Lichlord, der Meister der Schlangen und Toten, der Herr von Verderben und Hass. Man nannte ihn Orochimaru und durch die Macht seiner unheiligen Magie erweckte er die Toten wieder zum Leben. Doch sie kamen nicht so zurück, wie man sie gekannt hatte, sondern als finstere, herzlose Wesen, deren einziger Zweck es war, ihrem dunklen Herrn zu dienen. Und so rekrutierte Orochimaru sein Heer von den alten Schlachtfeldern, die bedeckt waren von Leichen.
 

Bald schon hatte er eine Armee zusammen, die schlimmer als alles war, das man bis jetzt gesehen hatte und auch an Zahl jedes Heer überstieg, das die mächtigsten Kriegsherren aufbringen konnten. Und Orochimaru, der mit der List und Tücke einer Schlange und der Geduld einer Flammenechse auf den richtigen Augenblick gewartet, im Hintergrund die Fäden gezogen und die Mächtigen zu immer neuen, sinnlosen Kriegszügen, deren Opfer sich seinem Heer anschlossen, aufgestachelt hatte, unterwarf mit Leichtigkeit eine Mark nach der anderen. Doch er war kein gütiger, weiser Herrscher, der die Klugheit darin sah, das Land zu einen um Frieden zu bringen. Früher hatte die Bevölkerung unter dem Krieg gelitten, doch nun unter dem Befehl des Lichlordes starben sie und das Land eines qualvollen, langsamen Tod.
 

Noch heute sind die Landstriche, die er zuerst knechtete, verödet und kahl. Jeder Fürst stellte sich ihm einzeln und jeder von ihnen fiel unter der Übermacht dieses Gegners. Alleine hatte keiner von ihnen eine Chance, doch weil sie alle so zerstritten waren, kamen sie nicht auf die Idee, sich zusammen zu schließen und wenn – die anderen hätten niemals eingestimmt. Zu viel Angst hatten sie vor dem Verlust ihrer Macht, zu eng war ihr Blick für die Zukunft, zu groß ihre Verleugnung, dass Orochimaru niemals zu ihnen kommen würde.
 

Lange Zeit wirkte es, als würde der Lichlord ohne nennenswerten Widerstand den gesamten Kontinent unterwerfen können. Doch dann trat ein edler Ritter vor und brach, von seinem Herrn geschickt, auf. Man nannte ihn Pein und er war fest entschlossen, die Heere unter einem Banner zu einen, um sie gegen Orochimaru in den Krieg zu führen. Zuerst hörten nur wenige auf ihn, jene klugen Anführer, die ihre Blicke längst gen Westen gelenkt hatten, wo Orochimarus Reich sich ausbreitete wie ein Geschwür. Manche von ihnen sicherten ihm sofort Hilfe zu und riefen ihre Krieger zu den Waffen. Andere zögerten – auch sie befürchteten, ihre Stellung nicht halten zu können. Manche gaben ihm Männer für seine Reise von Fürstenhof zu Fürstenhof zur Seite – oder versuchten es zumindest, doch er wollte niemanden als Begleitung außer seinen treuen Gefährten. Denn in dieser Gruppe herrschte ein perfektes Gleichgewicht.
 


 

~ [ ♥ ] ~
 


 

Dort erschienen die tapferen Krieger

Über die wir heute singen unsere Lieder

Fünf waren es an der Zahl

Gerufen wie durch der Götter Wahl
 

~ [ ♥ ] ~
 


 

Pein selbst und seine Gemahlin, die Kriegerin Konan-Mit-Der-Weißen-Rose. Eine Zauberin aus dem machtvollen, ruhmreichen Clan Hyuuga, Hinata die Reine, die Erbin des Oberhauptes, und ihr Bruder, der Schwertkämpfer Neji. Dazu kam der junge Waldläufer Kiba-Aus-Dem-Wald, dessen Volk gänzlich von Orochimarus Gruppen abgeschlachtet worden war und zu den ersten Opfern der Totenkriege zählte, mit seinem treuen Hund Akamaru. Sie, die Mutigen, die Großen, die Helden – sie waren dazu auserwählt, das Heer der Verbündeten gegen Orochimaru zu führen. Sie waren dazu ausersehen, dieses Heer zusammenzuführen.
 

Und sie taten es. Ausgesandt von Peins Herrn, dem Fürsten von Zhelyr, machten er und Konan sich auf zu den Fürstenhöfen – bald stießen sie auf Kiba und dann schlossen sich ihnen Hinata, die an diesen Traum vom Sieg und Frieden glaubte, und Neji an. Und nach und nach gelang es ihnen, die Krieger unter einem Banner zu einen. Sie gewannen viele Kämpfe und nicht alle davon wurden auf einem Schlachtfeld zwischen den Leichen der Gefallenen geschlagen – viele fanden auf politischen Gebiet statt und andere wiederum konnten nur sie sehen, manche fochten sie gegen die Gewalten der Natur selbst und wieder andere schlugen sie zu fünft; als sie gegen die Monster kämpften, die sich nicht von Orochimaru töten ließen – Trolle und Hexen, Drachen und Waldgeister und andere Ungeheuer, die wir uns nicht einmal vorstellen können.
 

Und auch sie fielen unter den Klingen der Fünf Helden, die sich durch nichts aufhalten ließen. Endlich, endlich war ihr Heer so groß und die Fürsten, die sich versammelt hatten, so einig, dass sie loszogen um gegen Orochimarus Armeen vorzugehen. Und tatsächlich – die erste Schlacht gewannen sie. Und die zweite und die dritte und dann siegten sie wieder und wieder und sie drangen immer weiter nach Westen vor, immer weiter, immer tiefer in das Reich des Lichlordes hinein. Im Staub jedoch ließ das Heer Scheiterhaufen hinter sich, wo reinigende Flammen die Körper der Toten verschlangen – auf dass sie nie wieder zu etwas Unheiligem wie Orochimaru zum Opfer fielen.
 

Und je weiter sie zogen, desto mehr Krieger schlossen sich ihnen an. Für jeden Gefallenen kamen zwei dazu, die seinen Platz einnahmen, und das Volk jubelte ihnen zu, denn sie alle hassten den Lord der Toten. Sie alle wussten, sie verdankten es Pein und seinem genialen Verstand, mit dem er Strategie um Strategie ersann, sie verdankten es Konan, die Informationen sammelte, der großartigen Hinata und ihrer Magie und Neji und Kiba, die mehr Gegner fällten als jeder andere. Und schließlich – schließlich besiegten sie den größten Teil von der Armee der Untoten in jenem Kampf, der heute als die Große Schlacht bekannt ist.
 

Doch Orochimaru und der Rest seiner Armee befanden sich in seiner Burg – ein großer Teil des Bündnisheeres war bereits auf dem Weg zu ihm, noch ehe die Große Schlacht geschlagen war, denn diese war nur ein Ablenkungsmanöver. Der Fürst von Zhelyr, die Frau, die man die Mutter der Dämmerung nannte, und Hiashi vom Clan Hyuuga führten jenen Teil direkt vor die Tore der Schlangenfestung, in der Orochimaru residierte. Und dort, dort wurde er geschlagen.
 

Die Fünf Helden jedoch, auf denen Orochimarus Blick lag, waren zurückgeblieben um die Große Schlacht zu gewinnen und zu beenden. Sie wollten gleich aufbrechen um eine Abkürzung über die Zwielichtberge zu nehmen, denn sie, als die Helden, sollten dabei sein bei dem Großen Sieg über den Lichlord. Sie brachen auf, sobald sie es sich erlauben konnten und ritten in die Frühnebel, die sich vom Boden erhoben und hinauf, hinauf in die finsteren Schatten des Zwielichtgebirges. Doch – wie das Schicksal es wollte, wie die Götter bestimmten – sie kamen niemals bei der Feste der Schlangen an.“
 

Kushina verstummte für einen Augenblick und mit Trauer in der Stimme schloss sie ihre Erzählung: „Niemand hat je wieder von ihnen gehört. Hiashi zerbrach beinahe an der Trauer um seine verlorenen Kinder und Yahiko der Erste König verlor seine Eltern, Pein und Konan, und wurde stattdessen vom Fürsten von Zhelyr aufgezogen. Niemand sah sie je wieder, sie, die fünf Größten. Die Fünf Helden, ohne die damals alles Licht und alle Hoffnung gestorben wären.“
 

Als Kushina endete, herrschte für einen Moment Stille im Raum.

Das Krachen des Holzes im Feuer ließ Tenten zusammenzucken. Es war, als würde sie aus einem Traum aufwachen oder einer magischen Astralreise, die sie in die wilden, heroischen Sehnsüchte einer anderen Person geführt hatten. Irgendwer räusperte sich und sie schob das Bedürfnis von sich, einfach wieder in die ausgeklungene Erzählung zu versinken und in die Bilder, die sie ihn ihr wach gerufen hatte – voller Helden und Monster, voller Ruhm und Ehre und Pracht aus alten Zeiten. Doch das leise Gemurmel einiger Stimmen riss sie endgültig in die Wirklichkeit zurück.
 

Sie drehte den Kopf und erblickte Deidara, Ino und Naruto, die ihre blonden Köpfe zusammengesteckt hatten und leise miteinander tuschelten, dass niemand anderes sie verstand. Kushina hatte sich an ihren Gemahl gelehnt, der ihre Hand in seine genommen hatte und ihr einen zärtlichen Blick schenkte. Tenten blickte rasch weg – dort zuzuschauen hatte etwas Verbotenes, als würde sie eindringen und sie verbotenerweise beobachten bei etwas viel Intimeren als nur einem Blick und verschlungenen Händen. Die beiden waren versunken in ihrer eigenen Welt. Es musste schön sein, sich in eine Person zu verlieben und mit ihr all die Jahre zusammenzubleiben, nur um jeden Morgen zu fühlen und zu sehen, wie diese Liebe nur noch größer geworden war.
 

Nur Shikamaru war nicht mit jemand anderem beschäftigt, doch er starrte gedankenverloren in die hellen Flammen im Kamin, mit einem düsteren, nachdenklichen Gesichtsausdruck, dass sie sich lieber nicht an ihn wenden wollte. Sie wusste, worüber er nachdachte – über ihre Probleme, die sie alle im Moment quälten.

Lee hockte noch immer neben ihr, ganz im Gegensatz zu seiner eigenen Art, still und ernst. Erst starrte mit großen Augen auf seine gefalteten Hände, die ihm im Schoß lagen und wirkte, als würde er gleich anfangen zu weinen, versuchte aber, es mit aller Macht zu verhindern. Tenten blickte rasch weg. Sie kannte Lee. Er wollte jetzt nicht von ihr oder jemand anderem gestört werden, also ließ sie ihn einfach zufrieden in seinem eigenen Moment der Ruhe und suchte sich ihren eigenen Gedanken, an dem sie sich jetzt festhalten konnte.
 

Sie dachte an Kushinas Erzählung zurück, an die Sagen und Geschichten, die sie noch über die Fünf Helden kannte, und dachte, dass sie jetzt in dieser Zeit Leute wie diese Helden, diese Legenden brauchen konnten. Nicht mehr denn je, aber doch mehr als zur meisten Zeit. Und waren Pein und Konan nicht die Ahnen des Königshauses? Waren die Fünf nicht die, die für die absolute Freiheit dieser Welt eingetreten waren? Und diese auch noch gewonnen hatten? Ja, sie konnten hier wirklich derartige Unterstützung gebrauchen. Aber wofür wünschte sie?

Es war unmöglich, denn sie war jemand, der nur nach den Sternen greifen konnte und nach nichts Tieferem.
 

Aber wer war sie, dass sie die Sterne vom Himmel holen konnte?
 


 

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Chapter 1 ~ But time will turn into ashes

Der aufsteigende Nebel dämpfte alle Geräusche, die die fünf Reiter und ihre Pferde machten. Das Klirren, das die Metallteile an Geschirr und Waffen erzeugten, wenn sie aneinander stießen, klang seltsam dumpf und die Schritte der Pferde waren dunkel und manchmal kaum zu hören.
 

Hinata verlagerte ihr Gewicht und das Leder des Sattels knarrte leise. Allerdings bezweifelte sie, dass jemand außer ihr selbst des Geräusches gewahr geworden war. Selbst nicht ihr Cousin, der so scharfe Ohren besaß. Der Nebel schien alle Geräusche zu verschlucken. Sie konnte kaum die anderen Reiter erkennen und auch die Farben schienen zu verschwinden. Selbst das einst kräftige Dunkelrot ihres Drachenschuppenpanzers wirkte eher grau, ganz zu schweigen von dem Weiß ihres Wappenrockes. Hyuugastoff oder nicht, Weiß war eine schlechte Farbe für Reisen, vor allem solche wie die ihre, aber es war dennoch die Farbe ihres Clans und darum trug sie sie.
 

Hinata warf einen Blick über die Schulter zurück und schaute kurz zu Neji, der schräg hinter ihr ritt. Er hatte seinen schweren, oft geflickten, dunklen Wollmantel eng um sich geschlungen, so dass nur seine in den Fellstiefeln steckenden Füße und sein gesenkter Kopf herausschauten. Und natürlich sein Katana, dessen einfacher, absolut zweckmäßig gearbeiteter, aber dennoch elegant wirkender Griff über seine Schulter ragte. Selbst die behandschuhten Hände trug Neji nah am Körper, die Finger der linken fest um die Zügel geschlossen. Die Stiefel hatte er, wie sie alle, von den Einheimischen an den Füßen der Zwielichtberge geschenkt bekommen – eine Gabe voll Ehrfurcht und Hochachtung und eine Bitte an die Götter, um Glück.
 

Er wirkte, als würde er schlafen und das schmutziggraue Band, das sie ihm jeden Morgen über die Augen legte trug zu diesem Eindruck bei. Nicht, dass er es brauchte oder nicht selbst tun konnte, es war einfach ein Ritual von ihnen, das sie verband und an dem sie sich festhalten konnten.
 

Sie waren oft genug Leuten begegnet, denen der kühle Blick aus Nejis völlig weißen, blinden Augen unheimlich oder einfach nur unangenehm war, vor allem, wenn er sie dennoch stets zu beobachten schien. Darum war er schon lange dazu übergegangen, seine nutzlosen Augen hinter den Bandagen zu verbergen. Es machte keinen großen Unterschied für ihn.

Allerdings – und das war Hiashi, Hinatas Vater, stets ein Dorn im Auge gewesen – verbarg die Augenbinde auch die stilisierten Schwingentätowierungen auf seinen Schläfen. „Sie zeigen, dass du einer der Falkenkrieger der Hyuuga bist. Trage und zeige sie mit Stolz, Würde und Ehre!“, pflegte er immer zu sagen. Doch manchmal war dies einfach nicht praktisch. Beziehungsweise anders herum – manchmal war es praktisch und weise, sie zu zeigen. Meistens überwog das andere. Hiashi hatte es akzeptiert, verlangte jedoch auch, dass Neji die Binde abnahm, wenn ein Mitglied des Clanrates anwesend war. Auf diesen Kompromiss hatte Hinatas Wächter sich einlassen können – es war weitaus unter der Würde von irgendeiner dieser Personen, sich von so kleinen Dingen wie blinden Augen auch nur ablenken zu lassen.
 

Neji wandte den Kopf, als sie ihn anblickte; natürlich hatte er ihre Bewegung bemerkt. Sie hatte nie verstanden, wie seine Fähigkeiten wirklich funktionierten, aber sie erlaubten ihm, gewisse Dinge – Bewegungen, der Standort von Personen oder Dingen, Gefühle – in einem bestimmten Umkreis besser wahrzunehmen, als ein Sehender das je konnte. Hinata lächelte entschuldigend, was er nicht erkennen konnte, aber er kannte sie gut genug, um es zu wissen, und sie winkte. Neji sagte weder etwas noch machte eine erwidernde Geste, sondern schwieg weiterhin. Aber das störte sie nicht. Er war einfach so und sie wusste, dass sie ihm sehr am Herzen lag.
 

Hinter ihm ritt Kiba, die Leine des Packesels in der Hand. Sein Hund Akamaru war nur ein riesiger, weißer Schatten weiter entfernt, im Nebel kaum mehr zu sehen. Kiba war ein Stück größer als Neji und sein nussbraunes, kurzes Haar stand in alle Richtungen ab. Die rituellen roten Zeichnungen in seinem markanten, scharf geschnittenen Gesicht hoben sich deutlich gegen seine Hautfarbe ab, die jetzt viel blasser wirkte, als er eigentlich war.

Der Nebel saugte alle Farben aus ihnen heraus, selbst aus dem jungen Waldläufer, der sonst so lebendig wirkte, auch wenn er gedeckte Naturfarben vorzog. Der Umhang fiel locker über seinen Rücken und den Hintern seines gescheckten Pferdes und gab den Blick frei auf seine einfache Kleidung, über die er den leichten Schuppenpanzer, den er wie sie alle aus den Drachenschuppen gewonnen hatte, und eine dicke Fellweste, die von einer großen Fibel zusammengehalten wurde, gezogen hatte.
 

Am Gürtel trug er zwei lange Dolche und über den Rücken hatte er seinen Bogen und einen pfeilgefüllten Köcher geschwungen. Wie auch Neji hatte er weitere Waffen am Sattel befestigt – in Zeiten wie diesen und mit einem Ruf ihrem konnten sie es sich nicht leisten, weniger zu besitzen, als sie tragen konnten, wenn es denn möglich war. Auch Hinata selbst besaß, trotz der Tatsache, dass sie eine mächtige Magierin war, die im Grunde kaum physisch kämpfen konnte, mehr als nur ihr Sax, das Allzweckmesser.
 

Sie seufzte und wandte sich wieder nach vorn. So vieles würde sie auch jetzt noch dafür geben, in einer friedlicheren Zeit geboren worden zu sein. Aber das konnte sie nicht ändern, denn das war Vergangenheit. Das einzige, an dessen Veränderung sie mithelfen konnte, war die Zukunft, und genau darum war sie jetzt hier. Ihre Kinder sollten es besser haben oder wenn schon nicht sie, dann wenigstens ihre Kindeskinder. Vorausgesetzt, sie würde eines Tages welche haben. Ein Wunsch war es schon, denn...
 

Mit einem Ruck riss sie sich aus ihren Wunschträumen. Das war nichts, an das sie jetzt schon denken sollte. Jetzt galt es erst noch, diese friedliche Zukunft zu sichern, die sie schon vor sich sehen konnte, beinahe greifbar, von der sie so lange geträumt hatte. Auch wenn es noch ein weiter, harter Ritt bis zur letzten Schlacht war. Doch der Krieg war bereits entschieden, das wussten sie alle. Jetzt galt es nur noch, der Schlange den Kopf abzuschlagen, damit sie sich nicht wieder erholte. Und das würde sie, wenn man ihr keinen Riegel vorschob, wenn man den letzten Kampf nicht führte. Sie waren nur noch einen Schritt vom endgültigen Sieg entfernt, aber um die letzte Schlacht musste noch geschlagen werden. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Schlangenfeste gefallen und Orochimaru erschlagen war.
 

Mit entschlossenem Blick sah sie konzentriert nach vorn, wo sie undeutlich die Silhouetten von Pein und Konan im Nebel ausmachen konnte, leicht verschwommen und völlig grau. Die kleine, schlanke Frau war völlig in Schwarz gekleidet, wie es bei der Schattengilde üblich war und die einzige, die ihre eigenen Stiefel behalten hatte, die ihr bis zu den Oberschenkeln reichten. Hinata konnte das verstehen – es waren Sonderanfertigungen der Gilde und sie konnte nicht einmal ahnen, wie viel ihre Besitzerin darin verstecken konnte, aber das war wohl der Sinn der Sache. Pein ritt vor seiner Gefährtin, der Mutter seines Sohnes, und war kaum noch zu erkennen. Alles an ihm erschien grau – selbst das sonst leuchtend orangerote Haar – und verschwommen.
 

Hinata war es zu Anfang seltsam vorgekommen, weil die beiden so offen ein Paar waren, ohne dass einer von ihnen die Absicht hatte zu heiraten, selbst nicht nach Yahikos Geburt. Sie hatte nie mit den beiden darüber gesprochen; nie gefragt, warum sie es nicht taten. Jeder sah doch, dass diese beiden so offensichtlich zusammengehörten wie der Himmel und die Erde oder Sonne und Mond, nur dass diese beiden Menschen keinen solch nahezu unüberbrückbaren Abstand zwischen sich hatten.
 

Vielleicht war Hinata einfach zu traditionell. Vielleicht lag es einfach an ihrer Erziehung und den strengen Regeln des Clans. Aber sie hatte es anerkannt und sie drang nicht weiter in die beiden ein. Das war ganz allein ihre Sache und jeder akzeptierte es. Vielleicht brauchten sie es einfach nicht. Vielleicht war es für sie so klar, wie es werden konnte, und keine Zeremonie konnte etwas daran ändern. Vielleicht wollten sie diese Zeremonie einfach nicht, weil sie beide keine geselligen Leute waren und ein solches Fest zu ihren Ehren, selbst in Zeiten des Krieges, musste sie abschrecken. Vielleicht waren es andere Gründe, von denen Hinata nicht einmal etwas ahnte. Es war einfach so und Hinata musste immer lächeln, wenn sie eine der kleinen, sanften Gesten sah oder einen liebevollen Blick von Konan an Pein oder diese Handbewegung, wenn Pein ihr eine Haarsträhne hinter das Ohr klemmte.
 

Die Hyuugamagierin seufzte tief und wünschte sich, auch so etwas zu haben. Oder etwas Ähnliches – jemandem, mit dem sie so umgehen konnte, jemand, der mit ihr so umging. Aber dafür hatte sie nie Gelegenheit gehabt. Keine Möglichkeit. Und auch kein Angebot – denn sie war Hinata vom Clan Hyuuga, die Erbin des Oberhauptes und eine Begleiterin Peins. Niemand traute sich, sie anzusprechen und sie ... traute sich ebenfalls nicht. Aber das würde sich ändern. Nach dem Krieg, versprach sie sich, nach dem Krieg war Zeit dafür. Und dann würde sie jemanden finden.
 

Sie lächelte und legte den Kopf in den Nacken. Es würde nicht leicht werden. Aber es war so greifbar. Sie wusste, dass es passieren würde. Dass Orochimaru sterben und der Krieg endlich zu Ende sein würde. Denn dafür waren sie hier. Dafür hatten sie eine Schlacht geschlagen, die wichtig, aber dennoch so weit ab von ihrem eigentlichen Ziel lag. Dafür durchquerten sie die Zwielichtberge, in die sonst kaum jemand einen Fuß setzte. Dafür waren sie die Helden der Totenkriege geworden. Für das Ende jenes Krieges.
 

Eines der drei Dinge, die Hinata an diesem Ritt tatsächlich bedauerte, war, dass der Nebel ihre Sicht extrem einschränkte. Sie hätte gerne einen Blick erhascht auf die schöne, wilde Welt des Zwielichtgebirges. Dieses Massiv war, mehr noch als die meisten anderen Gebiete, die sie schon bereist hatten, unberührt und frei von menschlichen Veränderungen. Es kamen nur wenige Leute hierher, ein paar Jäger und Hirten, die im Einklang mit der Natur lebten, und Wahnsinnige oder Verzweifelte wie sie. Die Wege bestanden aus schmalen Bergpfaden, die von Tieren geschaffen worden waren. Die Natur, schön und rau, existierte ungestört von den Einflüssen der Menschen. Die Berge, schneebedeckt und grün ummantelt, ragten majestätisch in den Himmel, dass es fast wirkte, als würden sie die Wolken berühren.
 

So viel hatten die Reiter sehen können, ehe der Nebel aufgezogen war und sich um sie gezogen hatte wie eine Schlinge oder ein dünnes Leinentuch, durch das man hindurchschauen konnte, so zart war es. Doch der Nebel war immer dichter geworden, bis nur noch eine graue Masse zu sehen war. Silhouetten von Bäumen und Felsen erschienen und verschwanden wieder und alles wirkte seltsam unwirklich. Das Einzige, was konstant schien, waren die anderen vier Reiter, ihre Pferde und Akamaru, der nahe bei seinem Herrchen blieb. Der Hund hinkte und schonte sein rechtes Vorderbein wann immer es ihm möglich war. Während des letzten Kampfes hatte er eine lange Wunde davongetragen, die die Heiler erst genäht und dann in sauberes, weißes Tuch verpackt hatten, das inzwischen grau war von Schmutz.
 

Das war der zweite Punkt, der Hinata nicht gefiel – sie alle waren angeschlagen, hatten sie doch eine der größten Schlachten der Totenkriege und davor mehrere Scharmützel hinter sich, als sie sich die Mühe gemacht hatte zu zählen. Pein hatte es am wenigsten erwischt, was allerdings auch damit zusammenhing, dass er seltener an den Kämpfen teilgenommen hatte – ihm als den Kriegsherrn war die Koordination der Truppen zugefallen, was ihn aus dem Gröbsten heraus hielt. Dafür hatte ihn jemand kaum zehn Tage vorher beinahe aufgespießt. Er wusste nicht einmal mehr, wer das gewesen war; gefallen war er jedoch unter dem berühmten Singenden Schwert, das der Kriegsherr führte. So etwas passierte ihnen eben.
 

Auch Hinata war nicht schwer verletzt; nur eine Fleischwunde am Oberschenkel, die sie bei jedem Schritt ihres Pferdes zwickte, und ein Kratzer am Arm. Sie allerdings hatte aktiv an den Kämpfen teilgenommen. In solchen Situationen war sie mehr als dankbar dafür, dass Neji ihr Hüter war, denn Neji nahm seine Pflichten äußerst ernst und er war einer der besten Schwertkämpfer, die sie je gesehen hatte. Dafür hatte er um so mehr abbekommen. Hinata hatte keine Ahnung, ob er oder Konan es war, der die schweren Verletzungen davongetragen hatte.
 

Der dritte Punkt, der ihr an diesem Ritt nicht passte, war die Geschwindigkeit, mit der sie den Weg zurücklegten, zurücklegen mussten. Sie durften keine Zeit verlieren auf diesem Weg, sie mussten rechtzeitig ankommen und das Heer in die Schlacht führen. Es war ihre Aufgabe, ihre Pflicht. Wenn sie nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt angekommen waren, würden die anderen Anführer den Angriff selbst führen. Das wäre schlecht für die Moral, aber besser, als zu riskieren, dass Orochimaru sich wieder sammelte und seine Magie und letzten Streitkräfte mobilisieren konnte, um seine Festung zu verteidigen. Darum befahl Pein diese mörderische Geschwindigkeit, selbst wenn ihre Reise in einen Gewaltritt ausartete, der keinem von ihnen gut bekam.
 

Die junge Magierin seufzte – wieder einmal – und strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. Jetzt war nicht die Zeit, darüber nachzudenken. Sie alle waren gut versorgt worden, von Heilern, die Magie und normale Mittel gleichermaßen einsetzten. Im Moment hatte keiner von ihnen zu befürchten, sich eine Infektion einzufangen. Und darum sollte sie jetzt auch aufhören, sich über so unnötige Dinge Gedanken zu machen, schalt sie sich selbst, es gab anderes, worüber sie ihren Kopf zerbrechen sollte.
 

Zum Beispiel die Abwehrzauber, mit denen Orochimaru seine Festung belegt hatte. Hinata war noch nie dort gewesen, doch sie wusste, dass ein mächtiger Zauberer wie der Lichlord nichts unversucht gelassen hatte, sich und seine Festung zu schützen. Und Hinata, die ihrerseits eine machtvolle Magierin war, würde mit anderen Personen ihrer Berufung die Aufgabe zufallen, diese Zauber zu durchbrechen. Sie konnte sich ein paar Strategien überlegen, wie sie vorgehen konnten. Die Banne durchgehen, die sie kannte, um solche Schutzzauber zu durchbrechen. Sich die Natur der Schutzzauber selbst ins Gedächtnis rufen. Überlegen, was noch zu bedenken war. Allerdings war es gut möglich, dass sie all diese Strategien wieder über den Haufen werfen musste, wenn sie erst einmal an der Schlangenfeste ankamen. Orochimaru verwendete sicher keine alltäglichen Zauber. Wahrscheinlich waren es welche, von denen nur wenige gehört hatten, wenn er sie nicht völlig neu geschaffen hatte. Beides war gut möglich. Wahrscheinlich würden sie beides sogar antreffen.
 

Pein an der Spitze ihrer kleinen Kolonne hob die Hand und zügelte sein Pferd. Er starrte angestrengt nach vorn in den Nebel. Hinata bewegte sich leicht im Sattel um an ihm vorbeizuspähen, aber – natürlich – konnte sie nichts sehen. Neji lenkte sein Pferd neben sie und legte lauschend den Kopf schief. Sie wandte sich ihm zu. Ihre Erfahrung sagte, dass Neji Dinge bemerkte, die andere nicht sahen, weil seine 'Sicht' einfach anders war. Er sah nicht mit den Augen, sondern durch Magie, durch die Schwingungen, die Erde und Luft an ihn übertrugen. Er erkannte keine Farben, keine Mimiken und auch nichts, was geschrieben stand oder gemalt war. Aber er wusste, wo genau Personen standen, welche Gesten sie machten und wie schnell ihre Herzen schlugen und es spielte keine Rolle für ihn, wenn sie sich hinter ihm befanden. Er hatte einmal versucht, es ihr zu erklären, aber sie hatte es nicht begriffen. Wahrscheinlich würde sie es nur erfassen, wenn sie es tatsächlich erlebte und das war ihr unmöglich.
 

„Siehst du etwas?“, wollte sie von ihm wissen und er drehte verwirrt den Kopf. Das Schweigen zog sich hin. „Etwas stimmt nicht.“, antwortete er schließlich. „Schon die ganze Zeit. Es ist, als wäre alles verschwommen.“ „Es ist neblig.“, meinte sie und kam sich gleich darauf dumm vor. Nebel hatte ihn nie beeinträchtigt. Warum sollte er jetzt? Es sei denn, er war magischer Natur. … Was natürlich sein konnte. Warum war ihr das nicht schon früher aufgefallen?! Näherten sie sich nun Orochimarus Festung oder nicht? Und war Orochimaru nicht einer der machtvollsten Magier, den dieses Land je gesehen hatte? Aber sie hatte nichts gespürt... Und auch das silberne Amulett, das offen auf ihrer Kleidung lag, der Ismalith, warnte sie nicht. Was war hier los?
 

Neji griff nach seinem Schwert und Kiba, der ebenfalls zu ihnen aufgeschlossen war, nestelte bereits an seinem Bogen herum. Pein dagegen war zurückgefallen, dass sein Apfelschimmel, der im Nebel kaum zu erkennen war, direkt neben Konans Reittier ging. Er hatte die Hand auf den Griff des Singenden Schwertes gelegt. Konan dagegen hatte wie Neji ihre beiden Klingen gezogen, zwei lange Dolche, ebenso berühmt wie jede anderen der Waffen, die die fünf am häufigsten nutzten.
 

Vor ihnen schälten sich drei Gestalten aus dem Nebel, menschliche Silhouetten, alle gehüllt in dicke Mäntel aus Fell. Jene, welche an vorderster Stelle stand, war klein und schlank. Ihr schneeweißes Haar war kurz geschnitten, doch trotzdem bemerkte man auf den ersten Blick, dass es eine Frau war. Es dauerte nicht lange, dann hatte Hinata sie erkannt. Es war eine der Drei Mütter, die Mutter des Zwielichts. Aus ihrem runzeligen Gesicht starrten den Reitern hellwache, eisblaue Augen entgegen, deren Blick trotz ihres Alters noch so scharf war wie der eines Falken.
 

Die zweite Frau war groß, dürr und knochig, aber die Hyuugazauberin wusste, dass sie sich mit unglaublicher Eleganz bewegen konnte. Ihr Gesicht wirkte – selbst hier im Nebel – wie das einer schlecht behauenen Statue, kaum erkennbar. Die tiefen Narben, die sich hindurch zogen, dienten ebenfalls nicht der Verschönerung. Auch sie kannte Hinata, eine machtvolle Magierin, die eigentlich bei der Schlangenfeste sein sollte um dort zu helfen.
 

Auch die letzte Gestalt war eine Frau, jedoch plump und unglaublich fett. Ihre kleinen, schwarzen Augen wirkten wie Käfer in dem aufgequollenen Gesicht und sie stützte sich schwer auf einen dicken Stock. Sie fixierte, wie die anderen beiden, die herankommenden Reiter, doch unter ihrem Blick erschauderte Hinata.
 

Die anderen beiden konnten ihr nichts, doch diese Frau... Diese Frau war eine Priesterin. Und nicht nur irgendeine Priesterin, sondern eine Hohepriesterin und jeder wusste, dass mit ihr nicht zu spaßen war. Sie war bitter und einsam und voller Leidenschaft für ihre Aufgabe, Taikai-Hime, ihrer Göttin, zu dienen.
 

„Seid gegrüßt, ihr Legenden.“, rief sie, als die Reiter nahe genug herangekommen waren, und ihre Stimme war das einzige an ihr, was nicht abstoßend und widerlich war, sondern süß, schmeichelnd und samtig. Diese Stimme war wie geschaffen für Predigten. Sie war zum Zuhören gemacht.
 

Pein stoppte seinen graufleckigen Wallach nur zwei, drei Meter vor ihnen, beantwortete den Gruß jedoch nicht. Hinata warf ihm einen nervösen Blick zu. Das war grob unhöflich und man spielte besser nicht mit dem Feuer, selbst, wenn man so mächtig war wie Pein. Unruhig zügelte sie ihr eigenes Pferd, so dass es hinter dem ihres Anführers und neben Konans zum Stehen kam. Doch weder die grantige Priesterin noch die anderen beiden Frauen reagierten auf Peins abweisendes Verhalten. Eigentlich reagierten sie gar nicht, sondern blickten dem Kriegsherrn nur entgegen, stumm und ernst. Das Schweigen zog sich hin, angespannt und geladen.
 

Nach einigen Augenblicken begann Hinata nervös zu werden. Ihr war nicht ganz klar, was hier geschah, aber sie wusste, dass es eine Art Machtspiel war. Sie warf einen nervösen Blick zu ihrem Cousin, der von der ganzen Sache nichts mitzukriegen schien. Vielleicht war es auch so – derartige Dinge wie Blickduelle waren für ihn schwer zu fassen. Er mochte wohl die Theorie dahinter verstehen, doch die Praxis war etwas ganz anderes. Nejis Kopf war unbeeindruckt nach vorne gerichtet, aber seine Schultern wirkten steif und er hielt noch immer sein Schwert in der Hand. Zu Kiba wagte Hinata sich nicht umzudrehen, aus Angst, die Aufmerksamkeit der drei so plötzlich aufgetauchten Frauen auf sich zu lenken, und Konan wirkte wie eine bewegungs- und emotionslose Statue. Pein war es schließlich, der die Stille durchbrach und sich damit der Macht der drei Frauen unterwarf.
 

Er räusperte sich und wollte mit kühler Stimme wissen: „Solltet Ihr nicht bereits an der Schlangenfeste sein, mit dem Rest des Heeres?“ Machte er sich Sorgen, dass nicht nur diese drei das Ziel nicht erreicht hatten, sondern auch die Streitkräfte? Dass Orochimaru sich sammeln konnte, ehe sie den letzten Schlag führen konnten, der ihn zu Fall und hoffentlich in den Tod brachte? Dass Peins so sorgfältig ausgeklügelten Pläne, an denen er seit Wochen arbeitete, für die er so viel Zeit und Energie investiert hatte, um genau den richtigen Augenblick, die richtigen Umstände zu schaffen, abzupassen und zu nutzen, den Bach runter gingen und schief liefen?
 

Die Priesterin kicherte. „Macht Euch keine Sorgen, oh großer Kriegsherr.“, antwortete sie leise und Hinata war nicht klar, ob sie Pein mit dem Titel ehrte oder verspottete. Sie vermutete letzteres – wie auch der Angesprochene selbst, dessen Fäuste sich enger um die Zügel seines Pferdes schlossen. Das Tier schnaubte nervös und stampfte mit den Hufen, aber Pein hatte sich unter Kontrolle. Die Magierin konnte sein Gesicht nicht sehen, aber sie wusste, dass es wie in Stein gemeißelt wirken musste.
 

„Außer uns sind alle dort, wo sie sein sollen.“, erklärte die Mutter des Zwielichts mit einer rauen Stimme. Sie trat einen Schritt nach vorn. „Konan.“ Sie sagte nur das eine Wort, aber ihr Ton war herrisch und die Angesprochene reagierte sofort, gelenkt von uralten Regeln und Verhaltensmustern, die ihr schon vor Jahren eingedrillt worden waren. Sie rutschte aus dem Sattel und fiel auf die Knie, den Kopf geneigt in ehrfürchtiger Hochachtung vor der alten Frau, ihrem Titel und dem, für das sie stand.
 

Pein ruckte unwillig mit dem Kopf, als könne er sich gerade davon abhalten, zu ihr zu blicken und ihr zu befehlen, wieder aufzustehen. Konans Ergebenheit zu ihren Herrinnen war ihm schon immer ein Dorn im Auge gewesen. Nicht nur, weil es gefährlich für seine Position war und für ihr gesamtes Vorhaben, wenn die Loyalität eines ihrer Gruppenmitglieder derartig aufgesplittert war. Sondern auch wegen Konan selbst.
 

Hinata seufzte und beschloss, die Spannung, die noch immer in der Luft lag, zu lösen. Sie schwang ein Bein über den Widerrist ihres Schimmels und landete mit einem nassen Geräusch im Matsch, aus dem der Boden derzeit bestand. Jetzt richtete sich die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sie, aber das Opfer musste sie bringen. Sie verbeugte sich respektvoll vor den drei Frauen. „Den Göttern zum Gruße.“, erklärte sie ruhig.
 

Für einen Moment blieb es still. Pein blickte sie kühl an, sagte jedoch nichts. Dann trat Neji neben sie und auch ihr Anführer rutschte aus dem Sattel. Konan erhob sich wieder und glitt nahezu lautlos an die Seite ihres Gefährten. Zuletzt folgte Kiba, der abwartend zugesehen hatte, während die Priesterin ihre Arme ausbreitete. Ihre weitern Robenärmel wirkten wie meeresblaue Banner. „Den Segen der Götter über Euch alle, Helden der Totenkriege.“, sprach sie klangvoll. „Wir sind hier im Auftrag der Freien Völker um Euch den Segen aller zu geben, die vom Leben erfüllt sind, und Euch gleichzeitig unser aller Dank auszusprechen. Drei Frauen, heißt es, sind stärker als ein Heer von Kriegern und darum wählte man uns dafür. Und wir werden diese Aufgabe erfüllen, denn mehr als nur der kommende Sieg hängt davon ab. Tretet vor.“ Sie ließ die Hände wieder sinken und griff in einen der Beutel, die sie am Gürtel trug.
 

Pein öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch die Magierin schnitt ihm das Wort ab. „Tretet vor.“, wiederholte sie. „Mit der Zeit wird alles klar werden, aber jetzt ist nicht der richtige Moment.“ „Außerdem eilt die Sache.“, knurrte die Mutter des Zwielichts. „Worauf wartet Ihr?“, wollte sie von der Priesterin wissen, die ihr jedoch nicht einmal einen Blick als Antwort schenkte, sondern vortrat. „Fallt auf die Knie vor der Macht der Götter.“, murmelte sie, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern, doch klar zu vernehmen mit herrischer Gewalt. Hinata reagierte ohne nachzudenken und kam dem Befehl nach. Ihre Hose sog sich mit Feuchtigkeit voll, aber sie merkte es kaum. Sie spürte eher, als dass sie es sah, dass auch ihre vier Begleiter ehrfürchtig zu Boden sanken.
 

Die Magierin und die Kriegerin blieben bewegungslos stehen, während die Priesterin vortrat. Es war kein Ritual, keine Zeremonie, es gab weder Gesänge noch eine Predigt, und doch waren sie in diesem Moment den Göttern näher als je zuvor. Hinata konnte die Macht spüren, die plötzlich um sie herum aufflammte, die vom Wind getragen wurde und unter ihnen durch die Erde rollte wie ein unspürbares, machtvolles Beben. Sie war nicht menschlich, in keiner Weise. Sie war göttlich, musste es sein. Denn was sonst konnte sich derartig anfühlen? Hinata erbebte vor Ehrfurcht.

Die Welt um sie herum antwortete lautlos auf den machtvollen Ruf und Kibas Blut sang eine ebenso lautlose Erwiderung auf diese Gewalt. Sie vibrierte durch Hinatas Körper, pure Energie und Stärke. Für einen Moment schien sich der Nebel zu heben und der Himmel aufzuklaren, dass sie das satte Blau sehen konnten.
 

Die fette Priesterin trat vor Pein, drei ihrer Finger bedeckt mit blauem Staub, den Taikais Priesterinnen nutzten, um heilige Symbole auf Steine, Muscheln und Haut zu malen. Sorgfältig zeichnete sie ein Signum auf seine Stirn, eine liegende Acht in einem Kreis. Dann trat sie zu Hinata um die Handlung bei ihr ebenfalls durchzuführen.
 

Als sie den Finger auf ihre Stirn setzte, wurde die Magierin von Macht durchzuckt wie von einem Blitz. Nur dass die Kraft nicht mehr verschwand, sondern weiter durch ihren Körper floss wie ihr Blut, sirrend und glorreich und gewaltig, nahezu unerträglich. Ihre Hände begannen zu zittern und hinter ihrer Stirn begann sich, enormer Druck aufzubauen. Ihr Schädel fühlte sich an, als wolle er explodieren. Der silberne Ismalith, der noch immer auf ihrer Brust lag, erwärmte sich. Bald war er so heiß, dass sie ihn durch die Kleidung spüren konnte. Und er wurde noch heißer, dass sie sich fragte, ob der Stoff gleich Feuer fangen würde oder sie eine Brandwunde auf der Haut davontragen würde. Dann begann ihre Nase zu bluten.
 

Erst als die fette Frau ihren Finger wieder wegnahm, nachdem sie das Symbol beendet hatte, ebbte der Machtstrom ab. Hinata sackte schwer atmend in sich zusammen und fragte sich, ob es sie nur so hart getroffen hatte, weil sie Magierin war oder ob es den anderen ebenfalls so erging. Sie hob ihre Hände und presste sie vor das Gesicht. Warmes Blut floss durch ihre Finger, doch der Strom schien schon wieder zu versiegen. Sie kniff die Augen zusammen und nutzte dann den Ärmel ihrer Robe, um die rote Flüssigkeit abzuwischen. Das war nicht sonderlich hygienisch, aber sie hatte jetzt nichts anderes zu Verfügung.
 

Die dicke Priesterin kümmerte sich nicht um sie, sondern wiederholte die Geste bei Neji, Konan und schließlich bei Kiba. Nach einem kurzen Zögern ging sie auch zu Akamaru. Der Hund winselte, hielt jedoch still, als auch er gezeichnet wurde. Neji begann ebenfalls, am ganzen Körper zu zittern, während Konan sich verkrampfte. Kiba reagierte am heftigsten – er keuchte und öffnete den Mund, doch kein Laut drang über seine Lippen. Hinata wollte aufstehen und zu ihm gehen, aber sie wusste, dass er das für sich alleine aushalten musste.
 

Danach trat die Priesterin zwischen die anderen beiden Frauen zurück und die fünf Krieger rappelten sich wieder auf, noch etwas benommen und schwankend. „Setzt eure Reise nun fort.“, befahl die Mutter des Zwielichts kurz. „Und habt Vertrauen – ihr werdet ans Ziel kommen, dorthin, wo man euch braucht. Lebt wohl.“ Pein verbeugte sich, leicht nur, aber respektvoll, und trat zu seinem Pferd. Die anderen vier taten es ihm nach und saßen auf. Die drei Frauen wichen zur Seite, als sie ihre Reittiere an ihnen vorbeilenkten.
 

Kurz darauf nahmen sie wieder Geschwindigkeit auf, den harten Kanter, den sie die meiste Zeit ihres Rittes genutzt hatten. Viel Zeit hatte die kleine Unterbrechung sie nicht gekostet, aber sie durften nicht vergessen, dass sie von Anfang an in Eile gewesen waren. Außerdem mussten sie aus diesem Nebel heraus, ehe sie irgendwo landeten, wo sie nicht hinwollten. Bis jetzt hatten sie ihren Weg gehalten, aber wer wusste, was für Überraschungen die Berge noch für sie bereithielten? Außerdem schienen die Schwaden dichter zu werden...
 

Schon tauchte Pein, der die Spitze übernommen hatten, tiefer in den Nebel ein, obwohl sich der Abstand zwischen ihm und Hinata nicht vergrößert hatte. Vielleicht sollten sie enger zusammenbleiben...? Hinata wollte schon den Vorschlag machen, als sie erneut die Macht spürte. Vielleicht waren es nur die Nachwirkungen von vorhin. Vielleicht etwas anderes. Ihr wurde übel und ihr schwindelte. Zwar für einen Moment nur, aber sie wäre fast aus dem Sattel gekippt und konnte gerade noch rechtzeitig fangen. Erneut wallte die Magie auf und sie presste sich eine Hand auf die Brust, direkt über ihrem heftig schlagenden Herzen. Als ihre Haut den Ismalith berührte, riss sie sie wieder weg. Das Amulett schien zu glühen...
 

Und dann war Neji weg. Es war ein Schock, den sie beinahe körperlich fühlen konnte. Als wäre ein Teil ihrer Seele herausgerissen und weggeschleudert worden –sie konnte ihn noch fühlen, aber er war nicht mehr da. Denn Neji war nicht mehr die drei Schritt hinter ihr, wo sie ihn mit ihrem Geist spüren konnte, wie es sein sollte, fest und solide wie seit jenem Tag, an dem sie verbunden worden waren, durch Magie und Familie und alte Blutsbande. Sie wusste stets, wo er war und selten war die Entfernung so groß, dass sie ihn nur noch schwach spürte, wie die flackernde Flamme einer Kerze in einem Windhauch. Es musste ein Ritt über Wochen sein, die sie trennte. Nur, dass sie schon seit Monaten nicht mehr so weit entfernt voneinander gewesen waren. Und einen Moment vorher waren sie sich so nah, dass sie ihn hätte berühren können, wenn sie gewollt hätte. War es der Nebel, der sie verwirrte, ihre Bindung störte? Aber wie konnte das sein?! Es war unmöglich das Band zwischen einer Hyuugamagierin und ihrem Krieger zu behindern. Und es war niemand da, der es hätte tun können.
 

Sie drehte sich um. „Neji-nii-san? Neji-nii-san!“ Er antwortete nicht und sie wusste plötzlich, dass die Entfernung tatsächlich war. Wie auch immer sie zwischen sie geraten war. Hinata schluckte hart und fühlte sich plötzlich hilflos. Neji war nahezu immer an ihrer Seite. Er gab ihr Stärke und Halt. Er war ihr Stützpfeiler. Ohne ihn wäre sie niemals das geworden, was sie jetzt war.
 

Und jetzt war er weg. Sie drehte sich im Sattel weiter um, um Kiba anzublicken und ihn zu fragen, ob er etwas gesehen hatte. Immerhin ritt Neji direkt zwischen ihnen, er musste etwas bemerkt haben. Doch sie konnte weder Kiba noch seinen treuen Akamaru im Nebel entdecken. Da war niemand hinter ihr. Kein Reiter, kein Pferd, kein Hund. Auch keine verschwommenen Silhouetten. Für einen Moment blieb ihr Herz stehen.
 

„Hinata?“ Konans Stimme ließ sie schreckhaft zusammenzucken und herumfahren. „Bleib näher bei mir, Hinata.“, sagte die ältere Frau, nur eine verschwommene Gestalt vor ihr. „A...aber...“, begann das Mädchen und blickte sich erneut um, ohne eine Spur von Neji, Kiba oder Akamaru zu finden. Sie wandte sich wieder nach vorn. Auch von Pein war nichts mehr zu sehen und sie wollte gerade fragen, als Konan erneut die Stimme erhob. „Pein? Pein, bleib stehen! Der Nebel ist zu dicht...“ Doch auch ihr Anführer gab keine Antwort. Für einen Moment blieb es still. „PEIN?!“ Die Stimme der Kriegerin klang anders, als Hinata sie je gehört hatte. So, als würde sie verzweifelt versuchen, die Panik herauszuhalten, ohne es gänzlich zu schaffen. Doch Konan war beherrscht und sicher und verfiel niemals in einem derartigen Angstzustand. Das war so unmöglich wie Feuer, das in Wasser brannte.
 

Hinata trieb ihren Schimmel an, so dass sie zu der Frau aufschloss. „Pein!“ Wieder ihr fast verzweifelter Schrei. „Nagato!“ Hinata streckte die Hand aus und fasste Konans Arm. „Neji und Kiba sind auch nicht mehr da.“, sagte sie mit erstickter Stimme und setzte gleich darauf über ihre Schulter gerichtet und viel lauter hinterher. „Neji! Kiba! Neji-nii-san! Akamaru! Wo seid ihr?“ Keine Antwort. „Sie sind weg.“, murmelte Konan und trieb dann ihre braune Stute an. „Nagato!“ „Wa...warte!“, rief Hinata hinter ihr her und der Schimmel schien von ganz allein zu reagieren. Er preschte hinter dem anderen Pferd her, vielleicht, weil er den Wunsch seiner Reiterin verspürt hatte, vielleicht aus Angst, weil Tiere Magie spüren konnten und alle anderen Pferde um sie herum so plötzlich verschwunden waren. Konan vor ihnen blieb jedoch ein fester Schatten und ihre Stimme deutlich zu hören. Hinata hoffte, dass sie nahe genug blieb, um sie nicht auch noch zu verlieren.
 

Plötzlich stoppte die Gildenkriegerin ihr Reittier. „Wir müssen zusammenbleiben.“, flüsterte sie, wie zu sich selbst, und blickte dann die junge Magierin an, als sie zu ihr aufschloss. „Hast ... du etwas gesehen?“ Das leichte Schwanken in der Stimme der Kriegerin machte Hinata beinahe mehr Angst als das Verschwinden ihres Cousins und Kibas und Peins.

Konan verfiel nicht in Panik. Niemals. Unter keinen Umständen. Sie war eine Kriegerin der Gilde und Kriegerinnen der Gilde kannten keine Gefühle, keine Angst, keine Panik. Sie waren wie Felsen. Nur beweglicher. Und tödlicher. Aber sie. Hatten. Keine. Angst.
 

„Wo sind sie?! Was passiert hier?!“ Noch immer war Hinata nicht sicher, ob Konan mit ihr redete oder mit sich selbst oder etwas ganz anderem. Doch dann drehte sie sich zu ihrer Begleiterin um und fragte: „Hast du etwas bemerkt?“ Hinata nickte und hob die Schultern und fragte sich, ob das Aufwallen der Macht etwas hiermit zu tun hatte. Oder ob es eine Nachwirkung war. Eine, die zufällig nur kurz vor dem Verschwinden ihrer Freunde aufgetaucht war... Zufälle gab es nicht.
 

Sie berichtete Konan in kurzen Worten davon und die Frau blickte nachdenklich in den Nebel, ohne wirklich etwas zu sehen. Aber sie konnten beide nicht viel damit anfangen. „Was tun wir?“, wollte Hinata leise wissen und blickte zu der anderen Frau auf.

Eigentlich war Konan sehr klein, sogar kleiner noch als Hinata selbst, auch wenn sie sich neben der Kriegerin stets winzig vorkam. Vielleicht lag es an Konans Ausstrahlung. Oder an ihrer Kleidung. Oder an Hinata, die sich selbst selten sicher war. Genau darum wandte Hinata sich jetzt wie natürlich an die ältere Frau, um zu wissen, wie es jetzt weiterging. Normalerweise gab Pein die Befehle oder einer der anderen Heerführer. Jetzt war keiner von ihnen da. Nur Konan. Und Hinata.
 

„Wo, sagtest du, ist Neji?“, unterbrach Konan ihre Gedanken. Blaue Haarsträhnen fielen ihr wirr ins Gesicht und ihr Blick aus jadegrünen Augen war wild. Hinata zeigte nach Westen. „Wir würden mindestens zwanzig Tage brauchen, um ihn zu erreichen.“ „Und du bist dir ganz sicher?“ Konan stellte sie nicht in Zweifel. Sie wollte nur wissen, ob ihre Verbindung intakt war und nicht auch durcheinander wie ... alles hier. Hinata nickte. „Ja.“ „Von Kiba hast du nichts gesehen?“ Hinata schüttelte den Kopf. Konan blickte wieder nach vorn. „Und Nagato ist auch verschwunden... Wie vom Nebel verschluckt...“ Sie verstummte wieder. Hinata spielte nervös mit den Zügeln herum. „Vie...vielleicht sind die anderen beiden auch so weit weg. Oder vielleicht sind sie bei ihm; wir wurden ja auch nicht getrennt. Von was auch immer.“ Konan nickte langsam und kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum. „Das ist anzunehmen. Neji ist der einzige, von dem wir wissen, wo er ist. Reiten wir ihm entgegen.“ Hinata atmete auf, einigermaßen erleichtert. Die Entscheidung verbesserte nicht ihre Situation, aber es gab ihr doch ein kleines Gefühl von Sicherheit. So konnten sie wenigstens etwas tun.
 

„I...ich hoffe, wir verlassen diesen Nebel bald.“ Inzwischen jagte er ihr einen Schauer über den Rücken. Nur diese dichten Schwaden waren daran schuld, dass sie sich verloren hatten! Ohne ihn wäre das sicher nie passiert. „Vielleicht.“, antwortete Konan. „Aber das spielt keine Rolle. Früher oder später wird er sich lichten.“ Sie drehte sich zu dem jüngeren Mädchen um und warf ihr ein halbherziges Lächeln zu. „Keine Sorge. Wir haben schon schwierigeres gemeistert als dies hier. Eine Trennung ist nichts gegen Untote, Drachen und Trolle.“ Ihre Stimme klang nicht so sicher, wie Hinata sich das gewünscht hätte, doch die Magierin nickte und konzentrierte sich auf die Worte. Konan hatte recht. Sie waren schon gegen viele Gefahren geritten und auch das hier würden sie irgendwie überstehen.

Nejis Präsenz war fern, aber solide in ihrem Geist. Und bald darauf erwies sich Konans Vorhersage als wahr, als der Dunst dünner wurde und schließlich wieder Sonnenstrahlen durch die nebligen Schleier schienen wie goldene Striche in der Dunkelheit.
 


 

~ [ ♠ ] ~
 

Die Taverne 'Zum hinkenden Frosch' lag in einem abgelegenen Winkel der kleinen Stadt. Wenn man nicht wusste, dass sie existierte, lief man meist daran vorbei ohne ihr auch nur einen zweiten Blick zu gönnen. Von außen wirkte das sie schlicht und unscheinbar; die Hauswand hatte nur zwei Fenster und das Gebäude sah so aus, als wenn dringend einige wichtige Reparaturen vorgenommen werden müssten. Doch das war nur die eine Seite. Die, die die Menschen sahen, die blind an der kleinen Taverne vorbeihasteten. Die Wahrheit sah anders aus.
 

Naruto kannte den Weg wie seine Westentasche. Er war ihn so oft gegangen, dass er sogar glaubte ihn mit verbundenen Augen zu finden. Ino hatte ihn ausgelacht und Tenten hatte nur den Kopf geschüttelt. Einzig Lee war bereit gewesen, es auf einen Versuch ankommen zu lassen, was Kushina, seine Mutter, allerdings erfolgreich verhindert hatte. Naruto verdrehte kurz die Augen bei dieser Erinnerung.
 

„Naruto“, hatte Kushina gekeift, „du wirst nicht! Ich wiederhole: Nicht schon wieder eine solche Dummheit begehen! Weißt du denn nicht mehr, was das letzte Mal passiert ist!? Dein Vater und ich sind vor Sorge fast umgekommen! Was, wenn dich jemand gesehen hätte!? Was, wenn dich jemand geschnappt hätte!?“
 

Er hatte es immer gewusst: Seine Mutter war schlicht übervorsichtig. Ein gewisses Risiko gehörte nun mal dazu und wenn sie nicht endlich bereit war, ihm zu glauben, dass er auf sich selbst aufpassen konnte, musste er wohl oder übel noch einmal mit seinem Vater sprechen, damit dieser Kushina ins Gewissen redete. Obwohl für Minato ganz eindeutig die größte Gefahr bestand, behandelte sie ihn nämlich nie so von oben herab. Es war einfach ungerecht! Naruto kickte einen Stein aus dem Weg.
 

Auf der Straße kamen ihm etliche Menschen entgegen. Händler, die Waren in kleinen Handkarren transportierten; Handwerker, die mit Material zwischen Werkstätten hin- und hereilten; ein paar kleine Kinder, die überschwänglich zwischen den Beinen der übrigen hindurch jagten; etliche Frauen und Männer, die wie Naruto selbst ihren Geschäften nachgingen.

Der Blonde konnte nicht anders: Er grinste selbstzufrieden. Nach einstündigem Debattieren hatte Kushina sich doch noch bereit erklärt ihn allein gehen zu lassen. Unter strenger Anweisung nirgendwo anzuhalten, mit niemandem zu sprechen – wenn es nicht vermeidbar war – und den kürzesten Weg zu Genmas Taverne einzuschlagen.
 

Genma war ein alter Freund seines Vaters, vielleicht sogar der beste. Ganz genau wusste Naruto es nicht, aber es kam sowieso aufs Gleiche hinaus – warum also sich groß Gedanken machen? Minato und Genma hatten beide unter Jiraiya gelernt, einem berühmten Kampfkünstler und Schriftsteller, der vor seinem Durchbruch und Exils die Taverne geführt hatte, zu der Naruto jetzt unterwegs war.
 

Jiraiya war für Naruto eine Art selbst erklärter Großvaterersatz. Es kümmerte ihn nicht besonders, dass Naruto nichts von ihm wissen wollte. Jedes Mal, wenn er zufällig zu Besuch gekommen war, machte er sich über ihn lustig oder nahm ihn aus, wenn er gerade wieder sein ganzes Geld verprasst hatte. Doch er war Minatos Meister gewesen und so hatte er, Naruto, den alten Kauz zu dulden, selbst wenn er ihm noch so auf den Senkel ging. Schließlich hatte Jiraiya die kleine Taverne seinem Vater vererbt, der sie wiederum Genma vermacht hatte, da ein solches Zuhause ihn und seine Familie völlig bewegungsunfähig machte, was als Anführer der Rebellen ein klarer Nachteil war. Ganz zu schweigen davon, dass jemand wie Minato keiner normalen Arbeit nachgehen konnte. Es würde keine zwei Wochen dauern und man würde wissen, wer genau der neue Wirt war.
 

Naruto war mehr als froh, dass ihm statt des nervigen Opas nun Genma erwartete, der nicht auf ihm herumhackte, und ihn ausnahmsweise einmal ernst nahm. Genma war das, was er sich als verständnisvollen Onkel vorstellte, in gewissen Situationen humorvoll und ernst in jenen, in denen man es sein musste. Außerdem war er noch jung. Mitte dreißig, nur ein oder zwei Jahre jünger als seine Eltern.
 

Naruto bog um die nächste Ecke und sein Gesicht hellte sich auf, als er nach einer halben Ewigkeit endlich in die kleine Seitenstraße einbog, in der sich die Taverne ‚Zum hinkenden Frosch’ befand. Hier kamen ihm kaum noch Leute entgegen und auch der Lärmpegel sank erheblich, auch, wenn man immer noch von fern die Geräuschkulisse des Marktplatzes wahrnehmen konnte.

Er warf einen schnellen Blick nach links und rechts. Die Straße war leer, bis auf ein paar Passanten, die ihm keinen zweiten Blick schenkten und stumm vorbeihasteten. Naruto vergewisserte sich nochmals, ob ihn nicht doch jemand beobachtete, dann ging er gemächlich die Straße entlang und blieb vor einer unscheinbaren Tür stehen über der ein schief hängendes Schild mit der ausgeblichenen Aufschrift 'Zum hinkenden Frosch' befestigt war. Ein feines Grinsen zog sich über sein Gesicht, als er an den Ursprung des Namens zurückdachte.
 

Jiraiya war seit einer Ewigkeit nicht mehr hier gewesen und doch hatte er seine Spuren hinterlassen. Die Präsenz des Alten schien fast mit Gebäude verschmolzen zu sein. Jeder Stein erinnerte Naruto unweigerlich an den verrückten Kauz. Da war das eine Mal gewesen, als Naruto widerwillig von Jiraiya auf eine Erkundungstour mitgeschleppt worden war – dass es sich dabei um schlichtes Spannen handelte, hatte er leider erst hinterher herausgefunden. Oder die vielen Abende, die Jiraiya, Minato und Genma zusammen gesessen hatten, als die meisten Gäste längst gegangen waren… Jiraiya hatte ihn unzählige Male auf die Palme gebracht und jedes Mal hatte Naruto ihm doch immer wieder mehr oder weniger widerwillig verziehen. Es war eigenartig befreiend, dass er nicht da war und gleichzeitig war es einfach seltsam. Die Taverne war einfach nicht mehr dieselbe, seit der Alte verschwunden war...
 

Die Tür schwang mit einem quietschenden Geräusch auf, eine Glocke kündigte misstönend Narutos Eintreten an und der Blonde ließ die Tür wieder hinter sich zufallen. Der Raum war verwinkelter als es zuerst den Anschein hatte, aber Naruto kannte jede noch so kleine Nische, jede Ecke, in der man sich treffen und heimlich beratschlagen konnte, ohne dass es jemand mitbekam.

In der Schenke selbst waren nur wenige Menschen; am Abend würde sich der Raum allerdings füllen. Ein Alter, der schon so lange kam, wie Naruto sich erinnern konnte, zwei Männer, die Karten spielten, fünf Seeleute, die sich lautstark betranken, und eine Frau, die hinter dem Tresen stand und abspülte. Sie hatte kurzes, dunkles Haar, das sanft ihr Gesicht umrandete, und warme Augen, die ihm sofort freundlich entgegen blickten.
 

Kaum hatte sie ihn gesehen, legte sie das Gefäß beiseite, das sie gerade abtrocknete. „Naruto! Ich habe dich hier ja ewig nicht gesehen!“, begrüßte sie ihn. „Hab einen Moment Geduld, dann hole ich Genma.“ Der Angesprochene ging auf die Theke zu, grinste sie an und erwiderte: „Mach das, Shizune. Ich muss sowieso mit ihm reden. Mein Vater schickt mich.“ Für einen kurzen Augenblick weiteten sich Shizunes Augen. Sie verstand. „In Ordnung. Möchtest du vielleicht etwas trinken?“ „Tut mir leid, aber ich bin völlig abgebrannt“, seufzte der Blonde und starrte sehnsüchtig in Richtung der alkoholischen Getränke. Wenn er doch bloß Geld dabei hätte – Kushina würde es nie mitkriegen, aber leider hatte sie ihn geradeso mit dem Nötigsten ausgestattet. Als, wenn sie geahnt hätte, dass er es womöglich sonst für andere Dinge als seinen Auftrag ausgeben konnte. „Aber könnte ich...“
 

„Das geht aufs Haus, Naruto“, unterbrach ihn plötzlich eine Stimme hinter ihnen. Shizune drehte sich um und küsste ihren Ehemann flüchtig auf den Mundwinkel. „Genma!“ Der Mann grinste nur. Er war etwas jünger als sein Vater, hatte fast immer ein Senbon, im Mundwinkel und wirkte auch sonst völlig gelassen. Sein Charakter hatte etwas, das Naruto an Shikamaru erinnerte, der zwar faul wie sonst niemand war, aber wenn es darauf ankam immer besonnen und überlegt handelte. Genma war seit etwa sieben Jahren mit Shizune verheiratet, was ihm ganz sicher nicht geschadet hatte. Er hatte es nicht immer leicht gehabt und mit der Frau an seiner Seite bekam er endlich mal das, was er verdient hatte. Im Gegensatz zu seinen Eltern schienen die beiden in vollkommener Harmonie zu leben, aber vielleicht war es auch einfach nur Kushinas hitziges Temperament, das Shizune fehlte. Auf der anderen Seite wusste er, dass die Ehe seiner Eltern kein unglückliches Verhältnis war.
 

„Du warst lange nicht hier, Naruto“, stellte Genma fest, „gibt es so viel zu tun?“ Naruto kippelte auf seinem Hocker herum. „Nicht wirklich, aber du kennst ja meine Mutter. Sie wollte mich einfach nicht gehen lassen.“ Shizune sah ihn kurz streng an. „Nicht völlig ohne Grund“, bemerkte sie und Naruto verdrehte die Augen. Warum hielt ihn denn jeder für unbesonnen, bloß weil er ein bisschen lauter war als andere und eine Beleidigung nicht auf sich sitzen ließ? „Hast du nicht gesagt, du gibst mir einen aus, Genma?“, wechselte er das Thema und schielte unauffällig zu den Flaschen mit Selbstgebrannten. Genmas Blick folgte seinem, er runzelte die Stirn und schüttelte dann den Kopf. Shizune hatte währenddessen eine Flasche Apfelsaft unter dem Tresen hervorgeholt und schob ihm nun ein volles Glas zu. Naruto verzog enttäuscht das Gesicht. „Darauf musst du noch etwas warten.“, bemerkte ihr Mann spöttisch grinsend, während er mit dem Daumen auf den Alkohol zeigte. „Bis du uns erzählt hast, was dich hierher treibt. Du musst bei klarem Verstand bleiben. Ich will nicht, dass du mitten im Gespräch umkippst, irgendetwas übertreibst oder das Blaue vom Himmel holst.“ Naruto warf ihm einen bitterbösen Blick zu. „Du übertreibst“, grummelte er beleidigt, obwohl er wusste, dass die Einwände nicht ganz unberechtigt waren. Genma lachte nur.
 

„Shizune“, bemerkte der Wirt, nachdem er seinen Heiterkeitsausbruch wieder unter Kontrolle und Naruto seinen Saft halb hinuntergekippt hatte, „kümmerst du dich um die restlichen Gäste, ich bringe Naruto schon mal nach unten.“ Die Dunkelhaarige sah ihren Mann liebevoll an. „Natürlich. Geht ihr nur, aber passt bloß auf, dass ihr Deidara nicht in die Nähe des Weinkellers lasst.“ Naruto warf ihr einen überraschten Blick zu. „Deidara ist auch hier?“ „Schon zwei Tage und er kommt um vor Langeweile, weil er früher als abgemacht aufgekreuzt ist und dir die Schuld gibt, dich verspätet zu haben.“
 

Der Blonde schüttelte verständnislos den Kopf. „Der ist doch total verrückt.“ Er leerte den restlichen Inhalt in seinem Glas mit einem weiteren Zug, ging um den Tresen herum und ließ seinen Blick noch ein letztes Mal über die Runde schweifen. Aber keiner der anderen Gäste nahm Notiz von ihm; alles war genau so, wie es sein sollte. Dann folgte er Genma in die hinteren Räume der Taverne. Der schmale Gang, durch den sie gingen, fiel fast gar nicht auf, wenn man von der Theke aus darauf blickte. Der graue Vorhang, der davor hing, tat das seinige dazu und wenn der Durchgang doch jemandem auffiel, so musste die Person annehmen, dass er einfach in die Hinterzimmer der Taverne führte. Was auch stimmte, doch das war nicht alles. Naruto kannte die verwinkelten Flure, versteckten Zimmer und den unterirdischen Geheimkeller, die man durch eben jenen unauffälligen Gang betreten konnte, besser als die meisten anderen. Und mit der Zeit hatte er ein Auge für die Dinge bekommen, die ihn niemand sehen lassen wollte. Geheime, verborgene Dinge…
 

„Wie geht es Minato?“, fragte Genma plötzlich in die Stille hinein. Sie waren schon zwei Treppen hinabgestiegen und waren nun in einem kahlen, grob gearbeiteten Gang, der tiefer lag, als die Taverne offiziell reichte. Genma hatte schon ein Stockwerk vorher eine Laterne aus einer Nische in der Wand geholt, deren Schein nur reichte, damit sie den Weg fanden und nirgendwo dagegen rannten, allerdings zu schwach war, um einander richtig sehen zu können. Jetzt wagte es der ältere Mann auch, ihn nach den wirklich wichtigen Dingen zu fragen. Naruto zuckte mit den Schultern. „Den Umständen entsprechend.“ Genma zog unmerklich die Augenbrauen zusammen. „Wurdet ihr wieder verfolgt?“ „Nichts Großes“, erwiderte Naruto, „wir sind von den Naras zu einem anderen Versteck aufgebrochen und unterwegs hatten wir ein paar Schwierigkeiten. Und Ma nervt“, fügte er grinsend hinzu. Genma konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. „Das Übliche also.“
 

„Und bei dir?“ „Mit mir ist alles in Ordnung, Shizune hat nur höllische Angst davor, dass Deidara seine Experimente im Weinkeller veranstaltet. Ich musste ihm schon sein ganzes Schwarzpulver abnehmen um sie zu beruhigen, aber irgendwie glaube ich, dass er etwas an mir vorbei geschleust hat.“ „Dann ist er ja ganz der Alte geblieben“, grinste Naruto. Der ältere Mann schnaubte: „Das kannst du laut sagen, ich habe ihn vorsichtshalber eingeschlossen. Uns erwartet eventuell ein Donnerwetter; kommt ganz darauf an, ob er es inzwischen bemerkt hat.“ „Du hast ihn wirklich eingeschlossen?“ Genma blieb stehen, neigte leicht den Kopf und kramte in seiner Tasche herum. „Er hat’s nicht mitgekriegt. Ansonsten würdest du ihn jetzt schon hören – Ah, da ist er ja!“ Triumphierend zog er einen Schlüssel aus der Tasche. Narutos Blick glitt auf den Boden. Der Gang war unmerklich immer weiter abgefallen und nun standen sie am Ende einer Sackgasse. So sah es zumindest aus.
 

Als Jiraiya noch hier gelebt hatte, hatte er schon früh begonnen, das ganze Haus zu einer Art geheimen Festung auszubauen. Es gab dutzende Geheimgänge, Zimmer, in die man nur kam, indem man etwas Bestimmtes tat, und den Zugang zur unterirdischen Kanalisation, wo man von dort aus Zugang zu allen Teilen der Stadt hatte. Außerdem zu den Katakomben, die sich unter der Stadt erstreckten und von denen niemand wusste, wer sie gebaut hatte, was für einem Zweck sie dienten und wie groß sie tatsächlich waren. Die Taverne war eine unsichtbare Festung, errichtet von jemandem, der die Voraussicht für Jahre später besessen hatte. Oder einfach jemandem, der unauffällig Schmugglerware verstecken wollte; etwas, das noch immer geschah. Egal in welcher Zeit man lebte, ein Versteck war etwas, das immer Verwendung fand. Jiraiya hatte nur das fortgesetzt, was vor langer Zeit begonnen worden war… Und jetzt war es eine Zuflucht für sie.
 

Für einen Moment tat es Naruto wirklich leid, dass Jiraiya nicht mehr hier war. Aber er konnte es nicht ändern. Jiraiya war im Exil und niemand, wirklich niemand hatte seitdem etwas von ihm gehört. Eigentlich war nicht einmal klar, ob er den Soldaten des Kaisers tatsächlich entkommen war oder sie sich das nur einbildeten. Alles was geblieben war, war seine Taverne mit den Schmugglerkellern, die den Rebellen seitdem als Geheimbasis diente. Treffen, Sitzungen wurden hier abgehalten, Rebellen fanden Unterschlupf, wenn sie auf der Durchreise waren. Naruto hatte das Gefühl, dass Genma dachte, dass er dies Jiraiya und Minato schuldig war. Es war vielleicht nicht der Hauptgrund warum er ihnen half, sie duldete, sie versteckte, aber es war etwas, das Gewissensbisse verursachte, wenn man es nicht tat. Er war es ihnen schuldig und jemanden etwas schuldig zu sein war etwas, das keiner der Rebellen je gekonnt hatte. Aber das änderte auch nichts an der Tatsache, dass Genma und Shizune wie jeder andere in ihrer Gruppe mit ganzen Herzen hinter der Sache standen, für die sie kämpften.
 

Jeder, der sich den Rebellen angeschlossen hatte, hatte andere Gründe. Sie konnten ähnlich sein, aber wie es keine zwei gleichen Menschen auf der Welt gab, gab es auch niemals eine vollkommen gleiche Geschichte oder zwei Gründe, die haargenau überein stimmten. Genma lehnte die Regierung und Fremdherrschaft ab, weil es Minato und Kushina ihres Erbes beraubt hatte. Und er hasste den Kaiser Malao, von ihnen nur der Natternkopf genannt, dafür, dass er ihren Platz eingenommen hatte. Es war eins dieser Gefühle, die allen Rebellen gleich waren. Das tiefe Verständnis, dass etwas nicht richtig war, Verzweiflung, Ungerechtigkeit und der Drang endlich etwas dagegen zu tun. Deswegen setzten sie ihr Leben ein. Deswegen kämpften sie für eine bessere Welt. Oder zumindest eine andere, eine, von der sie glaubten, dass sie besser sein würde.
 

Es knarrte und Naruto wurde aus seinen Gedanken gerissen. Genma hatte die unsichtbare Falltür geöffnet, die sich ansonsten nahtlos in den hölzernen Boden einfügte, und war bereits durch die Holztreppe, die in die Kelleräume führte, nach unten geklettert. „Wo bleibst du denn, Naruto?“, rief Genma zu ihm herauf, woraufhin Naruto ihm folgte und ebenfalls in dem diffusen Zwielicht verschwand. Er schloss die Falltür über sich.
 

Naruto blinzelte kurz – hier unten wirkte die Lampe viel schwächer. Aber dann öffnete Genma die Abdeckung an der Laterne und plötzlich war es viel heller und der Weg gut beleuchtet. Naruto stieg von der letzten Sprosse der Leiter. Die Wände des Ganges waren schon so alt wie die Stadt selbst. Sie waren jetzt noch ein Stück tiefer als die Kanalisation, die sie nicht betreten hatten und es auch so selten wie möglich taten aus dem einfachen Grund, dass es stank. Sie waren noch unter dem Fundament des alten Hauses und diese Katakomben waren wahrscheinlich schon vor Hunderten von Jahren da gewesen. Das unterirdische Labyrinth hatte die Zeit überdauert und Naruto konnte nicht anders als sich ein wenig vom Zauber der Vergangenheit mitreißen zu lassen. Allerdings wagte er die endlosen Wege auch nicht zu unterschätzen. Er mochte einige Gänge kennen, die Hauptwege und die, die unter der Taverne lagen und von ihnen deshalb am häufigsten genutzt wurden. Doch wenn er das bekannte Gebiet verließ, musste er sich auf jemanden – Genma und Shizune kannten sich hier am besten aus – verlassen, der besser bescheid wusste. Doch nicht einmal Genma oder seine Frau wussten, wie weit die Katakomben tatsächlich reichten.
 

„Wir sind da“, sagte Genma auf einmal, sodass Naruto fast in ihn herein rannte. „Verdammt noch mal!“, fluchte der Blonde, „warn’ mich das nächste Mal vor, ich hab’ mir fast den Schädel eingehauen!“ „Das passiert nun mal, wenn du nicht darauf achtest, wo du hinrennst, Naruto. Außerdem ist dein Dickkopf zu hart, um tatsächlich Schaden zu nehmen“, erwiderte Genma mitleidslos. „Hier, halt mal.“ Er drückte Naruto die Laterne in die Hand und nestelte an einem großen Schlüsselbund herum. Der Blonde hatte nicht auf den Weg geachtet und ganz auf Genma vertraut, darum brauchte er einen Moment, um sich zurecht zu finden. Bei genauerem Hinsehen erkannte er den Gang wieder, an dessen Ende sie sich jetzt aufhielten. Es war einer der Wege, die sie am häufigsten nutzten, auch wenn man das auf den ersten Blick vielleicht nicht verstehen konnte. Die Decke war niedriger als in den anderen Gängen, die Luft roch abgestanden und es war natürlich ebenso finster wie in anderen Teilen des Labyrinths. Aber der Gang war breiter und Naruto kannte die schwere Eichentür, vor der sie jetzt standen, viel zu gut.
 

Der geheime Sitzungssaal der Rebellen.
 

Es klickte im Schloss und die Tür schwang auf. „Ich hoffe, du hast eine gute Erklärung für die Verspätung, Prinzchen, hm!“, schallte es ihm entgegen. Ein wutentbrannter Deidara war von seinem Platz aufgesprungen und funkelte ihn böse an. „Reg dich ab, Deidara, du warst nur zu früh. Schon mal daran gedacht, dich besser mit mir abzustimmen?“, fauchte Naruto zurück. „Nenn mir nur einen Grund, warum ich dich nicht augenblicklich rösten sollte!“, knurrte Deidara.
 

„Ich habe gute Nachrichten?“, versuchte Naruto ihn zu beschwichtigen. Wenigstens schien der feuerfreundliche Schmiedlehrling nicht bemerkt zu haben, dass Genma ihn eingeschlossen hatte. „Die brauchst du auch, Prinzchen, hm!“, kam es zurück. „Jetzt hört schon damit auf, sonst werfe ich euch beide raus und ihr könnt auf der Straße schlafen!“, fuhr Genma dazwischen und brachte beide Streithähne damit zum Schweigen. Als sich beide immer noch wütend anstarrten, schob Genma sich seufzend an Naruto vorbei in den Raum hinein. „Setzt euch.“, befahl er dann.
 

Langsam ließ sich Deidara wieder auf seinen Stuhl sinken, Naruto folgte seinem Beispiel, nahm aber mit gehörigem Abstand von dem Explosionsexperten Platz. „Ihr benehmt euch wie Fünfjährige“, murmelte Genma, als er die bösen Blicke zwischen den beiden bemerkte. „Deidara, lass die Kerze in Ruhe und Naruto, wenn ich dich auch nur einmal dabei erwische wie du-“ „Er hat angefangen!“, unterbrach Naruto ihn abrupt. Deidara schnaubte verächtlich. „Wer benimmt sich hier wie ein Kleinkind, hm?“ Naruto wollte gerade zu einer heftigen Erwiderung ansetzen, aber dazu kam er nicht mehr. Etwas klapperte und dann stand Genma plötzlich aufrecht, sein Stuhl umgeworfen und er durchbohrte beide mit einem sehr stechenden Blick. „Jetzt. Ist. Schluss!“, knurrte er. „Ihr sagt mir jetzt beide auf der Stelle, was für Informationen ihr habt und dann hoffe ich für euch, dass ihr so schnell wie möglich zusammen aufbrecht und mir und Shizune nicht auch noch den letzten Nerv raubt.“
 

Dann stellte er seinen Stuhl mit einer beunruhigenden Ruhe wieder richtig hin, während Naruto und Deidara einen Blick tauschten. „'Tschuldigung, Genma.“, brachte Naruto heraus und auch Deidara nickte Genma einmal entschuldigend zu, bevor er mit seinem Bericht begann. „Wir haben Informationen erhalten, dass der Natternkopf seine Truppen nach Norden geschickt hat, um dort zu plündern. Offiziell will er nur die Steuern eintreiben, aber wir wissen ja was das letzte Mal passiert ist, hm.“ Sie alle schwiegen einen Moment, ehe Genma die Stille wieder durchbrach. „Gab es bis jetzt irgendwelche Auseinandersetzungen?“ Deidara zögerte einen Moment, ehe er antwortete. „Das nicht, aber wir haben Informationen, dass sie ein Exempel statuieren wollen.“ Einen Moment war es still. Ein Exempel bedeutete ein Massaker. Ein Massaker, das sie vielleicht nicht verhindern konnten, wie sie es schon so oft nicht vermocht hatten. „Die gleiche Quelle wie immer?“, fragte Naruto schließlich. „Ja“, bestätigte Deidara, „aber es wird immer schwieriger. Der Natternkopf überwacht fast alle, die sich in seiner unmittelbaren Nähe befinden. Und es heißt, er habe einen neuen Strategen, soll wohl ziemlich schlau sein. Bis jetzt sind so ziemlich alle seine Pläne aufgegangen, hm.“ Der Unmut war seiner Stimme klar zu entnehmen. Genma seufzte. „Das macht die Sache nicht gerade einfacher.“, stellte er fest. „Ist schon jemand aufgebrochen um den Leuten zu helfen oder sie zu warnen?“, fragte Naruto.
 

Deidara sah ihn an, diesmal ein wenig besorgt. „Tenten, Shikamaru, Suigetsu und Kankuro haben sich vor einer Woche auf den Weg gemacht, ich soll nur den anderen Bescheid sagen und wenn nötig Verstärkung hinterher schicken, hm.“ „Wer hat den Befehl zum Aufbruch gegeben?“, wollte Genma wissen. Mit einem Mal schien Deidara sich nicht ganz so wohl in seiner Haut zu fühlen, sein Blick huschte schnell von Naruto zu Genma und spannte leicht seinen Körper an. „Na ja, es gab keinen Befehl. Diese Verrückten sind ziemlich eigenmächtig aufgebrochen.“, gab er zu. „Und damit rückst du jetzt erst raus! Du weißt doch ganz genau wie Kankuro auf so etwas reagiert. Hast du vergessen, was damals passiert ist?“ „Was glaubst du eigentlich, warum ich hier so ungeduldig auf dich gewartet habe, Naruto, hm? Glaubst du, mir macht es nichts aus einen einfachen Brief zu finden mit der Mitteilung, die Informationen an die anderen weiterzugeben?“ Deidara funkelte ihn an und für einen Moment erkannte Naruto auch in seinen Augen eine eigenartige Zermürbtheit … fast schon Verletzlichkeit. Aber auch Deidara war ein Kämpfer, der sich den Rebellen aus reiner Überzeugung angeschlossen hatte, und so verschwand der fast unmerkliche Ausdruck auf seinem Gesicht so schnell wie er gekommen war.
 

„Tenten und Shikamaru sind dabei, oder?“, sagte Genma plötzlich, „sie werden ihn schon irgendwie aufhalten. Sie werden ihn nicht einfach blind in sein Verderben rennen lassen.“ „Du vergisst Suigetsu“, unterbrach ihn Deidara, „der wartet doch nur wieder auf eine Gelegenheit zum Kampf, hm.“ „Es ist ein Risiko, ja“, erwiderte Genma, „aber es gibt keine Veränderung ohne Risiko. Außerdem vergiss nicht, wie Kankuro zu Tenten steht. Er wird schon auf sie hören.“
 

„Warum können wir nicht auch mal etwas tun ohne, dass die Gefahr besteht im nächsten Moment zu sterben“, gab Naruto zurück, „natürlich ist das, was wir tun gefährlich, aber warum es muss doch auch einen anderen Weg geben. Ewiger Kampf wird uns nie Frieden bringen, und-“ „Sei nicht so naiv“, unterbrach ihn Deidara ruppig, „Kankuro, Shikamaru, Suigetsu und Tenten haben diese Entscheidung selbst getroffen. Sie werden die Konsequenzen tragen müssen, wie wir es immer mussten. Es ist Krieg, hm.“, stellte er nüchtern fest. „Er hat Recht, Naruto“, sagte Genma, „ich weiß diese Seite an dir zu schätzen, aber nicht alle denken so wie du. Auf lange Sicht haben wir nur eine Chance, wenn unsere Rebellion Erfolg hat. Und vielleicht nicht einmal dann... Das ganze Kaiserreich müsste auseinanderbrechen.“
 

Naruto schwieg. Er kannte Deidaras scharfe Zunge schon, denn er war in diesem Thema schon häufiger mit ihm aneinander geraten. In gewisser Weise hatten sowohl Deidara, als auch Genma recht, aber er … war anders. Und es gab nur einen einzigen Menschen, der die gleiche Meinung hatte – sein Vater. Vielleicht war seine Sichtweise zu naiv, zu leichtgläubig und erst recht nicht besonders realistisch. Aber die Gedanken hatten sich irgendwann in ihm festgesetzt wie seine Art immer mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Es war schließlich immer so gewesen. Die Rebellen brachen auf, um zu retten was zu retten war, um zu helfen, wo man helfen konnte – und meist kehrten sie mit bitterer Enttäuschung zurück. Wenn sie überhaupt zurückkehrten. Sie waren Kämpfer, die das Kämpfen verabscheuten, sie waren Zurückgelassene, die sich an ihre Hoffnungen klammerten. Alles was sie taten, taten sie für eine bessere Welt. Aber letztlich waren auch sie nur Menschen. Menschen, die manchmal falsche Entscheidungen trafen. Warum zweifelte er so sehr daran?
 

Sanft hüllte eine Kerze, die auf dem langen Tisch stand, die Wände in warmes Licht. Gedankenverloren ließ Deidara seine Hand immer wieder schnell durch die Flamme flitzen. Naruto hasste Situationen wie diese. Genma schien in Gedanken zu sein und Deidara war schlicht abweisend.

„Wollt ihr nicht wissen, was ich zu berichten habe?“, fragte Naruto in einem Versuch die drückende Stille zu durchbrechen und von dem unangenehmen Thema abzulenken. Sie mussten sich auf das Wesentliche konzentrieren. „Schlimmer als meine können sie nicht mehr werden“, antwortete Deidara ohne die Augen von der Kerze abzuwenden.
 

Naruto warf ihm einen wütenden Blick zu. „Im Gegensatz zu deinen sind sie sogar besonders gut.“, betonte er. „Spuck’s aus, Naruto!“ „Ist ja gut, halt die Klappe!“ Genma hob eine Augenbraue. „Die Spionageaktion, die wir vor fast drei Monaten begonnen haben, war erfolgreich. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass sich der Natternkopf in exakt einer Woche auf den Weg zu seiner Südresidenz machen wird. Da er inkognito reisen will, hat er nur ein Gefolge von etwa zehn Mann dabei.“ Naruto schwieg und Genma erfasste die Bedeutung seines Berichts für ihn. Er nahm den Senbon aus dem Mundwinkel und wirkte auf einmal hellwach.
 

„Mit anderen Worten, der Kaiser macht sich selbst angreifbar und wir besitzen die einmalige Chance die Regierung mit einem Schlag zu stürzen ohne eine Schlacht zu schlagen?“ „So ist es“, erwiderte Naruto. Deidara fummelte schon wieder an der Flamme herum. „Wer ist in der Nähe um den Angriff durchzuführen? Ich nehme nicht an, dass Minato selbst auf den Plan treten wird, oder? Das Risiko, dass sie ihm ein Heer hinterher schicken, sobald sie wissen, wer er ist, ist viel zu groß.“ „Natürlich kommt er nicht. Das würde Ma nie zulassen.“, erwiderte Naruto. „Und dich lässt sie gehen?“, fragte Deidara. Auf einmal wurde Naruto ziemlich kleinlaut. „Ich soll euch eigentlich nur die Information überbringen, wieder zurückkommen und mich verdeckt halten.“ Ein verächtlicher Tonfall klang in seiner Stimme mit. „Ich muss ihr Recht geben, Naruto“, fuhr Genma dazwischen, „sie ist nicht umsonst so besorgt um dich. Manchmal neigst du dazu, vorschnell zu handeln.“
 

„Aber irgendwer muss doch mal was tun!“, fauchte Naruto. „Ja, aber nicht so wie du es vorhast. Wir brauchen einen Plan… Ich erlaube nicht, dass du irgendetwas mit diesem Anschlag zu tun hast. Wenn du geschnappt wirst, hat Malao ein Druckmittel gegen deinen Vater und dann sind wir alle verloren.“ Blitzschnell fuhr Naruto in die Höhe, knallte zur Unterstreichung seiner Worte die Hände auf den Tisch und funkelte Genma wütend an. „Erwartest du etwa, dass ich zu Hause rumsitze, während andere ihr Leben riskieren!“
 

„Ich halte dich lediglich davon ab unüberlegt in dein Verderben zu rennen“, stellte Genma nüchtern klar. „Deidara kann mit ein paar Leuten aufbrechen.“ „Meinst du, dass ich es vermasseln würde!“ „Mit dieser Einstellung würde dich jeder als so verlässlich einstufen“, warf Deidara sarkastisch dazwischen. Naruto fuhr blitzschnell herum, war mit wenigen Schritten um den Tisch herumgeeilt und packte Deidara am Hemdkragen. „Naruto“, sagte Genma drohend und stand auf.
 

Deidara indes starrte Naruto ausdruckslos an. Er hatte von dem Feuer abgelassen und erwiderte Narutos Blick ohne mit der Wimper zu zucken. Sein langes, zusammengebundenes, blondes Haar hatte sich etwas gelöst und einige Strähnen fielen ihm ins Gesicht. „Du hast keine Ahnung, was es bedeutet immer zurück gelassen zu werden“, sagte Naruto gefährlich leise, „du weißt nicht wie es ist helfen zu wollen und sich stattdessen immer verstecken zu müssen.“ „Und du hast keine Ahnung, wie unüberlegt du klingst. Vielleicht magst du der rechtmäßige Thronfolger sein, aber jetzt bist du auch nicht mehr als wir alle: Ein kleiner Rebell, der sich gegen ein ganzes Regime auflehnt. Also rede nicht immer so, als würdest du als einziger wissen, wovon du redest.“
 

Naruto setzte zu einer schnippischen Antwort an, kam aber nicht dazu sie zu äußern. Irgendetwas knarrte in der Ferne, Genma trat einen Schritt auf die Tür zu und Naruto ließ Deidaras Hemd los und wich zurück. Deidaras Hand huschte zu seinem Gürtel, an dem er eine beachtliche Messersammlung und einige Werkzeuge trug. Außerdem hatte er an dem abgenutzten Leder einen Beutel verknotet, der wie eines seiner Schwarzpulversäckchen aussah. Den hatte Genma ihm wohl nicht abnehmen können.
 

„Ist es möglich, dass jemand den Geheimgang entdeckt hat?“, durchbrach Deidara die Stille. Genma war indes aschfahl geworden, eine Minute zuvor hatte er es vorgezogen sich nicht in den Streit der beiden jungen Rebellen einzumischen. Das war nichts Besonderes, Streit zwischen Naruto und Deidara war alltäglich und war so schnell wieder vergessen wie ein neuer Tag anbrach. Doch jetzt war es anders… Sie erwarteten niemanden ihrer Leute. Das bedeutete, dass sie entweder aufgeflogen waren was Narutos erster Gedanke gewesen war, der allerdings ziemlich unwahrscheinlich war, … oder etwas geschehen war. „Völlig unmöglich“, murmelte der Tavernenbesitzer und bestätigte damit Narutos Verdacht. Und dann, kaum hörbar: „Es muss etwas passiert sein. Verdammt!“ Man musste kein Genie sein, um die Sorge herauszuhören. Er hatte längst einen Dolch gezogen, den er stets am Gürtel trug. Schritte, die immer lauter wurden. Naruto und Deidara warfen sich einen Blick zu und wichen in unterschiedliche Richtungen in den Schatten zurück, wo sie nicht sofort gesehen werden konnten. Auf sie hatten ihre Waffen gezogen, lange, scharfe Klingen. Man konnte nie wissen...
 

Irgendetwas schepperte, jemand fluchte. Und dann wurde die Tür aufgerissen, doch bevor sich Naruto und Deidara auf den Eindringling stürzen konnten, war bereits eine wie wild nach Luft schnappende Ino in den Raum gestürmt. Shizune tauchte hinter ihr auf und schien genauso angespannt und überrumpelt zu sein, wie sie. „Ino?!“ Naruto konnte es nicht fassen, dass sie hier war. Sollte sie nicht irgendwo im Norden unterwegs sein? Langsam schob er seinen Dolch wieder in die Scheide zurück. „Was tust du hier?”, wollte Deidara wissen, doch anstatt ihm einen vernünftige Antwort zu geben, stemmte das blonde Mädchen nur die Hände in die Hüften und atmete schwer. Die Situation hatte etwas komplett Falsches an sich. Die Blonde war niemals so erschöpft, dass sie nicht mal mehr reden konnte. Niemals zuvor hatte sie irgendetwas so aus der Bahn geworfen. Ino sah abgekämpft aus, das goldblonde Haar war dumpf und strähnig und sie sah aus, als wäre sei einen weiten Weg einfach gerannt. Auf einmal hob sie den Blick, sah sie verzweifelt an und keuchte: „Die Uchihas… sie haben Lee.“
 


 

~ [ ♠ ] ~
 

Chapter 2 ~ Our old world is hard to find

Sie hatten schon längst das Vorgebirge erreicht, in dem sich wenige Täler, die sanft zwischen den Felswänden lagen, mit weiten Strecken von kantigem Stein abwechselten. Ein Weg schlängelte sich zwischen den Felsbrocken entlang, die teilweise groß waren wie Häuser, teilweise gut in eine Hand passen würden. Die verwilderte Obstplantage, an der sie gerade vorbei ritten und über die sie einen guten Blick hatten, trug volle Blüte – es war Frühling.
 

Konan war das schon vorher aufgefallen, kleine Blüten in den Bergen, junges Gras, wie es nach dem Winter aus der Erde schoss, Tiere, die, mager nach dem Winter, eifrig das saftige Grün auffraßen. Aber vorhin – vorhin war noch später Herbst gewesen. Was war aus der kältesten Jahreszeit geworden? Wo waren Pein und Neji und Kiba? Und wo waren sie selbst?!
 

In der Ferne erkannte man das Donnerhorn, einer der höchsten Gipfel des Gebirgszuges. Sie hatten ihn den ganzen Weg gesehen, seit sie den Höhenzug betreten hatten, aber jetzt sahen sie ihn aus einem völlig falschen Winkel – nicht nur Pein oder Kiba oder Neji hatten sich bewegt. Sie waren es gewesen. Sie befanden sich jetzt weit im Südosten von der Stelle, an der sie die drei Frauen getroffen hatten. Und die anderen waren vielleicht auch nicht mehr dort, wo sie eben noch gewesen waren. Laut Hinatas Angaben war Neji viel zu weit weg von der Stelle, an der er sich eigentlich befinden sollte. Das konnten sie sehen, trotz der Tatsache, dass die Zwielichtberge selbst für sie fremd waren. Aber eine Entfernung von so vielen Tagesreisen war einfach nicht zu übersehen.
 

Konan und Hinata waren sich darüber einig geworden, dass es das Beste war, umzukehren und die Zwielichtberge wieder auf der Seite zu verlassen, auf der sie sie betreten hatten. Im Norden wartete nur das Heer Orochimarus voller Untote und Monster. Oder vielleicht auch nicht. Sie wussten es nicht. Es war Frühling, nicht Herbst. Sie waren nicht dort, wo sie sein sollten. Und Pein, Neji und Kiba waren es auch nicht.
 

Es war, als wäre die Welt auf den Kopf gestellt worden und niemand anderes als sie hatte es bemerkt. Auch wenn sie letzteres nicht beurteilen konnten. Immerhin war ihnen seitdem noch keine Menschenseele begegnet. Vielleicht war es für sie alle so…? Aber wem konnte man diese Tat zuschreiben? Orochimaru? Nein. Selbst er hatte nicht derartig viel Macht. Nur die Götter waren in der Lage, etwas derartig … Großartiges zu vollbringen. Nicht angenehm, ja, aber großartig, was auch immer es gewesen war. Die Götter… Ob die alte Priesterin etwas damit zu tun hatte?
 

Konan warf einen Blick über die Schulter zurück dorthin, wo sie die drei Frauen getroffen hatten. Dort, wo Neji und Kiba verschwunden waren, und dort, wo der Nebel auch Pein einfach verschluckt hatte. Wo er jetzt war? Ging es ihm gut? Wie sollten sie sich wieder finden? Und wie sollte Konan stark sein und aufrecht stehen bleiben, wenn man ihre wichtigste Stütze einfach so weggenommen hatte? Sie schluckte und versuchte, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Aber ihre Gedanken wirbelten wirr durcheinander und sie konnte kaum an etwas anderes als an Nagato denken.
 

Sie war schon seit Jahren nicht mehr so lange von ihm getrennt gewesen ohne zu wissen, dass sie ihn bald wieder sehen würde, und jetzt war er so plötzlich weg, so schnell wie ein brutaler Schlag mitten ins Gesicht kam. So ähnlich hatte die Erkenntnis sich angefühlt, dass er nicht mehr da war und sie keine Ahnung hatte, wo er war, was geschehen war oder wie – bei den Fünf Göttern! – sie ihn wieder finden sollte. „Reiß dich zusammen!“, schalt sie sich leise. „Du bist eine Kriegerin der Schattengilde. Reiß dich zusammen. Du brauchst ihn nicht.“ Das war eine Lüge und sie wusste es und darum verrenkte sie sich beinahe den Hals um ihn vielleicht doch zu sehen, wie er ihnen folgte, auch wenn sie wusste, dass es nicht so war. Wenn Nejis Aufenthaltsort auch nur ein kleiner Hinweis auf ihre Situation war, dann war auch Nagato nicht mehr in der Nähe. Dennoch… sie musste sich zusammenreißen, wenn sie überleben und ihn wieder finden wollte. Sie mochte ihn nicht brauchen, um zu überleben, aber im Leben zählte mehr als nur das. Und Pein war für sie zumindest die Hälfte ihres Lebens.
 

„Hey.“, riss Hinatas Stimme sie aus den Gedanken und sie drehte sich wieder zu ihrer Gefährtin, da diese vor ihr ritt. Während des ganzen Ritts die Berge hinunter hatte die junge Magierin keinen Ton gesagt. Dass sie jetzt so plötzlich die Stimme erhob, war beinahe ein Schock und das eine Wort zerschmetterte die Stille so leicht wie ein Donnerschlag. „Ich glaube, da vorn verlassen wir die Berge.“, erklärte Hinata und deutete den Weg hinunter.
 

Er führte weiterhin zwischen den scharfkantigen Steinen hindurch, die den Großteil des Gebirges auszumachen schienen, doch unweit von den beiden Reiterinnen öffnete sich die Landschaft zu einer grünen, hügeligen Hochebene, die sich bis zum Horizont und darüber hinaus erstreckte. Es war deutlich fruchtbares Land, größtenteils bewachsen von Gras, Wiesenblumen und Kräuter, aber hin und wieder erhoben sich Haine aus lichten Laubbäumen und Sträuchern wie kleine Inseln aus einem grünen, im Wind wogenden Meer.
 

„Wir haben … auf dem Hinweg viel länger gebraucht.“, bemerkte Hinata leise und sprach nicht aus, was sie beide in schon vorher gedacht hatten: dass es gar nicht Neji, Kiba und Pein waren, die sich bewegt hatten, sondern sie beide. Die Pferde waren zwischen den letzten der am Wegrand aufragenden Felsen stehen geblieben. Hinatas großer, weißer Hengst stampfte unruhig mit den vorderen Hufen, bewegte sich aber nicht vom Fleck.
 

Für eine ganze Weile – Minuten? Stunden? – rührte sich keine der beiden Frauen und das einzige, was Konan in diesem Moment versuchte, war ihre Atmung unter Kontrolle zu halten. Sie hatten in den letzten Jahren so viel durch gemacht. Nein, das stimmte nicht. Sie hatte in ihrem gesamten Leben so viel durch gemacht, aber vor allem nachdem ihr Heimatdorf dem immer währenden Krieg zum Opfer gefallen war. Es war einfach unmöglich, in einem Land wie ihrem friedlich und ungestört aufzuwachsen, selbst wenn man tief in einem Wald geboren worden war, bei einem kleinen Volk, das in kleinen Stammesverbänden lebte und sich versteckt hielt in einem Land, das groß und weit und vertraut war und gut dafür, verborgen zu leben. Selbst das, selbst das war keine Garantie dafür, Frieden zu haben. Und Konan war nicht dort geboren worden. Im Nachhinein musste sie sagen, dass es ein Wunder war, dass ihr Dorf so lange durchgehalten hatte, ohne abgebrannt oder geschleift zu werden, nur ein paar Überfälle, aus denen sie nahezu unbeschadet bis glimpflich herausgekommen waren.
 

Immerhin länger als die acht Jahre, die sie dort gelebt hatte. Danach war ihr Leben enger mit Kampf und Krieg verknüpft worden, als sie gewünscht hatte, aber niemals hatte sie sich so gefühlt wie jetzt. Ängstlich, hilflos, ahnungslos, hoffnungslos und auf eine Weise schutzlos und nackt, die sie nie wieder spüren wollte. Sie saß einfach da und spürte die Panik, die sie dazu bringen wollte zu hyperventilieren, weil sie einfach nicht wusste, was geschehen war, was sie hier herbrachte, warum sie hier waren, wo sie und ihre Freunde waren und wo, verdammt von Tsuki-hime, wo der Mann war, den sie liebte?!
 

Angestrengt konzentrierte sie sich darauf, tief einzuatmen, dass sich selbst der rote Schuppenpanzer unter ihren Atemzügen hob und senkte. Die Luft war rein und klar und völlig ohne den Geruch von Blut, Verwesung und dem Metall der Waffen und Rüstungen, den sie seltsamerweise erwartete. Vielleicht weil sie sich so sehr an ihn gewöhnt hatte, dass sie ihn nicht mehr aus der Nase bekam, ganz egal, wie weit sie ritt um den Schlachtplätzen zu entkommen. Der Wind kam ihnen entgegen und trug den süßen Duft von jungem Grün, Knospen und den bunten Wiesenblumen mit sich.
 

Der Duft von Frühling. Frühling war mehr für Konan als nur eine Jahreszeit. Er war ein Symbol. Ein abstraktes Gebilde, das sich aus Hoffnung, Glück, Liebe und Frieden zusammensetzte. Aus Wachstum und Segen und Anfang und allem, was gut und schön war. Sie hatte das Gefühl, schon lange keinen Frühling mehr erlebt zu haben, obwohl es jedes Jahr nach dem Winter wieder warm wurde und die Pflanzen Blüten trugen. Aber wie konnte man eine Blume sehen, wenn sie unter verstümmelten Leichen begraben war? Der letzte Frühling… Der letzte Frühling war im Dorf gewesen, als ihre zarte, schöne Mutter noch so lebendig gelacht hatte, und ihr riesiger, bärenhafter Vater sie mit seinen starken Armen in die Luft geworfen hatte, und Pein noch Nagato und nur Nagato gewesen war. Und jetzt… jetzt… jetzt… Frühling?
 

Konan spürte, wie die Kontrolle ihr entglitt. Ihr Atem wurde heftiger, schneller, flacher und für einen Moment wurde ihr so schwindelig, dass sich die buntgefleckte Wiese vor ihr drehte und Nachtherz, ihre dunkle Stute, nervös mit den Ohren zuckte und schnaubte. Jahrelange, eisern eingedrillte und antrainierte Disziplin und stahlharter Wille, jetzt nicht aufzugeben, waren das einzige, was sie davor bewahrte, einfach ohnmächtig zu werden und aus dem Sattel zu kippen. Erneut sog sie tief die Luft ein, dass sie zwischen ihren Zähnen zischte, und brachte ihre Stute wieder unter Kontrolle. Sie musste sich zusammenreißen. Sie konnte nicht einfach so auseinander fallen! Das würde das Geschehene auch nicht rückgängig machen und Hinata…
 

Erschrocken wandte Konan den Kopf. Sie hatte ihre Gefährtin völlig vergessen. Wie mochte das jüngere, sensiblere Mädchen mit der Sache umgehen? Hinata saß wie eine Statue auf dem Rücken ihres prachtvollen Pferdes, den Blick starr geradeaus gerichtet und die Augen weit aufgerissen. Es war kaum zu erkennen, dass sie atmete, und ihre linke Hand war so fest um die Zügel gekrallt, dass die Knöchel weiß hervortraten.
 

Ihr langes Haar und der Pelzrand ihres schweren Wintermantels sowie die langen Bänder, die sie in den Schweif des Hengstes geflochten hatte, bewegten sich unter den unsichtbaren Fingern des Windes. Erst nach einem Moment bemerkte Konan, dass Hinata weinte und ihre Wangen nass waren vor Tränen. Der Anblick erschreckte die Kriegerin. Hinata war ruhig und friedfertig und sensibel, aber sie weinte selten.
 

Vorsichtig lenkte Konan Nachtherz näher an das andere Pferd heran und legte der Gefährtin eine Hand auf den Unterarm. Zuerst reagierte die Magierin nicht, dann wandte sie langsam den Kopf. „Wir werden sie finden und herausbekommen, warum wir hier sind. Und wo wir sind.“ Die Stimme der Kriegerin klang fester und sicherer als erwartet, aber zu leise, als dass Hinata deren eigenen Zweifel nicht bemerken würde. Trotzdem nickte das schwarzhaarige Mädchen und nahm die Zügel wieder mit beiden Händen auf. „Ich mache mir Sorgen um Neji.“, murmelte sie. Sie wandte kurz den Kopf und setzte dann hinterher: „Und um Kiba und Pein.“ Sie senkte den Blick. Dann zog sie geräuschvoll die Nase hoch und fuhr mit einer Hand über die Wange, Verwunderung im Blick, als hätte sie nicht gemerkt, dass sie geweint hatte.
 

„Huh…“, machte sie und wischte sich entschlossen die Nässe aus dem Gesicht. „Lass uns … Lass uns zu diesem Dorf reiten.“, erklärte sie dann bestimmt und deutete nach Osten. Konan folgte ihrem Fingerzeig und trieb Nachtherz ein paar Schritte nach vorn, so dass sie an dem Felsen vorbeisehen konnte, der ihren Blick versperrte. Dort war tatsächlich ein Dorf.
 

Es lag gemütlich am Hang des größten Hügels weit und breit, eine adrette, saubere Siedlung inmitten von rechteckigen, deutlich abgegrenzten Feldern und Weiden, auf denen Rinder grasten. Drei Wege führten von der Ortschaft fort, zwei in südliche Richtung, der letzte zu den Zwielichtbergen, jener, auf dem die beiden Reiterinnen sich gerade befanden. Auf der Spitze des Hügels standen drei weitere Bauten, eines davon, rund und plump und leuchtend weiß in der Sonne, deutlich höher als die anderen, mit einem spitzen Dach und seltsamen, vierteiligen Vorbau, der sie an die Speichen eines Rades erinnerte. Nur war es viel breiter und natürlich ungemein größer als jedes Rad, das Konan bis jetzt gesehen hatte, selbst die der mächtigen Karren, die die Trolle nutzten. Zu welchem Zweck ein solches Gebäude dienen sollte, konnte die Kriegerin nicht einmal erraten.
 

„Zumindest erfahren wir dann, wo wir sind.“, stimmte sie zu und trieb Nachtherz an. Hinata folgte und sie legten den Weg in einem raschen Trab zurück, der ihre Knochen durchschüttelte, die Pferde allerdings schonte. Während sie näher kamen, konnten sie immer mehr Details ausmachen. Zwei der Felder wurden bearbeitet von Bauern, die von Pferden gezogene Pflüge tief in die Erde drückten. Zwei Jungen trieben eine Herde Gänse quer über einen brach liegenden Acker auf das Dorf zu. In der Siedlung selbst herrschte tätiges Leben. Von einer der anderen Straßen näherte sich eine Karawane aus stabilen Karren und Reitern – Händler vielleicht? Obwohl es sehr wenig Krieger waren, die sie begleiteten. Doch dieses Land schien den Krieg nicht so zu kennen wie die Heimat der beiden Reiterinnen, darum brauchten sie womöglich nicht mehr bewaffnete Begleitung als das? Das Dorf hatte ja nicht einmal Palisaden, die es vor Angriffen schützten. Ob es hier überhaupt fähige Krieger gab?
 

Konan hatte keine Schwierigkeiten, sich dies vorzustellen, auch wenn es gegen alles ging, was sie bis jetzt kannte. Jeder, den sie kannte, dem sie in ihrem Leben begegnet war, selbst alte Waldhexen und Edelfräulein, jeder konnte kämpfen, wusste, wie er eine Waffe in der Hand hielt und besaß eine, selbst wenn es nur ein gefährlich scharfes Küchenmesser oder ein grob zurechtgestutzter Prügel war.
 

Die Leute hielten mit ihrer Arbeit inne, als die beiden Reiterinnen vorbeikamen, und starrten ihnen nach. Den beiden Jungen liefen sogar einige Gänse weg, ehe sie sich wieder auf ihre Arbeit konzentrierten. Konan runzelte die Stirn und ließ den Blick weiterschweifen; Hinata schien nichts zu bemerken, sie war zu sehr in Gedanken versunken. Die Kriegerin fragte sich, was so sonderbar war an zwei bewaffneten Reiterinnen. Es war nicht so, als ob sie die Hände an den Klingen hatten oder eine andere bedrohliche Geste machten. Dann sah sie wieder zum Dorf und dachte sich, dass sie vielleicht umdenken mussten. Dies war nicht das Land, das sie kannten. Hier schien es keinen Krieg zu geben, auch keine Kämpfe, anscheinend nicht einmal plündernde Räuberhorden. Vielleicht waren bewaffnete Reiter wie sie einfach kein alltäglicher Anblick in Dörfern.
 

Darum entschied sie sich dagegen, die Bauern auf dem Feld zu fragen, sondern hielt nicht an. „Lass uns zuerst einen Brunnen suchen und die Pferde tränken.“, schlug sie vor. Kurz darauf klapperten die Pferdehufe über sauber gefegtes Kopfsteinpflaster und diesmal bemerkte es selbst Hinata. Sie hatten Burgen reicher Fürsten gesehen, die bei Regen im Matsch versunken waren, weil man es nicht einmal geschafft hatte, grob gezimmerte Holzbretter für die wichtigsten Wege auszulegen. Ein einfaches, kleines Dorf mit gepflasterter Hauptstraße hatten sie noch nie gesehen.
 

Dafür fanden sie sehr leicht den Weg auf den Marktplatz, dessen Mittelpunkt ein alter, aber gut in Stand gehaltener Ziehbrunnen war. Links und rechts des Brunnens hatte man hölzerne Tröge für die Tiere von Reisenden und Blumenkästen, in denen Primeln und Tulpen blühten, aufgebaut. Man ging ihnen aus dem Weg, als sie ihre Pferde auf ihr Ziel zu lenkten, und außer freundlichen Grüßen und Lächeln hatte man nicht mehr für sie übrig als teilweise misstrauische, teilweise neugierige Blicke. Allerdings trat auch niemand vor und verlangte Bezahlung für das Wasser, das Konan aus dem Brunnen holte und in eine der Tränken kippte. Hinata hielt währenddessen beide die Pferde und ließ sie saufen. Es dauerte eine Weile, bis die Tiere sich abwandten.
 

Daran erst bemerkte Konan, wie lange sie tatsächlich geritten waren, ohne Pause und Rast, weder für sie beide noch für die Tiere. Der Gedanke daran ließ ihren Magen in die Kniekehlen sacken. Hinata und den Pferden mochte es auch nicht anders gehen. Ob es in diesem Dorf ein Gästehaus gab? Und wenn, würde man sie überhaupt bedienen? Ob sie genug Geld hatten? Oder vielleicht sollten sie lieber ihre Fragen stellen und dann verschwinden, um etwas später Pause zu machen und sich an ihren Vorräten zu bedienen? Vielleicht wäre das klüger, aber der Gedanke an eine warme Mahlzeit… und vielleicht ein Bett, denn so tief wie die Sonne stand, bedeutete für sie, dass sie heute sicher nicht mehr weit kommen würden... Die Magierin trat an sie heran und erklärte leise: „Lass uns hier bleiben, für die Nacht, falls es uns möglich ist.“
 

Langsam nickte Konan und drehte sich dann zu einem etwa dreizehnjährigen Jungen um, der sie schon die ganze Zeit beobachtete, oder besser, anstarrte. „Hey!“, sagte sie, und er fuhr erschrocken zusammen, fing sich aber schnell wieder. Wahrscheinlich wollte er sich vor seinen Freunden, die in der Nähe herumlungerten, keine Blöße geben. „Gibt es hier ein Gästehaus oder eine Ortshalle?“ Er runzelte die Stirn, als wüsste er im ersten Moment nichts mit ihren Worten anzufangen. Dann nickte er langsam und deutete über den Marktplatz. „Die Glückliche Maid ist die beste Herberge in der Gegend.“, erklärte er und mitten im Satz wechselte seine Stimme die Tonlage und sprang eine ganze Oktave nach oben. Ihr Blick folgte dem ausgestreckten Finger und sie entdeckte ein relativ großes Haus am Rande des freien Platzes. Es war zweistöckig und hatte ein schweres, dicht wirkendes Dach. Die Wände schienen frisch geweißelt zu sein und über der Tür hing ein Schild, auf dem Glückliche Maid stand. Es wirkte gediegen und besser als jedes Gästehaus, das sie je gesehen hatte. Wahrscheinlich konnten sie es sich nicht leisten, aber es war den Versuch wert.
 

„Vielen Dank.“, erklärte Hinata höflich, während Konan nur nickte und entschlossen quer über den Marktplatz marschierte. Vielleicht konnten sie hier ein paar Antworten auf ihre Fragen finden. Vielleicht auch nicht. Vielleicht konnte man ihnen, wenn nicht hier, sagen, wo sonst. Wenn ihr Geld reichte oder sie etwas eintauschen konnten, würden sie allerdings auf jeden Fall eine warme Mahlzeit bekommen und vielleicht auch ein halbwegs weiches Bett. Denn so sehr es ihnen beiden auch widerstrebte, sich in weltlichen Genüssen zu ergehen, solange sie nicht wussten, ob es ihren Gefährten gut ging, so wussten sie doch beide, dass sie satt und ausgeruht bessere Chancen auf Erfolg hatten, als wenn sie ihre Pferde wie wild durch die Landschaft trieben.
 

Allerdings, so schoss es ihr durch den Kopf, würde es schwierig werden, die richtigen Fragen zu stellen ohne zu viel Misstrauen zu erregen. Unwillkürlich fühlte sie sich in die ersten Monde zurückversetzt, während denen Pein versucht hatte, seine Vision von einer geeinten Armee gegen den Lichlord zu verwirklichen. Zu oft hatten sie mitten in der Nacht aufbrechen müssen, zu oft waren sie zu knapp entkommen, zu oft hatte man sie verfolgt, weil die Fürsten nicht hören wollten, weil sie dachten, die seltsamen Reisenden mit ihren Reden von Untergang oder Frieden seien eine Gefahr.
 

Sie wollte nicht erneut in eine solche Situation geraten, darum war bei Fragen wohl eine gewisse Vorsicht geboten. In kleinen Dörfern reagierte man schnell mit Misstrauen gegenüber Fremden, die aus heiterem Himmel in das Dorf geritten kamen. Hinata und sie mochten die Helden der Totenkriege sein, sie mochten berühmt und reich und mächtig sein, doch sahen sie neben all diesen einfachen Dorfleuten aus wie abgerissene Landstreicher oder vielleicht eher Söldner, wenn man ihre Waffen und Kriegsausrüstung in Betracht zog. Dieser Gedanke verstärkte ihren Beschluss noch einmal. Sie mussten auf jeden Fall vorsichtig sein.
 

Trotzdem hatten sie es zu versuchen. Es war einfach zu … verwirrend, zu seltsam. Einerseits erkannte Konan Landmarken – wie das Donnerhorn – andererseits war hier so vieles anders, dass sie einfach keine Ahnung mehr hatte, wo sie waren. Sie mochten in die Zwielichtberge hineingeritten sein, aber die Frage, aus welchem Gebirge sie herausgekommen waren, war eine andere – vielleicht war es dasselbe. Aber warum war dann Frühling? Warum waren die Bewohner der Ebene so anders? Warum war die ganze Welt so anders? Das waren die eigentlich wichtigen Fragen – neben dem allgegenwärtigen Rätsel, wo Pein, Neji und Kiba waren – doch sie wusste mit Bestimmtheit, dass diese Bauern sie ebenso wenig beantworten konnten wie sie selbst.
 


 

~ [ ♣ ] ~
 

Tenten stolperte über einen losen Stein und konnte sich gerade noch vor dem Sturz bewahren, indem sie sich am nächsten Baumstamm festhielt. Fluchend rappelte sie sich wieder auf und hielt Ausschau nach ihren Gefährten, die von ihrem Missgeschick offensichtlich nichts mitbekommen hatten. Sie warf sich den großen, ledernen Beutel mit ihrem Reisegepäck und Proviant über die Schulter und beeilte sich, zu den anderen aufzuschließen.
 

Sie waren jetzt schon fast fünf Tage unterwegs. Fünf Tage, die ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen warne, denn Shikamaru hatte das Risiko für zu groß befunden den Weg über die Hauptstraße zu nehmen und stattdessen seinen Vorschlag durchgesetzt die Route durch den Wald zu wählen. Schon am ersten Tag hatte Tenten sich einen Schnitt am Oberarm zugezogen, als sie unbeabsichtigt in dichtes Geäst aus Dornenbüschen hinein geraten war. Trotzdem waren solche Lappalien besser als auf offener Straße zu reisen und sie musste sich widerstrebend eingestehen, dass dieser Kurs sehr viel ungefährlicher war als der direkte Weg.
 

Die Stille des Waldes hatte eine seltsame Wirkung auf sie. Einerseits war die Natur hier noch unberührt und so ursprünglich, dass Tenten das Gefühl hatte endlich einmal aufatmen zu können. In der Wildnis gab es keine Ansprüche irgendwelcher Professoren und Staatsmänner. Bis hierher war all die Gewalt und die sogenannte Zivilisation noch nicht vorgedrungen; in den Wäldern herrschten eigene Gesetze. Tenten verspürte ein Gefühl der Sicherheit zwischen den hohen Bäumen, die wie starre Wächter ihre Äste über ihnen ausbreiteten.

Andererseits… Andererseits kam sie in der Stille nicht umhin nachzudenken. Und zu viel Nachdenken war etwas, das man vermeiden sollte, wenn man nicht wahnsinnig werden wollte. Zumindest in einer Welt wie der ihren. Im Lauf der Zeit hatte sie viel gesehen, zu viel Schreckliches erlebt, das sie bis in den tiefsten Winkel ihres Herzens geschoben hatte, damit sie es nicht noch einmal in ihrer Erinnerung durchleben musste. Auch jetzt machte Tenten sich ihre Gedanken. Was mit dem Dorf geschehen würde, zu dem sie unterwegs waren, wenn sie nicht rechtzeitig da waren. Was sie denn überhaupt tun konnten, wenn sie da waren. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie zu spät wären oder schlichtweg nichts mehr tun konnten, und sie war sich nicht sicher, wie viel von diesem Leid sie noch ertragen konnte.
 

Sie wischte einen Ast aus dem Weg und beeilte sich die anderen einzuholen. Der erste, den sie sah, war Shikamaru. Er trug schlichte Reisekleidung bestehend aus einem Leinenhemd, einer Lederweste darüber und einer einfachen Hose. Nichts deutete auf seinen wahren Stand hin; auch das war eine Vorsichtsmaßnahme, die Shikamaru im Gegensatz zu anderen völlig widerstandslos über sich hatte ergehen lassen. Und gerade wegen seiner Vernunft diese Art von Kompromissen einzugehen war er ideal für Aufträge wie diesen. Anders als die meisten Anhänger der Rebellion besaß er das Wissen wie sich die Mächtigen verhielten, verstand ihre Gedankengänge und kam ihren Schachzügen immer einen Schritt zuvor. In der Aufgabe seiner Identität erreichte er im Gegenzug einen Vorteil, der den Rebellen schon oft mehr als nützlich gewesen war: Er, der die Fäden im Hintergrund zog, wurde für ihre Feinde vollkommen gesichtslos.
 

Tenten warf ihm einen weiteren Blick zu. Der Narasprössling starrte leicht abwesend in die Ferne und machte einen gemächlichen Schritt nach dem anderen. Wären sie nicht auf einer Mission und wäre ihre Lage nicht so gefährlich, da war Tenten sich sicher, dass er sich an den nächsten Baum gelehnt und eine Runde geschlafen hätte. Sie seufzte. Shikamaru war unverbesserlich und trotzdem war er der einzige, der wirklich den Weg vor Augen hatte und den ganzen Komplex von wichtigen Fakten zu überblicken in der Lage war.
 

Wortlos schloss sie zu ihm auf und ging neben ihm. Shikamaru warf ihr einen kurzen Blick zu, dann setzte er seinen Weg fort. Das war das Angenehme an ihm. Man musste nicht zwangsläufig mit ihm ein Gespräch beginnen. Shikamaru war jemand, der einen anderen auch ohne viele Worte verstand und das Meiste fand er ohnehin schon durch Beobachtung heraus. Es waren kleine Dinge, die er sah und den anderen entgingen. Doch gerade das machte sein Genie aus. Sie mochte noch so viele Bücher lesen, noch so sehr studieren, die Art Intelligenz, die der Adlige besaß, würde sie nie erlangen.
 

Ihre anderen Gefährten waren da von einem ganz anderen Schlag. Schon von weitem konnte Tenten hören wie Suigetsu und Kankuro durch das Unterholz brachen und dabei eine lautstarke Auseinandersetzung führten. Sie waren hitzköpfig und verloren anders als sie und Shikamaru häufig die Kontrolle über sich. Beide geboten weder über die Umsicht, noch über Shikamarus analytischen Fähigkeiten eine Situation zu begreifen. Doch sie waren beide loyal und kämpften mit vollem Herzen für ihre Sache, auch, wenn Tenten den Grund für ihre Entschlossenheit darin nie herausgefunden hatte. Das war ein eisernes Gesetz der Rebellen. Niemand fragte den anderen warum er sich ihrer Sache angeschlossen hatte. Die einzige Möglichkeit bestand darin, dass dieser seine Überzeugung aus freien Stücken preisgab.
 

Ein Außenstehender konnte denken, dass die Rebellen ihren Widersachern so den Weg zu Verrat ebneten, doch Minato besaß großes Geschick im Auswählen ihrer Verbündeten. Er hatte eine Gabe sofort das Wesen jedes Einzelnen zu erkennen und sich auf dessen Grundlage ein Bild von dem Anwärter zu machen. Nicht immer wählte Minato aus, wer beitreten sollte – wie konnte es auch möglich sein mit einer solch verstreuten Organisation – doch jene, denen er vertraute, besaßen oft die gleiche Gabe. Sie waren vorsichtig, tasteten sich ganz sachte an ihr Vorhaben heran; ihre Rebellion war noch schwach, aber sie wuchs. Wuchs langsam, gemächlich, aber sie wuchs. Sie kämpften für Dinge wie die Rettung des Dorfes, zu dem Tenten und ihre Gefährten unterwegs waren, kämpften für die Freiheit und für den Untergang der Tyrannei der Goldenen Kaiser und für eine Zukunft, in der es gerecht zugehen sollte. Doch dieser Traum lag noch in weiter Ferne und bis es soweit war, mussten sie einander blind vertrauen können. Die Maßnahme, nichts von sich preisgeben zu müssen, verschaffte ihnen Privatsphäre und eine Gleichheit, die unerschütterlich war. Minato hatte geschickt gehandelt, war behände vorgegangen und das Resultat war beachtlich. Noch nie waren sie verraten worden.
 

Eine Krähe riss Tenten aus den Gedanken. Inzwischen waren sie ein gutes Stück vorangekommen, der Wald wurde dichter. Jetzt entdeckte Tenten schon öfter Fichten und andere Nadelbäume und auch ihr Weg wurde beschwerlicher. Wo sie zuvor den Pfaden der Waldtiere gefolgt waren, nahmen nun Farne und dichtes Unterholz ihren Platz ein, die ihnen das Durchkommen zusätzlich erschwerten. Hätte Tenten mehr Zeit gehabt, hätte sie gerne einige Pflanzen, die sie aus den Zeichnungen einiger Lehrbücher wieder erkannt hatte, untersucht, aber das war natürlich ausgeschlossen.
 

Ihr Marsch wurde anstrengender. Sie war nur froh, dass sie das Reisekleid, das sie zu Beginn getragen hatte, hatte ablegen und gegen praktischere Männerkleidung – Hose und robustes Wams – eintauschen können. Mit dem Kleid war sie oft in den Ästen der niedrigen Büsche hängen geblieben und hatte sich nur durch einen beherzten Ruck daraus befreien können. Das wiederum hatte sie an manchen Wegstrecken den letzten Nerv gekostet. Hinzu kam ihr Hunger, der mit den vorbeigehenden Stunden immer größer wurde.
 

„Lass uns eine Pause machen“, sagte sie leise zu Shikamaru. Ihre Stimme war ein wenig dünn und rau, weil sie so lange geschwiegen hatte, aber um den Adligen aus seiner Trance zu wecken reichte es trotzdem. Shikamaru nickte ihr kurz zu und rief den anderen beiden zu:

„Suigetsu! Kankuro! Wartet mal, wir halten kurz an!“
 

„Bist du schon müde, Nara?“, gab Suigetsu zurück. „Brauchst du ein Päuschen damit du deine fürstlichen Glieder ausstrecken kannst?“ Tenten kniff die Lippen zusammen um Suigetsu nicht ihrerseits einen scharfen Kommentar um die Ohren zu hauen. Es wäre untertrieben zu sagen, dass sie ihn nicht mochte. Er hatte etwas Unheimliches an sich, das sie jedes Mal wieder ein wenig aus der Bahn warf. Vielleicht war es die Tatsache, dass er einen solchen Spaß an blutigen Kämpfen hatte, oder ihre Vermutung, dass er nur des Kampfes selbst willen zu den Rebellen gekommen war. Wenn es einen gab, dem sie misstraute, dann war er es und um sich davon abzuhalten ihm an die Gurgel zu gehen, hielt sie sich meist von ihm fern, wenn es denn möglich war.
 

Seine Sticheleien prallten jedenfalls wirkungslos an Shikamaru ab, der eine ausdruckslose Miene aufgesetzt hatte und nun seine Vorräte inspizierte. „Es bringt nichts sich zu verausgaben“, erklärte er gelangweilt.
 

Suigetsu ließ ein verächtliches Schnauben hören. „Du musst es natürlich am besten wissen.“ Er grinste überheblich und Tenten platzte schließlich doch der Kragen: „Lass ihn gefälligst in Ruhe, Spitzzahn!“ Ihr Mitstreiter drehte sich sauer zu ihr um und Tenten hätte schwören können, dass Shikamaru ein ‚Wie anstrengend’ gemurmelt hatte. Suigetsu entblößte seine spitzen Eckzähne, denen er seinen Beinamen verdankte, und funkelte sie an. „Von Weibern lasse ich mir nichts sagen! Warum haben wir dich noch gleich mitgenommen?“ „Klappe, Suigetsu!“, fauchte der Vierte im Bunde, der gerade zwischen den Bäumen auftauchte. Kankuro hatte sie nun endlich eingeholt und wirkte nicht minder wütend als Suigetsu.
 

„Oh ich vergaß, du Fettwanst, du musst ja den Ritter in strahlender Rüstung spielen“, erwiderte Suigetsu sarkastisch und rückte ein Messer aus der beeindruckenden Sammlung an seinem Gürtel zurecht. Kankuro, der nicht fett, sondern eher muskulös und massig war, funkelte ihn an. „Oder vielleicht glaubst du, dass du sie beeindrucken kannst und ihr-“ „Lass Tenten, da raus!“, knurrte Kankuro. Die beiden Männer hatten sich mittlerweile voreinander aufgebaut und schienen kurz davor aufeinander loszugehen. „Oh, natürlich lasse ich Tenten da raus, wie unverschämt von mir“, sagte Suigetsu gerade. Kankuros Miene war inzwischen zu Zornesrot gewechselt.
 

Tenten sah hilfesuchend zu Shikamaru, der sich nun auf seine Gefährten zu bewegte und zwischen sie trat. „Schluss jetzt“, bestimmte der Adlige ruhig, schob Suigetsus Hand beiseite, die bereits zu seinem Waffengürtel gezuckt war, und hinderte Kankuro daran auf den Messerkünstler loszugehen. „Wir machen eine Pause, keine Widerrede.“
 

„Ich gehe kurz zum Bach“, murmelte Tenten, „Wasser auffüllen.“ Shikamaru nickte ihr einmal kurz zu ohne sich jedoch umzusehen. „Mach dich mal locker, Nara“, vernahm sie, kaum, dass sie ein paar Meter gegangen war, wieder Suigetsus Stimme, „nicht mal einen kleinen Scherz kann man hier machen…“
 

Shikamaru oder Kankuro antworteten etwas, das sie nicht verstand. Doch Tenten war eigentlich ganz froh darüber. Seit fünf Tagen musste sie die Sticheleien von Suigetsu und Kankuro ertragen und sie hatte es satt. Hatte es satt, dass Suigetsu jedes Mal jeden von ihnen mit seinen überflüssigen Bemerkungen nervte, hatte es satt, dass Shikamaru es nicht schaffte klare Anweisungen zu erteilen und dass sich Kankuro jedes Mal als ihr Retter aufspielte.
 

Tenten kämpfte sich durchs Frühlingsgrün und erreichte schließlich den kleinen Bach, dessen Wasser sie gehört hatte. Sie stellte ihren Beutel neben sich auf der Erde ab, krempelte die Ärmel hoch und wusch sich zuerst einmal das Gesicht. Der lange Marsch war anstrengend gewesen und der dünne Schweißfilm auf ihrer Stirn sprach ein Übriges. Aber wenigstens war das Wasser erfrischend. Tenten seufzte erleichtert und wünschte sich, sie hätte Zeit um ein kaltes Bad zu nehmen.
 

Ihre Gedanken schweiften wieder zu Kankuro. Sicher hatte sie seine Avancen bemerkt. Sie hätte blind sein müssen, wenn nicht! Aber … und da lag das eigentliche Problem. Sie wusste nicht, wie sie zu ihm stand. Vielleicht hätte sie ihn akzeptiert, wenn er nur ein Freund sein wollte, aber Kankuros Annäherungsversuche wurden mit der Zeit immer offensichtlicher, dass sogar jemand wie Suigetsu begriff was eigentlich zwischen ihnen stand. – Tenten spritzte sich eiskaltes Wasser ins Gesicht. – Und sie wollte es nicht. Es war nicht, dass sie Kankuro nicht mochte. Er war ein toller Mensch und auf seine eigene Art recht attraktiv. Ein Mann, der für sie sicher eine gute Partie abgab und bei ihren Eltern genau den passenden Eindruck hinterlassen würde. Wenn es doch so leicht sein würde…
 

Es gab nur drei Dinge, die Tenten sich für eine Beziehung wünschte.

Erstens musste sie dieser Mann bedingungslos lieben. Zweitens musste sie ihm ebenso tiefe Gefühle entgegenbringen. Und drittens musste er ihr zu jeder Zeit absolute Freiheit zugestehen. Es bestand kaum ein Zweifel daran, dass ersteres auf Kankuro zutraf, doch Tenten war sich nicht sicher, welche Gefühle sie für ihn hegte, doch selbst, wenn sie irgendwann etwas Tiefergehendes für ihn empfand, sie wusste eines ganz sicher: Nämlich, dass er eine feste Bindung wollte und nicht Jahre, vielleicht auf Jahrzehnte zu warten gewillt war. Er wollte diese Liebe jetzt, gerade weil nicht sicher war was in der Zukunft geschehen würde. Er wollte eine Familie, ein ruhiges Zuhause, das er sich irgendwo mit ihr aufbauen wollte. Kankuro wollte ihre Freiheit und die wollte sie ihm unter keinen Umständen geben.
 

Tenten biss sich auf die Lippen. Sie hatte nur nicht den Mut ihm das zu sagen. Oder nicht den Mumm. Je nach dem wie man es auffasste, denn irgendwie schmeichelten ihr seine Bemühungen auch und vielleicht brachte sie es auch nicht übers Herz ihm so wehzutun. Tenten war am Ende einer Sackgasse angelangt und sie konnte weder vor noch zurück.
 

Einen Augenblick blieb sie reglos im Gras an dem kleinen Bach knien. Alles war einfach so verworren und sie wusste nicht was sie tun sollte! Ihre Finger gruben sich in die feuchte Erde und Tenten versuchte einen Moment einfach nur ruhig zu atmen, sich zu beruhigen und sich innerlich darauf vorbereiten, dass sie gleich zurückkehren musste. Es dauerte keine Ewigkeit Wasservorräte aufzufüllen.
 

Sie tauchte ihren Wasserschlauch in den klaren Bach. Die Kühle des Wassers an ihrer Haut tat ihr gut, sie linderte kurzfristig die geschundenen Muskeln, als sie nach dem Auffüllen ihrer Vorräte auch ihre Arme mit dem kühlen Wasser einrieb. Könnten sie doch nur ein bisschen länger bleiben. Nachdenklich betrachtete sie ihr Spiegelbild. Sie wirkte abgezerrt und müde, ihre Frisur war durcheinander geraten und ihre Augen hatten einen mutlosen Ausdruck angenommen. Glaubte sie überhaupt noch, dass sie das Dorf-

Tenten erstarrte.
 

Ihr nächster Impuls war die Waffe. Ihre Hand fuhr zu dem Dolch, den sie am Gürtel befestigt war und zog ihn aus der Scheide. Leicht panisch sah sie sich um. Sie musste vom Wasser weg, wo sie jeder sehen konnte. Sofort! Tenten ging rückwärts, darauf bedacht keinen Laut zu machen und spürte wie das Adrenalin durch ihren Körper jagte. Da war ein Geräusch gewesen, ganz sicher. Ein Rascheln, wie wenn jemand das Laub streifte. Selbst, wenn es nur ganz kurz da gewesen war, es war da gewesen! Tenten drückte sich mit klopfendem Herzen an einem Baum – bereit jederzeit einem vermeintlichen Angreifer die Waffe in die Brust zu stoßen – und wartete.
 

Wartete. Eine Minute verstrich. Sie lauschte auf jedes Geräusch, jede plötzliche Bewegung in ihrem Umfeld. Wenn es mehr als einer war, war sie hilflos. Sie musste zurück zu ihren Gefährten, die deutlich kampferprobter waren als sie. In diesen Wald kam niemand, der nicht einen triftigen Grund dazu hatte, und die Wahrscheinlichkeit auf einfache Bauern oder Reisende zu treffen ging gegen Null. Wilderer? Räuber? Es musste schon mindestens eine Viertelstunde vergangen sein. Nichts. Langsam beruhigte sie sich wieder. Hatte sie sich das alles nur eingebildet?
 

„Tenten!“ Sie war noch nie so erleichtert Kankuro zu sehen. „Hier“, krächzte sie und wurde sich erst jetzt bewusst, unter welcher Anspannung sie gestanden hatte. Kankuro runzelte kurz die Stirn, als er die gezogene Waffe bemerkte, und sah sie dann besorgt an. „Ist alles in Ordnung mit dir?“ „Ich… Ja“, brachte Tenten zustande, „ich dachte nur, ich hätte etwas gehört…“ „Wir sollten zurückgehen“, sagte Kankuro, „Suigetsu wird langsam ungeduldig und Shikamaru macht sich Sorgen, auch wenn er es nicht sagt.“
 

Tenten steckte den Dolch in die Scheide an ihrem Gürtel zurück. „Tut mir leid“, murmelte sie, „ich bin irgendwie ein bisschen durch den Wind.“ Kankuro grinste leicht. „Ist nicht schlimm. So geht es jedem irgendwann mal und außerdem beschütze ich dich doch.“ Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. „Wir sollten gehen.“ Kankuro nickte und sie machten sich gemeinsam auf den Rückweg, doch Tenten wurde das Gefühl nicht los, dass sie nicht länger allein waren…
 

Den restlichen Nachmittag legten sie ein ordentliches Tempo vor. Nach Shikamarus Beurteilung würden sie das Dorf in etwa drei oder vier Tagen erreichen, was Tenten nur sehr recht war. Die Angst saß ihr noch immer in den Knochen und seit dem Vorfall am Bach – war überhaupt etwas vorgefallen? – hatte sie sich nicht mehr von den Männern entfernt. Alles war wieder so wie es sein sollte. Suigetsu machte seine bissigen Kommentare, die sie diesmal wortlos hinnahm, Kankuro stritt sich manchmal mit ihm und Shikamaru trottete in gewohnter Manier hinterher. Alles war in Ordnung. Warum also erwischte sie sich dabei wie sie die Waffen ihrer Mitstreiter inspizierte und sich Gedanken machte was für einen Vorteil diese bei einem Angriff bieten würden? Waren sie stark genug sich zu verteidigen, wenn es notwendig wurde?
 

Mit einem Mal nahm diese Mission eine ganz andere Note an. Tenten war nicht oft an Rettungsmissionen beteiligt, sie hatte eher im Hintergrund agiert, ein paar Informationen beschafft oder eine Gruppe Soldaten bestochen, aber eigentlich war ihr Leben dabei nie wirklich in Gefahr gewesen. Die Bedrohung, die dieses kleine Geräusch in ihr ausgelöst hatte, hatte sie noch nie empfunden. Auf einmal wurde ihr bewusst, wie nah das alles war. Die Rebellion passierte nicht irgendwo in weiter und damit sicherer Ferne, sie war längst zu einem Teil ihres Alltags geworden. Nur die Gefahr war ihr bislang nicht so bewusst gewesen.
 

Der restliche Tag zog sich quälend langsam dahin und Tenten spürte wie die Angst immer mehr Teil ihrer selbst wurde und sich in ihren Gliedern einnistete. Irgendwie zwang sie sich nur noch einen Fuß vor den anderen zu setzen. Immer weiter. Sie mussten das Dorf erreichen. Sie mussten die Menschen retten. Der Himmel war bereits dunkler geworden, ihre panischen Blicke häufiger und auch ihre Gefährten schienen unruhiger geworden zu sein. Fühlte es sich so an verrückt zu werden oder war das nur der Beginn einer Paranoia?
 

Auf einmal spürte sie wie jemand ihr die Hand auf die Schulter legte. Sie schrak zusammen und für ein paar Sekunden suchte sie fast panisch nach der Ursache, bis sie Shikamaru erkannte. „Beruhig’ dich, Tenten“, schnaufte er. Tenten atmete flach, schüttelte dann seinen Griff ab und kämpfte langsam die Aufregung nieder. Shikamaru wartete ab bis sie die Kontrolle über sich zurück erlangt hatte. Er betrachtete sie aufmerksam und schien jedes Detail ihres Handelns zu analysieren. „Was ist los, Tenten?“
 

„Hier ist irgendjemand.“, sagte sie endlich. „Ich weiß. Mach dir keine Sorgen.“ Tenten warf schnell einen Blick auf Kankuro und Suigetsu. Beide hatten von der Unterhaltung nichts mitbekommen. „Ich soll mir keine Sorgen machen! Verdammt noch mal, Shikamaru, hier läuft irgendwo jemand rum, der uns die ganze Zeit beobachtet!“ Doch der Angesprochene kam nicht mehr dazu zu antworten.
 

Der Pfeil surrte durch die Luft und blieb direkt hinter ihnen im nächsten Baum stecken. Augenblicklich warf sich Tenten auf den Boden und riss Shikamaru mit sich. „Runter!“, schrie sie Suigetsu und Kankuro zu, doch die hatten bereits ihre Schwerter gezogen, gingen in Deckung und versuchten auszumachen, wo sich der Schütze befand. Eine Minute lang blieb es totenstill. Tenten wagte nicht sich zu rühren und sie spürte wie abermals die Angst in ihr hoch kroch. Shikamaru murmelte irgendetwas, das sie nicht verstand.
 

Dann hörte sie auf einmal ein lautes Knurren und aus dem Geäst kam der größte Hund, den sie je gesehen hatte. Sein Gebiss war riesig. Er musste ihr fast bis zum Brustkorb reichen! Die Bestie stieß abermals ein wütendes Knurren aus und fixierte nun Suigetsu und Kankuro, die anhand dieser Bedrohung zwar blass geworden waren, aber dem Hund grimmig entgegentraten.
 

„Weg mit dir, du Töle, oder ich stech’ dich ab!“, rief Suigetsu drohend. Das gigantische Tier rührte sich keinen Millimeter und Suigetsu trat verunsichert einen Schritt nach rechts. Seine Hand fuhr an seinen Gürtel, wo er den erstbesten Dolch ergriff, den er zu fassen bekam. Urplötzlich schoss ein weiterer Pfeil auf ihn zu und durchbohrte sein Hemd, nagelte es an den Baum, vor dem er stand. Suigetsu wurde leichenblass. Dann wurde er zornesrot. „Zeig’ dich, du Feigling!“, brüllte er. Der Hund fletschte die Zähne, stieß ein wütendes Bellen aus und im nächsten Moment hatte sich das Tier auf ihn gestürzt und umgeworfen. Das Hemd riss mit einem lauten Geräusch, das Tenten heftig zusammenzucken ließ, und diese dolchartigen Reißzähne waren nun direkt über Suigetsus Gesicht. Tenten lief es kalt den Rücken herunter und irgendwie schaffte sie es sich aufzurappeln.
 

„Lass ihn, Akamaru!“ Die Bestie stieß noch mal ein tiefes Grollen aus und ließ dann von Suigetsu ab. Der atmete stockend ein und wich dann zurück. Tenten hatte sich und Shikamaru mittlerweile Deckung verschafft. Ihr schoss der aberwitzige Gedanke durch den Kopf, dass es verrückt war, einen solch monströsen Hund den Namen des legendären Tieres zu geben, das Kiba den Helden begleitet hatte. Aus ihrem Versteck sah sie wie Suigetsu und Kankuro etwas oder jemanden anstarrten. Sie riskierte einen Blick.
 

Ein Mann war zwischen den Bäumen aufgetaucht. Er war recht groß, hatte einen muskulösen Körper, braunes Haar und auf den Wangen rote Tätowierungen in Form von Reißzähnen. Sein Blick schweifte schnell zwischen Suigetsu und Kankuro hinterher und wartete scheinbar darauf, dass die etwas Unvorhergesehenes taten. Immer auf der Hut. Das war ihr erster Eindruck. Der zweite war sein Blick, der etwas Wildes, Ungezähmtes verinnerlichte. Er hatte einen schneeweißen Langbogen gespannt, der aus einem Material bestand, das Tenten nicht zuordnen konnte. Die Pfeilspitze war auf ihre Gefährten gerichtet.
 

„Keine Bewegung!“, befahl der Fremde. „Wer seid ihr?“ „Jemandem wie dir lege ich keine Rechenschaft ab!“, schleuderte Suigetsu ihm entgegen, „verzieh dich!“ Die Augen des fremden Mannes verengten sich zu Schlitzen und das gigantische Tier, das nun um seine Beine strich, knurrte wütend.
 

Plötzlich nahm Tenten eine Bewegung am Rande ihres Blickfeldes wahr. Sie drehte den Kopf und erkannte zu spät, dass Shikamaru sich erhoben hatte. Bevor sie es verhindern konnte, trat er in das Sichtfeld des Fremden. Sie warf ihm einen ängstlichen Blick zu. Es war nicht Shikamarus Art, sich derartig bloßzustellen und den Vorteil seines Versteckes aufzugeben. Tenten presste ihren Körper an den Baumstamm und beobachtete, was weiter vor sich ging. Kaum, dass Shikamaru ihm in den Weg getreten war, fuhr der Fremde herum und richtete den Pfeil auf seine Brust. Doch Shikamaru hielt seinem stahlharten Blick stand. „Wir kennen dich nicht“, erklärte der junge Adlige, „wir haben dir nichts getan, aber…“, seine Augen verengten sich zu Schlitzen, „wir werden uns verteidigen, wenn du uns angreifst.“
 

„Große Worte für jemanden, dem ich in weniger als einer Minute einen Pfeil durch den Schädel jagen könnte.“, erwiderte der Fremde. Er verzog den Mund zu einem wölfischen Grinsen und für eine Sekunde glaubte Tenten in seinen Zügen eine Wildheit zu erkennen, die sie erschütterte. Doch sie konnte sich nicht länger darauf konzentrieren. Da war das gleiche Geräusch, das sie am Bach gehört hatte. Ein so leises Rascheln, dass kein Tier der Urheber dafür sein könnte, aber doch laut genug, das man es nicht dem Wind zuschreiben konnte. Voller Angst wirbelte sie herum, zog zitternd ihre Waffe und machte sich darauf gefasst sich zu verteidigen. Dieser verräterische kleine Laut war keine Einbildung.
 

Er stand wie ein Geist hinter ihr. Die gleiche Präsenz, die sie auch schon vor ein paar Stunden gespürt hatte. Genau wie der Bogenschütze trug er volle Rüstung und Kleidung, die sie auf Abbildungen in einem uralten Buch der Nara-Bibliothek gesehen zu haben glaubte. Der Brustharnisch und die Schienen an Unterarmen und -schenkeln bestanden aus einem dunkelroten Material, das sie nicht identifizieren konnte, größtenteils durch einen Umhang verdeckt. Er hatte dunkles, fast schwarzes Haar, das er zusammengeknotet hatte, und blasse, aristokratische Züge. Er machte eine winzige Bewegung und legte die Hand um das Heft eines silbernen Schwertes, dessen Griff über seine Schulter ragte. Doch das Merkwürdigste war, dass ein weißes Tuch seine Augen verdeckte.

Wie konnte er so überhaupt sehen?
 

Tenten trat einen Schritt zur Seite, ein Zweig brach unter ihrem Fuß und der Mann wandte ihr fast augenblicklich den Kopf zu. Sie spürte wie die Angst sich abermals ihrer bemächtigte, doch diesmal kämpfte sie sie mit ihrem Willen nieder, zwang sich ihren Körper zu straffen und nicht vor ihm zurück zu weichen.
 

Eine Sekunde schien er irritiert. Vielleicht, weil sich ihm eine Frau in den Weg stellte. Dann entspannte er sich und wich langsam zurück. Tenten beobachtete jeden seiner Schritte und senkte ebenso langsam ihren Dolch, wie er sich wieder entfernte.
 

„Nenn mir einen Grund, warum ich dir glauben sollte! Das hier sind die Wälder der Zwielichtberge. Niemand kommt hierher.“, hörte sie den Bogenschützen zu Shikamaru sagen, „Seid Ihr ein paar seiner Spitzel!?“ „Kiba, sie sind ungefährlich.“ Der lautlose Krieger erhob zum ersten Mal die Stimme und sie schnitt durch sie hindurch wie Eis. Er musste nicht laut werden, er strahlte beinahe eine solche Autorität aus wie Minato! Der Mann namens Kiba sah ihn an, richtete aber weiterhin die Waffe auf ihre Verbündeten. „Bist du dir sicher?“, hakte er nach. „Ja. Du hast sie nur überrascht.“
 

Langsam ließ Kiba den Bogen sinken. Er sah noch einmal misstrauisch zu Suigetsu und Kankuro, die sich langsam entspannten, und neigte dann leicht den Kopf. „Verzeiht“, sagte er, „ich hielt euch für jemand anderen.“ Seine Höflichkeit verblüffte und überraschte Tenten. Von einem Moment zum anderen hatte er sich vollkommen unter Kontrolle und war bereits auf die neue Situation eingestellt. Ein eiskalter Gedanke durchfuhr sie. Hatte er das alles geplant? Hatte er den ersten Pfeil bewusst daneben geschossen um die Oberhand über die Situation zu haben? Oder war er einfach nur ganz und gar unberechenbar? Hatte Shikamaru ihn durchschaut und gewusst, dass sie nicht ernsthaft in Gefahr waren?
 

Kiba befestigte den weißen Bogen wieder an seinem Rücken und steckte den unbenutzten Pfeil in den Köcher zurück. „Lass uns weiter, Neji“, forderte er seinen lautlosen Begleiter auf. Fast rechnete Tenten damit, dass sie nun genauso schnell wieder verschwinden würden, wie sie gekommen waren, aber sie irrte sich. „Warte“, bemerkte Neji, „vielleicht könnten sie uns Informationen geben.“ Bevor irgendjemand etwas sagen konnte, hatte Shikamaru das Wort ergriffen. „Ihr könnt mit uns essen. Eine größere Anzahl mindert die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs.“ „Shikamaru!-“, unterbrach Kankuro, doch der gebot ihm mit einer Handbewegung zu schweigen. „Es wäre uns eine Ehre“, erklärte Neji.
 

Kiba zuckte mit den Schultern. „Ich hole die Pferde“, sagte er, „Komm, Akamaru.“ Er verschwand zwischen den Bäumen und das Tier lief ihm schwanzwedelnd nach. Schweigen legte sich über die kleine Gruppe und Tenten sah wie ihre Gefährten Neji musterten. Doch der schien es nicht mitzubekommen oder zu ignorieren. „Wir sind vorhin an einer Lichtung vorbei gekommen. Dort könnten wir rasten.“, schlug er vor. Shikamaru nickte, während Kankuro und Suigetsu widerwillig ihre Zustimmung kundtaten.
 

Tenten warf einen nachdenklichen Blick hinter dem Davongehenden her. Es war ganz sicher kein Zufall, dass Kiba den Namen des Helden mit dem Hund trug, stellte sie belustigt fest. Vielleicht nicht einmal, dass Neji anscheinend ein Schwert als Hauptwaffe trug – obwohl sie bezweifelte, dass er die Wahl der Waffe davon abhängig gemacht hatte, welchen Namen seine Eltern ihm gegeben hatten.

Viele Leute aus dem Volk gaben ihren Kindern die Namen der Fünf Helden der Totenkriege, in der Hoffnung, dass sie Glück und Erfolg bringen würden. Die Adligen verzichteten meist darauf – wer mochte schon mit einem Namen, der bereits für Heldentaten bekannt war, weitere vollbringen? – doch das änderte nichts daran, dass es unter einem Haufen befreundeter Kinder immer mindestens einen gab, der Neji oder Kiba, Hinata oder Konan hieß. Einzig ‚Pein‘ war nicht so beliebt, aber das lag daran, dass dies kein geeigneter Name für jemanden war. Wer wollte sein Kind schon nach dem Schmerz benennen?

Das sich hier zwei gefunden hatten, die zufällig beide einen solchen Namen trugen, kam recht häufig vor.
 

Ein Rascheln kündigte Kibas Rückkehr an und, kaum dass Tenten sich umgedreht hatte, kam er nicht nur mit zwei Pferden, sondern auch mit einem schwer beladenen Packesel durchs Unterholz. Es waren prachtvolle, wenn auch kleine Tiere, eine Schimmelstute und eine braunweiße Scheckstute, die sie mit intelligenten Augen ansahen. Die Sattel und das Zaumzeug waren aus feinstem Leder und daran war eine solche Anzahl Waffen festgemacht, dass Tenten frösteln musste. Da waren Schwerter, Sperre, Lanzen, Messer, Dolche und sogar eine riesige Streitaxt. Und sie hatte die Waffen, die Kiba und Neji am Körper trugen, nicht einmal mitgerechnet. Konnten sie etwa mit allen umgehen?
 

Kiba drückte Neji das Halfter der Schimmelstute in die Hand. Dann hielt er grinsend zwei Hasen hoch, in deren Fleisch noch jeweils ein Pfeil steckte. „Ich denke das Abendessen ist gerettet“, erklärte er. Tenten tauschte einen wachsamen Blick mit Shikamaru.
 

Eine halbe Stunde später hatten sie ein notdürftiges Lager aufgeschlagen. Doch noch immer lag eine gewisse Anspannung in der Luft. Es war offensichtlich, dass Suigetsu und Kankuro Kiba misstrauisch beäugten, was nach dessen Angriff aber nicht weiter verwunderlich war. Einzig Neji und Shikamaru schienen sich ein wenig arrangiert zu haben und trafen rasch ein paar Entscheidungen. Nachdem die üblichen Floskeln ausgetauscht waren, hatten sie die Arbeit eingeteilt. Kankuro und Kiba waren Feuerholz suchen gegangen, Suigetsu bereitete gemeinsam mit Shikamaru das Lager vor und Neji kümmerte sich um die Tiere. Sie hingegen hatte den undankbarsten Job und es wurmte sie, dass es mal wieder an ihr hängen blieb.
 

Tenten starrte missmutig auf ihre Vorräte. Sie hatten noch drei Brotlaibe, ein bisschen Trockenfleisch, ein paar Äpfel, Käse, Wurst und die Kräuter und Gewürze, die sie vorsorglich eingepackt hatte. Und natürlich die Hasen, die Kiba geschossen hatte. Sie zog den ersten Pfeil aus dem Fleisch und krempelte sich die Ärmel hoch. Das Ausnehmen von Tieren hatte sie schon immer verabscheut, aber es war nun mal notwendig und irgendwie bekam sie bei der Aufgabenverteilung immer das Kochen zugewiesen. Tenten warf einen wütenden Blick auf Shikamaru, ehe sie damit anfing das Brot in Scheiben zu schneiden.
 

„Darf ich dir meine Hilfe anbieten, Tenten-san?“ Tenten zuckte zusammen und blickte sich dann um. Neji stand hinter ihr. Natürlich… Misstrauisch betrachtete sie ihn. Er sah nicht nach jemandem aus, der sich mit Kochen auskannte. Und … hatte er sie gerade mit einem der altmodischen Suffixe angesprochen? Warum das? Wollte er übermäßig höflich sein? Aber dann hätte er sie sicher nicht geduzt…

Bevor sie näher darüber nachdenken konnte, verzog er den Mund zu einem schiefen Lächeln und nahm ihr dann das Messer aus der Hand. „Ich kenne mich damit aus“, versicherte er ihr, setzte die Klinge am Bauch des Hasen an und schlitze ihn geschickt auf. Die Gedärme quollen heraus und Tenten richtete den Blick schnell wieder auf das Brot damit ihr nicht übel wurde. Vielleicht war es doch keine so schlechte Idee ihm diese Arbeit zu überlassen.
 

Sie teilte das Brot in sechs gerechte Portionen auf und belegte sie mit etwas Käse und Schnittlauch. „Ich habe Euch ein paar unserer Vorräte mitgebracht.“ Er deutete auf einen Beutel neben sich. „Danke.“, erwiderte sie misstrauisch. Neji seufzte während er den Hasen häutete. „Ihr traut uns nicht“, stellte er dann fest und schloss dabei auch ihre Gefährten ein. Tenten kniff die Lippen zusammen und arbeitete stur weiter. Neji nahm ihr Schweigen wortlos zur Kenntnis und arbeitete seinerseits stumm neben ihr weiter. Eine ganze Weile war nur das Geklapper der Messer und Schüsseln zu hören. Tenten schielte zu ihm herüber. Er wirkte konzentriert und seine Bewegungen waren fließend, trotz der Augenbinde, die seine Sicht extrem einschränken musste. Warum trug er sie überhaupt? Hatte er vielleicht eine Augenkrankheit, so dass er sie brauchte, oder…?
 

„Es tut mir leid, dass ich dir am Bach einen solchen Schrecken eingejagt habe“, sagte Neji und riss sie damit aus den Gedanken. „Du bist sehr aufmerksam“, bemerkte er dann, „normalerweise nehmen die Menschen meine Anwesenheit nicht wahr.“ „Du hast mir Todesangst eingejagt“, sagte Tenten grimmig. „Das war nicht meine Absicht“, erklärte er sanft. Sie wollte noch etwas sagen, doch ein lautes Bellen unterbrach sie. Kiba und Kankuro kehrten zurück.
 

Zuerst schoss Akamaru zwischen den Bäumen hervor. Ihm folgten sein Herr und Kankuro, die beide schwer beladen mit Feuerholz waren. Kankuro warf einen Blick über das Lager und erstarrte dann, als er Neji neben Tenten entdeckte. Er ließ das Holz fallen und warf ihrem Helfer einen so tödlichen Blick zu, dass sie unwillkürlich zusammen zuckte. Neji dagegen schien es überhaupt nicht zu kümmern.
 

Shikamaru ging wortlos auf Kankuro zu, sammelte das Holz auf, legte eine Hand auf seine Schulter und redete kurz auf ihn ein. Dann begannen sie ein Lagerfeuer aufzubauen, das binnen zwanzig Minuten erfolgreich und heiß genug zum Kochen brannte. Schließlich fanden sie sich rund um das Feuer ein und Tenten reichte jedem sein Abendessen, während Neji die Hasen über dem Feuer briet.
 

„Nun“, begann Kiba, „wer seid ihr? Hier ist es viel zu gefährlich.“ „Reisende“, erwiderte Tenten, „hier ist es nicht gefährlicher als anderswo auch.“ Kiba stieß ein bellendes Lachen aus. „Ja, das sagen sie alle und dann springt ihnen die Gefahr ins Gesicht und erst dann merken sie, dass sie besser daran getan hätten, ihr aus dem Weg zu gehen! Hab’ ich nicht recht, Akamaru?“ Der Hund hob kurz den Kopf und ließ ihn dann wieder auf seine Vorderbeine sinken. Er löste den Blick kaum von den Hasen über dem Feuer, auch wenn er davon nicht viel abbekommen würde. „Vielleicht lohnt sich die Gefahr ja!“, fauchte Tenten. Kiba warf ihr einen sehr nachdenklichen Blick zu. „So denken nur Frauen und Träumer. Oder jemand, der nichts mehr zu verlieren hat.“ Sie senkte den Blick. „Lass sie in Ruhe“, knurrte Kankuro, „du hast kein Recht über sie zu urteilen. Außerdem wissen wir ebenso wenig, wieso ihr hier seid.“
 

Kiba warf Neji einen schnellen Blick zu. Der reagierte nicht. „Spuck’s aus!“, rief Suigetsu dazwischen, „oder habt ihr etwas zu verbergen? Wir könnten euch auch gleich hier abstechen, wenn ihr-“ „Suigetsu“, fuhr Shikamaru warnend dazwischen. „Ach, du denkst doch dasselbe!“, erwiderte er bissig, „in Wahrheit sind sie doch nichts weiter als ein paar Feiglinge oder Verräter, die sich im Wald verstecken. Und er“, er deutete auf Neji, „ hat nicht mal den Mumm einem in die Augen zu sehen!“

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, da wusste Tenten, dass er einen Schritt zu weit gegangen war. Die betretene Stille, die plötzlich eintrat, lag schwer in der Luft. Tenten sah, dass Shikamaru Suigetsu einen ärgerlichen Blick zuwarf, sah wie Kankuro von seinem Essen nahm, nur um etwas zu tun zu haben. Kiba schien nicht im Mindesten beeindruckt. Vielleicht waren ihm solche Situationen nur zu gewohnt oder eine Aussage wie Suigetsus konnte ihn nicht wirklich treffen.
 

Fast ängstlich huschte ihr Blick zu Neji, in dessen Mimik sich nicht das Geringste geregt zu haben schien. „Ich habe keine Angst andere anzusehen“, stellte er dann nüchtern klar, griff sich an den Hinterkopf und löste langsam die Augenbinde. Der Stoff fiel auf den Boden. „Nein“, sagte er noch mal, „ich habe keine Angst, aber meistens können die Menschen meinen Blick nicht ertragen.“
 

Das erste, das sie sah, waren die Tätowierungen an seinen Schläfen. Schmale, verschlungene Muster, die sich bis zu seinen Augen hochzogen und sich auf seiner hellen Haut unnatürlich stark abhoben. Erst als Tenten genauer hinsah, erkannte sie was sie darstellen sollte. Da war ein Flügel, winzige Federn… Stilisierte Schwingen, wie Tenten noch nie einen gesehen hatte. Sie war so in dieser kunstfertigen Arbeit auf seinem Gesicht gefangen, dass sie gar nicht auf seine Augen geachtet hatte. Erst ein scharfes Einatmen von Suigetsu lenkte ihren Blick darauf.
 

Tenten starrte Neji in die Augen und er sah mit totem Blick zurück. Nie in ihrem ganzen Leben hatte sie solche Augen gesehen. Es erschreckte und faszinierte sie zugleich. Die Augen des Blinden waren schneeweiß, durchdringend wie Eis und härter als Stahl. Als sie sich für eine Sekunde unabhängig voneinander bewegten, lief Tenten ein Schauer über den Rücken. Jetzt verstand sie, warum er lieber eine Augenbinde trug. Solche Augen fielen auf. Solch ein Blick verursachte eine Angst, die vielen Grund genug sein konnte um ihm Unheil zu wollen.
 

Ein Glucksen holte sie in die Gegenwart zurück. Tenten brauchte einen Moment um zu begreifen, dass es Kiba war, der diese Laute von sich gab. „Es ist jedes Mal das gleiche“, erklärte er amüsiert, „erst haben sie einen große Klappe und dann zittern sie vor Angst.“ Damit brach er in Gelächter aus. Tenten warf einen Blick auf ihre Gefährten. Kankuro und Suigetsu wirkten erschrocken, nur Shikamaru schaffte es, eine einigermaßen neutrale Miene aufzusetzen. Kiba lachte immer noch und warf jedem von ihnen ab und an einen herausfordernden Blick zu. „Lass gut sein, Kiba“, sagte Neji irgendwann. Er nahm sich etwas Fleisch und Kiba zuckte mit den Achseln.
 

Langsam lockerte sich die Stimmung wieder ein wenig. Die Tatsache, dass Neji so natürlich mit seiner Blindheit umging, löste ein wenig Tentens Anspannung, aber gleichzeitig dachte sie mit ein wenig Beklemmung daran, dass keine seiner Bewegungen ihr Ziel verfehlte. Er bewegte sich wie ein völlig normaler Mensch, schien sich seiner Umgebung trotz allem immer bewusst zu sein und er hatte ihr mit dem Essen geholfen ohne auch nur einmal daneben zu greifen! Wie machte er das nur?
 

„Nun, was bringt euch in diese Gegend?“, durchbrach Shikamaru die Stille. Es war mittlerweile dunkel geworden, das gemeinsame Abendessen war verzehrt und nun saßen sie alle nur still um das knisternde Feuer herum. Kiba sah Shikamaru an und grinste. „Wir sind Reisende.“ Shikamaru ließ sich nicht darauf ein. „Reisende“, wiederholte er ungerührt, „wohin seid ihr dann unterwegs?“ Zum ersten Mal schien Kiba erschrocken. Er sah zu Neji, der dessen Blick natürlich nicht wahrnehmen konnte. Doch trotz allem schien er etwas bemerkt zu haben. „Wir suchen jemanden“, sagte Neji an Kibas Stelle. „Und wer das ist und wieso geht euch nichts an“, fiel Kiba ihm schneidend ins Wort.
 

„Dann sehe ich keinen Grund einander mehr als das anzuvertrauen. Wir sind uns zufällig im Wald begegnet, haben festgestellt, dass von den jeweils anderen keine Gefahr ausgeht und haben zusammen zu Abend gegessen. Wir müssen nicht wissen, wohin oder weshalb ihr unterwegs seid. Morgen gehen wir wieder getrennte Wege“, fasste Shikamaru zusammen. Kiba nickte bestätigend und schien mit dieser Lösung zufrieden. Auch Neji entspannte sich ein wenig. Suigetsu und Kankuro zuckten gleichgültig mit den Schultern. War sie denn die einzige, die Neugier auf die Fremden verspürte? Sahen ihre Gefährten denn nicht, dass Neji und Kiba alles andere als gewöhnlich waren? Tenten spürte, dass ihre Begegnung einen Wert hatte, den sie nicht wirklich begreifen konnte. Da war etwas. Etwas unglaublich Wichtiges, dass diese Fremden umgab.
 

Auf einmal hörte sie Zweige knacken, der Hund hob seinen Kopf und knurrte bedrohlich. Sein Herr warf ihm einen aufmerksamen Blick zu und seine Hand glitt zu dem weißen Bogen, den er noch immer bei sich trug. Tenten spürte, wie sich die Angst abermals in ihr einnistete, doch diesmal schien ihr die Gefahr viel näher, viel allgegenwärtiger als nur einfach das Gefühl beobachtet zu werden.
 

Shikamaru, Suigetsu und Kankuro hatten allesamt ihre Schwerter gezogen und Tenten beeilte sich es ihnen nach zu tun. Der Dolch lag schwer in ihrer Hand, aber sie wusste auch, dass ein möglicher Angriff sich zu allererst auf die Männer konzentrieren würde, nicht auf eine einzelne Frau. Dabei blieb ihr der Überraschungsmoment, wenn sie sich ihrer Haut erwehren musste.
 

„Wie viele?“, wandte sich Kiba an Neji, der als einziger seine Waffen nicht angerührt hatte und konzentriert zu lauschen schien. Der Blinde neigte lauschend den Kopf und wartete noch einen weiteren Moment. „Mindestens zwanzig“, sagte er dann, „es scheint eine Truppe Soldaten zu sein.“ Kaum hatte er das gesagt, nahm auch Tenten die Geräusche des Waldes deutlicher wahr. Die Nacht war nicht länger still, es herrschte Unruhe. Irgendwo ein paar hundert Meter entfernt bahnten sich Männer einen Weg durchs Unterholz, die vielleicht auf ihr Lagerfeuer aufmerksam geworden waren.
 

„Was machen wir jetzt?“, fragte Kankuro. Er wirkte gefasst, aber es war die Selbstbeherrschung eines Mannes, der darauf gefasst war zu kämpfen, und Tenten konnte sich nur allzu gut vorstellen, was für Gedanken ihm durch den Kopf gingen. Wenn, wer immer da auch kam ihnen feindlich gesinnt war, hier ankam und herausfand, dass sie Rebellen waren… Tenten wollte nicht weiter darüber nachdenken. „Bleibt ruhig’“, befahl Shikamaru und zum ersten Mal nahm Tenten seine Autorität wahr. Der Adlige analysierte bereits die Situation und wog mögliche Auswege gegeneinander ab. „Wir können nicht mehr weg, sie wissen bereits, dass wir hier sind und eine Flucht käme einem Schuldbekenntnis gleich.“ Wieder schwiegen sie und warteten ab, was auch immer kommen mochte.
 

Dann hörte sie die Schritte. Schwere Schritte, die laut zu hören waren, und darauf schließen ließen, dass die Soldaten – wenn es denn welche waren – Rüstungen trugen. Ängstlich umklammerte Tenten ihre Waffe. Was, wenn es wirklich so viele waren, wie Neji gesagt hatte? Sie konnten vielleicht mit ein paar fertig werden, aber doch nicht mit zwanzig! Selbst, wenn sie Neji und Kiba dazurechnete, waren sie erst zu sechst. Als hätte er ihre Unruhe gespürt, sagte Neji plötzlich: „Beruhig dich, es gibt keinen Grund sie zu fürchten.“
 

Hätte er das ein wenig früher gesagt, hätte sie es vielleicht geglaubt, aber in genau diesem Moment brachen die Soldaten durch den Wald und traten auf die Lichtung. Ihr kleines Herz pochte plötzlich rasend schnell in ihrer Brust. Die Fremden trugen die Uniform der Goldenen Kaiser.
 

„Na, wen haben wir denn hier?“, fragte ein Soldat, der mehrere Abzeichen auf der Brust trug und ganz offensichtlich der Hauptmann war. Sein Blick wanderte über die Männer, die Kampfstellung eingenommen hatten. „Im Namen des Goldenen Kaisers, seiner Majestät Malao dem Fünften, gebt euch zu erkennen!“, forderte er wichtigtuerisch.
 

„Wir sind Reisende auf dem Weg nach Phaena“, sprach Shikamaru. Tenten sah ängstlich von ihm zu dem Hauptmann. Doch Shikamaru blieb erstaunlich ruhig und war ganz offensichtlich in die Rolle des Diplomaten geschlüpft. „Und was wollt ihr dort?“, hakte der Hauptmann nach, „ihr seht mir nicht wie Kaufleute aus.“ „Wir besuchen Verwandte und Freunde von uns.“ „Oh, Freunde und Verwandte?“ Er hob eine Augenbraue. „Weißt du, wie oft wir das hören?“ Shikamaru verzog keine Miene. Der Hauptmann stieß ihm den Zeigefinger in die Brust. „Dieser Wald“, sagte er und betonte dabei jedes Wort, „ist seit jüngster Zeit Treffpunkt von Dieben und Schmugglern. Oder schlimmstenfalls Rebellen.“
 

Das Wort schwebte in der Luft und Tenten lief es eiskalt den Rücken herunter. Sie erhaschte einen Blick auf Kankuro, der ebenfalls blass geworden war, aber versuchte es so gut es ging zu verbergen. „Um diesen Verdacht aus der Welt zu räumen“, schnarrte der Hauptmann, „muss ich euer Gepäck leider durchsuchen.“ Ein dreckiges Grinsen breitete sich auf seinem kantigen Gesicht aus, was Tenten dazu brachte ihn noch mehr zu verabscheuen. Die Soldaten im Hintergrund tauschten hämische Blicke aus. Ihr fiel auf, dass alle trotz der Reise durch den Wald gut genährt aussahen. Voller Wut betrachtete Tenten ihre Peiniger, als ihr aufging, dass es sich bei ihren Vorsichtsmaßnahmen lediglich um das Ausnehmen von Reisenden handelte. Wahrscheinlich nahmen sie ab und an jemand Unschuldigen mit, den sie den Uchiha kurzerhand als Rebell verkauften und hängen ließen. Dass sie jetzt auf wirkliche Rebellen gestoßen waren, war vermutlich reiner Zufall.
 

„Natürlich, wir haben nichts zu verbergen. Seht nur nach.“, erklärte Shikamaru zu ihrer Überraschung. Der Hauptmann schien ebenfalls verblüfft, doch ihr Gefährte blickte weiterhin gelassen drein. Tenten starrte ihn an, aber Shikamaru sah sie nicht an. Sie kannte dieses Verhalten von ihm. Diese ruhige Art… das war nichts als Fassade! Shikamaru hatte gerade alles auf eine Karte gesetzt. Oder hatte er doch einen Plan?
 

„Nun…“ Der Hauptmann winkte zwei seiner Soldaten heran, die sich sogleich an ihren Sachen zu schaffen machten. Tenten warf einen Blick auf die übrigen Rebellen. Kankuro hatte die Lippen fest aufeinander gepresst, doch Suigetsu sah so aus, als würde er jeden Moment in die Luft gehen. Tenten wandte ihre Aufmerksamkeit wieder den Soldaten zu – und stutzte. Für einen Augenblick hatte sie geglaubt ihre Konturen seien verschwommen. Bei genauerem Hinsehen, erkannte sie, dass es leicht neblig geworden war. Nur der Mond stand hoch am Himmel und erleuchtete die ansonsten sternenklare Nacht. Irgendwie war das unheimlich. Der aufziehende Nebel, noch dazu das Mondlicht, das die ganze Szenerie in einen schaurigen Glanz hüllte… „Hier sind ein paar Vorräte und Kleidung, Herr!“, rief einer der Soldaten seinem Hauptmann zu und riss Tenten damit aus ihren Überlegungen. „Weitersuchen“, befahl dieser und funkelte Shikamaru wütend an.
 

„Ich sagte bereits, wir sind Reisende-“ Shikamaru wurde von einem lauten Knurren unterbrochen. Akamaru, Kibas gigantischer Hund, hatte die Ohren angelegt und fletschte die Zähne. Der Soldat, der soeben Kibas Gepäck durchsuchen wollte, wich erschrocken zurück. „Ihr habt nichts zu verbergen, ja?“, fauchte der Hauptmann Shikamaru an, der Kiba einen schnellen Blick zu warf. „Akamaru verteidigt das Eigentum seines Herren, das ist nur natürlich“, mischte sich überraschend Kiba ein. „Dann ruf’ das Biest zurück!“
 

„Oh, das ist nicht so leicht“, entgegnete dieser, „Akamaru hatte schon immer seinen eigenen Kopf.“ „Ruf’ das Tier zurück!“, bellte der Hauptmann. Akamaru stieß ein wütendes Bellen aus. Als Kiba immer noch nicht reagierte, zog dieser kommentarlos sein Schwert, das schon einige Scharten aufwies, und marschierte auf den Hund zu. Er hatte noch nicht mal ein paar Meter zurückgelegt, als Kiba ihm in den Weg trat. Auch er sah mittlerweile wütend aus und er funkelte den Hauptmann zornig an. „Aus dem Weg“, knurrte dieser, doch Kiba wich keinen Millimeter zurück. „Was, wenn nicht“, fragte er sehr leise, „willst du mich dann auch töten?“
 

Es schien als kämen seine Worte aus weiter Ferne. Als würde sie irgendetwas dämpfen. Tenten konnte sich nicht rühren. Irgendwas ging hier vor, doch sie konnte nicht sagen, was es war. Das war eine andere Art von Gefahr. Eine Gefahr, die sie noch nicht mal begreifen konnte. Bildete sie sich das ein oder hüllte der Nebel die Lichtung viel zu schnell ein…
 

„Dann stirb’, du Narr!“ Der Hauptmann wirbelte das Schwert über seinen Kopf und zielte auf Kiba. Tenten stieß ein verängstigtes Wimmern aus und ihr wurde speiübel. Gleich war sein Kopf ab! Ein dumpfes Geräusch zwang sie ihren Blick wieder dem ungleichen Kampf zuzuwenden. Kiba war behände ausgewichen, die Klinge hatte sich in die Erde gebohrt und der Hauptmann zog sie wütend heraus.
 

„Warum so langsam?“ Ein überlegenes Grinsen zog sich über Kibas Gesicht. Und wieder war da diese ungezähmte Wildheit in seiner Haltung. Den Hauptmann machte es rasend. Immer und immer wieder hieb er nach ihm, doch Kiba wich ihm jedes Mal aus. Er… er spielte nur mit ihm, wurde Tenten mit einem Mal klar. „Du kleine Made!“, brüllte der Offizier und gab ein paar seiner Untergebenen ein Zeichen, sodass diese sich ebenfalls auf Kiba stürzten. Doch noch bevor der Erste ihn auch nur erreichen konnten, hatte ihn der gigantische Hund umgeworfen und ihm die fast fingerlangen Zähne in die Seite geschlagen. Dieser heulte auf und versuchte sich zu befreien, doch Akamaru ließ erst locker, als er sich auf den nächsten stürzte.
 

Suigetsu, Kankuro und Shikamaru hatten jetzt ebenfalls allesamt ihre Waffen gezogen und erwehrten sich nun der Überzahl der Feinde, die sie auf Korn nahmen. Nur Neji hatte sich nicht gerührt. Scheinbar nahmen ihn die Soldaten seiner Blindheit wegen nicht ernst. Wenn Shikamaru einen Plan gehabt hatte, war der spätestens jetzt gescheitert. Tenten biss sich auf die Lippen, nahm ihren ganzen Mut zusammen und trat dem Feind mit gezogenem Dolch entgegen. Einer der Soldaten bemerkte sie, kam auf sie zu und setzte ein aufdringliches Lächeln auf. „Wir müssen uns das nicht antun, Schätzchen“, flötete er lüstern, „ich kann mir einen schöneren Zeitvertreib vorstellen, als kleine Mädchen zu verhauen.“ Zur Antwort versuchte Tenten ihm die Augen auszustechen.
 

„Na, na!“, rügte der Mann und schlug Tenten mit einer schnellen Bewegung den leichten Dolch aus der Hand. Tenten erstarrte, konnte dem nächsten Schritt nur noch ausweichen, indem sie sich zu Boden warf und stellte zu ihrem Entsetzen fest, dass noch ein Soldat auf sie aufmerksam geworden war. All die Vorbereitung, all das Training! Für nichts und wieder nichts! „Tenten!“ Kankuro musste ihr Dilemma bemerkt haben, doch er war zu weit weg und hatte außerdem selbst Feinde, um die er sich kümmern musste.

Tenten wich zurück, warf einen Blick auf ihre Waffe, doch der zweite Soldat kickte sie außer Reichweite. „Zurück!“, brachte Tenten mit einem Zittern in der Stimme heraus. Sie lachten bloß. Und dann wurde es ihr klar: Ihre Situation war aussichtslos. Sie war ihren Feinden auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Tenten nahm jeden ihrer Herzschläge zehnmal so laut wahr als es normal gewesen wäre. Ihr kleines Herz pumpte Blut durch die Venen und schickte Adrenalin durch ihren Körper. Nur am Rande bekam sie mit, dass sich ihr Körper darauf vorbereitete zu kämpfen oder zu fliehen. Dabei hatte sie zu beidem nicht die Möglichkeit.
 

„Zurück“, befahl Tenten noch mal. Wie dünn ihre Stimme klang! „Lauf’ doch nicht weg!“, bat der kleinere ihrer Peiniger. Tenten merkte nicht mal wie sie zu zittern begann, erst als sie strauchelte und rückwärts hinfiel, wurde sie sich wieder halbwegs ihrer Umgebung bewusst. Eine Wolke hatte sich vor den Mond geschoben. Tenten hatte keine Ahnung, warum ihr das jetzt auffiel, doch das ungute Gefühl von eben kehrte zurück. Es war beinahe so, als krochen die Schatten auf sie zu und – bei den Göttern! – wieso umhüllte der Nebel bereits ihre Knöchel?!
 

Ein Schrei riss sie aus ihrer plötzlichen Trance und Tenten stellte verblüfft fest, dass einer ihrer Angreifer in der Dunkelheit verschwunden war. Sein Kamerad, jetzt nicht mehr so wütend, rief nach ihm, erhielt jedoch keine Antwort.
 

In diesem Moment brach der Mond durch die Wolkendecke. Zuerst sah Tenten den Leichnam. Der Mann lag bäuchlings auf den Boden und aus seinem Rücken ragte eine alte, rostige Klinge. Doch was sie dann sah, ließ das Blut in ihren Adern gefrieren. Ihr Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei.
 

Aus dem Boden der Lichtung streckte sich eine weiße Knochenhand der Nacht entgegen.
 


 

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Chapter 3 ~ I will rise up from the grave

Tenten konnte nicht fassen was sich vor ihren Augen abspielte. Der Nebel wurde zu einer dichten Wand aus undurchdringlichen weißen Dunstschwaden. Und in der weißen Masse tauchten Silhouetten auf. Schatten. Gestalten, die aus dem Nichts kamen. Gestalten, die aus der Erde hervor krochen, mit leeren Augenhöhlen ihre rostigen Waffen schwangen und den Kämpfenden entgegen wankten.
 

Sie zitterte mittlerweile am ganzen Körper und konnte ihre Augen nicht von den Skeletten abwenden, die einfach so aus dem Boden empor wuchsen. Tenten stand schwankend auf und versuchte dabei so unauffällig wie möglich zu sein. Doch noch immer schaffte sie es nicht ihren Blick von den Toten abzuwenden. Wie war das überhaupt möglich! Die Toten… die Toten konnten doch nicht plötzlich umherwandern!
 

„Was ist das!?“, hörte sie eine panische Stimme schreien. Danach nichts mehr. Sekunden verstrichen und dann brach die Hölle los. Überall waren Schreie zu hören. Schreie von Sterbenden, Schreie vor Angst und überall rannten Gestalten herum, die sie nicht mal identifizieren konnte. Wo waren Shikamaru und die anderen? Ging es ihnen gut? Waren sie verletzt!?
 

Tenten musste sich zwingen rational zu denken. Sie holte tief Luft und presste sich gegen einen Baumstamm, um wenigstens den Rücken frei zu haben. Erstens musste sie die anderen finden. Zweitens mussten sie ihre Sachen holen, denn ohne diese waren sie aufgeschmissen. Drittens mussten sie so schnell wie möglich von hier verschwinden. Sie sprach sich gerade Mut für ihr Vorhaben zu, als ein weiterer Ausruf sie vollkommen aus dem Gleichgewicht brachte: „Verdammt! Sie sterben nicht! Sie ster-“ Die Stimme erstarb.
 

Sie konnte nicht anders als noch länger zu lauschen, ob vielleicht noch etwas kam, aber es war vergebens. Diese… – diese Monster! – waren schon einmal gestorben. Wie sollte man jemanden töten, der schon tot war!? „Das war ein verdammtes Schlachtfeld!“, hörte sie auf einmal Kiba rufen. „Wir haben auf einem verdammten Schlachtfeld gelagert!“

Augenblicklich wandte sie den Kopf. Wenn Kiba dort war – am Leben – dann waren ihre Freunde vielleicht auch da. Sie kratzte das letzte bisschen Mut zusammen, schnappte sich die eben verlorene Waffe, eilte an den toten Soldaten vorbei und lief mitten in den Nebel hinein.

Es war, als würde sie unter Wasser tauchen. Sie konnte nichts als ungenaue Konturen sehen und kam nur schwer vorwärts. Selbst der Lärm des plötzlich ausgebrochenen Kampfes hörte sich dumpfer an. Was geschah hier nur? Sie war kaum ein paar Meter vorwärts gekommen, als sie einen Schatten in dieser Suppe erkannte.
 

„Kiba?“, hauchte Tenten. Keine Antwort. „Kiba? Bist du das?“, wiederholte sie, doch die Gestalt im Nebel gab keinen Laut von sich. Dann hörte sie plötzlich ein Geräusch wie nicht von dieser Welt. Tenten konnte nicht sagen, was es war, aber in diesem Augenblick wurde ihr klar, dass sie ganz und gar nicht Kiba vor sich hatte. Der Nebel lichtete sich ein wenig und eine mit einem rostigen alten Schwert bewaffnete Hand streckte sich ihr entgegen. Das Skelett torkelte wie trunken auf sie zu, die leeren Augenhöhlen auf sie gerichtet, obwohl es doch eigentlich gar nichts mehr sehen konnte, und hob die Waffe nachdem es ein paar Schritte gegangen war. Tenten stieß einen grauenerfüllten Schrei voller Angst aus, doch das konnte das Unvermeidliche auch nicht mehr abwenden. Sie stolperte rückwärts und versuchte so schnell wie möglich zu fliehen, doch im nächsten Moment blieb sie an etwas hängen und stürzte rücklings zu Boden.
 

Sie sah sich panisch um und erkannte voller Horror, dass sie über die Leiche des Hauptmanns gestolpert war. War Kiba dann auch … tot? Sie hatte keine Zeit mehr darüber nachzudenken, denn im gleichen Moment stapfte der nächste Untote, oder was auch immer diese Monster waren, aus dem Nebel auf sie zu.
 

Tenten rappelte sich auf, drehte sich um und erstarrte. Hinter ihr krochen weitere Tote aus der Erde. „Hilfe“, flüsterte sie, „Hilfe!“ Die Untoten kamen näher und näher und Tenten wusste plötzlich, dass sie hier nicht mehr lebend rauskommen würde. Ihre Unterlippe bebte und sie biss sich darauf, um nicht völlig die Kontrolle über sich zu verlieren. „Tenten!“ Kankuro. Er kam sie retten. Ihr dummes kleines Herz machte einen Sprung vor Hoffnung. Doch die verschwand im selben Moment, in dem der erste Angreifer ein Messer nach ihr warf und Tenten diesem nur noch ausweichen konnte, indem sie sich zur Seite rollte. Sie öffnete die Augen und plötzlich konnte sie endlich etwas sehen, obwohl sie sich in diesem Moment gewünscht hätte es nicht zu können. Auf dem Boden um sie herum lagen die Leichen der Soldaten, die sie aufgegriffen hatten. Die eben noch ordentlichen Uniformen waren dreckig und blutverschmiert, aus dem Stoff waren Fetzen heraus gerissen und auf der Erde… Ihr wurde übel. Da … da lagen Gliedmaßen, ausgerissene Arme und Beine, manchmal auch nur ein heraus gerissenes Stück Fleisch…
 

Tenten hob den Blick, doch ihre Reaktion kam viel zu spät. Ohne, dass sie es gemerkt hatte, war eines der Scheusale so nah an sie herangekommen, dass es ihren Arm packen konnte. Sie erschauderte, versuchte sich heftig loszumachen und konnte ein angsterfülltes Schluchzen nicht unterdrücken. Jetzt würde sie sterben. Nie zu ihren Eltern zurückkehren, nie wieder mit ihren Freunden lachen, nie wieder die Seiten eines alten Buches umblättern…
 

Der Druck auf ihrem Arm wurde stärker, sie bekam den Griff nicht los und jetzt legte sich auch noch eine zweite Knochenhand um ihren Hals. Tenten versuchte Luft zu holen, doch das Wesen drückte ihr die Kehle zu. Panisch versuchte sie mit nur einer Hand sich zu befreien, doch es war vergebens. Ihre Sicht flimmerte und ihr wurde schwarz vor Augen. Und irgendwie war sie auch froh darüber, weil sie die Skelette dann wenigstens nicht sehen musste, wenn sie sie umbrachten. Der Schmerz durchfuhr sie wie Feuer, als die knochigen Finger sich immer fester um ihren Hals legten.
 

„Tenten!“ Und dann war Kankuro bei ihr, immer noch da, immer noch bereit alles zur riskieren um sie zu retten. Einfältiger Dummkopf. Seine Rufe wurden lauter aggressiver, als müsste er auch sich der Toten erwehren, aber seine Stimme hörte sich immer noch so fern an… Er sollte doch einfach abhauen… Für sie war es sowieso zu spät. Tenten glitt immer tiefer in die Bewusstlosigkeit, nahm nichts mehr wahr… Und dann verschwand der Schmerz plötzlich, auf einmal atmete sie wieder frische, kalte Luft, in ihrem Kopf drehte sich alles, aber langsam kam sie wieder zu sich. Jemand hatte das Skelett von ihr weggerissen. Statt der eiskalten Finger spürte sie eine verhältnismäßig warme Hand an ihrem Hals. Anscheinend untersuchte jemand, wie schwer sie verletzt war.
 

Sie blinzelte verwirrt. Ihre Umgebung wurde wieder schärfer, sie erkannte jemanden neben ihr. Jemand lebendigen. „Hab’ keine Angst“, sagte eine Stimme. Tenten hatte keine Ahnung, wer es war, aber sie klammerte sich an seine Worte wie an nichts zuvor.
 

Dann hörte sie das unverkennbare Geräusch, wenn ein Schwert aus einer Scheide gezogen wurde. Sie blinzelte und fand sie plötzlich mitten in der Realität wieder. Und zu ihrem Unglauben war es Neji, der sie gerettet hatte. Er wandte leicht den Kopf zu ihr und die Panik wich ein wenig. „Bleib hinter mir und komm ihnen nicht zu nah.“, befahl er und Tenten nickte mechanisch. Dann löste er sanft den Griff von ihrem Handgelenk, an dem er ihren Puls gefühlt haben musste, und trat den Toten entgegen. Tenten, noch immer unter Schock stehend, beobachtete die Szene völlig regungslos, bis ihr etwas einfiel. „Neji!“, rief sie heiser, „Halt! Du kannst doch nichts sehen! Sie-“ Doch er stürzte sich schon auf die Untoten.
 

Tenten beobachtete mit vor Angst geweiteten Augen, wie die Kontrahenten aufeinander prallten. Kaum, dass Neji ihr geholfen hatte, hatte er alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Vorbei war der Moment, da sie geglaubt hatte, alles würde gut werden. Diese Scheusale würden den Blinden in Stücke reißen! Die Untoten hatten sich mit einem Mal in apathischer Manier umgewandt und griffen alle zugleich an. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Er konnte doch nichts sehen, er war ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, er-
 

Mit einem einzigen Hieb seiner silbernen Klinge zerfiel das erste Skelett zu Asche. Das war doch nicht möglich. Er wich jedem einzelnen Angriff aus, trug nicht mal eine Schramme davon und wirbelte das schmale Schwert so schnell herum, dass Tenten nicht mehr mitkam, wie viele er erledigte. Mit jedem der Untoten, der zu Asche zerfiel, lichtete sich ein wenig der Nebel. Tenten konnte klarere Konturen erkennen, aber sie schaffte es nicht ihren Blick von dem Kampf zu lösen.
 

„Tenten! Geht es dir gut?“ Kankuro kam bei ihr an, in seinen Augen stand eine furchtbare Angst und er schloss sie so plötzlich in die Arme, dass Tenten keine Zeit blieb darauf zu reagieren. „Komm! Wir müssen hier weg!“ Er packte sie am Handgelenk und zog sie auf die Beine. Tenten sah ihm ins Gesicht und konnte den Lauf der Dinge nicht mehr begreifen. Alles ging so schnell! Erst jetzt betrachtete sie ihn genauer. Er hatte einen Bluterguss über dem linken Auge und über Brust, Armen und Gesicht ein paar mehr oder minder schlimme Schnittwunden. Außerdem sah es so aus, als wäre seine Schulter ausgerenkt. Als ob eines der Skelette auch versucht hätte bei ihm…
 

„Aus dem Weg!“ Neji war so plötzlich wieder bei ihnen und wehrte einen weiteren Untoten ab, den weder sie noch Kankuro bemerkt hatten. Kaum war dieser zu Asche zerfallen, nahm Neji eine lauernde Haltung ein. „Passt auf: Sie könnten überall sein“, erklärte er grimmig. „Wieso kannst du sie töten?“, fragte Kankuro völlig verdattert, „als ich das versucht habe, haben sich ihre Knochen einfach wieder zusammen gesetzt-“ „Ich bin nicht wie du“, schnitt ihm der Blinde das Wort ab. Damit richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Lichtung. Er schien sich zu konzentrieren und rührte sich nicht. Tenten tauschte einen Blick mit Kankuro, doch der starrte Neji noch immer voller Unglauben an. Stille legte sich über die Lichtung, der Nebel wurde wieder dichter und Tenten wurde klar, dass der Angriff noch längst nicht ausgestanden war.
 

„Rechts!“, rief Neji plötzlich. Tenten wandte den Kopf um, nur um zu erkennen, dass sich aus der Nebelwand ein Schatten löste, der schnell auf sie zukam. Kankuro hob sein Schwert, doch Neji gebot ihm wortlos zu warten. Ein Soldat kam auf sie zu gerannt. Seine Uniform war blutdurchtränkt, er hatte seine Waffe verloren und war offensichtlich in einem Zustand, in dem das rationale Denken bereits ausgesetzt hatte. Und hinter ihm waren drei bis vier Untote, die sich in einem bedrohlichen Tempo bewegten. Kankuro machte eine ruckartige Bewegung. „Bleibt, wo ihr seid!“, sagte Neji scharf. „Aber-“, mischte sich Tenten zaghaft ein. „Die bringen ihn um!“, fuhr Kankuro dazwischen, „wenn du was tun kannst, dann tu es zum Teufel noch mal!“ Der Soldat stieß einen Schrei voll Todesangst aus und fing dann an zu wimmern: „We-weg’ von mi-ir ihr Ungeheuer… ha-habt Erbarmen…“
 

„Neji, bitte“, flehte Tenten. Kurz huschten die blinden Augen in ihre Richtung und erzeugten die Illusion, er hätte sie angesehen. Dann schüttelte er wortlos den Kopf. Ein weiterer schriller Schrei zog Tentens und Kankuros Aufmerksamkeit auf sich. Einer der Untoten hatte den Mann an den Haaren gepackt und seine Knochenfinger strichen ihm fast zärtlich über den Hals. Voll Panik versuchte sich der Gefangene zu befreien, aber zwei weitere Skelette hatten seine Arme gepackt und zerrten ihn zurück, sodass er dem ersten seinen Hals offenbarte.
 

Eine Sekunde lang begegnete Tenten dem Blick des Mannes. Da war so eine fürchterliche, schreckliche Angst in seinen Augen. Eine Angst, die alles in ihm zu beherrschen schien und jedes rationale Denken unmöglich machte. Der Nebel wurde wieder dichter und hüllte die Gestalten ein. Sie warteten atemlos einen Moment, dann hörten sie einen Schrei, der abrupt verstummte und die weißen Nebelschwaden wurden so dick, dass Tenten die Hand nicht vor Augen sehen konnte. Allein das Atmen von Neji und Kankuro zeigte ihr, dass die beiden noch neben ihr standen.
 

„Jetzt, Kiba!“, rief Neji plötzlich zu ihrer Linken. Und dann passierte etwas, dass Tenten vor Ehrfurcht erstarren ließ. Ein Pfeil wie von weißem Licht umgeben schoss aus dem Nirgendwo in die Richtung, in der sie eben noch die Untoten gesehen hatten. Der Schuss war von anmutiger Kraft und Schnelligkeit. Beinahe überirdisch und als sich der Nebel erneut fast vollständig verzog, wusste Tenten, dass Kiba getroffen hatte. Ein wenig Staub, dass auf den Soldaten herab rieselte, war das einzige, das von den Toten übrig blieb.
 

Und dann tauchte Kiba im Nebel auf. Den Bogen immer noch gespannt und die Augen in höchster Konzentration verengt. Es ging eine solche Macht von ihm aus, dass Tenten ein kalter Schauer über den Rücken rann. Sie hatte sich nicht getäuscht. Diese Wildheit in ihm brach sich in einer so brachialen Kraft frei, dass sie ehrfürchtig die Augen senkte. Es schien ihn nicht einmal zu kümmern, dass dicht neben ihm zwei weitere Untote aus der Erde wuchsen. Im nächsten Moment sprang Akamaru über ihn hinweg und riss das ihm am nächsten stehende Skelett in Stücke.
 

Kiba legte einen weiteren Pfeil an, streckte das letzte verbleibende Geschöpf nieder und der Nebel löste sich vollkommen auf. Tenten wagte kaum zu atmen. Endlich konnte sie die Lichtung wieder vollständig sehen. Aber das Bild, das sich ihr nun bot, war grauenhaft. Leichen um Leichen lagen im Gras. Verlorene Waffen, die ihren Besitzern offensichtlich nicht von Nutzen gewesen waren, steckten in der Erde. Das Gras war an vielen Stellen blutbeschmiert und im Schatten der Bäume sah Tenten ein paar Gestalten, die ihr Heil in der Flucht suchten. Das musste wohl der Überrest des Soldatentrupps sein. Ein metallenes Geräusch lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich. Neji hatte das Schwert wieder in die Scheide gleiten lassen und verkündete: „Wir sind in Sicherheit.“
 

„Tenten! Kankuro!“, hörten sie auf einmal Shikamaru rufen. Tenten drehte sich um. Shikamaru kam mitsamt Suigetsu im Schlepptau über die Lichtung auf sie zugeeilt. Hinter ihnen ließ sich Kiba zu einem gemächlichen Gang herab. Der riesige Hund trottete neben ihm her; er trug noch einen knochigen Arm im Maul. Kiba und sein tierischer Begleiter schienen ebenso wie Neji vollkommen unverletzt aus dem Kampf hervor gegangen zu sein. Was man von Shikamaru und Suigetsu eher nicht sagen konnte. Suigetsus Messergürtel hatte sich erstaunlich geleert und Tenten konnte nur vermuten, dass er die Waffen bei dem Versuch sich zu verteidigen verloren hatte. Seine Kleidung war an manchen Stellen zerrissen und er bewegte sich vorsichtig, als hätte er irgendwo eine Wunde, die ihm schwer zu schaffen machte. Shikamaru sah ein wenig besser aus. Er hatte lediglich einen unschönen Schnitt über der Wange, vermutlich ein paar blaue Flecke, wirkte ansonsten aber unverletzt.
 

Shikamaru, Suigetsu und Kiba gefolgt von Akamaru kamen bei Tenten, Neji und Kankuro an. Shikamaru hielt erschöpft inne. Einen Moment lang schien er kein Wort herausbringen zu können, dann murmelte er: „Geht es euch gut?“ „Den Umständen entsprechend“, knurrte Kiba zurück, „was ist mit euch?“ Auf irgendeine verquere Weise schien diese Frage Kiba und Neji nicht mit einzuschließen. Shikamaru zuckte mit den Achseln. „Sie haben Suigetsu an der Schulter erwischt“, erklärte er möglichst diskret. Besagter wirkte etwas abwesend und war merkwürdig still, als würde er innerlich gegen den Schmerz ankämpfen. „Lass mich mal sehen“, verlangte Kiba plötzlich. „Kümmer’ dich um deinen Kram“, schnappte Suigetsu als Kiba gerade die Hand ausstreckte.
 

„Ich würde es nicht drauf ankommen lassen“, mischte sich Neji ein, „der Schnitt ist lang und ziemlich tief. So wie er jetzt ist kann er sich leicht entzünden. Du willst doch keinen Wundbrand riskieren, oder?“ Wieder huschten Tentens Augen zu Neji und abermals fragte sie sich, wie er denn wissen konnte, was Suigetsu fehlte. Der holte scharf Luft und seine Schmerzen schienen jetzt so groß geworden zu sein, dass die Vernunft über den Stolz siegte. Zwar warf Suigetsu Neji einen wütenden Blick zu, ließ sich aber auf dem Boden nieder und von Kiba aus dem blutigen Hemd helfen.
 

Tenten riss bei dem Anblick die Augen auf. Neji hatte recht gehabt. Suigetsu hatte eine lang gezogene Wunde über der Brust, die stark blutete. Kiba nahm ein paar Utensilien aus einer der Taschen, die in den Satteltaschen seiner Stute untergebracht waren. Während er die Wunde versorgte, sprach niemand ein Wort. Lediglich Suigetsus unterdrückte Schmerzenslaute waren zu hören. „Fertig“, sagte Kiba, nachdem er die Verletzung verbunden hatte, was schneller gegangen war, als Tenten erwartet hatte. „Überanstreng dich nicht.“ Suigetsu stieß ein Schnauben aus. „Ich komm’ schon klar.“ „Das habe ich gesehen“, antwortete Kiba trocken, „Nächstes Mal kannst du sehen, wie du aus so einer Situation wieder rauskommst.“ Schweigen. Es war Kankuro, der die Stille durchbrach und endlich die Frage stellte, die ihnen allen auf der Zunge lag: „Was waren das für Wesen?“
 

„Untote“, erklärte Neji, „Tote Körper, die durch Nekromantie, schwarze Magie, wieder zum Leben erweckt wurden. Wahrscheinlich war dies hier mal ein altes Schlachtfeld.“ „Aber wie…?“, bohrte Kankuro weiter. „Das spielt keine Rolle“, schnitt ihm Neji das Wort ab, „die Magie ist verflogen, in einem Umkreis von einigen Meilen befindet sich kein Untoter mehr. Wir sind in Sicherheit.“ Das war nicht die Antwort auf die Kankuro gehofft hatte. Wie, wenn sie schon tot waren, war es Neji und Kiba gelungen sie ein zweites Mal zu töten? Das war die Frage, die ihr Gefährte eigentlich hatte stellen wollen. Doch Neji war ihr bewusst ausgewichen.
 

„Woher willst du das wissen?“, brauste Kankuro plötzlich auf, „ich muss wissen wie wir uns verteidigen können! Sie könnten überall auftauchen, ich muss-“ „Nein“, sagte Neji leise, „das kann man nicht so leicht tun.“ Aber wie… wie hatten sie es dann geschafft? „Nehmt die Beine in die Hand, wenn sie euch noch mal über den Weg laufen“, empfahl Kiba. „Aber wenn ihr das nicht könnt, baut euch große Feuer. Es gibt nur drei Möglichkeiten, sie wirklich zu erledigen.“ Neji wandte ihm kurz den Kopf zu und hob dann einmal leicht die Schultern. „Erstens, ihr nutzt besondere Waffen, so wie wir das tun. Die sind aber nicht leicht zu besorgen, es gibt nur wenige. Zweitens, schlagt ihnen die Köpfe ab. Das unterbricht die Magie und sie werden wieder zu dem, was sie wirklich sind. Drittens, das Feuer…“ Seine Stimme verklang, aber Kiba nahm sofort den Faden wieder auf. „Die mögen das nicht. Eine Freundin hat die Theorie, dass die Flammen diese schwarze Magie reinigen und damit neutralisieren. Außerdem zerstört es die Körper und ohne Körper keine Untoten; sie fürchten das Feuer. Darum verbrennen wir unsere Toten und vergaben sie nicht in der Erde.“
 

„Wir werden euch nun verlassen“, fuhr Neji fort, „ihr könnt gefahrlos weiter reisen.“ Tenten spürte eine Präsenz hinter sich und stellte erstaunt fest, dass es die Schimmelstute war, die sie anstupste und sie aus treuen, klugen Augen ansah. Es war seltsam, wie ruhig das Tier trotz dem, das sich zugetragen hatte, war. Neji und Kiba, dessen Scheckstute ebenfalls wieder aufgetaucht war, saßen beide auf ihren Pferden auf und ließen sie in leichten Schritt fallen. Sogar der Esel, immer noch voll beladen, war wieder da, Kiba packte dessen Strick und zog ihn mit sich. „Lebt wohl“, verabschiedete sich Neji. Kiba zuckte mit den Achseln. „Vielleicht sieht man sich ja mal wieder.“ Dieses Lebewohl kam so unerwartet, dass Tenten zuerst gar nicht verstand, dass sich die beiden gerade von ihnen verabschiedet hatten. Doch dann sickerte die Information langsam durch. Sie verließen sie. So plötzlich wie sie gekommen waren. Sie hatten ihnen das Leben gerettet. Ohne sie wären sie jetzt alle tot. „Danke!“, platzte es aus ihr heraus, „danke für alles! Das werde ich nie vergessen!“ Kiba und Neji drehten sich nicht mehr um, doch Tenten hatte trotzdem das Gefühl, dass beide sie gehört hatten. Die Pferde verfielen in leichtes Traben und verschwanden mitsamt ihren Reitern und dem großen Hund im Unterholz.
 

„Lasst uns gehen“, bestimmte Shikamaru auf einmal, „hier halte ich es keine Minute länger aus.“ Er ließ den Blick nochmals über das Schlachtfeld schweifen und raffte die Schultern. Nach wenigen Minuten hatten sie ihr Gepäck eingesammelt und waren trotz der Dunkelheit auf dem Weg zu Bärenweiler.
 

Ihr Marsch war erstaunlich still, aber vermutlich standen sie alle viel zu sehr unter Schock. Sie setzten Fuß um Fuß voreinander und konzentrierten sich nur noch darauf vorwärts zu kommen. Sie waren todmüde, aber keiner von ihnen konnte nach der Begegnung mit den Untoten an Schlaf denken. So vergingen viele Stunden, in denen kein Wort fiel und jeder seinen eigenen Gedanken nachhing.
 

Als die Sonne schließlich aufging, war ihnen ein wenig wohler zumute. Der Tag ließ die Ereignisse der Nacht nicht mehr ganz so schrecklich aussehen und Tenten fand langsam wieder ein bisschen mehr zu sich selbst zurück. In manchen Momenten glaubte sie sogar sie habe sich alles nur eingebildet, aber ein Blick auf die Verletzungen der übrigen Rebellen machte diese Hoffnung zunichte. Gerade, als sie die leere Hauptstraße erreichten, blieb Shikamaru stehen. Schon seit einiger Zeit wirkte er nachdenklicher denn je und Tenten konnte nur mutmaßen, was ihm durch den Kopf ging.
 

„Wisst ihr, was seltsam war?“, fragte Shikamaru plötzlich und sah jeden von ihnen eindringlich an, „sie waren nicht überrascht. Es war beinahe so als hätten sie so etwas schon einmal erlebt…“
 


 

~ [ ♦ ] ~
 

Die Sonne schien ungewöhnlich heiß vom Himmel, viel zu warm für den späten Herbst. Auf den Feldern stand junges Korn und das Gras war lebendig grün. Die Hufe der zahlreichen Pferde klangen dumpf auf dem trockenen, festen Erdboden der Straße, die sich in langsamen Schlangenlinien nach Westen zog.
 

Konans Rücken war gerade wie ein Stock und angespannt wie eine Bogensehne. Hinata würde wetten, dass die ältere Frau in dieser Nacht nicht gut geschlafen hatte und völlig verspannt aufgewacht war. Auch die Magierin selbst hatte keine gesegnete Nachtruhe gehabt, trotz der Betten, die zu den bequemsten gehörten, in denen sie je gelegen hatte. Aber die Sorge um Neji und die anderen zwei ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Für Konan musste es noch schlimmer sein. Hinata wusste zumindest, dass es Neji gut ging. Konan wusste nichts von ihrem Gefährten. Natürlich machte die Magierin sich ebenfalls Sorgen um Pein und Kiba, aber die Bindung zwischen ihr und Neji oder jene zwischen Konan und Pein war doch völlig anders und so viel tiefer.
 

Wenigstens wusste sie, dass es Neji gut ging und, dass sie sich aufeinander zu bewegten.

Am letzten Tag hatten die beiden Frauen sich darüber unterhalten und es war anzunehmen, dass Kiba bei ihm war. Nur Peins Aufenthaltsort, der vor ihnen und in niemandes Nähe geritten war, war ihnen ein Rätsel. Und wie konnten sie hoffen, ihn jemals wieder zu sehen? Hinata schluckte und verbot sich den Gedanken. Sie würden nach ihm suchen und er nach ihnen. Sie würden sich finden. Sie hatte es Konan immer wieder versichert, versichern müssen, weil die Kriegerin, da war Hinata sich sicher, sonst einfach auseinander fallen würde. Es war seltsam, die andere so zu sehen. Hinata wusste, dass auch Konan nur ein Mensch war. Trotz aller Legenden und Mysterien, die sich um die Schattengilde und ihren Schwarzen Schmetterling rankten, die Konan selbst nur noch verstärkte.
 

Die junge Kriegerin war immer beherrscht und gefasst. Es gab nur wenig, das sie erschüttern konnte, aber jetzt... Hinata hatte sie Druck standhalten sehen, der Könige, Helden und Unsterbliche erst in die Knie gezwungen und sie dann endgültig gebrochen hatte. Aber jetzt war es anders. Damals hatte sie immer Pein an ihrer Seite gehabt, eine Stütze, eine Säule, unverrückbar und stark. Doch er war nicht mehr da und Konan war plötzlich darauf angewiesen wieder völlig ohne ihn klar zu kommen.

Es war verrückt. Konan wurde ohne ihn nicht zu einem zitternden Wesen, das nichts alleine schaffte, aber seine Abwesenheit und die Auswirkungen auf Konan waren deutlich zu spüren. Dazu kam die Ungewissheit um das Schicksal ihrer Gefährten, das alles nur noch schlimmer machte.
 

Trotzdem hatte Konan am letzten Abend mit Hinatas zögerlicher Hilfe einige Informationen zusammengetragen. Sie befanden sich südlich der Zwielichtberge und das Dorf, in dem sie die Nacht verbracht hatten, war unter dem Namen Bergwurzel bekannt. Es war der Frühling des Jahres 834 n.d.T., was auch immer dies bedeuten mochte. Hinata hatte noch nie von dieser Zeitrechnung gehört oder von einer anderen, die über acht Jahrhunderte hinweg Bestand hatte. Sie hatten nicht danach gefragt, um kein Misstrauen hervorzurufen. Sie hatten aus diesem Grund viele Fragen nicht stellen können. Aber wenigstens wussten sie jetzt, wo sie sich befanden und das es auf irgendeine geheimnisvolle Weise nicht mehr dort war, von wo aus sie aufgebrochen waren.
 

Sie hatten nicht nach dem Krieg gegen Orochimaru gefragt. Vielleicht war dies eine Parallelwelt, in der es diese Kriege niemals gegeben hatte. Oder… Hinata schob den Gedanken beiseite. Das war einer der Punkte, bei dem sich die beiden Frauen einig geworden waren. Die Frage, wo sie waren und wie sie hergekommen waren, würden sie sich für später aufheben. Erst würden sie nach Neji, Pein und Kiba suchen. Dann konnten sie sich Gedanken um den Rest machen. Einen Punkt nach dem anderen, Schritt für Schritt. Das war das Beste.
 

Während ihrer vorsichtigen Fragerei am letzten Abend hatten sie die Händler getroffen, die sie gesehen hatten, als sie auf das Dorf zuritten. Die meisten Antworten hatten sie von ihrem Anführer bekommen, einem großen, schmerbauchigen Mann, der viel lachte und Konan gern in seinem Bett gehabt hätte. Hinata fragte nicht, wie die ältere Frau seine Blicke ertragen hatte – sie selbst hätte sich so schmutzig gefühlt, als wäre sie während eines Unwetters in einem Moor spazieren gegangen – aber Konan hatte es ausgenutzt und neben Antworten auch noch das Angebot bekommen, für die nächsten Tage mit der Karawane zu reisen. Sie zogen immerhin in dieselbe Richtung und auf diese Weise war es sicherer. Obwohl Hinata nicht genau wusste, ob dieser Schutz überhaupt nötig war. Immerhin waren Konan und sie nicht wehrlos.
 

In ihrer eigenen Welt wäre es närrisch gewesen, nicht anzunehmen, aber hier? Sie stockte. War es jetzt schon so weit, dass sie sich in einer fremden Welt betrachtete? Das war doch alles verrückt! Entschlossen, nicht mehr an dieses Thema zu denken, richtete sie sich im Sattel auf und blickte nach vorn. Konan und sie hatten sich zum Schlusslicht der Karawane gemacht, so dass sie die lange Reihe an Pferden, Karren und Reitern vor sich sah. Die Schattenkriegerin ritt im Moment neben einem der gut bewaffneten Söldner, die der Händler angeheuert hatte. Hinata richtete ihre Aufmerksamkeit gerade in dem Augenblick auf die beiden, als der Krieger ihre Begleiterin nach der weißen Rose fragte, die sie stets im Haar trug. Sie sah wie Konan sachte die filigrane Blüte mit den Fingern berührte und dann mit leiser Stimme erklärte: „Nagato hat sie mir geschenkt.“ Auf den fragenden Blick ihres Gesprächspartners fuhr sie fort: „Sie ist ein Beweis.“ Der Krieger wirkte verwirrt. „Ein Beweis für was?“ Konan schenkte ihm einen geheimnisvollen Blick. „Das ist für ihn zu sagen und für mich zu wissen.“
 

Der Mann starrte sie für einen Moment an, dann lachte er und wechselte das Thema. Konan ließ ihn und hörte größtenteils nur zu. Sie war noch nie die große Rednerin gewesen. Stattdessen ließ sie den Söldner plaudern, über dies und jenes, hörte konzentriert zu, filterte eventuell nützliche Informationen aus dem belanglosen Gerede und behielt ein halbes Auge auf die Umgebung gerichtet. Hinata wandte sich wieder ab. Konan entlockte dem Mann Informationen. Die Magierin konnte darum ihre Aufmerksamkeit vollständig der Umgebung widmen.
 

Viel war nicht zu sehen, wenn man einzig von dem Standpunkt ausging, nach Bedrohungen Ausschau zu halten. Felder und Weiden zogen an ihnen vorbei und machten weiten Teilen an lichten Wäldern Platz, in denen sich Nadel- und Laubbäume abwechselten. Hecken säumten die oft benutzten und größtenteils sogar befestigten Wege und zwei- oder dreimal hatte sie weiter entfernt kleine Dörfer gesehen. Offensichtlich war dies eine relativ dicht besiedelte Gegend. Dieses Land, dachte sie immer wieder erstaunt, war so ganz anders als das, aus dem sie kam. Und sie wünschte sich jedes Mal, dass sie hier hätte aufwachsen können, nicht in jenem kriegszerfressenen Reich, das sie aus ihrer Kindheit kannte.
 

„… sich einige gefährliche Individuen herumtrieben.“, bemerkte der Söldner, mit dem sich Konan im Gespräch befand, gerade. „Ich meine, nicht nur die Wegelagerer, die es überall gibt, sondern auch eine Gruppe von gefährlichen Rebellen.“ „Rebellen?“, hakte die Kriegerin nach, die – ganz genau wie ihre Freundin – keine Ahnung von den hiesigen Problemen, Gesellschaftsstrukturen und der Bevölkerung und ihren Wünschen hatte. Hinata richtete ihre Aufmerksamkeit für einen Moment auf den Mann, gerade, als dieser mit den Schultern zuckte. „Ihr kommt wahrlich von weit her, wenn Ihr darüber nicht Bescheid wisst.“ Er lachte kurz. Dann senkte er die Stimme, als er weitersprach: „Aber unser Land ist nicht so friedlich, wie es scheint – die einst stolze Linie des rechtmäßigen König vertrieben von seinem angestammten Thron, der Usurpator längst auf gefestigtem Sitz, doch noch immer haben wir Gegenstimmen und Aufruhr im Volk. Man wird sie hier in Konoha niemals wirklich akzeptieren, solange die Linie Yahikos I. noch besteht und alle wissen, dass sie das tut. Die Uchiha haben nicht viele Freunde hier.“
 

Der Mann spuckte verächtlich aus. „Verschiedene Gruppen von Rebellen beweisen dies Tag um Tag mit mehr oder wenig Rücksicht auf die friedliche Bevölkerung. Und erzählt niemandem, dass ich das gesagt habe. Damit macht man sich nirgendwo Freunde.“ Er klang plötzlich zornig auf sich selbst. „Das war dumm von mir.“ Mit diesen Worten trieb er sein Pferd an, so dass es schneller ging, damit er die beiden Frauen hinter sich lassen konnte. Konan warf einen besorgten Blick zu Hinata, die ihn erwiderte.
 

Anscheinend trog hier der Schein und es war nicht alles so friedlich, wie es auf den ersten Blick gewirkt hatte. Hinata seufzte – aus war der Traum, der zu schön gewesen war. Krieg und Leid würden das menschliche Leben bis zum Ende begleiten, das hatte sie schon immer gewusst. Diese kurze Zeitspanne, die sie hier in dieser seltsamen Gegend gewesen waren, hatten sie, trotz aller Sorgen um die verschwundenen Freunde, hoffen lassen – auf eine andere Zukunft, auf etwas Besseres, auf eine Zeit, in der Menschen friedlich nebeneinander lebten, wo jeder reich war und niemand leiden musste. Die Hoffnung, dass der Kampf, dem sie ihr Leben gewidmet hatte, etwas brachte, den Keim säte, der zu einer wunderschönen Blume des Friedens erblühen würde. Aber sie hätte es besser wissen müssen.
 

Wie oft hatte sie gesehen, dass Neid, Gier und Furcht die Menschen zu unglaublich grausamen oder dummen Taten trieben? Zu Hinterlist, Falschheit, Feigheit und Hass? Dazu, selbst mit jemandem wie Orochimaru Bündnisse einzugehen? Dazu, sich gegenseitig mit der Waffe in der Hand alles streitig zu machen, für alles, was sie haben wollten und noch ein bisschen mehr? Dazu, sich für einen Apfel oder eine Münze umzubringen? Und dann hatte sie glaubt, es könnte alles gut werden? War sie denn ganz verblödet? Sie senkte den Kopf und lächelte traurig. Nein, nicht blöd – nur naiv und hoffnungsvoll. Sie hatte auf ihren Reisen und schon lange davor viel Schlechtes in den Herzen der Menschen gesehen, aber auch so viel Gutes. Vielleicht hatten diese Leute hier einfach keinen Lichlord, aber dafür einen anderen Feind.
 

Vielleicht war es einfach das und die Große Goldene Zeit der Menschen würde noch kommen.
 

Die bewaffneten Männer, die plötzlich aus dem Wald traten, überraschten selbst die erfahrene Kriegerin und die aufmerksame Zauberin. Es war, als würden sie einfach aus dem Boden wachsen oder wie Schatten aus Schatten treten. Sie waren alle bewaffnet mit mehr als nur einem kleinen Dolch oder einem groben Knüppel und sie hielten ihre blanken Waffen, als wüssten sie genau, wie sie sie einsetzen mussten. Keiner von ihnen machte sich noch die Mühe, eine Maske zu tragen, so als wüssten sie genau, dass man sie bereits kannte, oder als wollten sie eben dies.
 

Hinatas Hand zuckte automatisch zu ihrem Medaillon, dann änderte sie ihre Meinung und schloss die Hand um den Griff ihres Kurzschwertes um es zu ziehen. Sie würde jetzt sicher noch nicht anfangen, Magie um sich zu werfen, und vielleicht konnte man diese Situation auch friedlich beilegen, auch wenn ihre Hoffnungen in diese Richtung nicht sonderlich groß waren. Sie ließ ihren Hengst neben Konans Pferd gehen, so dass sie eng nebeneinander standen und sich gegenseitig Deckung geben konnten. Die Kriegerin hatte den schweren Reitersäbel gezogen, das vor ihr am Sattel hing und einen ihrer wertvollen Dolche, eine vollkommen schwarze, scheinbar einfache Klinge, die jedoch so meisterlich gearbeitet war wie kaum eine andere Waffe. Aber gegen die Bögen, die auf sie gerichtet waren, kamen sie nicht an und es wäre Selbstmord anzugreifen. „Das werdet ihr nicht brauchen, Mädels.“, spottete jemand hinter ihnen und Hinata wandte sich um, um auf den Sprecher herabzusehen. Er war groß und kräftig, sein Gesicht wirkte ungepflegt und in den Händen trug er eine große Axt, die eher wirkte, als sei sie zum Bäume fällen geschaffen worden als für das Kriegshandwerk. „Ehe ihr euch noch selbst verletzt.“
 

Hinata zog eine Augenbraue hoch – wirkten sie unfähig auf ihn? – und Konan ignorierte ihn völlig – zumindest schien es so. Als endlich Ruhe in die Karawane kam, trat der Anführer der Wegelagerer vor. „Wer ist euer Anführer?“, wollte er mit einer tiefen, einnehmenden Stimme wissen und blickte sich aufmerksam um. Hinata konnte sehen, warum die Männer ihn anerkannten – er wirkte charismatisch, intelligent und so, als wüsste er, was er tat. Aus der Gruppe der Reisenden löste sich inzwischen der dicke Händler, der das Wort über die Karawane führte. „Das wäre ich. Was wollt Ihr, Gesindel?“ Niemand konnte behaupten, dass der Mann feige war – höchstens dumm. Doch der Räuber lachte nur über die Beleidigung. „Passt auf, was ihr sagt. Ich glaube, im Moment sind wir im Vorteil.“ Er machte eine Bewegung, die auf seine Männer verwies, die nun teilweise lachten. Wie wahr diese Worte doch waren. Hinata schluckte und hoffte, der Händler würde sie nicht noch weiter reizen. Immerhin waren auch sie und ihre Gefährtin im Moment Teil der Karawane. „Aber wir sind keine Barbaren.“, fuhr der Räuberhauptmann fort. „Wir sind ehrliche Kämpfer auf der Seite des einzig wahren König Konohas. Wir wollen euch nichts Böses. Aber auch wir müssen essen und schlafen und Geld, Nahrung und Unterkunft fallen nicht vom Himmel. Also bitten wir alle vorbeireisenden Händler um eine Tributzahlung – wir alle wollen schließlich, dass unser schönes Land befreit wird von diesen Usurpatoren.“
 

Die Worte hingen für einen Moment in der Luft. „Lumpenpack seid ihr!“, bellte der Händler als Antwort. „Ich würde meinen Besitz darauf wetten, dass euer verbannter König nicht einmal weiß, dass es euch gibt, geschweige denn derartiges Verhalten begrüßt. Und wenn er es doch befürwortet, geschieht ihm recht, was mit ihm ge…“ Das Wort wurde ihm abrupt abgeschnitten, als der Räuber ihm ins Gesicht schlug. Hinata zuckte durch das laute Geräusch von einer Faust in weichem Fleisch zusammen. Anscheinend konnte man diese Männer verspotten und beschimpfen, wie man wollte, aber wehe, man sprach ein schlechtes Wort gegen ihren König. Hinata fragte sich, ob dieser tatsächlich hinter dem Überfall stand oder ob sein Name einfach nur missbraucht wurde. Wie auch immer es war – sie hatte kein Interesse daran, sich an den örtlichen Streitigkeiten zu beteiligen, sich einzumischen oder hineingezogen zu werden. Sie wollte diesen König, seine Familie und seine Leute einfach nicht treffen. Sie wollte einfach nur nach Hause, selbst wenn dort nur Kämpfe und Untote auf sie warteten.
 

„Hütet Eure Zunge!“, bellte der Wegelagerer. „Niemand beleidigt den König! Und jetzt – die Hälfte eurer Güter, bitte.“ Den letzten Satz hatte er wieder mit der bekannten Ruhe gesprochen. „Wie ihr seht, sind wir nicht völlig unmenschlich – wir lassen euch genug übrig. Auf, Männer!“ Jetzt kam Bewegung in einige der Räuber. Sie traten vor und begannen, sich mit den Packwagen zu beschäftigen, auf denen die Händlergruppe ihre Waren beförderte. Hinata fragte sich, ob die übrigbleibende Hälfte tatsächlich genug war, den Einkauf zu decken. Konan währenddessen beschäftigte sich mit etwas anderem. Sie legte den Kopf schief, als würde sie lauschen, dann ließ sie Nachtherz einige Schritte zurücktänzeln. „Hörst du das?“, wollte sie wissen, aber Hinata musste den Kopf schütteln. Was hören? Da waren das Murren der Händler, auf die niemand achtete, das Rascheln und Klirren der Kleidung und Waffen der Söldner, die bewacht wurden, die aufgekratzten, erfreuten Stimmen der Wegelagerer – oder Rebellen, wie sie sich selbst wohl bezeichneten – der Wind, der durch die Äste der Bäume fuhr, das Schimpfen einiger Vögel… Das Trappeln von Hufen und der schwere Schritt einer bewaffneten Truppe. Anscheinend bemerkte es niemand außer ihnen beiden, zu sehr waren alle anderen auf die Räuber oder ihre Aufgaben konzentriert. Und Hinata hütete sich, etwas zu sagen. Wer auch immer das war, schlimmer als das hier konnte es nicht werden, oder?
 

Als endlich einer der Wegelagerer einen Warnruf ausstieß, war es zu spät. Soldaten zu Fuß oder zu Pferde kamen in schnellem Tempo um die Biegung, die weiter vorn lag, und den Weg hinunter. Einige der Räuber reagierten schnell; es waren die, die Glück hatten. Sie fuhren, aus Reflex oder wegen langer Übung, einfach herum und türmten in den Wald, wo sie verschwanden wie Schatten. Hinata hatte keinen Zweifel, dass man sie während der nächsten Tage suchen würde, aber sie hatte ebenso wenig den Zweifel, dass man sie nicht finden würde. Die Soldaten waren diszipliniert und ließen die wenigen Männer fliehen; sie schwärmten auf ein Wort ihres berittenen Anführers aus und umringten alle anderen – Räuber wie Händler – einfach. „Was geht hier vor?“ Der Befehlshaber der Soldaten trieb sein schweres, beinahe monströs großes Pferd vor. Hochaufgerichtet saß er im Sattel, den Rücken stolz gereckt, mit einem Schild am Arm und einem Schwert am Gürtel. Er hatte sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, es zu ziehen. Anscheinend vertraute er ganz auf seine Soldaten, die bereits dabei waren, die Wegelagerer zu selektieren und zu entwaffnen. Offenbar war dieses Vertrauen voll und ganz gerechtfertigt. Hinata schob ihre Klinge wieder in die Scheide zurück und sah aus den Augenwinkeln, dass Konan es ihr gleichtat.
 

Der Anführer der Soldaten sah sich kurz um und blickte dann den dicken Händler an, der sich im Moment vorsichtig das Gesicht betastete, dort, wo der Räuber ihn geschlagen hatte. Die Stelle begann bereits anzuschwellen. „Ihr seid der Anführer dieser Karawane?“, wollte der Befehlshaber von ihm wissen und er nickte. „Meister Rilwar aus Denith, zu Euren Diensten, werter Offizier.“ Der Händler verbeugte sich leicht. „Ihr seid gerade im richtigen Augenblick gekommen. Diese Halunken waren drauf und dran, uns auszurauben.“ Der Offizier – war das ein Titel? – nickte. „Dies scheint mir auch so. Ihr habt wahrlich Glück. Aber nicht nur das – wir sind diesem Haufen von Halsabschneidern schon seit einer Weile auf der Spur, ihr seid nicht die ersten, bei denen sie ihre Masche versuchen.“ Der Soldat spuckte aus. „Auch im Namen ihres sogenannten Königs sind Raubüberfälle doch nicht mehr als Raubüberfälle und Rebellen sind nichts weiter als ein paar gemeiner Räuber. Seid gewiss, Meister Rilwar, dass sie dafür hängen werden, nachdem wir alle Informationen haben, die wir benötigen.“
 

Auf diese Worte brach schlagartig Tumult aus. Die Wegelagerer unternahmen einen letzten Fluchtversuch. Lautes Gebrüll, das Klirren von Metall auf Metall und entsetzte Rufe mischten sich durcheinander. Hinata drehte rasch den Kopf, aber viel bekam sie nicht mit. Von irgendwo ertönten Schmerzensschreie und noch mehr Gebrüll. Die Zauberin erhaschte einen Blick auf den Anführer der Räuber, der hinkend, aber rasch mit drei oder vier seiner Männer im Unterholz verschwand. Soldaten liefen hinter ihnen her, aber da sie nicht gleich wieder auftauchten, nahm Hinata an, dass die Fliehenden es geschafft hatten. „Diebespack!“, fluchte der Offizier und spuckte erneut angewidert aus. Was hatte er erwartet? Dass die Männer sich still und leise fangen ließen, ohne Gegenwehr, ohne Protest und das nach diesen Worten von Galgen und Folter? Aber doch sicher nicht! Doch der Mann interessierte sich gar nicht mehr dafür, sondern ritt jetzt langsam die Karawane ab, gefolgt von Meister Rilwar, der sich noch einmal bedankte. Der berittene Krieger ignorierte ihn jedoch – unhöflich! Wo blieben seine Manieren? – und musterte die Reisegruppe, bis sein Blick an den einzigen Personen hängen blieb, die ungewöhnlich waren: zwei bewaffnete Frauen auf verhältnismäßig kleinen, zottigen, aber kräftigen und trotz allem nicht hässlichen Pferden.
 

„Wer sind denn die?“, wollte der Offizier wissen. Er blickte Hinata und Konan mit durchdringenden Augen an, aber es war klar, dass er nicht mit ihnen sprach. Der jungen Magierin sträubten sich zornig die Nackenhaare. Wäre sie von nur etwas aufbrausenderem Temperament, hätte sie ihn angefahren. Aber so runzelte sie nur leicht die Stirn und schwieg. „Gehören die auch zu Euch, werter Händler?“ Der Angesprochene nickte und schüttelte einen Moment darauf den Kopf. „Wir haben sie in Bergwurzel getroffen, wo sie sich uns anschließen durften. Reisen können sehr gefährlich sein, vor allem in entlegenen Gegenden wie dieser.“ „Alleine wären wir vermutlich besser dran gewesen.“, murmelte Konan, aber so leise, dass nur Hinata sie hörte. Lauter erklärte die Kriegerin: „Wir sind nur Reisende auf der Suche nach unseren Gefährten, die wir aus den Augen verloren haben.“
 

Der Offizier lächelte dünn und herablassend und wandte sich dann an den Händler. „Vielleicht habt Ihr auf doppelte Weise Glück gehabt, dass Ihr uns begegnet seid, Rilwar aus Denith. Wenn das keine verdächtigen Individuen sind, dann habe ich noch keine gesehen.“ Konan starrte ihn sprachlos an und auch Hinata wusste nichts darauf zu sagen. Unverschämtheit, kam ihr in den Sinn, aber dafür war es dann schon zu spät. Der Offizier behielt das letzte Wort, als er sich an die Soldaten, die einen engen Ring um die beiden Frauen geschlossen hatten, wandte und erklärte: „Entwaffnen und mitnehmen.“
 


 

~ [ ♦ ] ~
 

Chapter 4 ~ From the north came a warrior

Die Hufe des stämmigen Apfelschimmels klangen dumpf auf dem durchweichten Waldboden und der Wind fuhr sacht durch seine helle Mähne. Er war schwer beladen mit seinem gerüsteten Reiter und dessen Gepäck. Vorn rechts war ein gefüllter Köcher am Sattel befestigt und über der Gepäcktasche auf derselben Seite ein einfacher, runder Buckelschild gesichert. Das Holz war mit Leder überzogen und von Metallstreifen und Nieten verstärkt, allerdings war der Schild schlicht und ohne ein Wappen. Den passenden Kurzbogen für die Pfeile trug der Reiter auf dem Rücken unter einem abgewetzten Wollumhang und am Gürtel hatte er ein einfaches, völlig schmuckloses Bronzeschwert sowie einen langen, schweren Dolch fest gemacht. Doch das war noch nicht alles. Links unter den Satteltaschen ragten die beiden abgedeckten Blätter einer Kriegsaxt hervor und vorn gegenüber dem Köcher hing ein zweites Schwert. Zwar steckte es ebenfalls in einer einfachen, abgewetzten Hülle, doch dem Griff – straff umwickelt mit abgegriffenem Leder – sah man die Kunstfertigkeit und Meisterschaft, mit der die Klinge gearbeitet war, sofort an.
 

Kriegsstern suchte sich sorgsam seinen Weg über Geröll und alte, knorrige Baumwurzeln, damit er nicht stolperte, und sein Herr ließ ihm freie Hand. Das Pferd schüttelte seinen Kopf und schnaubte, doch es ließ sich nicht beirren. Der Reiter beugte sich leicht vor und klopfte ihm auf den Hals. Er war allein, niemand schien ihn zu begleiten, doch er blickte sich immer wieder beunruhigt um, als würde er jemanden suchen.
 

Doch außer ihm und seinem Wallach war niemand zu sehen. Der Tag war dunkel und grau, die Sonne verdeckt von tief hängenden Regenwolken, die noch vor kurzem ihre Last auf die Erde entladen hatten und es sicher bald wieder tun würden. Es sah nicht so aus, als ob das Wetter sich in absehbarer Zeit bessern würde. Die Bergwälder waren tief und dunkel an dieser Stelle. Bäume und Unterholz bedeckten die Hänge des Zwielichtgebirges wie ein dicker Pelz. Der kalte Wind brachte das Laub zum Rascheln und von überall her kam das Frühlingsgezwitscher von Vögeln.
 

Pein war nervös wie lange nicht mehr. Das Verschwinden seiner Gefährten und Freunde hatte ihn mehr aufgewühlt, als er sich zugestehen wollte. Vor allem Konans Präsenz fehlte ihm. Seine Gefährtin, die ihm immer eine Unterstützung gewesen war, schweigend, lautlos, aber stets so stark und sicher. Mit ihr an seiner Seite hatte er alles tun können. Sie inspirierte ihn, sie ließ ihn träumen und für eine bessere Welt kämpfen, für den Frieden und die Zukunft. Sie war seine Zukunft. Ohne sie wirkte die Welt grauer – was nicht nur an dem schlechten Wetter liegen konnte – und es fühlte sich so an, als hätte man ihm einen Teil seiner Seele genommen.
 

Konan gehörte an seine Seite. Mit ihr konnte er großartige Taten vollbringen. Ohne sie wurde er wieder zu dem Soldaten, der stets überlebte und manchmal auch die Strategie für den Sieg in der Schlacht lieferte, aber ohne Ehrgeiz dafür, den gesamten Krieg zu gewinnen. Ohne sie war er nichts, austauschbar, antriebslos. Vielleicht sogar wie der Lichlord selbst: nur kühler Verstand und scharfer Intellekt, aber kein Herz und keine Seele. Denn das war Konan für ihn. Die Stimme auf seiner Schulter, die ihm sagte, was richtig und falsch war, und der feste Fels unter seinen Füßen, der ihn weder fallen noch zu hoch steigen ließ. Der Grund, warum es sich zu kämpfen lohnte. Die Zukunft, seine Zukunft und ein Versprechen für eine bessere Zeit. Ohne sie an der Seite – darüber war er sich schon immer bewusst gewesen – wäre er nicht der Kriegsherr geworden, der er geworden war. Er hätte in der Schlacht verrecken können, wie der gewöhnliche Soldat, der er gewesen war, oder zu jemandem wie Orochimaru werden können, einem Tyrann und Kriegsherrn, unter dem Reiche fielen und Menschen ihr Leben ließen.
 

Sein Pferd schnaubte und zog an den Zügeln, dass sie ihm beinahe aus den Händen rutschten. Die Bewegung riss Pein aus den Gedanken und er stöhnte auf. War er schon wieder abgeschweift? Aber er vermisste sie einfach so – das so seltene, aber erstaunlich breite Lächeln, das ihre Augen zum Strahlen brachte, ihr Duft, der ihr immer anhing, die sanften, zärtlichen Berührungen ihrer Hände, die doch so schnell und so leicht töten konnten…
 

Konzentriert richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die unbekannte Umgebung. Die Bäume um ihn herum wirkten traurig und niedergeschlagen, als würden sie seine trübe Stimmung teilen. Es waren größtenteils Nadelbäume, die wenig Licht durchließen – was bei diesem bedeckten Himmel allerdings keinen großen Unterschied machte. Zwischen den Stämmen und Zweigen ragten scharfkantige Felsen wie Klingen hervor und der Pfad war uneben, gefährlich, bedeckt von Geröll und überzogen von knorrigen Wurzeln, dicker als seine Arme.
 

Befand er sich überhaupt noch im Zwielichtgebirge? Seit dem Zusammentreffen mit der Priesterin und ihren Begleiterinnen war alles schief gelaufen. Erst der Nebel, dann waren seine Gefährten verschwunden und nun wusste er noch nicht einmal mehr, wo er war. Als er vor einiger Zeit einen höher aufragenden Felsen erklommen hatte, um sich etwas umzublicken, hatte er um sich herum nur Felsen und Bäume gesehen, einige Gipfel, die aus dem grünen Teppich aufragten, und grauen Himmel. Da war keine der bekannten Landmarken, die er zu sehen erwartet hatte. Keine Hinweise auf eine Gegend, die er kannte. Nichts. Er könnte überall sein. Selbst in einer Ecke des Zwielichtgebirges, die er noch nicht kannte – die Höhenzüge waren weitläufig und viele nicht bewohnt. Hier in der Nähe schien es außer ihm auch keine Menschenseele zu geben.
 

Und wenn er hier war und nicht mehr dort, wo er sein sollte - wie war es seinen Gefährten ergangen? Wo war Konan? Er hoffte nur, dass es ihr gut ging… Außerdem war die nur wenige Tage alte Speerwunde erneut aufgebrochen und vermutlich blutete sie wieder schwach. Doch darum konnte er sich jetzt noch nicht kümmern, da er noch keinen passenden Unterschlupf gefunden hatte um es zu wagen, sie sich anzusehen. Noch ging es, dass er sie ignorierte, aber wie lange konnte er das noch durchhalten? Irgendwann Halt machen und sich darum kümmern. Was im Moment nicht mehr war als ein dumpfes Pochen in seiner Seite, konnte sich mit der Zeit zu einem echten Problem auswachsen.
 

Sein Kletterabenteuer vor wenigen Stunden hatte es für einige Zeit verschlimmert, aber jetzt war es wieder abgeklungen. Doch er gab sich nicht der Illusion hin, dass es ohne sein Zutun ganz aufhören würde. Vermutlich waren auch einige der Stiche wieder aufgegangen. Aber im Moment war er noch nicht gewillt, für die Behandlung eine Pause einzulegen– es drängte ihn zu sehr danach, seine Freunde wiederzufinden und wieder zu ihnen zu stoßen.
 

Selbst ohne den kleinsten Anhaltspunkt darauf, wie er das anstellen sollte, würde er jetzt einfach nicht aufhören können zu suchen. Und schon gar nicht wollte er sich ohne Schutz und Rückendeckung in einer völlig fremden Gegend derartig angreifbar machen. Sie mochte zwar leer erschien, musste es aber nicht sein. Kriegsstern wieherte missvergnügt und hopste über einen niedrigen Baumstamm, der quer über dem Weg lag. Der andauernde Regen und die schlechten Straßenverhältnisse schienen ihm ebenso wenig zu gefallen wie seinem Herrn.
 

Dieser klopfte dem Tier auf den kräftigen Hals und fragte sich, ob er einfach absteigen sollte. Dann würde sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Wallach doch irgendwann ausrutschte und sich ein Bein brach, sicher um einiges verringern… Und er würde das Pferd ganz sicher brauchen. Ganz zu schweigen davon, dass sein Herz inzwischen an dem treuen, starken Tier hing, das so gut ausgebildet war und ihm eigens als Geschenk übergeben worden war. Doch auf dem Rücken des Wallachs würde er schneller vorankommen.
 

Als er die Veränderungen endlich bemerkt hatte, hatte wahllos eine Richtung eingeschlagen, doch das war Stunden her und seitdem hatte sich nicht viel geändert. Es war noch immer Frühling, obwohl es eigentlich Winter sein sollte. Seine Freunde und Konan waren noch immer nicht an seiner Seite und die Gegend war ihm noch immer völlig unbekannt. Was hatte es für einen Sinn, die heilen Beine seines wertvollen Pferdes zu riskieren? Er wusste sowieso nicht, in welche Richtung er gehen sollte. Warum sollte es da auf die Geschwindigkeit ankommen, mit der er dem falschen Weg folgte? Und der Pfad wurde immer schlimmer…
 

Zögerlich zügelte er Kriegsstern, so dass der Wallach immer langsamer wurde und schließlich zum Stehen kam. Rechts von ihm ragte eine Felswand auf, unregelmäßig und mehrere Mannslängen hoch. Links zog sich eine unregelmäßige Linie von Unterholz am Wegesrand entlang, die rasch in dichtes, altes Gehölz überging, in dem mit dem Pferd an kein Durchkommen zu denken war und das geradezu nach uralter Ehrwürdigkeit und lauernder Gefahr roch. Dieser Weg musste ein sehr häufig genutzter Wildwechsel sein. Vermutlich kam jedes Reh und jeder Hirsch der Gegend mindestens einmal hier vorbei. Wie eine Pilgerstraße ins Nirgendwo.
 

Kriegsstern schnaubte laut und warf den Kopf, als wolle er fragen, wann es denn nun weiterginge. Pein gestattete sich ein feines Lächeln. Wenigstens auf die Ungeduld seines Pferdes konnte er sich verlassen. Er strich dem Tier kurz über den Hals und wollte gerade etwas sagen, als eine junge Stimme ihm das Wort abschnitt. „Hey! Hallo, da! Ist da wer?“ Sie kam von vorn. Dort, wo der Weg eine leichte Biegung machte und eine Felswand über ihm aufragte.
 

Kriegssterns Ohren richteten sich sofort auf das Geräusch und Pein runzelte die Stirn. Das hatte sich nach einem Kind angehört. Ob es sich hier verirrt hatte und nun festsaß? Oder war es doch etwas ganz anderes? „Hallo?“ Jetzt klang es ängstlich. „Ich brauche Hilfe! Ist da wer oder spreche ich hier mit einem Tier?“ Der Krieger ließ das Pferd weitergehen, eine Hand auf dem Griff des einfachen Schwertes, das er am Gürtel trug. Ihm waren schon mehrere Wesen begegnet, die auf diese Art ihre bedauernswerten Opfer in die Falle lockten. Und eine solche verlassene, einsame Gegend war ihr bevorzugtes Jagdgebiet. Doch sie waren trotz allem selten…
 

Seine Augen suchten die Felswände über ihm ab, aber er ließ weder den Wald noch den Pfad ganz aus dem Blick und auch nicht sein Pferd. Tiere hatten für solche Dinge immer ein feines Gespür. Kriegsstern wirkte jedoch völlig entspannt. Vermutlich war es tatsächlich ein Kind. Wielleicht das einer in der Nähe lebenden Holzfäller- oder Schäferfamilie. Mehr Leute, so wusste er, würden sich nicht die Mühe machen, so weit hoch in die Berge zu ziehen. Es war genug Platz für alle in den Tälern, auch wenn manche Kriegsfürsten das nicht zugeben würden, wenn man sie fragte.
 

Obwohl es gar nicht so weit oben war, wie er bei seinem Überblick festgestellt hatte. Viel tiefer, als die Strecke, die er mit seinen Gefährten hinaufgeritten war. Außer die Einwohner waren vor dem Krieg geflohen. Verlassene Landstriche wie dieser waren da immer willkommen, weil es sich für die Krieger einfach nicht lohnte, ihnen zu folgen. Eine einzige Familie war die Mühe nicht wert, die das Gebirge ihnen bereiten würde. Oder in der Nähe befand sich eine Miene und ein dazugehöriges Dorf, was natürlich ein guter Grund für eine Ansiedlung hier oben wäre. Metall, ganz egal welches, war immer und überall gern gesehen.

Endlich kam das Kind in sein Blickfeld. Es schien tatsächlich ein Mensch zu sein und halb hing und halb saß es einige Meter über ihm wie eine Spinne an der Felswand. Anscheinend war es hinaufgeklettert und kam jetzt nicht mehr weiter; weder nach vorn noch zurück. Es war ein Junge, das war deutlich an seiner Kleidung zu erkennen, die aus einer Hose, einem Wams und einem ehemals hellen Hemd bestand. Alles war aus gutem Material, wenig abgenutzt und absolut schmutzig von dem kleinen Ausflug die Felswand hinauf. Das runde Gesicht und der kräftige Körper trugen noch deutliche Anzeichen von Babyspeck und das kurzgeschnittene, dunkelbraune Haar stand in alle Richtungen ab. Er konnte keinen Tag älter als acht sein.
 

„Hallo!“ Das Gesicht des Jungen hellte sich deutlich auf, als er Pein sah. „Ich dachte schon, ich würde den ganzen Tag hier oben sitzen müssen! Ich wollte doch nur schauen, ob man von dort oben eine bessere Aussicht hat.“ Die hatte man ganz bestimmt, aber es gab sicherlich auch bessere Wege um dort hinaufzukommen. Und was machte ein Kind so jung wie dieses überhaupt allein so weit abseits von jeglicher Ansiedlung?
 

Die Eltern machten sich sicher schon Sorgen und wussten noch nicht einmal, wo ihr Sohn war und in welche Gefahr er sich gebracht hatte. Vermutlich hatten sie ihm eben solche Ausflüge wie diesen hier schon tausend Mal verboten. Oder er hatte keine Eltern mehr: Vielleicht hatte er sie in einem der zahllosen Kämpfe verloren? Aber nein, das konnte nicht sein. Dazu sah er zu gut genährt aus, zu sauber, zu gut gekleidet. Zu heiter, zu wenig mitgenommen. Nein, da war jemand, der sich um dieses Kind kümmerte, sich um es sorgte, es von allem Leid der Welt fernhielt. Es wirkte, als habe es noch nie von einem Krieg gehört, nie eine Schlacht gesehen, nie an einem Kampf teilgenommen. Denn wer begrüßte einen völlig Fremden so freudestrahlend? Niemand. Nicht in Peins Welt. Und doch … hier lachte ihn ein Knabe von weniger als zehn Jahren an, als sei er ein alter Bekannter.
 

Ausnahmslos alle Kinder, denen er vorher begegnet war, hatten ihn mit zumindest einer Spur Misstrauen betrachtet, mit Argwohn und Zweifel, als würden sie dem Frieden nicht ganz trauen. Als würden sie glauben, dass alles – seine Hilfe, sein Schutz, sein Angebot – eine Lüge war und er nur darauf wartete, dieses Gute, diesen Hoffnungsstrahl in ihrem harten Leben von ihnen zu reißen – indem er den übrig gebliebenen Elternteil mit einem Schwert durchbohrte oder sie mitleidslos den Wölfen zum Fraß vorwarf. Denn in seiner Welt lebten nicht einmal die Kinder ohne Angst und selbst Yahiko, seinen eigenen Sohn, hatte er nicht davor beschützen können.
 

„Aber jetzt sitze ich fest.“, endete das Kind verlegen. „Könnt Ihr mir herunterhelfen?“ Für einen Moment war Pein verwirrt, wen der Junge mit dem ‚ihr‘ meinte. Etwa ihn und das Pferd? Denn ansonsten war niemand anwesend. Oder war das einfach nur eine seltsame Art sich auszudrücken und ihn anzusprechen?
 

„Hey…?“ Jetzt klang der Junge unsicher. „Seid Ihr taub?“ Natürlich kam jemand wie ein achtjähriges Kind sofort auf diese Möglichkeit, warum es keine Antwort bekam. Nicht die viel einfachere, dass sein Gesprächspartner die Sprache einfach nicht verstand oder schlichtweg nicht helfen wollte. „Wie bist du da überhaupt so weit hinaufgekommen?“, wollte Pein schließlich wissen und ließ endlich seine Klinge los.
 

Das Kind zuckte mit den Schultern – oder wollte es, bis es merkte, dass es durch die Bewegung gefährlich ins Rutschen kam. „Ich bin einfach geklettert. Das war eigentlich ganz leicht.“ „Und dann?“ Pein zog eine Augenbraue hoch. „Hast du dich dann umgeschaut und plötzlich wirkte es nicht mehr so leicht?“ Ein erleichtertes Lächeln breitete sich über das Gesicht des Kindes aus. Anscheinend dachte es, es wäre gerettet. „Ja, ganz genau!“, bestätigte es mit bekräftigendem Nicken. „Und ich soll jetzt da hochklettern und dich hinuntertragen?“, wollte Pein wissen und schüttelte den Kopf.
 

Als ob das nicht gefährlicher wäre als die andere Möglichkeit! Vermutlich würden sie zusammen abstürzen; der Junge wirkte weder klein noch sonderlich leicht und die aufgebrochene Wunde in Peins Seite würde ein solches Abenteuer beinahe unmöglich machen. Außerdem musste das Kind lernen, dass es sich nicht in Dinge hineinreiten durfte, aus denen es nicht auch aus eigener Kraft wieder herauskam. „Nein, du hast es hinaufgeschafft, du schaffst es auch wieder hinunter.“ Dem Jungen entgleisten alle Gesichtszüge und er wurde blass und blickte vorsichtig nach unten. „Ab… aber…! Ich …“
 

Pein schwieg einen Moment. Von dort oben - das wusste er aus Erfahrung - sah die Entfernung viel größer aus als von unten. „Ich fang dich auf, falls du fällst.“, erklärte er dann und schwang ein Bein über die Kruppe seines Pferdes. Seine Stiefel sanken einen Fingerbreit in den matschigen Boden ein, aber er hatte einen festen Stand. Das sollte tatsächlich klappen.

„Du bist von allein da hochgekommen, oder? Du kannst es auch allein wieder hinunterschaffen. Versuch es nur – du wirst erstaunt sein, was du auf diese Weise alles hinbekommst.“ Der Junge wirkte einen Moment, als wolle er noch einmal protestieren, aber der Krieger schenkte ihm einen kurzen Blick und überkreuzte die Arme vor der Brust. Das Kind wandte sich ab, musterte noch einmal die Felswand und die Entfernung zum Boden und schluckte. „Aber…“ „Oder du bleibst da oben und sagst mir den Weg zu deinem Dorf und ich schicke deine Eltern vorbei.“ Pein hob die Schultern und starrte mit ausdruckslosem Gesicht weiterhin hinauf. „Aber entscheide dich schnell, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit, Kleiner.“
 

Trotzig starrte der Angesprochene mit zusammengezogenen Augenbrauen hinunter. „Mein Name ist Aring!“, antwortete er wütend, aber Pein nickte lediglich. Für einen Moment schwiegen sie sich an, dann erklärte der Junge: „Nicht meinen Eltern Bescheid sagen.“ Nicht, dass die das nicht von allein herausfinden würden – dazu musste man sich nur den Zustand seiner Kleidung ansehen. Aber dennoch nickte der Krieger und Aring wandte sich um, um mit dem Abstieg zu beginnen. Mit den Händen hielt er sich an Vorsprüngen fest und seine Füße tasteten vorsichtig nach geeigneten Stellen, die ihn trugen. Die ersten beiden Schritte bekam er ganz gut hin, doch dann hielt er inne und machte Anstalten, nachzusehen, wie weit sein Weg noch war.
 

„Nicht runter schauen.“, befahl Pein ihm scharf. „Willst du wieder hängen bleiben? Benutz deinen Tastsinn.“ Das Gesicht des Jungen verfinsterte sich, das konnte man sehen, auch wenn er tatsächlich nicht nach unten blickte. „Ihr habt gut reden! Ihr hängt hier ja nicht an der Felswand!“ Als er jedoch auch nach einigen Augenblicken noch keine Antwort bekam, machte er sich ohne ein weiteres Wort daran, weiter abzusteigen. Er war erstaunlich trittsicher, auch wenn er nicht immer auf Anhieb die richtige Spalte oder den besten Vorsprung erwischte.

„Weiter nach rechts.“, schlug Pein dann vor oder: „Einige Fingerbreit nach oben.“ Doch der Junge brauchte nicht viel Hilfe und der Krieger entspannte sich mit jeder Handlänge, die Aring zurücklegte. Er brauchte nicht viele Hilfestellungen zu geben. Was hatte das Kind so lange dort oben gesessen, wenn es doch so schnell an der senkrechten Wand unterwegs war? Vermutlich waren es doch nur die Selbstzweifel…
 

„Den Rest kannst du springen.“, bemerkte Pein schließlich. Aring kam der Aufforderung nach und stieß sich leicht von der Felswand ab. Er rutschte ein wenig auf dem Kies aus, als er aufkam, aber bekam rasch einen sicheren Stand unter den Füßen. Von Nahem war er kleiner, als Pein gedacht hatte, und seine dunkelbraunen Augen funkelten spitzbübisch. Aber das Gesicht, das er zog, war nicht gerade begeistert. „Vielen Dank für Eure überaus hilfreiche Unterstützung.“, spottete er und Pein zog eine Augenbraue hoch. „Du hast das doch ganz gut allein hingekriegt. Und sei nicht so frech zu bewaffneten Fremden.“

Aring verzog noch einmal missmutig das Gesicht, aber als ihm der Gedanke bewusst wurde, dass er es tatsächlich allein geschafft hatte, breitete sich ein strahlendes Lächeln über sein Gesicht aus. Jetzt war es an ihm, sein Gegenüber genauer zu mustern und er sog alles in sich auf – die Rüstung, die wappenlose Tunika darüber, die Waffen, der ungewöhnliche Schmuck in seinem Gesicht, die kühlen, berechnenden Augen…
 

„Wie heißt Ihr? Und wo kommt Ihr her? Ihr seid ziemlich schwer bewaffnet für einen einfachen Wanderer und so viele kommen hier sowieso nie vorbei. Was macht Ihr überhaupt hier? Hier gibt es doch nichts! Seid Ihr ein Ritter? Ein Söldner? Ein Fürst, der nicht erkannt werden will?“ Die Flut der Fragen erinnerte Pein an seinen eigenen Sohn, der zu allem und jedem immer eine Frage gefunden hatte und zu jeder Antwort zwei weitere. Die Erinnerung versetzte ihm einen schmerzhaften Stich und er konnte es für den einen Moment, den er sich gestattete, nicht erwarten Yahiko wiederzusehen. Doch das musste er auf später verschieben.

Erst galt es, seine Freunde zu finden und dann einen Krieg zu gewinnen. Wenn es bis dahin überhaupt noch einen Krieg gab, den man gewinnen musste… Die Heere vor Orochimarus Burg würden und konnten nicht auf sie warten. Vermutlich hatten sie ihren Angriff längst begonnen.
 

„Im Moment bin ich vor allem verirrt. Wo ist das nächste Dorf?“ Aring verzog enttäuscht den Mund, antwortete aber, als sei er gut erzogen worden: „Ich bringe Euch hin, ich muss sowieso zurück. Mein Vater ist Schmied dort. Kommt.“ Er winkte und machte Anstalten, sich in Bewegung zu setzen. Dann hielt er jedoch noch einmal inne. „Sagt Ihr mir wenigstens, wie Ihr heißt, Herr?“ Pein öffnete den Mund um zu antworten und fragte sich, ob es so gut war, einfach seine Identität preiszugeben. Er hatte schon die verschiedensten Reaktionen auf ihn und seine Gefährten gesehen und nicht alle davon waren positiv gewesen. Und er fragte sich, ob er derartige Aufmerksamkeit – egal, wie sie am Ende aussah – brauchen konnte.
 

„Nagato.“, antwortete er schließlich und das war auch keine Lüge. Das war immerhin der Name, den seine Eltern ihm gegeben hatten. Der, den Konan noch immer benutzte – aber den er ansonsten beinahe abgelegt hatte. Er war nun Pein Kriegsfeuer, der Große Held, der Kriegsherr. Nicht mehr Nagato, Soldat. „Und ich bin kein Herr.“ Pein griff nach den Zügeln von Kriegsstern. Aring musterte das Tier und der Krieger war sicher, dass ihm die zahlreichen Waffen, die an dem Sattel befestigt waren, ebenfalls nicht entgingen. „Ist das Pferd nicht etwas klein geraten für Euch?“, wollte er dann frech wissen. „Ich dachte immer, Ritter würden große Schlachtrösser reiten, unter deren Hufen die Erde erbebt.“ „Ich bin auch kein Ritter.“, antwortete Pein einfach und musterte seinen Wallach einen Moment gründlich.
 

Es stimmte, der Stern des Krieges war nicht das größte Pferd, das er je gesehen hatte, aber wirklich klein würde er ihn nicht nennen. Eher von normaler Größe, wenn auch weniger massiger als die Ponys der Bauern und Händler, und mit einem eleganten, ausdrucksstarken Kopf. Außerdem hatte er auch noch nie Pferde gesehen, die ganz allein die Erde zum Beben bringen konnten – gehört hatte er auch noch nie von ihnen außer in Legenden und Märchen und niemand hatte dies je geglaubt.
 

Das Tier bewegte leicht die Ohren und blickte ihn zugleich ungeduldig und vorwurfsvoll an, als wolle es sagen: „Geht es jetzt endlich weiter? Steh hier nicht so rum!“ Pein zuckte die Schultern und wandte sich wieder nach vorn. Vermutlich waren es einfach nur die Übertreibungen eines Kindes. „Willst du ihn reiten?“, fragte er dann, wohl wissend, dass das ausreichen würde, das Herz des Jungen im Sturm zu erobern. Nicht, dass Aring ihn nicht sowieso schon interessant gefunden hätte mit seiner Ausrüstung und der Bewaffnung… Die Augen des Jungen leuchteten auf und wieder fühlte Pein sich an seinen eigenen Sohn erinnert.
 

Yahiko war als kleines Kind immer so stolz gewesen, wenn er auf dem Rücken eines Pferdes einige Runden gedreht hatte – inzwischen waren diese Zeiten jedoch vorbei und Yahiko ein geübter Reiter. „Darf ich wirklich?“ Er war sofort zur Stelle und schob einen Fuß in den Steigbügel. Anscheinend war das nicht das erste Mal, dass er auf ein Pferd stieg, aber viel Übung konnte er nicht haben. Er hopste ein wenig auf einem Fuß herum, während das Pferd die Behandlung ergeben über sich ergehen ließ. Solange sein Herr neben ihm stand, würde er nichts tun als gehorchen und derartiges zulassen. „Lass dich nicht in den Sattel fallen.“, wies Pein das Kind an und einen Moment später saß es im Sattel.

„Halt dich am Knauf fest.“ Statt der Anweisung zu folgen, griff der Junge beinahe fasziniert nach dem Schwertgriff Antarions, das am Sattel hing. Pein hielt ihn auf, indem er nach dem Handgelenk griff. „Und fass die Waffen nicht an. Schon gar nicht das Schwert.“
 

Für einen Moment überlegte er, das Singende Schwert von seinem Platz zu lösen. Denn der Name mochte sich zwar sehr romantisch anhören, aber die Waffe war alles andere als das. Die Macht der Klinge war groß, ungebrochen, stark, gefährlich und absolut verführerisch. Das Lied war immerwährend da, aber im Moment eher ein Summen in Peins Hinterkopf – und vermutlich Arings, der das noch nicht einmal bemerkte, sondern einfach nur den Drang verspürte, die Waffe zu berühren. Aber das war das Gefährliche an dem Schwert. Einmal ergriffen, ließ es einen Menschen nicht mehr los und nur wenige waren stark genug, sich dem Bedürfnis zu widersetzen, dem Wunsch der Waffe nachzukommen.
 

Denn mit einer Berührung fraß sich das Schwert in die Seele eines Menschen, ließ sie nicht mehr los und hielt sie in festem Griff. Ließ nicht zu, dass etwas anderes als der Tod die Klinge aus den Fingern des Trägers entfernen konnte, entfachte Mordlust und Gier und Kampfesrausch. Denn das einzige, was das Singende Schwert Antarion vermochte, war jene, die seine Lieder einmal vernommen hatten, dazu bringen zu kämpfen, zu morden und zu töten. Blut zu schmecken. Das Schwert wurde stets hoch gepriesen, als eine Waffe des Lichts, der Wahrheit, der Gnade, der Treue und allem, was gut war, aber eigentlich war es treulos, farblos und mitleidslos. Es war brutal, bestialisch und monströs. Es tat nur das, wozu es geschaffen worden war, und das war das Kriegshandwerk. Und daran war nichts Gutes zu finden.
 

Die Gnade und Güte dieser Waffe hingen immer von dem ab, der sie schwang und im Moment war es Pein – der es verstand, sie so wenig wie möglich zu nutzen und sie zu beherrschen. „Das ist gefährlich.“ Er ließ Arings Handgelenk los und löste stattdessen die Schnallen, die das Schwert am Sattel hielten um es in der Hand zu tragen. Dabei ignorierte er völlig den enttäuschten Gesichtsausdruck des Jungen. Beinahe hätte er Aring deswegen wütend angebrüllt, aber er unterdrückte den Impuls – das Kind wusste nicht, was es hier vor sich hatte, und es war sowieso ein Antrieb, der der Natur des Schwertes entsprang.
 

„Sag, wie weit ist es bis zu deinem Dorf, Aring?“, brachte er sich und das Kind auf andere Gedanken und der Junge ließ es bereitwillig zu. Gemeinsam machten sie sich auf dem Weg zu dem Bergdorf, das anscheinend gar nicht mehr so weit weg war und ein Stück weiter im Süden lag.
 


 

~ [ ♥ ] ~
 

Hinata wurde unsanft in den kleinen Raum gestoßen, sodass sie beinahe stürzte. Hinter ihr lachte jemand. Konan, die dicht hinter ihr war, packte sie am Arm und half ihr sich aufzurichten. Die Zauberin konnte förmlich sehen, wie sehr es sie danach dürstete Offizier Enevor für diese Beleidigung über den Mund zu fahren. Doch Konan schwieg, weil sie genau wusste, dass es ihre Lage noch schlimmer machen würde.
 

„Bringt sie in die Zelle“, befahl der Offizier einem Soldaten, der den Gefangenenzug begleitet hatte, „ich werde sie holen lassen, wenn die Befragung beginnt. Wollen wir doch mal sehen, ob wir aus ihnen nicht ein paar Informationen für Lord Uchiha heraus pressen können.“ Auf seinen Befehl hin traten zwei Soldaten vor, von denen einer eine der Zellen aufsperrte und der andere in einem herrischen Tonfall befahl: „Rein da! Oder soll ich euch Beine machen!?“

Konan warf ihm einen mörderischen Blick und stolzierte erhobenen Hauptes in die vergitterte Zelle. Hinata stolperte unsicher hinterher. Das Gitter fiel krachend hinter ihnen ins Schloss und sie fühlte eine kalte Ohnmacht in sich aufsteigen. Wenn nur Neji hier wäre…
 

„Wie könnt Ihr es wagen!“, erklang plötzlich eine aufgebrachte Stimme aus der Ecke, „entführt Ihr jetzt auch schon wehrlose Frauen? Und ich dachte, Ihr könntet nicht noch tiefer sinken! Mögen Euch die Götter für Eure Sünden bezahlen lassen, Ihr-“ „Schweig, Rebell!“, fuhr ihn Offizier Enevor an, „dein Verhör wird schon schnell genug kommen und dann hast du keine Zeit mehr dir um andere Sorgen zu machen!“
 

„Aber wir haben doch nichts getan!“, brach es aus Hinata hervor, „ihr könnt doch nicht einfach-“ „Das“, sagte Offizier Enevor gehässig, „entscheidet Lord Uchiha.“ Und damit drehte er sich um, die Soldaten im Schlepptau, und verließ den Raum. Hinata hörte noch das Rascheln von Schlüsseln, dann fiel die Tür krachend zu.
 

Hinata war zum Heulen zumute. Erst verloren sie Neji, Kiba und Pein, dann hatten sie keine Ahnung, wo sie waren, geschweige denn, was mit ihnen passiert war, und nun waren sie Gefangene in einer Burg, allein für das Verbrechen verdächtig auszusehen. Die Zauberin sank an der Wand zu Boden und vergrub das Gesicht in den Händen. Heiße Tränen brannten hinter ihren Augenlidern und sie fühlte sich ganz und gar ausgeliefert. Kein Neji, kein Kiba, kein Pein. Man hatte ihnen ihre Waffen abgenommen und sie war nicht mal in der Lage Magie zu wirken. Dieser Nebel… Es war, als hätte er ihre Kräfte betäubt und die Macht des Ismalith, ihres Amuletts, das sie immer um den Hals trug, für unbestimmte Dauer eingefroren. Sie mochte keine geborene Kriegerin sein wie ihre Freunde, aber ihre Magie hatte ihr trotzdem ein gewisses Selbstvertrauen verliehen. Und nun war auch das fort. Konan und sie konnten nur darauf warten bis irgendein Adliger aus einer Laune heraus entschied, was mit ihnen geschehen sollte.
 

Auf einmal spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Konan war neben sie getreten und sah genauso aus, wie sie sich fühlte. Da war eine gewisse Ohnmacht in ihrem Blick, aber gleichzeitig ein Trotz, mit dem ihre Gefährtin ihr auf ihre Art zeigte, dass die Lage zwar im Moment aussichtslos erscheinen mochte, aber es noch immer Hoffnung gab. Schließlich hatten sie schon viel schlimmere Situationen überstanden.
 

Trotzdem konnte die junge Zauberin die Verzweiflung nicht ganz aus ihren Zügen vertreiben. „Nicht weinen!“ Erschrocken fuhr Hinata Kopf in die Höhe. Sie hatte den anderen Gefangenen ganz und gar vergessen. „Nicht weinen“, sagte er noch mal, „Ihr steht doch in der Blüte Eurer Jugend, da würden Tränen doch nur Euer hübsches Gesicht entstellen!“ Hinata war so überrumpelt, dass ihr die Worte fehlten.

Es gab ein leises Geräusch, als der Fremde mit einem Ächzen aufstand und bis an die Gitterstäbe seiner Zelle, die ihrer gegenüber lag, heran humpelte. Seine Hand- und Fußgelenke waren mit dicken Eisenketten gefesselt, die in der Wand endeten, und schon blutige Wunden in sein Fleisch gerissen hatten.

„Nun ignoriert mich doch nicht!“, gab er leicht beleidigt zurück, als sie ihm immer noch nicht geantwortet hatte, „immerhin sitzen wir alle im selben Boot, da können wir uns doch wenigstens unterhalten. Ich bin Lee!“
 

Hinata legte die Hände in den Schoß und richtete sich an der Wand ein wenig auf. Durch das einzige Fenster im Raum fiel nur wenig Licht, sodass es kaum möglich war ihren Mitgefangenen richtig anzusehen. Soweit Hinata erkennen konnte, hatte Lee schwarze Haare, die in einem Stil geschnitten waren, der ihr fremd war, erstaunlich dichte Augenbrauen und einen sehr lebendigen Blick, mit dem er sie enthusiastisch anstrahlte, was Hinata völlig fehl am Platz fand, da man ihm gerade erst noch gedroht hatte. Wahrscheinlich handelte es sich dabei um Folter oder Schlimmeres, aber trotzdem fühlte sie sich durch seine Herzlichkeit ein klein wenig besser.
 

Der Rest an ihm war nicht so lebendig. Sein Körper war zwar recht muskulös, aber man hatte ihm übel mitgespielt, was etliche blaue Flecken, Prellungen und Schnittwunden bewiesen, die das zerrissene Hemd, das er trug, nicht verdecken konnte. Hinata hatte Mitleid mit ihm. Was hatten sie ihm nur angetan? Womit hatte er sie nur so sehr gegen sich aufgebracht? Als Offizier Enevor sie hierher gebracht hatte, waren Hinata und Konan über eine gigantische Burganlage geführt worden, dessen Herr, so vermutete die junge Zauberin, einen entsprechenden Einfluss haben musste.
 

„Und?“, riss Lee sie aus ihren Gedanken, „mit wem habe ich das Vergnügen? Ich muss gestehen, ihr beide seid die beste Gesellschaft, seit ich hier bin, auch wenn ihr nicht mit mir sprecht.“ „Ich bin Hinata.“ Konan warf ihr einen warnenden Blick zu, aber Hinata spürte, dass sie Lee trauen konnten. Er plapperte zwar ziemlich viel und ziemlich schnell drauf los, aber in einem Punkt hatte er recht: Er war ebenso ein Gefangener wie sie und Konan. Wenn sie hier überhaupt einer Menschenseele trauen konnten, dann ihm. „Konan“, erklärte ihre Freundin widerwillig.
 

„Es ist mir eine Ehre“, grinste Lee und deutete eine Verbeugung an, die recht albern wirkte und bei der er schmerzhaft das Gesicht verzog. Gleich darauf entspannte er sich jedoch wieder, ließ sich auf dem Zellenboden nieder, was sicher bequemer war, und sah sie aufmerksam an. „Und nun können wir einen Ausbruchsplan schmieden. Drei Köpfe denken besser als einer, nicht wahr? Außerdem gehen mir langsam die Ideen aus.“
 

„Du hast recht“, stimmte Hinata ihm zu und fragte sich im gleichen Moment, wie oft er schon versucht hatte zu flüchten, „aber wo sind wir überhaupt?“ „Ihr wisst nicht, wo ihr hier seid?! Glaub mir, das wollt ihr gar nicht wissen. Lasst uns lieber darauf konzentrieren, wie wir hier wieder raus kommen-“ „Sag‘ es!“, unterbrach ihn Konan. Hinata warf ihr einen Seitenblick zu. Egal wie sehr Konan versucht hatte sich ihre Anspannung nicht anmerken zu lassen, jetzt brach sie sich in einer Weise Bahn, wie Hinata es noch nie erlebt hatte. Wüsste sie es nicht besser, würde sie vermuten, dass ihre Gefährtin kurz davor war die Nerven zu verlieren. Was musste das für ein Gefühl für sie sein ohne Pein an diesem Ort festzusitzen und nicht einmal zu wissen, auf wessen Burg sie eigentlich waren?
 

„Wir sind mitten im Machtzentrum der Familie Uchiha“, sagte Lee leise, der Konans Stimmung offensichtlich zum Anlass nahm nicht weiter um den heißen Brei herum zu reden, „ihr wisst schon, den Statthaltern von Konoha, die die Macht zu Unrecht an sich gerissen haben und jeden tyrannisieren, der sie auch nur schief anguckt. Ihre Leute sind nicht viel besser, aber das habt ihr ja schon gesehen.“
 

Die Gedanken der jungen Zauberin überschlugen sich. Konoha hatte keine Statthalter. Konoha war das Land, in dem sie, Neji, Kiba, Konan und Pein sich getroffen und gemeinsam begonnen hatten für den Frieden zu kämpfen. Es lag im Zentrum des Kriegsgebiets! Bei allen Göttern, wie konnte es da einen Statthalter geben! Es gab ja noch nicht mal einen König!
 

Konan schienen ähnliche Gedanken durch den Kopf zu gehen. Während Hinata noch rätselte, ob ihre Freundin nicht doch noch irgendwo ein verstecktes Messer aufbewahrte, das den Soldaten entgangen war, hatte sie hatte sich am Gitter aufgebaut. Doch von Konans gewohnter Gelassenheit war nicht mehr viel übrig. Sie war kreideweiß und die Tatsache, dass sie ihre Gefühle so offen zeigte, machte Hinata mehr Angst als Offizier Enevors Gehässigkeit.
 

Konan öffnete gerade den Mund um Lee zu antworten, als ein ohrenbetäubendes Geräusch die Stille zerschnitt. Ein Geräusch, das die Erde unter ihren Füßen erzittern ließ und von einer solchen Macht war, dass Hinata vor Angst aufschrie. Sekundenlang sah sie einen roten Feuerball durch das winzige Zellenfenster und fragte sich, ob sich nun die Erde unter ihr auftauen würde und sie allesamt verschlingen würde.
 


 

~ [ ♥ ] ~
 

Während der Zeit, die sie für den Weg in Arings Heimatdorf brauchten, hatte es wieder begonnen zu regnen. Der Junge hatte kurz in seinem Redeschwall innegehalten und das Wetter verflucht, das ihnen den gesamten Abend und damit das Frühlingsfest verdarb. Immerhin wusste Pein inzwischen, dass er in der kleinen Siedlung – Grauhausen – geboren worden war, wie seine Eltern hießen – Bral und Yerina –, dass seine gesamte Familie ebenfalls dort lebte – außer ein paar Cousinen, die nach ihren Hochzeiten in die umliegenden Dörfer gezogen waren, dass er den Nachbarsjungen hasste, weil der ihn immer hänselte, und vieles mehr. Unter anderem, dass am heutigen Tag eine Art kleines Willkommensfest für den Frühling stattfand.
 

Aring hatte den Krieger natürlich sofort dazu eingeladen, aber der war vorsichtig ausgewichen. Ein Kind wie er konnte kaum entscheiden, wer an einer solchen Feier teilnehmen durfte. Außerdem wusste Pein nicht, ob er tatsächlich bleiben sollte. Von seinen Gefährten fehlte noch immer jede Spur und vielleicht sollte er auch erst einmal herausfinden, wo er sich befand. Dabei konnte Aring ihm nämlich auch nicht helfen. Nur, dass er tatsächlich noch im Zwielichtgebirge war stand inzwischen fest und war eine ungeheure Erleichterung für den Krieger.
 

Auch, wenn er sich ein ganzes Stück von dem Ort entfernt war, wo er sein sollte. Er würde mehr als eine Woche reiten müssen und das würde ihm wohl wenig bringen – seine Freunde würden wohl kaum mehr dort sein. Außerdem konnte er wohl davon ausgehen, dass nicht nur er unfreiwillig die Örtlichkeit gewechselt hatte. Wie konnte er darauf hoffen, sie je wieder zu sehen? Sie hatten nichts ausgemacht für einen Fall wie diesen, kein Treffpunkt, keine Richtung, kein gar nichts. Wie hätten sie auch erwarten können, dass derartiges geschah? Es schien aussichtslos. Aber kam Zeit, kam Rat. Vermutlich war es im Moment tatsächlich das Beste, wenn er sich irgendwo einen Unterschlupf suchte und sich erst einmal die Wunden leckte. Und aus diesem Regen herauskam, der überall eindrang, seine Kleidung durchnässte und mit jedem Meter schwerer werden ließ.
 

Die Wunde in seiner Seite pochte heftiger, bei jedem Schritt flammte der Schmerz erneut aus. Es war vermutlich keine so gute Idee gewesen, so lange zu laufen. Aber jetzt war es schon zu spät. Und dann hörte der Wald plötzlich auf und sie standen auf der Kuppe eines halbrunden Hügelkammes, der im Osten in eine schroffe Felswand überging und im Süden zu einem sanften Hang, durch den sich eine Straße – eine richtige, gepflasterte und sogar recht gut in Stand gehaltene Straße – schlängelte. In dem so entstandenen Tal lag das Dorf, eine Ansammlung von Häusern aus Holzstämmen und Stein, gedeckt mit Schieferplatten. Am Rande der Siedlung befanden sich einige Holzschuppen, die unschwer als Tierställe zu erkennen waren, denn dahinter tummelten sich in Pferchen, auf umzäunten Weiden und unter den Unterständen vor allem Schweine und Schafe, aber auch einige Ponys und Kühe und überall lief Federvieh herum.
 

Menschen tummelten sich in den gepflasterten Gassen und auf dem großen Platz, um den alles angeordnet war und auf dem sich der Dorfbrunnen befand. Es schien ein Dorf wie tausend andere, doch da waren so viele Dinge, die Pein sofort ins Auge stachen. Dinge, die es von jeder anderen Siedlung absetzte, die er bis jetzt gesehen hatte. Es gab keine Schutzmaßnahmen – da waren keine Palisaden, keine Gräben, nicht einmal ein paar behelfsmäßiger Barrikaden oder sonstige Hindernisse. Die Häuser wirkten allesamt äußerst gepflegt und gut in Schuss, keine Löcher in den Dächern, keine halb abgebrannten Ruinen, keine Stadien des Wiederaufbaus nach Zerstörung. Kein Fahnenmast mit einem Banner, das die Zugehörigkeit zu einem Kriegslord verkündete. Ohne ein solches Zeichen lebten die meisten Dörfer nicht lange, denn es zeigte, unter wessen Schutz die Ansiedlung stand.
 

Die Menschen waren äußerst fröhlich, er konnte die lachenden Stimmen bis hinauf zu den Hügeln hören. Sie wirkten gut genährt, gesund und wohlhabend – nicht reich, aber sie hatten, was sie für das Leben brauchten und dazu noch etwas mehr. Ebenso wie die Tiere, die allesamt gut im Futter stehen mussten. Und das konnte er von so weit weg sehen. Wie musste es erst sein, wenn er dort unten durch die Straßen ging? Wie viele Kleinigkeiten würde er sehen, die dieses Dorf von dem Rest der Welt abhoben, die er kannte? War das hier … eine Art verstecktes Paradies, hoch in den Bergen, so dass kein Mensch herkam, niemand sich um sie kümmerte und der Krieg ungesehen an ihnen vorbeizog?
 

Es war … es war wie ein Traum. Der wahrgewordene Wunsch, das Ziel, das er immer vor Augen gehabt hatte, wenn er an die Zukunft dachte und vom Ende des Krieges sprach. In ein solches Dorf wollte er Konan und Yahiko bringen und wenn er es selbst hätte errichten müssen. Nach dem Krieg, das hatte er sich und seinem Sohn versprochen, auch wenn er in seiner Gefährtin keine Hoffnungen wecken wollte, die sie sich so wünschte und doch nicht an sie glauben konnte. Ein solches Dorf, solcher Frieden, freundliche Menschen, unberührt vom Krieg, den immerwährenden Kämpfen, dem Tod und dem Leid und dem ganzen Elend. Dann leben davon, was die eigenen Hände hergaben. Jagen. Pferde oder Hunde züchten. Endlich Frieden finden. Doch das hatte bis jetzt immer wie ein unwirklicher Traum gewirkt, etwas, über das er noch nicht einmal mit Konan sprechen wollte und konnte, aus Angst, sie enttäuschen zu müssen. Und jetzt war es zum Greifen nahe.
 

Der Dorfplatz und eine große Wiese direkt im Anschluss desselben waren vorbereitet für das Fest – Freudenfeuer, die trotz des inzwischen nachlassenden Regens hoch brannten, improvisierte, bunte Pavillons, die überall aufgestellt worden waren und die Nässe von oben abhalten sollten, grob gezimmerte Holzböden, die dafür sorgen sollten, das Feiernde nicht bis zu den Knöcheln im Matsch versanken, lange, schwere Tafeln, die sich unter der Last der aufgefahrenen Köstlichkeiten bogen, knallbunte, aber im Moment klatschnasse Bänder und Girlanden, die dem Ganzen einen fröhlichen, festlichen Anstrich verliehen. Und im Süden klarte sogar der Himmel auf, so dass die Wolken leuchtendes Blau enthüllten – als hätte das Wetter endlich ein Einsehen, so dass der Abend vielleicht doch nicht gänzlich unter den überdachten Flächen verbracht werden musste.
 

„Was habt Ihr?“, riss Aring ihn aus den Gedanken und Pein zuckte beinahe ertappt zusammen. „Habt Ihr noch nie ein Dorf gesehen?“ Er grinste verlegen auf den Blick, den der Krieger ihm daraufhin schenkte, und hob kleinlaut die Schultern. „Ihr habt nur einen so verwunderten Gesichtsausdruck… Als könntet Ihr nicht glauben, was Ihr hier seht.“ Was im Grunde auch stimmte, schoss es Pein durch den Kopf. Nein, derartiges hatte er wahrlich noch nie gesehen. Stattdessen erklärte er: „In meiner Heimat … sehen die Dörfer anders aus.“ Und das musste Aring genügen. Er wollte dem Jungen keine Geschichten über ständige Angst erzählen, über Kinder, die ihre Eltern an vorbeiziehende Horden oder plündernde Soldaten verloren, über Palisaden, andauernde Kämpfe, Hunger und Leid. Er wollte dieses friedliche Bild genießen, dieses kleine Paradies, das Aring als selbstverständlich hinnahm und das er bald hinter sich lassen musste.
 

„Ihr müsst ja von ziemlich weit weg kommen.“, brummte Aring und Pein musste ihm insgeheim zustimmen – auf die eine oder andere Art und vielleicht sogar eine, von der nicht einmal er ahnte, war es die Wahrheit. Mit diesem Gedanken setzt er sich in Bewegung und folgte dem kleinen Pfad den Hang hinunter. Im Dorf konnte er zumindest Kriegsstern tränken und wer wusste es schon, vielleicht bekam er ein kleines Zimmer, in dem er sich etwas ausruhen konnte? Je näher sie kamen, desto mehr Einzelheiten fielen ihm auf – das Pflaster der Straße war gefegt. Die Blumen in den Kästen vor den Fenstern waren einfach nur das – keine Kräuter, keine Gewürze, einfach nur hübsche, bunte Blüten. Die Fenster selbst waren entweder mit dünner, durchscheinender Tierhaut bespannt oder durch echtes, durchscheinendes Glas verschlossen. Die Wände waren frisch gestrichen oder zumindest sauber geputzt. Im Grunde wirkte alles sauber und adrett – da waren keine Risse in den Wänden, keine Löcher, keine Brüche. Pein war beinahe erleichtert, als er ein Baugerüst in einer Gasse sah, bis er bemerkte, dass da jemand nur jemand sein Haus ausbaute.
 

Das war verrückt. Alles hier – die friedliche Atmosphäre, der Reichtum des Dorfes, die glücklichen Menschen, die wohlgenährten, zahlreichen Tiere… Es war alles, was er sich von der Zukunft erträumte, und jetzt kam es ihm so surreal vor. Unwirklich. Als würde es, wenn er versuchte, die Hand danach auszustrecken und es zu berühren, zerbrechen wie die Knochen eines Rotkehlchens in einer geballten Faust oder sich einfach auflösen wie zarter Nebel unter der frühen Sommersonne. Als wäre es einfach nicht für ihn geschaffen. Darum war seine Aufmerksamkeit gebunden von Wunder und Staunen, als sein Blick über die adretten Häuser glitt, die blühenden, bunten Blumen an den Glasfenstern, die gefegten Straßen…
 

Er bemerkte kaum die Augen, die auf ihn gerichtet waren, ihn, den fremden Krieger, der so unvermittelt aus dem verwilderten, unbevölkerten Norden auftauchte, mit zahlreichen Waffen und einem Pferd, in dessen Sattel Aring saß. Vermutlich war der Junge der einzige Grund, warum man ihn überhaupt so weit gehen ließ, ohne dass ihm jemand den Weg versperrte. Immerhin kannten sie ihn, jedoch nicht den Krieger und wer würde einen bewaffneten Fremden einfach so ins Dorfzentrum lassen, ohne Fragen zu stellen? Selbst in ein Dorf, das nicht von Palisaden, Gräben oder anderen Begrenzungen umgeben war? Denn man starrte ihn zwar an, aber niemand kam näher, niemand machte einen Versuch, ihn abzuweisen oder ihm auch nur ein paar Fragen zu stellen.
 

„Die Schmiede meines Vaters ist dort am anderen Ende des Platzes.“, erklärte Aring plötzlich und riss ihn aus den Gedanken. „Hn?“, machte Pein fragend und folgte dem Fingerzeig mit den Augen. Aber der wäre kaum nötig gewesen. Die Schmiede war auch so gut zu erkennen. Es handelte sich um ein zweistöckiges Gebäude über dessen Eingang ein großes Schild mit dem das Universalzeichen für das Metallhandwerk hing – dem Hammer. Die Buchstaben, die unter dem Symbol standen, konnte Pein nicht entziffern, da er nicht lesen konnte, aber das spielte keine Rolle. Die Bedeutung des Gebäudes war auch so zu erkennen.

Eine schwere Holztür führte ins Innere, vor den Fenstern hingen Blumenkästen und die Schmiede nahm den größten Teil des Erdgeschosses ein. Der hintere Teil war durch eine Wand abgetrennt, aber eine große Schiebetür stand offen und gab den Blick auf Arbeitsplätze, Werkzeug und Rohmetall frei. Die größte Esse, der enorme Blasebalg und der Amboss standen so halb im Freien, nur überdacht. Die Deckenbalken waren schwarz verrußt, aber gut intakt.
 

„Aring, was hat das zu bedeuten?“ Die dunkle, energische Frauenstimme riss Pein aus der Betrachtung und er wandte sich um, um zu erklären, warum das Kind auf seinem Pferd saß und dass er ihm nichts Böses wollte. Aber die kleine, matronenhafte Frau mit den Lachfältchen um die Augen und den in die breiten Hüften gestemmten Fäusten schaute nicht ihn misstrauisch und feindselig an. Ihr strenger, missbilligender Blick lag auf dem kleinen Reiter, der in Kriegssterns Sattel in sich zusammengeschrumpft war, wie es nur ein Junge tat, der wohlverdiente Schelte von seiner Mutter erwartete. „Ich… Er … Oben im Wald…“, druckste Aring ein wenig herum und lenkte sich dann ab, indem er umständlich aus dem Sattel stieg.
 

Yerina – und Pein war sich sicher, dass sie es war, wenn man nach dem pausbäckigen Gesicht und dem braunem Haar ging – verfolgte seine Handlungen mit strengem Blick, ehe sie sich mit einem freundlichen Lächeln Pein zuwandte. „Ich hoffe, er ist Euch nicht zu sehr in den Ohren gelegen oder ist Euch auf eine andere Art auf die Nerven gefallen, Herr Ritter.“, sagte sie. Der Krieger, überrumpelt ob der Höflichkeit, der Anrede und des allgemein freundlichen Tonfalls, stand einen Augenblick stumm da, ehe er den Kopf schüttelte. „Nein, er hat mir den Weg zum Dorf gezeigt.“ Dabei ließ er die prekäre Lage, in der er das Kind angetroffen hatte, unter den Tisch fallen – Vorsicht war besser als Nachsicht und er würde Aring nicht auf diese Weise in Schwierigkeiten bringen. Nicht, dass seine Mutter nicht sowieso herausfinden würde, was passiert war; Yahiko war das auch nie anders gegangen. Mütter hatten da ihre Möglichkeiten, selbst wenn sie nicht von Kindesbeinen an in Spionagetechniken ausgebildet worden waren wie Konan.
 

„Sag, ist das Wasser frei für jeden?“ Mit dem Kopf deutete er auf den Brunnen in der Mitte des Platzes. Die Frau starrte ihn überrascht und verwirrt an, nickte dann aber. „Natürlich.“ Sie lächelte. „Bedient Euch nur, während ich mich mit diesem Bengel hier unterhalte.“ Sie brauchte nichts anderes zu tun als die Arme vor der Brust zu verschränken und Aring schlich zu ihr wie ein geprügelter Hund. Pein schmunzelte amüsiert – das Bild kam ihm bekannt vor – und führte Kriegsstern dann zu der Wasserstelle hinüber. Die Leute, die um den Brunnen standen und das Spektakel belustigt mit angesehen hatten, machten ihm bereitwillig Platz.
 

Ein Halbwüchsiger zog sogar bereits den Wassereimer nach oben um den Tiertrog zu füllen, der daneben aufgestellt worden war. Mit einer Geste bedeutete er dem fremden Krieger, das Pferd zu tränken. Fragen stellte niemand. Im Gegenteil: die Dorfbewohner zogen sich größtenteils zurück und unterhielten sich tuschelnd. Doch die Blicke, die in seine Richtung geschickt worden, waren eher neugierig und verwirrt, als unfreundlich oder gar feindlich.

Die beiden Personen, die zurückblieben, waren eine junge, blonde Frau, der Haltung und dem trainierten Zustand ihres Körpers nach eine Kriegerin, die ihn neugierig und durchdringend musterte, und der Halbwüchsige, der weiterhin den Brunnen bediente um den Trog zu füllen.

Zwischendurch reichte er Pein eine Kelle, aus der man trinken konnte. Dieser nahm mit einem dankenden Nicken an und ließ den Blick wieder über das Dorf schweifen, die Sauberkeit, die fehlende Zerstörung, die gut genährten Menschen und Tiere, die keine Sorgen auf der Welt haben schienen. Die gläsernen Fenster. Die Abwesenheit des Banners. Der helle Schein der Freudenfeuer, die ihn an das vorbereitete Fest denken ließen, welches er vom Dorfplatz aus nicht sehen konnte. All das ging über seinen von vielen Leuten so gepriesenen Verstand.
 

Yerina steuerte mit ihrem Sohn im Schlepptau bereits auf ihn zu, als Kriegsstern sich vom Trog abwandte. Er schüttelte den ausdruckstarken Kopf und die dicke Mähne, um das Regenwasser loszuwerden. Inzwischen hatte es aufgehört zu regnen, nur noch hin und wieder fielen einige Tropfen herab und die vorher so dunklen Gewitterwolken wichen nun auch über dem Dorf klarem, blauen Himmel.
 

Yerina und Aring kamen schließlich bei ihm an. „Ich bin Yerina, die Frau des Schmieds und die Mutter von diesem Racker hier.“, stellte sie sich resolut vor. „Er hat mir erzählt, dass Ihr ihn aus einer heiklen Situation gerettet hab. Habt Dank dafür, Herr Ritter.“ Pein winkte ab. „Ich bin kein Ritter, nur ein Soldat. Und er hat sich selbst geholfen.“ Aring schnitt hinter dem Rücken seiner Mutter eine Grimasse, so dass sie es nicht sah, sagte aber nichts. Yerina zog eine Augenbraue hoch, als könne sie das nicht so ganz glauben, erwiderte jedoch nichts darauf. Anscheinend hatte sich das Thema für sie erledigt.
 

„Wir haben keine echte Herberge im Dorf – Besucher nächtigen in der Dorfhalle – aber wenn Ihr nichts dagegen habt, könnt Ihr diese Nacht unser Gästezimmer nutzen. Es wäre uns eine Ehre, …“ Sie ließ den Satz fragend in der Luft hängen und wies damit höflich darauf hin, dass sie sich zwar vorgestellt hatte, aber er das bis jetzt unterlassen hatte. „… Nagato.“ Erneut klang der Name beinahe fremd auf seiner Zunge, als wäre es nicht sein eigener.
 

„Ich hatte gehofft, noch heute weiterzukommen.“, erklärte er vorsichtig, aber Yerina wollte davon nichts hören. „Die Sonne geht bald unter.“, bemerkte sie. „Und das nächste Dorf ist einige Stunden entfernt, Ihr würdet es niemals rechtzeitig erreichen. Und Ihr seht mir aus, als hättet ihr eine schlimme Zeit hinter Euch – auf Eure Rippen könnte ruhig noch etwas Fleisch und Ihr seht etwas blass um die Nase aus.“ Erneut überrumpelt starrte Pein sie nur an; es fühlte sich beinahe so an, als hätte ihm jemand mit einem Brett vor den Kopf geschlagen. Yerina machte eine einladende Geste. „Kommt, kommt. Ich stelle euch meinem Mann vor. Das Pferd kann in den Stall, Aring wird es versorgen.“ Darüber wirkte der Junge nicht sonderlich begeistert, aber als er ansetzte, um sich zu beschweren, schenkte seine Mutter ihm nur einen strengen Blick und er klappte den Mund wieder zu.
 

Pein warf einen nachdenklichen Blick auf Kriegsstern, der beinahe hoffnungsvoll aussah – Worte wie ‚Stall‘ verstand er sehr gut – und dachte an seine eigene Verletzung und daran, dass ein gutes Mahl und eine Nacht in einem Bett Wunder tun konnten. „Also gut. Vielen Dank.“ Er deutete eine leichte Verbeugung an und nahm die Zügel des Pferdes wieder auf. Yerina lächelte breit und führte ihn zu der Schmiede hinüber. „Bral!“, rief sie laut, als die kleine Gruppe sich bis auf ein paar Meter genähert hatte. „Bral! Wir haben einen Gast!“ Als keine Antwort kam, schüttelte sie den Kopf und murmelte: „Wo steckt dieser Nichtsnutz?“ Allerdings klang sie nicht, als wäre sie wirklich böse auf ihren Mann. „Soll ich ihn suchen?“, bot Aring hoffnungsvoll an, aber seine Mutter warf ihm nur einen strengen Blick zu. „Das könnte dir so passen. Bring lieber das Pferd in den Stall und kümmere dich darum.“ Das klang endgültig und die Schultern des Kindes sackten geschlagen nach unten, doch noch immer machte er keine Anstalten, Kriegsstern zu dem kleinen Gebäude hinüberzuführen, das halb hinter und halb neben der Schmiede errichtet worden und von einer nahezu winzigen Weide umgeben war.
 

„Bral!“, rief seine Mutter jetzt lauter und ihre Stimme wurde energischer. „Bral!“ „Jaja.“, kam diesmal eine Antwort. „Was ist denn jetzt schon wieder?“ Dann tauchte der Schmied aus dem Hintergrund seiner Werkstatt auf, von wo es offenbar ins Wohnhaus ging. Er war ein großer, breiter Mann mit den Muskeln, die sein Gewerbe mit sich brachte, einem völlig kahlen Schädel und klaren blauen Augen. Beim Gehen stütze er sich schwer auf eine Krücke, die er sich unter die Achsel geklemmt hatte – sein rechter Fuß war durch ein Holzbein ersetzt worden und eine alte Narbe zog sich quer über seine Wange. Pein erkannte mit dem geübten Blick eines Mannes, der schon zu viele Verletzungen dieser Art gesehen hatte, dass sie von Klingen stammten. Auch die Bewegungen deuteten darauf hin, dass dies kein einfacher Schmied war, sondern ein Krieger. Vielleicht hatte er vor Jahren in der Armee eines Kriegsfürsten gedient, wo Schmiede immer willkommen waren – und auch nicht selten aktiv an den Kämpfen teilnahmen. Doch dieser hatte anscheinend ausgedient und sich mit seiner Familie in dieses kleine, friedliche Paradies zurückgezogen.
 

„Wir haben einen Gast.“, erklärte Yerina ihm, während er besagten Fremden mit aufmerksamen Blick musterte. Ihm entging nichts; nicht die Haltung des Kriegers, nicht das trainierte Pferd, nicht die Waffen und auch nicht die … „Eine außergewöhnliche Rüstung.“, bemerkte er mit einem kundigen Blick auf besagte Ausstattung, selbst wenn er von der eigentlichen Brünne nicht viel sehen konnte dank der zerschlissenen Tunika, die Pein darüber trug. „Und ein außergewöhnliches Material! Sind das Schuppen?“ Für einen Moment fragte sich Pein, ob es ungefährlich war, einfach mit Ja zu antworten. Seine Rüstung – das Kettenhemd und die Armschienen, die er im Moment trug, sowie den Rest, der in den Taschen des Packesels verborgen war (wie auch die gleichen Rüstungen seiner vier Gefährten) – bestand aus einer kunstvollen, zusammengesetzten Arbeit aus tiefroten Drachenschuppen und den winzigen, schwarzen Kettenringen aus der Hand eines Meisterschmiedes. Einem Mann wie Bral, selbst Schmied und mit einem Auge für Waffen und Rüstungen, musste das sofort auffallen und er erkannte, dass dies keine normale Arbeit war.
 

Yerina war es, die ihm die Antwort ersparte, indem sie Bral in die Seite knuffte. „Wo sind deine Manieren, Mann?“ Sie wandte sich Pein zu. „Dies ist mein Gatte, Bral. Er ist der Schmied des Dorfes.“ Sie drehte sich wieder um. „Und dies ist Nagato. Er hat deinen Sohn aus einer schlimmen Lage befreit, in die er sich einmal mehr gebracht hat, und darum habe ich ihn eingeladen, die Nacht bei uns zu verbringen.“
 

Bral musterte den so plötzlich auftauchenden Fremden noch einmal misstrauisch und Pein erwiderte den Blick ruhig. Gerade, als er anbieten wollte, doch schon jetzt weiterzuziehen, rang der Schmied sich ein freundliches Lächeln ab. „Na dann, willkommen in unserem bescheidenen, kleinen Dorf, Herr Ritter.“ „Er ist kein Ritter.“, krähte Aring von hinten, doch das brachte ihm nur einen weiteren, strafenden Blick seiner Mutter ein. „Ich bin nur Soldat.“, fügte Pein trotzdem hinzu. „Und ich danke dir für deine Gastfreundschaft, Bral-san.“ Der warf ihm noch einen durchdringenden, doch etwas überraschten Blick zu und nickte. Yerina dagegen strahlte zufrieden in die Runde. „Kommt mit, Nagato. Ich zeige Euch, wo Ihr die Nacht bleiben könnt. Und Aring wird sich um das Pferd und Eure Satteltaschen kümmern.“ „Aber…“, wagte der Genannte einen letzten Versuch, doch seine Mutter schnitt ihm das Wort an: „Das ist das Mindeste, was du tun kannst, nachdem er dir so freundlich geholfen hat.“
 

Mit einem schweren Seufzen griff Aring nach Kriegssterns Zügeln und führte das Pferd über den Hof in den Stall. „Kommt.“, winkte Yerina ihrem Gast. Dieser folgte der Frau in das Gästezimmer, das im hinteren Teil des Gebäudes direkt angeschlossen an die Wohnstube lag. Die Betten der Familie mussten sich im oberen Stockwerk befinden. Die kleine, hintere Kammer war nicht reich ausgestattet, aber sauber. Über dem Bett lag eine Überdecke mit bunten Mustern, ein Fenster ging auf eine kleine, von Blumen gesäumte Gasse hinaus und die Möbel – Bett, Schrank, Truhe, Tisch und ein Stuhl – bestanden aus haltbarem, sauber bearbeitetem Holz.
 

„Fühlt Euch wie zuhause.“, erklärte Yerina mit einem Lächeln. „Braucht Ihr noch etwas?“ Die ehrliche Freundlichkeit in ihrer Stimme ließ in Pein erneut das Gefühl aufsteigen, von allem einfach überwältigt zu werden und komplett überfordert zu sein. Doch dann nickte er – er musste praktisch denken. „Wenn du eine Schüssel warmes Wasser hättest? Und saubere Tücher?“ „Natürlich. Ich bring es gleich vorbei.“ Damit verließ sie den Raum und schloss die Tür hinter sich.
 

Pein starrte ihr einen Moment nach, noch immer gefangen in einem Gefühl der Surrealität, der Absonderlichkeit. Vielleicht war dies ein Traum. Doch wenn es einer war, war es dann ein guter Traum oder das Gegenteil – ein Albtraum? Mit einem Kopfschütteln wandte er sich ab. Als ob das eine Rolle spielte. Und selbst wenn er sich nicht sicher wäre, dass dies die Wirklichkeit war, so unglaublich sie sich auch präsentierte, was blieb ihm anderes übrig, als mitzuspielen und sich einen Weg in dieser fremdartigen Welt zu suchen? Dies war das erste Mal seit der Trennung von seinen Gefährten, dass er wieder die Ruhe und Sicherheit fand, die er brauchte, um sich um essentielle Dinge wie die aufgebrochene Wunde zu kümmern; er musste diese Zeit nutzen.
 

Er warf das Singende Schwert auf das Bett und ließ seinen Umhang darüber fallen, so dass es völlig verdeckt war, und ebenso die einfache Tunika, die er darunter trug. Mit geübten Bewegungen öffnete er die Schnallen, die die Armschienen an seinen Unterarmen festhielten, und dann jene an der Brünne, die Bral vorher so bewundert hatte. Das Hemd, das er darunter trug, war an der Seite von Blut durchtränkt. Vorsichtig schob er eine Hand darunter, um den Ausmaß des Schades zu ertasten. Ein paar der Stiche hatten sich geöffnet und die Heilrunen, die die Heilerin so sorgfältig darum verteilt hatte, vermutlich verwischt und ohne weitere Wirkung.
 

An der Tür klopfte es kurz, dann stieß Aring sie auf und stolperte herein, die Satteltaschen hinter sich herziehend. „Ich lege sie einfach hier an die Seite, ja?“, sagte er und schob das Gepäck in die Ecke neben der Tür. Pein zog eine Augenbraue hoch und nahm ihm einen Teil der Last ab. Aring grinste zu ihm hoch. „Dem Pferd geht es gut. Kann ich die Axt nachher mal halten?“ Für einen Moment fühlte Pein sich beinahe schmerzhaft an Yahiko erinnert. „Vielleicht. Lass uns das später bereden.“ Aring seufzte, nickte aber ergeben, was aber auch daran liegen konnte, dass seine Mutter in diesem Moment nach ihm rief. „Aber nicht vergessen!“ Mit diesen Worten verließ er das Zimmer wieder und Pein wandte seine Aufmerksamkeit wieder seiner wichtigsten Aufgabe zu: der Versorgung der Verletzung.
 

Auch er trug, wie jeder gute Soldat, ein Bündel mit den rudimentären Verbandsmaterialien bei sich – ein paar einfache Kräuter und Salben, Bandagen, Nadel und Faden sowie starken Alkohol zur Wundsäuberung. Er rollte das Bündel auf dem Tisch auf, dann nutzte er das sowieso schon blutige Hemd, um die gröbsten Verunreinigungen zu entfernen, ehe er sich den Schaden genauer ansah. Drei der Stiche waren wieder aufgegangen, aber zum Glück schien die Blutung schon wieder versiegt zu sein. Es sah jetzt nur noch hässlich aus. Die Gastfreundschaft des Schmiedes und seiner Frau würde ihm sehr helfen.
 

Er blickte auf, als die Tür erneut geöffnet wurde. „So.“ Geschäftig und mit einem Tablett in der Hand, auf dem die erbetenen Dinge standen, betrat Yerina das Zimmer. Sie stellte das Tablett auf dem Tisch ab. „Hier ist es und ich bin… Oh!“, rief sie aus, als sie bemerkte, warum genau er nach Wasser und Tüchern gefragt hatte. Mit großen Augen starrte sie auf die offene Wunde und die frische Farbe wich aus ihrem Gesicht. „Wie…“, begann sie, aber Pein wehrte jedes weitere Wort mit einer Handbewegung ab. „Das ist schon ein paar Tage alt, kaum lebensgefährlich.“, erklärte er und spürte die altbekannte Irritation aufsteigen, die zimperliche Leute in ihm weckten.
 

„Die Stiche sind nur wieder aufgegangen.“ Yerina nickte, noch immer etwas blass um die Nase, den Blick auf die Verletzung geheftet. „Ich kann mich allein darum kümmern.“, erklärte er mit bemüht ruhiger Stimme. „Seid … seid Ihr sicher? Wir … wir haben … einen Heiler im Dorf und ich kann…“ „Ich hatte schon einen Heiler.“ „Aber…“, begann sie, doch anscheinend wusste sie nicht, was sie hinzufügen sollte. Endlich schaffte sie es, den Blick abzuwenden und er irrte zum Fenster, an die Decke, auf den Boden, nur nicht zu Pein.
 

„Ich…“ „Ich bin sicher. Würdest du…?“ Er machte eine Kopfbewegung zur Tür und sie verstand. „Ich… Ja, ich…“ Sie wandte sich ab. „Falls Ihr nochmal etwas braucht… Frisches Wasser oder…?“ Er nickte und sie verschwand endlich, schloss leise die Tür hinter sich und Pein atmete auf. Situationen wie diese waren ihm fremd – und darum unangenehm. Meist versuchte er sie so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.
 

Trotz seines Status‘ als Held und Kriegsherr hatte er sich nie daran gewöhnt, mit anderen Menschen umzugehen. Er war eher der Einzelgänger, der nie die Erziehung genossen hatte, hinter der Neji sich verstecken konnte, oder das harte Training, das Konan ihre Eloquenz gab, hatte nicht die natürliche Freundlichkeit Hinatas oder Kibas Gabe, Verbindungen zu knüpfen. Und er hatte auch keine Geduld mit Leuten, die derart schockiert über Verletzungen, Blessuren und Blut waren. Es war alltäglich… Doch vielleicht konnte er es Yerina gar nicht vorhalten – sie lebte hier in ihrem kleinen Paradies, abgelegen und abgeschnitten von der Welt, die er kannte, dem Krieg und all den Schrecken, die damit folgten. Die Versorgung von Wunden gehörte zu den ersten Dingen, die man auf Kriegszügen lernte, denn an Heilern mangelte es immer und überall. Es war nun einmal einfacher, Leben zu nehmen, als es zu bewahren.
 

Aber er konnte sich jetzt nicht länger darum kümmern und würde Yerina auch nicht weiter damit zur Last fallen. Mit einer Hand hielt er das Hemd auf die Wunde gepresst, während er seine Utensilien vorbereitete. Er tauchte einige der Tücher in das Wasser, fädelte eine dünne Schnur in die Nadel, durchtränkte ein weiteres Tuch mit dem Wundalkohol und betrachtete schließlich noch einmal die Verletzung, ehe er sich daran machte, sie zu reinigen. Schließlich griff er nach der Nadel. Mit ruhiger Hand und versteinertem Gesicht macht er sich an den schmerzhaftesten Teil seiner Arbeit.
 

Das Wasser in der Schüssel hatte sich rot gefärbt, als er seine Arbeit beendete. Gerade, als er den letzten Knoten des Verbandes zuknüpfte, pochte es laut an der Tür, die ohne weitere Umstände aufgestoßen wurde. Bral stand im Türrahmen, schwer auf die Krücke gestützt, mit der er eben angeklopft hatte. Er warf nur einen kurzen Blick auf den Verband, sagte jedoch nichts dazu. „Meine Frau möchte wissen, ob Ihr noch etwas benötigt.“, erklärte er stattdessen. „Außerdem findet heute Abend, wie Aring Euch sicher erzählt hat, ein Fest statt.“ Er ließ den Satz für einen Moment in der Luft hängen. Pein wusste, was er damit ausdrücken wollte und nickte, dass der Schmied fortfahren sollte.
 

„Yerina besteht darauf, dass Ihr auch daran teilnehmt.“ Bral zog einen Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln nach oben. „Ihr solltet nicht mit Ihr darüber streiten, sondern einfach kommen. Ihr könnt einfach am Rand sitzen, falls Euch nicht nach Gesellschaft ist.“ Pein zog eine Augenbraue hoch – war er so offensichtlich? Oder hatte Bral einfach große Menschenkenntnis und genug Erfahrung mit ähnlichen Situationen? Pein war nicht nach einem Fest, aber er konnte seine Gastgeber nicht einfach vor den Kopf stoßen.
 

„Und es gibt immer gutes Essen.“, fügte der Schmied hinzu. „Aring wird Euch nachher abholen.“ „Danke.“, antwortete Pein und er meinte damit nicht die Einladung zu dem Frühlingsfest. „Dass du mir eine Unterkunft bietest. Wo ich herkomme, ist das keine Selbstverständlichkeit.“ Nur, dass seine Gastgeber dies auch wussten. Für Pein war eine derartige Freundlichkeit gegenüber Fremden ein rares Gut – und damit wertvoll. Bral neigte als Antwort nur mit einem freundlichen Lächeln den Kopf und humpelte wieder hinaus. Doch anscheinend hatte er – mehr als Aring und Yerina das konnten – verstanden, was ein Geschenk er seinem Gast bereitet hatte.

Chapter 5 ~ Are you looking for saviours?

Es war Vollmond und eigentlich könnte der Zeitpunkt für ihre Rettungsmission nicht unpassender sein. Nachts wurde es oftmals so hell, dass man in der Dunkelheit kaum Schutz fand, aber sie hatten keine Wahl, wenn sie Lee befreien wollten. Ihre Zusammenarbeit könnte allerdings besser sein. In der vergangenen halben Stunde hatte sich Naruto mindestens dreimal mit Deidara in die Haare gekriegt und nur durch Inos wiederholte Wutausbrüche war es ihr gelungen ihre Streitereien zu unterbinden. Immerhin halfen sie Lee auch nicht unbedingt damit, wenn sie sich schon vorher selbst die Köpfe einschlugen.
 

„Also machen wir es so.“, erklärte Ino brüsk. „Deidara legt Feuer und lenkt die Aufmerksamkeit der Wachen auf sich.“ „Immer muss ich die Drecksarbeit machen und ihr könnt die spannenden Dinge erledigen“, murrte Deidara. Ino achtete nicht auf ihn. „Wir beide, Naruto, wagen uns ins Innere der Burg. Ungefähr wissen wir ja wo die Gefangenen sind, nachdem wir diese Soldaten ausgehorcht haben.“
 

Der Angesprochene nickte bestätigend. Es war wirklich ein Glück gewesen, dass sie dieses Gespräch mitbekommen hatten. Wäre es anders gekommen… Wenn die Uchiha Lee schon gehängt hätten… „Und keine ungeplanten Einzelaktionen, Naruto“, ermahnte ihn Ino, „unsere einzige Aufgabe ist es, Lee da rauszuholen. Wir können es uns nicht leisten dich wegen irgendeiner Unachtsamkeit zu verlieren.“ „Schon gut, Ino“, knurrte Naruto. Er hatte es satt, dass immer er derjenige war, der eine Sonderbehandlung bekam. Und dies war die erste Gelegenheit, die sich ihm bot endlich mal etwas zu bewegen.
 

„Und ich will, dass du den hier anziehst.“ Er sah auf. Ino hielt ihm einen Kapuzenmantel hin und sah ihn mit einer Miene an, die keinen Widerspruch duldete. Naruto starrte auf das Kleidungsstück, das Ino ihm hinhielt. Sauer schnappte er sich den Mantel und wandte sich ab. Wie er es hasste sich zu verstecken, obwohl doch alles in ihm schrie: Hier bin ich! Und ich stelle mich eurer Tyrannei entgegen!
 

„Tut mir leid, Naruto“, sagte Ino, „aber das Risiko ist auch so schon fast zu groß.“ „Schon gut, Ino.“ Er spürte, wie sie ihn schuldbewusst ansah, als er sich den Mantel überstreifte. Deidara verdrehte die Augen. „Benehmt Euch nicht wie ein Kleinkind, Euer Majestät.“ „Halt die Klappe, Deidara!“, fauchte Naruto. „Habe ich etwa einen Nerv getroffen, oh ehrwürdiger Herr?“ Naruto wollte gerade etwas erwidern, als Ino dazwischen fuhr: „Seid still! Alle beide! Vielleicht brüllt ihr noch ein bisschen lauter, dann können wir Lee auch gleich Gesellschaft leisten!“ Naruto und Deidara verstummten. Ino atmete einmal tief durch, spähte durch die Hintertür und winkte die beiden schließlich heran.
 

Eine halbe Stunde zuvor hatten sie sich in die Burganlage eingeschlichen und sich seitdem im hinteren Teil des Stalls versteckt, der zu dieser Uhrzeit keine Menschenseele anlockte. Das einzig Außergewöhnliche waren die beiden Pferde gewesen, die gesattelt und mit Gepäck beladen am Eingang angebunden waren. Wahrscheinlich war jemand spät von einer Reise zurückgekehrt und man hatte vergessen sie abzusatteln. Was es auch war, solange keiner sie entdeckte, war es egal. Wie sie zu ihrer Erleichterung festgestellt hatten, waren die Soldaten bis auf einige Wachleute auf den Burgmauern größtenteils damit beschäftigt sich zu betrinken, während die übrige Dienerschaft schon schlief.
 

Ino öffnete die Tür vollständig und schlüpfte, gefolgt von ihren dauerstreitenden Begleitern, hinaus. „Sei vorsichtig, Deidara.“, flüsterte sie ermahnend, als eben jener beinahe lautlos in die andere Richtung verschwand. Naruto hatte nur noch Zeit einen schnellen Blick über den Innenhof zu werfen, ehe Ino ihn mit sich zog und sie durch eine Dienstbotentür in die Burg eindrangen.
 

Die beiden Freunde tauschten einen Blick. Sie waren in der Waschkammer gelandet, wo ihnen etliche Laken die Sicht versperrten. Ino legte einen Finger an die Lippen, strich dann vorsichtig eine Stoffbahn beiseite und bewegte sich lautlos durch den Raum. Naruto folgte ihr, stieß jedoch mit dem Fuß gegen einen Wäschekorb und gab einen Schmerzenslaut von sich, den Ino mit einem bitterbösen Blick bedachte.
 

Sie kamen in einen nächsten Raum, in dem es furchtbar nach Seife und Scheuermittel stank. Irgendwo knarrte eine Diele und ließ Naruto und Ino zu Salzsäulen erstarren. Ein paar Momente warteten sie, doch als sich dann nichts rührte, atmete er kaum hörbar aus. Wahrscheinlich wurde er einfach nur paranoid.
 

„Naruto!“, zischte Ino und holte ihn in die Gegenwart zurück. Sie stand bereits auf dem Gang und gestikulierte ihm ihr zu folgen. Innerlich verfluchte er sich für seine geistige Abwesenheit. Sie hatten keine Zeit zu verlieren, wenn sie Lee befreien wollten. Bei den Göttern! Sie mussten aufpassen, dass sie nicht auch im Kerker landeten! Hastig trat Naruto neben seine Verbündete. Er blickte den Gang hinunter, an dem sich nur wenige Türen befanden. Fenster gab es nur zwei, durch die der Vollmond schien und ein unheimliches Schattenspiel auf die Wand malte.
 

Zu ihrem Glück fanden sie die Kerker ohne Probleme und auf dem Weg dahin kamen ihnen nur zwei Soldaten entgegen, vor denen sie sich schnell in einer Abstellkammer verstecken konnten. Das eigentliche Problem würden die Wachen sein, die im Kerker Dienst hatten.
 

Wortlos schoben sie sich an der Wand entlang und spähten aus dem Gang heraus in den Vorraum. Zwei Wachen waren zu erkennen, doch zu Narutos Erleichterung waren beide betrunken. Sie hatten ein Kartenspiel zwischen sich ausgebreitet und auf dem Boden lagen etliche Weinschläuche verstreut. Offenbar nahmen diese Männer es mit ihrer Dienstpflicht nicht sonderlich ernst. Oder aber sie veranstalteten hier unten ihr eigenes kleines Besäufnis, da sie nicht an dem der anderen Soldaten teilnehmen konnten.
 

„Isch hab gewonn‘!“, grölte gerade der eine, langte nach seiner Flasche und nahm einen kräftigen Schluck. „Lüg‘ misch nich an!“, lallte darauf hin der Andere zurück, „du hascht die Kart’n … du hascht die Kart’n …“ Er schien einen Moment zu überlegen, was er sagen wollte. Dann rief er triumphierend: „Du hascht die Kart’n vertauscht!“ „Nennscht du misch etwa einen Betrüger!?“ Der vermeintliche Gewinner sprang auf und wollte seinem Kumpan einen Schlag versetzen, doch verfehlte ihn vollkommen. Stattdessen taumelte er gegen die Wand, stolperte und krachte anschließend zu Boden, worauf der Zweite in lautes Gelächter ausbrach.
 

Keiner der beiden bemerkte Naruto und Ino, die sich aus dem Gang wagten und auf sie zukamen. Bevor sie überhaupt reagieren konnten, hatte Naruto schon dem ersten eins mit dem Griff seines Dolches übergezogen, woraufhin der ohnmächtig zusammensackte. Für einen Augenblick schien der übrige Soldat überrascht, doch Ino ließ ihm nicht die Zeit darüber nachzudenken, dass er besser Alarm schlagen sollte. Kaum, dass er den Mund geöffnet hatte, tat sie es Naruto nach. Der Soldat verdrehte die Augen und brach reglos auf dem Boden zusammen, wobei ein klirrendes Geräusch Narutos Aufmerksamkeit erregte. Er stutzte, drehte den Soldaten auf den Rücken und hielt im nächsten Moment einen Schlüsselbund in der Hand.
 

Inos Gesicht hellte auf und sie begann damit, durch die Gitter der einzelnen Zellentüren zu schauen. Naruto tat es ihr gleich. „Lee?“, rief er leise, „Lee, wo bist du?“ Doch es kam keine Antwort und mit jedem Blick durch die kleinen vergitterten Fenster in den schweren, eisenbeschlagenen Türen schwand seine Hoffnung Lee zu finden. Entweder waren die Kerkerräume leer oder Naruto erblickte Menschen, die vollkommen gebrochen waren. Es gab nicht einen, der unverletzt war. Alle waren sie schmutzig, mit Lumpen bekleidet und die wenigen, die wach waren, sahen nicht einmal auf, als er ihre Zellen kontrollierte.
 

Naruto lief ein Schauer über den Rücken. Mitleid und Wut bemächtigtem sich seinem Selbst. Wie konnten die Uchiha diese Menschen nur so behandeln? Wie konnten Menschen nur zu so viel Grausamkeit fähig sein, dass sie anderen vollkommen den Lebenswillen nehmen konnten? Selbst, wenn er ihre Zellentüren aufschließen würde, würden die Gefangenen nicht versuchen zu fliehen. Ihr Mut war vor langer Zeit erloschen und die Angst vor den Strafen, wenn man sie fassen sollte, war so groß, dass sie nicht mal einen Versuch unternehmen würden davon zu laufen. Zudem konnte er das Risiko nicht eingehen. Ino hatte recht, wenn sie sagte, dass sie nur gekommen waren um Lee zu retten und niemand anderen. Sollte doch jemand versuchen zu fliehen und die Uchiha diesen wieder einfangen, würden sie wissen, dass der Gefangene nicht von allein geflohen sein konnte. Sie würden wissen, dass jemand in die Burg eingedrungen war und dann würden ihre eigenen Erfolgschancen rapide sinken. Er hasste sich dafür, aber er ließ die Gefangenen hinter ihren verriegelten Türen zurück und konzentrierte sich darauf seinen Freund zu finden.
 

Naruto ballte die Hände zu Fäusten. „Lee?“, rief er abermals. „Lee, antworte mir!“ Nichts. Er kam am Ende der Reihe an und traf dann auf Ino, die die übrigen Zellen nach ihrem Freund abgesucht hatte. Ino sah genauso aus, wie er sich fühlte: verzweifelt und leicht panisch. Keiner von ihnen brauchte auszusprechen, dass Lee nicht hier war.
 

„Was machen wir jetzt?“, flüsterte Naruto. „Lass mich nachdenken“, antwortete Ino. „Lee ist nicht im Dienstbotentrakt und kann auch nicht in der Hauptburg sein. Er ist nicht im Kerker-“ Sie erstarrte. „Oh, nein…“ „Was ist?“, wollte Naruto wissen, „ist dir was eingefallen?“ Ino konnte nur nicken. „Nun, sag schon!“, verlangte er. „Naruto“, sagte Ino, „sie haben Lee nicht im Kerker bei den üblichen Gefangenen untergebracht. Er ist an einem Ort, von dem er nicht fliehen kann.“ Sie machte eine Pause und fast glaubte Naruto, dass sie sich sammeln musste. „Sie haben ihn in den Turm gesperrt.“
 

„In den Turm?“, wiederholte er verständnislos. Ino verdrehte genervt die Augen. „Naruto, Lee ist einer von uns. Sie wollten gar nicht, dass jemand herausfindet, dass sie ihn haben. Er ist ein Gefangener, von dem keiner etwas wissen sollte, damit wir uns in Sicherheit wiegen. Sie wollen alles aus ihm herauspressen und uns überrumpeln. Deshalb kapseln sie ihn von den anderen Gefangenen ab.“ „Na dann los! Wir müssen ihn retten.“ „Warte, nicht so schnell!“ Ino packte ihn vorsichtshalber am Umhang und zog ihn in den Schatten.
 

„Was ist denn jetzt noch?“, knurrte Naruto, „du bist dir sicher, dass Lee im Turm ist. Außerdem müsste Deidara-“ „Ich weiß, dass wir keine Zeit haben, aber, wenn wir in den Turm wollen, dann müssen wir durch die Hauptburg direkt an den Schlafgemächern der Uchiha vorbei. Selbst wenn wir das schaffen… was ist, wenn man uns entdeckt? Dann sitzen wir in der Falle.“ Sie hatte Recht. Naruto fluchte leise. Diese ganze Sache wurde immer unberechenbarer.
 

Noch immer hielt er den Schlüsselbund umklammert und versuchte nun seinerseits die Situation abzuschätzen. Fakt blieb, dass sie sich so oder so in der Burg befanden und Deidara von ihrer Entdeckung, dass Lee nicht im Kerker war, nichts wusste. Er würde nach Plan vorgehen und irgendwo ein Feuer legen.
 

„Wir müssen es trotzdem versuchen.“, beschloss er entschieden, „wenn Deidara die Soldaten ablenkt, steigt das Risiko, dass wir auffliegen sowieso, und wir werden ihn nicht mehr rechtzeitig finden, ehe wir die Sache abbrechen können.“ Einen Moment lang schien Ino über den Einwand nachzudenken, dann gab sie sich einen Ruck. „Einverstanden.“, sagte sie, „aber wir müssen uns beeilen.“
 

Naruto warf noch einen letzten Blick auf die Wachen, dann schloss er sie im Kerker ein und sie machten sich auf den Weg zum Turm. Kaum, dass sie wieder im Dienerbotentrakt ankamen, steuerte Ino die Küche an, übergab Naruto einen Weinkrug und nahm selbst einen riesigen Teller mit Brot, Käse, Schinken und süß duftendem Obst. Keiner der herumeilenden Bediensteten beachtete sie – anscheinend waren sie im Stress und Ino zog ihn so zielstrebig voran, dass es so wirkte, als gehöre sie hierher.
 

„Wofür ist das denn?“, wollte Naruto wissen, aber Ino war bereits schnellen Schrittes vorausgeeilt. Als er sie dann endlich einholte, zischte sie ihm zu: „Das ist zur Tarnung. Falls wir irgendwem begegnen, der mehr auf seine Umgebung achtet als diese überarbeiteten Diener hier, und wir uns nicht mehr verstecken können. Dann haben wir zumindest eine Ausrede.“ Er hob skeptisch eine Augenbraue, worauf Ino ihm einen genervten Blick zuwarf. „Wir bringen Lord Uchiha sein Nachtmahl.“, erklärte sie, „überlass das Reden besser mir.“ Naruto wollte gerade etwas erwidern, da warf ihm seine Freundin einen Blick zu, der dem seiner Mutter in nichts nachstand und ihn augenblicklich verstummen ließ.
 

Ino kannte sich erstaunlich gut aus. Vermutlich lag es daran, dass sie die Burg ausführlich beobachtet und sich gemerkt hatte, wo was zu finden lag. Naruto musste zugegeben, dass er sich ohne Ino bereits vollkommen verlaufen hätte.
 

Mit der Zeit wurden die Gänge immer prächtiger. Es gab Gemälde an den Wänden, die von der vermeintlich ruhmreichen Geschichte der Statthalter Konohas berichteten, bei deren Anblick Naruto vor Wut zu zittern begann, und herrliche rote Samtvorhänge. Streckenweise wurden die kahlen Steinwände von prächtigen Gobelinen verdeckt. Zudem war in regelmäßigen Abständen das Wappen der Uchiha an der Wand zu finden, sodass Naruto und Ino immer bewusster wurde, mit wem sie sich hier anlegten.
 

Das erste Anzeichen, dass sie sich nun in der Hauptburg befanden, war die Kemenate. Ein stilvoll eingerichteter Raum mit herrlichen Möbelstücken, einem einladenden Kaminfeuer und einem funkelnden Buntglasfenster, was allein schon purer Luxus war. Über dem Kamin hing ein Gemälde, das eine Familie zeigte. Ein ernst blickender Mann hatte einen Arm um eine dunkelhaarige Frau gelegt und zwei Jungen in unterschiedlichem Alter, die bereits beinahe so ernst wirkten wie ihr Vater. Naruto versuchte sich die Gesichter zu merken, falls Ino und er einem von ihnen begegnen sollten. Allerdings sah das Bild so aus, als würde es dort schon eine ganze Weile hängen. Wahrscheinlich sahen die Familienmitglieder heute ganz anders aus.
 

„Weiter!“, befahl Ino, „wir haben keine Zeit zu verlieren!“ Naruto zog sich die Kapuze noch tiefer ins Gesicht und folgte ihr. Sie bogen zweimal links ab, nahmen eine Treppe, die am Abort vorbei führte, kamen am Speisesaal entlang und gelangten schließlich auf einen Gang, der im Gegenteil zum Rest der Hauptburg vollkommen schmucklos war. Ino verlangsamte ihre Schritte. Ihre Zügen waren angespannt und sie schien auf das kleinste Geräusch zu lauschen. Sie waren bei den Schlafgemächern der Uchiha angelangt.
 

Naruto verkrampfte sich. Sie waren den Uchiha, die den Platz seiner Familie eingenommen und diese zu einem Leben in Verbannung verdammt hatten, so nah, dass er nur eine Tür öffnen musste, um ihnen gegenüber zu treten. Alles in ihm schrie danach genau das zu tun und sie für all das Leid, das er und seine Eltern ihnen zu verdanken zu hatten, bezahlen zu lassen. „Naruto“, flüsterte Ino eindringlich als hätte sie seine Gedanken gelesen, „vergiss nicht warum wir hier sind.“ Er riss sich zusammen. Ino hatte Recht, es würde gar nichts bringen die Uchiha im Schlaf zu überraschen. Das würde nur dazu führen, dass diese Alarm schlugen und Ino und er Lee Gesellschaft leisten konnten. Schlimmer noch: er würde ihnen ein Werkzeug in die Hand geben, seinen Vater zu erpressen.
 

Ino zog ihn weiter und er ließ es geschehen. Der Zugang zum Burgfried konnte nun nicht mehr weit sein. Irgendwie mussten sie es schaffen. Am besten bevor unten das Chaos ausbrach, damit sie noch genug Zeit für den Rückweg hatten. Jetzt konnte es sich nur noch um Minuten handeln, ehe Deidara für Ablenkung sorgte.
 

Nach einer weiteren Abbiegung entdeckten Ino und er durch ein Fenster endlich das, wonach sie gesucht hatten: den Übergang zum Turm. Gerade wollten sie darauf zulaufen, als sie Schritte hörten. Panisch sah Naruto sich um und erkannte zu seiner Verzweiflung, dass es keine Möglichkeit gab sich zu verstecken. Zurück konnten sie auch nicht, wenn sie nicht das Risiko eingehen wollten den Uchiha direkt in die Arme zu laufen.
 

Neben ihm dachte Ino angestrengt nach. Dann trat ein entschlossener Ausdruck auf ihr Gesicht und sie begann damit zügigen Schrittes voran zu gehen. Entgeistert starrte Naruto ihr hinterher, aber er hatte keine Zeit mehr sie aufzuhalten, denn in diesem Moment trat ein Mann um die Ecke. Er stutzte bei Inos Anblick, doch sie blieb vollkommen gelassen.

„Stopp!“, rief der Fremde, „was habt ihr hier zu suchen?“
 

Ino setzte eine verzweifelte Miene auf. „Edler Herr, Ihr seid meine Rettung! Ich sollte zu Lord Uchiha kommen und ihm etwas zu essen bringen, aber er wollte nichts.“ Zum Beweis hielt sie ihm das Tablett entgegen. „Und jetzt finden mein Bruder und ich den Weg zurück nicht mehr. Ihr müsst uns helfen!“ Sie sah ihn so flehentlich an, dass Naruto ihr jedes Wort abgekauft hätte, wenn er es nicht besser gewusst hätte. Das Misstrauen des Mannes wich jedenfalls einem gönnerhaften Lächeln.
 

„Du hast Glück, dass du an mich geraten bist, Mädchen.“, sagte er und beäugte sie von oben bis unten, „ich bin Offizier Enevor. Andere würden dich nicht so glimpflich davonkommen lassen, aber da du mich so nett gebeten hast, sehe ich ein Mal über deine Unachtsamkeit hinweg. Du gehst in die Richtung.“ Er deutete in die Richtung, aus der er gekommen war, „dann immer geradeaus und irgendwann kommst du in der Eingangshalle an. Von da an müsstest du dich auskennen.“ Ino machte riesige Kulleraugen, schenkte Offizier Enevor ein dankbares Lächeln und beugte sich etwas vor, was dem Offizier einen tiefen Einblick bieten musste. „Oh, edler Herr! Ihr wisst gar nicht, wie sehr Ihr mir damit helft! Komm mit, Mug!“ Naruto starrte sie entgeistert an. Mug?
 

„Nun komm schon, Bruderherz“, herrschte sie ihn an und wandte sich anschließend an Offizier Enevor: „Ihr müsst entschuldigen, Offizier, er ist schwachsinnig und nur für die einfachsten Dinge zu gebrauchen.“ Endlich fiel auch bei Naruto der Groschen und er bemühte sich ein möglichst dummes Gesicht zu machen, als er auf Ino zuging. Er hatte das seltsame Gefühl, dass er dafür nicht mehr viel tun musste.
 

Enevor musterte ihn einmal und warf Ino einen mitleidigen Blick zu. „Wenn es dir irgendwann zu viel mit ihm wird, kannst du mich gern mal besuchen, Schätzchen.“ Ino schlug verlegen die Augen nieder und errötete. Naruto konnte nicht sagen, wie viel davon gespielt war und zu welchem Anteil sie vor Wut rot angelaufen war. Enevor bekam davon allerdings nichts mit, da er begierig in Inos Ausschnitt gaffte. Naruto drehte sich der Magen um. Bevor der Offizier jedoch etwas von Inos widersprüchlicher Reaktion bemerkte, hatte sie sich schon wieder gefangen, warf dem Offizier einen mehr als zweideutigen Blick zu und zog Naruto in die angewiesene Richtung davon. „Habt vielen Dank, Offizier. Ich werde es mir merken!“
 

„Einen Moment noch!“ Ino blieb abrupt stehen und zum ersten Mal sah Naruto ihre Angst. Offizier Enevor holte sie ein und Ino wandte sich mit steinerner Miene um. Narutos Hand schoss zum Griff seines Dolches. Hatte Enevor ihre Farce durchschaut? „Was ist denn noch, mein Herr?“ Ino bemühte sich ihre Stimme neutral klingen zu lassen, aber selbst er merkte, wie sehr diese zitterte. Enevor erreichte sie mit einem Lächeln im Gesicht. Naruto brach der kalte Schweiß aus. Wenn er nun die ganze Zeit gewusst hatte, dass… „Das nehme ich.“ Er nahm Ino die Platte mit den Speisen und ihm den Weinkelch ab. „Wäre doch schade, wenn es verkommt, nur, weil Lord Uchiha keinen Appetit hat.“ Er zwinkerte Ino zu und verschwand dann in der Richtung, aus der die beiden Rebellen gekommen waren.
 

Als seine Schritte verklungen waren, fiel die Anspannung endlich von ihm ab. Naruto ließ den Dolch wieder los und stieß seinen Atem aus, den er angehalten hatte. „Mug?“, fragte er schwach. „Mir ist nichts Besseres eingefallen!“, verteidigte sich Ino leise, aber heftig, „und außerdem-“ Ein schadenfrohes Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „- und außerdem war die ganze Sache nicht ganz umsonst.“ „Wieso?“, knurrte er, „hast du eine Ahnung wie knapp das war?“ „Weil ich das hier habe.“, sagte Ino selbstgefällig und hielt dem verdutzten Naruto einen Schlüsselbund hin. „Ich wette, unser Offizier hat zu fast allen Räumen Zugang.“ Sie machte eine Kunstpause. „Inklusive dem Turm.“ Langsam erwiderte er Inos Grinsen. Er hatte zwar keine Ahnung, wann sie dem Offizier den Schlüssel abgenommen hatte, aber er war auch nicht der Typ, der lange über das Warum nachdachte. Tatsache war, dass seine Begleiterin eine hochgefährliche Situation zu ihrem Vorteil verwendet hatte.
 

„Du kannst den Mund wieder zumachen, Mug.“ Naruto warf ihr einen bösen Blick zu. „Feiern können wir erst, wenn wir Lee gerettet haben.“ „Was glaubst du, was ich vorhabe?!“, erwiderte Ino, „ich muss ja ständig darauf warten, dass du in die Gänge kommst.“ Mit diesen Worten ging sie schnellen Schrittes in die Richtung, aus der Offizier Enevor gekommen war. Naruto folgte ihr. Wenn die Blondine Recht und der Offizier wirklich zu den meisten Räumen Zugang hatte, dann war es höchstwahrscheinlich, dass er von dem gefangenen Rebellen wusste oder auch selbst schon mit ihm Kontakt gehabt hatte. Anscheinend hatte das Glück sie doch noch nicht verlassen.

Nach einer weiteren Abzweigung kamen sie schließlich vor einer schweren Eisentür an. Der Gang, dem sie gefolgt waren, war mit der Zeit immer mehr angestiegen, so dass sie sich nun ziemlich sicher waren den Zugang zum Turm gefunden zu haben. Ino steckte den größten eisernen Schlüssel ins Schloss, der am Bund zu finden war, und hatte prompt Glück. Das Schloss klickte und mit vereinten Kräften öffneten Naruto und Ino die schwere Tür, die nun über einen steinernen Übergang in mindestens fünfzehn Metern Höhe direkt in den Turm führte.
 

Vorsichtig überquerten die beiden die steinerne Brücke und sahen sich bald einer weiteren Tür gegenüber, die Ino diesmal erst beim fünften Versuch öffnen konnte. Der gewaltige Turm ragte über ihnen auf und Naruto konnte gar nicht abschätzen, wie hoch er wirklich war. Er drückte sich in den Schatten des steinernen Torbogens und spähte über die Brüstung und die dicken Mauern hinauf. Auf der Spitze, das konnte er gerade noch erkennen, flatterte ein Banner im Nachtwind, das ohne Zweifel das Wappen der Uchiha trug: ein rotes Auge auf schwarzem Grund. Er konnte es beinahe vor sich sehen, auch, wenn er es natürlich nicht wirklich zu erkennen vermochte.
 

Naruto warf einen Blick in den Burghof. Das einzige, das zu hören war, war das ferne Saufgelage der Soldaten. Ansonsten hüllte sich die gesamte Anlage in tiefe Stille. Wenn sie tatsächlich das Wunder vollbringen sollten Lee zu befreien, Deidara wieder einzusammeln und mit heiler Haut zu fliehen, hatten sie nur noch rund drei Stunden Zeit, bis die Sonne wieder aufging und sie allen Blicken preisgab. Bis dahin mussten sie so viel Entfernung zwischen sich und die Burg gebracht haben, wie es nur irgend möglich war. Ein letztes Mal vergewisserte sich Naruto, dass ihnen niemand gefolgt war, und stutzte. Von hier oben war es nur schwer zu erkennen, doch der Bereich, in dem der hauseigene Burgfriedhof lag, war in undurchdringlichen Nebel gehüllt. Seltsam… Nebel gab es doch sonst nur um diese Zeit in der Nähe von Gebirgen. Er hatte noch nie davon gehört, dass diese Gegend… „Was treibst du da?“, herrschte Ino ihn wispernd an, „gerade noch hast du gesagt, dass wir keine Zeit mehr haben.“ „Ist ja gut“, versuchte Naruto sie zu beschwichtigen, „ich komme ja schon.“
 

Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss und nun sahen sie sich einer steilen Wendeltreppe gegenüber. Gerade als sie die ersten Stufen erklommen hatten, erschütterte der Lärm einer gewaltigen Explosion die Stille. Naruto spürte die Auswirkungen bis in seine Fingerspitzen. Die Wucht war so groß, dass der Turm selbst sekundenlang erzitterte. Ino war vor Überraschung an die Wand getaumelt und Naruto schaffte es erst im letzten Moment sie festzuhalten und vor einem Sturz zu bewahren. Als schließlich wieder Stille eintrat und sein eigener Herzschlag sich beruhigt hatte, sah er in Inos Augen das gleiche Entsetzen, das auch ihm in den Knochen steckte.
 

„Er sollte doch nur ein Feuer legen“, flüsterte Ino fassungslos, „ich habe ihm ganz klar gesagt was seine Aufgabe ist.“ Von draußen waren Rufe zu vernehmen und in ihm wuchs die Erkenntnis, dass die Explosion möglicherweise zu viel Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte. Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, ob noch Wachen im Turm waren, packte Naruto seine Begleiterin am Arm, zog sie mit sich und rief: „Wir reden hier von Deidara. Das versteht der als kleines Feuer! Wenn du ihn an so einer Aktion hindern wolltest, hättest du ihm seinen gesamten Schwarzpulvervorrat abnehmen müssen!“ Das schien Ino aus ihren Gedanken zu reißen. Sie löste seinen Griff und begann ihm im Eiltempo die Stufen hinauf zu folgen.
 

Naruto gestattete sich keine einzige Atempause. Es wäre besser gewesen, wenn Deidara noch etwas gewartet hätte, vielleicht auch, wenn er überhaupt kein Ablenkungsmanöver gestartet hätte, da die Soldaten sich beim Trinken offensichtlich selbst hervorragend abgelenkt hatten. Doch jetzt –jetzt würden sie garantiert darauf aufmerksam werden, dass etwas nicht stimmte. Und das wiederum ließ ihre Erfolgschancen erheblich sinken. Die Burg, die vorher vollkommen still gewesen war, würde in voller Alarmbereitschaft sein und die zuvor leeren Gänge wären möglicherweise nicht mehr so menschenleer wie auf ihrem Hinweg…
 

Nach einer Zeit, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, erreichten sie endlich das Ende der Treppe. Keuchend hielt Naruto inne, zog seinen Dolch und presste sich langsam an der Wand entlang. Doch er konnte niemanden entdecken. Offensichtlich waren, genau wie Ino vermutet hatte, nur einige wenige Soldaten über den gefangenen Rebellen informiert worden. Naruto atmete auf und trat dann in den leeren Raum. Es gab drei Türen, die offenbar zu dahinter liegenden kleineren Räumen führten. „Lee?“, rief er und schrak als seine Stimme im ganzen Turm um einiges lauter wiederhallte, als er beabsichtigt hatte. „Nicht so laut!“, zischte Ino ihm zu, die schon begonnen hatte Enevors Schlüssel an der ersten Tür auszuprobieren. Nach einigen Versuchen schaffte sie es schließlich sie zu öffnen, schloss sie aber gleich wieder, bevor Naruto auch nur einen Blick auf den Raum erhaschen konnte.
 

Ino war bleich geworden und sah aus, als ob ihr übel war. „Was ist?“, wollte Naruto wissen. Ino schüttelte den Kopf und musste sich scheinbar sammeln. „Foltergeräte.“, brachte sie schließlich heraus und Naruto verstand nun, warum sie so außer sich war. „Pass auf, dass niemand kommt.“, befahl er und bugsierte sie in eine Nische, aus der sie gute Sicht auf den Treppenaufgang hatte, selbst jedoch nicht gesehen werden konnte. Zusätzlich nahm er ihr den Schlüsselbund ab und machte sich nun selbst daran die übrigen Räume zu öffnen. Beim dritten Versuch ließ sich die zweite Tür öffnen. Doch diesmal handelte es sich nur um eine Abstellkammer.
 

Mit schwindender Hoffnung wandte sich Naruto nun der letzen Tür zu. Wenn Ino sich geirrt hatte und Lee nicht hier war, dann saßen sie in der Falle und es wäre alles umsonst gewesen. Er biss die Zähne zusammen. Sein Vater würde nie so pessimistisch denken. Er wusste immerhin noch nicht, ob sie sich geirrt hatten und selbst wenn – dann mussten sie eben das Beste aus ihrer Situation machen. Genauso wie Ino Offizier Enevor vorhin überlistet hatte. Das Schloss klickte und riss Naruto aus den Gedanken.
 

Vorsichtig öffnete er die knarrende Tür und trat in den abgedunkelten Raum. „Lee? Lee, ich bin’s.“ „Naruto?“ Ruckartig drehte er sich um und entdeckte zu seiner grenzenlosen Erleichterung Lee, der in einer Zelle hockte und ihn anstrahlte. Doch der Moment der Freude dauerte nur kurz, als Naruto feststellte in welcher Verfassung sich sein Freund befand.
 

Lee war an Händen und Füßen mit Eisenfesseln an die Wand gekettet, seine Kleidung war zerrissen und sein ganzer Körper war mit Verletzungen und blauen Flecken übersät. Naruto konnte nur schätzen, wie lange Lee sich schon in dieser unbequemen Position befand, aber die Erschöpfung, die in seinem Blick lag, sprach Bände. Mit ein paar Handgriffen, öffnete Naruto das Gitter und löste so behutsam er konnte Lees Hand- und Fußfesseln. Trotzdem zog Lee scharf die Luft ein, als das Eisen seine Haut nicht mehr berührte und blutige Abschürfungen freilegte. Einen Moment ließ Naruto ihn gewähren, dann legte er sich Lees linken Arm über die Schulter und wuchtete seinen Freund aus seiner Zelle.
 

„Mach dir keine Sorgen, Lee. Wir sind gekommen um dich zu retten. Du hast vorhin Deidaras Explosion gehört, oder? Ino ist draußen. Wenn wir uns beeilen-“ „Du musst sie auch retten.“, fiel ihm Lee ins Wort und Naruto hielt völlig verwirrt inne. „Was?“ „Du musst sie auch retten.“, wiederholte Lee und deutete mit einer schwachen Kopfbewegung in die andere Richtung. Erst jetzt bemerkte er die Zelle, die Lees gegenüber lag. Doch er konnte nichts erkennen, weil die Zelle halb im Schatten lag.
 

„Bitte.“ Ein heller Sopran durchbrach die Stille. „Bitte hilf uns.“ Schlanke Hände umfassten die Gitterstäbe und aus dem Schatten trat das schönste Mädchen, das Naruto je gesehen hatte.
 


 

~ [ ♠ ] ~
 

Der Himmel trug bereits das dunkelblaue Gewand der Nacht, aber der von lodernden Feuern erhellte Platz war wie eine Insel des Lichts in der Dunkelheit. Immerhin mussten sie sich nur noch gegen leichten Nieselregen wehren und die Hitze der Flammen war nur an wenigen Orten nicht zu fühlen. Musik und lachende Stimmen erfüllten die Luft, gemischt mit dem rhythmischen Stampfen tanzender Schritte auf eigens dafür aufgebauten hölzernen Tanzböden. Die Tische, die sich noch vor einer Stunde unter dem Gewicht von Essen gebogen hatten, waren inzwischen leerer, doch noch immer könnte man von dem, was übrig geblieben war, eine ganze Kompanie von Soldaten füttern. Kein Wunder, hatten doch die Bewohner des gesamten Dorfes und aller umliegenden Weiler und Bauernhöfe sich tagelang mit den Vorbereitungen des Festes beschäftigt.
 

Selbst Temari, nur ein Gast über unbestimmte Zeit, hatte hier und da Hand angelegt, wenn Hilfe erforderlich gewesen war. Mit ihren Studien kam sie im Moment sowieso nicht weiter und die manchmal tagelangen, aber fruchtlosen Ausflüge in das Zwielichtgebirge frustrierten sie nur. Natürlich, sie hatte nicht erwartet, dass die Reise in den Fußstapfen der Fünf Helden leicht werden würde, doch sie war jetzt schon Monate hier unterwegs ohne etwas zu entdecken. Jetzt hatte sie sich eine kleine Pause verdient, um bald wieder frisch ans Werk gehen zu können. Darum genoss sie dieses einfache, aber rauschende Frühlingsfest in vollen Zügen. Sie würde sogar so weit gehen zu sagen, dass es eines der schönsten Feste war, die sie je besucht hatte – und sie war in den fürstlichen Hallen der Wüstenlords zu pompösen Gastmählern empfangen worden. Leider musste man dort immer auf seinen Becher aufpassen, damit niemand Gift hinein tröpfelte. Temari lächelte bitte und nahm einen Schluck des schweren Weines aus ihrem Tonbecher. Es mochte nicht der beste Tropfen sein, den sie je gekostet hatte, doch er war auf alle Fälle bekömmlich.
 

Ihr Blick schweifte ruhelos, aber beinahe träge über die fröhliche Menge. Sie nickte lächelnd einigen Leuten zu, mit denen sie über die Tage ins Gespräch gekommen war und schlug noch ein paar Einladungen zum Tanzen aus (im Moment hatte sie genug davon), ehe ihr der zweite Fremde auf diesem Fest ins Auge fiel.
 

Der Krieger, der einige Stunden zuvor ins Dorf gekommen war, saß etwas abseits im Halbdunkel auf einer Bank. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war schwer zu deuten, weil seine Miene sehr zurückhaltend war. Eher kam es ihr vor, als warte er nur darauf, dass etwas den Frieden stören könnte. Temari hatte ihn gesehen, als er ins Dorf gekommen war. Sie hatte am Brunnen gesessen, als man ihn begrüßt hatte, und sie hatte den ungläubig-hoffnungsvollen Blick eines Mannes erkannt, der etwas vor sich sah, nach dem er sich ein ganzes Leben gesehnt hatte, es aber nie hatte erreichen können. Doch da war nichts gewesen, was eine solche Reaktion veranlasst haben konnte. Nur ein kleines, relativ unabhängiges, einfaches Dorf, das nicht einmal sonderlich reich war. Oh nein, da war auch nichts Ärmliches hier, aber die Leute arbeiteten hart und viel für ihren spärlichen Wohlstand. Aber dieser Mann – dieser fremde Krieger – wirkte wie eine Gestalt aus einer anderen, absonderlichen Welt, wo dergleichen nicht möglich war.
 

Dass er nicht aus dieser Gegend stammte – nicht einmal annähernd – war leicht zu erkennen. Seine Kleidung aus Leder, Fell und grober Wolle war fremdartig und wirkte teilweise so abgetragen und vielfach nachgebessert, dass die meisten Leute sie längst ersetzt hätten. Und der Kämpfer sah nicht aus, als könne er es sich nicht leisten – sein gedrungenes Pferd war gut in Form und die Rüstung und Waffen in perfektem Zustand, wenn beides auch etwas altmodisch erschien. Ansonsten wirkte er eher ärmlich, wie ein Vagabund oder ein reisender Söldner, der für längere Zeit keine Anstellung mehr gehabt hatte. Aber eben einer, der von weit herkam, ohne eine Ahnung, wie und wo er hier gelandet war.
 

Vielleicht kam er aus dem Niemandsland hinter dem Zwielichtgebirge, dort, wo der Lichlord Orochimaru einst residiert hatte – und, wenn man einigen Stimmen glauben wollte, noch immer residierte. Temari war sich über letzten Punkt nicht sicher, allerdings wäre eine solche Herkunft eine gute Erklärung für Nagato-den-Fremden. Die Leute, die dort lebten, konnten nicht reich oder fortschrittlich sein, lebten in ständigem Streit miteinander und den wenigen Nachbarn, mit denen sie Kontakt hatten. Ausgestoßene oder deren Nachkommen waren sie, dazu verdammt in einem verfluchten, schon lange unfruchtbaren, öden Landstrich zu leben, in den sich kein vernünftiger Mensch wagte. Nicht nach allem, was dort vorgefallen war. Nicht nach Orochimaru, dessen Namen noch immer mit Schrecken gesprochen wurde.
 

Temari runzelte die Stirn. Wenn Nagato von dort kam, was tat er dann hier? Die Menschen des Niemandslandes verließen ihr Land selten (und noch seltener in Richtung Süden, wo sie erst gefährliches Gebirge zu erklimmen hatten), weil sie anderswo nicht willkommen waren. Sie galten als Barbaren. Schlimmer noch als die wilden, aber ehrenhaften Krieger weiter nördlich, aus einer mörderischen Gesellschaft, in der nur das Recht des Stärkeren zählte. Doch vielleicht war er gar nicht freiwillig hier, vielleicht war er selbst von dort verstoßen oder auf der Flucht. Aber was konnte das für ein Mann sein, den nicht einmal die Niemandsländler wollten? Temari starrte nachdenklich in ihren Becher. Allerdings hatte er auch Aring geholfen und noch nicht einmal eine Gegenleitung erwartet. Das sprach für ihn.
 

Sie sah erneut auf und diesmal begegnete er ihrem Blick direkt. Seine Augen wirkten unheimlich, selbst aus dieser Entfernung, und sein markantes Gesicht, halb im Schatten verborgen, war undurchdringlich. Sie errötete ertappt und ihr erster Impuls war, hastig wieder wegzusehen, doch sie unterdrückte ihn mutig und ließ den fremden Kämpfer durch zusammengezogene Augenbrauen wissen, dass sie ihn im Blick hatte. Einer seiner Mundwinkel zuckte amüsiert – glaubte er sich im Können so weit über ihr, dass er sie nicht ernst nahm, oder war es, weil sie eine Frau war? Sie hatte, die Götter waren ihre Zeugen, schon zu oft deswegen Probleme gehabt. Oder hatte es doch einen ganz anderen Grund, den nur er kannte? Nagato-der-Fremde wandte sich einfach wieder dem Stück Brot und einem Kanten Käse zu, mit denen er noch beschäftigt war. Neben ihm auf der Bank stand ein Becher, der – wie alle anderen, die er heute geleert hatte, da war Temari sich sicher – mit Wasser gefüllt war. Nicht mit dem schweren Wein oder dem Bier, die ausgeschenkt wurden. Kein Alkohol.
 

Die junge Kriegerin stellte ihren eigenen Becher auf dem nächsten Tisch ab und beschloss, sich für den Rest des Abends ebenfalls auf Wasser zu beschränken. Man wusste ja nie und so übermäßig gut war der Wein wirklich nicht. Sie fragte sich, ob es sich lohnen würde, den Jungen des Schmieds und seine Eltern nach dem Fremden auszufragen, verwarf den Gedanken jedoch gleich wieder. Bis jetzt hatte Nagato sich nur etwas seltsam verhalten, aber nicht feindselig. Solange sich das nicht änderte, wollte sie kein Misstrauen schüren. Stattdessen unternahm sie den geradlinigen Vorstoß, den sie so oder so bevorzugte, und gesellte sich zu dem Krieger.
 

„Ich bin Temari.“, stellte sie sich unverblümt vor. „Ich bin auch auf der Durchreise, wenn ich auch schon einige Zeit hier bin.“ Einen Moment blieb es still, dann fügte sie erklärend hinzu. „Ich bin auf Forschungsreise.“ Ihr Gegenüber hob eine Augenbraue, doch fragte weder nach ihrem Fachgebiet noch nach dem Thema. „Ich bin Nagato.“, antwortete er schließlich höflich, aber zurückhaltend, als wüsste er nicht genau, was er mit ihr anfangen sollte. Dann zog er seinen Becher etwas zu Seite, in einer klaren Aufforderung zum Setzen, der sie ungerührt nachkam. „Meine Familie hat etwas Besitz, darum kann ich meinen Forschungen nachgehen, wenn ich nicht zu verschwenderisch bin.“, erklärte Temari, „aber ich hätte zu Beginn nicht geglaubt, so weit weg von Zuhause zu landen.“ Nagato nahm die Erklärung mit einer Miene hin, die alles bedeuten konnte. Leicht verunsichert hielt sie inne.
 

Alles, was sie ihm erzählte, entsprach der Wahrheit, allerdings gab sie sich Mühe, mehr wie ein naiver Einfaltspinsel zu klingen als die gebildete Kriegerin, die sie war. Die meisten Männer, die sie in diesen nördlicheren Landstrichen traf, sahen in ihr sowieso nichts anderes. Weibliche Krieger waren hier noch immer selten – die meisten gehörten der Schattengilde an, aber Temari war sich nicht sicher, ob man die überhaupt als ‚Krieger‘ bezeichnen konnte, auch wenn sie kämpfen konnten. ‚Mörder, Diebe und Spione‘ traf es schon eher und Temari hatte nicht viel für derlei Pack übrig.
 

Nagato warf ihr allerdings einen scharfen Blick zu, als würde er ihr die arglose Front keinen Moment lang abkaufen. Egal – es war eine Wohltat, zur Abwechslung einmal ernst genommen zu werden und sie erzählte ihm hier immerhin keine Lügen. Also redete sie einfach weiter: „Wo kommt Ihr her? Nicht aus dieser Gegend, wie Ihr ausseht.“ Er schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck aus seinem Besser. „Meine Heimat wurde niedergebrannt.“ Temari unterdrückte einen mitleidigen, bestürzten Laut – Nagato sprach mit einer solchen Sachlichkeit, dass sie seine unvermittelte Direktheit beinahe erschreckte. Er ließ sich keine Gefühlsregung ansehen, alles was er tat, war Fakten zu nennen.
 

„Und was führt Euch dann hierher? Auf der Suche nach einem Flecken Erde, den Ihr zu einer neuen Heimat machen könnt? Dann würde ich Euch vorschlagen, noch ein Stück weiter nach Westen zu ziehen, bis Ihr das Kaiserreich weit hinter Euch gelassen habt.“ Auch Temari hatte vor, besagtes Hoheitsgebiet zu verlassen, ehe der schwelende Widerstand zu einem Inferno anwuchs, das das ganze Land verbrannte. Das konnte natürlich noch Jahre dauern, aber sie war immerhin auch schon Jahre unterwegs.
 

„Kaiserreich?“ Die Frage überraschte sie. „Das Reich der Goldenen Kaiser von Oto.“, antwortete sie langsam. „Ihr müsst wahrlich von weit herkommen, wenn Ihr noch nie davon gehört habt.“ Und blind und taub auf der Herreise gewesen sein, aber den Teil sparte sie sich. Er gab keine Antwort darauf und gerade, als sie noch einmal nachhaken wollte, erklärte er: „Ich will mich nicht niederlassen; ich bin nur auf der Suche nach einigen Freunden. Wir haben uns verloren und dann habe ich mich verlaufen.“
 

Also war er tatsächlich nicht allein. Allerdings klangen seine Worte nicht so, als würde eine Horde wilder Männer aus dem Niemandsland nur darauf warten, auf sein Kommando hin über das Dorf und dessen Bewohner herzufallen. Sie wusste immer weniger, was sie mit ihm anfangen sollte, auch wenn ihre Gefühle ihr sagten, dass er kein Feind war – sondern vielleicht sogar ein Freund werden konnte.
 

„Dann wünsche ich Euch viel Glück.“, antwortete sie und wollte noch etwas hinzufügen, als sie schlagartig seine Aufmerksamkeit verlor. Sein Blick richtete sich an ihr vorbei auf den Waldrand, der sich einige hundert Meter den sanften Hügel hinunter erhob. Durch die Dunkelheit und die Helligkeit der Feuer war kaum mehr zu erkennen als die dunkle Linie der Bäume und des Unterholzes und das nur wenig hellere Blau des Himmels. Nagato hob den Blick und Temari sah, wie seine Augen am Vollmond, der in diesem Augenblick zwischen den Wolken aufgetaucht war, hängen blieben und sich seine Miene daraufhin sekundenlang verfinsterte.
 

„Was ist?“, wollte sie wissen, ihre Stimme automatisch das dunkle, ernste Timbre einer Kriegerin, die sich darauf vorbereitete, ihrem Anführer in einen plötzlichen Kampf zu folgen. Er zuckte kurz mit den Schultern, warf das letzte Stück seines Brotes einem der Hunde zu, die in der Nähe herumlungerten, und stand auf.
 

Schweigend sah Temari ihm nach, wie er einen Bogen um die Feiernden herumging und als ein Schatten unter Schatten beinahe in der Dunkelheit verschwand. Sie glaubte nicht mehr, dass er ein Feind sein könnte, nichtsdestotrotz übte er eine seltsame Faszination auf sie aus. Irgendetwas, stellte sie mit wissenschaftlicher Distanziertheit fest, stimmte mit ihm nicht. Und sie wollte wissen, was. Vielleicht konnte sie ihn später noch einmal befragen oder am nächsten Tag? Vielleicht hätte sie ihn begleiten sollen, aber sie hatte nichts Verdächtiges bemerkt und was sollte hier schon passieren? So nah diese Ortschaft der Grenze zum Niemandsland war, so friedlich war es hier auch. Vom Norden drohte, trotz allen Geschichten über menschenfressende Barbaren und Mörder, trotz aller Mythen über Orochimaru, trotz der abgeschiedenen Lage, keine Gefahr. Und im Gegensatz zu den Siedlungen weiter südlich war das Land hier beinahe unberührt von der strengen, harten Hand der Kaiserlichen Statthalter und den Streitigkeiten, die zwischen den Uchiha und den Rebellen herrschten.
 

Die Leute lebten abgeschieden, aber dadurch auch vergessen vom Rest der Welt. Vermutlich tauchten sie in ein paar Finanzbüchern auf, doch solange sie brav ihre Steuern zahlten, würde sich niemand um sie kümmern. Also, was sollte dort im Wald wohl sein? Vermutlich war es ein Tier und Nagato nur übervorsichtig.
 

„Ah, Temari, da seid Ihr ja!“ Die tiefe, dröhnende Stimme riss sie abrupt aus den Gedanken und sie blickte auf. Es war ein kleiner, massiger Mann, dessen kahler Schädel im Schein der Feuer glänzte. Er hatte lachende Augen, einen breiten Mund und war der Vorsteher des Dorfes. Jahr um Jahr wurde er wieder in diesen Posten gewählt, was zeigte, wie fähig er darin war und wie sehr die Leute ihn und seinen Rat schätzten.
 

„Ich hoffe, unser kleines Fest gefällt Euch?“ Temari lächelte höflich zurück. „Ja, sehr. Ich danke Euch noch einmal für diese Einladung, Nuren.“ Er winkte großzügig ab. „Es ist sicher nicht so prächtig wie die Bankette, die Ihr gewohnt seid, aber wir sind hier ziemlich stolz auf das, was wir jedes Jahr zustande bringen.“ Dass sie aufwendigere Festtage gewohnt war, mochte stimmen, aber dennoch fühlte sie sich hier wohler. Um dem Mann nicht alle komplizierten und grausamen Gründe dafür erzählen zu müssen, neigte sie jedoch nur lächelnd den Kopf. Manchmal war es einfacher zu schweigen.
 

Nuren strahlte vor Stolz. Dann wurde sein Gesichtsausdruck wieder etwas gemäßigter. „Sagt, ich habe hier doch eben noch den Fremden gesehen.“ Er blickte sich suchend um. „Ich wollte kurz mit ihm sprechen.“ Vermutlich war schon seit Jahren nichts mehr so aufregendes in dieser Gegend geschehen wie das Auftauchen von nicht nur einem, sondern gleich zwei Ausländer – Nagato-der-Fremde und Temari selbst. Die Kriegerin hob kurz die Schultern. „Eben war er noch hier.“, antwortete sie und deutete zum Wald hinüber, wohin der rothaarige Mann verschwunden war. „Er hat da etwas gesehen.“ Sie hob entschuldigend die Handflächen nach oben und schüttelte den Kopf. Verwirrt starrte der Dorfvorsteher in die entsprechende Richtung. „Was soll denn da sein?“ Er wirkte ziemlich ratlos. Temari stand auf und klopfte sich den nicht vorhandenen Schmutz von der Hose. „Vermutlich gar nichts, aber vielleicht dachte er, dass Nachschauen nicht schadet. Er wird sicher gleich wie-…“
 

Ihr Satz wurde von dem gellenden Schrei eines hysterischen Mädchens unterbrochen, der plötzlich und deutlich durch das festliche Durcheinander schnitt. Die Musik stoppte in einigen jämmerlichen Misslauten, das Gelächter und die Gespräche verstummten wie abgeschnitten und die Geräusche der Schritte hörten so plötzlich auf, das mit einem Mal statt der fröhlichen Ausgelassenheit eine knisternde Anspannung in der Luft lag.
 

Die junge Kriegerin brauchte einen Moment um sich zu fangen, dann rannte sie los. Die Hunde begannen wie verrückt zu bellen und am äußersten Rande des Festes brach Tumult los. Das Mädchen schrie noch immer und Temari musste einige Leute grob beiseiteschieben, um voranzukommen. Nuren folgte in ihrem Windschatten, keuchend und besorgt vor sich hinmurmelnd, und jetzt begannen noch mehr Leute zu schreien. Ein Kind fing durchdringend an zu weinen. Was war geschehen?! Doch ein Überfall?! Warum hatte sie die Idee auch so leichtfertig abgetan… Und Nagato – hatte das etwas mit ihm zu tun? Aber eigentlich konnte sie sich doch immer auf ihre Intuition verlassen und… Sie brach zwischen den teilweise erstarrten, teilweise panisch werdenden Dörflern hindurch auf die freie Fläche, die sich zwischen dem Festplatz und dem weit geschwungenen Waldsaum erstreckte, und stoppte abrupt.
 

Was sie da vor sich sah, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren.
 


 

~ [ ♠ ] ~
 

Sasuke Uchiha mochte es, wenn die Dinge ihre Ordnung hatten und alles so verlief, wie er es erwartete. Er mochte sein Leben und den damit einhergehenden Respekt, den man ihm entgegenbrachte. Allerdings war sein Leben in letzter Zeit alles andere als nach Plan verlaufen. Die ganze Geschichte hatte damit begonnen, dass eine der niederen Dienerinnen den teuren Wein seines verstorbenen Großvaters über ihn geschüttet hatte. Es war eine bedeutende Feier gewesen, zu der wichtige Persönlichkeiten der Gesellschaft eingeladen worden waren und man von ihm, als einem Uchiha, tadelloses Benehmen erwartete, und dann kam dieses ungeschickte Gör und blamierte ihn in aller Öffentlichkeit. Danach hatte er sie, wie es das Gesetz des Kaisers in diesem Falle vorsah, einen Nachmittag an den Pranger stellen lassen, wo sie vom Gesindel verspottet worden und in der Nachmittagshitze einer Ohnmacht nahe gewesen war. Wie sich später herausgestellt hatte, hatte das dumme Ding einen Hitzschlag erlitten und war so ausgedörrt gewesen, dass sie eine ganze Woche nicht zu gebrauchen war. All das war alltäglich und Sasuke hätte es vergessen, wenn nicht die Reaktion seines Bruders gewesen wäre.
 

Sasuke hatte es Itachi nur nebenbei beim Abendessen erzählt, als dieser gerade von einem Auftrag des Kaisers zurückgekehrt war. Als er gerade dazu übergehen wollte, von dem neuen Streitross zu berichten, das er aus dem Süden erstanden hatte, war Itachi plötzlich aufgesprungen und hatte ohne ein weiteres Wort den Raum verlassen. Sekundenlang hatte Sasuke geglaubt auf dem Gesicht seines ach so perfekten Bruders Unbehagen, ja, Bestürzung gesehen zu haben, aber er war so schnell aus der Tür gestürzt, dass Sasuke sich nicht sicher war, ob er sich nicht doch getäuscht hatte.
 

Später erkannte er, dass es ein Fehler gewesen war Itachi zu unterschätzen. Zu seinem Pech waren die beiden Brüder bei besagtem Abendessen allein gewesen, sodass sein Vater, der ohnehin dem älteren stets den Vorzug gegeben hatte, ihm nicht glauben würde, wenn er Itachi beschuldigte sich wegen dem dummen Gör bei ihm zu revanchieren.
 

Warum auch immer. Was hatte Itachi übrig für Dienstmädchen? Er nutzte sie noch nicht einmal für das Bett, auch wenn – wie Sasuke aus erster Hand wusste – einige von ihnen Talent für diese Art von ‚Arbeit‘ hatten. Aber nicht Itachi – Itachi blieb immer distanziert.
 

Sein vermaledeiter Bruder, der um den Schutz des Vaters genau wusste, rächte sich unauffällig und in einer Weise, bei der Sasuke noch nicht einmal widersprechen konnte. Itachi schlug ihrem herrschenden Vater vor, ihn auf eine Reise zu schicken, in deren Verlauf er im Land herum kam und Aufstände der Rebellen niederschlagen sollte. Sein Bruder stellte es als Ehre und Treuebezeugnis dem Kaiser gegenüber dar. Tatsächlich war es jedoch eine Reise mit wenigen Dienern und stinkenden Soldaten, schlechten Wegbedingungen, die das Reisen zur Qual machten, und unbedeutenden Scharmützeln mit Wegelagerern. Diese, so vermutete er, waren noch nicht mal Rebellen, sondern nur einfache Strauchdiebe, die beim Anblick des stolzen Uchihawappens bereits Reißaus nahmen. Die einzigen, die Sasuke erwischte, fanden ein so kurzes Ende, dass er deren Tod noch nicht mal vor seinem Vater erwähnen wollte. Itachi hatte von Heldentaten geschwärmt, die er vollbringen würde, doch in Wirklichkeit fühlte er sich wie ein kleiner Junge, der vom älteren Bruder herum geschubst wurde und nach dessen Willen gelenkt wurde.
 

Mochten die Götter wissen, was Itachi an diesem unnützen Mädchen gefunden hatte. Sasuke war hier im Recht und hatte auch so gehandelt, aber Itachi hatte es insgeheim als eine Art Hochverrat dargestellt. Beim Kaiser! Es interessierte Itachi doch auch nicht, mit welchen Weibern er sein Bett teilte!
 

Fakt war jedenfalls, dass seine Laune ihren Tiefpunkt erreicht hatte. Gestern Abend war er bei strömendem Regen endlich auf der Burg eines entfernten Cousins seiner Mutter angekommen, in der er Quartier nehmen sollte. Der Empfang Isamu Uchihas war allerdings anders ausgefallen, als es Sasukes Rang entsprach. Der ältere Lord hatte trotz der Tatsache, dass er im Stand unter seinem Gast stand, nur auf den Jüngeren herab gelächelt und sich spöttisch nach dessen Reise erkundet. Sasuke hatte dem Drang widerstanden Isamu Uchiha an die Kehle zu gehen, weil er sich bewusst war, dass er auf die Gastfreundlichkeit dieses Mannes angewiesen war. Auch, wenn er ihn von der Minute ihrer Begegnung gehasst hatte und nicht abwarten konnte wieder gehen zu dürfen.
 

Die herablassende Art zog sich auch über den nächsten Tag hin. Isamu Uchiha führte ihn großspurig in der Burg herum und ließ keine Gelegenheit aus ihm im Gespräch einen Seitenhieb zu verpassen. Selbst das Essen war schlecht. Scheinbar ließ sein Gastgeber ganz bewusst Speisen auftragen, von denen er wusste, dass sie in der Hauptstadt bestenfalls als Vorspeise aufgetischt wurden. Und selbst die waren ungenießbar. In Sasuke brodelte der Zorn über diese Beleidigung und er verließ vorzeitig das Abendessen, nur um persönlich in die Küche zu marschieren und eine anständige Mahlzeit zu verlangen. Die Küchenmädchen erlitten den Schock ihres Lebens, als sie den jungen Lord Uchiha durch die Tür kommen sahen. Doch Sasuke bekam endlich einmal, was er gewollt hatte: ein fürstliches Abendessen, das seiner würdig war und das er in der Stille seiner Gemächer genussvoll verzehrte.
 

Am nächsten Morgen würde er in aller Frühe in die Hauptstadt aufbrechen und nach dreimonatiger Abwesenheit endlich nach Hause zurückkehren. Itachi konnte sich schon mal warm anziehen, denn es gab nichts, was er mehr hasste, als eine solche Bloßstellung, wie er sie in der letzten Zeit hatte ertragen müssen, während sein perfekter Bruder damit beauftragt war den verbannten König, Minato von Konoha, zu jagen, der sich mittlerweile zum Anführer der Rebellen aufgeschwungen hatte.
 

Grimmig beugte der junge Adlige sich über die Karte, die er im Licht einer Kerze studierte, und verinnerlichte sich den Rückweg, den er in die Hauptstadt zurücklegen musste. Er hatte sich noch nicht mal entkleidet, so groß war seine Ungeduld endlich von hier wegzukommen. Auf dem Tisch standen noch die Reste seines Abendmahls und in der Ecke sein Reisegepäck, das er nicht mal ausgepackt hatte. Direkt daneben an der Wand lehnte ein Schwert, auf dessen Scheide das Wappen der Uchiha prangte: das rote Auge auf schwarzem Grund.
 

Sasuke wollte gerade eine weitere gehässige Bemerkung über seinen Gastgeber seinem Reisebericht hinzufügen, als der Lärm einer gewaltigen Explosion sekundenlang den Boden beben ließ. Sasuke zuckte so heftig zusammen, dass er das Tintenfässchen vom Schreibtisch fegte, sodass es auf dem Boden zerbrach. Ein dunkler Fleck schwarze Tinte breitete sich auf dem Boden aus, doch er achtete nicht einmal darauf. Sekundenlang starrte er aus dem Fenster und machte einen orangeroten Feuerschein aus, der die Nacht erhellte. Das konnte nur eins bedeuten: sie wurden angegriffen! Augenblicklich sprang er auf, sodass sein Stuhl umfiel, packte seine Waffe und stürzte zur Tür.
 

Kurz hielt er inne, entschied sich dann aber für den linken Weg, der zum Burghof führte. Eine Hand immer am Schwert, rannte Sasuke die Gänge entlang. Vorbei an der Ahnengalerie, die Isamu Uchiha ihm vor ein paar Stunden in allen Einzelheiten beschrieben hatte, vorbei am Speisesaal bis er bei der ausladenden Treppe in der Eingangshalle ankam.
 

Langsam schien auch die Burg zu erwachen. Die Stille, die zuvor das Gemäuer beherrscht hatte, war Hektik gewichen. Sasuke hörte, wie sich Türen im nahe gelegenen Dienstbotentrakt öffneten und Küchenmägde verängstigt miteinander flüsterten. Doch das war nichts Außergewöhnliches. Merkwürdig war viel mehr, dass er nicht einen einzigen Soldaten ausmachen konnte. Seine Augen verengten sich gefährlich, als er nun seinerseits die Abkürzung zum Burghof durch den Dienstbotentrakt nahm.
 

Schnellen Schrittes brachte Sasuke die Entfernung hinter sich und erreichte den Dienstbotentrakt. „L-Lord U-Uchiha!“, rief ein Mädchen verblüfft und warf sich vor ihm nieder. „Sprich!“, befahl er barsch, „was ist passiert? Was war das für eine Explosion und wo verflucht noch mal sind die Soldaten!?“ Sasuke richtete den Blick auf sie, doch das dumme Ding war von seinem plötzlichen Erscheinen und der Flut an Fragen dermaßen aus der Fassung gebracht, sodass sie keine Worte fand. Nachdem Sasuke einen Moment gewartet hatte und das Mädchen noch immer nichts als Gestotter hervorbrachte, ließ er sie mit einem verächtlichen Blick stehen. Er hatte keine Zeit sich mit verängstigten Dienerinnen abzugeben! Was er brauchte, waren vernünftige Informationen von jemandem, der die Situation analysiert hatte und nicht vor Furcht erstarrte. Er biss die Zähne zusammen und rannte nebenbei einen Küchenjungen um, der nicht schnell genug aus dem Weg sprang.
 

Als er endlich aus dem Dienstbotenausgang auf den Burghof trat, konnte er sich erstmals ein Bild machen. In der Nähe des zweiten Rings der Burgmauer stieg Rauch auf. Soweit er wusste, waren dort Handwerker angesiedelt, die Waren für die Burg herstellten, und auch ihre Lebensmittelversorgung sicherten. Es gab eine Schusterei, eine Bäckerei, eine Schmiede, eine Steinmetzerei, einen Schlachter und sogar eine Winzerei, die direkt neben der burgeigenen Taverne lag. Auf die Entfernung konnte Sasuke jedoch nicht sagen, welcher Bereich bei dem Angriff beschädigt worden war.
 

Wachsam schlich er näher, immer in Erwartung den Angreifern zu begegnen. Trotz allem konnte er nicht verhindern, dass sich ein selbstgefälliges Grinsen auf seine Züge schlich. Das hatte Itachi nicht vorhersehen können und vielleicht würde er dem verhassten Bruder bei seiner Rückkehr ein paar richtige Rebellen als Gefangene präsentieren können…
 

Doch je näher er kam, desto größer wurde die Verwüstung. Etliche Steinbrocken aus dem Mauerwerk lagen auf dem Weg und als Sasuke endlich Blickkontakt hatte, erkannte er, dass die Explosion die gesamte Außenfassade und das halbe Dach eines Hauses weggesprengt hatte. Fluchend stellte er fest, dass es sich bei dem Gebäude um die Schmiede handelte. Der Feind hatte klug gehandelt. Einerseits war es in der Schmiede aufgrund der ständigen Feuerstelle knochentrocken und zweitens hatte der unbekannte Feuerleger in weiser Voraussicht bis auf Weiteres die gesamte Waffenproduktion der Burg lahm gelegt.
 

Sasuke zog sein Schwert, eine elegante, extra für ihn angefertigte Klinge. Dann kletterte er in die Ruine, trat nebenbei einen Steinbrocken beiseite und inspizierte das angerichtete Chaos. Noch immer brannten vereinzelt Feuer und die Innenwände der Schmiede waren so rußschwarz, dass er wieder Willen zugeben musste, dass er es hier nicht mit einem Amateur zu tun hatte. Plötzlich hörte er ein Geräusch hinter sich.
 

Blitzschnell, wie er es seit seiner Kindheit gelernt hatte, fuhr er herum. Sasuke hob die Waffe in höchster Konzentration, bereit jederzeit zuzuschlagen, und wartete auf den Angriff. Ein Stein rollte ihm vor die Füße und er drehte sich lautlos in die Richtung, aus der er gekommen war. Kies knirschte, als sich jemand den Weg durch die Trümmer bahnte.
 

„Lord Uchiha?!“ Der Soldat, der ins Mondlicht trat, schien verblüfft ihn anzutreffen. Sasuke entspannte sich kaum merklich, als er die Uniform der Burg erkannte. „Wer seid Ihr?“, herrschte er ihn an, „und wo sind die restlichen Soldaten?“ Der Mann verbeugte sich hastig und erwiderte dann: „Ich bin Offizier Enevor … und die Soldaten …“ Er hielt inne und Sasuke konnte aus seiner Körperhaltung ablesen, dass ihm das Thema unangenehm war. „Die Soldaten …“, begann er erneut, „ … es tut mir außerordentlich leid, Herr…“ - „Nun rede schon, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!“, fuhr Sasuke ungeduldig dazwischen. „Nun,“, sagte Enevor verlegen, „die meisten waren in der Taverne, als der Angriff erfolgte. Ich hätte so etwas natürlich niemals gut geheißen, aber ich gebe hier keine Befehle …“ Natürlich … sein verfluchter Gastgeber. Er hätte es sich denken können, dass Isamu Uchiha nicht besonders viel Wert auf Sicherheit legte, wenn er sich hinter seinen Mauern unangreifbar fühlte und die Gefahr der Rebellen für weniger real hielt, als sie es tatsächlich war.
 

„Ist Euch sonst irgendetwas aufgefallen, Offizier Enevor?“, hakte Sasuke nach. Der Feind musste einfach irgendwie bemerkt worden sein! Schließlich spazierte niemand einfach so in eine Uchihafestung, jagte dort die Waffenproduktion in die Luft und blieb unerkannt! Enevor überlegte einen Moment, zuckte aber dann mit den Achseln. „Alles war eigentlich wie immer, Lord Uchiha. Ich habe meinen Wachdienst in der Burg verrichtet und niemanden bis auf eine neue Dienerin und ihren schwachsinnigen Bruder gesehen. Sie sagte, sie hätte Euer Abendessen wieder abgeholt, nachdem Ihr es abgelehnt hättet.“
 

Sasukes Herzschlag beschleunigte sich. Das konnte nicht sein. Stück für Stück setzte sich das Puzzle in seinem Kopf zusammen. Durch schieres Glück war er nun in der Lage, den einen Fehler der Angreifer zu durchschauen. Sie glaubten, ihre Lüge würde nicht entdeckt werden, aber anscheinend waren die Götter auf seiner Seite und er wusste nun, nach wem er suchen musste. Eine Dienerin und ein Schwachsinniger, also…
 

„Wo genau habt Ihr diese Dienerin gesehen, Offizier Enevor?“ „In der Nähe des Turms, aber da ist nichts Besonderes, außer …“ Seine Augen weiteten sich. „Das kann nicht sein. Niemand hätte in den Turm eindringen, geschweige denn davon wissen können …“ „Wovon wissen?“, bohrte Sasuke begierig nach und Enevor, der in seinem Entsetzen nicht mal darüber nachdachte, dass er möglicherweise zu viele Informationen herausrückte, gab bereitwillig Auskunft: „Im Turm wird ein Rebell gefangen gehalten, aber ich schwöre, das Mädchen, das ich getroffen habe, war eine ganz normale Dienerin. Ohne Schlüssel kommt ohnehin niemand in den Turm. Einen hat Lord Isamu Uchiha und den anderen trage ich stets bei mir.“ Enevor fasste an seinen Gürtel, doch zu seinem noch größeren Entsetzen, war der Schlüssel offensichtlich verschwunden.
 

Sasuke war nicht im Mindesten überrascht, legte die Hand auf sein Schwertheft und betrachtete grimmig die Burg. „Sie haben Euch übertölpelt, Offizier Enevor. Ich habe nie nach einer Dienerin geschickt, ich habe mir mein Abendessen selbst aus der Küche geholt. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir davon ausgehen, dass Rebellen in der Burg sind.“ Ein gefährliches Lächeln trat auf sein Gesicht. „Aber wir werden dafür sorgen, dass sie sie nicht mehr verlassen können.“

Chapter 6 ~ You’ve got the light to fight the shadows

Unmöglich.
 

Das Entsetzen machte Temari unfähig auch nur einen Finger zu rühren; ihre nächste Reaktion war ungläubiges Leugnen – wie konnte das sein?! Natürlich kannte sie die Geschichten, besser als viele andere. Wusste, dass es möglich und bereits geschehen war, aber das war alles theoretisches Wissen. Niemand hatte es je wirklich gesehen, denn alle, die Magie praktizierten, die auch nur im Entferntesten mit Nekromantie zu tun hatte, wurden schwersten Strafen unterworfen. Es sollte eigentlich niemand mehr da sein, der wusste, wie es ging, und auch keine Bücher mehr, aus denen man es lernen konnte.
 

Und doch… und doch kamen dort zwei Skelette auf sie zugewankt, mit unkoordinierten Bewegungen und ausgestreckten Händen. Keines von ihnen hatte mehr Fleisch auf den bleichen, brüchigen Knochen, doch eines trug noch die Reste von auseinanderfallender Kleidung. Beide waren sie zweifellos sehr alt und ein distanzierter Teil ihres Gehirns fragte sich, wie sie sich überhaupt noch auf den Beinen oder besser noch, in einem Stück zusammen hielten, abgesehen von der Tatsache, dass sie so oder so bereits lange tot waren… Sie spürte die Flammen des Freudenfeuers keine zwei Schritte von ihr entfernt heiß brennen und den weichen Boden unter den Sohlen ihrer Stiefel, aber für einen Moment schien ihr nichts davon real zu sein. Dann wünschte sie sich mit mutloser Gewissheit in dieser sehr schlimmen Situation ein Schwert. Am besten das magische Erbstück, das seit Generationen in ihrer Familie weitergereicht wurde und angeblich aus der Zeit der Totenkriege stammte. Das wäre genau die richtige Waffe für diese Situation… Dummerweise stand es dem männlichen Erben ihrer Dynastie zu und das war einer ihrer jüngeren Brüder.
 

Trotzdem würde sie etwas tun müssen, als einzige Person hier, die etwas vom Kämpfen verstand – sie konnte diese armen Bauern schließlich nicht tatenlos ihrem Schicksal überlassen. Auch wenn sie selbst keine Ahnung hatte, was sie tun sollte. Dies waren Untote, Kreaturen aus Mythen und Legenden… Die immer noch auf sie zukamen und die Leute rutschten von Panik in echte Hysterie und sie mussten ruhig bleiben. Nuren hinter ihr keuchte schwer und laut, seine Augen fest und weit auf die näher torkelnden Skelette gerichtet. Sie packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn kurz. „Bringt Euch unter Kontrolle!“, fuhr sie ihn an. „Haltet die Leute ruhig, schafft sie ins Dorf zurück und…“
 

Sie brach ab, als Nurens Augen plötzlich noch weiter wurden und sein Gesichtsausdruck ins Panische wechselte. Heftig wandte sie sich um und das erste Skelett war nur noch wenige Schritte hinter ihr. Warum war es so schnell?! Sie fuhr zurück und stieß Nuren und weitere Leute nach hinten. Jetzt wünschte sie sich wirklich ein Schwert oder besser noch, eine Axt; sie hatte gehört, das würde gegen Untote helfen… Im Moment würde sie sich jedoch auch mit einem Schild zufrieden geben und sie sah sich hastig nach etwas um, mit dem sie sich die Toten vom Leib halten konnte. Zumindest so lange, bis alle anderen in Sicherheit waren. Sie schrie erschrocken auf, als sich plötzlich eine Hand auf ihre Schulter legte.
 

Aber es war nur Nagato, der sich an ihr vorbeischob, und sie war auf einmal froh, dass er da war, ein zweiter kampferprobter Mann, auch wenn er irrsinniger Weise einen Stuhl dabei hatte. Aber er schien genau zu wissen, was er tat. Mit ruhigen Bewegungen packte er das Möbelstück an der Lehne und schmetterte es mit aller Kraft auf den ersten Angreifer. Knochen und Holz barsten unter der Wucht der Attacke, doch das Skelett bewegte sich noch immer und auch Nagato war noch nicht fertig. Mit den Resten des Stuhls prügelte er auf das Gerippe ein, bis es als Haufen geborstener Knochen zu Boden sackte. Die Szene war schnell und brutal und kaum war der Fremde fertig, machte er den letzten Schritt auf das zweite Skelett zu, das inzwischen herangekommen war, nicht abgeschreckt von dem Schicksal seines Kollegen.
 

Die Reste des Stuhls fielen unbeachtet ins Gras und Nagato packte die untote Kreatur, wandte sich rasch um und warf sie ins Feuer. Ein unmenschlicher Schrei ertönte, als die spröden Knochen viel zu schnell und viel zu hell in Flammen aufgingen. Beinahe verwirrt starrte Temari auf die sich windende, brennende Kreatur, die dort in den reinigenden Lohen verging. Sie erinnerte sich vage an die Fußnote in einer Abhandlung über die Totenkriege, die auf etwas Dergleichen verwies, und zuckte erneut heftig zusammen, als Nagatos Hand auf ihre Schulter zurückkehrte. Er sah sie mit intensivem Blick an.
 

„Fass dich.“, befahl er ihr in einem Ton, der zeigte, dass er das Befehlen gewohnt war. „Ich brauche deine Hilfe.“ Sie stand unter Schock, das wusste sie, und die Tatsache, dass sie das überhaupt bemerkte, zeigte, dass sie sich langsam wieder erholte. Sie atmete tief ein und versuchte, ihre Gedanken zu beruhigen, auch wenn sie immer wieder zu einem Punkt zurückkehrten: das waren Untote. Kreaturen, die es nicht mehr geben durfte. Sie richtete den Blick auf Nagato, der sie daraufhin wieder losließ. Er erwiderte ihn ernst und sicher und ihr wurde mit einem Mal klar, dass er wirklich und absolut wusste, was er hier tat. Dass er es nicht zum ersten Mal tat. Und er war willens, das Kommando zu übernehmen, um diesen Bauern eine echte Chance zu geben. Diese Tatsache allein half ihr, sich zu fassen. Sie atmete noch einmal tief ein und dann ganz bewusst aus, ehe sie ihm zunickte. „Was soll ich tun?“
 

„Da hinten ist ein Gottesacker.“, antwortete er. „Und das hier waren nur die ersten Feinde. Sie haben allerdings keinen Anführer.“ „Was sie hat sie überhaupt erweckt?“, fragte Temari leise und spähte an ihm vorbei zum Wald hinüber. Bewegte sich dort nicht etwas? „Chaotische Magie, vielleicht.“, war die ruhige Antwort. „Oder ein Nekromant, der nicht weiß, was er tut. Ich verstehe nicht viel davon.“ Jedenfalls mehr als alle anderen hier, fuhr es ihr durch den Kopf, einschließlich ihrer selbst, die die Totenkriege studiert hatte. Doch das spielte jetzt keine Rolle. Jetzt mussten sie sich erst um die drängenderen Probleme kümmern. Um die teilweise durcheinanderlaufenden, teilweise schockierten, teilweise bereits fliehenden Menschen, um das entstandene Chaos, um die Untoten…
 

„Nuren, wir müssen die Leute zur Ruhe bringen!“, bellte sie den Vorsteher an. „Helft uns!“ Der Mann blickte sie unsicher an, aber wandte sich gehorsam um und rief mit zittriger Stimme: „Bürger! Hört mich an!“ Dass niemand ihn bemerkte, war kein Wunder, weder für Temari noch für Nagato, der die Sache daraufhin selbst in die Hand nahm. „Ruhe!“ Seine Stimme war vernehmlich und zwingend und es gab nur wenige, die nicht innehielten und sich ihm zuwandten. „Beruhigt euch! Das ist nicht der Weltuntergang – und auch nicht das Ende eures Dorfes, ihr könnt immer noch kämpfen! Bringt die Kinder und die übrigen, die nicht dazu in der Lage sind, in die Dorfhalle. Alle anderen bewaffnen sich – Heugabeln, Äxte, Knüppel und Fackeln hat jeder, bleibt auf jeden Fall in Gruppen zusammen. Verbarrikadiert die Halle. Wer sind hier die Heiler?“ Niemand rührte sich. „Dorfhalle?“, wollte jemand wissen. „Heiler?“, fragte eine andere Stimme und ein paar riefen entsetzt im Chor: „Kämpfen?!“
 

Für einen Moment schien Nagato sprachlos nach Worten zu suchen. „Denkt ihr, das waren die einzigen Toten für heute?! Da sind noch einige mehr auf dem Weg und sie kennen nichts als den Willen zu zerstören. Und da wollt ihr nicht kämpfen?! Für euer Zuhause, euer Leben und eure Kinder werdet ihr wohl kämpfen! Und für alle Wehrlosen braucht ihr ein Gebäude, in das alle hineinpassen, damit sie sicher sind. Und jetzt bewegt euch!“ Die Dorfbewohner machten sich gehorsam auf den Weg ins Dorf zurück und er warf einen Blick über die Schulter zum Waldrand hinüber. Temari tat es ihm gleich und erschauderte bei dem Anblick, der sich ihr bot.
 

Nagato-der-Fremde hatte recht gehabt – die beiden Gerippe waren nur die Vorboten gewesen. Anscheinend hatten sich alle ‚Bewohner‘ des nahegelegenen Friedhofs, der schon seit Generationen jeden Verstorbenen aus einem gigantischen Umkreis aufnahm, in widernatürliche Bewegung gesetzt und marschierte nun zielsicher zum Dorf. Die größte Anzahl der Untoten war wesentlich jünger als die beiden Gerippe, doch alle waren sie in unterschiedlichen Stadien der Verwesung. Die Vordersten waren allerdings ebenfalls nicht mehr als blanke Knochen. Das würde kein Zuckerschlecken werden und sie wünschte sich ein paar kampferprobte Soldaten.
 

Doch alles, was sie hatte, waren ein paar Bauern, zusammengehalten von Angst um ihr Zuhause und einem mysteriösen Krieger.
 

Dennoch folgten die Leute den Anweisungen. Der kurze Marsch ins Dorf war hastig, aber nicht panisch. Die Frauen und Alten sammelten die Kinder ein und strebten auf das Versammlungshaus zu. Die anderen strömten in die Häuser und kamen bewaffnet zurück: mit Heugabeln und Holzäxten, ein paar trugen schwere Sauspieße und Bral hielt sogar ein Schwert in Händen. Überschüssige Waffen wurden an die Nachbarn aus den Weilern und von den Höfen weitergegeben, die nicht mal schnell nach Hause eilen und ihre eigenen besorgen konnten.

Temari selbst stürmte in das kleine Zimmer im Versammlungshaus, das man ihr zur Verfügung gestellt hatte, gürtete ihr eigenes Schwert, eine gute Klinge aus mehrfach gefaltetem Eisen, und schnappte sich den Dreiecksschild mit dem Wappen des Hauses Sabakuno. Als sie auf den Platz zurückkehrte, gab Nagato gerade eine riesige Kriegsaxt, die bei seinem Eintreffen am Sattel seines Pferdes gehangen hatte, an einen jungen Mann weiter, der gebaut war wie ein Bär.
 

Der Krieger selbst trug ein Langschwert auf dem Rücken, schien aber die kürzere Bronzeklinge zu bevorzugen, die an seinem Gürtel hing. Dazu kam ein runder, altmodischer Buckelschild, der aus dunkelroten Schuppen gefertigt schien. Er trug kein Wappen, sah sich aber um, als sei er gewohnt, dass man seinem Befehl folgte. Und wirklich: die Menschen, die vorher hysterisch geflohen oder sogar panisch erstarrt waren, sammelten sich jetzt auf dem Dorfplatz. Jeder sah verängstigt aus, aber auch entschlossen, bereit das Zuhause und die Familien zu schützen, wie Nagato gesagt hatte. Selbst einige Frauen schlossen sich der Gruppe an; nachdem das Versammlungshaus verrammelt und geschlossen war. Nagato zuckte nicht einmal mit der Wimper, als er begann sie mit den Männern in kleine Gruppen aufzuteilen. Kurz darauf stellte er Bral mit dreien davon zur Seite; sie sollten die Halle schützen. Das war eine gute Wahl, denn der Schmied war außer Temari und Nagato selbst vermutlich der einzige, der schon einmal echten Krieg gesehen hatte. Er würde am ehesten wissen, was zu tun war, wenn es hart auf hart kam.
 

Dann winkte Nagato sie heran und wies auf ein paar weitere Gruppen an Kämpfern. „Du übernimmst die Flanke.“ Dann wandte er sich wieder an die Allgemeinheit, seine Stimme laut und deutlich über das Gemurmel und Gerede der Menschen. „Achtet darauf, dass keine der Kreaturen durchbricht. Nutzt die Feuer als Scheiterhaufen und schlagt ihnen die Schädel ein oder die Köpfe ab. Arbeitet zu zweit – einer soll sie auf Abstand halten, der zweite erledigt sie. Brecht auf keinen Fall die Reihen, selbst wenn die Toten fliehen sollten. Auf keinen Fall.“ Temari hoffte, dass die Bauern darauf hören würden. Sie hatte schon Schlachten gesehen, die verloren wurden, weil eben dies geschah. Sie wollte das hier nicht riskieren. „Kommt jetzt, Krieger. Selbst eure Freudenfeuer werden die Toten nicht ewig aufhalten.“
 

Damit machte er kehrt und ging schnellen Schrittes wieder zum Festplatz zurück. Zu Temaris Erstaunen und Erleichterung folgten alle ohne weitere Fragen – einschließlich ihrer selbst. Die Untoten hatten sich größtenteils am Rande der Lichtkreise der Feuer versammelt, so wie Nagato es vorausgesagt hatte. Sie schienen Angst vor den Flammen zu haben, aber die legte sich wohl langsam, denn einige mutigere Tote hatten sich voran gewagt und torkelten auf dem Festplatz herum. Einige andere schoben sich um den Lichtkreis herum und bewegten sich so auf das Dorf zu. Nagato überblickte die Situation in einem Atemzug und begann, knappe, aber verständliche Befehle zu brüllen, während er bereits sein Schwert zog. Temari und ihre Gruppe schickte er los, um den größten Teil der Abweichler abzufangen.
 

Die wenigen, die auf die andere Seite hin auswichen, ließ er von einigen jungen Männern unter der Führung des Bären, dem er seine Axt gegeben hatte, aufhalten. Er selbst stellte sich mit dem Rest der Bauern der 'Hauptstreitmacht'. Eigentlich hielt der Kommandeur der Truppen sich aus dem Kampf heraus; er musste den Überblick behalten und das war schwer, wenn man sich mitten im Geschehen befand, selbst auf einem so kleinen Schlachtfeld. Aber manchmal war dies nicht möglich und das hier war eine solche Situation. Sie konnten einfach nicht auf die Schlagkraft und Kampferfahrung verzichten, die Nagato darstellte. Aber Temari wollte verdammt sein, wenn sie je jemanden gesehen hatte, der diese doppelte Aufgabe besser gemeistert hätte. Er bellte Befehle, hielt seine Impromptu-Soldaten zusammen und zog die Aufmerksamkeit von mehr Untoten auf sich als alle anderen. Die Feuer färbten seine bronzene Klinge blutrot und sein Schild spiegelte die Flammen in bizarren Mustern.
 

Dann hatte Temari keine Zeit mehr, sich um den Fremden zu kümmern, sondern musste sich ihren eigenen Gegnern zuwenden, während sie mit einem Auge auf ihre eigenen Kämpfer achtete. Die wandelnden Leichen schienen die Feuer angesichts der Lebenden völlig vergessen zu haben, denn kaum, dass diese aufgetaucht waren, stürzten sie sich auf sie. Mit ausgestreckten Armen, die ihre einzigen Waffen waren, griffen sie an und die Reihe der eben noch mutigen Verteidiger stoppte. Auch Temari, das Schwert in der Hand, zögerte einen Moment. Hier war sie, im Begriff gegen mythische, schwarzmagische Kreaturen zu kämpfen, über die sie bis jetzt nur gelesen hatte und trotz ihres selbst gewählten Studienthemas noch nicht einmal sonderlich tief. Doch dann riss sie sich zusammen – ob aus dem Reich der Legenden oder nicht, hier und jetzt waren sie sehr real und sehr tödlich.
 

Sie machte kurzentschlossen einen Schritt vor und drosch dem nächstbesten Skelett ihren Schild gegen die Brust. Die Kreatur stolperte zur Seite, beinahe in eines der Feuer hinein, und Temari fühlte einen Anflug von Triumph. Sie hob ihr Schwert und schlug zu, zwei-, dreimal rasch hintereinander. Die alten Knochen barsten unter der Wucht ihrer Schläge und das Gerippe fiel in sich zusammen. Dies, mehr als alles andere, zeigte ihr, dass Nagato recht gehabt hatte und sie kämpfen und siegen konnten. Natürlich mochten ihre Gegner scheußlich und unmenschlich stark sein, aber sie waren nicht unbesiegbar, sie hatten keine Waffen und auch keinen Anführer oder erst recht keinen Plan. Sie schienen es einfach nur auf die Lebenden abgesehen zu haben und kamen sich dabei in ihrer Hast teilweise gegenseitig in die Quere. Temari trat die Knochen ins Feuer und wandte sich an ‚ihre‘ Kämpfer.
 

„Ihr habt gehört, was er gesagt hat! Bleibt zusammen, kämpft!“, befahl sie. Sie deutete mit dem Schwert auf Nagatos Truppe, wo der Kampf schon in vollem Gange war. Schreie und die Geräusche von Metall, das auf Körper traf, hallten herüber. Eine Frau hackte mit stiller Wut auf einen beinahe frischen Körper ein, den zwei Halbwüchsige mit Heugabeln auf Abstand hielten. Zwei junge Mädchen schoben ein Skelett mit Rechen vor sich her, bis sie es in ein Feuer stoßen konnten, wo es sofort in grelle Flammen aufging. Der bärenhafte Mann schwang Nagatos Kriegsaxt mit beiden Händen wie ein Hackebeil, aber mehr brauchte es auch nicht – denn auch, wenn abgetrennte Glieder anscheinend wieder anwuchsen, galt dies nur, solange der Kopf unversehrt blieb. Temari sah auch ein oder zwei Bauern unter den mitleidslosen Klauen der Leichen fallen, aber sie wollte sich nicht entmutigen lassen.
 

„Auf geht’s!“, feuerte sie ihre Horde an und es erzielte Wirkung. Die Kämpfer stürmten los, mit blassen Gesichtern, aber einem entschlossenen Funkeln in den aufgerissenen Augen. Metall klirrte, Schreie zwischen Wut und Angst erschollen, Heugabeln gruben sich in halb verweste Körper. Die Äxte und Dreschflegel verursachten ekelerregende Geräusche, wenn sie ihre Ziele trafen, aber sie zeigten Wirkung. Temari hielt sich im Hintergrund, bereit dem zur Hilfe zu eilen, der sie brauchte, und um den Überblick zu behalten. Dennoch kam sie oft genug zum Kämpfen, half hier, Köpfe abzutrennen, und dort, einen Untoten auf Abstand zu halten. Sie nutzte ihren Schild um Kreaturen ins Feuer oder in wartende Klingen zu stoßen, wehrte Hände und Angriffe mit ihrem Schwert ab und fühlte den bekannten Rausch der Schlacht.
 

„Großvater!“ Wenige Schritte neben ihr ging ein Junge unter dem Angriff von zwei Feinden zu Boden, die Augen schreckgeweitet auf das Gesicht eines verwesenden alten Mannes gerichtet. Und er war nicht der einzige. Viele der Bauern erkannten verstorbene Angehörige, hielten inne und brachten so die gesamte Verteidigung ins Stocken. „Das sind nicht eure Angehörige!“, brüllte Nagato, der die Gefahr instinktiv gespürt haben musste. „Eure wahren Familien verlassen sich darauf, dass ihr sie beschützt! Diese Toten sind nicht länger eure Väter, Mütter, Großeltern, Brüder und Schwestern! Sie sind Ungeheuer und weiter nichts! Kämpft!“ Das Zögern der Dörfler verebbte auf die scharfe Zurechtweisung des Kriegers und auch Temari fing sich wieder.
 

Sie erreichte den gefallenen Jungen und trieb mit wütendem Gebrüll die wandelnden Leichen von ihm weg. Sie wusste nicht, ob sie doch zu spät gekommen war, doch sie hatte keine Zeit, es nachzuprüfen. Eine plötzlich auflodernde strahlendblaue Stichflamme erfasste fünf oder sechs Untote auf einmal, fraß sie mit übermächtiger Schnelligkeit auf und hinterließ den ätzenden Geruch von kunstloser Feuermagie.
 

Erst jetzt bemerkte sie, dass sie ihre Gruppe längst zum Hauptkampf geführt hatte und Seite an Seite mit Nagato stand. Die einstmals sauberen Linien hatten sich aufgelöst, aber anscheinend spielte das keine Rolle, weil der Gegner führerlos war. Aber dennoch – es waren so viele. Generationen von Leuten, die hier gestorben und begraben worden waren, alle aus diesem Ort und den dazugehörigen Ansiedlungen. Noch immer stolperten einige Tote aus dem Wald. Nagato neben ihr nutzte die Kante seines Schildes und hieb es gegen den Hals einer Kreatur. Der Knochen barst laut, doch das Wesen taumelte nur. Der Krieger schlug noch einmal zu und half mit einem Tritt nach, der es in eines der Feuer beförderte.
 

Temari fing den Schlag eines weiteren Untoten ab, dessen Wangen von Maden zerfressen waren, und schlug ihrerseits zu. Die Hand fiel zu Boden, zuckte und wand sich noch, doch die Schwertkämpferin konnte sich davon nicht ablenken lassen. Ihre Klinge schnellte nach oben und trennte der Kreatur glatt den Kopf von den Schultern, so dass sie wie ein nasser Sack in sich zusammenfiel. Schwer atmend hielt Temari einen Moment inne und richtete ihren Schild. Das Schlachtfeld sah fürchterlich aus, noch immer wurde an zu vielen Stellen gekämpft und der Geruch von Blut und Verwesung hing in der Luft.
 

Die Schreie der Verwundeten und Sterbenden übertönten längst das Angriffsgeschrei der anderen Bauern. Temari schauderte und Nagato neben ihr stieß einen wüsten Fluch aus. Er zog etwas aus seiner Gürteltasche, das aussah wie ein länglicher, hölzerner Talisman, geschmückt mit roten Federn und gelben Perlen; sein Schwert steckte vor ihm in der Erde. Er zerbrach das kleine Stöckchen zwischen den Fingern und warf es in eine kleine Gruppe von Untoten. Einen Moment später flammte erneut das blaue Feuer auf – tatsächlich Magie. Jedoch war ihr der Krieger nicht wie jemand vorgekommen, der auf solche Tricks zurückgriff… Doch das Feuer verbrannte die Toten zu Asche und darüber würde sie sich nicht beklagen.
 

Sie wechselte einen Blick mit ihm, kurz nur, aber genug um zu erkennen, dass er die Situation ähnlich sah wie sie. Schlimm, doch nicht hoffnungslos und Nagatos kleine Zaubertricks, die er so einfach aus dem Gürtel zog, würden sicherlich helfen. Temari wehrte sich gegen noch mehr Angreifer und versuchte weiterhin, die Bauern im Blick zu behalten, aber bei diesem Chaos war es schwer. Außerdem lenkte sie ein seltsames, lockendes Summen ab, von dem sie erst dachte, dass sie es sich einbildete. Irgendwann fiel ihr auf, dass sie es tatsächlich hörte, ein fremdartiges, aber betörendes, ja, sogar zwingendes Geräusch, das eigentlich zu leise war, als dass sie es durch den Kampflärm hätte hören können. Doch da sie weder wusste, woher es kam, noch, was es bedeuten sollte, ignorierte sie es so gut es ging und konzentrierte sich auf den Kampf. Als ein Mädchen neben ihr laut aufschrie, fuhr sie herum. Sie schlug dem Toten mit einem Rückhandschlag den Unterarm ab und stieß die Kreatur in Nagatos Reichweite, der ihr sauber den Kopf von den Schultern trennte. Er zerrte das gerettete Mädchen auf die Beine und aus dem Weg von einer weiteren wandelnden Leiche, die Temari rasch beseitigte.
 

Die Kleine hatte ihre Waffe verloren, das volle braune Haar hing ihr wirr in die Stirn und die Augen waren angstvoll aufgerissen, doch der verbissene, entschlossene Gesichtsausdruck zeigte deutlich, dass sie noch nicht besiegt war. Nagato drückte ihr nach einem kurzen Rundblick das eigene Schwert in die Hand, korrigierte ihren Griff und zog einen weiteren seiner Feuertalismane aus der Tasche, um eine kleine Gruppe von Untoten auszulöschen. „Das wird so nichts.“, knurrte er und griff nach dem Heft des Langschwertes.
 

Die nächsten Momente würden Temari immer als einige der bedeutendsten, lebensverändernden Augenblicke ihrer Existenz in Erinnerung bleiben.

Das Summen wurde lauter und melodischer, entwickelte sich von einem geisterhaften, beinahe tonlosen Zirpen zu einer silberhellen, berückenden, unmenschlichen Stimme, bezaubernd im wahrsten Sinne des Wortes. Die Untoten um sie herum wichen zurück und Temari fühlte Kraft in ihre eigenen Glieder zurückkehren, geboren aus der plötzlichen Zuversicht und Hoffnung in ihrem Herzen. Und sie bemerkte schnell, dass es nicht nur ihr so ging – jeder ihrer Verbündeten, der die Melodie hörte, schien zu erstarken, richtete sich auf, drang mit neuer Kraft auf den Feind ein und schlug ihn zurück. Und das anspornende, beeinflussende, aufstachelnde Lied des Schwertes klang laut und klar und großartig über den Kampfplatz.
 

Temari fällte drei instinktiv zurückweichende Untote, während Nagatos Schwert links und rechts Kreaturen mit nur Berührungen niederstreckte, ehe sie sich der Tragweite der Ereignisse bewusst wurde.

Es war ein Lied.

Ein Schwert, das sang – ein Singendes Schwert.

Es gab nur eine einzige solche Waffe, eine legendäre Klinge direkt aus den Händen der Götter. Und Götter kopierten ihre eigenen Werke nicht. Es gab nur dieses eine Singende Schwert – Antarion, das seit den Totenkriegen als verschollen galt, gemeinsam mit seinem Besitzer und Herrn: Pein Kriegsfeuer.

Wie kam ein abgerissener Söldner zu einer solchen Waffe?!
 

Kein Wunder, dass er das Kurzschwert bevorzugte, trotz Antarions offensichtlicher Effektivität… Doch selbst wenn er nicht zu dem magischen Schwert gegriffen hätte, wäre die Schlacht siegreich ausgegangen, da war Temari sich sicher – wenn auch mit weit größeren Verlusten. So aber war es kaum mehr Arbeit, als sich Nagato anzuschließen, der einen Pfad durch die Untoten schlug. Diese wichen vor dem Krieger zurück, kamen aber nicht auf die Idee zu flüchten, was vermutlich gut war. Temari wollte nicht über den Schaden nachdenken, den sie auf diese Weise anrichten könnten. Die Bauern ihrerseits schöpften wieder neuen Mut. Sie verdoppelten ihre Anstrengungen und endlich – endlich! – zeichnete sich ein Fortschritt ab. Die Reihen der Untoten lichteten sich, immer mehr Lebende konnten sich zusammen auf einen Feind stürzten und aus dem Wald torkelten auch keine neuen Leichen mehr. Temari selbst war es, die den letzten Kadaver, fixiert von zwei Heugabeln, erledigte, und der groteske Feind sackte zusammen.
 

Schwer atmend zog sie ihr Schwert zurück und sah sich suchend um, aber da waren keine Gegner mehr, nur noch blutige, abgekämpfte Krieger, die keine Krieger waren, sondern doch nur Bauern. Die Luft war erfüllt von Stöhnen, Schluchzen, leisem Weinen und dem triumphalen Siegeslied des Schwertes, doch die Geräusche des Kampfes fehlten. Ein erleichtertes Seufzen ging durch die Reihen und dann brach plötzlich eine neue Art von Lärm los – Namen, die durcheinander gerufen wurden, schwirrende Stimmen, Wimmern von Menschen, denen auf einmal klar wurde, was hier tatsächlich geschehen war. Temari sah sich um, fühlte sich nach dem Kampfesrausch erschöpft und ausgelaugt, Schild und Schwert hingen wie Gewichte an ihren Händen. Doch sie wusste aus Erfahrung, dass das Ende der Schlacht nicht bedeutete, dass jetzt alles vorbei war. Sie drehte sich im Kreis und suchte nach dem Mann, dem sie alle ihr Leben verdankten – ohne seine Führung hätten die Untoten so gut wie jeden im Dorf getötet und nicht nur einen Teil.
 

Nagato stand zwischen drei gefällten Feinden und starrte einen von ihnen nachdenklich an. Sein Schwert sang noch immer, auch wenn die Spitze beinahe im Dreck lag. Dann schüttelte er plötzlich den Kopf und ging in die Hocke, um die Klinge sorgfältig an alter Kleidung abzuwischen, ehe er sie wieder in die Scheide zurückschob. Das wortlose Lied der Waffe wurde leiser und verstummte, als er das Heft losließ und die plötzliche Stille, die nicht wirklich leise war und sich trotzdem wie ein Tuch über das Feld legte, zog die Aufmerksamkeit aller auf sich, die zu einer Reaktion fähig waren. Für einen Moment starrte der Fremde wortlos zurück, beinahe als würde er auf etwas warten.
 

Dann zeigte er auf eine Gruppe von jungen Männern und befahl ihnen, einen Schutzkreis zu bilden. Drei junge Mädchen schickte er los, um Bral zu verständigen und alle Hilfe zu holen, die sie bekommen konnten. Den Rest der Anwesenden kommandierte er zur Arbeit ab. Auch Temari schloss sich ohne weitere Worte an. Sie wischte ihr Schwert ebenfalls an der Kleidung einer Leiche ab und legte ihren Schild auf einen Tisch, der seltsamerweise noch stand. Sogar die Schüsseln darauf waren noch unberührt.

Was nun folgte, waren lange Stunden angefüllt mit harter, grausamer Arbeit.
 

Auf dem Dorfplatz wurde ein behelfsmäßiges Spital eingerichtet, wo die Verwundeten versorgt wurden. Die meisten wurden danach von ihren Verwandten nach Hause gebracht, für die am schwersten Verwundeten sowie die Gäste von außerhalb fand man Plätze im Versammlungshaus. Temari konnte dort nicht viel tun – sie hatte noch nie viel Talent fürs Heilen und Helfen gehabt. Also schloss sie sich der Gruppe an, die die Toten am Rande des Festplatzes aufreihten, wobei kein Unterschied zwischen den in dieser Nacht Gefallenen und denen, die bereits einmal begraben gewesen waren, gemacht wurde. Nagato hatte eine Gruppe von jungen, fast unverletzten Männern abkommandiert um damit zu beginnen, Scheiterhaufen zu errichten. Ab heute würde zumindest diese Gegend zu dem Ritual zurückkehren, ihre Toten zu verbrennen, wie man es vor achthundert Jahren getan hatte. Temari hatte sich schon öfter gefragt, warum man damit aufgehört hatte.
 

Eine weitere Gruppe – junge Mädchen und Jugendliche, die zu stark verletzt waren, um bei den schweren Arbeiten mitzuhelfen, aber nicht so sehr, dass man sie nach Hause schicken musste – hatte der Fremde abgestellt Wache zu halten. Sie patrouillierten durch das Dorf und in einem bestimmten Umkreis darum herum. Ihre Befehle lauteten strikt, die Augen offen zu halten und auf keinen Fall eventuell noch bewegliche Untote allein anzugreifen, sondern Bescheid zu sagen. Bis jetzt war noch kein Alarm geschlagen worden. Nagato selbst arbeitete bei dem Trupp mit, der mit der Trennung der Leichen beschäftigt war. Der rote Schild sowie das Kurzschwert und die Axt, die er zurückbekommen hatte, ruhten neben Temaris eigenen Waffen. Antarion jedoch trug er weiterhin auf dem Rücken, etwas, an das er augenscheinlich gewöhnt war, wenn man die geübte Leichtigkeit bedachte, mit der er sich damit bewegte. Aber wenn sie ein solches Schwert besäße, würde sie es auch nicht so einfach aus der Hand geben, vor allem nicht, da jeder wusste, worum es sich hierbei handelte.
 

Allerdings hätte Nagato sich keine großen Sorgen zu machen müssen. Keiner dieser Bauern würde von ihm stehlen. Der Respekt und die Bewunderung, die sie ihm entgegenbrachten, schlugen bereits in Ehrfurcht um. Zuerst war es nur Geflüster gewesen, eine absurde Idee, doch nachdem sie ausgesprochen worden war, setzte sich der Gedanke in den Köpfen der Menschen fest. Die Rätsel und Gerüchte, die Nagato seit Ende der Kämpfe umgaben, waren einer allgemein akzeptierten Wahrheit gewichen: Er war Pein, sagten sie, gekommen aus dem Reich der Mythen um ihnen im Kampf gegen die Untoten beizustehen, die aus denselben Geschichten stammten. Legenden, die die Alten von ihren Müttern und Vätern in ihrer Kindheit gehört hatten. Legenden, die von dem einen berichtete, der vier Gefährten um sich scharte und mit ihrer Hilfe die freien Fürsten unter einem Banner einte, um gegen den Lichlord selbst zu kämpfen.

Pein Kriegsfeuer.
 

Und nun war er zurückgekommen. In der Gestalt Nagatos-des-Fremden oder war Nagato Peins Wiedergeburt? Es gab unterschiedliche Meinungen, wobei die Version, dass es sich bei Nagato tatsächlich um Pein Kriegsfeuer handelte, die anerkannteste war.
 

Temari war sich dessen nicht so sicher, denn eine solche Antwort warf zu viele, zu komplizierte Fragen auf. Warum? Und woher kamen die Toten überhaupt? Warum sollten die Götter Pein herschicken? Denn wer sonst als die Götter selbst sollte dahinterstecken – wer sonst hatte diese Macht und vor allem diese Weitsicht? Achthundert Jahre waren eine lange, lange Zeit. Und warum sollten die Götter ein Interesse daran haben, ein winziges, vollkommen unbedeutendes Dorf im Zwielichtgebirge zu schützen? Temari würde sich nicht der Illusion hingeben, dass das Schicksal eines einzelnen Dorfes auch nur einen der Götter interessierte.
 

Natürlich wusste sie, dass eine Zeitreise – nach vorne, niemals nach hinten – möglich war, immerhin war sie eine Gelehrte und zufällig an der Universität gewesen, an der eben jene Experimente von einem Erfolg gekrönt gewesen waren. Aber eine Zeitreise kostete mehr, als sie wert war und eine Zeitspanne von mehr als ein paar Tagen war zu dem jetzigen Zeitpunkt noch ein reines Wunschdenken. Nein. Nagato war nicht Pein, er konnte nicht Pein sein. Ihre eigenen Grübeleien machten mehr Sinn, selbst jetzt noch. Ein Söldner, ein Niemandsländler, der über das Grab der Helden gestolpert oder auf eine andere Weise an Antarion geraten war. Aber das nagende Gefühl, der Zweifel, dass so vieles nicht zueinander passte, das war noch immer da. Ihr fehlten noch einige Details und Informationen, um den richtigen Schluss zu ziehen und sie wusste: sie würde einiges dafür tun, um sie zu bekommen. Selbst jetzt sofort ihre Taschen packen und das Dorf verlassen, wenn es sein müsste.
 

Ob Nagato nun wirklich Pein war oder nicht – Temari würde ihren ursprünglichen Plan aufgeben und sich an ihn hängen, ob er nun wollte oder nicht. Wenn er tatsächlich der Kriegsherr war, würde sie herausfinden, wie er hergekommen war – und warum. Und wenn nicht – nun, irgendwoher musste er Antarion haben und auch das war ein Fortschritt zu allem anderen.

Zu allen anderen Forschungen über die Helden, bei denen niemals auch nur eine Gürtelschnalle aufgetaucht war, geschweige denn eine ihrer legendären Waffen. Jetzt war die Lösung zum Greifen nahe, die Antwort auf die Frage, wo die Legendären Fünf abgeblieben waren… Temari würde sie nicht durch die Finger rinnen lassen wie den feinen Sand in ihrer Heimat.
 

Doch eine Wahrheit konnte sie selbst mit den besten Argumenten nicht leugnen. Ob Nagato nun Pein war – er hatte dieses Dorf gerettet und das machte ihn ebenso zu einem Helden wie Pein Kriegsfeuer einer gewesen war…
 

Der Himmel bekam schon einen Graustich, als Temari sich zurückzog um noch ein paar Stunden zu schlafen. Die meisten der Dorfbewohner waren bereits im Bett, aber einige arbeiteten noch wie besessen. Nagato hatte ein paar mehr als Wachen abgestellt, auch wenn er nicht mehr glaubte, dass sie noch notwendig waren, und dann hatte auch er sich hingelegt. Auch Temari würde etwas Ruhe jetzt gut tun…
 

~ [ ♠ ] ~
 

Hinata sah den fremden Jungen an, der aus dem Nichts aufgetaucht war. Bei ihren Worten hatte er sich umgedreht und sie überrascht angestarrt. Er wirkte angespannt und die Verblüffung darüber, außer Lee noch jemanden vorzufinden, war ihm ins Gesicht geschrieben. Er war erschöpft und die Angst entdeckt zu werden, las sie in jeder noch so kleinen seiner Bewegungen. Doch etwas an ihm faszinierte sie. Vielleicht war es der klare Blick aus den himmelblauen Augen. Vielleicht sein goldenes Haar, das ihm in einer Art verwegener Tollkühnheit ständig in die Augen fiel, oder die Tatsache, dass er sich in größte Gefahr begab, um einen Freund zu retten, den andere längst abgeschrieben hätten. Er war ganz anders als Neji, Kiba oder Pein.
 

„Wer seid Ihr?“, wollte der Fremde schließlich wissen und Hinata konnte nicht verhindern, dass der Klang seiner Stimme ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Selbst seine Stimme zog sie an! Hatte er irgendeinen Zauber gewirkt, den sie nicht mitbekommen hatte? Aber nein, das konnte nicht sein. Oder doch? Ihre Kräfte waren schließlich verschwunden…
 

„Wir müssen dir nicht antworten, wir wissen auch nicht, wer du bist? Wer sagt uns, dass dies keine Falle ist?“, mischte sich Konan ein und fasste den Fremden aufmerksam ins Auge. Lees Retter schnaubte verächtlich. „Als wenn ich mir mein eigenes Grab schaufeln würde. So blöd bin ich nun auch wieder nicht.“ „Dann spricht doch nichts dagegen, wenn du uns ebenfalls befreist“, lockte Konan ihn weiter und Hinata sah, wie sie einen kurzen Blick auf den Dolch an seinem Gürtel warf. „Naruto…“, forderte Lee schwach. „Wir werden dir ganz bestimmt nicht schaden“, fügte Hinata hinzu, „wenn du uns hilfst, ist dir auch unsere Hilfe gewiss.“
 

Narutos Entschlossenheit bröckelte. Hinata sah es an der Art, wie er schuldbewusst die Gitterstäbe betrachtete, die Konan und sie von ihm und Lee trennten. In seinen Inneren kämpften der Drang kein unnötiges Risiko einzugehen gegen seine unumstößliche Moral, andere Gefangene nicht dem gleichen Schicksal auszusetzen, wie sein Freund es bereits ertragen hatte. Seine Moral siegte. „Bei allen Göttern!“, fluchte er leise, ließ Lee vorsichtig zu Boden gleiten und öffnete mit dem Schlüssel, mit dem er schon Lees Zelle aufgesperrt hatte, nun auch ihre Kerkertür. Mit einem Knarren schwang sie nach außen auf und Hinata trat den ersten Schritt in die Freiheit.
 

Naruto hatte sich indessen schon wieder Lees Arm um die Schultern gelegt und hievte seinen Freund hoch. „Ino wird mich umbringen“, murmelte er zu sich selbst. Ohne zu fragen nahm Hinata Lees anderen Arm und half ihm den Verletzten zu stützen. Überrascht blickte Naruto auf. Zu ihrer eigenen Scham errötete sie und schaffte es nicht, ihm in die Augen zu sehen. „Ich heiße Hinata“, stellte sie sich vor. „Naruto.“, sagte der junge Mann und Hinata wiederholte im Kopf seinen Namen. Naruto. Warm und weich lag ihr das Wort auf der Zunge.
 

„Vorstellen können wir uns später“, riss Konan sie aus den Gedanken, „zuerst mal sollten wir sehen, dass wir hier weg kommen.“ Mit diesen Worten riss sie die Tür auf und stieß fast mit einer blonden, jungen Frau zusammen, die ebenso erstarrte wie Konan.

„Ino!“, rief Naruto und lenkte die Aufmerksamkeit der Fremden auf sich. Ino ließ den Blick schweifen und erfasste mit einem Blick die Situation. „Kannst du mir vielleicht mal erklären, was du da tust, Naruto?!“ Sie stutzte. „Hallo Lee, vielen Dank auch, dass wir dich aus einer Uchihafestung retten müssen.“ Hinata sah wie Lee schluckte und eine unverständliche Entschuldigung murmelte, die Ino nicht einmal zur Kenntnis nahm. „Naruto, wir hatten klar ausgemacht, dass unser einziges Ziel ist Lee zu retten. Du kannst nicht jeden retten, mit dem du auf dem Weg dorthin Mitleid bekommst!“ „Aber sie…“, Naruto biss sich auf die Lippen. „Wir können es uns bei allen Göttern verdammt nochmal nicht erlauben Zeit zu…“ Ino erstarrte mitten im Satz und blickte schreckensbleich auf ihren eigenen Dolch, den Konan ihr entwendet hatte und den sie ihr an die Kehle hielt.
 

„Ich denke, du bist hier die einzige, die Zeit vergeudet. Wir sollten sehen, dass wir alle fliehen. Im Nachhinein kannst du ihm immer noch eine Predigt halten.“ Ino schluckte und schlug die Augen nieder und auf Konans Gesicht trat ein undurchschaubares Lächeln. „Ich sehe, wir verstehen uns. Der hier gehört dir, wenn ich mich nicht irre. Gibt Acht, dass er dir nicht verloren geht.“ Sie drückte Ino die Waffe in die Hand, mit der sie sie gerade noch bedroht hatte, und trat aus dem Kerker. „Und jetzt los, ehe wir noch mehr Zeit verlieren.“
 

„Kannst du gehen?“, wandte sich Hinata an Lee. Der biss die Zähne zusammen und nickte verbissen. Schon die wenigen Meter, die Naruto ihn aus der Zelle geschleppt hatte, hatten ihm mehr zugesetzt, als er zugeben wollte. Wenn sie doch nur ihre Magie hätte! Dann könnte sie zumindest seine Schmerzen unterdrücken! Im Kopf flüsterte sie die Worte, die sanft sein konnten und in einer anderen Zusammenstellung tödlich. Magie war ein zweischneidiges Schwert und nur diejenigen, denen sie ein Teil ihrer selbst war, konnten sie je wirklich beherrschen. Man musste spüren und sein.

Hinata warf einen Blick auf Lee. In seinem jetzigen Zustand konnten sie ihn höchstens ohnmächtig aus dem Schloss bekommen und das würde sie furchtbar langsam machen. Verzweifelt griff Hinata nach der Kraft, die tief in ihr schlummerte. Magie konnte nicht einfach vergehen. Man wurde damit geboren und lebte mit ihr, bis man starb.
 

„Ichali erwa alguduin famea vert.“ Vergiss den Schmerz. Ihre Stimme war nur ein Hauch und Lee zeigte überhaupt keine Regung. „Hast du etwas gesagt?“, riss Naruto sie aus den Gedanken. Hinata erschrak und hätte beinahe Lee losgelassen. „N-nein“, stotterte sie, „Du musst dich verhört haben.“ „Vermutlich hast du recht“, erwiderte Naruto und grinste verlegen, „ich werde schon paranoid.“
 

„Können wir jetzt endlich mal gehen? Ich will keine Sekunde länger hier bleiben.“ Überrascht starrte Hinata den Verletzten an. Bis vor einer Minute hatte Lee kaum mehr Kraft zum Sprechen gehabt und war nicht etwas Farbe in sein Gesicht zurückgekehrt? Hatte der Zauber doch gewirkt? Aber sie hatte nicht mal gespürt, dass er seine Wirkung entfaltet hatte…

„Na dann los.“ Naruto richtete sich zu voller Größe auf und stemmte Lee auf die Füße. Hinata musste sich anstrengen es ihm gleich zu tun, doch mit vereinten Kräften schafften sie es Lee zum Treppenabsatz des Turms zu schleifen, wo Konan und Ino schon warteten. Naruto drückte Ino den Schlüssel in die Hand, ehe sie die Treppe in Angriff nahmen.
 

Lee versuchte so gut er konnte mitzuhelfen, aber nach nur fünfzehn Stufen, stand ihm bereits der Schweiß auf der Stirn. Seine Beine drohten unter ihm wegzuklappen und er stolperte mehr, als das er ging. Hinata flüsterte erneut die Worte des Zaubers und dieses Mal meinte sie bemerkt zu haben, dass der Ismalith unter ihrer Kleidung ein ganz sanftes Licht ausstrahlte.
 

Sie hatten gerade die Hälfte der Treppe hinter sich gebracht, als der Alarm losging. Irgendwo schlug jemand einen lauten Gong, der durch die gesamte Burg dröhnte und Hinata durch Mark und Bein ging. „Schnell“, rief Ino panisch, „wir müssen hier raus, sonst sitzen wir in der Falle.“ Sie hastete voraus, Konan dicht hinter ihr und Hinata bemühte sich Lee schneller die Stufen herunter zu bekommen. Als sie endlich unten ankamen, war Hinata bereits erschöpft. Die Tür des Turms schwang nach außen auf und Hinata und Naruto stolperten mit Lee im Schlepptau auf die Brücke, die vom Turm zu der Burg führte. In dem Moment brach der Mond durch die Wolkendecke und tauchte den Stein vor ihnen in silbriges Licht. Kaum hatte sie das Licht berührt, fühlte Hinata sich besser. Natürlich… der Vollmond. Die Nacht, in der Magie am stärksten war.
 

Zu ihrem Glück erreichten sie unerkannt das Innere der Burg, wo Ino und Konan bereits warteten. „Wir sollten die Tür wieder abschließen“, sagte Ino gerade, „wer weiß, ob Enevor noch mal in den Turm zurück kommt.“ „Nein“, widersprach Konan, „entweder haben sie gemerkt, dass ihr in der Burg seid oder sie sind ohnehin in Aufruhr. Wenn sie überhaupt merken, dass die Tür offen ist, dann werden sie nachsehen und das könnte uns ein paar entscheidende Minuten verschaffen.“ Damit wandte sich ihre Gefährtin um, musterte einmal den Gang und schlug dann zielsicher die linke Richtung ein. Hinata folgte ihr. Sie war immer wieder erstaunt, wie schnell sich Konan den Grundriss von Gebäuden merken konnte.
 

Hinter der nächsten Abbiegung wurde die Kriegerin langsamer. Ino, die ihr dicht auf den Fersen gewesen war, blieb stehen, spähte den Gang hinunter und winkte Naruto und Hinata heran. Sie befanden sich auf einem Gang mit ausladenden Gemälden und roten Vorhängen vor den Fenstern, deren Material absolut weich aussah, Hinata aber ansonsten fremd war. Sie hob den Blick und verstand im nächsten Moment, warum ihre Gefährtin stehen geblieben war. Durch diesen Teil der Burg waren sie nicht gekommen.
 

„Wir müssen hier entlang.“, flüsterte Ino und deutete in den Gang nach rechts, „aber leise.“ Naruto verdrehte genervt die Augen und die blonde Frau warf ihm einen eisigen Blick zu. „Das habe ich deinetwegen gesagt, Mug.“ Die Bemerkung machte keinen Sinn für Hinata, aber Naruto verstand anscheinend, worauf seine Freundin anspielte, denn er verkniff sich jede weitere Geste.
 

Sie bogen um die Ecke und Hinata wurde bewusst, dass der Alarm nun viel näher klang als zuvor. Der Lärm hatte sich in ein dröhnendes Grollen verwandelt und Hinatas Herz schlug so schnell, dass sie nur mit Mühe die Panik unterdrücken konnte. Was, wenn sie den Soldaten direkt in die Arme liefen? Was, wenn Offizier Enevor gleich im nächsten Gang wartete um sie in Empfang zu nehmen? Verflucht! Sie durfte nicht darüber nachdenken. Die Zauberin atmete einmal tief durch und konzentrierte sich darauf den beiden Frauen vor ihr möglichst geräuschlos zu folgen.
 

Ino hatte mittlerweile ganz natürlich die Führung übernommen, Konan folgte einen halben Meter hinter ihr, wirkte aber höchst angespannt. „Wir müssten bald zur Treppe ins Erdgeschoss kommen“, gab Ino flüsternd Auskunft, als sie die nächste Abzweigung nahmen. „Von da ist es nicht mehr weit, bis…“ Ino stockte mitten im Satz. Hinata half Lee einen weiteren Schritt zu machen, sah auf und erstarrte ebenfalls. Der Soldat vor ihnen war ebenso überrascht, fasste sich aber dann und öffnete den Mund, um Alarm zu schlagen.
 

Doch Konan reagierte blitzschnell. Sie stürzte sich auf ihn, riss seinen Kopf nach hinten und rammte ihm ein langes Messer durch die weiche Haut unter dem Kinn direkt ins Hirn. Hinata brauchte einen Moment um zu bemerken, woher sie dieses Messer hatte: aus dem Gürtel des Soldaten, das sie ihm im gleichen Atemzug abgenommen hatte. Blut spritzte, der Mann zuckte noch, als er erschlaffte, aber die Zauberin wusste aus Erfahrung, dass er bereits tot war. Konan ließ ihn los und der Soldat fiel zu Boden, die Hände noch abwehrend erhoben, das Gesicht zu einer überraschten Maske erstarrt.
 

Naruto und Ino starrten die ältere Frau entsetzt an und Hinata begriff, dass sie noch nie einen Menschen getötet, geschweige denn einen Mord so hautnah miterlebt hatten. Konan wischte ungerührt das Messer an der Kleidung des Toten ab und warf ihr dann ein zweites zu, das der Soldat ebenfalls am Gürtel getragen hatte. Hinata fing es wortlos auf und schob es unter den eigenen Gürtel. Sie war keine große Kämpferin und mochte dies auch nicht, aber sie kannte sich gut genug mit Waffen aus. Und Vorsicht, hatte sie die Erfahrung gelehrt, war besser als Nachsicht.
 

„Weiter.“, befahl Konan, als hätte es den Zwischenfall nie gegeben. Ino warf ihr einen Blick voller Entsetzen, Angst und Abscheu zu, steuerte jedoch die Richtung an, aus der der Soldat gekommen war. Es blieb nicht mal Zeit den Toten zu verstecken. Adrenalin rauschte durch Hinatas Körper und leise flüsterte sie immer wieder den Zauber, der Lee seine Schmerzen kurzfristig vergessen ließ und nun leichter vorankam.
 

So schnell sie konnten, rannten sie die Gänge entlang, immer in Erwartung jemandem zu begegnen. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis es wieder passieren würde, und Hinata wusste, dass sie bis jetzt pures Glück gehabt hatten, nur dem einen Soldaten zu begegnen. Der Alarm wurde immer lauter, in der Ferne war Stimmengewirr zu hören und jeden Moment rechnete sie mit einem weiteren Kampf. Die Burg war erwacht.
 

„Da sind sie!“ Hinter ihnen erschallten Rufe und das Geräusch schneller Schritte wurde immer lauter. Ino warf einen ängstlichen Blick zurück, behielt aber die Nerven. Mittlerweile hielt sie ihren Dolch in der zitternden Hand, verlangsamte aber nicht das Tempo. Mit den Verfolgern im Nacken stürzten in den nächsten Gang, der sich am Ende in drei Richtungen gabelte. Ohne zu überlegen rannte Ino geradeaus und Hinata konnte nur beten, dass sie intuitiv den richtigen Weg wählte. Bislang kam ihr noch gar nichts vertraut vor.
 

„Halt!“, brüllte jemand und die Zauberin erkannte entsetzt, dass die befehlsgewohnte, durchdringende Stimme Offizier Enevor gehörte, der aus dem linken Gang auf sie zustürzte und sie nur ein paar Meter Vorsprung hatten. „Ihr glaubt wohl, ihr könnt mich zum Narren halten, Rebellenpack!“ Sie wagte nicht sich umzudrehen, aus Angst kostbare Zeit zu verlieren. Alles was blieb, war immer weiter zu laufen und zu hoffen, dass sie Enevor irgendwie abhängen konnten. „Jeder, der mir einen von ihnen bringt, bekommt sein Gewicht in Tiari ausgezahlt!“, donnerte Enevor hinter ihnen. Hinata hatte nicht mal mehr die Kraft sich den Kopf darüber zu zerbrechen was bei allen Göttern Tiari waren. Doch vermutlich war es ziemlich viel Geld, denn die Soldaten liefen plötzlich schneller.
 

„Offizier Enevor!“ Kaltes Entsetzen packte sie, als Hinata begriff, dass die Stimmen von vorn kamen. Ino hatte es ebenfalls gemerkt und schaute panisch in alle Richtungen auf der Suche nach einem Fluchtweg. Ein Klirren riss Hinata aus ihrer zunehmenden Panik. Konan hatte mit dem Griff ihres Messers das nächstbeste Fenster eingeschlagen und war schon halb auf dem Dach.
 

„Mir nach oder wollt ihr sterben?!“, befahl sie und half Ino über das Fensterbrett. Hinata konnte Enevor schon im nächsten Gang hören. Lee stöhnte leise. „Lasst mich zurück und haut ab!“ „Das hättest du wohl gerne!“, fauchte Naruto zurück, „wir sind nicht den ganzen Weg gekommen, um dich zu retten und dich dann doch da zu lassen!“ Lee machte den Mund auf, um zu protestieren, aber Naruto achtete nicht auf ihn und wuchtete sich seinen Freund über die Schulter. „Du zuerst“, keuchte er und Hinata kletterte so schnell sie konnte auf die Dachschräge, wo Konan und Ino schon warteten. Naruto, der unter Lees Last schwankte, kam gerade bei ihnen an, als Enevor das Fenster erreichte. „Ihr entkommt mir nicht!“, donnerte er hinter ihnen her.
 

„Los!“, rief sie und beeilte sich Konan und Ino zu folgen. Ino stand der Schweiß auf der Stirn und sie bewegte sich vorsichtig voran, während Konan scheinbar ohne die Höhe und den schrägen Untergrund zur Kenntnis zu nehmen so sicher über das Dach lief, als wäre es fester Grund. Aber Hinata hatte keine Zeit die perfekte Balance ihrer Gefährtin zu bewundern, denn sie musste selbst damit kämpfen nicht abzustürzen. Am schwersten hatte es Naruto, der unter Lees Gewicht taumelte und nur mit Mühe Schritt vor Schritt setzte.
 

„Ihnen nach!“, hörte sie Enevor hinter sich und als sie einen Blick zurück warf, sah sie, dass sogar seine Untergebenen ihn entsetzt anstarrten. Aber Enevors Miene war bitterernst. Zögernd folgten ihnen die ersten Soldaten aufs Dach. „Lauf!“, rief Naruto, als auch Enevor selbst die Verfolgung aufnahm. Hinata schlitterte vorwärts und versuchte nicht daran zu denken, wie tief es runter ging.
 

Mittlerweile hatten sie fast das Ende des Daches erreicht. Konan setzte mit einem leichtfüßigen Sprung bereits auf ein tiefer gelegenes Dachfirst. Allerdings warf sie immer wieder einen Blick zurück, um sicher zu gehen, dass die anderen ihr folgten während sie den sichersten Weg nach unten suchte.
 

Gerade wollte Hinata Ino und Konan auf das nächste Dach folgen, als sie einen Schrei hörte. Sie fuhr herum und sah gerade noch, wie einer der Soldaten Naruto erreichte. Naruto, der keine Hand frei hatte, weil er Lee trug, konnte nicht ausweichen. Der Soldat krachte in ihren unerwarteten Retter und riss ihn zu Boden, wobei Naruto Lee losließ und dieser das Dach hinab rutschte. „Lee!“, rief sie, hechtete zurück und bekam in letzter Sekunde noch Lees Handgelenk zu fassen, ehe er über die Dachkante rollte.
 

Lee keuchte schwach und schien sich der Situation nicht bewusst zu sein. Hinata biss die Zähne zusammen und zerrte Lee ein paar Meter höher. Plötzlich verzog er schmerzhaft das Gesicht und kam wieder zu Bewusstsein. Er hustete und Hinata hielt für einen Moment inne. Lee bewegte die Lippen, formte Worte, brachte aber keinen Ton zustande. Er versuchte es nochmal und der gejagte Ausdruck in seinen Augen machte ihr Angst.
 

„Na-Naruto.“, krächzte er endlich und voller Angst suchte Hinata das Dach nach Naruto ab, den sie in ihrer eigenen Panik einen Moment vergessen hatte. Eine Sekunde lang begegneten sich ihre Blicke. Naruto hatte es irgendwie geschafft seinen Angreifer nieder zu ringen, doch dabei hatte er sich einen üblen Schnitt im Gesicht zugezogen, nur um sich gleich zwei weiteren Angreifern gegenüberzusehen. Gehetzt packte er seinen Dolch und wandte sich wieder um. Er versuchte, Zeit zu gewinnen. Der Gedanke kam im Bruchteil einer Sekunde und doch wusste Hinata, dass er wahr war. Naruto versuchte ihnen die Möglichkeit zu geben zu entkommen während er auf sich selbst gestellt blieb. Doch jahrelange Erfahrung lehrte sie, dass er es nicht schaffen würde. Entweder würden ihn Enevors Soldaten einfach durch ihre Übermacht überwältigen oder er würde auf diesem Dach sein Leben lassen.
 

Hinata ballte die Hand zur Faust zusammen. Sie konnte ihn nicht im Stich lassen… „Gib‘ auf, Rebell!“ Das war Enevor. Als sie aufblickte, sah sie, dass er nur noch wenige Meter von Naruto entfernt war, der irgendwie versuchte seinen Angreifern Stand zu halten. Sie spürte das Licht des Vollmondes auf ihrer Haut und zog sich tief in sich selbst zurück. Die Magie in ihr pulsierte wie ein Herzschlag und diesmal gab es keine Blockade, die ihr den Zugang verwehrte, als sie aus der Quelle der Magie in ihr schöpfte.

„Iglae nuneth rivis.“

Die Soldaten erstarrten auf der Stelle. Naruto, der seinen Dolch erhoben hatte, blickte ungläubig auf die Szene, die sich vor seinen Augen abspielte. Aber da war Hinata schon bei ihm, packte ihn am Arm und zog ihn mit sanfter Gewalt fort. Sie wusste nicht, wie lange der Erstarrungszauber halten würde, aber es war in keinem Fall verkehrt, weit weg zu sein, wenn er es tat. Enevor, der ebenfalls erstarrt war, während er gerade einen weiteren Befehl gab, lief bereits zornesrot an.
 

„Was ist passiert?“, keuchte Naruto, als er Lee ein Dach tiefer wuchtete und offensichtlich immer noch nicht fassen konnte, was sich gerade abgespielt hatte. Hinata hob den Blick. Seine azurblauen Augen fixierten sie. „Es tut mir leid, Naruto-san“, antwortete sie, „ich habe keine Zeit das zu erklären.“ Naruto hielt ihrem Blick stand. „Aber du tust es, wenn wir das hier überleben.“ Ein zaghaftes Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Versprochen.“
 

Der Alarm dröhnte noch immer durch die Burg, aber irgendwie schafften sie es unerkannt von Dach zu Dach immer weiter nach unten zu gelangen. Schließlich ließen sie Lee die letzten zwei Meter herunter, wo Ino bereits wartete, ehe sie selbst hinab kletterten.
 

„Naruto!“ Ino war einem Zusammenbruch nahe, „warum hat das solange gedauert?! Diese… diese Frau… sie ist verschwunden…! Und ich… ich…“ Konan war verschwunden? „Beruhig‘ dich Ino, wir sind noch am Leben. Wir schaffen-“ „Ergreift sie!“ Der Befehl kam von der Burgmauer. Als Hinata aufblickte sah sie, dass bereits Soldaten auf sie zustürmten. Sie überlegte nicht lange und rannte in die entgegengesetzte Richtung. Naruto mit Lee, der erneut das Bewusstsein verloren hatte, und Ino dicht auf den Fersen. Keuchend rannte Hinata durch den Burghof und hielt nicht mal an, als sie an einem eingestürzten Gebäude vorbei kam, bis endlich das Burgtor in Sicht kam.
 

„Hinata!“, hörte sie Naruto hinter sich, drehte leicht den Kopf und prallte gegen etwas Festes. Instinktiv hob sie ihre Waffe, fand ihre Balance und … „Halt!“ Der Fremde packte ihr Handgelenk und schob die Waffe von sich. „Willst du mich umbringen, Mädchen?“ Der Dolch in ihrer Hand zitterte und sie blickte dem Mann fest in die Augen. Sein Gesicht war rußverschmiert und ein paar blonde Haarsträhnen, die ihm in die Augen fielen, waren leicht angebrannt, doch instinktiv wusste sie, dass er stark war. Vielleicht stark genug, um sich ihrer Magie in den Weg zu stellen. Der Ismalith um ihren Hals begann zu glühen.
 

„Deidara!“
 

Der Fremde entspannte sich, als Naruto bei ihm ankam, und Hinata riss sich im selben Moment von ihm los. „Kannst du mir vielleicht mal sagen, wo ihr so lange bleibt, hm?“, knurrte Deidara Naruto an. „Ich warte seit mindestens einer Stunde und ihr…“ „Darüber reden wir später, Deidara!“, fuhr Ino dazwischen, „und auch darüber was bei allen Göttern in dich gefahren ist ein ganzes Gebäude in die Luft zu jagen!“ „Das waren die Waffenkammer und die Schmiede“, verteidigte sich Deidara, „und wer ist überhaupt dieses Mädchen, hm?“ Naruto kam nicht mehr dazu zu antworten.
 

„Da sind sie!“ Hinter ihnen tauchten weitere Soldaten auf. „Verdammt!“, fluchte Deidara. „Nimm du Lee!“, schrie Naruto und drückte ihm den Bewusstlosen in die Arme. Sie jagten die gepflasterte Straße herunter und Hinata konnte nur beten, dass sie Konan entgegen liefen. „Halt!“, rief ein Soldat, der plötzlich vor ihnen auftauchte, doch Deidara, der am schnellsten war, brüllte nur: „Aus dem Weg!“ Der Mann reagierte zu langsam und wurde schlichtweg von Deidara umgerannt, der sich keinen Deut um ihn kümmerte.
 

Hinata keuchte. Deidaras Tempo war mörderisch und gleichzeitig das einzig Richtige. Naruto hatte ihm Lee gegeben, weil er als einziger von ihnen gleichzeitig noch genug Kraft hatte, den Verletzten zu tragen und gleichzeitig zu laufen.

„Das Tor! Da kommen wir nicht durch!“ Hinata sah auf und erkannte, dass Ino Recht hatte. Kaum hundert Meter entfernt, erhob sich der Außenring der Burgmauer gegen die Nacht. Doch auf der Mauer und vor dem Tor standen um die dreißig Soldaten, die ihnen den Weg versperrten, allesamt bewaffnet. Deidara stoppte abrupt und Hinata wäre fast in ihn hinein gelaufen, wenn sie sich nicht im letzten Moment gefangen hätte.
 

Ino neben ihr zitterte vor Angst und auch Hinata spürte, wie ihr Herz zu rasen begann, als sie die Bogenschützen auf der Mauer bemerkte, die bereits auf sie zielten. Plötzlich hörte sie Schritte hinter sich. Noch mehr Soldaten und es gab keinen Weg hinaus, obwohl die Freiheit zum Greifen nah war. Einen Augenblick lang war es bis auf den Alarm ganz still. Dann trat ein großer, schwarzhaariger Mann vor, fixierte sie herablassend und fragte: „Wer von euch Bastarden hat es gewagt meine Burg anzuzünden?“
 

Ein Schaudern rann Hinata den Rücken herunter, als sie dem schwarzen Blick dieses Mannes begegnete. Arrogant trat er auf sie zu und spuckte auf den Boden. „Na? Keine Antwort? Ihr werdet schon noch reden, wenn ich mit euch fertig bin.“ Die Soldaten hinter ihm lachten triumphierend. Dann wurde der Mann wieder ernst und ließ seinen Blick über sie gleiten. „Schluss mit lustig. Ich bin Lord Isamu von Uchiha und ihr…“ Er holte genüsslich Luft. „Ihr seid meine Gefangenen und werdet mir verraten, wo ich Minato von Konoha finde.“ Neben ihr ballte Naruto die Hand zur Faust und Hinata erschrak, als sie sah mit welchem Hass er den Burgherrn anstarrte. „Niemals!“
 

„Nein?“ Er klang amüsiert. „Das werden wir sehen.“ Er hob einen Arm, doch nichts passierte. Isamu von Uchiha drehte sich wütend um. „Was soll das!“, schnauzte er, „ergreift sie!“ Noch im selben Augenblick erstarrte er, als er sah, dass seine Männer von einem plötzlich aufgetretenen Nebel verschluckt worden waren. Dann begann ertönte ein schrecklicher Schrei, der Hinata durch Mark und Bein ging, egal wie oft sie diese Situation schon erlebt hatte. Es war ein Schrei aus reiner Angst, einer Furcht, die jedes logische Denken auslöschte. „Was, bei allen Göttern, geht hier vor?!“, bellte Isamu von Uchiha noch laut, doch dann ragte plötzlich ein rostiges Schwert aus seinem Oberkörper und er brach zu Füßen des Untoten zusammen. Das Skelett, dem die Waffe gehört hatte, trug ein Medaillon mit demselben Wappen, das sie schon in der Burg gesehen hatte. Der Burgfriedhof... Eine solche Burg hatte immer einen eigenen Friedhof… Sekundenlang warf Hinata einen verzweifelten Blick auf den Vollmond über ihnen. Sie war nicht die Einzige, die in dieser Nacht von ihm profitierte. Sie hätte es schon viel eher bemerken sollen und wenn sie auf ganzer Höhe gewesen wäre, wäre dem auch so.
 

„Bei allen Göttern…“, hörte sie Ino entsetzt wispern. „Was starrst du so!“, herrschte Deidara sie an, den anscheinend gar nichts beeindrucken konnte, „wenn du leben willst, dann flieh!“ Er packte Ino am Arm und riss sie mit sich, direkt auf das Tor zu. Naruto warf ihr einen schnellen Blick zu, dann rannten sie hinterher.
 

Im nächsten Moment wurde alles von dem chaosmagischen Nebel verschluckt, der auf ihrer Haut brannte wie Feuer. Sie verlor Deidara mit Lee und Ino aus den Augen. Selbst die Mauer verschwamm vor ihren Augen. Die Realität löste sich vor ihr auf und das einzige, das noch wirklich war, waren die Schreie und die verzweifelte Flucht der Soldaten dem Grauen zu entkommen. Doch es gab kein Entkommen, denn die Burg war eine einzige Falle. Von einem Moment zum anderen war reines Chaos über sie gekommen.
 

„Öffnet das Tor!“, flehte jemand. Hinata versuchte herauszufinden, woher die Stimme gekommen war, aber sie hielt eine Sekunde zu lange inne. Jemand prallte gegen sie, riss sie um, sein Blick gleich dem eines gehetzten Tieres, streifte sie, ehe er sich aufrappelte und davon stolperte. „Hinata!“ Suchend sah sie sich nach Naruto um, doch der Nebel war zu dicht. Hastig stand sie auf, packte mit einer Hand den Dolch und mit der anderen den Ismalith und fuhr dann herum, als sie die Präsenz eines Untoten spürte.
 

„Adare fiero!“

Das Skelett ging in blaue Flammen auf und Hinata zog tief Luft ein. Der Nebel um sie herum hatte sich ein wenig verzogen und sie erkannte, dass sie der Zusammenstoß ein paar Meter von ihrem ursprünglichen Weg abgebracht hatte. Keine zehn Meter entfernt hielt sich Naruto den Arm, der stark blutete und ihn daran hinderte sich richtig zu verteidigen. Schreckensstarr blickte er ins Angesicht eines Skelettes, das zum Schlag gegen ihn ausholte. „Adare fiero!“ Hinata wiederholte den Feuerzauber und der Untote rieselte in einer Aschewolke auf Naruto herab. Sie zögerte keine Sekunde, rannte auf ihn zu und zerrte ihn auf die Beine.
 

„Wo sind die anderen?“, fragte er. Seine Augen waren schreckensweit. „Wir finden sie!“, versuchte Hinata ihn zu beruhigen, „was auch immer du tust: Bleib nicht stehen!“ „Vorsicht!“ Naruto stieß sie von sich und der Untote ging stattdessen auf ihn los. „Lauf!“, schrie er, holte mit seinem eigenen Dolch aus und schlug dem Skelett den Unterarm mitsamt dem rostigen Schwert ab. Naruto zögerte keine Sekunde. Er rappelte sich auf, packte sie am Handgelenk und rannte. Hinata konnte spüren wie schnell sein Puls war. Pures Adrenalin raste durch seinen Körper und ließ nur noch Reiz und Reaktion zu.
 

„So öffnet doch das Tor!“, rief jemand hysterisch, „sie bringen uns alle um!“ Noch immer schreckensblass sprang Hinata über die Leiche eines Soldaten und rutschte im Lauf beinahe auf seinem Blut aus. „Das Tor wird nicht geöffnet!“, ertönte eine eiskalte Stimme von der Mauer, „ich werde den Rebellen nicht zur Flucht verhelfen!“ Der Nebel riss auf und sekundenlang konnte Hinata einen jungen Mann auf der Mauer sehen, der fast teilnahmslos das Gemetzel unter ihm beobachtete. Er hatte ein fein geschnittenes Gesciht, rabenschwarzes Haar, trug feine Kleidung mit dem gleichen Wappen wie Lord Isamu von Uchiha und hatte erbarmungslose, kohlschwarze Augen. Ihm war es egal, dass all diese Menschen starben, wenn er nur sein Ziel erreichte. „Aber Lord von Uchiha-“, brüllte jemand, doch seine Worte verstummten abrupt.
 

Hinata stolperte weiter. „Lasst mich in Ruhe!“ Rechts von ihnen brach jemand zusammen und wurde unter drei Untoten begraben, die sich auf ihn stürzten. „Hilfe!“ „Ino“, wisperte Naruto und riss sie ruckartig nach links. „Ino!“ Silhouetten tauchten im Nebel auf und Hinata machte Inos zusammen gesunkene Gestalt aus, die zitternd Lee und Deidara deckte, um sie herum fünf Untote.
 

Ino stieß einen Schrei aus und krallte sich an Lees Kleidung fest, der noch immer bewusstlos war. Deidara schirmte sie von den Untoten ab, aber Hinata konnte die Angst in seinen Augen sehen. Es geschah schneller, als sie reagieren konnte. Wie ein Mann stürzten sich die Untoten von allen Seiten auf sie und hinterließen eine gigantische Nebelwolke.
 

„Ino! Lee! Deidara!“ Naruto war starr vor Entsetzen. „Nein!“ „Naruto, komm zu dir!“ Er hörte sie nicht, fixierte nur die Stelle, auf der seine Freunde verschwunden waren. Urplötzlich riss der Nebel auf, Asche rieselte zu Boden und vor Ino, Deidara und Lee erhob sich Konan, in den Händen zwei ihrer drei magischen Dolche. Klingen, die so uralt waren, dass selbst Nekromantie ihnen nichts anhaben konnte: Umbra, der Schatten, und Cruor, das Blut. Selbst Hinatas Vater hatte sich nie einen Reim auf die ursprüngliche, archaische Magie in ihnen machen können.

„Sieht so aus, als wäre ich noch rechtzeitig gekommen.“, stellte die Kriegerin nüchtern fest und ließ ihren Blick über das Geschehen schweifen.
 

Hinata war so erleichtert, dass sie ihrer Freundin am liebsten um den Hals gefallen wäre. Und nicht nur das: Keine fünf Meter entfernt entdeckte Hinata Mondtänzer, ihren Schimmel, mitsamt ihrem ganzen Gepäck. Neben ihm standen Konans Dunkelbraune, die Nachtherz hieß, und zwei andere Pferde, die, wie sie vermutete für Naruto, Ino und Lee gedacht waren und Konan vermutlich aus den Stallungen der Burg ‚befreit‘ hatte. Da Lee ohnehin nicht reiten konnte, wäre Konans Rechnung aufgegangen, doch mit Deidara hatten sie beide nicht gerechnet. Aber irgendwie musste es gehen.
 

Mittlerweile waren Naruto und sie bei den anderen angekommen. Konan war immer noch angespannt und schien jeden Moment einen Angriff zu erwarten. Sie warf einen kurzen Blick auf das Tor und sah dann Hinata an, die einen Moment brauchte, den Gedankengang ihrer Freundin zu verstehen. Dann überlegte sie kurz, warf einen weiteren Blick auf den Mond und nickte bestätigend. Ja, sie konnte das schaffen.

„Helft Lee auf mein Pferd!“, befahl Konan gerade, „ich gebe euch Deckung!“ „Was redest du da?!“, schrie Ino hysterisch, „das Tor ist zu! Wie sollen wir da-“ „Tut, was ich sage!“, fuhr Konan ihr über den Mund. Vielleicht lag es an ihrem harschen Tonfall, vielleicht daran, dass sie wie selbstverständlich die Führung übernahm, vielleicht daran, dass es doch keinen anderen Weg gab – jedenfalls gaben sich Ino und Deidara geschlagen und wuchteten Lee auf Konans Pferd, dessen Blick zwar nervös war, aber im Gegensatz zu den Pferden der Burg noch relativ gefasst wirkte. Diese scharrten erregt mit den Hufen und waren so unruhig, dass Hinata fürchtete, sie könnten sich jederzeit losreißen und in den Nebel stürzen. Rasch murmelte sie einen Beruhigungszauber und die Lage entspannte sich ein wenig.
 

„Kannst du reiten?“, wollte sie von Naruto wissen. Dieser nickte nur und zog sich auf den Rücken des Fuchses. Der Nebel verdichtete sich und sie spürte die Anwesenheit weiterer Untoter. Doch sie kannte Konan lange genug, um ihr in einer solchen Situation blind zu vertrauen. Ihr Blick schweifte zu Ino, die beim Anblick des Skelettes erneut totenbleich geworden war. Hinata dachte nicht lange nach, packte sie am Arm schob sie in Mondtänzers Richtung. Es hatte keinen Zweck, dass Ino allein ritt. Sie sah nicht so aus, als könnte sie es in ihrer jetzigen Verfassung schaffen, und es war ohnehin sicherer, wenn sie mit ihr zusammen Mondtänzer ritt, der weit routinierter als die Stallpferde war und mit dem sie schon viele Schlachten geschlagen hatte. Außerdem war Deidara schwerer als Ino und sie mussten jeden Vorteil nutzen, den sie hatten. „Ino!“, rief Hinata und endlich kam die junge Frau soweit zu Verstand, dass sie es schaffte aufzusitzen. Hinata schwang sich hinter ihr in den Sattel und nahm die Zügel auf.
 

„Konan, komm schon!“, schrie Hinata durch den Lärm. Deidara und Naruto saßen mittlerweile auf den Pferden, doch Konan erwehrte sich noch immer der Untoten um sich herum. Zu ihren Füßen sammelte sich bereits eine Ascheschicht, jeder Schlag, jede Bewegung, die sie ausführte, war so präzise, dass sie mit jedem einem Angriff ein weiteres Skelett auslöschte. Über ihnen brach das Licht des Vollmondes durch den Nebel und in einem Umkreis von gut fünfzehn Metern, konnte Hinata endlich wieder etwas sehen. Sie hob den Blick und zwanzig Meter entfernt, erhob sich das gewaltige Burgtor gegen die Nacht. „Konan!“, schrie Hinata und endlich schwang sich ihre Gefährtin in den Sattel.
 

Sie drückte Mondtänzer die Fersen in die Seite und der Hengst preschte mit einem gewaltigen Satz vorwärts direkt auf das Tor zu. „Was tust du?“, kreischte Ino, „das Tor ist geschlossen, es gibt keinen Weg hinaus-“ „Es gibt immer einen Weg!“, unterbrach die Zauberin ihre unerwartete Verbündete. Der Ismalith, der aus ihrem Ausschnitt gerutscht war, strahlte ein sanftes Licht aus und Hinata griff nach der Quelle ihrer Magie, die tief in ihr selbst ruhte und mit jedem Augenblick wieder stärker zu werden schien. Raum und Zeit verschwammen und es war, als würden nur noch sie und die Macht in ihr existieren. Wärme breitete sich in ihrem Körper aus und die Magie pochte durch jede Pore ihres Körpers. Vor ihr tauchte das Tor auf, doch die Worte formten sich schon auf ihren Lippen.
 

„Relin irid fen!“
 

Die Magie brach aus ihr heraus wie ein wildes Tier, das sie von der Leine gelassen hatte. Das Tor, das Gemäuer um es herum und einer der nahen Wachtürme wurden nach außen geschleudert wie die Bauklötze eines Kindes, gegen die jemand voller Wut getreten hatte. Die Wucht der gewaltigen Explosion ließ die Erde erbeben und das donnernde Dröhnen, das sie begleitete, überdeckte jedes andere Geräusch, selbst die Schreie der Sterbenden. Das Tor wurde mit einem ohrenbetäubenden Ton aus den Angeln gerissen und über den Burggraben geschleudert, wo es mit einem erschütternden Aufprall liegen blieb.
 

Einen winzigen Moment lang, sah sie, wie es den jungen Mann, der vor ein paar Minuten noch grausam das Massaker beobachtet hatte, wegschleuderte und er – zu seinem Glück – im Wasser des Grabens landete. Alles andere hätte ihn getötet. Dann verschluckte ihn das Wasser und die Gruppe galoppierte durch die Öffnung, die sie in die Mauer gerissen hatte, über die steinerne Brücke in die Freiheit. Noch immer regnete es kleine Steine und Holzsplitter und Hinata war sich vollkommen bewusst, dass Naruto, Ino und Deidara sie voller Verwunderung und auch Furcht anstarrten.
 

Doch sie hatten es geschafft, waren am Leben und in Sicherheit und allein das zählte. Alles andere würde sich geben. Denn dort, wo kein Weg war, da musste man sich einen schaffen und selbst in der finstersten Nacht konnte man das Licht finden gegen die Dunkelheit zu kämpfen.
 

~ [ ♠ ] ~
 

Temari erwachte um die Mittagszeit, als die Sonne hoch und hell am wolkenlosen Himmel stand. Von dem schlechten Wetter der letzten Tage war nichts mehr zu sehen und der Wind, der vom Süden kam, war frisch und warm. Temari fühlte sich nicht ausgeschlafen, aber dennoch voller Energie. Sie war bereit für einen neuen Tag und, was für sie wichtiger war, die neue Aufgabe. In Vorbereitung des Tages – aller Möglichkeiten, die er bringen konnte – packte sie ihre Sachen, die sich im ganzen Raum ausgeteilt hatten, schlang kurz etwas zu essen hinunter und machte sich auf die Suche nach dem Fremden. Sie erfuhr schnell, dass er – glücklicherweise – noch nicht abgereist war. Nach kurzer Zeit fand sie ihn auch auf dem Dorfplatz zwischen den Überresten der Tische und Bänke, die während des Kampfes umgestürzt oder zertrümmert worden waren.
 

Er hatte eine der Bänke wieder aufgestellt und hockte mit auf den Knien abgestützten Ellbogen darauf, den Blick auf das Schlachtfeld gerichtet. Jetzt bei Tageslicht sah es noch schlimmer aus als letzte Nacht, als nur große, aber herunterbrennende Feuer die Szenerie beschienen hatten. Noch immer lagen Leichen herum – die meisten jedoch schon alt, tot seit Jahrzehnten oder noch früher. Am Waldrand waren Scheiterhaufen errichtet worden, eine lange Reihe von Bergen aus Holz, auf denen die menschlichen Gestalten deutlich zu erkennen waren.
 

Arbeiter, größtenteils Männer, liefen herum, um auch noch den letzten Toten zu einem Platz zwischen den bald aufflammenden Feuern zu verhelfen. Die meisten trugen die Früchte der Schlacht zur Schau – Blessuren, verschorfende Kratzer, Verbände… Es sollte eigentlich ein trostloses Bild sein und die Stimmung war gedämpft, doch auf keinen Fall niederschmetternd oder gar verzweifelt und hoffnungslos. Eine seltsam angeregte, resolute Atmosphäre hing in der Luft, als hätte der Angriff der Untoten den Leuten keine Angst gemacht – sondern im Gegenteil: als hätte der Sieg über jene widernatürlichen Angreifer unbekannte Kräfte und Stärken in ihnen geweckt. Und dass trotz der Toten, die der Kampf gefordert hatte. Temari fragte sich, ob dies auch so gewesen wäre, wenn die Bauern keinen der Legendären Fünf unter sich wähnen würden, ganz unabhängig von ihrem Sieg.
 

Sie runzelte die Stirn und versuchte, aus dem Mann schlau zu werden, der in trübsinnigerer Stimmung schien als alle anderen. Im Moment sah er einfach nur zerschlagen und müde aus, auf eine Art, die nichts mit der letzten Nacht und dem wenigen Schlaf zu tun hatte. Die Sonne schimmerte in seinem orangerot, unregelmäßig geschnittenem Haar und blitzte auf seinem ungewöhnlichen Gesichtsschmuck. Aus einem seltsamen Grund wirkte seine Kleidung noch älter und zerschlissener als gestern und zu seinen Füßen lag im Dreck Antarion das Singende Schwert. Als ob es keine unbezahlbare, von Mythen umrankte Klinge wäre, sondern das abgenutzte Holzschwert eines Kindes.
 

So, fuhr es ihr durch den Kopf, hatte sie sich Pein nicht vorgestellt – wie kamen diese Bauern nur darauf, dass dieser abgerissen wirkende Mann tatsächlich der Große Kriegsherr sein könnte? Es musste doch noch mehr Kriterien dafür geben als nur eine sagenhafte Waffe und ein paar Untote. Als sie näher trat und sich räusperte, wandte er sich ohne Überraschung um, als hätte er die ganze Zeit von ihrer Anwesenheit gewusst.
 

„Wo kommt Ihr eigentlich her?“, wollte sie wissen. Es klang gröber, als sie es eigentlich vorgehabt hatte und sehr viel freimütiger. Aber sie war noch nie eine große Diplomatin gewesen, meistens schaffte sie jedoch einen gewissen Grad an Höflichkeit. Sie schob es auf die letzte Nacht und Nagato schien sich sowieso nicht an dem schroffen Ton zu stören. Vermutlich war er Schlimmeres gewöhnt.
 

„Hast du mich das nicht schon letzte Nacht gefragt?“ Er klang amüsiert und sie zog die Augenbrauen zusammen. „Aber Eure Antwort darauf war ziemlich … nutzlos.“ Er wandte den Blick wieder ab, antwortete aber nicht. Auch Temari starrte nach vorn, wo zwei junge Männer, die sie einmal in die nördlichen Wälder begleitet hatten, einen Körper auf einen Scheiterhaufen hievten. Eine Weile herrschte angespanntes Schweigen, dann zuckte der Krieger mit den Schultern. „Mehr gibt es aber nicht zu sagen. Es war ein kleines Dorf in einer zurückgebliebenen Provinz, ein ganzes Stück südöstlich von hier. Da ich aber nicht weiß, wo genau ich mich befinde, musst du dich damit zufrieden geben.“
 

Wenn er jetzt wirklich die Wahrheit sagte, würde das bedeuten, dass ihre beste Theorie – dass er aus dem Niemandsland kam – sich soeben in Luft aufgelöst hatte. Es sei denn natürlich, er war in jungen Jahren verbannt worden. Aus Konoha, wie es klang, oder zumindest einem anderen Teil des Kaiserreiches. Einem Reich, von dem er noch nie gehört hatte. Das passte immer noch nicht zusammen. „Und du?“, wollte Nagato dann unvermittelt wissen. „Wo kommst du her, Temari-san?“ Als wäre es so offensichtlich, dass ihre Heimat nicht in der Nähe lag. Aber sie hatte wirklich nicht viel mit diesen Leuten hier gemein.
 

„Uzuno.“, antwortete sie nach einem Moment und als sein Gesicht ausdruckslos blieb, erklärte sie: „Es gibt kein Land, das weiter südlich liegt, nicht auf diesem Kontinent.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Weit ab vom Schuss. Nicht einmal die Totenkriege haben dort wirklich gewütet.“ Natürlich, es hatte dort ein paar kleinere Scharmützel gegeben, aber eigentlich waren die Wüstenlords dort – wie auch heute noch – mit ihren eigenen Fehden beschäftigt gewesen, während der Rest der Welt sich gegen Orochimaru gewandt hatte. Nagato wandte sich wieder ab, abrupt diesmal, und Temari wurde erneut bewusst, wie wenig sie ihn lesen konnte. Es machte sie nervös – auf diese Fähigkeit hatte sie sich immer verlassen können.
 

„Was willst du eigentlich?“, fragte er dann, beinahe grob, aber noch immer nüchtern genug, dass sie es nicht als Angriff auffassen würde. Und Temari hatte noch immer keine guten Argumente, um ihn davon zu überzeugen, dass er eine Reisegefährtin brauchte, vorzugsweise sie. Also antwortete sie: „Meine Forschungen sind in einer Sackgasse gelandet. Darum kehre ich wieder um. Wenn Ihr das Gebirge verlasst, können wir zusammen reisen.“ Sie zuckte mit den Schultern. Auch wenn es ein Risiko war, diese Richtung anzunehmen… Aber sie konnte ihm das vielleicht noch etwas schmackhafter machen: „Ich könnte Euch sogar in Kontakt mit ein paar Magiern bringen, die Euch bei der Suche nach Euren Freunden helfen können.“ Der letzte Satz brachte ihr seine Aufmerksamkeit ein.
 

„Falls Ihr keine bessere Idee dafür habt…“, fügte sie hinzu. „Ich habe einige Kontakte und ein paar schulden mir noch Gefallen.“ Nagato zog eine Augenbraue hoch. „Und was willst du als Gegenleistung, Temari-san?“ Wenn sie etwas an einem Mann schätzte, dann war es Intelligenz. Sie beäugte das Schwert, das vor ihm auf dem Boden lag, schlicht ausschauend, aber doch so mächtig. Der Unterschied zu juwelenbesetzten, fein ziselierten, mit Edelmetallen verzierten Prunkklingen, die sie während ihrer Reisen gesehen hatte, könnte größer nicht sein.
 

Nein, Antarion machte in dieser Hinsicht nicht viel her, dazu war es zu einfach, zu klobig, zu wenig elegant. Aber sie hatte gesehen, was es in der letzten Nacht angerichtet hatte, die schreckliche, herrliche Macht, die es in sich trug, den Zauber, den es über alle Kämpfenden – die Lebenden zumindest – gelegt hatte, und die Verlockung, die davon ausging. Sie machte sich nichts mehr vor: dieses Schwert war kein Himmelsgeschenk, es war gefährlich.

Aber es war dennoch Antarion das Singende Schwert. Es war Peins Klinge und sie würde erfahren, woher Nagato sie hatte. Was das alles bedeutete. Natürlich bemerkte der fremde Krieger ihren Blick, aber ihre Frage überraschte ihn, wenn sie das kurze Zucken in seinem Gesicht richtig deutete: „Wo habt Ihr es her? Ihr seid der erste, der überhaupt einen Hinweis gefunden hat…“ Sie ließ den Satz in der Luft hängen.
 

Nagato warf reflexartig einen Blick auf die Waffe hinunter. „Ein alter Freund hat es mir geschenkt. Als…“ Er verstummte, als hätte er bereits zu viel gesagt. „Es war ein Geschenk.“, wiederholte er. Dann richtete er sich auf, als hätte er eine Entscheidung getroffen. „Also gut. Du kannst mit mir kommen. Pack deine Sachen zusammen. Ich will hier fort sein, bevor die Leute genug Mut haben, mir die Fragen zu stellen, die ihnen auf der Zunge brennen.“ Damit erhob er sich, nahm Antarion auf und ging zum Dorf zurück. Und warum?, schoss es Temari durch den Kopf. Weil du sie verneinen oder doch zugeben musst, dass du der bist, den sie zu sehen glauben? Auf die Antwort dieser Frage, so sehr sie die Möglichkeit auch abstritt, war Temari doch sehr gespannt.
 

Es würde zumindest erklären, warum nie jemand die Helden während all der Jahrhunderte gefunden hatte.

Chapter 7 ~ And tell us what we’ve found

Ino hatte sich selten so zerschlagen gefühlt. Ihr Hintern schmerzte. Ihre Oberschenkel schmerzten. Ihr Rücken schmerzte. Ihre Finger fühlten sich verkrampft an, aber das war wohl eher ihre Einbildung.
 

So fühlte es sich also an, wenn man tagelang zu Pferde unterwegs war und nur anhielt, um kurz zu essen oder ein paar Stunden zu schlafen. Als kleines Mädchen war sie sehr romantisch gewesen – sie hatte von großen Abenteuern auf dem Pferderücken geträumt und strahlenden Rittern, von weiten Ritten auf edlen Rössern. Im Moment wünschte sie sich, dass sie nie wieder ein Pferd sehen musste. Sie hatte viel zu viel gelesen und viel zu oft den Geschichtenerzählern zugehört. Aber nie hatten diese Sagen und Erzählungen erwähnt, dass es so anstrengend und schmerzhaft war, über längere Zeit auf einem Pferd zu sitzen. Aber sie wusste, dass sie ihr Reittier am nächsten Morgen aufzäumen und sich dann wieder in den Sattel schwingen würde, um noch einen weiteren qualvollen Tag nach Westen zu reiten.
 

Konan war es, die die Geschwindigkeit vorgab, auch wenn sie es Hinata überließ, die Richtung zu bestimmen. Die ersten beiden Tage nach ihrem Einbruch in die Uchihafestung (und des darauf folgenden Ausbruchs) hatte sie ein mörderisches Tempo vorgelegt, das Lee im wahrsten Sinne des Wortes beinahe umgebracht hatte. Aber anscheinend hatte sie ziemlich genau gewusst, was sie ihm zumuten konnte, denn Lee lebte trotz allem noch und hatte noch nicht einmal Fieber bekommen. Es ging ihm noch immer schlecht und er hing mehr hinter Deidara, als dass er saß, aber mit jedem Tag schien es ihm ein bisschen besser zu gehen.
 

In den ersten Stunden ihrer Flucht hatten sie nur kurz Halt gemacht, um ein weiteres Pferd zu stehlen, auf das sie kurzerhand verfrachtet wurde. Keiner der Rebellen hatte gefragt, wo das kräftige Tier plötzlich herkam, als Konan damit aus dem Unterholz gekommen war. Zu müde waren sie gewesen, um sich mit der Frau anzulegen. Hinata, die so sanft und freundlich wirkte, hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt.
 

Ino fragte sich, weswegen die beiden fremden Frauen im Kerker der Uchiha gelandet und wer sie überhaupt waren. Sie hatte eine Weile angenommen, dass man ihnen Ähnliches vorwarf wie Lee – Kollaboration mit Rebellen, mit welcher Gruppe auch immer. Dass es mehr gab als nur ihre um die rechtmäßige Königsfamilie, war Ino schon lange bekannt. Darum hatte sie sich auch nicht über diese fremden Leute gewundert. Außerdem gab es immer noch die Chance, dass die beiden völlig unschuldig waren, denn die Uchiha wurden in letzter Zeit paranoid und verhafteten einfache Bauern, die noch nie im Leben einen echten Rebellen gesehen hatten, geschweige denn überhaupt auf die Idee kamen, sich ihnen anzuschließen.
 

Jetzt war sie sich nicht mehr so sicher, ob eine der beiden Annahmen zutraf. Was, wenn die beiden Frauen wirkliche Verbrecher waren? So gefährlich, dass man sie nicht in einem normalen Kerker lassen konnte? Hatten sie sich hier Dämonen ins Bett geholt? Wirkliche Monster wieder auf freien Fuß gesetzt, noch schlimmer als die Uchiha es je sein könnten?
 

Allerdings hatten beide die Chancen gehabt, ihre unerwarteten Retter im Schlaf umzubringen oder sich schlichtweg aus dem Staub zu machen, und beides war noch nicht gesehen. Im Gegenteil: Sie verhielten sich beide zivilisiert. Konan sprach zwar nicht viel, drückte sich jedoch immer gewählt und höflich aus. Hinata insbesondere war eine sanfte, freundliche Seele, trotz der Macht, über die sie gebot. Also war diese Verbrecher-Theorie vielleicht doch ein wenig zu extrem.
 

Vielleicht gab es ganz andere Erklärungen hinter ihren Fähigkeiten. Warum Konan stahl und mordete, als würde sie es jeden Tag tun, und wie Hinata … Tja, darin lag der Hund begraben. Die beiden Frauen waren nicht normal und Ino, die weltgewandt und bewandert in vielen Themen war, konnte keine Erklärungen finden. Denn Konan war schrecklich und fürchterlich, doch Hinata … Hinata hatte wirkliche Kraft. Was sie mit der Explosion des Tores demonstriert hatte – das war wahre Macht.
 

Ino war schon einigen Magiepraktizierenden begegnet, angefangen von der freundlichen, alten Kräuterhexe, die in derselben Straße wie ihre Eltern wohnte, über diversen Gildenzauberern von durchschnittlicher Macht bis hin zu dem einen oder anderen Meistermagier. Aber keiner, da war Ino sich sicher, hatte über solche Macht geboten wie Hinata, die innerhalb kürzester Zeit in magischer Hinsicht anscheinend von völlig ausgelaugt bis hin zu stark genug, um einen gesamten Mauerabschnitt durch die Luft zu schleudern die ganze Palette durchgemacht hatte. Ino hatte den argwöhnischen Verdacht, dass sie vorher schon Lee ein wenig verzaubert hatte, denn seine Wunden waren schwerer, als sie zuerst gedacht hatte. Erst nach der Flucht hatte sie erkannt, dass es eigentlich an ein Ding der Unmöglichkeit grenzte, dass er die ganze Sache anscheinend so gut weggesteckt hatte – es sei denn, es wäre Magie im Spiel. Wer konnte schon wissen, was Hinata vollbringen konnte, wenn sie auf voller Höhe, ausgeschlafen und vorbereitet war? Ino schauderte bei diesem Gedanken. Sie wollte jedenfalls nicht auf der falschen Seite von Hinatas Macht stehen.
 

„Alles in Ordnung?“, wollte Naruto plötzlich hinter ihr wissen und Ino zuckte heftig zusammen. Ihr Pferd warf unruhig den Kopf und schnaubte, ließ sich aber schnell wieder beruhigen. „Ja.“, fauchte sie. „Mir tut nur alles weh und-“ sie warf einen kurzen Blick zu den beiden Fremden hinüber, die zusammen am anderen Ende der Lichtung standen und sich flüsternd unterhielten „-ich traue ihnen nicht, Lee ist nicht gerade auf der Höhe und die Uchiha sind vermutlich immer noch hinter uns her. Aber sonst ist alles gut und wie steht es so bei dir?“

Naruto verzog verletzt das Gesicht. „Ich stecke ziemlich in der gleichen Situation wie du, also hör auf, mich so anzufahren.“, entgegnete er patzig. „Das schlechteste Ergebnis für mich ist schlimmer als für dich, also tu nicht so, als ob du das größte Risiko trägst.“ Auf der einen Seite stimmte das. Auf der anderen spielte es keine Rolle, ob sie einen Tod durch Folter oder einen Tod durch noch etwas längere Folter erleiden würden, wenn man sie erwischte. Sie waren beide schon lange viel zu tief drin. Also holte Ino tief Luft und versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bringen. Es brachte nichts, wenn sie Naruto anmaulte und heruntermachte. Sie musste sich zusammenreißen, einen klaren Kopf behalten, denn außer ihr war hier anscheinend sonst niemand dazu geeignet. Außer Konan vielleicht, aber sie traute Konan nun einmal nicht.

Aber manchmal war es verdammt schwer, die Vernünftige zu sein, wenn sie lieber schreien und beißen wollte – beides, im wortwörtlichen und im übertragenen Sinne. Sie wünschte, Sakura wäre hier. Ihre beste Freundin hatte in jeder Situation noch die besten Worte gefunden, die passenden Gesten, den richtigen Weg. Hinter dieser großen Stirn musste ja Intelligenz stecken! Aber Sakura hatte einen anderen Auftrag, einen, der noch so viel gefährlicher war. Ein Fehler ihrerseits und die Folgen würden viel weitreichender sein als der bloße Tod.
 

Ino holte einmal tief Luft und antwortete: „Tut mir leid. Ich bin nur so überreizt und müde.“ Naruto verzog das Gesicht. „Darum musst du mich trotzdem nicht so anschnauzen.“ „Ich sagte doch, es tut mir leid!“, raunzte Ino zurück und wechselte dann schnell das Thema, wobei sie die Stimme wieder senkte, so dass nur Naruto und ihr Pferd sie hören konnten. „Um wieder auf den Punkt zu kommen: Was stellen wir mit denen da an?“ Mit einer subtilen Kopfbewegung deutete sie auf Hinata und Konan, noch immer vertieft in ihr leises Gespräch.
 

Naruto folgte ihrer Geste und starrte zu den beiden hinüber und Ino hätte sich fast an den Kopf geklatscht. Hier war sie und versuchte, unauffällig zu sein, und Naruto … war einfach Naruto und ganz und gar nicht dezent. „Starr nicht so!“, zischte sie ihn an. Er zuckte schuldbewusst zusammen und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf sie.
 

„Und?“ „Was und?“ Jetzt klang er verwirrt und sie war kurz davor, sich die Haare zu raufen. „Was sagst du? Wir können sie nicht mit uns kommen lassen!“ „Warum nicht?“ „Weil sie Fremde sind. Weil wir nichts über sie wissen. Weil sie gefährlich sind. Weil sie sonst was vorhaben könnten.“ Sie verschnaufte einen Moment. „Weil ich ihnen nicht traue.“ Und sie nicht durschaute. Ino mochte nicht Sakuras Intelligenz haben, aber sie hatte Menschenkenntnis. Und die versagte hier, weil sie so viele widersprüchliche Botschaften bekam.
 

Einerseits wirkten Konan und vor allem Hinata nicht feindlich. Im Gegenteil: Sie waren freundlich und hilfsbereit und hatten alles getan, um ihren unerwarteten Verbündeten unter die Arme zu greifen. Andererseits hatte Ino gesehen, was die beiden vollbringen konnten und zwar mit einer Nonchalance, als würden sie es jeden Tag tun oder zumindest einmal die Woche. Außerdem sagte ihr Gefühl ihr, dass da noch etwas anderes war, etwas viel Größeres, das sie noch nicht gänzlich sehen, geschweige denn voll begreifen konnte. Sie fragte sich, ob Konan und Hinata selbst wussten, was es war.
 

„Und? Soll ich ihnen sagen, dass sie sich verziehen sollen? Tut uns leid, aber Ino vertraut euch nicht?“, wollte Naruto wissen. Er sah jedoch auch nicht sonderlich glücklich mit der Situation aus. Ino seufzte. „Nein, das geht auch nicht. Und … ich weiß auch nicht!“ Sie warf die Arme in die Luft. „Darum rede ich mit dir!“ Mit einer heftigen Bewegung wandte sie sich zu ihrem Pferd um und widmete sich den Gurten ihres Sattels, nur um etwas tun zu können.

Naruto schwieg. Manchmal war es unheimlich, wie still der eigentlich so lebhafte, aufgeweckte Junge sein konnte. Manchmal vergaß sie, was er in seinem noch nicht sonderlich langen Leben schon alles hatte durchmachen müssen. Dass der Goldene Kaiser von Oto ein hohes Kopfgeld auf ihn ausgesetzt hatte, war kein Witz. Als er endlich etwas sagte, war seine Stimme so ruhig und bestimmt, dass sie den zukünftigen König schon in ihm sehen konnte.
 

„Ich glaube nicht, dass die zwei eine Gefahr für uns darstellen. Auch wenn wir noch nicht alles über sie wissen. Aber … sie saßen in der gleichen Falle wie Lee. Das muss doch für irgendetwas zählen.“ Sie warf ihm einen Blick über die Schulter zu, drehte sich aber wieder um und löste endlich den Sattel, während sie sagte: „Ich hoffe, du hast recht, denn da ich keine besser Idee habe, werde ich jetzt nichts Gegenteiliges sagen.“ Ihr Pferd schnaubte erleichtert, als sie endlich den Sattel von seinem Rücken wuchtete, und schüttelte sich. „Aber ich behalte mir vor, meine Meinung zu ändern.“ „Tust du das nicht eh ständig?“, neckte Naruto sie und Ino stieß ein leises, belustigtes Schnauben aus, das eher einem Grunzen ähnelte und ihr den verhassten Spitznamen eingebracht hatte.
 

„Willst du ihnen sagen, was unser Ziel ist? Dann können sie entscheiden, ob sie wirklich mit uns kommen wollen. Vielleicht sind wir sie so oder so gleich los und ich mache mir ganz umsonst Sorgen.“ „Hm.“, antwortete Naruto, dann kratzte er sich am Kopf und fragte: „Wohin geht die Reise nochmal?“ Ino schnellte herum und starrte ihn ungläubig an. Dann schüttelte sie belustigt den Kopf. Wenn sie sich jedes Mal darüber aufregen würde, dass er etwas vergaß, dann würde sie bald an Blutverlust sterben, weil ihr die Zornesadern platzten. Denn eine solche Bemerkung war wieder einmal kennzeichnend für ihn. „Etris. Das Dorf heißt Etris. Wir sollen dort Shikamaru und seine Gruppe treffen und ihnen helfen.“ „Es kann ja nicht schaden, oder? Das Dorf ist sowieso in Gefahr. Schlimmer kann’s ja nicht werden.“ Er zuckte kleinlaut die Schultern und warf einen Blick zu Lee und Deidara hinüber, die damit begonnen hatten, das Lager zu errichten. Zumindest Deidara tat das, Lee half, wo er konnte, aber seine Bewegungsfreiheit und körperlichen Kräfte waren noch immer eingeschränkt.
 

„Wenigstens ist Lee wieder auf dem Weg der Besserung.“, bemerkte Naruto leise, aber die Blondine konnte in seiner Stimme die Erleichterung mitschwingen hören, die auch sie verspürte, wenn sie daran dachte, wie knapp ihr gemeinsamer Freund am Tod vorbeigeschrammt war. Lee hatte etwas Besseres verdient als durch die Hand eines widerlichen Uchiha zu sterben oder an seinen Verletzungen zu erliegen. Aber Lee war stark. In ihm steckte viel mehr, als man vermutete. Sie hätte niemals an ihm zweifeln dürfen.
 

„Weißt du“, begann Naruto plötzlich. „Hinata hat mir versprochen, mich über ihre Magie aufzuklären, wenn wir die Burg verlassen haben. Vielleicht sollte ich sie bald mal daran erinnern. Dann wissen wir vielleicht mehr?“ Ino starrte ihn ungläubig an. „Und das sagst du erst jetzt?! Ja, verdammt! Frag sie!“
 


 

~ [ ♣ ] ~
 

Naruto fand Hinata bei Lee, als sie gerade dabei war, sich um dessen Verletzungen zu kümmern. Mittlerweile ging es Lee etwas besser, doch die Gefangenschaft hatte sichtbare Spuren hinterlassen. Noch immer blieb er tagsüber nur wenige Stunden wach, ehe er abends und manchmal sogar schon während des Ritts vor Erschöpfung einschlief. Auch jetzt war er, kaum, dass Deidara ihm geholfen hatte vom Pferd abzusitzen, eingeschlafen. Für den heutigen Tag war seine Bereitschaft dem Freund zu helfen, offenbar doch zu groß gewesen, sodass er nicht lange durchgehalten hatte.
 

Narutos Blick wanderte wieder zu der jungen Magierin. Ihm war aufgefallen, dass sie sich häufig vergewisserte, ob mit dem Verletzten auch alles in Ordnung war. Oder war es etwa noch etwas anderes? Verzauberte sie ihn am Ende noch, um ihm die Situation erträglicher zu machen? Im Gegensatz zu Ino war er Hinata und Konan gegenüber nicht gänzlich skeptisch eingestellt. Besonders Hinata gegenüber hatte er eher Vertrauen denn Argwohn entwickelt. Immerhin hatte sie ihm das Leben gerettet – mehr als einmal.
 

Über Hinatas Schulter hinweg beobachtete er, wie das Mädchen die Verbände seines Freundes wechselte. Unter den Bandagen kamen grauenhafte Wunden zum Vorschein. Die eisernen Fuß- und Handfesseln, die Lee ständig während seiner Gefangenschaft getragen haben musste, hatten tief in sein Fleisch geschnitten und würden höchstwahrscheinlich scheußliche Narben hinterlassen. Die Foltermale an seinem übrigen Körper hatte Naruto sich nicht mal angesehen. Einzig Ino hatte sich genau mit Lees Verletzungen auseinander gesetzt. Als sie sie das erste Mal gesehen hatte, war allerdings auch sie merklich blasser geworden.
 

Mittlerweile heilten Lees Verletzungen zwar, doch der Prozess kam Naruto noch immer zu langsam vor. Es war beinahe befremdlich ausgerechnet Lee, der sonst so munter und enthusiastisch war, so abgeschlagen und am Ende seiner Kraft zu sehen. Doch sein Körper, dessen Kraft und Beweglichkeit in der Gefangenschaft immer weiter abgenommen hatten, musste sich erst einmal wieder von den Strapazen erholen, die ihm seine Peiniger zugefügt hatten.
 

„Wie geht es ihm?“, fragte er in die Ruhe hinein. Hinata zuckte so heftig zusammen, dass sie die Salbe fallen ließ, mit der sie gerade Lees Handgelenke behandelte. Sie drehte sich um und sah ihn erschrocken an. „Oh, Entschuldigung! Ich wollte dich nicht erschrecken.“, verteidigte sich Naruto, nachdem ihm aufgegangen war, dass er sich vielleicht nicht so hätte anschleichen sollen. Doch anscheinend war es nur eine Schrecksekunde seitens Hinata gewesen. „Schon gut“, antwortete sie, „wir sind alle angespannt, oder?“ Sie schenkte ihm ein schüchternes Lächeln und hob die kleine Holzdose mit der Salbe auf, die im Gras lag.
 

„Was ist das?“, fragte er und deutete auf die Medizin, nachdem er sich neben sie gekauert hatte. Hinata folgte seinem Blick und reichte ihm die Dose. „Konan hat sie gemacht“, erklärte sie, „sie hat gestern Rosmarin gefunden. Zusammen mit einer Beinwellwurzel, Olivenöl und etwas Bienenwachs erhält man eine recht einfache Wundsalbe. Riech mal.“ Naruto folgte dem Vorschlag. Beinahe augenblicklich stach ihn der scharfe Geruch der beschriebenen Kräuter in die Nase. Er verzog das Gesicht. „Das Zeug muss wirken“, stellte er missmutig fest, „das riecht ja schon gesund.“
 

Hinata kicherte leise, errötete prompt und nahm ihm dann wieder die Dose aus der Hand. Verlegen wandte sie sich ein wenig ab und widmete sich wieder Lees Verletzung. Ein paar Augenblicke herrschte Schweigen. „Kann ich dir irgendwie helfen?“, erkundigte sich Naruto unsicher, um die Stille zu überbrücken. Hinata hielt einen Moment in ihrem Tun inne und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, die ihr ins Gesicht gefallen war, als sie sich über Lee gebeugt hatte.

Unsicher sah sie ihn an. „W-wenn du möchtest, … also, wenn es dir nichts ausmacht–“, begann sie, „ich meine-“ Sie verhaspelte sich. Naruto legte fragend den Kopf schief. Hinata wandte sich mit rotem Kopf um und murmelte: „Du könntest du mir schon mal die neuen Verbände holen.“ Sie deutete nach rechts und ein paar Meter entfernt, konnte Naruto ein paar weiße Stofffetzen erkennen, die auf einer dünnen Schnur hingen, die Hinata zwischen zwei Bäume gespannt hatte. „Ich habe sie vorhin in kochendem Wasser erhitzt und abgekocht.“, erklärte Hinata, „jetzt müssten sie eigentlich trocken sein.“ „Na, klar!“, grinste Naruto und machte sich auf den Weg.
 

Am Waldrand nahm er die Mullbinden ab und war insgeheim froh, dass in gewisser Weise niemand mitbekam, wie er sich mit Hinata unterhielt. Ino hatte sich wohlweißlich vorher zurückgezogen und war auffällig konzentriert mit dem Sattelzeug beschäftigt. Deidara hatte sich aufgemacht um Feuerholz zu sammeln. Konan schien zwar nie weit von Hinata entfernt zu sein, doch auch sie hatte verkündet die Umgebung erkunden zu wollen, um sicher zu gehen, dass sie nicht verfolgt wurden.
 

Obwohl es ihm ein wenig peinlich war sich dies einzugestehen, hatte er einen ziemlichen Respekt vor der älteren Frau. Wie sie in der Burg einfach so den Soldaten ermordet hatte… Sie war auf eine ruhige Art zutiefst bedrohlich und ständig hatte er das Gefühl, dass sie ihn musterte, wenn er auch nur in Hinatas Richtung linste. So war er zutiefst dankbar für die Möglichkeit sich endlich einmal alleine mit Hinata zu unterhalten, ohne dass ständig jeder alles mitbekam.

„Hier.“ Er kniete sich Hinata gegenüber auf Lees andere Seite und reichte ihr die Verbände. „Vie…vielen Dank.“, sagte sie. „Kannst du vielleicht mal seinen Arm etwas anheben, dann kann ich ihn besser verbinden.“ Naruto folgte der Aufforderung und die Magierin legte mit gekonnten Handgriffen den Verband um. Dasselbe wiederholten sie bei Lees anderem Arm und den Fußknöcheln. Schließlich wickelte Hinata die Decke noch einmal fester um Lees Körper und legte dann eine Hand auf seine Stirn. Bevor Naruto fragen konnte, was sie vorhatte, spürte er die Veränderung bereits. Die Luft schien zu vibrieren und plötzlich umgab Hinata eine seltsame Aura. Ihr Flüstern brachte etwas zum Klingen, dessen Ursprung Naruto nicht ausmachen konnte.

„Ageoph serata ineor daned stia.“
 

So schnell wie das Gefühl aufgekommen war, verschwand es auch wieder. Doch plötzlich sah Lees Gesichtsfarbe weniger blass aus. Naruto starrte Hinata an. „War das ein Zauber?“ Sie löste die Hand von Lees Stirn und seufzte. „Ich war noch nie gut in Heilzaubern oder zumindest nie so gut, wie ich sein wollte und es nötig gewesen wäre.“ Sie sah auf. „Aber zumindest kann ich seine Heilung ein bisschen beschleunigen. Vielleicht ist er dann schon bald wieder auf den Beinen und-“
 

„Was wird das?“ Naruto zuckte instinktiv zusammen, als er Inos durchdringende Stimme hinter sich hörte. Hinata hielt mitten im Satz inne und zog blitzschnell die Hand weg. „Äh“, machte er, „ich habe ihr geholfen, Lee zu behandeln?“ „Mit dieser Salbe?“ Ino wedelte mit der Medizin vor Narutos Nase herum, die sie aufgehoben haben musste. „Nichts für ungut“, wandte sie sich scharf an Hinata, „aber das ist meine Aufgabe.“ Die blickte schuldbewusst zu Ino auf. „Es … es tut mir leid … ich wollte dich nicht verärgern, Ino-san.“ Aber Ino beachtete sie nicht, sondern drückte ihr lediglich die Salbe in die Hand.
 

„Und du!“ Er wich unwillkürlich ein Stück zurück. „Was denkst du dir eigentlich dabei? Hast du überhaupt irgendeine Ahnung von Lees Zustand? Du kannst nicht einfach mal eben was ausprobieren und dann gucken, ob es funktioniert hat! Falls es dir nicht aufgefallen ist: Lee ist schwer verletzt!“ „Glaubst du, das hätte ich nicht bemerkt?!“, fauchte Naruto zurück, „gerade deshalb wollten wir ihm doch helfen!“ „Du brichst Lee eher noch ein paar Knochen, als dass du ihm hilfst!“, knurrte Ino. „Außerdem –“ Sie packte ihn am Kragen und zog ihn außer Hinatas Hörweite. „Außerdem habe ich gesagt: Du sollst sie nach ihrer Magie fragen, nicht sie dir an Lee demonstrieren lassen!“ Ino funkelte ihn an und Naruto wurde klar, wieso sie so sauer war: Sie hatte mitbekommen, wie Hinata den Zauber gewirkt hatte. „Ich bin mir sicher, dass sie nichts Böses im Sinn hatte, Ino und –“ „Das ist mir egal!“, fachte Ino zurück, „Fakt ist: Sie hätte sonst was mit ihm anstellen können! Naruto, wir wissen einfach nicht, wozu sie fähig ist. Bei Konan ist es dasselbe. Also sei nicht so naiv und vertrauensselig.“ Ihre Miene wurde weicher und Naruto erkannte, dass Ino erschöpfter war, als sie zugeben wollte. Sie war zwar sonst auch recht extrovertiert, aber unter der ständigen Anspannung schien auch sie langsam ihre Grenzen zu erreichen. Ino ließ seinen Kragen los. „Und jetzt sieh zu, dass du sie hier weg bringst, ehe noch was passieren kann!“
 

Sie versetzte ihm einen Stoß gegen den Oberkörper, der ihn zurück stolpern ließ. „Mensch, reg‘ dich ab, Ino!“, rief Naruto, „wir gehen ja schon.“ Damit hielt er Hinata, die immer noch vor Lee kniete und dem Wortwechsel mit aufgerissenen Augen beobachtet hatte, seine Hand hin, die diese zögernd ergriff. Ein wenig zu enthusiastisch zog er sie auf die Beine. Vollkommen überrumpelt stolperte Hinata gegen ihn und erst Naruto konnte sie davon abhalten zu stürzen. Kaum hatte sie wieder sicheren Stand und löste sie sich von ihm. „Hoppla!“, kommentierte Naruto trocken und grinste verschmitzt.
 

Er spürte Inos Blick im Nacken und machte sich mit der jungen Magierin im Schlepptau schleunigst aus dem Staub. „Tut mir leid“, entschuldigte er sich bei Hinata, „Ino ist normalerweise nicht so … ungerecht.“ Er kratzte sich am Hinterkopf. „Obwohl … manchmal kann sie ganz schön kratzbürstig sein.“ Er zwinkerte Hinata zu und endlich wich ihre zuvor erschrockene Miene einem amüsierten Lächeln. „Ich verstehe es und es ist in Ordnung“, erwiderte Hinata, „sie ist sehr um euren Freund besorgt.“ Naruto zögerte. „Ich glaube, es ist nicht nur das. Ich glaube sie hat ein bisschen Angst vor dir und deiner Magie.“ Hinata hörte ihm schweigend zu und er fuhr hastig fort: „Du hast mir auf dem Dach gesagt, dass du mir etwas über Magie erzählst. Damals habe ich keine Fragen gestellt, aber jetzt …Versteh‘ mich nicht falsch: Ich vertraue dir, aber ich weiß so gut wie nichts über Magie.“
 

Das Mädchen blieb stehen. Ohne, dass er es bemerkt hatte, waren sie am Waldrand angekommen. Mittlerweile war es sehr viel dunkler geworden. Sogar der Mond stand schon am grauen Abendhimmel. Hinata sah sich um und Naruto folgte ihrem Blick. Das silberne Mondlicht fiel zwischen den Bäumen des Waldes hindurch und hüllte Pflanzen und Gräser, die sich leicht im Abendwind wiegten, in einen unwirklichen Schein.
 

In Hinatas Augen trat ein sehnsüchtiger Ausdruck und Naruto fragte sich, an was sie wohl denken mochte. Einmal mehr fiel ihm auf, wie schön sie war. Die mitternachtsschwarzen Haare flossen an ihrem schlanken Körper herunter und standen im totalen Kontrast zu ihrer alabasterfarbenen Haut. Sie war so anders als alle Mädchen, die er bis jetzt getroffen hatte. Alles an ihr war ihm fremd. Angefangen bei ihrer merkwürdigen Kleidung, ihrer Art zu sprechen, ja sogar, wie sie sich bewegte … aber … noch nie hatte er jemanden getroffen, der ihn so sehr in seinen Bann zog.

„Magie ist …“, riss ihn ihre leise Stimme aus den Gedanken, „der Atem der Welt.“ Sie drehte sich halb im Kreis und wirkte dabei fast wie eine Tänzerin. „Sie ist im Leben und im Tod. Sie ist ein Teil eines jeden Magiers, so wie … so wie es auch die Sinne bei normalen Menschen sind. Bei manchen ist sie stärker ausgeprägt, bei anderen weniger. Es gibt auch Menschen, die nur latent magiebegabt sind: sie können keine Magie wirken, aber zum Beispiel spüren, wenn ein Zauber gewirkt wird.“ Ihr Blick verlor sich in weiter Ferne, als würde sie intensiv an jemanden denken.
 

„Genauso wie man seine fünf Sinne trainieren kann, muss auch die Fähigkeit zu zaubern stetig geschult werden.“, fuhr sie dann fort. „Manche Magier studieren ihr Leben lang Magie, andere wenden sie unbewusst an. Magie unterscheidet nicht zwischen Standesunterschieden. Ich habe Hohepriester getroffen, die ihre Magie und ihr ganzes Leben den Göttern gewidmet hatten, aber auch ganz gewöhnlichere Menschen, die Magie im Alltag einsetzen. In einer Gaststätte, die ich kenne, arbeitet eine Wirtin, die ihre Magie zum Kochen verwendet.“ „Wo ist das?“, unterbrach Naruto sofort, „haben die da auch Nudelsuppe?“
 

Hinata musste unwillkürlich lachen. Es war ein glockenheller Klang und Naruto war sich nicht sicher, ob nicht schon wieder irgendein Zauber im Spiel war. „Ich glaube, das liegt zu weit weg“, riss sie ihn aus den Gedanken.
 

„Magie kann auch verstärkt werden. Es gibt verschiedene Artefakte, die die Kraft eines Magiers steigern können, aber sie sind sehr selten und noch schwerer zu beherrschen. In erster Linie schult ein Magier stetig seinen Geist. Die Stärke eines Magiers ist zum einen in seinem Wissen über Zauber und Beschwörungsformeln begründet und zum anderen in seiner geistigen Standhaftigkeit. Meine Kindheit habe ich quasi damit verbracht die Theorie zu lernen-“ Sie hielt inne und wirkte so ertappt, als hätte sie gerade zu viel preisgeben.
 

Das verschaffte ihm gerade so viel Zeit das soeben Erfahrene zu verdauen. Wie sich die ganze Sache anhörte, war Magie furchtbar kompliziert und mit Unmengen Lernerei verbunden – und selbst dann kam es noch darauf an, ob das Schicksal einem eine größere oder kleinere Affinität gegeben hatte. Was ihn interessierte, war in erster Linie, was eigentlich in der Burg passiert war, nachdem alles so gründlich aus dem Ruder gelaufen war.
 

„Und in der Burg?“, hakte er darum nach. „Hast du da irgendeinen Heilzauber bei Lee angewandt?“ Er war ehrlich gespannt auf die Antwort. „Nein“, antwortete Hinata zu seiner Überraschung. „Das war keine Heilmagie, eher eine Notfallmaßnahme. In erster Linie war es in diesem Moment wichtig, dass er die Flucht übersteht und wir schnell wegkommen. Ich habe lediglich seine Schmerzen unterdrückt.“ „Und auf dem Dach?“, fragte er weiter nach, an die plötzlich erstarrten Soldaten denkend. „Das war ein Lähmungszauber“, erklärte sie. „Und bei diesen Skelettdingern?“ Er ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen. Als was er diese Wesen sonst bezeichnen sollte wusste er wirklich nicht. Er wehrte sich mit aller Macht gegen das andere Wort, denn die Implikationen dahinter waren zu groß, als das er sie in ihrer jetzigen Situation verstehen konnte – und wollte. „Untote sterben nur auf drei verschiedene Weisen“, klärte das Mädchen ihn auf und er überging großzügig ihre nebensächlich klingende Verwendung des anderen Wortes, „ich habe die effektivste gewählt: Feuer. Da es sehr viele waren, hatte ich wirklich Glück, dass es Vollmond war.“ „Wieso das denn?“, erkundigte er sich. Hinata warf einen Blick zum Himmel, wo der wieder abnehmende Mond und Sterne auf einem dunklen Himmel prangten.
 

„Magie ist auch von den Mondphasen abhängig“, sagte sie. „Vollmond ist die Nacht, in der ein Magier am stärksten ist.“ Naruto legte den Kopf schief. „Das verstehe ich nicht.“ „Stell es dir wie die Gezeiten vor“, ermutigte ihn Hinata, „Magie wird vom Mond angezogen, wie Ebbe und Flut. Gibt es einen Vollmond, dann kann es zu einer Springflut kommen.“ Sie unterbrach sich. „Das kann bei den echten Gezeiten zwar auch bei Neumond passieren, aber Magie-“ „Hä?“, machte Naruto. Die Magierin, die völlig in ihre Ausführungen vertieft gewesen war, blickte ihn verdattert an. Er zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid, aber das ist mir ein bisschen zu hoch. Kannst du das nicht einfacher erklären?“ Verunsichert erwiderte Hinata seinen hoffnungsvollen Blick. „A-aber das war doch schon recht allgemein.“ Naruto schenkte ihr ein entschuldigendes Grinsen. „Also dieser ganze Theoriekram ist wirklich nicht meine Stärke.“

Die Magierin seufzte ergeben. „Sieh auf den Mond“, forderte sie ihn dann auf. Naruto folgte der Anweisung. So weit er feststellen konnte, hatte sich rein gar nichts verändert, außer, dass es langsam wirklich dunkel wurde. Hoffentlich schleppte Deidara wenigstens so viel Brennholz an, dass sie es wenigstens warm hatten. In der letzten Nacht hatte er erbärmlich gefroren… „Der Mond ist das Kraftzentrum eines jeden Magiers. Wie ein Herz“, sagte Hinata in die Stille hinein und dann schien sich etwas zu verwandeln. Die Nacht war plötzlich rabenschwarz geworden und der Mond strahlte wie eine silberne, angeknabberte Sonne, die Mittelpunkt von allem war. Hinata streckte die Hand aus, als wolle sie einen Stern vom Himmel pflücken.
 

„Lunaris nyel syven.“, flüsterte sie und die Welt kippte zurück in die Balance. Verblüfft öffnete Naruto den Mund und schloss ihn dann wieder. Hinata öffnete die Hand und in dieser hatte sich eine Lichtkugel manifestiert. Ab und an faserte sie auf wie ein Faden und gab winzige Funken an die Umgebung ab, doch der Großteil schwebte sanft über Hinatas Finger. So unglaublich es klingen mochte, Hinata hatte es irgendwie geschafft – keinen Stern, aber einen Mondstrahl hatte sie vom Himmel geholt.
 

„Was hast du gemacht?“ „Pssst“, machte Hinata, hob die Hand und pustete das Licht sanft an, so dass es in unzählige Lichtpartikel zersprang und wie Sternenstaub in der Luft glitzerte. Sobald die einzelnen Funken Gräser oder die Blätter der Bäume berührten, erstrahlten diese kurz im Glanz der Funken und wirkten in der nächsten Sekunde deutlich kräftiger. Beinahe die gesamte Umgebung glitzerte wie in einem Meer von Glühwürmchen. Die Pflanzen streckten sich dem Licht entgegen und schienen in Windeseile ein paar Zentimeter zu wachsen. Selbst einige Blüten öffneten sich, als das Mondlicht sie berührte. In seinem ganzen Leben hatte Naruto noch nie so etwas derart Schönes, etwas so Atemberaubendes gesehen. Langsam begann er zu verstehen, was Hinata mit dem Atem der Welt gemeint hatte.
 

Er sah von ihr zum Mond und wieder zurück. Ein Magier war an Vollmond am stärksten? Das erklärte, warum sie mal eben einen ganzen Mauerabschnitt in die Luft gejagt hatte, scheinbar mühelos diese Skelettdinger – das andere Wort konnte er noch immer nicht einmal denken – erledigt und so nebenbei einen ganzen Soldatentrupp gelähmt hatte. So wie er die Sache einschätzte, hatte sie der Zauber, den sie soeben gewirkt hatte, nicht mehr Kraft gekostet, als ihren kleinen Finger zu bewegen. Die Tiefen ihrer Magie schienen unergründlich zu sein.

„Erinnere mich daran, dass ich mich ja nie mit dir bei Vollmond anlege.“ Er drehte sich einmal im Kreis, um noch einmal das volle Ausmaß des Zaubers in Augenschein zu nehmen. „Danke, dass du mir das erklärt hast. Scheint, als wären Magier ziemlich anständige Leute.“ Hinatas Lächeln erlosch. „Nicht alle“, murmelte sie, „es kommt immer auf den einzelnen Menschen an. Aus allem, das gut ist, kann man auch eine Waffe machen. Nekromantie ist-“
 

Ein wütender Ausruf unterbrach Hinata. Für einen Moment sahen sie sich an. Der Tumult war von ihrem Lager gekommen, das sie etwas hinter sich gelassen hatten. Jemand anderes antwortete dem ersten Sprecher – ruhig, aber bestimmt. Naruto spannte sich an, als er Konan erkannte – und Ino.
 


 

~ [ ♣ ] ~
 

Kopfschüttelnd blickte Ino ihrem besten Freund nach, wie er zu Hinata hinüber dackelte. Dann wandte sie sich ab, weil Naruto zwar sehr gut mit Publikum arbeitete, aber die junge Magierin sicher nichts verraten würde, wenn sie befürchtete, dass jemand sie belauschte. Ino beschäftigte sich eine Weile mit den Pferden und überprüfte Sättel und Zaumzeug, obwohl sie davon eher wenig Ahnung hatte. Am Ende gab sie auf und richtete ihre Aufmerksamkeit auf Lee. Es ging ihm immer noch schlecht, aber er war auf dem Weg der Besserung. Sein Gesicht war noch blass und er selbst noch schwach, doch er hielt durch. Er war stark. Diese Tatsache und seine Dickköpfigkeit würden ihn schon über diese missliche Lage hinweghelfen. Bald war er wieder der Alte, immer gut aufgelegt, immer laut und lebhaft, immer optimistisch.
 

Ino runzelte die Stirn, als ihr Blick auf Hinata und Naruto fiel. Sie kauerten rechts und links neben Lee, leise redend, während das fremde Mädchen gerade den Verband neu wickelte. Was bei allen guten Geistern machte Naruto da?! Er sollte sie ausfragen und nicht hingehen und es … sich zeigen lassen…! Ino schnappte einen Moment empört nach Luft, als sie realisierte, was genau da gerade vor sich ging. Sie hatte selbst ihm ein wenig mehr Verstand zugetraut. Sie hatten alle wenig Ahnung von Magie, wer wusste schon, was die Fremde da tat?! Und wie konnte er an Informationen kommen, wenn sie sich nur um Lee kümmerten? Außerdem wollte sie Hinata nicht an den hilflosen, schlafenden Verwundeten lassen. So sehr vertraute sie dem Mädchen nicht.

Vielleicht hatte sie nicht die richtigen Worte gefunden, als sie die beiden von ihrem Platz vertrieb, aber sie konnte sich nicht helfen. Sie machte sich eine Gedankennotiz, sich bei Gelegenheit bei Hinata zu entschuldigen. Vor allem, als sie bemerkte, wie fachmännisch die Schwarzhaarige sich um die Wunden gekümmert hatte. Aber das half jetzt nichts. Hoffentlich hatte sie wenigstens Naruto genug eingeschüchtert, dass er jetzt endlich ihren Anweisungen nachkam und seine Fragen stellte.
 

Frustriert mit sich selbst ließ sie sich neben Lee in die Hocke sinken und starrte ihn einen Moment ausdruckslos an. Sie fragte sich, was sie tun sollten, wenn er starb. Hatten sie dann die Uchiha ganz umsonst auf sich aufmerksam gemacht und sich diese beiden seltsamen Frauen aufgehalst? Für einen Moment schwebte der Gedanke in ihrem Kopf, dann sackte sie schwer zurück auf ihren Hintern und holte tief Luft. Wie konnte sie nur so denken?! War sie etwa schon so … so abgebrüht, dass sie nur nach den Vorteilen in ihren Handlungen und Taten Ausschau hielt? Nach dem Gewinn, den sie daraus ziehen konnten? Selbst wenn Lee jetzt noch starb – wovon sie nicht ausging, bei Taikai-hime! – dann wäre er doch zumindest nicht alleine gestorben, in Feindeshand. Sondern im Kreise von Freunden, Familie sogar. Denn seit dem Tod seiner Mutter hatte er keine eigene mehr und sie wusste, dass er die Gruppe um Naruto als seine neue Familie betrachtete. Um das zu sehen, brauchte es nicht viel und Ino hatte kein Problem damit, in Menschen zu lesen.
 

Vorsichtig streckte sie die Hand aus und fühlte nach seiner Stirn. Sie war kühl und trocken und Ino atmete erleichtert auf. Kein Fieber. Das hieß, keine Infektion, keine Entzündung, keine Verschlechterung seines Zustandes. Im Gegenteil, eigentlich war es ein gutes Zeichen, denn so konnte sich sein Körper darauf konzentrieren, die eigentlichen Wunden zu heilen. Vielleicht sollte sie Hinata doch das eine oder andere Zugeständnis machen… So viel Glück, sich bei ihrer wilden Flucht und diesen schlechten Bedingungen keine Infektion zuziehen, konnte nicht einmal Lee haben. Zumindest nicht, wenn er keine Hilfe hatte und Hinata schien sie ihm gegeben zu haben. Ino seufzte.
 

Anscheinend schuldete sie dem anderen Mädchen wirklich eine Entschuldigung. Andererseits war Ino noch nie gut darin gewesen, ihre Schulden zu bezahlen, selbst nicht, wenn sie es sich fest vorgenommen hatte. Ein Stöhnen riss sie aus den düsteren Gedanken und sie fuhr auf. Lee hatte das Gesicht verzogen und seine Hände zuckten leicht, als wolle er nach etwas greifen … oder abwehren. Für einen Moment fragte die Blondine sich panisch, was sie tun sollte, dann fing sie eine der Hände ein und umschloss sie mit den eigenen.
 

„Lee.“, sagte sie ruhig, aber bestimmt. Als er nicht reagierte, sondern nur den Kopf wegdrehte, wiederholte sie noch einmal lauter: „Lee. Lee!“ Reflexartig schlossen sich seine kräftigen Finger um ihre und er schlug die Augen auf. Es dauerte einen Moment, dann fokussierte er sie auf Ino und murmelte: „Was… Wer… Ino…?“ Sie schenkte ihm ein unsicheres Lächeln. „Ich bin’s nur. Ich glaube, du hattest einen Albtraum. Jetzt ist alles wieder gut.“ Natürlich war nicht alles wieder gut, aber sie wusste nichts Besseres zu sagen und Lee lächelte ihr beruhigend zu, als ob sie den Trost bräuchte und nicht er. Ohne weiter darauf einzugehen, half sie ihm sich aufzusetzen. „Willst du etwas trinken? Essen? Ich befürchte, wir haben nicht gerade das, was du bräuchtest, aber es wäre besser als gar nichts. Und…“
 

„Wo ist Hinata?“ Konans dunkle, gleichmäßige Stimme unterbrach sie. Ino fuhr heftig zusammen und sprang auf, ihre Hand griff ein wenig verspätet zu dem Dolch, den sie am Gürtel trug. Die gefährliche Frau stand hinter ihr, keine zwei Meter entfernt, mit ausdruckslosem Gesicht und einem toten Hasen in der Hand. Blut tropfte von dem Kadaver auf den Boden und Ino fragte sich, wie Konan es geschafft hatte, so nahe an sie und Lee heranzutreten, ohne dass einer von ihnen sie bemerkt hatte. Zumindest Lee, der nur leicht den Kopf wenden musste, um sie direkt anzusehen, hätte sie entdecken müssen. Aber Lee war geschwächt, müde und Konan…
 

„Was soll das!“, fauchte Ino ohne den Gedanken zu beenden, der ihr auch so einen Schauer über den Rücken jagte. „Tritt nicht plötzlich hinter uns und erschrecke uns zu Tode!“ Konan neigte den Kopf und hob leicht eine Schulter, was eine Entschuldigung, eine Zustimmung oder einfach nur Belustigung bedeuten konnte. „Hinata?“, wiederholte sie dann. „Mit Naruto irgendwohin gegangen.“, antwortete Ino kurz angebunden und drehte sich weg, um anzudeuten, dass sie das Thema als beendet betrachtete. Doch Konan öffnete den Mund um noch etwas zu sagen, also murrte sie dazwischen: „Keine Sorge, er wird schon auf sie aufpassen.“
 

Konans Augen verengten sich, aber Ino wurde vor ihren scharfen Worten gerettet, als Deidara schimpfend und fluchend aus dem Unterholz auftauchte. Er trug ein großes Bündel Feuerholz unter dem Arm und sein rechter Ärmel wurde von einem langen Riss geziert, was anscheinend der Grund für seinen lautstarken Ärger war. „Willst du unbedingt alle Leute im Umkreis von zehn Meilen auf uns aufmerksam machen?“, fauchte Konan stattdessen ihn an. Deidara blickte erschrocken auf, als hätte er nicht mit einer solchen Zurechtweisung gerechnet, und öffnete den Mund, nur um ihn einen Moment später wieder zu schließen.
 

Ino konnte es ihm nicht verübeln und sprang ihm zur Seite: „Nur, weil Ihr eine solch schlechte Laune habt, müsst Ihr sie nicht an uns auslassen!“ Konan drehte sich wieder ihr zu, ihr Gesicht ausdruckslos und hart. „Ich bin hier nicht die einzige mit schlechter Laue, kleines Mädchen.“, erklärte sie spröde. „Und ich bin mir ziemlich sicher, öfter in einer solch prekären Lage gewesen zu sein als ihr, also tut ihr alle gut daran, auf mich zu hören.“ Ino schnaubte, die arrogante Selbstsicherheit dieser Frau war ja nicht auszuhalten! „Jaja, ich bin ja schon still, hm.“, murrte Deidara und ließ das Holz neben der Feuerstelle auf den Boden fallen. Anscheinend befand zumindest er sich, ausnahmsweise, nicht in Streitlaune. Vielleicht hatten der Stress und die Anstrengung auf ihn die gegenteilige Wirkung, als auf Ino.
 

„Außerdem ist außer uns sowieso niemand in der Nähe.“, murrte Ino und Konans jadegrüne Augen richteten sich scharf auf sie. „Nimm solche Dinge nicht an, wenn du dein Leben nicht darauf verwetten willst.“, erklärte sie kühl. „Wer außer uns sollte in dieser gottverlassenen Gegend schon sein?“, keifte Ino zurück, weit lauter als sie beabsichtigt hatte. „Holzfäller, Jäger, Räuber oder vielleicht sogar noch Schlimmeres. Und wir wissen nicht, wie nahe uns unsere Verfolger sind.“ Die Stimme der Kämpferin war unheimlich ruhig. Mit einer ausholenden Geste schloss sie das gesamte Lager ein und erklärte: „Ich will es mit deinem Haufen von halbtrainierten Kindern nicht mit Soldaten aufnehmen, die wissen, was sie tun, und nicht von Untoten abgelenkt werden.“
 

Ihre Augen verengten sich wieder, aber die Neigung ihres Kopfes hatte etwas Herausforderndes. Als wollte sie Ino provozieren, etwas Gegenteiliges zu sagen, obwohl sie beide sehr wohl wussten, dass das eine komplette Lüge wäre. Denn Ino musste zugeben, dass der Gedanke wie viel Glück sie gehabt hatten, um alle heil aus der Burg zu fliehen, ihr auch nicht sonderlich angenehm vorkam. Glück und Hinata und Konan und natürlich die Untoten, die so unvermittelt – konnte sie wagen, dies überhaupt zu denken? – zu ihren Gunsten eingegriffen hatten. Die kleine Gruppe von Rebellen mochte in der Lage gewesen sein, heimlich in die fremde Festung einzudringen, sich an den Soldaten vorbei zu schleichen und unbemerkt Gefangene zu befreien. Aber ein offener Kampf, selbst mit der zusätzlichen Hilfe von Hinata und Konan war eine ganz andere Sache.
 

Doch Ino war zu wütend, jetzt klein beizugeben und Konan den Sieg zu überlassen, so kleinlich sie sich dabei auch fühlte. Sie öffnete den Mund um eine unglaubliche Dummheit zurück zu fauchen. Naruto und Hinata, die unvermittelt aus dem Unterholz auftauchten, retteten sie. „Was ist denn hier los?“, wollte der blonde Prinz wissen und Ino warf den Kopf zurück. „Unsere neue Freundin hier denkt, sie wüsste alles besser.“, murrte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. „Weil es auch so ist.“, bemerkte Konan und der bissige Unterton in ihrer Stimme zeigte Ino sehr plötzlich und mehr als alles andere, dass auch diese gefasste, erfahrene Frau unter ihrer ruhigen Fassade angespannt, nervös und gestresst war. Hinata warf ihrer Freundin einen besorgten Blick zu, was diesen Eindruck noch einmal verstärkte, sagte aber nichts.
 

„Können wir…“, begann Naruto unentschieden und seine Blicke wanderten von Ino zu Konan und dann zu den beiden anderen Männern, die nebeneinander an der Feuerstelle kauerten. „Können wir alle mal Luft holen und … und, naja, uns wieder beruhigen?“ Ino schnaubte und wandte sich ab. Naruto war ja wohl der letzte, der das Recht hatte, irgendwen zu beschwichtigen. War er nicht immer der erste, der für jeden Spaß und jede Torheit zu haben war? Sakura war es gewesen, die ihn stets von dem schlimmsten Leichtsinn bewahrte und ein oder zweimal hatte sogar Ino diese Rolle übernommen. Die Unsicherheit und der Zweifel in seiner Stimme taten das übrige, dass niemand seinen Vorschlag ernst nahm. Er war eindeutig nicht bereit, die Person zu sein, die einen kühlen Kopf bewahrte. Noch nicht bereit dazu, die Rolle des Anführers zu übernehmen, obwohl sie ihm zustand. Dieser plötzliche Gedanke ließ sie innehalten und ihre abweisende Haltung lockerte sich etwas.
 

„Und was schlägst du stattdessen vor?“, wollte Lee wissen, der sich wohlweislich aus allem herausgehalten hatte. Vermutlich wollte er mit seiner Frage nur helfen, um von dem Thema abzulenken. Oder einfach nur Naruto einen Knochen zuwerfen, damit er die aufgewühlten Gemüter beruhigte und sie alle von dem verfahrenen Gespräch loskamen, ohne dass jemand dabei sein Gesicht verlor. Naruto aber schien nicht zu wissen, was er damit anfangen sollte, und verstummte verunsichert.
 

Es war Hinata, die ihm beisprang, und etwas zu laut einwarf: „Unsere Route! Jetzt, wo wir aus dem un…unmittelbaren Wirkungskreis der U…Uchiha hinaus si…sind…“ Sie wurde immer leiser, je länger sie sprach und je mehr Aufmerksamkeit sich auf sie richtete, und verstummte schließlich ganz. Konan seufzte. Anscheinend kannte dieses besondere Problem ihrer Begleiterin gut. „Sie hat recht.“, erklärte sie und zwang ihren Körper dazu, sich zu entspannen. „Wir sollten uns jetzt wirklich langsam Gedanken machen, wo wir eigentlich hinwollen.“ Sie machte eine Bewegung in Richtung Wald. „Ich habe keine Spuren von Verfolgern oder sonst jemandem entdecken können.“ Sie warf der Blondine einen dunklen Blick zu. „Was nicht heißt, dass niemand da ist.“

Naruto sprach schnell los, bevor Ino zurückfauchen konnte. „Wohin wollt ihr überhaupt? Wir wollen uns mit ein paar Freunden in einem Dorf treffen, das eine ganze Strecke von hier entfernt liegt, Etris.“ Ino fragte sich, ob es wirklich so klug war, den beiden ihr Ziel zu verraten, aber der Gedanke war jetzt sowieso müßig, da Naruto es schon ausgeplaudert hatte. Außerdem mussten sie den beiden Fremden vielleicht ein paar Brotkrumen zuwerfen, um selbst Antworten zu bekommen.
 

„Wir müssen in diese Richtung.“ Hinata deutete in den Wald. Was sie dazu veranlasste, gerade dorthin zu zeigen und nicht zum Weg hinüber oder irgendwo anders hin, erklärte sie nicht. Für Ino schien es, als hätte sie einfach willkürlich eine Richtung ausgewählt, aber die Magierin schien sich ganz sicher zu sein, dass das, was sie suchte, genau dort lag. Konan widersprach nicht; sie verließ sich wohl gänzlich auf ihre Begleiterin. „Oh toll!“, rief Lee aus. „Wir müssen auch dorthin, nicht wahr? Etris liegt doch in etwa dort?“ Deidara schnaubte. „Wenn man ein Vogel ist und fliegen kann, dann ja. Aber ich glaube, keiner von uns kann sich spontan Schwingen wachsen lassen, hm.“ Lee zog ein verletztes Gesicht. Er unter ihnen allen hatte Spott am wenigsten verdient. „Halt die Klappe.“, fuhr Ino den Blonden darum an. Warum war sie es, die hier die Verantwortliche spielen musste?! Wo war Sakura, wenn man sie einmal brauchte? Oder der pflichtbewusste Naruto, der eben unter der sonst eher unbedachten, leichtfertigen Oberfläche des Kronprinzen hervor geblitzt war?
 

„Dein Sarkasmus ist nicht gerade hilfreich.“ Deidara verschränkte die Arme vor der Brust und schmollte. Ino kümmerte sich nicht weiter um ihn. „Und was führt Euch genau in diese Richtung? Oder ist das eine willkürliche Richtung, die Ihr gerade interessant fandet?“ Ihr Tonfall war noch immer schroff, auch wenn die junge Magierin ihr nun wirklich nichts getan hatte. Aber sie konnte sich einfach nicht beherrschen. „Du … du musst nicht gl…gleich so un…unhöflich werden!“, empörte sich Hinata, rot im Gesicht. „Lass sie, Hinata.“ Konan hatte ihre Hand leicht auf die Schulter ihrer Freundin gelegt und ihre Stimme war nüchtern und neutral. „Sie hat nur Angst.“
 

Ino fühlte, wie sich ihr Gesicht vor Wut verzerrte. Was bildete sich diese Frau eigentlich ein?! Diese Frau hatte kein Recht, ein Urteil über sie zu fällen! Was wusste sie schon von Ino und ihren Freunden und ihren Problemen?! Und warum konnte sie so gut in Menschen lesen, selbst wenn sie diese Menschen überhaupt nicht kannte?! Denn das Schlimmste war, dass Konan Recht hatte. Ino hatte tatsächlich Angst. Sie wollte nicht sterben. Sie wollte nicht, dass ihre Freunde sterben. Sie wollte nicht einmal, dass Konan und Hinata starben. Sie wollte nicht in die Hände der Uchiha fallen und auch nicht die Menschen, die ihr wichtig waren, diesen Weg gehen sehen. Das war der Grund, warum sie sich für diese Mission gemeldet hatte, so gefährlich und anstrengend sie auch war. Ihre Befürchtungen waren nur bestätigt worden, als sie Lee gefunden hatten, eingesperrt in einer winzigen Zelle, verletzt und so schwach… Ihre Angst war nur noch gewachsen. Sie hatte gesehen, was diese Leute, ihre Feinde, Lee angetan hatten – und sie hatten erst damit begonnen. Ino wollte ihre Freunde nicht verraten, gebrochen unter Klingen und Folter und Hass. Sie war nicht so unerschütterlich wie Lee, der für seine Freunde und Familie alles geben würde. Ino war nicht so stark.
 

Hinatas mitleidiger, sanfter Blick, den diese ihr auf Konans Worte hin schenkte, schien tief in ihre Seele zu dringen und Ino schauderte. Es war beinahe, als könne Hinata jeden ihrer Gedanken lesen. Sie hoffte, dass es nicht wirklich so war – immerhin war die andere eine Magierin und es gab einige, die genau dies konnten. Doch bevor sie dieses Misstrauen äußern konnte, antwortete Hinata auf ihre Frage: „Mein Cousin befindet sich in dieser Richtung. Und wer weiß, vielleicht sind die anderen beiden bei ihm.“ „Du hast einen Cousin?“, wollte Naruto verdutzt wissen. Das war das erste Mal, dass einer von ihnen von anderen Begleitern der beiden Frauen gehört hatte. Die Aussage kam auch für Ino überraschend. Keiner von ihnen hatte sich über den weiteren Hintergrund der beiden nachgedacht als darüber, wie gefährlich sie waren.
 

„Meine Sippe ist sogar sehr groß.“, erklärte Hinata mit einem nachsichtigen Lächeln. „Wir wollen jetzt aber nicht über Familien reden“, warf Konan ein, „sondern über Wegrouten. Also?“ „Neji kommt uns bereits entgegen, obwohl es scheint, das auch er einige Umwege machen muss.“, bemerkte Hinata. Ino runzelte misstrauisch die Stirn, aber Lee kam ihr mit der Frage zuvor und auch noch weit freundlicher: „Woher wisst Ihr das?“ „Wi…wir haben eine Ver…Verbindung.“ Die gestotterten Worte klangen seltsam verschlossen, als wollte sie nicht mehr darüber sagen. Wieder war es Konan, die von dem unmittelbaren Thema ablenkte. „Es scheint, als müssten wir noch eine Weile in die gleiche Richtung.“ Sie ließ ihren Blick über die versammelten Leute wandern. „Die Frage ist also, ob wir einander genug vertrauen, den Weg miteinander zurückzulegen – oder ob wir uns an dieser Stelle trennen sollten.“
 

Und fasste sie mit diesen Worten nicht genau das zusammen, was Ino auch fühlte? Als hätte Konan sich die ganze Zeit über dieselben Dinge den Kopf zerbrochen wie sie selbst. Das war ein seltsamer Gedanke, einer, der ihr die andere Frau auf eine seltsame Weise näher brachte. „Natürlich reisen wir zusammen!“, entfuhr es Lee, der über das Gerede von Verlässlichkeit liebenswert verwirrt wirkte. „Wären wir alle so nicht sicherer?“ Deidara verschränkte die Arme vor der Brust, sagte aber gar nichts. Anscheinend schien er gewillt, den Anweisungen der anderen zu folgen ohne seine eigene Meinung zu bilden.
 

„Konan…“ Hinata sah ihre Freundin mit schiefgelegtem Kopf an. Es war ziemlich klar, welche Möglichkeit ihr lieber wäre. Die antwortete mit einem kühlen Blick und zusammengezogenen Augenbrauen, als ob sie noch zögern würde. Ino kannte dieses Gefühl. Einerseits hatte Lee Recht – sie wären sicherer zusammen. Hinata und Konan wären auf dem Weg sicher nicht zu verachten mit all ihrem Können und ihren Fähigkeiten. Auf der anderen Seite war genau das das Problem. Am Ende lief es wieder einmal darauf hinaus, ob sie sich genug vertrauen konnten. „Ich finde auch, dass wir zusammenblieben sollten.“, warf Naruto ein. „Wir wollen einander nichts Böses. Wenn, hätten wir das nicht schon längst getan?“ Er schaute in die Runde und warf dann die Arme in die Luft. „Die Uchiha sind weit genug hinter uns, dass das möglich gewesen wäre.“, betonte er. Ino seufzte schwer. Natürlich hatte er Recht. Aber trotzdem… Dieser Zweifel war noch immer da. Sie wechselte einen Blick mit Konan, las die eigenen Gedanken in den Augen der anderen Frau. Und das war es, was schließlich den Ausschlag machte. Niemand, den die gleichen Sorgen plagten wie sie selbst – nämlich vorrangig die, um die Sicherheit ihrer Freunde – konnte schlecht sein. „Also gut.“, sagte sie und ihre Worte klangen seltsam endgültig. Und auch Konan nickte zustimmend.
 


 

~ [ ♣ ] ~
 

Kibas Laune war auf den Tiefpunkt gesunken. Er war von Natur aus kein geduldiger Mensch und würde es auch nie sein – dafür steckte einfach zu viel von seinem Vater in ihm – und er konnte diesen Teil seiner Persönlichkeit nun mal genauso wenig ablegen, wie Akamaru sich seines Felles entledigen konnte.
 

Nicht nur, dass einfach nur alles schief gelaufen war, seitdem die anderen verschwunden waren – er selbst hatte den ihm so vertrauten Wald verloren. Zumindest kam es ihm so vor. Normalerweise war der Wald sein Gebiet, sein Reich. Keiner seiner Gefährten konnte diese Verbindung auch nur im Entferntesten nachempfinden, aber die wilde Natur war immer schon sein Verbündeter gewesen. Wenn er sich im Wald aufhielt, war er beinahe unbesiegbar. Er konnte hören, wie der Wind im Blätterdach zu ihm flüsterte, er sah die unsichtbaren Pfade, die durch das Dickicht führten, und er wusste instinktiv, wo er Wasser finden konnte. Dieses Gefilde war ein Teil von ihm – ebenso wie es Akamaru war, dessen Präsenz er ständig spüren konnte wie ein leises Summen im Hinterkopf. Schließlich hatte man ihn nicht ohne Grund Sohn des Waldes genannt, Kiba-aus-dem-Wald.
 

Aber jetzt war er ihm fremd geworden. Wo er vorher seinen Instinkten trauen konnte und seine Freunde ohne nachzudenken durch das grüne Meer navigiert hatte, war nun etwas Fremdes getreten, etwas Anderes, Verändertes. Das Vertraute war verschwunden und auf einmal war er der Eindringling, der seinen Weg verloren hatte.
 

Einzig seine Verbindung zu Akamaru war unverändert geblieben. Das, was zwischen ihnen war, war tiefer als alles, das er sonst kannte. Es war nicht wie bei Neji und Hinata, die durch Magie aneinander gebunden, aber noch immer eigenständig waren. Bis er Akamaru gefunden hatte, war er nicht ganz und komplett gewesen, denn Akamaru war der Teil von ihm, der ihm bis dahin gefehlt hatte. Kiba wusste, dass es ihn innerlich zerrissen hätte, wenn er neben dem ihm sonst so vertrauten Wald auch noch seinen besten Freund verloren hätte. Doch zu seiner grenzenlosen Erleichterung waren die Bande zwischen ihnen stärker als das, das was ihm den Wald geraubt hatte.
 

Die uralte Magie seines Volkes, die sogar noch weiter zurück reichte als die des Hyuuga-Clans, war stark. Sie verband Mensch und Tier auf eine Weise, die beide miteinander verschmolz und jegliche Individualität trennte. Kiba war ein Teil von Akamaru und Akamaru war ein Teil von ihm. Ihre Verbindung ließ den Jäger durch die Augen des Hundes sehen, riechen, was er roch, fühlen, was er fühlte, und wahrnehmen, was ihm sonst entging. Akamaru war im Gegenzug hochgradig auf ihn sensibilisiert, seine körperlichen Fähigkeiten weit über das gesteigert, was Inuzuka-Hunde sonst leisten konnten, was sowieso schon mehr war als bei einem normalen Tier. Sein treuer Gefährte wusste immer, was er fühlte, ja, fast was er dachte. Schon vor der Zeremonie war Akamaru sehr intelligent gewesen, doch danach … es gab keinen Vergleich, der dem gerecht wurde, was danach mit ihm geschehen war. Klug genug, grundlegende menschliche Gedanken zu verstehen, war jeder Inuzuka-Hund, doch die Verbindung befähigte ihn zu weit mehr.
 

Doch auch das konnte ihn nicht darüber hinweg täuschen, dass sie nicht wussten, wo sie sich befanden und ihn auch nicht die Katastrophe vergessen ließ, in die sie völlig ahnungslos geschlittert waren. Was bei der Mutter des Waldes wurde hier für ein Spiel gespielt!? Kiba biss die Zähne zusammen, versuchte sich nicht auf das Verlorene, das Fremde zu konzentrieren und richtete seine Aufmerksamkeit stattdessen auf seinen Gefährten, der ihm in kurzen Abständen immer wieder einen genaueren Eindruck seiner Umgebung verschaffte. Er musste positiv denken und die Ruhe bewahren. Irgendwo musste schließlich wieder das ihm bekannte Gebiet anfangen! Und wenn dies nicht geschah, so würde er dieses Fremde eben kennenlernen und sich zu eigen machen! Mit seiner altvertrauten Verbindung zum Wald war er schließlich auch nicht geboren worden.

Nur, dass es das zu seinem Verdruss nicht tat. Zuerst hatte er geglaubt, dass es nicht lange dauern würde, bis sich ihre Lage wieder normalisiert hatte, doch nachdem sie drei Tage herumgeirrt waren, hatte auch er verstanden, dass die Sache weit komplizierter war.
 

Neji hatte Recht behalten, als er ihm eröffnet hatte, dass sich Hinata weite Tagesreisen entfernt befand. Wenigstens das war positiv: Der Zauber der Hyuuga hatte nichts von seiner Kraft eingebüßt. Trotzdem ging es ihm gegen den Strich, dass in seinem Wald notgedrungen Neji die Führung übernehmen musste, wobei dieser einfach nur der Richtung folgte, in der Hinata sich befand. Hinata und hoffentlich auch Konan und Pein.
 

Und dann waren sie auch noch in diese Truppe Möchtegern-Spitzel hinein gestolpert, die ihnen auch noch so respektlos entgegen getreten waren. Natürlich konnte er nachvollziehen, dass Neji versuchte Informationen zu erhalten, aber leider erwiesen sich diese Reisenden als genauso auskunftsfreudig wie der Wald um ihn herum. Wieso waren sie überhaupt dort gewesen? Wer latschte schon durch den Wald, wenn es bessere Straßen gab, so geheim die Mission auch war? Allerdings hatte er keine Zeit mehr gehabt, sich weiter darüber aufzuregen, da sie kurz darauf in einen Untotenangriff hinein geraten waren. Wenigstens hatte sich seine Laune ein wenig verbessert, nachdem er und Akamaru einen ordentlichen Kampf bekommen hatten.
 

Doch die wilde Freude, die ihm dieser kurzfristig verschafft hatte, war schnell wieder verpufft. Kaum, dass die Sache erledigt gewesen war, waren Neji und er gezwungen zu verschwinden, um den Fremden keine Gelegenheit zu geben, ihnen weitere Fragen zu stellen.

Dabei wäre es durchaus nicht verkehrt gewesen einen Führer zu haben. Kiba hatte keine Ahnung, wo genau sie sich im Wald befanden, ja, er kannte ja nicht einmal den Wald, in dem sie sich befanden, und so war es nur schwer abzuschätzen, wo sie ihn wieder verlassen würden. Unter Nejis Führung konnten sie blindlings in jede Falle laufen, die ihnen Orochimaru vielleicht gestellt hatte. Einfach, weil es keine andere Option gab, was sie als nächstes tun konnten.
 

Neji, Akamaru und er waren in höchster Alarmbereitschaft und rechneten jederzeit mit einem Angriff. Wer konnte schon sagen, was dieser Nekromant als nächstes für sie bereithielt? Wenn er es nicht besser gewusst hätte, wäre Kiba sogar der Verdacht gekommen, dass er durch irgendeinen Zauber die Landschaft um sie herum verändert hatte. Nach der Position der Sterne waren sie ein ganzes Stück von ihrem Ausgangspunkt entfernt und auch das Zwielichtgebirge hatte sich verändert. Erhebungen der Ebene schienen geschrumpft zu sein, es gab Pflanzen und Gewächse, die er noch nie zuvor gesehen hatte und selbst die Jahreszeit schien plötzlich eine andere zu sein. Sie waren im Herbst aufgebrochen und in kürzester Zeit sollte es plötzlich Frühling geworden sein? Nein, das war nicht möglich. Nicht mal Orochimaru könnte das vollbringen. Aber auf eine gewisse Art und Weise machte es die Situation nur noch surrealer. Es gab zu viele Faktoren, die einfach unerklärbar waren.
 

So war Kiba zum ersten Mal in seinem Leben froh einen Wald zu verlassen, nachdem sie diesen in einem tagelangen Gewaltmarsch durchquert hatten. Neji mochte es nicht zugeben, aber Kiba konnte seine Körperhaltung ohne weiteres lesen. Sein Gefährte war beinahe krank vor Sorge um Hinata, deren Schutz seine Aufgabe war. Auf einen Außenstehenden musste Neji wie die Ruhe selbst wirken, doch in ihm tobte es, das wusste Kiba. Auch er selbst war höchst unruhig, sodass sich sogar Akamaru ständig dicht bei ihm aufhielt. Sonst tobte der riesige Hund meist in einiger Entfernung von ihm durchs Dickicht, aber jetzt schien der Drang seinen Herren zu schützen übermächtig geworden zu sein.
 

Als sie schließlich den Waldrand erreichten und zu ihrem noch größeren Erstaunen eine gepflasterte Straße vorfanden, die in ein Dorf führte, waren Kibas Sinne aufs höchste geschärft. Das, was sich da vor ihren Augen ausbreitete, konnte es einfach nicht geben. Im Krieg war keine Zeit Straßen zu pflastern, es wurden Wehranlagen, Mauern und Verteidigungsgräben errichtet, für die es dringendere Verwendung gab. Wer würde sich in diesen Zeiten schon auf die Straße wagen und dem Feind auch noch den roten Teppich auszurollen? Nein, es war einfach nicht möglich. Und doch … Und doch war es da.
 

Der kleine Ort war geradezu friedlich. Die Häuser waren in einem beeindruckend guten Zustand und malerisch aneinander gereiht. Sie waren mit Reet abgedeckt und oft entdeckte Kiba im Fachwerk kunstvolle Verzierungen, die von Alter, Bewohnern oder Göttern kündeten. Die Häuser waren kreisförmig um den Dorfplatz gruppiert, die Straßen gepflegt und von Kindergeschrei erfüllt. Auch die Menschen waren wohlgenährt und schienen nicht in Furcht vor den Totenkriegen zu leben – im Gegenteil. Kiba konnte die Lebensfreude dieser Leute beinahe riechen, als sie höflich grüßend an ihm und Neji vorbei gingen, nachdem sie beschlossen hatten das Dorf zu betreten. Das war ein Kinderspiel. Es gab nicht einmal einen Graben, geschweige denn eine Mauer oder ein sonstige Verteidigungsanlagen! Es war ein Anblick, bei dem sich jeder Angreifer freudig die Hände gerieben hätte, und Kiba dazu veranlasste ständig nach dem Dolch an seinem Gürtel zu greifen, wann immer er eine zu schnelle Bewegung hinter sich wahrnahm. Irgendetwas stimmte hier nicht. Oder lag es an ihnen? Denn niemand anderes schien etwas hier seltsam zu finden. Stattdessen stellte er wachsendem Unmut fest, dass er, Neji und Akamaru einige neugierige Blicke auf sich zogen und sich ihr Auftreten ganz entscheidend von den Dorfbewohnern unterschied.
 

Wo Neji und er bis an die Zähne bewaffnet waren, trug von den Dorfbewohnern kein einziger eine Waffe – etwas, das für Kiba und jeden, den er kannte, völlig undenkbar war. Musste man doch ständig damit rechnen jederzeit angegriffen zu werden! Doch statt vorsichtig und misstrauisch zu sein, spielte sich vor seinen Augen ein buntes Treiben ab. Selbst die Stoffe der Kleidung vieler Menschen, die ihnen entgegenkamen, waren von besserer Qualität, als sich mancher Lord leisten konnte. Kiba war damit aufgewachsen, dass Gegenden, in denen Orochimaru seine Untoten hatte wüten lassen, trostlos und verdorrt waren und die Überlebenden vor sich hinvegetierten und in Lumpen gekleidet waren. Doch hier – ausgerechnet in der Nähe der Schlangenfeste! – sah er das genaue Gegenteil! Nur waren sie nicht mehr dort, wo sie sich befinden sollten, nicht mehr in der Nähe der so gefürchteten Feste…
 

Und über allem erhob sich eine gewaltige Burganlage. Es war eine alte Anlage, soweit er das beurteilen konnte. Die Mauern waren zwar dick, aber an einer Seite halb eingestürzt und nicht mehr repariert worden. Der Bergfried – eigentlich das letzte Bollwerk der Verteidiger – sah mitgenommen und baufällig aus. Es gab keine Patrouillen auf den Wehrgängen und auch das Banner – eine goldene Ähre auf grünem Feld – war ihm völlig unbekannt. Dabei kannte er sich in der Heraldik der vielen Fürstentümern sonst recht gut aus. Die Burg mochte einmal eine ernst zu nehmende Verteidigungsanlage gewesen sein, aber jetzt zeugte kaum noch etwas von ihrer einstigen Erhabenheit. Dabei war sie günstig auf einer Anhöhe einige hundert Meter entfernt errichtet worden, sodass ein möglicher Feind keine Gelegenheit hatte, aus dem Verborgenen anzugreifen. Diese offensichtliche, halbe Ruine beunruhigte und faszinierte ihn zugleich. Ihr Verfall war in seinen Augen zwar eine Schande, aber es bedeutete auch, dass der Burgherr jahrelang keine Notwendigkeit gesehen hatte sie wieder in Schuss zu bringen oder … dass es einfach keine Feinde gab, die angreifen konnten. War der Krieg hier einfach vorbei gezogen? Aber das konnte doch nicht sein… das Zwielichgebirge war von hier zu sehen und so weit war die Feste nicht weg und die Untoten, denen sie begegnet waren, und…
 

Doch jetzt hatte Kiba Wichtigeres zu tun, als sich über solcherlei Dinge Gedanken zu machen. Neji und er brauchten dringend Vorräte und sie mussten unbedingt einen Schmied aufsuchen, da seine Stute Tausendschön im Wald ein Hufeisen verloren hatte.
 

Sie kamen an einer Bäckerei vorbei, aus der es herrlich duftete, betraten sie aber nicht, weil bereits eine ganze Menschenabsammlung davor wartete. Neji und er verschmolzen mit der Menge, die sich durch die Straßen schob, und näherten sich dem Marktplatz, auf dem allerlei Händler ihre Waren feilboten. Akamaru hatte mittlerweile die Ohren angelegt und beobachtete aufmerksam alles um sie herum und auch Neji war höchst konzentriert. Sie hielten bei einem Stand, an dem es geräuchertes Fleisch zu kaufen gab.
 

„Ich nehme drei Stück Schinken“, erklärte Kiba dem Händler, einem grobschlächtigen Mann, der noch die Metzgerschürze trug, bestimmt. „Zwei für uns und einen für meinen Gefährten.“ „Das macht dann drei Ari und zwölf Rasu“, knurrte der Händler mit einer tiefen Bassstimme. Ari? Rasu? Er verstand die Welt nicht mehr, von einer solchen Währung hatte er noch nie gehört. Irritiert kramte er zwei Goldmünzen aus seiner Tasche und reichte sie dem Händler, der nun wiederum ihn verwirrt beäugte. Doch dann nahm der Mann die Münze in Augenschein, betrachtete sie von allen Seiten und biss zur Vorsicht sogar darauf, um ihren Wert zu prüfen. Schließlich hellte sich seine Miene auf und er legte noch drei weitere Schinken und zwei geräucherte Forellen auf den Tisch vor ihm, ehe er sie einschlug und Kiba reichte. „Sind zwar keine Tiari, aber Gold ist Gold“, brummte der Metzger. Tiari? Nun war der Jäger ernsthaft verwirrt. Waren sie im Ausland gelandet, oder hatten die Menschen in diesem Dorf ihre eigene Währung? Möglich wäre es, da die Fürsten oft ihre eigenen Münzen prägten. Doch von Tiari, Ari oder Rasu hatte Kiba noch nie gehört.
 

Neji schien einen ähnlichen Gedanken gehabt zu haben, denn er beugte sich vor und fragte höflich: „Entschuldige, Herr, aber wo sind wir hier überhaupt?“ Der Metzger, der, seitdem er ihre Münzen eingesteckt hatte, deutlich freundlicher wirkte, runzelte die Stirn. „Ihr seid wohl nicht von hier, was?“ „Wir sind auf der Durchreise“, beeilte sich Neji zu sagen. „Nun, ihr seid in Etris. Unser Dorf ist nicht besonders groß, aber wir sind wohlhabender als die meisten und wir halten einmal die Woche Markt. Darum sind heute so viele Leute da.“ Mit einer groben Handbewegung schloss er das Treiben um sie herum ein. „Es kommen Händler aus dem Umland und manche pilgern zu der alten Burganlage. Kann beim besten Willen nicht verstehen, was daran so interessant sein soll.“ Er warf besagtem Gebäude einen skeptischen Blick zu. „Sie ist ganz schön verfallen“, stimmte Kiba ihm zu. „Ach, das ist schon seit Jahrzehnten so und ich glaube auch nicht, dass Graf Darui sie demnächst ausbessern wird.“ „Dann sehe ich keinen Grund mich mit ihrer Geschichte aufzuhalten“, erwiderte Kiba. Der Metzger lachte dröhnend. „Ein Mann nach meinem Geschmack! Ich sage es ja immer wieder: Seit es die Universitäten gibt, vergessen die Leute, was gute Handarbeit ausmacht!“
 

Universitäten? Was bei allen Göttern waren Universitäten? Kaum hatten sie das Problem mit der Währung umschifft, konfrontierte der Metzger sie mit dem nächsten Rätsel. Kiba knurrte ungehalten. Irgendetwas stimmte hier vorne und hinten nicht!
 

„Könntet Ihr uns vielleicht sagen, wo wir einen Schmied finden?“, warf Neji ein, ehe der Mann in seinem Monolog fortfahren konnte und noch mehr Aufmerksamkeit auf sie lenkte. „Gleich die nächste Straße hinunter. Orith ist der Beste!“ Sie bedankten sich höflich, schnürten die Lebensmittel auf den Packesel, und machten sich auf den Weg.
 

Der Schmied hatte seine Werkstatt ein wenig abseits des Trubels. Den Eingang bildete ein gusseiserner verschnörkelter Bogen, der in einen niedrigen Raum mit drei gewaltigen Brennöfen führte und gleichzeitig das handwerkliche Geschick des Besitzers präsentierte. Kaum, dass sie eingetreten waren, spürte Kiba, wie die Hitze ihm die feinen Härchen auf den Unterarmen versengte. Akamaru winselte und wartete am Eingang.
 

In der Schmiede waren drei Männer bei der Arbeit, die rhythmisch auf das Metall einschlugen. Der ganze Raum war von Lärm und einem steckenden Geruch nach Rauch und Feuer erfüllt Bei den Arbeitenden handelte es sich um zwei junge Burschen und einen Mann mit dichtem, schwarzen Bart, muskelbepackten Oberarmen und einem beachtlichen Schmerbauch. Er bemerkte sie als Erster, als er gerade mit dem Hammer zu einem Schlag auf noch unförmiges Metall ansetzen wollte.
 

„Wir suchen den Schmied Orith“, erklärte Neji höflich, als er sich seiner Aufmerksamkeit sicher war. „Wir möchten ihn um eine seiner Arbeiten bitten.“ „Ihr habt ihn gefunden“, sagte der Mann, der eben noch das Eisen in Form geschlagen hatte und nun den Hammer sinken ließ. „Womit kann ich dienen?“ „Mein Pferd hat auf unserer Reise ein Hufeisen verloren“, ergriff Kiba das Wort. „Ich möchte, dass du dir die Sache einmal ansiehst, Orith-san.“ Orith runzelte kurz die Stirn, warf dann aber seinen Hammer in einen Eimer, der mit Wasser gefüllt war, wo er zischend unterging, so dass nur noch der hölzerne Stiel zu sehen war.
 

„Von mir aus“, erklärte Orith, „zeigt mir das Tier.“ Dann wandte er sich an seine Gehilfen: „Und ihr sorgt dafür, dass ihr diesmal vernünftige Pfeilspitzen zustande bringt. Ich will Graf Darui nicht erklären müssen, dass nicht seine Männer aus der Übung gekommen sind, sondern, dass es sich um schlampige Arbeit handelt.“ „Jawohl, Meister“, antwortete einer der beiden reumütig. Als sie gefolgt von Orith auf die Straße getreten waren, schüttelte dieser den Kopf. „Nicht einfach heutzutage vernünftige Gesellen zu finden. Zu meiner Zeit haben die jungen Burschen sich noch drum gerissen, aber jetzt muss ich schon froh sein, wenigstens solche Stümper zu bekommen – und genug Arbeit gibt es auch nicht.“ Kiba runzelte die Stirn. Das war merkwürdig. Im Krieg wurden immer Schmiede gebraucht, da konnte sich ein Schmiedemeister eigentlich nicht über mangelnde Bewerber beschweren, die bei ihm in die Lehre gehen wollten, geschweige denn über mangelnde Aufträge. Die Schmiedekunst war hoch angesehen und überlebensnotwendig, doch anscheinend mussten sie auch das hier in Frage stellen.
 

Ihre Pferde hatten sie einige Meter entfernt an der Hauswand angebunden. Akamaru war zu ihnen zurück getrottet und hatte sich auf dem Boden nieder gelassen. Als sie näher kamen, spitzte er die Ohren und als er seinen Herrn entdeckte, stieß er ein freudiges Bellen aus. Kiba tätschelte ihm die Seite, als sein treuer Gefährte ihm spielerhaft den Kopf gegen das Bein stieß. Im Gegensatz zu den meisten Menschen ließ sich Orith von Akamarus Größe nicht einschüchtern. Fachmännisch betrachtete er bereits die Pferde und hatte nach wenigen Augenblicken bereits gemerkt, an welchem Huf Tausendschön ein Hufeisen verloren hatte.
 

Die braunweiß gescheckte Stute scharrte nervös mit dem Vorderhuf und verrenkte sich den Hals, um den Schmied im Auge zu behalten, der bereits ihren rechten Hinterhuf inspizierte. Nachdem er damit fertig war, untersuchte er auch noch ihre anderen Hufe. Zu Kibas Überraschung waren auch die anderen Hufeisen schon recht abgenutzt. Sanft tätschelte er Tausendschön die Flanke und flüsterte ihr eine Entschuldigung zu. Die Scheckstute stupste ihn daraufhin mit ihren weichen Nüstern an.
 

„Es hilft nichts“, sagte Orith, der sich gerade wieder aufgerichtet hatte. „Ich muss alle Hufe neu beschlagen. Diese Eisen sind nicht für unsere Straßen geeignet. Hat diese da die gleichen Hufeisen?“ Er deutete auf Nejis Schimmelstute Winterwind. Neji bestätigte es. „Beschlagt beide“, forderte Kiba ihn auf. „Wie lange wird es dauern?“ Orith zuckte mit den Schultern. „Bis zum Nachmittag vielleicht. Die Pferde könnt ihr bis dahin im Stall bei mir nebenan unterstellen.“ Kiba warf ihm eine Münze zu. „Wir kommen in zwei Stunden wieder. Bis dahin sollte die Arbeit erledigt sein.“ Orith fing das Gold geschickt aus der Luft und seine Augen weiteten sich vor Überraschung, als er dessen Echtheit erkannte. „Zwei Stunden, sehr wohl mein Herr.“
 

Die Zwischenzeit nutzten Neji und er dazu, sich weitere Vorräte zu beschaffen. Bei jedem Geschäft wiederholte sich das Schauspiel mit den Münzen und langsam machte es Kiba nervös. Doch andere Zahlungsmittel besaßen sie nicht und so wurde jede Alternative bereits im Keim erstickt. Die Hauptsache war, dass sie überhaupt Lebensmittel kaufen konnten. Bald schon ächzte der Packesel, den sie zu diesem Zweck mitgenommen hatten, unter dem stetig ansteigenden Gewicht. Neben Brot, das sie in der gleichen Bäckerei erstanden, an der sie auf dem Hinweg vorbei gekommen waren, kauften sie Obst, Gewürze, Tinkturen, Salben und neues Verbandszeug. Unter den vielen Läden und Ständen, an denen sie vorbei kamen, befand sich auch ein Stand, an dem eine Alte Amulette und Schutzzauber verkaufte. Neji, der sich mit solcherlei Dingen, besser auskannte, trat interessiert näher. Doch nichts erweckte seine Aufmerksamkeit und er entschuldigte sich höflich bei der Frau, die bereits versuchte hatte, ihm jedes zweite Ausstellungsstück anzudrehen.
 

„Das war nichts weiter als fauler Zauber“, erklärte Neji ihm, als sie außer Hörweite waren, „nicht eins von den Dinger ist auch nur im Entferntesten magisch.“ „Merkwürdig“, erwiderte Kiba, „man sollte meinen, dass wenigstens ein Fünkchen Macht drin steckt.“ Neji schnaubte verächtlich. „Das sind nichts weiter als Glücksbringer und ein paar nette Souvenirs.“

Eine Viertelstunde später standen sie erneut vor Oriths Schmiede. Orith selbst schien sie bereits zu erwarten. „Willkommen zurück!“, begrüßte er sie, „ich bin gerade fertig geworden.“ Er führte sie zu einem Unterstand, an dem Tausendschön und Winterwind angebunden waren und sich am Hafer gütlich taten. „Schöne Pferde habt Ihr da“, bemerkte Orith, „ vielleicht etwas klein, aber sehr gutmütig. Wenn meine Frau es erlauben würde, würde ich sie Euch glatt abkaufen und auf Pferdezucht umsatteln.“ Er lachte über seinen eigenen Scherz und hob dann einen Hinterhuf von Tausendschön an, sodass seine Kunden die Arbeit betrachten konnten. Orith hatte den Huf sorgfältig gesäubert und gekonnt die Hufe beschlagen. Es lag noch der Geruch von verbranntem Horn in der Luft, aber es war eine gute Arbeit.
 

„Wie viel bekommst du für die Arbeit, Orith-san?“, erkundigte sich Kiba. Der Schmied wischte sich die verrußten Hände an seiner Lederschürze ab und leckte sich dann über die Unterlippe. „Fünf Tiari für jedes Pferd“, verlangte er. Neji, der Winterwinds Vorderhuf betastete, ließ es sinken und Kiba konnte sein Misstrauen beinahe spüren. Auch er selbst hatte so seine Zweifel aufgrund des Preises. Dummerweise hatten sie auch in den vergangenen zwei Stunden noch nicht herausgefunden, in welchem Verhältnis die Währung zu ihren eigenen Münzen stand. Trotzdem war hier ganz eindeutig etwas faul.
 

„Wollt Ihr sie ausnehmen, Meister Schmied?“, mischte sich da plötzlich eine weitere Stimme ein. „Das ganze Eisen ist nicht mal zwei Ari wert.“ Orith fuhr herum und raunzte den Neuankömmling wütend an: „Haltet Euch aus anderer Leute Geschäfte heraus, Strauchdieb!“ Kiba entdeckte denjenigen, der sich eingemischt hatte, am Eingang, wo er mit verschränkten Armen am schmiedeeisernen Tor lehnte. „Mir ist das egal, aber ich wollte die beiden wenigstens vor absolutem Wucher bewahren, das bin ich ihnen schuldig.“ Über Shikamarus Gesicht huschte ein leichtes Grinsen, als er den Blick auf Neji und Kiba richtete. „So schnell trifft man sich wieder.“
 

Nachdem sie sich mit Orith auf einen annehmbaren Preis geeinigt hatten – sieben ihrer Silbermünzen, was ein hervorragender Preis war – schlossen sie sich Shikamaru an, der auf sie gewartet hatte. „Nun sind wir dir wahrlich einen Krug Wein schuldig“, gab Kiba zu, „ich hatte schon die ganze Zeit das Gefühl, dass hier der Kurs nicht stimmt.“ Shikamaru zuckte mit den Achseln und erklärte dann: „Eine Tiargoldmünze sind zehn Ari.“ Zur Erklärung kramte er ein paar Münzen aus der Tasche und zeigte ihnen eine Silbermünze, die Kiba noch nie gesehen hatte. „Die bronzenen sind Rasu“, informierte sie Shikamaru weiter. „Zehn Rasi ergeben eine Arosilbermünze.“ Auch die Bronzemünzen hatte Kiba noch nie gesehen und reichte nun seinerseits Shikamaru zum Vergleich eine ihrer Goldmünzen, mit denen sie bisher bezahlt hatten. Shikamaru inspizierte sie, hielt sie gegen das Licht und gab sie ihm dann zurück. „Sagt mir nicht, dass Ihr damit bezahlt habt. So eine ist zehnmal so viel wert wie ein Tiar. Tiari sind nur noch mit Gold überzogen und Eure ist massiv und damit ein halbes Vermögen wert. Für Antiquitätensammler sogar weit mehr, wenn ich mich nicht täusche.“
 

Das befremdliche Gefühl in seinem Magen verstärkte sich. Sie waren die ganze Zeit über den Tisch gezogen worden! Deswegen waren die Händler auch so überrascht gewesen, als Neji und er mit purem Gold bezahlt hatten! Deswegen hatte der Metzger noch ein paar mehr Schinken eingepackt und trotzdem noch ein hervorragendes Geschäft gemacht. Orith musste Lunte gerochen haben, nachdem er ihm eine Goldmünze als Vorschuss gegeben hatte! Kiba knurrte wütend. So etwas zu bemerken war seine Aufgabe. Neji mochte zwar ein Genie sein und hervorragend mit seiner Blindheit umgehen, aber er war nun mal nicht in der Lage zu sehen, um was für eine Art Münzen es sich handelte! Sein Gefährte hätte höchstens bei deren Gewicht misstrauisch werden können.

„Was machst du eigentlich hier, Shikamaru-san?“, wechselte Neji das Thema. „Ich habe nicht angenommen, dass das Schicksal uns so schnell wieder zusammen führt.“ „Reiner Zufall“, erwiderte Shikamaru. „Um ehrlich zu sein, bin ich ganz froh euch begegnet zu sein. Suigetsu und Kankuro treiben mich in den Wahnsinn.“ Er seufzte tief. Mittlerweile waren sie ein ganzes Stück vorangekommen und befanden sie beinahe wieder am Marktplatz. Das Gedränge hatte ein wenig abgenommen und machte das Durchkommen leichter.
 

„Shikamaru!“ Eine Frauenstimme erregte ihre Aufmerksamkeit. Als Kiba sich umdrehte, sah er, wie Tenten ihnen zuwinkte und dann verdutzt inne hielt. Offenbar steckten ihr die Schrecken des Untotenangriffs noch immer in den Knochen und seit Neji sie gerettet hatte, betrachtete sie ihn und seinen Gefährten mit einer Art neu erwachtem Respekt. Sie wirkte eigenartig nervös und schien geradezu erleichtert Shikamaru wiederzusehen. Wenn er nicht gewusst hätte, dass sie die junge Frau vor sich hatten, der sie im Wald begegnet waren, hätte Kiba sie glatt nicht wieder erkannt. Tenten hatte ihre Hose gegen ein kastanienbraunes Leinenkleid getauscht und trug ihre Haare offen. Es war ein Unterschied wie Tag und Nacht. Amüsiert beobachtete er, dass sie sich in ihrer neuen Kleidung offenbar nicht halb so wohl fühlte, wie in Bluse und Leinenhose.
 

„Hallo, Tenten-san“, begrüßte sie Neji höflich, während Kiba ihr nur grüßend zunickte. „Wir haben Shikamaru-san zufällig getroffen und sind ihm nun einen Krug Wein schuldig. Ich denke, das Angebot schließt auch dich und eure anderen Gefährten ein.“ Tenten sah Shikamaru fragend an, aber der gähnte nur und blickte sich gelangweilt um. „Das ist sehr freundlich“, erklärte die junge Frau verdutzt, „aber zuerst müssen wir etwas Wichtiges erledigen.“ „Wo sind Kankuro und Suigetsu?“, warf Shikamaru unerwartet dazwischen. „Sie wollten sich den Stand da drüben mit dem Pfeifenkraut ansehen“, sagte Tenten. „Und ich muss auf das Gepäck aufpassen.“ Sie klang wütend und warf einen zornigen Blick zu besagten Stand. Dort beugten sich Suigetsu, dessen Gürtel mittlerweile wieder mit einem Sammelsurium an Messern gefüllt war, und der stämmige Kankuro über einen Sack mit Kräutern und schienen heftig am Debattieren zu sein. Doch Kiba konnte nichts verstehen, da am Stand nebenan ein Händler lautstark seine eher minderwertigen Töpferwaren zu verkaufen versuchte.
 

Tenten beugte sich zu Shikamaru vor und flüsterte ihm ins Ohr: „Hast du eine Audienz bei Graf Darui bekommen?“ Dieser nickte kaum merklich. Tenten hatte sich sichtbar bemüht leise zu sprechen, aber Kibas übermenschlich scharfen Ohren entging es dennoch nicht und er war ebenso sicher, dass auch Neji der Unterhaltung mühelos folgen konnte. Graf Darui? Das war doch der Burgherr, wenn ihn nicht alles täuschte. Er warf einen Blick Richtung Burgruine und betrachtete misstrauisch ihre unerwarteten Reisegefährten. Reisende … so, so. Nur, dass normale Reisende todsicher keine Audienz bei einem Burgherren bekamen. Die Sache wurde immer mysteriöser.

„Wir könnten euch zum Abendessen treffen“, schlug Tenten unsicher vor, nachdem sie einen Blick mit Shikamaru getauscht hatte. „In Ordnung“, sagte Neji, „ihr wisst nicht zufällig, wo man hier eine vernünftige Herberge findet, die nicht überteuert-“ Er hielt mitten im Satz inne, erstarrte und fuhr herum. In höchster Konzentration verharrte er und hatte eine Hand schon am Schwertgriff seiner eleganten Klinge. „Neji?“, hakte Kiba nach, griff seinerseits nach seinem Bogen und einem Pfeil und machte sich bereit zum Kampf oder zur Flucht – was auch immer sich anbieten würde.
 

„Verdammt!“, fluchte Neji, „ich habe sie nicht bemerkt! Hier sind einfach zu viele Menschen!“ „Was ist los!“, rief Tenten panisch, während sich bereits eine Ahnung auf ihrem Gesicht abzeichnete. „Wir werden angriffen!“, rief Neji überflüssiger Weise, da in diesem Moment eine gewaltige Anzahl Soldaten aus dem Wald strömte, die mit wilden Schlachtrufen auf das Dorf zu rannten. Von einem auf den anderen Moment brach auf den Straßen Panik aus. Keiner der Dorfbewohner schien zu wissen, was zu tun war. „Suigetsu! Kankuro!“ Kiba hörte, wie Shikamaru nach seinen Gefährten rief. In der Zwischenzeit hatte er sich auf Tausendschöns Rücken geschwungen und auch Neji war aufgesessen. „Wir müssen hier weg, Kiba!“, brüllte Neji über den Lärm hinweg. „Das sind mehrere Hundert!“
 

Der rettende Gedanke kam ihm binnen eines Augenblicks. „In die Burg!“ Kiba wendete sein Pferd und fixierte die Ruine. Es war eine törichte Hoffnung, schließlich konnten sie nicht hoffen, in dieser Ruine den Ansturm zu überstehen, der ihnen mit Sicherheit bevorstand. Aber fürs Erste würde es genügen. Außerdem hatten sie kaum eine Wahl. „In die Burg!“, brüllte er erneut und diesmal schien sein Ruf irgendwie die Menschen zu erreichen. Da sie nahe am Marktplatz waren, auf dem sich noch immer viele Menschen aufhielten, hatten manche ihn aufgeschnappt und wiederholten ihn, als klammerten auch sie sich an diese vage Hoffnung. Um sie herum begannen die Menschen zu rennen und fixierten einzig und allein die Burg.
 

Bevor er Tausendschön die Sporen gab, entdeckte Kiba, dass Shikamaru und Tenten sich zu ihren Gefährten durchzukämpfen versuchten, was ein so sinnloses Unterfangen war, das sie lediglich riskierten von der panischen Menge überrannt zu werden. Kiba packte Shikamaru am Arm, zog ihn vor sich aufs Pferd und galoppierte dann durch die Straßen, während Akamaru neben ihnen hersprang und die Leute laut bellend vor sich her trieb. In der einen Hand hielt er die Zügel, in der anderen führte er den Packesel, der all ihre Waffen und Vorräte trug. Aus den Augenwinkeln erkannte er, dass Neji die gleiche Idee gehabt hatte und ihm mit Tenten, die vor ihm auf dem Pferderücken saß und sogar noch ein Gepäckstück gerettet hatte, dichtauf folgte.

„Kankuro und Suigetsu“, keuchte Shikamaru, der sich mühsam festhielt. „Die nehmen eine andere Route!“, rief Neji ihm zu, „sie sind auf zwei anderen Pferden über den Marktplatz geritten!“ Das war gut. Es bedeutete, dass die beiden den leichteren Weg hatten und vermutlich vor ihnen bei der Burg ankommen würden. Denn dummerweise verhinderten die vielen Leute um sie herum, dass sie wirklich schnell vorankamen. Selbst wenn er sie einfach niedergeritten hätte, hätte ihm das nicht viel Vorteil gebracht. Außerdem war auch der Esel nicht sonderlich schnell.
 

Geschickt lenkte Kiba Tausendschön durch die engen Gassen und endlich kamen sie am Dorfrand an, was bedeutete, dass nur noch freies Feld zwischen ihnen und der Rettung lag. Doch im Nacken spürte er bereits, wie die Angreifer den Abstand verkürzten. Längst hatten sie die Häuser erreicht und mähten nun mit Leichtigkeit die Leute nieder, die versuchten, sich ihnen entgegenzustellen. Da der Großteil der Dorfbewohner durch die Straßen aus der Stadt und dann auf die Burg zu floh, waren es jedoch nicht viele und die Angreifer nahmen die Verfolgung rasch wieder auf. Shikamaru hatte es auch bemerkt und war aschfahl geworden. „Sieh nach vorne!“, fauchte Kiba ihn an. Hinter ihnen schoss eine blaue Flammenfontäne in die Höhe, steckte die angrenzenden Häuser in Brand, die aufgrund des trockenen Reetdaches sofort lichterloh in Flammen aufgingen, und verschaffte ihnen genug Zeit die ersten fünfhundert Meter hinter sich und ihre Verfolger zu bringen. Kiba konnte nur erahnen, dass Neji einen von Hinatas praktischen Feuerzweigen eingesetzt hatte.
 

Er biss die Zähne zusammen und spornte Tausendschön noch weiter an. Sie waren nur noch etwa eine Meile von der Burg entfernt, aber erst jetzt begannen die Schwierigkeiten. Die Anhöhe, auf der die Burg errichtet war, kostete sie wertvolle Zeit, in der ihre Verfolger gefährlich näher kamen. Wenn sie eingeholt wurden, hatten sie schlechte Karten, denn weder Neji noch er konnten gleichzeitig reiten, Tenten und Shikamaru vor einem Sturz bewahren – und kämpfen. Vor ihnen strömten die Dorfbewohner in die Burg und zu seiner grenzenlosen Erleichterung schien der Graf ein Einsehen gehabt zu haben, denn die alten Tore standen offen, um die Flüchtenden aufzunehmen. Kiba wollte Neji etwas zurufen, aber es ging im Lärm unter. Das Schlachtengebrüll, vermischt mit den panischen Schreien der Dorfbewohner, die nicht schnell genug waren, und dem Klang der Alarmglocken oben in der Burg, machte jede Verständigung unmöglich.
 

Plötzlich begann Akamaru wie verrückt zu bellen und schlug einen Haken nach rechts. Ohne nachzudenken folgte Kiba ihm und keine Sekunde später riss der Boden in einer gewaltigen Druckwelle auf und Erdklumpen durch die Luft geschleudert. Einen Dorfbewohner zerriss es noch im Laufen. Und nicht nur das: die feindliche Armee hatte das Dorf fürs erste hinter sich gelassen und hatte nun die Langsamen, Kranken und Alten eingeholt, die brutal niedergemetzelt wurden. „Bei allen Göttern“, hörte er Shikamaru hinter sich murmeln. Er selbst folgte fluchend Akamaru. Dessen Instinkt hatte ihm wie hunderte Male davor das Leben gerettet und er wusste nur allzu genau wovor. Die Luft knisterte vor Magie. Der Feind hatte einen verfluchten Magier! Und offensichtlich verstand der sein Handwerk!
 

Kiba fixierte das Tor, das nur noch zweihundert Meter entfernt war. Um ihn herum ließ der Magier ein ganzes Feuerwerk an Explosionszaubern los, denen er nur durch Tausendschöns Wendigkeit und Akamarus Instinkte ausweichen konnte. Einhundert Meter. Kiba fletschte die Zähne, als er das letzte Stück hinter sich brachte. Fünfzig Meter. Zehn. Er galoppierte durch das Tor in den Burghof, in dem sich schon eine große Menschenmenge versammelt hatte. Obwohl er etwas außer Atem war, brachte er Tausendschön in einer eleganten Kurve zum Stehen. Der Esel schnaubte nervös. Shikamaru sah so aus, als müsse er sich gleich übergeben, doch darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Sein erster Gedanke galt Akamaru, den er zu seiner Erleichterung nur fünf Meter entfernt entdeckte. Als nächstes suchte er nach Neji, doch der war nicht zu sehen.
 

„Shikamaru!“ Kankuro kämpfte sich durch die Menge und half seinem Freund vom Rücken der Stute, wobei sich dieser eher unbeholfen fallen ließ. „Wo ist Tenten?“ Die Angst in seiner Stimme war beinahe greifbar, doch Kiba hatte gerade andere Sorgen. Akamarus Bellen lenkte seine Aufmerksamkeit auf genau das, was er suchte. Blitzartig durchzuckte ihn ein Gefühl, das kaum mehr als ein Sinneseindruck war. Dann sah er Neji, der in vollem Galopp fast am Tor war, jedoch von drei Angreifern zu Pferde verfolgt wurde. Was hatte ihn aufgehalten, dass er so weit hinten war?! Tenten, die einer Panik nahe war, klammerte sich hilfesuchend an ihn. Neji selbst hatte eine harte Miene aufgesetzt und trieb sein Pferd zu Höchstleistungen an. Er wusste, dass seine einzige Rettung die Burg war, da selbst er nicht in der Lage war in einer solchen Position zu kämpfen. Aber seine Verfolger waren ebenso schnell und drohten ihm den Weg abzuschneiden. Doch das war nicht das Hauptproblem: da sich fast alle Flüchtlinge innerhalb der sicheren Mauern befanden, wurde das Tor bereits wieder geschossen. Falls Neji es nicht schaffte rechtzeitig herein zu kommen, würde er sich allein einer Übermacht entgegen sehen, gegen die er auch unter besten Bedingungen nichts ausrichten könnte.
 

Ohne zu zögern löste Kiba den kurzen, geschwungenen Bogen, den er auf dem Rücken trug, und legte einen Pfeil ein. Neji war mittlerweile der Schweiß ausgebrochen und auch Tenten stand die nackte Angst im Gesicht. „Neji!“, brüllte er seinem Gefährten zu. Dieser reagierte instinktiv und duckte sich unter seinem Pfeil hinweg, der einen der feindlichen Soldaten traf und ihn vom Pferd stürzen ließ. Kiba schoss einen zweiten Pfeil ab und erwischte den Verfolger, der Neji am nächsten war. Endlich hatte dieser freie Bahn, hängte den letzten Verfolger ab und die Schimmelstute preschte in einer letzten Anstrengung durch den kleinen Spalt des Tores in die Burg. Das Tor schloss sich dröhnend hinter ihr.

Chapter 8 ~ Brace up, defend

Die Panik, die schon in Hysterie überging, hing so greifbar in der Luft, dass Neji sie wortwörtlich riechen konnte. Der Gestank von Angst, Schweiß und Blut erfüllte seine Nase und das Schreien und Weinen um ihn herum war so laut, dass er kaum ein Wort verstand. Menschen rannten in Panik über den weitläufigen Burghof und Männer versuchten, sich über all den Lärm hinweg Gehör zu verschaffen. Das Chaos war so groß, dass Neji den Überblick verlor, selbst mit seiner besonderen Art der Wahrnehmung. Die Krieger der Hyuga mochten keine aktiven Zauberkräfte haben wie ihre Magier, doch das hieß nicht, dass die Magie selbst nicht stark und kräftig in ihren Adern sang. Sie zeigte sich nur auf eine völlig andere Weise: bei Neji war es die Art, wie er Dinge wahrnahm – ‚sah‘ sozusagen. Es war, als würden ihm die Erde und die Luft selbst erzählen, was um ihn herum geschah und war und sich bewegte. Normalerweise war es nur ein Umkreis von ein paar Hundert Metern, doch wenn er sich konzentrierte, konnte er diesen erweitern.
 

Im Moment versuchte er, Sinn in das Chaos zu bringen, in dem die Burg verschwunden war. Es gab nicht viele Leute, die noch einen klaren Kopf auf den Schultern behielten, doch einige waren da noch: eine Frau, die eine Gruppe Untergebener herumkommandierte, so dass diese die fliehenden Menschen in die Burg selbst leiten konnten. Ein Mann, der Kommandos mit Autorität brüllte und Aufgaben verteilte, die weiter dazu beitrugen, mehr Organisation in das Durcheinander zu bringen. Ein paar Gruppenführer, die versuchten, ihre Soldaten in Reih und Glied zu befördern und die Stelle ausfindig zu machen, an dem ein Angriff der Feinde am wahrscheinlichsten war.
 

Neji hatte sie schnell gefunden: eine Bresche im Burgwall, wo das Mauerwerk nachgegeben und in sich zusammengefallen war. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, die heruntergefallenen, inzwischen mit Moos überwachsenen Steine zu entfernen oder gar die Barrikade zu reparieren. Doch all die Bemühungen, die Ordnung und Ruhe schaffen sollten, waren nur ein paar Tropfen Wasser auf einem heißen Stein. Vor den Mauern der Burg dagegen sammelten sich die Angreifer mit großer Disziplin für einen zweiten Schlag und konzentrieren sich auf die schwache Stelle im Gemäuer, obwohl sie über Steinbrocken und Geröll klettern mussten.
 

Tenten in Nejis Armen zitterte am ganzen Körper und ihre Angst war beinahe greifbar. Ihr Mut war es jedoch auch, denn ansonsten war sie gefasst und blickte sich um, bis sie fand, wen sie suchte. „Da ist Graf Darui!“, rief sie und deutete mit der Hand auf einen entfernt stehenden, stämmigen Mann, der Neji vorher schon aufgefallen war. Er rief noch immer Befehle, aber ihr Effekt war nicht größer als vorher. Neji fragte sich, ob hier noch nie jemand eine Kampfsituation von nahem gesehen hatte. Es verwirrte ihn, denn selbst in den kleinsten Dörfern hatte er gefasstere Reaktionen auf Angriffe erlebt als in dieser Burg und schneller aufgebaute Verteidigungslinien.
 

Kiba neben ihm fluchte lautstark. Shikamaru, der hinter dem Jäger saß, machte Anstalten vom Pferd zu rutschen. „Los! Wir müssen unbedingt Ordnung schaffen und das schnell.“ Wenigstens einer, der einen kühlen Kopf behielt. Doch ehe einer von ihnen noch etwas tun konnte, erschollen vor den Mauern Signalhörner. Niemand brauchte Neji zu sagen, dass dies das Signal zum Angriff war. Den Menschen um ihn herum allerdings auch nicht, denn ihre Angst steigerte sich erneut. Jemand prallte gegen seine Stute, die unruhig schnaubte und den Kopf warf, aber sonst still stehen blieb. Akamaru knurrte, als jemand anderes über ihn stolperte.
 

Die angreifenden Krieger stürmten brüllend auf die Bresche in der Mauer zu, vor der sich inzwischen die meisten der Verteidiger versammelt hatten. Doch trotz allem würden diese nicht lange standhalten – ihre Gruppenführer wirkten eher kopflos und arbeiteten unabsichtlich gegeneinander, es gab keinen Kommandanten und die Reihen musste man eher als Schlangenlinien bezeichnen. Kein Wunder, dass der gegnerische Fürst keine Angst hatte, die Bresche ohne weitere Vorbereitung zu stürmen, trotz des Engpasses, den sie bildete.
 

„Kiba!“, rief Neji über den Lärm hinweg und ließ die verwirrte Tenten aus dem Sattel gleiten. „Kiba, die Bresche!“ Jetzt erst wurde der Jäger auf die klaffende Lücke aufmerksam, in der die ersten Feinde auftauchten, brüllend und entschlossen; die Waffen zum Angriff bereit. Der Jäger fluchte erneut, setzte sich aber in Bewegung. Sie trieben ihre Rösser an, die gehorsam nach vorne liefen, doch die Leute, die kopflos auf dem Hof herumliefen, behinderten sie. Der Lärm hatte noch zugenommen und der Gestank ebenfalls. Neji hielt Winterwind unter Kontrolle, während er sie mit sicherer Hand durch die Menge lenkte, auf seine Gabe vertrauend.
 

Kiba ohne diesen Vorteil blieb zwangsläufig hinter ihm zurück, aber er machte mit Rücksichtslosigkeit beinahe wieder wett, was er einbüßte – seine Stute lief einfach voran, wer ihm in den Weg kam, wurde unnachgiebig zur Seite geschoben, auch wenn sie dabei verletzt wurden. Mit dem Bogen, den er noch immer in der Hand hielt, ließ er ein halbes Dutzend Pfeile fliegen, solange er noch freie Schussbahn hatte. Angreifer wurden getroffen und brachen einfach zusammen, manche wurden noch von ihrem eigenen Schwung nach vorne getragen, andere fielen hinten über. Sie alle gingen einfach unter den Stiefeln der Nachrückenden unter und ließen den Angriff kaum stocken. Dann begegneten ihnen die Verteidiger und das ohrenbetäubende Geräusch von Metall auf Metall mischte sich in den bereits vorhandenen Lärm. Neji griff nach seinem Schwert, während er sein Pferd auf den Kampfplatz zutrieb, mit der anderen Hand angelte er nach dem scharfkantigen Schild, der stolz das Wappen der Hyuga trug. Sollten die Angreifer gewinnen und die Burg einnehmen, wäre alles vorbei, auch für ihn und seinen Gefährten. Das durften sie auf keinen Fall zulassen.

Doch wenn sie die Bresche halten konnten, hatten sie vielleicht eine Chance.
 

Kiba fluchte wieder, als er seine Stute zügeln musste, um sie sicher um eine Gruppe junger Mädchen herum zu lenken, die kreischend und weinend davonrannte. Er fiel noch weiter hinter seinem Gefährten zurück, der jetzt durch die Menge brach. Denn um den Tumult vor der Bresche hatte sich inzwischen eine freie Fläche gebildet, so dass ihnen niemand mehr im Weg stand. Über den Geröllhaufen drangen weitere Gegner in den weiten Hof ein. Neji machte sich auf den Aufprall bereit und hob Akai zum Zuschlagen.
 

Durch eine unverkennbare Vibration in der Luft erkannte er, wie Kiba seinen kurzen Bogen gegen den Reitersäbel austauschte, der stets an seinem Sattel hing. Vor ihnen wurden die Verteidiger zurückgedrängt, die Reihen wankten, brachen… Akamaru preschte in vollem Tempo an Neji vorbei und krachte mit ganzer Wucht gegen die einströmenden Feinde. Er riss zwei oder drei von ihnen einfach um, als wären sie keine ausgewachsenen Männer in schwerer Rüstung. Im nächsten Moment ging er bereits dem nächsten Krieger direkt an die Kehle zu gehen und begrub ihn unter sich.
 

Noch ehe die Angreifer sich auf den neuen Feind einstellen konnten, erreichte Neji den Kampfplatz. Er trieb Winterwind in die Gruppe hinein, darauf achtend, keinen der Verteidiger zu erwischen. Mit Akai hieb er auf seine Gegner herunter, wehrte Schläge von der anderen Seite mit dem Schild ab und brachte den Angriff im Alleingang zum Stocken. Dann erreichte auch Kiba sie, nicht weniger schnell und durchgreifend in seinem Angriff und der geordnete Vorstoß der Feinde brach endgültig zusammen. Stattdessen konzentrierten sich die Angreifer auf die beiden Neuankömmlinge, was es definitiv leichter machte, sie von den Verteidigern zu unterscheiden.
 

Neji ließ sein Pferd sich aufbäumen, um ihnen Freiraum zu verschaffen. Die frisch beschlagenen Hufen trafen Rüstung und Helme mit dumpfen Geräuschen; die Schmerzensschreie der Verwundeten gingen in den erschrockenen Rufen der Angreifer unter, die hastig zurückwichen. Kiba trieb Tausendschön nach vorne und nutzte den Säbel für einen weiteren Angriff. Ihr plötzliches Eingreifen brachte den Kampf um sie herum zum Stocken, was Kiba gnadenlos ausnutzte, um weitere Krieger des Gegners zu fällen. Irgendwo brüllte jemand harte Befehle, die aus einer anderen Richtung gekontert wurden und der Kampf ging mit doppelter Wucht weiter. Neji konzentrierte sich auf den Tumult, um auf keinen Fall den Überblick über Freund und Feind zu verlieren, und nutzte seine Kampfkraft vor allem dafür, die Reihe der eigenen Soldaten zu stabilisieren, während Kiba und Akamaru unberechenbare Gemeinschaftsattacken durchführten. Den Angriff hatten sie jedoch erfolgreich vereitelt, zumindest im Moment. Erleichtert hörte er, wie der feindliche Fürst die Hörner zum Rückzug blasen ließ. Seine Männer reagierten schnell und diszipliniert und machten sofort kehrt; sie schafften es sogar, ihre Verwundeten mitzunehmen. Einen Moment später waren sie alle über die Bresche verschwunden und zogen sich außerhalb regulärer Bogenschussweite zurück.
 

Dort formierten sie sich erneut, doch sie machten keine Anstalten für einen weiteren Angriff. Sie schienen eher abzuwarten. Nur am Rande bekam Neji mit, wie die Menge um ihn herum – außer den Soldaten, die es besser wussten – in Jubel ausbrachen. Wähnten sie sich etwa gerettet vor einer derartig starken Armee, die ganz sicher noch nicht geschlagen war? Neji runzelte die Stirn. Was hatten die Angreifer vor? Denn trotz ihrer scheinbaren Niederlage hatten sie beinahe alle Vorteile auf ihrer Seite – den Überraschungseffekt, besser ausgebildete und ausgerüstete Männer, mehr Kämpfer, mehr Schlagkraft und einen Anführer, der zu wissen schien, was er tat. Das einzige, was zwischen ihnen und dem Sieg stand, waren die maroden Mauern einer verfallenden Burg.
 

„Verdammt.“, entfuhr es Neji leise, als er bemerkte, warum kein dritter Angriff erfolgte. Der fremde Fürst wechselte zu einer Strategie, die weit weniger seiner Männer das Leben kosten würde, als wenn er sie einfach gegen die Mauern werfen würde. „Was ist?“, wollte Kiba wissen, den scharfen Blick fest nach vorn gerichtet, wo er durch die Lücke in der Mauer einen guten Blick auf die feindliche Armee haben musste. Vermutlich suchte er sie nach ausnutzbaren Schwächen ab, schien aber keine zu finden. „Sie nutzen ihren Magier.“ Neji konnte die Energien bereits spüren, die begonnen hatten, in dem Mann zusammenzulaufen, der sich ein gutes Stück entfernt von den Männern aufgestellt hatte. Damit stand er direkt gegenüber dem Tor und Neji hatte keinen Zweifel, dass er es mit seinem Zauber einreißen konnte.
 

Der fremde Magier mochte keinem Vergleich mit Hinata standhalten, seine Macht war aber dennoch groß. Einige Krieger auf Pferden warteten in seiner Nähe: der feindliche Fürst und seine engsten Vertrauten und Helfer. „Sorg dafür, dass hier etwas ähnliches wie eine Verteidigungslinie aufgestellt wird“, wies Neji seinen Gefährten an. Wenn das hier fehlschlug, würde der Fürst es vielleicht noch einmal mit einem normalen Angriff versuchen und die Chancen, dass er Erfolg hatte, standen hoch. Kiba grunzte zustimmend, auch wenn er wegen etwas beunruhigt wirkte. Doch sie hatten beide keine Zeit, sich darum zu kümmern, also runzelte Neji nur die Stirn und zog Winterwind herum. Hinter sich konnte er hören, wie Kiba die Gruppenführer anraunzte. Der Jäger war vielleicht nicht sonderlich höflich, aber ganz sicher effektiv. Allerdings schienen die Anführer der Soldaten etwas dagegen zu haben, dass jemand ihnen einfach so die Zügel aus der Hand nahm.
 

Neji ignorierte den Tumult hinter sich und konzentrierte sich auf Shikamaru, Tenten und den stämmigen Mann, der bei ihnen stand: Graf Darui, wie Tenten vorher gesagt hatte. Diesmal machte man ihm Platz, als er Winterwind zu ihnen hinüberlenkte, wo sie sich im Schatten des Tores zu einer Gruppe eingefunden hatten „Wo bleibt dein Kampfmagier?“, unterbrach er den Burgherrn dabei, die Leute um sich herum erfolglos zur Ordnung zu rufen. Wenigstens hatte auch er gesehen, wie prekär ihre Lage noch immer war, auch wenn er nicht sehr gut darin war, sich auf den nächsten Schritt vorzubereiten. Vermutlich konnten sie sich alle glücklich schätzen, dass Kiba die Organisation der Verteidigung übernommen hatte.
 

Neji sprang aus dem Sattel um besser mit den Leuten reden zu können. „Wer…?“, begann der Graf, doch seine Stimme klang weniger entrüstet als verwirrt. „Neji…“, sagte Tenten gleichzeitig, während Shikamaru ihn nur intensiv anstarrte. Doch er kümmerte sich nicht um sie.
 

„Dein Kampfmagier, Lord!“, herrschte er den Grafen an, doch der schüttelte den Kopf. „Ich habe keinen Magier.“ Neji erstarrte und sein ungläubiger Gesichtsausdruck musste alles sagen. „Wo soll ich jetzt bitte einen Magier herkriegen?“, wollte Darui wissen. „Die meisten ziehen die großen Städte kleinen Provinzburgen wie dieser vor und ich habe noch nie einen benötigt!“ Neji fühlte, wie ihm alles Blut aus dem Gesicht wich. „Da draußen steht ein Zauberer“, erklärte er mit beherrschter Stimme und wies grob in die entsprechende Richtung, „der sich gerade darauf vorberietet, das Loch in deiner Mauer noch etwas zu vergrößern. Und du sagst mir, dass du keinen Magier hast?!“ „Woher wollt Ihr das wissen?“, erkundigte sich Tenten, die auf ihren Füßen etwas wankte. Shikamaru fuhr sich durch das Haar und wirkte, als würde er nachgrübeln.
 

Der fremde Zauberer zog die Magie schneller zusammen, als Neji gerechnet hatte; das wurde zu einem Problem. Der Hyugakrieger überlegte fieberhaft. „Tens Adler mögen euch holen!“, fluchte er schließlich und versuchte in dem Gewimmel um sich herum etwas Bestimmtes. „Wo ist der Esel?“ „Da hinten!“, rief Tenten und winkte ihn zu dem Tier hinüber. „Was wollt Ihr jetzt mit dem Esel?!“ Aber Neji ignorierte die Frage und zog sie stattdessen hastig hinter sich her, als er sich in besagte Richtung in Bewegung setzte. Darui und Shikamaru folgten ohne weitere Worte von allein.
 

„Was habt Ihr vor?“, wollte Shikamaru jetzt wissen. „Woher wollt Ihr von dem Magier wissen?“, wiederholte der Graf Tentens Frage. „Ich kann es spüren.“, erklärte Neji kurz angebunden. Sollten sie sich dabei denken, was sie wollten. Er würde jetzt sicher nicht auf die besonderen Fähigkeiten der Hyugakrieger im Allgemeinen eingehen und auf seine eigenen im Speziellen schon gar nicht. „Wir haben nicht mehr viel Zeit. Wenn die Mauern brechen, ist es vorbei und der Magier ist gut.“
 

Nicht, dass sie jetzt eine große Chance hätten, aber es war besser als nichts. Inzwischen hatten sie den Esel erreicht, der wie ein Fels in der Brandung dastand und sich von all dem Chaos um ihn herum nicht beeindrucken ließ. Das war nicht seine erste Schlacht. Hastig begann Neji, einige der Bündel zu lösen, die auf seinen Rücken gepackt waren, um an einen weiter unten liegenden Beutel zu gelangen. Dieser war aus festem, aber weichem Leder gefertigt und sein Inhalt vibrierte nahezu von Hinatas Magie: die Hilfsstücke, Talismane und Amulette, die sie für ihre Gefährten und auf Vorrat schuf, wann immer sie Zeit und Muße dafür hatte. Man konnte nie wissen, wann man sie brauchen konnte.
 

Neji kippte den Inhalt unzeremoniell auf dem Boden aus. „Was ist das?“, wollte Tenten wissen und ging in die Hocke, um vorsichtig einen Feuerzweig aufzuheben. Sie zögerte einen Moment, als sie ihn berührte – konnte sie die Macht darin spüren? – doch sie legte ihn nicht wieder hin. „Und was soll uns das helfen?“, stellte Shikamaru die wichtigere Frage und Neji fand, was er suchte. Es waren fünf runde Scheiben aus reinem Silber, auf denen magische Symbole eingraviert waren, die sich rau unter seinen Fingern anfühlten. Sie waren etwa so groß wie sein Handteller und mit einer festen Hanfschnur zusammengebunden.
 

„Hier.“ Neji riss die Schnur auf und drücke Tenten und Shikamaru je eine der Scheiben in die Hand. Tenten zuckte bei der Berührung zusammen; sie war also definitiv magiesensitiv. Ihr Freund runzelte nur die Stirn. „Legt sie an den Ecken an den höchsten, äußersten Stellen der Burg auf die Mauern, die ihr erreichen könnt. Und beeilt euch, bei allen Göttern!“ Die beiden starrten ihn einen Moment lang an, dann stürmten sie los. Der Graf blickte Neji mit gerunzelter Stirn an, während er die unbenötigten Magiestücke in den Beutel zurückschaufelte und nur ein paar in seiner Tasche verschwinden ließ.
 

„Was wird das?“, fragte er. Er schien akzeptiert zu haben, dass seine einzige Möglichkeit, dies lebend zu überstehen, war, Nejis Hilfe anzunehmen. „Ein Schutzschild“, erklärte der Hyugakrieger, kurz angebunden. Aber einer, der gegen solche Macht da draußen nur ein einziges Mal bestehen würde. Er nutzte ein paar weitere, wertvolle Sekunden, um ein langes, in Wolle geschlagenes Bündel von ihrem Gepäck auf dem Esel loszumachen und stürmte selbst los, um den Wehrgang zu erklimmen. Die steile Treppe war nicht weit und die Soldaten davor machten ihm Platz, als wüssten sie, dass er ihre einzige Chance war. Der Graf folgte ihm auf dem Fuße.
 

Tenten und Shikamaru hatten ihre Ziele noch nicht erreicht, als Neji sich direkt über dem hohen Tor aufstellte. Von hier musste man einen guten Blick über das Dorf und das umliegende Land und sich eventuell nähernde Feinde haben, denn das Land war offen und gut überblickbar. Einzig der Wald, in dem Neji und Kiba während der letzten Tage herumgeirrt waren, würde etwas Deckung bieten, aber zwischen seinem Saum und dem Dorf befanden sich einige offene Felder. Warum war niemandem die heranrückende Armee aufgefallen? Hatten die Leute hier etwa keine Wachposten?! Wie kam bei einer solch guten Verteidigungslage überhaupt ein Überraschungsangriff zustanden? Auf der anderen Seite – der Bergfried war in einem solch miserablen Zustand, dass ihn das eigentlich nicht überraschen sollte.
 

Er legte eine Scheibe auf die Zinne vor sich und schob sie so weit wie möglich an den Rand, so dass sie die Mauern schützen würden, er sie jedoch trotzdem noch gut erreichen konnte. Die beiden übrigen ließ er in eine Tasche fallen. Einen zweiten, aber weit schwächeren Schild mochten sie noch ergeben, doch wie viel das bringen würde, stand zur Debatte. Die Magie des feindlichen Zauberers vibrierte jedenfalls durch die Erde und einen solchen Schlag würden nur zwei der magischen Schildscheiben nicht aufhalten. Shikamaru, den er wie Tenten die ganze Zeit nicht aus seinem besonderen Blick gelassen hatte, legte nun an seiner Ecke die Scheibe auf die Zinnen.
 

Der Magier vor dem Tor begann mit dem eigentlichen Zauber, komplizierten Gesten und geflüsterten Worten. Tenten erklomm den Turm – konnte sie die Scheibe nicht einfach in eine Schießscharte legen!? Darui stützte die Hände flach auf die Zinnen vor sich. „Wie viel Zeit bleibt uns noch?“, wollte er wissen, tiefe Beunruhigung in der Stimme. Wenigstens verfiel er nicht in Hysterie wie diese Bauern im Hof, die inzwischen von der drohenden Gefahr Wind bekommen hatten. Ihr Jubel war schlagartig wieder in Panik umgeschlagen „Nicht mehr genug“, antwortete Neji und legte den Kopf schräg. Wenn das hier schief ging, würde er genau in der Mitte der Explosion stehen. Auf der andern Seite – wenn das hier schief ging, würde die Burg innerhalb einer Stunde fallen. Die Detonation würde zumindest einen schnellen Tod versprechen. Allerdings hoffte er noch, dass sein Plan Erfolg haben würde. Wenn Tenten sich nur nicht in den Kopf gesetzt hätte, den gesamten Turm zu erklimmen…
 

Konnte er es wagen, den Zauber zu aktivieren, wenn sie ihren Part noch nicht erfüllt hatte und die Scheibe noch immer in der Hand trug? Wie schlimm würde er sie verletzen? Diese Art der Magie war kompliziert und die Wechselwirkung mit dem Zauber des Gegners machte eine solche Vorhersage unmöglich. Vielleicht würde der Schild Tenten schützen. Vielleicht würde der Zauber jedoch auch Kraft auf ihrem Leben ziehen und sie dabei umbringen. Ten-sama war sein Zeuge, das wollte Neji wirklich nicht! Doch wenn er keine Wahl hätte, würde er es tun – er würde nicht die gesamte Burg verdammen, um ein… Die Magie des Angriffszaubers erreichte ihren Höhepunkt, beinahe greifbar in ihrer Macht und für Neji so massiv wie Stein.
 

Sie konzentrierte sich zwischen den Händen des Magiers und jeden Moment würde es soweit sein und die Mauer würde unter ihren Füßen weggerissen werden, was jedoch für sie keine Rolle mehr spielen würde, und Tenten, das dumme Kind… Darui fluchte laut. Aber Tenten – Tenten legte die Scheibe ab. Sie war noch weit entfernt von der Spitze des Turms, vermutlich hatte sie etwas bemerkt. Neji stieß erleichtert den Atem aus, den er unbewusst angehalten hatte, legte zwei Finger an den Rand seiner eigenen Scheibe und sprach das Machtwort, das Hinatas Zauber aktivierte.
 

Vor der Mauer entlud sich die Macht des Magiers mit solcher Stärke, dass Neji unter ihr einen Schritt nach hinten taumelte. Der Angriffszauber krachte mit solcher Wucht gegen den Magieschild, dass die Erde erbebte wie unter den Hufen von tausenden angreifenden Reitern. Der ohrenbetäubende Donner verschluckte jedes andere Geräusch, so dass Neji sich die Ohren zuhalten musste und er war nicht der einzige. Die obersten Stockwerke des Turms, in dem Tenten stand, standen nicht mehr unter dem Schutz des Schildes und wurden einfach weggerissen. Schutt und Steinsplitter wurden in die Burg geschleudert, wie scharfkantige Geschosse.
 

„Bei Sekais Titten!“, brüllte Kiba, der unvermittelt neben ihm auftauchte und Graf Darui damit zu Tode erschreckte. Er hatte den kürzeren, geschwungenen Inuzuka-Bogen gegen Cridhe ausgetauscht und starrte über die Zinnen hinaus. Unter den Angreifern war ebenfalls Chaos ausgebrochen. Anscheinend hatte dort keiner damit gerechnet, dass der Angriff fehlschlagen würde. Männer brüllten, die Anführer redeten durcheinander und fuchtelten mit den Händen. Der Fürst trieb sein elegantes, aber nervöses Pferd zu dem Magier hinüber, der sich taumelnd sammelte. Neji konnte dessen Fassungslosigkeit beinahe spüren. Im Moment jedenfalls waren sie sicher genug eine Verteidigungsstrategie zu entwerfen. Auch wenn sie sehr gut sein musste, wenn er sich die Verhältnisse hier so ansah… Er wünschte, Pein wäre hier. Oder Hinata.
 

„Wie oft könnt ihr diesen Schild aufbauen?“, wollte Shikamaru wissen, der ebenfalls auf der Brüstung auftauchte. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte wie kalkulierend über die Mauern. „Bei einem Gegner wie diesem?“, hakte Neji nach. Der andere nickte. Neji zog die beiden übrigen Scheiben aus der Tasche um sie zu zeigen. „Diese hier werden einem solchen Schlag nicht standhalten. Es sind zu wenige.“ Shikamaru schwieg einen Moment.

„Also nicht noch einmal?“ Neji schüttelte den Kopf. „Werden sie es noch einmal versuchen?“, erkundigte sich Darui, die Stirn gerunzelt. „Ich würde es.“, erklärte Shikamaru. „Sieht so aus.“, knurrte Kiba einen Moment später. „Können wir ihn auf eine andere Art ausschalten?“, wollte Shikamaru wissen. „Er steht zu weit für einen Schuss.“, antwortete der Graf. „Außerdem ist keiner meiner Schützen derartig gut. Und ich habe keinen Magier, der Gleiches mit Gleichem vergelten kann.“ Kiba lachte und riss ihre Aufmerksamkeit auf sich. „Hast du Glück, dass ich besser bin als deine Leute.“
 

Er wandte sich an Neji, deutete auf das lange Bündel und fragte: „Sind das…?“ Der Hyugakrieger nickte und reichte es ihm, noch ehe er aussprechen konnte. Draußen sammelte der Magier erneut seine Macht, die eine völlig andere Qualität hatte, schnell und stark wie ein Blitz, doch nicht so mächtig wie der Donner. „Es ist diesmal kein so ein starker Zauber.“, bemerkte er. „Allerdings ein weit schnellerer.“ „Also werden Eure Schreiben jetzt nichts bringen?“, fragte Shikamaru mit einer wachsamen Stimme. Seine Hand ballte sich zur Faust und der Graf fuhr sich nervös durch das Haar. „Keine Sorge.“ Kiba grinste zähnefletschend. „Ich kümmer mich darum.“
 

Er zog einen mit Runen bedeckten Pfeil aus seinem Bündel, drückte Neji den Rest wieder in die Hand und kletterte auf die Zinnen, um den bestmöglichen Schuss abgeben zu können. „Was bewirkt der?“, wollte der Graf wissen, dem die Runen entlang des Schafts nicht entgangen waren, wenn er auch nicht die latente Magie spüren konnte, die in dem Geschoss ruhte. „Magiebrecher.“, antwortete der Schütze und setzte den magischen Pfeil auf die Sehne. Niemand sagte ein Wort, bis- „Haben wir es geschafft?“, wollte Tenten keuchend wissen, als sie ihre kleine Gruppe wieder erreichte. Verwirrt blickte sie zu Kiba auf. „Was tut Ihr da?“
 

„Ich sorge dafür, dass wir den Magier zumindest eine Weile los sind.“ Er hob den Bogen und zog dabei langsam die Sehne zurück, bis die Knöchel seiner Zughand sich an seine Wangenknochen pressten. „Den Schuss schafft Ihr nie“, knurrte Shikamaru, der Klang seiner Stimme sorgfältig kontrolliert, so dass er beinahe gleichgültig klang. Doch Neji erkannte den furchtsamen Unterton in seiner Stimme. Auch Shikamaru wollte nicht sterben und er sah genau, worauf dies hinauslaufen würde, wenn der Magier nicht bald aus dem Weg geräumt wurde. „Es ist zu weit.“ „Bete lieber, dass du falsch liegst“, bemerkte Neji kühl.
 

Er wusste, wie Shikamaru sich fühlte, doch er hatte Vertrauen in seinen eigenen Gefährten. Sie waren schon durch ganz andere Situationen gekommen. Wenn auch, zugegeben, die meisten mehr Chancen auf einen Ausweg geboten hatten oder sie zumindest weit mehr Zeit zur Vorbereitung gehabt hatten. Und sie waren nie zu zweit unter einem Haufen Fremder gewesen, sondern hatten meist ihre Gefährten dabei gehabt. Hinata würde kurzen Prozess mit diesem Magier dort draußen machen. Pein könnte ihnen vermutlich bereits jetzt eine funktionierende Kampfstrategie aufzeigen und Konan hatte ihre eigenen Methoden, eine Armee zu Fall zu bringen. Neji und Kiba hatten ihre eigenen Fähigkeiten, aber keine davon war auf eine solche Situation zugeschnitten.
 

„Ansonsten ist diese kleine Belagerung so schnell vorbei, wie sie angefangen hat.“ Kiba grinste nur überlegen und konzentrierte sich dann voll und ganz auf den Feind. Cridhe war ein magischer Bogen und zusätzlich noch sehr stark, doch selbst dafür war diese Entfernung weit. Auch Neji wäre ungläubig gewesen, wüsste er nicht, was für ein unglaublicher Meisterschütze Kiba war. Inzwischen hatten die Angreifer Kiba bemerkt, wie er auf der Mauer stand. Ein paar wichen zurück, aber die meisten standen schon in einer Entfernung, die für einen normalen Bogen unerreichbar war, also rührten sie sich nicht. Vermutlich lachten sie gerade über diesen letzten verzweifelten Versuch der Verteidiger, sich gegen einen solch starken Magier zu wehren, ohne selbst auf ähnliche Hilfe zurückgreifen zu können… Weder der Fürst noch sein Zauberer zeigten sich beeindruckt, was nur zeigte, wie schlachtenerfahren sie waren. Die Magie ballte sich erneut.
 

Kiba ließ sich Zeit beim Zielen, trödelte aber nicht. Einen Moment später hörte Neji das vertraute Twang! der Bogensehne; der Pfeil schoss davon. Das Pferd des Fürsten bäumte sich wild wiehernd auf, der Magier stieß einen heulenden Schmerzensschrei aus, als der Pfeil ihn in der Schulter traf und auf den Boden warf wie eine Puppe. Die Magie verpuffte wirkungslos. Ihr Weber tastete geschockt nach dem Schaft in seinem Körper, während die Krieger um ihn herum in Getöse ausbrachen.
 

„Wo habe ich ihn getroffen?“, fragte Kiba ruhig. „Schulter“, antwortete Neji gleichgültig. „Verdammt“, knurrte der Jäger und schüttelte wütend die Faust. „Ich wollte ihn erledigen.“ „Die Entfernung ist zu groß. Es war ein guter Schuss.“ „Und was für ein Schuss!“, rief Darui erfreut. Shikamaru bewegte sich von einem Bein auf das andere und sagte nichts. Er hatte bemerkt, dass es noch nicht vorbei war, noch lange nicht. Nicht, solange der Feind noch eine so große und gute Armee unter seinem Befehl hatte. „Was ist jetzt mit dem Magier?“, wollte Tenten wissen und klang dabei beinahe besorgt. „Er ist verletzt und seine Magie für ein paar Tage blockiert“, erklärte Kiba und sprang von den Zinnen. „Aber das hat uns nichts gebracht als Zeit.“ „Und wenn niemand dieses Loch in der Mauer stopft, wird uns das nicht viel bringen“, fügte Neji bitter hinzu. Welcher Idiot ließ seine Burg so verkommen?! „Also sind wir jetzt nicht sicher?“ Tenten klang, als wolle sie gleich in Tränen ausbrechen, aber sie hatte sich, für jemanden, der offensichtlich das erste Mal in einer solchen Situation war, bewundernswert unter Kontrolle. „Nein. Solange noch weitere Angriffe folgen können, nicht“, knurrte Kiba, wandte sich aber schon ab. „Komm mit, Neji!“ Gemeinsam rannten sie über den Wehrgang zur Mauerlücke hinüber, wo Kiba ganze Arbeit geleistet hatte, während Neji damit beschäftig gewesen war, den magischen Schild aufzubauen.
 

Die Soldaten jedenfalls standen in einfacher Formation so postiert, dass sie für den Feind als Überraschung kommen würden, und die Befehlshaber waren so verteilt, dass sie sich nicht gegenseitig in die Quere kommen würden. Neji wünschte wirklich, Pein wäre hier. Kiba war ein akzeptabler Befehlshaber, aber kein solch herausragender Stratege wie ihr Anführer. Neji allerdings konnte auch nichts Besseres vorweisen, also schwieg er. Gegenüber der Bresche hatte der Inuzukajäger einen kleinen Pulk Bogenschützen postiert. Sie hielten ihre Bögen und je einen Pfeil in den Händen, während vor ihnen noch weitere Geschosse im Boden staken, so dass sie leicht erreichbar waren.
 

Die normale Infanterie stand links und rechts im Schutz der Mauer, angespannt, aber gefasst genug. Die meisten von ihnen trugen Schwerter, einige jedoch auch schwerere Waffen wie Äxte und Morgensterne. Etwa ein Dutzend war mit langen Hellebarden bewaffnet. Die Gruppenführer – insgesamt fünf an der Zahl – standen verteilt zwischen ihren Leuten; zwei von ihnen befanden sich auf dem Wehrgang, wo sie wachsam über die Zinnen spähten. Jetzt waren sie in Bewegung, als sie bemerkten, dass ihre Leute noch einmal gefordert waren und riefen klar verständliche Befehle. Die Soldaten im Hof machten sich bereit, zückten ihre Schwerter oder setzten ihre Pfeile auf die Sehnen. Kiba tat es ihnen nach und sprang mit einigen Sätzen über einen Stapel Kisten in den Hof hinunter, wo er sich zu den Schützen gesellte und einige Worte mit ihrem Anführer wechselte.
 

Neji legte nur seine freie Hand auf Akais Griff, verließ den Wehrgang aber nicht. Shikamaru und Tenten postierten sich neben ihm. Tenten hatte ihren Dolch gezogen, auch wenn die Geste hier völlig nutzlos sein würde, doch Shikamaru hatte sich wie der Hyugakrieger nicht die Mühe gemacht, nach einer Waffe zu greifen. Ehe sie hier oben in Nahkämpfe verwickelt wurden, musste noch einiges gesehen. Darui war nicht mehr bei ihnen, doch Neji konnte seine Präsenz im Hof vor dem Haupttor spüren, wo er Befehle gab. Unter anderem auch an die Frau, die das Sagen über die Dienerschaft hatte. Anscheinend hatte er begriffen, dass er die Verteidigung Neji, Kiba und Shikamaru überlassen konnte und organisierte stattdessen die Helfer und Heiler. Guter Mann. Neji überließ ihm der Aufgabe, die er jetzt, als der erste Schock ob des Angriffs verflogen war, mit großer Autorität und Sicherheit ausführte, und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Feind zu. Die Krieger näherten sich vorsichtiger als bei ihrem ersten Angriff, die Schilde erhoben und in einem geordneten Trupp, doch diesmal wurden sie auch weit disziplinierter empfangen.
 

Kiba war es, der den ersten Pfeil schoss, kaum dass die erste Linie des Feindes in der Mauerlücke auftauchte, was offenbar von den Gegnern erwartet wurde. Was nicht erwartet wurde, war die Wucht, mit der das Geschoss den zum Schutz erhobenen Schild durchschlug, welcher splitterte und brach. Der getroffene Mann wurde nach hinten geworfen und brachte die neben und hinter ihm Gehenden aus dem Schritt. „Schuss!“, brüllte beinahe gleichzeitig der Gruppenführer der Schützen und diese ließen ihre Pfeile von den Bögen schnellen. Weitere Feinde fielen, Schmerzensschreie und überraschte Rufe erfüllten die Luft und die Angriffslinie wankte. „Angriff!“, kommandierte nun eine weitere, autoritäre Stimme und die Fußsoldaten setzten sich in Bewegung, während die Bogenschützen zurückwichen. Die Linie der Verteidiger schloss sich rasch und sicher, mit den am schwersten bewaffneten Soldaten in der Mitte, rechts und links gedeckt von den Schwertkämpfern. Hinter ihnen stellten sich die Lanzenträger auf und warteten auf ihren Einsatz.
 

Die Angreifer wurden zurück in die schmale Bresche gedrängt, aber nicht weiter. Gut – so verhinderten die Verteidiger, selbst in den Engpass zu geraten. „Schuss!“, brüllte jetzt der Schützenanführer und das Sirren der Sehnen übertönte einen Moment lang den Rest des Kampflärms. Die Pfeile flogen hoch und weit über die Köpfe der Verteidiger hinweg. Hinter den Mauern gingen weitere Männer zu Boden, andere schrien, aber die meisten Pfeile gingen wirkungslos an Helmen, Rüstungen und Schilden zu Bruch. Doch der Angriff der feindlichen Infanterie stockte nicht und auch der fremde Fürst blieb nicht untätig. Er zog seine eigenen Schützen um sich zusammen, die sich bereit zum Angriff machten, während der Schützenanführer im Hof noch einmal „Schuss!“ brüllte. Erneut schwirrten die Pfeile über sie hinweg. Draußen wurden ebenfalls Geschosse auf Sehnen gesetzt. Shikamaru zog Tenten mit sich zu Boden, so dass die Zinnen sie schützen und auch Neji ging in Deckung. Man würde nicht auf sie zielen, doch verirrte Pfeile gab es immer.
 

„Schilde!“, bellte der Gruppenführer und die Soldaten der Burg kamen dem Befehl prompt nach. Wer in der ersten Reihe kämpfte und keine Hand für einen Schild frei hatte, wurde von den Kameraden geschützt. Die meisten der gegnerischen Pfeile prallten wirkungslos gegen den Schildwall. Doch einige trafen und Soldaten gingen unter Schmerzensschreien zu Boden. Die Reihe wankte, doch nun kam der Einsatz der Hellebardenträger, die eingriffen und eine weitere Ebene der Verteidigung bildeten. „Schuss!“, brüllte nun auch Kiba, keinen Moment später. Die Reaktion kam etwas verspätet, aber schneller, als Neji erwartete. Zahlreiche Feinde gingen zu Boden, weil sie nicht mit einem so schnellen Gegenangriff gerechnet hatten. Doch auch die gegnerischen Bogenschützen blieben nicht untätig und schickten ihre Antwort zurück.
 

Unten in der Bresche wurden die Verteidiger wieder Schritt für Schritt zurückgedrängt, als ihr der feindliche Befehlshaber mehr seiner Männer losschickte. Neji wünschte sich, sie könnten einige Schützen für den Wall entbehren, doch auch so waren es fast zu wenige von ihnen. Wenigstens schalteten sich nun die Helfer ein, die Darui organisierte und nun die Verwundeten aus dem Gewühl in Sicherheit brachten – sofern sie für sie erreichbar waren. Dennoch würde dieser Kampf auf kurz oder lang in einer Niederlange für die Verteidiger enden, wenn nicht bald etwas geschah, und das konnte Neji nicht zulassen; ein paar Möglichkeiten hatte er noch. Drastischer Maßnahmen mussten ergriffen werden.
 

„Kiba!“, brüllte er und winkte mit einer ausholenden Handbewegung. „Komm hoch!“ Unten war der Jäger nichts weiter als ein weiterer Schütze, hier oben würde er jedoch etwas tun können, womit andere sich schwer täten – in mehr als einer Hinsicht. Dann tastete der Krieger mit den Fingern über die Pfeile, die er noch in der Hand hielt um einen ganz bestimmten zu finden. Kiba stand neben ihm, noch ehe dies geschehen war. Beunruhigt starrte er über die Mauer. „So wird das nichts.“, erklärte auch er. Er warf einen kurzen Blick auf Tenten hinunter, die noch immer hinter den Zinnen kauerte, und dann zu Shikamaru hinüber, der sich wieder aufgerichtet hatte, um das Geschehen weiter zu verfolgen.
 

Statt einer Antwort reichte Neji ihm einen Pfeil. Kiba nahm ihn an, wohl wissend, worum es sich dabei handelte, sah seinen Waffenbruder ernst an und fragte: „Bist du sicher, dass das nötig ist? Ist das nicht ein wenig übertrieben?“ Neji deutete nur über die Mauer. „Hast du eine bessere Idee?“ Der Jäger seufzte, schüttelte den Kopf und setzte den Pfeil auf Cridhes Sehne. „Ich hasse das.“, knurrte er. „Was genau habt Ihr vor?“, mischte sich Shikamaru ein, der bis jetzt schweigend zugesehen hatte, wohl wissend, dass er überflüssig war. Neji hatte keinen Zweifel, dass er bemerkt hatte, woher der Pfeil kam: aus demselben Bündel wie der Magiebrecher. Er musste sich zusammenreimen, dass es sich auch hierbei um einen magischen Pfeil handelte – doch er würde die furchtbare Auswirkung des Geschosses nicht erraten. Eigentlich war der Pfeil von Hinata entwickelt worden, um rasch eine größere Gruppe Untoter zu erledigen – eine Art letzte Maßnahme, denn er war sehr schwer herzustellen.
 

Doch auch gegen Lebende würde er seine Arbeit tun. Auf eine grausame, schreckliche Art und Weise, aber auch eine sehr effektive. Vermutlich würde der feindliche Fürst daraufhin seine Männer zurückziehen und eine langwierigere Strategie versuchen, nachdem mehrere unerwarteter Züge des Gegners seine ersten Angriffe vereitelt hatten. Neji jedenfalls würde es tun. Warum mehr seiner Leute riskieren, wenn er den Feind auch einfach aushungern lassen konnte? „Nichts Erfreuliches.“, antwortete er kurz angebunden und zog einige von Hinatas Talismanen, die er vorhin mitgenommen hatte, aus der Tasche. „Aber etwas Wirkungsvolles.“ Tenten stieß einen seltsamen Laut aus, aber Shikamaru fragte nur: „Wird es uns helfen?“ „Hoffen wir’s“, antwortete Kiba und trat an die Zinnen heran um erneut zu zielen. Diesmal kletterte er nicht auf die Mauer – er würde ein zu gutes Ziel abgeben, außerdem musste er nicht so sorgfältig schießen, weil das Ziel näher stand und weit größer war. Neji ging zu der Bresche hinüber und stellte sich so nah an den Rand, wie er es wagte. Einige Steine waren sehr locker und konnten durch sein Gewicht leicht in die Tiefe fallen und ihn mit sich reißen.
 

„Bereit!“, meldete Kiba und Neji antwortete: „Schieß.“ Hinter sich hörte er, wie der Pfeil sich von der Sehne löste, während er selbst die drei Feuerzweige in seinen Händen zerbrach und in die Tiefe warf. Sie würden ihre Macht gegenseitig exponentiell steigern, so dass die Lücke zwischen den Mauern für einige Momente einem Inferno gleichen würde. Und dann schossen heiße Flammen nach oben und versengten die Spitzen seiner Haare. Er konnte die Hitze auf der Haut spüren und dann drang der Geruch von verbranntem Fleisch in seine Nase. Schreie erfüllten die Luft, mehr animalisch als menschlich, von den Männern, die von den Flammen verschlungen wurden. Weitere Männer – Freund wie Feind – brüllten entsetzt auf. Hinter sich konnte er Tenten erschrocken schreien hören und Shikamaru war einige Schritte zurückgewichen, als könne er dem Anblick nicht glauben.
 

Vor den Mauern zeichnete sich ein ähnliches Schauspiel unter den Bogenschützen ab, denn der Pfeil, den Kiba abgeschossen hatte, hatte einen ähnlichen Effekt wie die Feuerzweige. Flammen schlugen hoch zum Himmel, gespeist durch menschliche Körper, von denen einige sich noch bewegten. Schreie, wild und tierisch und so grausam zu hören, drangen zu ihnen herüber und der Geruch von verbranntem Fleisch erweckte die Übelkeit. Einen Moment später ließ der Feind das Signal zum Rückzug blasen, doch die meisten seiner Männer waren bereits auf dem Weg hinter die imaginäre Linie, die Cridhes Schussweite zeichnete, in kopfloser Flucht oder wohlkalkuliertem, aber schnellem Schritt. Andere – und das musste der schlimmere Anblick sein, auch wenn Neji das nicht beurteilen konnte – rannten überstürzt und brennend davon, sofern sie es noch konnten.
 

Nur wenige von jenen, die das Feuer abbekommen hatten, hatten die Geistesgegenwart, sich auf den Boden zu werfen und die magischen Flammen durch Herumrollen zu löschen. Diesmal jubelte niemand, als der Angriff abbrach, trotz des weit weniger disziplinierten Rückzugs des Gegners. Die Führungsriege der feindlichen Armee befand sich in Aufruhr, nur der fremde Fürst selbst saß ruhig auf seinem nervös herumtänzelnden Ross. Dann riss er es plötzlich herum und brüllte einige Befehle. Seine Männer reagierten schnell und Neji wandte sich ab. „Sie errichten ein Lager.“, erklärte er jedem, der zuhörte. „Wo ist Graf Darui?“ „Unten.“ Shikamaru deutete mit dem Finger in den Hof. „Er versucht, etwas Ordnung zu schaffen.“ Neji nickte. Das wusste er schon, aber er hatte den Lord während des Kampfes aus dem Bereich seiner Wahrnehmung verloren. Jemand anderes würde ihn finden.
 

„Er soll seine Maurer und Zimmerleute und jeden anderen Arbeiter herbeischaffen. Wir haben etwas Zeit gewonnen, die vielleicht reicht, dieses Loch in der Mauer zu stopfen.“ In besagtem Loch starben langsam die Flammen, eine Kombination aus fehlendem Brennstoff und dem Wasser, das eilig darüber geschüttet wurde. „Das gibt nebenbei auch den Leuten etwas zu tun“, bemerkte Kiba mit einem Grinsen. Er klopfte dem Gruppenführer, der inzwischen neben ihm stand, auf die Schulter. „Gute Arbeit. Behalte den Feind im Auge und gib Bescheid, wenn sich etwas rührt.“ Der Mann nickte. „Meine Männer?!“, wollte er jedoch mit einem Blick in den Hof wissen. „Wir kümmern uns um sie“, versprach Kiba, was den Mann zu beruhigen schien, sodass er sich abwandte und seiner neuen Aufgabe nachging.
 

Unten waren Helfer inzwischen geschäftig dabei, die Verwundeten von den Toten zu trennen und sie zu versorgen. Dabei wurde nicht zwischen Freund und Feind unterschieden, was Neji so nicht kannte. Wer würde schon dem Feind helfen, wieder auf die Beine zu kommen? Wenigstens nahmen sie den verwundeten Gegnern die Waffen ab, also würden sie die Situation unter Kontrolle haben.
 

Die Soldaten, die nur leicht oder gar nicht verletzt waren, bewachten noch immer die Bresche, auch wenn Neji sich sicher war, dass so bald kein erneuter Angriff erfolgen würde. Die Bogenschützen, die von allen am wenigsten abgekriegt hatten, kamen nun auf den Wehrgang herauf, um dort Stellung zu beziehen. Hier würden sie nun am meisten Wirkung zeigen. Von einem Angriff überrascht werden, würden sie nun jedenfalls nicht mehr. Das Chaos durch die hysterischen Bauern hatte sich inzwischen ebenfalls gelegt. Die meisten Leute waren in die Burg gebracht worden, wo sie in den großen Hallen auf das Ergebnis des Kampfes warteten.
 

Wer konnte, half im Hof. Draußen befanden sich nur noch die Soldaten und die Helfer, die sich um sie kümmerten. Vor den Mauern sah das Bild nicht viel anders aus. Wachposten, die die Burg nicht aus den Augen ließen, Heiler und ihre Gehilfen, die sich um die Verletzten kümmerten, und weitere Helfer, die inzwischen das Lager errichteten, Zelte, einen Korral für die Pferde, ein paar Schutzvorrichtungen… Anscheinend hatte die feindliche Armee vor, eine Weile dort zu blieben. Gut, wer sich so verhielt, bereitete sich auf eine Belagerung vor, nicht auf einen weiteren Sturmangriff. Nur die Führungsriege, die auf ihren Rössern saß und sich aufgeregt unterhielt, kümmerte sich noch um die Burg und ihre Bewohner. Vermutlich besprachen sie ihre Strategien. Von dem Magier war nichts mehr zu sehen.
 

Und etwas entfernt von seinen direkten Untergebenen hockte der fremde Fürst auf seinem tänzelnden Pferd. Er saß wie angegossen im Sattel, unbeweglich und hart, die Sonne glänzte kalt auf seinem Helm und seiner Rüstung und Neji hatte keinen Zweifel daran, dass dieser Krieg erst begonnen hatte. Noch hatten sie es nicht überstanden.
 

~ [ ♠ ] ~
 

Sasuke von Uchiha hatte die Hölle hinter sich gelassen und zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich lebendig. Noch immer wusste er nicht, welche Naturgewalt über die Festung seines Verwandten Isamu von Uchiha gekommen war, aber ihre Macht war unbestreitbar. Fast war er sich selbst nicht sicher, was er gesehen zu haben glaubte, aber sein Körper war es, der ihm widersprach. Er hatte überlebt und er spürte mit jeder Faser, dass er auf etwas gestoßen war. Etwas Großes, Bedeutsames, dessen Sinn sich ihm jetzt noch nicht erschloss. Doch es war mehr, als nur diese lächerliche Gruppe Rebellen, die mit Hilfe der Magie die Tore der Burg aufgebrochen und in die Nacht entkommen war. Es war viel mehr. Sasuke wusste es einfach und sein Instinkt hatte ihn selten getrogen. Itachi mochte ihn – für den Moment – aus dem Weg geräumt haben, doch selbst sein Bruder konnte nicht ahnen, dass er auf so etwas stoßen würde. Ein feines Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Diesmal würde es anders laufen, als sein Bruder es geplant hatte.
 

Dennoch ließ sich nicht leugnen, dass seine Ausgangslage für jedes weitere Vorgehen höchst schwierig war. Nachdem er dem Flammeninferno in der Burg und der anderen Gefahr, der die Menschen so hilflos ausgeliefert gewesen waren, entkommen war, hatte sich unter den wenigen, die noch am Leben und ihm gefolgt waren, Resignation eingestellt. Durch Isamu von Uchihas Tod durch die Hand eines der lebenden Toten, war unter seinen Untergebenen völliges Chaos ausgebrochen. Die Organisationsstruktur, die ohnehin nicht so straff war, wie sie eigentlich hätte sein sollen, war binnen weniger Minuten völlig zusammen gebrochen. Das hatte nur gezeigt, wie wenig der Burgherr auf eine solche Situation vorbereitet gewesen war. Nicht, dass irgendwer wirklich damit erwartet hatte, von Untoten überfallen zu werden – so viel musste er seinem verstorbenen Verwandten doch zugestehen. Auch er selbst war überrascht gewesen von diesem Gegner.
 

Diejenigen, die schlau genug gewesen waren, nicht zu verbrennen und im Angesicht des Nichtfassbaren die Flucht ergriffen hatten, hatten sich ihm angeschlossen. Doch die meisten waren verletzt, standen unter Schock und schienen nicht akzeptieren zu können, dass ihr bisheriges, sicheres Leben in der Uchihafestung unwiderruflich vorbei war. Schwächlinge.
 

Aus dem fünfzig Mann großen Trupp Soldaten, der ihn begleitete, stachen lediglich einige wenige hervor, die das Erlebte akzeptieren konnten und nach vorn sahen. Offizier Enevor, den er zufällig getroffen und ursprünglich für seine Torheit den Rebellen auf den Leim gegangen zu sein, verachtet hatte, war zu seiner Überraschung ein fähiger Mann, der es verstand selbstständig zu denken. Außerdem verfügte er offenbar über eine ausgezeichnete militärische Ausbildung, sodass Sasuke ihm schnell wichtige Aufgaben übertrug, die Enevor nur allzu eifrig erledigte. Pflichtschuldig, heuchlerisch, schmeichelnd, ehrgeizig. Sasuke wusste nicht, ob er ihn verachten oder dankbar sein sollte, dass wenigstens einer ihm so bedingungslos folgte. Sasuke kannte solche Männer, die nach oben wollten um jeden Preis und dafür über Leichen gingen und Hintern küssten, wo sie mussten. Aber in seiner jetzigen Lage konnte er allerdings nicht besonders wählerisch sein, was seine Untergebenen anging.
 

Sasuke hatte aus sicherer Entfernung die Burg beobachten lassen und zu seinem Erstaunen hatte keines dieser Wesen die Burgmauer oder das Tor überwunden. Es hatte drei Tage gedauert, ehe das Inferno endlich erloschen war. Drei Tage, in denen das Feuer alles Brennbare vernichtet und das Innere schwarz vor Asche hatte werden lassen. Gebäude waren in sich zusammen gebrochen und hatten Menschen unter sich begraben, die in Todesqual so lange geschrien hatten, bis das Feuer auch ihr Fleisch in Brand gesetzt hatte. Ein ekelhafter Geruch gebratenen Fleisches lag in der Luft, als sie in den Hof zurückgekehrt waren, der nicht wenige der Soldaten dazu gebracht hatte, sich zu übergeben.
 

Darüber hinaus mangelte es an allem. In der allgemeinen Panik war es unmöglich gewesen Nahrungsmittel, Gepäck, Wertsachen oder Waffen zu retten. Wer zitternd vor Angst den unmöglichen Angriff überlebt und mit heiler Haut davon gekommen war, konnte sich bereits glücklich schätzen. Sasuke konnte von Glück reden, dass er sein Schwert bei seinem Sturz in den Burggraben festgehalten hatte. Eine Waffe versprach Sicherheit und außer dem Schwert war ihm lediglich sein Name als Schutz geblieben. Das und seine Erziehung, die ihm die Beherrschtheit verlieh, das Kommando zu übernehmen und ganz selbstverständlich die Kontrolle über die Soldaten zu gewinnen. Anders als Isamu von Uchiha legte Sasuke Wert auf absoluten Gehorsam und Pflichterfüllung. Dass sich Soldaten während des Dienstes betranken, würde er niemals zulassen, und Sasuke wusste, dass seine neuen Untergebenen dies ebenfalls verstanden hatten.
 

Es verschaffte ihm eine eigenartige Genugtuung zu sehen, wie die Männer, die ihn belächelt hatten, als Isamu von Uchiha ihn in seiner Burg herum geführt und nicht mit Seitenhieben auf ihn selbst gespart hatte, nun vor ihm katzbuckelten.

Dennoch hatte es einiger Überzeugungskraft bedurft, dafür zu sorgen, dass eine Gruppe von zehn Männern, die Sasuke willkürlich bestimmt hatte, zu der Burg zurückkehrte, sie beobachteten, erkundeten und ihm schließlich Bericht erstatteten. Vor seinem geistigen Auge nahm ein Bild Gestalt an, das die Folgen, aber nicht die Ursache erklärte. Sasuke begann zu begreifen und doch begriff er nicht. Jedes Mal, wenn er glaubte das große Ganze zu fassen, entglitt es ihm wieder.
 

Außerdem irritierte ihn, welche Rolle die geflohenen Rebellen bei all dem spielten. Es war schnell gegangen und doch konnte er ein Bild nicht aus seiner Erinnerung auslöschen. Ein Bild von einer Gruppe von Reitern, die auf ein geschlossenes Tor zu galoppierten, weg von der Gefahr, als würden sie dessen Ausmaß bereits kennen. Ein Mädchen mit mitternachtsschwarzem Haar, das Worte sprach, die er nicht kannte und mit Magie eine Steinmauer zu Einsturz brachte, als wäre sie eine Reihe aufeinandergestapelter Klötze. Eine Frau, nicht fassbar und trotzdem auf eigene Art mächtig, wie es jemand wie Isamu von Uchiha nie gewesen war. Sasuke hatte von Enevor erfahren, dass Isamu nur einen von ihnen neben den beiden Frauen gefangen gehalten. Einen Rebellen, den dieser gefoltert hatte, um an Informationen zu kommen. Einen Verletzten, der sie langsam machen würde … Zwei der übrigen Rebellen waren Offizier Enevor selbst begegnet und hatten ihn überlistet. Der Dritte, so schlussfolgerte Sasuke, war für die Explosion verantwortlich. Sechs. Ihn dürstete nach einer Erklärung und irgendwie spürte er, dass ihm diese Menschen eine liefern konnten, wenn er sie einholte und wieder einfing. Lauft nur, dachte Sasuke, ihr werdet mir nicht entkommen.
 

„Lord Uchiha?“ Offizier Enevor verbeugte sich tief vor ihm und riss ihn aus den Gedanken. „Sprich!“, forderte Sasuke ihn auf, nachdem er sich gefasst hatte. Enevor hob den Blick. Respekt stand darin, genau mit der richtigen Mischung aus Furcht. Genugtuung pulsierte durch seine Adern und nach so langer Zeit der Hilflosigkeit, spürte er, wie Macht ihn durchströmte. So sollten ihn die Leute ansehen, statt immerzu auf ihn herab zu blicken. Aber damit war jetzt Schluss. Von nun an, würde er seinen eigenen Weg gehen und jeden eliminieren, der es wagte sich ihm entgegen zu stellen.
 

„Herr“, sagte Offizier Enevor, „wir haben ihre Spur gefunden. Die Rebellen sind nur einen halben Tagesritt voraus.“ Mit einem Schlag kehrte das Gefühl zurück, dass er in der Feuersbrunst der Uchihafestung verspürt hatte. Adrenalin schoss durch seine Adern und sein ganzer Körper schien zu erwachen. Tatendrang packte ihn.
 

„Nehmt die Verfolgung auf“, befahl Sasuke.

Chapter 9 ~ I am lost and found

Im Norden heulte ein Wolf. Der leichte Wind trug die langgezogenen, klagenden Töne zu dem kleinen Lager hinunter, das Temari und Pein unter einem Felsvorsprung aufgeschlagen hatten. Ein schwaches Feuer warf bizarre Schatten an die rauen Steinwände und knisterte leise in der Stille der Nacht. Kriegsstern und Temaris prachtvoller Wallach standen etwas entfernt und grasten. Beide hoben hin und wieder die Köpfe und starrten mit gespitzten Ohren in die Dunkelheit, aber keiner wirkte nervös. Der Wolf war weit weg und stellte allein sowieso keine Gefahr für sie dar. Zwei erfahrene Schlachtrösser wie sie würden sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen lassen.
 

Temari lag in ihre Bettrolle gehüllt auf der anderen Seite des Feuers und schlief, nur hin und wieder stieß sie ein leises Schnarchen aus oder drehte sich herum. Pein hockte auf einem flachen Stein, ein Messer und ein Stück Holz in den Händen. Er glaubte Temari, dass sie keine Wachen brauchten – auch wenn er sich deswegen trotzdem unwohl fühlte – aber es brachte doch ein gewisses Unbehagen mit sich, so dass er dennoch wachsam und auf der Hut blieb. Das führte zu einem leichten Schlaf, aus dem ihn jedes ungewohnte Geräusch weckte, auch wenn sie bis jetzt noch auf keine größere Gefahr gestoßen waren als einen Luchs, der unvermutet vor ihnen aus dem Gebüsch aufgetaucht und schnell geflohen war.
 

In Zeiten wie diesen wusste er, was er – unter anderem – an Akamaru so schätzte. Niemand schlich sich so leicht an den klugen Hund heran. Und wenn doch, dann war Kiba ja auch noch da, der einen sechsten Sinn für Gefahren hatte, selbst wenn er anscheinend in tiefem Schlaf lag. Oder Neji natürlich, an den sich heranzuschleichen schlichtweg unmöglich war. Aber im Moment war er allein, nur mit einer Fremden, die er kaum kannte, und ohne eine Ahnung, wo er war, wo seine Freunde waren und wie er hergekommen und von ihnen getrennt worden war. Das alles trug dazu bei, dass er bei jedem Geräusch hochschreckte. Außerdem waren da die Träume. Sie begleiteten ihn, seit er sein Heimatdorf hatte verlassen müssen. Träume voller Blut und Tod und verstümmelten Körpern, Untoten, gefallenen Soldaten… Ohne Konan waren sie schlimmer. Ihre Präsenz hatte immer ein gewisses Gefühl von Sicherheit und Vertrauen gebracht. Jetzt, als sie nicht mehr da war, spürte er dies umso mehr. Diesmal musste er damit allein fertig werden.
 

Mit einem Seufzen blickte er auf seine Hände hinunter und setzte das Messer wieder an das Holzstück. Der ehemals unförmige Klotz, den er für diesen Zweck aus einer umgestürzten Birke gehauen hatte, erinnerte inzwischen entfernt an die geschnitzte, vereinfachte Figur eines Pferdes. Er hatte schon früh mit dem Schnitzen angefangen; sein Vater hatte ihm sein erstes Messer dafür in die Hand gedrückt, eine kleine, gebogene Klinge. Um sich die Zeit zu vertreiben, während die Schafe grasten, hatte er gesagt, auch wenn er die Tiere immer im Auge behalten musste, denn die Hunde konnten nicht alle Arbeit allein tun. Pein hatte auch während der Zeit bei den Söldnern nicht damit aufgehört. Nicht, als er der Armee von Zhelyr beigetreten war und nicht danach, als aus Nagato dem ehemaligen Schäfersohn ein Kriegsheld geworden war.
 

Es hatte ihn immer beruhigt und seinen rastlosen Händen etwas zu tun gegeben. Wie viele Stunden hatte er damit verbracht, aus Holzstücken, Knochen und Horn Figuren zu formen, Schmuck, Schüsseln, Löffel und anderes, das mehr oder weniger nützlich war, während er gewartet hatte? Gewartet, dass der Gegner zuletzt doch den Angriff startete, die Wache endlich ihr Ende fand, die Verbündeten schließlich ankamen um den Belagerungsring zu brechen oder während Fürsten, Hohe Priester und Großmagier sich um ihn herum zankten wie kleine Kinder? Niemand, der die Geschichten über den großen Pein Kriegsfeuer hörte, wusste, wie viel Geduld, Warterei und Stillsitzen seine Aufgabe eigentlich erforderte. Das hatte sich während all der Jahre nie geändert und warum sollte es etwas anderes sein, auf das Ende der Nacht zu warten? Und wenn er jetzt schon nicht schlafen konnte, so wollte er die Zeit doch für etwas Produktives nutzen.
 

Seit ihrem Aufbruch aus dem Dorf, das so unvermutet von Untoten angefallen worden war, hatte er bereits ein kleines Hühnchen hergestellt, das sorgsam verpackt in seiner Satteltasche untergebracht war. Yahiko würde sich über ein paar weitere kleine Figuren für seine stetig wachsende Sammlung an Holztieren freuen. Pferde hatte er zwar schon einige, aber auf der anderen Seite liebte der Junge diese Tiere, also würde er sich darüber besonders freuen. Außerdem hatte dieses Holz eine sehr schöne, gleichmäßige Maserung …
 

Das unvermutete Geräusch von Kriegshörnern riss ihn aus seiner Arbeit. Es waren drei tiefe, langgezogene Töne, die weit trugen und zwischen den Bäumen widerhallten. Für einen Moment verstummten die vertrauten Geräusche des Wildlebens um ihn herum – nur noch das Rascheln des Windes in den Blättern und das Knistern des Feuers waren zu hören. Es war, als würde der Wald für einen Moment den Atem anhalten. So ruhig, wie es vorhin auch gewesen war, jetzt war es noch weit stiller. Doch als es keine weitere Störung gab, setzte der Lärm wieder ein. Nur Pein lauschte noch mit schiefgelegtem Kopf in die Nacht hinein, die Finger reglos um den Griff des kurzen Messers und das halbfertige Pferd. Wer mochte es sein, der da mitten in der Nacht Jagdhörner blies? Das war sicher keine normale Jagd und nur wenig Beute hetzte man noch zu solch nachtschlafender Zeit. Doch der Hörnerschall wiederholte sich nicht.
 

Das Rascheln von dickem Stoff riss ihn aus der Starre. „Schlaft Ihr denn nie?“, erkundigte sich eine zerstreute Stimme und Pein blickte auf. Temari hatte sich in ihrer Bettrolle aufgesetzt und rieb sich mit dem Handballen ihr Auge. Ihr Haar stand nach allen Seiten ab, was sie sehr jung wirken ließ. Pein blickte sie einen Moment schweigend an, dann umging er die Frage: „Habe ich dich geweckt, Temari-san?“ Sie fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, um sie etwas zu bändigen, und runzelte die Stirn. „Nein. Ihr seid eh jedes Mal wach, wenn ich aufwache, schlaft erst, wenn ich bereits eingeschlafen bin … Darum meine Frage: schlaft Ihr überhaupt?“ Damit schälte sie sich aus ihrer Decke. Pein schnaubte. „Ich brauche nicht viel Schlaf.“, erklärte er ausweichend. Temari mochte eine angenehme Reisebegleitung sein, redete nicht zu viel, war nicht wehleidig, faul oder empfindlich und jammerte nicht, wenn sie einmal ein schnelleres Tempo anschlugen oder bis in die Dunkelheit ritten. Aber alles wollte er ihr nicht erzählen – er kannte sie kaum.
 

Anscheinend schien sie diesen Gedankengang nachvollziehen zu können, denn sie ließ das Thema fallen und sagte stattdessen: „Nun, ich muss jetzt auf jeden Fall einmal. Versucht vielleicht doch, Euch noch etwas hinzulegen. Wir können nicht riskieren, dass Ihr vor Müdigkeit aus dem Sattel fallt.“ Damit drehte sie sich um und verschwand im Wald in der Richtung, wo sie eine kleine Latrinengrube angelegt hatten.
 

Pein warf noch ein Stück Feuerholz in die Flammen und wandte sich wieder seinem kleinen Pferd zu. Vielleicht wäre es klug gewesen, Temaris Rat zu befolgen und zu versuchen, doch noch einmal Schlaf zu finden. Auf der anderen Seite wusste er, dass sich dieser nicht einstellen würde. Er brauchte wirklich nicht viel davon und er hatte schon länger mit weniger ausgehalten, also machte er sich noch keine großen Sorgen. Darum ignorierte er Temaris Blick, als sie zurückkam und sich wieder in ihre Bettrolle wickelte. Darum saß er noch immer an ihrem kleinen Feuer, als der Himmel sich langsam grau zu verfärben begann. Darum war das kleine Pferdchen beinahe fertig, als er es und das Messer wegsteckte, um sich um das Frühstück zu kümmern. Temari grummelte vor sich hin und begann ihr Lager zusammenzupacken, nachdem sie sich erneut aus ihrer Decke geschält hatte.
 

Sie hatten während der letzten Tage eine angenehme Routine gefunden, bei der sie sich gegenseitig nicht im Weg herumgingen und die anfallenden Aufgaben schnell und effektiv erledigen konnten. Nach einem kleinen Frühstück aus den Resten des gestrigen Haseneintopfs schwangen sie sich wieder in den Sattel und setzten ihren Weg fort. Der Ritt war ruhig und weder Pein noch Temari sprachen viel. Die Kriegerin wirkte tief in Gedanken versunken und ihre Pferde waren entspannt und liefen locker den breiter werdenden Pfad entlang. Pein brachte es nicht über sich, ähnlich gelöst zu sein. Die Hörner, die er in der Nacht gehört hatte, machten ihn wachsam und unruhig und er überlegte, ob er Temari darauf hinweisen sollte. Der Gedanke erwies sich jedoch als müßig, als der Klang der Hörner erneut durch den Wald scholl.
 

Die Kriegerin hob mit gerunzelter Stirn den Kopf. Der letzte der dunklen Töne verklang wieder und sie sagte langsam: „Das klang nach Uchiha-Hörnern.“ „Ich habe sie bereits letzte Nacht gehört.“, informierte Pein sie. „Werden sie uns gefährlich werden?“ Die Frau zuckte mit den Schultern. „Sie sind die Statthalter des Kaisers in Konoha. In der Regel halten sie sich an ihre eigenen Gesetze, auch wenn sie in letzter Zeit immer unberechenbarer werden. Aber ich denke, sie werden zwei harmlose Reisende wie uns wohl in Ruhe lassen.“ Sie grinste spitzbübisch. „Oder habt Ihr etwas angestellt, um ihren Zorn auf Euch zu lenken?“ „Ich habe ihren Namen nie vorher gehört.“ Pein hob die Schultern, nicht in Stimmung für Scherze. Aber da Temari nicht beunruhigt wirkte, beschloss er, die Sache nicht weiter zu beachten. Außerdem waren die Hornklänge weit weg gewesen. Sie würden noch eine Weile brauchen, um nur in die Nähe zu kommen, und wer wusste, wo die Jäger dann sein würden?

Einvernehmliches Schweigen legte sich wieder über die beiden Reiter und Pein widmete seine Aufmerksamkeit der Umgebung. Der breite Weg, ein fest getretener Pfad durch den Wald, führte unter einem Baldachin von grünen Ästen hindurch. Unterholz säumte ihn und Moos und Laub bedeckten den Boden und die Felsen, die überall aus dem Erdreich ragten. Durch die Baumwipfel konnte man hin und wieder die sie umgebenen Berggipfel sehen, die weiß gekrönt waren. Wann immer er einen davon länger im Blick hatte als nur einen Augenblick, bekam er ein Gefühl von Déjà-vu. Doch die Momente waren zu schnell vorbei, als dass er wirklich einen der Berge zuordnen konnte.
 

Er wollte gerade Temari darum bitten, kurz innezuhalten, damit er sich orientieren konnte, als der Weg vor ihnen heller wurde und damit einen Ausgang aus dem Wald anzeigte. Kurzentschlossen trieb er Kriegsstern zu einer schnelleren Gangart an, so dass sie an Temari vorbeizogen. Kurz darauf öffnete der Wald sich zu einem atemberaubenden Blick über grüne Täler und Hänge. Der größte Teil der Berge war bewachsen von Bäumen, das tiefe Grün der Nadelbäume mischte sich mit der helleren Farbe von jungen Blättern. Je weiter nach Süden sie kamen, desto mehr frisches Laub war zu sehen und desto mehr freie Flächen gab es auch. Wie weiße und blaue Bänder schnitten Wildbäche und kleine Flüsschen durch die eng stehenden Bäume. Graue Felsen, die mit grünen Flecken – Moos und Flechten – bedeckt waren, ragten aus dem Boden hervor, wo immer die anderen Pflanzen keinen Fuß auf dem kargen Berg fassen konnten. Eine Herde Gämsen sucht sich unweit von den beiden Reitern einen beinahe senkrechten Weg in die Höhe und über ihnen schwebte ein prächtiger Steinadler. Der Pfad machte einen scharfen Knick, kaum dass er den Wald verlassen hatte, und führte am Rande einer Steilkante weiter ins Tal hinab.
 

Doch Pein hatte keinen Blick übrig für die wilde Schönheit der Natur, sondern starrte mit gerunzelter Stirn nacheinander die Gipfel rund herum an. Er kannte sie. Er kannte sie alle: das Donnerhorn, der Böckchenkliff, die Drachenspitze und alle anderen. Er war schon einmal hier gewesen. Oder zumindest in der Nähe, das wusste er ganz genau, hatte Wochen hier verbracht, Monate gar. Vielleicht weiter im Westen; er kannte jedes Tal, jeden Fluss, jeden Gipfel… Aber dennoch wirkte alles seltsam. Verändert. Wie ein Bild, zu dem man zurückkehrte, nur um festzustellen, dass bereits jemand anderes weitergemacht und Details verändert hatte. „Was ist?“, riss Temari ihn aus den sich überschlagenden Gedanken, als sie zu ihm aufschloss. Er war ihr einen scharfen Blick zu, aber sie schaute nur desinteressiert über die Täler hinweg, als würde sie nichts Seltsames bemerken. Vermutlich war das aus ihrer Sicht auch der Fall. „Nichts.“, antwortete er darum.
 

Er wollte sich erst mehr Gedanken über diese Angelegenheit machen, ehe er jemanden Fremden einweihte. Temari zog zweifelnd eine Augenbraue hoch, hakte aber nicht weiter nach. Sie wusste genauso gut wie er, dass sie sich nicht kannten. Dass sie eigentlich Fremde waren. Sie würden sich gegenseitig nicht ihre Geheimnisse anvertrauen oder über obskure Theorien diskutieren, die keinen Sinn machten und von deren Materie sie beide wenig Ahnung hatten. „Ein paar Tage brauchen wir noch, ehe wir die Berge verlassen.“, erklärte sie stattdessen und trieb ihr Pferd wieder an. „Danach müsst Ihr Euch entscheiden. Ich kann Euch nach Weißfels bringen, das liegt am nächsten. Die andere Möglichkeit wäre Advorgar, das würde zwei bis drei Tage länger dauern, je nachdem, wie schnell wir vorankommen. In beiden Städten kenne ich Zauberkundige, aber Meister Seom in Advorgar wird Euch vermutlich besser helfen können.“
 

Pein hielt sich an ihrer Seite, während sie den Weg entlang ritten. Links von ihnen zog der Abgrund vorbei, der steil und tödlich tief hinunterging. Doch der Weg war breit genug, dass sie bequem nebeneinander reiten konnten, ohne dass einer von ihnen einem Sturz auch nur nahe kam. Pein nickte. Er wollte seine verlorenen Gefährten so schnell wie möglich wiedersehen, doch zwei Tage länger zu reisen würde sich lohnen, wenn er dafür einen kompetenten Magier traf, der ihm auch wirklich weiterhelfen konnte. Auf der anderen Seite wollte er sich beeilen. Er vermisste Konan an seiner Seite wie eine Gliedmaße. Außerdem wusste er nicht, in was für einer Situation seine Gefährten waren. Wenn sie seine Hilfe brauchten, wäre es also besser, er würde keine Sekunde zu viel verstreichen lassen. Allerdings würde er noch mehr Tage verlieren, wenn der Zauberer in Weißfels ihm nicht helfen konnte.
 

„Wir werden sehen.“, antwortete er darum nur auf Temaris ungestellte Frage. „Ich…“ Ein tiefer, langgezogener Ton schnitt ihm das Wort ab. Die Kriegerin hob ruckartig den Kopf. Wer auch immer diese Jäger waren, sie kamen näher. Und welcher Beute waren sie überhaupt auf der Spur? Die beiden Reiter wechselten einen Blick. „Vielleicht sollten wir ihnen ausweichen.“, bemerkte sie. „Die scheinen eine größere Beute zu verfolgen als ein paar Füchse und da will ich ihnen nicht in die Quere kommen.“ Pein fragte sich, wie ähnlich diese Statthalter und ihre Männer den despotischen Fürsten seiner Heimat waren. Temaris Unruhe nach zu urteilen, sehr. Er widersprach darum nicht, sondern passte Kriegssterns Geschwindigkeit wortlos der nun schnelleren Gangart von Temaris schönem Wallach an.
 

Bei dem nächsten Wildwechsel, der ihren Weg kreuzte, verließen sie den Pfad um wieder im Unterholz zu verschwinden. Jetzt, da er in etwa wusste, wo sie sich befanden, störte es Pein auch nicht mehr. Vielleicht stießen sie auch auf ein paar Zeichen von menschlicher Ansiedlung, was ihm noch weitere Hinweise auf seine momentane Lage geben konnte. Wenn er wirklich war, wo er dachte, würde er auf eine sehr markante Landmarke treffen, die ihm einiges über seinen Aufenthaltsort sagen konnte. Er würde jedenfalls die Augen danach ebenso offen halten wie nach den Jägern und deren Beute. Denn es gab nur eine Art der Jagd, die auf eine solche Art geführt wurde, die nach dem gefährlichsten Raubtier überhaupt: dem Menschen.
 

Es blieb nur abzuwarten, wer sich gegen ihn und Temari wenden würde, falls sie auf eine der beiden Gruppen trafen, die Jäger oder die Gejagten, oder ob die beiden Reiter unbemerkt zwischen ihnen hindurch schlüpfen konnten ohne überhaupt bemerkt zu werden. Die Chancen für letzteres standen gut, doch so wie sein Glück in der letzten Zeit lief, hatte er keine großen Hoffnungen.

Während der nächsten Stunde kamen sie nicht sehr schnell voran. Sie hörten die Hörner jedoch noch sechs Mal, aber es war nicht auszumachen, in welche Richtung die Jäger sich bewegten, nur dass sie unweit entfernt von ihnen waren. Zusätzlich stießen sie auf eine alte, bereits vor langer Zeit verlassenen Mine und verfallene Hütten unweit davon. Pein halfen diese Ruinen nicht weiter – jeder hätte sie errichten können und sie hatten nichts Besonderes an sich. Nur den Stollen hätte er sich gerne näher angesehen, doch die Spuren davor zeigten, dass er einem Bären als Quartier diente. Er hatte keine Lust, sich mit einem der großen, gefährlichen Tiere anzulegen und Temari hätte zu Recht dagegen protestiert, hätte er es doch versucht. Also passierten sie die Mine mit respektvollem Abstand.
 

„Wir hätten vielleicht doch einfach auf dem Weg bleiben sollen.“, murrte Temari, als sie ihre Hose zum wiederholten Male von einem Dornstrauch löste. „Da ist das Vorankommen wesentlich leichter.“ Irgendwo weit im Osten war wieder ein Horn zu hören. Wem auch immer diese Leute auf der Spur waren, er wusste, was er tat. Vermutlich war dies nicht seine erste Flucht. „He, eine Lichtung!“, freute sich die Kriegerin vor ihm plötzlich und trieb ihren Wallach auf die baumfreie Fläche hinaus, die mit hohem Gras und langstieligen, orangen Blumen bedeckt war. „Vielleicht sollten wir eine kurze Pause einlegen.“, schlug sie vor. „Ich habe im Moment genug von all diesem elendigen Gestrüpp, außerdem könnte ich etwas zu Essen vertragen. Ihr?“
 

Kriegsstern wieherte und warf den Kopf, als wolle er ihr zustimmen. „Seht Ihr, Euer Pferd findet das auch.“ Auch wenn Pein sich sicher war, dass sein Wallach nichts gegen eine Pause einzuwenden hätte – hatte er nie – so war die Reaktion doch anders zu deuten. Etwas, was der Kriegerin durchaus bewusst war, denn ihre nächste Frage lautete: „Was hat er?“ „Er hatte etwas gehört.“
 

Pein ließ den Blick suchend über den Wald schweifen, als würde er das Dickicht allein auf diese Art durchdringen können. Natürlich konnte er nicht viel sehen außer grünbewachsenen Zweigen und hohen Büschen. Vielleicht hätten sie unter den Bäumen blieben sol… Ein Rascheln im Unterholz ließ ihn aufhorchen und er zog Kriegsstern herum, während er seine Hand auf den Griff des Bronzeschwertes senkte. Temari tat es ihm gleich und keinen Moment zu früh. Da kam jemand auf sie zu und zwar schnell und er war nicht allein. Einen Moment später brach ein Pferd durch das Gestrüpp, das den Waldrand säumte, sein Reiter bewaffnet und leicht gerüstet mit wattierter Lederrüstung. Das schmutzig blonde Haar des Mannes stand in alle Richtungen ab und die linke Hälfte seines Gesichtes war mit schmalen, langen Narben überzogen. Er riss überrascht an den Zügeln, als er ihrer gewahr wurde, so dass sein braunes Pferd mit einem lauten Wiehern auf die Hinterbeine stieg.
 

Kurz darauf stürmte noch eine Gruppe weiterer Reiter aus dem Wald. Wo der erste wie ein Jäger oder Späher gekleidet war – bis hin zu dem dreifingerigen Bogenhandschuh – waren dies eindeutig Soldaten, wenn ihre Uniformen auch etwas zusammengewürfelt aussahen und das Wappen darauf – ein steigendes Pferd – manchmal von ungeschickter Hand aufgestickt war. Einen Moment herrschte fürchterliches Chaos, Leute riefen, Pferde wieherten nervös. Die Rösser der Neuankömmlinge kamen sich gegenseitig in die Quere, während ihre Reiter versuchten, wieder Ordnung zu schaffen.

Pein ließ Kriegsstern einige Schritte rückwärts gehen, so dass er direkt neben Temari stand. Die Neuankömmlinge erholten sich erstaunlich rasch von ihrer Überraschung und entwirrten sich in zwei Gruppen. Einige der Krieger, bemerkte Pein, waren verwundet. Ein Pferd war reiterlos und wurde am Zügel mitgeführt. Wenn Pein einen Zweifel gehabt hätte, dass diese Gruppe ein Teil der Jagd war, der sie auszuweichen versucht hatten, so hätten sich diese bei dem Anblick der Verbände in Luft aufgelöst.
 

Er warf Temari einen Blick zu. „Uchiha?“, wollte er so leise wissen, dass nur sie ihn hören konnte. Sie schüttelte den Kopf, die Stirn gerunzelt, die Augen konzentriert auf die Fremden gerichtet. Sie hatte einen Verdacht, wer dies war, sagte aber nichts darüber. „Wir sind einfache Reisende.“, erklärte sie stattdessen laut genug, dass die Fremden sie deutlich hören konnten. Ein hochgewachsener Mann mit blondem Haar, von dem einige Strähnen unter seinem einfachen Helm hervor sahen, trieb sein Pferd nach vorne. „Wir sind nicht…“
 

Ein berstendes Geräusch schnitt ihm das Wort ab und er richtete seine Aufmerksamkeit auf den Wald hinter Temari und Pein. Auch Pein fuhr herum, sein Pferd schnaubte unwillig und seine Hand schloss sich fester um den Schwertgriff, bereit, die Klinge blank zu ziehen. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie Temari die Bewegung echote. Doch die Fremden reagierten sofort damit, die Waffen zu zücken und in Angriffsstellung zu gehen, klar aufgeteilt in zwei Gruppen. Offensichtlich waren sie noch nicht lange genug als ein einzelner Trupp unterwegs, um klarere Strategien zu haben als Ihr nehmt rechts und wir links. Ihre Reaktionen geschahen keinen Moment zu früh: weitere Reiter brachen durch das Unterholz auf die Lichtung hinaus. Doch diese stoppten ihre Pferde nicht überrascht, sondern gingen sofort zum Angriff über.
 

Für einen Moment dachte Pein, dass die Angreifer einfach an ihm und Temari vorbeistürmen würden, denn offensichtlich gehörten sie nicht zu den anderen. Doch die Uchiha – denn wer anders konnten sie sein mit ihrem schwarzrotem Wappen und den gezückten Waffen? – schien das nicht zu interessieren. Im letzten Moment riss Pein sein Schwert aus der Scheide und blockte eine Klinge, die auf seinen ungeschützten Hals gezielt hatte. Einen Moment vorher mochte er noch unsicher gewesen sein, welche Seite er ergreifen wollte und ob überhaupt. Was gingen ihn die Kämpfe dieser Leute an?! Aber jetzt verlor er keine Zeit mehr.
 

Mit einer komplizierten Drehbewegung hebelte er die andere Waffe zur Seite und stieß sein Schwert nach vorne. Die bronzene Klinge drang in den schmalen Spalt zwischen Kettenhemd und Schulterpanzer ein und sein Gegner brüllte laut auf. Pein riss seine Waffe wieder heraus und ging übergangslos in einen Halbmondschlag über, der den Uchihakrieger an der Kehle traf und gleichzeitig aus dem Sattel fegte. Wenn der Schlag ihn nicht getötet hatte, so würden es die Hufe der Pferde tun, unter denen er verschwand.
 

Inzwischen tobte der Kampf in voller Stärke. Der Schlachtenlärm war unglaublich, ein einziges Durcheinander an Geschrei, ganz gleich, ob die Laute von Mensch oder Tier stammten. Das Kreischen von Metall auf Metall war ohrenbetäubend und überdeckte doch nicht Antarions Verlangen in seinem Kopf, das an dem Blutvergießen teilhaben wollte. Pein nutzte Kriegsstern, um sich etwas Platz zu verschaffen und war ein weiteres Mal froh um sein Pferd. Der Wallach mochte ungeduldig und frech sein, in Kampfsituationen jedoch war stets sein rigoroses Training zu sehen und er war ruhig und beherrscht und folgte jedem Kommando gehorsam.
 

Als jetzt ein weiterer Feind Pein auf seinem stämmigen kleinen Schlachtross ins Auge fasste, brauchte es noch nicht einmal einen Befehl und Kriegsstern stieg mit einem wütenden Wiehern auf die Hinterbeine um mit den Vorderhufen auszuschlagen. Er traf das andere Pferd an Brust und Hals und hinterließ offene Wunden. Das verwundete Tier schrie schmerzerfüllt auf und wich bockend zurück, was seinem Reiter fast auf den Boden warf. Doch eine Pause gab es für Pein nicht, schon donnerte der nächste Reiter auf ihn zu. Er duckte sich tief unter dem Schlag weg, packte den Stiefel des Mannes unter dem Steigbügel und warf ihn einfach rücklings aus dem Sattel. Dessen erschrockener Schrei brach abrupt ab, als er unter die stampfenden Hufe der Pferde geriet.
 

Pein ließ Kriegsstern eine heftige Drehung machen, um sich etwas Platz und gleichzeitig einen Überblick zu verschaffen. Der Lärm hatte noch zugenommen. Pferde schrien und wieherten schrill. Männer brüllten ihre Gegner vor Wut und Zorn an, andere vor Schmerzen. Antarion flüsterte noch immer seinen Wunsch in Peins Ohren. Die Wunde in seiner Seite zwickte – vermutlich waren die Stiche wieder aufgegangen. Doch sie musste gut genug verheilt sein, denn es fühlte sich nicht so an, dass sie erneut blutete, also ignorierte er sie.
 

Zwischen den vielen Reitern konnte er kaum Temari erkennen, einzig ihr weizenblondes Haar bot ihm einen Anhaltspunkt – die meisten der anderen Reiter trugen Helme. Es war erstaunlich, wie schnell sie in dem Chaos voneinander getrennt worden waren. Mit den Beinen lenkte er sein Ross in ihre Richtung, während er Schläge abwehrte und selbst welche verteilte. Von all den Menschen hier war sie die einzige, die seine wirklich Verbündete war.
 

Die Uchiha griffen jeden willkürlich und ohne Rücksicht auf Verluste an; die andere Gruppe hatte sie in diese Schwierigkeiten gebracht. Er wusste nicht, wie es von hier weitergehen würde, mit den mächtigen Feinden, die sie sich hier machen würden, einfach, weil sie sich gegen einen unerwarteten Angriff wehrten. Sie würden sich vielleicht selbst am besten helfen, wenn sie sich der ‚Jagdbeute‘ anschließen würden, zumindest bis sie den Dunstkreis der Uchiha verlassen hatten. Trotzdem würde er sich sicherer fühlen, wenn Temari direkt an seiner Seite wäre, anstatt mit mehreren Reitern zwischen ihnen.
 

„Da seid Ihr ja!“, rief sie freudig aus, als er sie endlich erreichte. Auf ihrem Gesicht zeigte sich ein ehrlicher Ausdruck von Erleichterung. Sie stellte ihr Pferd so, dass sie sich gegenseitig Deckung gaben, aber gleichzeitig genug Freiraum zum Kämpfen hatten. Pein antwortete nicht, sondern konzentrierte sich auf die Gegner, die auf sie eindrangen. Es waren nur noch erstaunlich wenige, stelle er plötzlich fest. Als wären es von Anfang an nicht genug gewesen. Irgendwo erschollen erneut die Jagdhörner und einen Moment später blies ganz in der Nähe jemand zur Antwort sein eigenes. Letzteres musste ein Signal für die Angreifer gewesen sein, denn die restlichen Uchiha brachen vom Kampfgeschehen weg. Sie trieben ihre Pferde an und flohen in den Wald.
 

Verwirrt starrte Pein ihnen nach und zügelte Kriegsstern, als dieser ihnen im wilden Galopp folgen wollte. Als ihre Feinde den Uchiha nachsetzen wollten, brüllte jedoch ein Mann mit autoritärer Stimme über den Lärm der Pferde und Siegesrufe hinweg: „Zurück! In die Reihen! Zurück!“ Pein griff nach den Zügeln von Temaris Wallach, um sie beide aus dem Gewimmel zu befreien und gleichzeitig zusammen zu bleiben. Wer wusste schon, wie diese Leute nun auf sie reagieren würden? Vorhin schienen sie nicht feindselig zu sein, aber ein Kampf heizte die Gemüter auf und ließ Meinungen umschlagen. Wenigstens verebbte langsam die Stimme des Schwertes in seinem Geist, so dass ihm Konzentration leichter fiel.
 

Doch die fremde Gruppe sammelte sich nur mit erstaunlicher Schnelligkeit auf der Lichtung, ein Stück entfernt von ihnen und dem Kampfplatz. Auf diesem lagen Tote weit verstreut; Männer und Pferde durcheinander, kaum eine der Leichen heil und nicht niedergetreten von den Hufen der übrigen Rösser. Ein paar der Tiere lebten trotzdem noch, doch einer der Soldaten war bereits abgestiegen, um sie von ihrem Elend zu erlösen. Ein anderer kümmerte sich um die gefallenen Krieger, von denen keiner mehr am Leben zu sein schien. Wer nicht schon tot aus dem Sattel gefallen war, den hatte dieses Schicksal ereilt, sobald genug Pferde über ihn hinweg getrampelt waren.
 

Ein paar andere Soldaten bauten unter dem Kommando einer schönen, blonden Frau mit selbst unter der einfachen Lederrüstung zu sehenden Kurven ein behelfsmäßiges Lazarett für die Verwundeten auf. Doch Pein hatte nicht die Zeit, sich weiter darum zu kümmern oder auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, ob er selbst solcherlei Hilfe brauchen könnte. Denn einer der Reiter hatte sich von den anderen gelöst und kam nun auf Temari und ihn zu. Es war der gleiche, der bereits vorher versucht hatte mit ihnen zu sprechen, doch nun hatte er den Helm abgenommen und frisches Blut zierte seine Kleidung und befleckte das Kettenhemd. Er blickte ihnen offen entgegen und sein goldblondes Haar war verschwitzt und von seinem Helm platt gedrückt. Seine Haut war von der Sonne gebräunt und unter der leichten Rüstung – besagtes Kettenhemd und einzelne Rüstungsteile aus mit Metall verstärktem, fleckigem Leder – zeichnete sich ein durchtrainierter Körper ab. Er hielt sich mit der selbstbewussten Sicherheit und Balance eines erfahrenen Kämpfers und Reiters, doch sein Schwert hatte er wieder in die Scheide zurückgeschoben. Dennoch hatte Pein keinen Zweifel daran, dass er ein gefährlicher Gegner war auch ohne seine Vasallen, die ihn offensichtlich verehrten und auch jetzt nicht aus dem Blick ließen. Seine pure Präsenz allein verlangte Respekt und Achtung und strahlte gleichzeitig Sicherheit und Vertrauen aus. Außerdem… Außerdem… Pein würde bei allen Göttern und Antarion schwören, dass er diesem Mann vorher noch nie begegnet war und er kannte ihn nicht. Dennoch wirkte er seltsam vertraut.
 

„Verzeiht.“, begann der Blonde das Gespräch. „Es war nicht unsere Absicht, dass Ihr in diesen Streit mit hineingezogen werdet.“ Temari runzelte die Stirn. „Absicht oder nicht, Ihr habt uns in eine ziemlich miese Lage gebracht.“ Der Mann verbeugte sich. „Und das tut mir ehrlich Leid, aber wir können es nicht mehr ändern. Wir konnten ja nicht wissen, dass wir so tief im Wald auf Reisende treffen würden.“ Temari grinste humorlos. „Wir haben versucht, den Uchiha aus dem Weg zu gehen. Bei ihnen kann man nie wissen…“ Der Blonde schnaubte. „Wie wahr. Dennoch habt Ihr sie Euch jetzt ebenfalls zum Feind gemacht.“ Bevor Temari etwas antworten konnte, unterbrach Pein das vorsichtige Gespräch: „Wieso dachten sie, dass sie eine Chance hätten?“ Er wies mit dem Kopf in die Richtung, in die die Feinde verschwunden waren und ließ dann vielsagend seinen Blick über das Schlachtfeld wandern.
 

Die ehemals reizvolle Lichtung war komplett zerstört, Gras und Blumen in den zerwühlten Boden getrampelt und Blut tränkte die Erde. Zahlreiche Leichen von Soldaten lagen zwischen den Kadavern der Pferde. Die Krieger des Blonden waren dabei, ihre eigenen Gefallenen aus dem Gewirr herauszusuchen. Die meisten der Leichen trugen jedoch das rotschwarze Wappen der Uchiha. Jetzt noch mehr als vorhin wurde klar, dass die angreifenden Soldaten in der Unterzahl gewesen waren. Hatten sie gehofft, der Überraschungseffekt wäre genug um den Gegner zu überrumpeln? Der ganze Angriff war Irrsinn gewesen. Pein war absolut nicht überrascht über den Ausgang. Der Blonde runzelte die Stirn, als würde ihm das erst gerade jetzt auffallen.
 

„Ich denke, sie waren etwas übereifrig.“, überlegte er laut und zuckte dann mit den Schultern. „Als wir ihnen das letzte Mal gegenübergestanden, waren wir noch weniger. Meine Gemahlin schloss sich uns mit ihren Kriegern in der Zwischenzeit an.“ Und wenn die Uchiha sich nicht die Mühe gemacht hatten, ihre Gegner vor dem Angriff zu zählen, waren sie selber schuld. Pein nickte. „Aber macht nicht den Fehler zu denken, die Uchiha wären hier in der Unterzahl.“, betonte der Blonde und machte eine Bewegung zum Wald hinüber. „Auch sie haben sich in Gruppen aufgeteilt, um uns zu suchen. Sie werden wohl bald in größerer Zahl hier sein.“ „Kein Zweifel.“, antwortete Temari spitz. „Und jetzt denken sie, dass wir zu Euch gehören und etwas Schlimmeres hätte uns kaum geschehen können.“ „Vielleicht seid Ihr ihnen nicht aufgefallen…“, bot der Blonde eine andere Möglichkeit an und meinte die Überlebenden, die ihren Vorgesetzten sicher von dem Kampf und seinen Teilnehmern berichten würden.
 

Doch Temari schnaubte nur als Antwort und machte eine Handbewegung, die sie selbst und Pein einfasste. „Eine Kriegerin und er hier? Während sie frontal auf uns zuritten? Ich für meinen Teil möchte dieses Risiko nicht eingehen. Wärt Ihr gewillt, es zu tun?“ Ihr Gegenüber schüttelte den Kopf. „Darum möchte ich Euch anbieten, mit uns zu kommen – zumindest so lange, bis wir die Gegend verlassen haben.“ „Würde uns das nicht noch mehr in Schwierigkeiten bringen?“, hakte Temari nach. „Zu zweit kann man sich leichter verstecken und kommt auch schneller voran als in einer so großen Gruppe, in der es auch noch Verletzte gibt.“ Sie wedelte mit der Hand in die Richtung besagter Gruppe. Ein paar der Reiter blickten wachsam zu ihnen herüber, doch die meisten waren inzwischen anderweitig beschäftigt, mit den Leichen und den Verletzten. Der Späher ritt langsam den Waldrand ab.
 

„Wir kennen ein paar geheime Wege.“, erklärte der Blonde. „Sobald wir sie erreicht haben, sind wir in Sicherheit. Das wird nicht mehr lange dauern.“ „Aber erst musst du einen Ring von Feinden durchbrechen.“, bemerkte Pein trocken. „Das erscheint mir nicht ungefährlich.“ „Außerdem“, begann Temari bedeutungsschwer und der scharfe Blick aus den intensiv blauen Augen ihres Gegenübers richtete sich auf sie, hart und kalkulierend. Sie sprach unbeeindruckt weiter: „weiß ich, wer Ihr seid.“
 

Das Gesicht des Mannes erstarrte. „Oh bitte.“, bemerkte sie. „Jeder, der etwas auf Politik achtet und eins und eins zusammenzählen kann, weiß, wer Ihr seid, Eure Majestät. Außerdem“, sie nickte zu einem der anderen Reiter hinüber, die die Szene beobachteten. Es war eine ausnehmend schöne Frau mit langem, rotem Haar, das sie in kunstvollen Zöpfen trug, damit es sie nicht behinderte. Wie die anderen war auch sie eine Rüstung gekleidet und bewaffnet, aber dies tat ihrem Liebreiz keinen Abbruch. Ihr Helm hing an ihrem Sattel. „ist Eure Gemahlin eine auffallende Erscheinung.“ Der Blonde schmunzelte. „Da habt Ihr Recht. Nun, das macht die Sache einfacher. Ihr kennt meine Agenda und die Uchiha denken, sie hätten mich bereits, also seid Ihr im Moment keine Bedrohung für mich, insofern Ihr mich verraten könntet. Ihr seht beide auch nicht so aus, als würdet ihr mit hinterrücks erdolchen wollen.“
 

Temari nickte. Pein verstand nur die Hälfte von dem Gespräch. Er wusste nicht, wer dieser Mann war und wenn dieser sich einen König nannte, so wollte er das auch nicht unbedingt ändern. Königen war nicht zu trauen. Allerdings – Temari schienen nicht dasselbe in einem König zu sehen wie er, das war offensichtlich. Auch die Krieger des Blonden verehrten ihren Anführer offensichtlich, wie Vasallen ihren hervorragenden, charismatischen Fürsten achteten, doch ohne die fanatische Huldigung, die Königsgetreue ihrem Herrn entgegenbrachten. Der Mann selbst hielt sich mit dem Stolz, der aus bitterer Erfahrung stammte, hatte aber nicht von der selbstüberschätzenden Arroganz der Könige, denen Pein auf seinen Reisen begegnet war – Männer, die nach der Krone eines souveränen, irrealen Herrschers griffen, nach einer Würde, die es nicht gab und die ihnen nicht zustand. Die meisten von ihnen, zeigte die Erfahrung, lebten nicht sehr lange, nachdem sie sich die Krone auf den Kopf gesetzt hatten. Orochimaru war der, der sich am längsten gehalten hatte, und auch er war am Ende gefallen. Niemand hatte die Königswürde je an eine zweite Generation weitergegeben.
 

„Euer Freund sieht allerdings etwas verwirrt aus.“, bemerkte der Fremde und Temari lachte. „Er könnte gestern hinter einem Stein hervorgekrochen sein, wenn man bedenkt, was er über die politische Situation weiß.“ „Ich habe mich verlaufen.“, fügte Pein hilfreich hinzu und wusste, dass er wie ein einfältiger Idiot klang. „Und zwar ziemlich weit.“ „Ich greife ihm ein wenig unter die Arme.“, erklärte die blonde Kriegerin, offensichtlich gewillt, einmal nicht selbst die Karte des naiven Trottels zu bekommen, wie sie es – ihrer geübten Tonlage im Dorf nach zu urteilen – des Öfteren tat oder durch die Engstirnigkeit des Gegenübers dazu gezwungen wurde. „Gebt uns einen Moment, um uns zu beraten.“ „Aber braucht nicht zu lange dafür, wir müssen bald wieder aufbrechen. Sonst holen uns die Uchiha doch noch ein.“
 

Der Blonde lenkte sein Pferd wieder in den Kreis seiner Vertrauten zurück. Seine rothaarige Frau sowie ein großer, vernarbter Mann mit Glatze und finsterem Blick gesellten sich für ein Gespräch zu ihm. „Nun?“, fragte Temari ihren Begleiter. „Da sind wir ganz schön in die Scheiße geritten. Schlimmer hätte es nicht laufen können.“ „Wer ist er?“ Temari warf einen Blick zu den Blonden hinüber. „Seine Majestät Minato von Konoha, der thronlose König ohne Reich.“ Überrascht zog Pein eine Augenbraue hoch. Wie konnte jemand König sein, wenn er kein Reich hatte? Land, mehr als ein normaler Fürst hatte, mehr als alles andere außer dem Willen, sich die Krone auf den Kopf zu setzen, war das, was einen König auszeichnete. Was ohne das Königreich übrig blieb, waren ein wertloser Titel und die Schande. Ohne Land wurde der Träger wieder zu dem, was er vorher war, meist ein Fürst, manchmal ein Söldner, der zu hoch und zu weit gegriffen hatte. Manchmal etwas anderes, wie Orochimaru es gewesen war oder Ornik der Bettlerkönig. Also wurde der Titel des Königs hier tatsächlich völlig anders gehandhabt als in seiner Heimat.
 

„Das sagt Euch gar nichts.“, bemerkte Temari und schüttelte dann den Kopf. „Ich frage mich, warum ich etwas anderes erwartet habe. Ich erzählte Euch von dem Goldenen Kaiser in Oto?“ Pein nickte; er erinnerte sich daran. „Vor über drei Jahrzehnten eroberte er Konoha, das Reich, das südlich von hier liegt, wie schon einige andere vorher. Es leistete großen Widerstand, fiel aber letzten Endes ebenfalls. Doch Prinz Minato, damals noch ein Kind, entkam mit einem Beschützer, wenn auch seine Eltern bei dem Massaker abgeschlachtet wurden. Vor einigen Jahren kehrte er zurück und seitdem wuchs die Rebellion, die seit der Eroberung hier schwelte. Konohas Bewohner waren schon immer stolz und starrköpfig. Dass ihre königliche Familie noch am Leben war - trotz dem Massaker, den Hinrichtungen und der Verfolgung – bringt natürlich noch mehr Widerstand. Die Uchiha, vom Kaiser als Herrscher in Konoha eingesetzt, versuchen im Gegenzug verzweifelt, Minato und seiner Familie habhaft zu werden und auch den Rest des königlichen Blutes von Konoha auszumerzen. Der Kaiser will dieses Land haben, koste es, was es wolle.“ Sie schüttelte angewidert den Kopf. „Eine Schande. Die Könige von Konoha sind die einzigen, die ihre Linie direkt auf den Ersten König und damit die Fünf zurückführen können.“
 

Pein horchte auf. „Die Fünf?“ Sie warf ihm einen frustrierten, aber gleichzeitig ungläubigen Blick zu. „Die Fünf Helden? Ihr wisst schon – die fünf Helden der Totenkriege, damals vor 8oo Jahren. Sagt mir bloß nicht, davon wisst Ihr auch nichts!“ „Doch.“, gab Pein zu und langsam begann sich ein Bild zusammenzusetzen. Doch war das möglich? Er wünschte, er könnte mit Hinata oder Neji darüber sprechen. Von Magietheorie verstanden sie weit mehr als er. Er wusste im Grunde nur, was er im Laufe der Jahre aufgeschnappt hatte, meist von den beiden Hyuga selbst, in deren Begleitung er so lange gereist war. Nun gut, er konnte jetzt nicht ändern, dass sie nicht da waren; dann behielt er seine Idee im Hinterkopf und breitete sie aus, sobald er all seine Gefährten sicher um sich versammelt hatte. Er hatte jetzt sowieso Anderes zu tun. „Na endlich ein gemeinsamer Nenner!“, freute sich Temari, aber in ihren Augen stand ein verwirrter Ausdruck. „Lasst uns das besprechen, wenn wir Muße dafür haben.“ Sie warf einen Blick zu Minato und seinen Getreuen hinüber, die inzwischen ihr Lazarett wieder zusammenpackten. Vielleicht hätte Pein die Heilerin einen Blick auf seine Wunde werfen lassen sollen, doch jetzt war es zu spät.
 

„Ich schlage vor, wir trennen uns von ihnen.“, sagte die Kriegerin neben ihm. „Allein haben wir größere Chancen. Die Uchiha werden sich sicher auf die konzentrieren und nicht auf zwei Reisende, die etwas mit ihnen zu tun haben könnten oder auch nicht.“ Doch Pein schüttelte den Kopf. „Nein. Ich bin interessiert. Lass uns mit ihnen weiterreiten.“ Die Kriegerin starrte ihn ungläubig an. „Ihr wollt unsere Leben riskieren, weil Ihr interessiert seid?“ Pein zuckte mit den Schultern. „Du brauchst nicht mit mir zu kommen.“, antwortete er. „Außerdem, so wie ich das sehe, gibt es hier keine sichere Lösung. Die Uchiha mögen uns so oder so nicht.“
 

Und Fürsten wie diese, sagte seine Erfahrung, interessierte es nicht, ob sie Unschuldige waren oder tatsächlich beteiligt. Das schien auch Temari zu wissen und darum lenkte sie ein: „Nun gut. So leicht werdet Ihr mich nicht los. Ich will nur hoffen, dass Ihr wisst, was Ihr tut.“ Sie wandte sich ab und fügte leise und eindringlich hinzu: „Es wäre eine Schande, wenn dieses Schwert in die Hände der Uchiha oder gar des Kaisers fallen würde. Sorgt dafür, dass dies nicht geschieht.“ Automatisch warf er einen Blick auf Antarions Heft hinunter. Das Schwert hing wieder an seinem Sattel und sah äußerst unschuldig aus. Vorhin, während des Kampfes hatte es jedoch lautstark verlangt, daran teilnehmen zu dürfen, ein grausames Lied voller Blutdurst, auch wenn Pein der einzige gewesen war, der es gehört hatte. Nun war es wieder still – lauernd. Es wartete nur auf die nächste Gelegenheit. „Keine Sorge. Ich weiß, wie man damit umgeht.“
 

Als Minato bemerkte, dass sie sich offensichtlich geeinigt hatten, kam er wieder zu ihnen herüber. „Und? Wie habt Ihr Euch entschieden? Ich will nicht lügen, wir können jeden Kämpfer an unserer Seite gebrauchen.“ Es warf einen Blick über die Schulter zu seinen Leuten hinüber. „Die Uchiha haben uns überrascht, als sie hier im Gebirge auftauchten, und uns bereits mehr gekostet, als wir erwartet haben.“ „Wir werden Euch begleiten.“, antwortete Temari, aber ihr Gesichtsausdruck zeigte deutlich, dass es nicht ihre Idee gewesen war. Über Minatos Gesicht huschte ein Lächeln. „Dann willkommen in unserer Gemeinschaft. Kommt, ich stelle Euch den wichtigsten Leuten vor.“
 

Diese waren, neben seiner Gemahlin Kushina, der Magier Ibiki, der zu viele Narben für einen Mann seines Standes hatte, Tsunade die Heilerin, die sich mit der Grazie einer Tänzerin bewegte, und Yoshino von Nara, die ihren Helm nicht abnahm und kein Wappen trug, obwohl sie offensichtlich eines besaß und von hoher Geburt war. „Ich bin Temari von Sabakuno.“, antwortete die blonde Kriegerin darauf, aber ehe sie weitersprechen konnte, fragte Kushina überrascht: „Ihr stammt aus Uzuno? Ihr seid weit entfernt von Zuhause.“ Die Angesprochene blinzelte überrascht, als ob sie nicht erwartet hätte, dass jemand ihre Heimat kannte. Sie schenkte der Königin ein winziges Lächeln. „Meine Forschungen über die Totenkriege führten mich her. Ich folgte den Fußstapfen der Helden.“ Einen Moment horchte Pein erneut auf, doch Kushina unterbrach seine Gedanken, ehe er sie weiter ausführen konnte. „Was ist daraus geworden?“ „Nichts.“ Temari zuckte mit den Schultern. „Sie verliefen sich im Sande.“ Doch gleichzeitig warf sie einen erneuten Blick auf Antarion, was Peins Misstrauen abermals weckte.
 

„Jetzt begleite ich Nagato hier zu einem Freund von mir.“ „Und Ihr kommt auch mit solch illustrem Hintergrund daher?“, wandte Kushina sich an Pein, doch der antwortete nur trocken: „Wohl kaum. Ich wurde von meinen Gefährten getrennt und habe mich im Nebel verlaufen, viel weiter, als ich dachte. Temaris Freund ist ein Magier, der mir vielleicht helfen kann, sie wiederzufinden.“ „Ich verstehe.“ „Ich störe nur ungern“, mischte sich nun der Späher ein. „aber wir sollten jetzt wirklich aufbrechen.“ Die Soldaten saßen größtenteils wieder auf ihren Pferden. Am Rande der Lichtung hatten sie ihre Toten aufgereiht, fünf an der Zahl. Jemand hatte sie in ihre Umhänge gewickelte wie in Leichentücher. Drei Pferde mussten sie töten und zurücklassen, da sie zu schwer verletzt war. Weitere mussten während des Kampfes gestorben sein. Dafür hatten sie einige Rösser der Uchiha erbeutet. Darum gab es glücklicherweise trotzdem noch genug Reittiere, sodass jeder sein eigenes hatte. „Du hast Recht, Raidou“, antwortete Minato.
 

Er stellte sich in den Steigbügeln auf. „Bereit?“, rief er laut und bekam ein zustimmendes, lautstarkes Murmeln zur Antwort. „Temari und Nagato hier werden uns ein Stück begleiten, nachdem wir sie in diese Schwierigkeiten gebracht haben.“ Er ließ sich wieder in den Sattel sinken und lenkte sein Pferd herum. „Auf geht’s!“
 

~ [ ♠ ] ~
 

Sie führten wieder das Leben eines Soldaten. Tagsüber legten sie so viel Strecke zurück wie möglich und abends schlugen sie ihr Lager an einem verdeckten Platz auf, der ihnen so viel Schutz wie möglich bot. Doch die Nacht brachte ihnen keine Erholung. Immer saß ihnen die Angst in den Knochen, dass die Uchiha sie doch noch einholen würden. Hinata hatte diese Rastlosigkeit schon immer gehasst. Sie war ihr ein alter Bekannter und sie ertrug sie, weil sie dem großen Ganzen diente, aber das hieß noch lange nicht, dass sie ihr gefiel. Der kurze Moment des Innehaltens an diesem ihr so fremden Ort war vergangen. Auch hier hatten sie Kampf und Leid schnell wieder eingeholt. Manchmal fragte sie sich, ob es jemals eine Zeit geben würde, in der sie keine Angst mehr zu haben brauchte… Dieser Traum war so fern. Es schien immer nah zu sein, als würde sie nur danach zu greifen brauchen, doch immer blieb er außerhalb ihrer Reichweite.
 

„Hinata?“ Sie schrak aus den Gedanken und blickte direkt in Narutos besorgtes Gesicht. „Ist alles in Ordnung?“ „Ja“, erwiderte sie und strich sich eine Haarsträhne hinter das linke Ohr, „ich war nur in Gedanken.“ „Das kann mir nicht passieren!“, lachte Naruto, „du kriegst noch graue Haare, wenn du so viel nachdenkst.“ Sie errötete bis zu den Haarwurzeln. Sie war solche Nähe nicht gewohnt, nicht außerhalb des vertrauten Kreises ihrer Gefährten. Und schon gar nicht von einem jungen, gutaussehenden Mann wie Naruto es war. Niemand wie er war ihr je so nahe gekommen; sie konnte sie an einer Hand abzählen und keiner kam in Frage.
 

Neji war ihr Cousin, aufgewachsen wie ihr Bruder, erzogen als ihr Beschützer. Pein hatte nie für jemand anderen als Konan Augen gehabt und Kiba, so sehr er sich auch herumtrieb und von einer Bettrolle zu der nächsten Lagerstatt wechselte, Hinata hatte er immer mit zu viel Ehrfurcht behandelt. Aber mit Naruto war es anders. Doch darüber sollte sie sich jetzt keine Gedanken machen, das war wohl kaum der richtige Ort noch die richtige Zeit! Außerdem hegte er sicher nicht dieselben Gedanken!
 

Der Blonde stutzte. „Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist? Du glühst ja geradezu.“ „Na-natürlich“, stotterte Hinata, doch da hatte Naruto schon seine Hand auf ihre Stirn gelegt, um sich persönlich davon zu überzeugen. Das wiederum führte dazu, dass ihr Gesicht nur noch mehr vor Hitze brannte. „Ich glaube, du hast Fieber“, sagte er ehrlich besorgt. Instinktiv wich sie einen Schritt zurück. „E-es i-ist w-wirklich a-alles i-in Ordnung. Ich bi-bin nicht krank.“
 

Naruto hob noch einmal skeptisch eine Augenbraue, dann verschränkte er die Arme und erklärte: „Eigentlich wollte ich dir nur Bescheid sagen, dass das Essen fertig ist. Aber ich warne dich: Deidara hat gekocht. Ich bin mir nicht sicher, ob uns sein Eintopf um die Ohren fliegen wird.“ Vor ihrem inneren Auge tauchte das Bild eines roten Feuerballs auf, der alles um sich herum erzittern ließ. Hinata wusste zwar, dass Naruto nur einen Scherz gemacht hatte, aber sie war sich sicher, dass Deidaras Essen zweifelsfrei eine gewisse Würze haben würde. Nur zu gut erinnerte sie sich an die Todesangst, die sie im Turm hoch oben in der Burg der Uchiha ausgestanden hatte, als die Schmiede mit Donner und Getöse in Flammen aufgegangen war.
 

„Ich habe noch nie eine solche Magie wie die seine gesehen.“ Die Worte entschlüpften ihr ohne nachzudenken. Naruto hielt inne. Ein verwunderter Ausdruck huschte über sein Gesicht. „Wie kommst du darauf? Deidara ist doch kein Magier.“ Er sagte die Worte, als wäre dieser Gedanke einfach lachhaft! Aber… Wie?! Diese Explosion hatte die Kraft von mindestens drei Feuerzweigen. Wie konnte Deidara da kein Magier sein?! Naruto musste die Verblüffung in ihrem Gesicht erkannt haben. Er blickte von ihr zum Feuer hinüber, wo Deidara eifrig in einem Eisentopf rührte, während Lee ihm zusah und Ino ab und an einen bissigen Kommentar abgab. Konan war nirgendwo zu sehen, aber das hatte Hinata auch nicht erwartet. Bevor Konan irgendwo zur Ruhe kam, musste sie sich stets vergewissern, dass in der Nähe keine Gefahr drohte. Diese Vorsicht hatte ihnen mehr als einmal das Leben gerettet.
 

Auch jetzt war sie wieder im Wald verschwunden, um sich umzusehen. Ohne Kibas und Nejis besondere Talente musste sie Aufklärung auf die altmodische Art durchführen und Konan nahm diese Aufgabe sehr ernst. Im Moment hatten sie ihr in einer großen Mulde unter einem gigantischen, umgestürzten Baumstamm aufgeschlagen, der ihnen etwas Schutz vor Sicht und Wind bot. Er war komplett mit Moos überzogen und die Senke darunter musste halb vom Regen, halb von einem Tier gegraben worden sein, doch letzteres war schon lange verschwunden. Um sie herum erhoben sich die alten, düsteren Bäume, die alles Licht aussperrten, und ihre Pferde grasten etwas weiter, wo sie einen Platz für sie im Unterholz gefunden hatten.
 

„Er benutzt Schwarzpulver“, riss Naruto sie abermals aus den Gedanken und sie wandte ihren Blick von der grimmigen Szenerie ab. „Deidara geht bei einem Schmied in die Lehre und kennt sich deshalb mit Feuer aus. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie oft er uns schon angekokelt hat!“, lachte Naruto, hörte aber abrupt auf, als er merkte, dass sie ihn noch immer verwirrt anstarrte.
 

Schwarzpulver. Das Wort fühlte sich selbst in ihren Gedanken fremd an. Sie hatte auf ihren Reisen den einen oder anderen Alchemisten getroffen, aber von einer Mixtur, die reines Feuer brachte, hatte sie noch nie gehört. War Deidara etwa ein Pionier auf dem Gebiet der Elementaralchemie? Wenn sie sie dieses Wundermittel doch schon etwas früher gehabt hätten…! Bitter dachte Hinata an all die Menschen, die sie in den Totenkriegen hatte sterben sehen. Wie viele Leben hätten sie retten können mit diesem Schwarzpulver, das an scheinend jeder anwenden konnte, der richtig geschult wurde, ohne auf die einzigartigen Fähigkeiten eines Magiers zurückgreifen zu müssen?
 

„Es ist eine Wissenschaft“, erklärte Naruto, der ihre Frage erriet. „Im Prinzip kann es jeder lernen, der auf eine Universität geht oder eine entsprechende Lehre anfängt, aber für mich ist das nichts. Viel zu kompliziert. Außerdem haben wir ja Deidara. Ich weiß nur, dass es ordentlich kracht, wenn man es richtig macht.“ Er schenkte ihr ein breites Grinsen, das seinem Gesicht einen schelmischen Ausdruck verlieh. Für einen Moment fühlte sie, wie ihr Herz einen Schlag aussetzte. Sie sah schnell zur Seite.
 

„Darf ich dich etwas fragen, Naruto-san?“ Jetzt war es Naruto, der sie irritiert ansah. „Sicher“, erwiderte er, „aber warum bist du so förmlich? Und auch noch so antiquiert-förmlich?“ Hinata spürte, wie sie aufgrund seiner Direktheit beinahe erneut errötete, aber diesmal kämpfte sie das Gefühl erfolgreich nieder. Wie in aller Welt konnte er denn erwarten, dass sie ihn nach nur wenigen Tagen, die sie einander kannten, schon mit einem vertrauteren Suffix anredete? Andererseits … Naruto und seine Freunde benutzten überhaupt keine, was in allen Kreisen, außer den engsten Freunden, als höchst unfreundlich galt. Noch etwas, aus dem sie nicht schlau wurde.
 

„Aber wir kennen uns doch kaum“, beantwortete sie endlich Narutos Frage. „Ich kann doch nicht-“ „Wieso redest du überhaupt so altmodisch?“ „Altmodisch?“, wiederholte sie verdutzt. Naruto kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Na ja, diese Art zu sprechen benutzen doch nur Historiker bei wissenschaftlichen Diskussionen und mein Vater hat mir mal aus einem Buch eine Geschichte vorgelesen, bei der-“ Er schluckte den Rest des Satzes hinunter und sah für eine Sekunde so ertappt aus, als hätte er sein tiefstes Geheimnis preis gegeben. „Wie auch immer“, wischte er den Moment beiseite, „es fühlt sich irgendwie falsch an, wenn du so förmlich mit mir redest. Kannst du mich nicht … ich weiß nicht … irgendwie weniger … äh hochtrabend anreden?“
 

Die Dreistigkeit dieser Forderung machte Hinata einen Moment lang sprachlos. Sie war in einen Clan hinein geboren worden, in dem Höflichkeit eine hohe Stellung eingenommen hatte. Es galt als die Grundlage friedlichen Miteinanders und da der Hyuga-Clan eine der wenigen Gemeinschaften war, die niemals einen inneren Konflikt gehabt hatten, war sie überzeugt, dass mehr dahinter stand als lächerliche Theorie. Manche Sippen und Kollektive zerfleischten sich regelmäßig selbst und boten dadurch ihren Feinden Angriffsmöglichkeiten, die ganz einfach vermieden werden könnten.
 

Auch später, als sie mit ihren Gefährten Seite an Seite gekämpft hatten, waren ihre Verbündeten ihr stets mit Hochachtung begegnet. Jeder ehrte und achtete immerhin Hinata die Reine, die vertraute Magierin des Kriegsherrn, die machtvolle Erbin des Hyuga-Clans. Nicht ein einziger hatte sie darum gebeten weniger förmlich mit ihr zu sprechen, galt es doch als große Ehre, wenn eine Magierin des Hyuga-Clans ihrem Gesprächspartner Respekt zollte. Warum also hätte sich jemand die Mühe machen sollen, seine eigene Stellung herab zu setzen? Doch Naruto …
 

Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihr aus. Einerseits fühlte sie dieses Fremde, das selbst in den Worten dieses Ortes hauste und ihr Angst machte, andererseits … war sie glücklich. Fast hätte Hinata das Gefühl als solches nicht erkannt, da Glück in ihrer Zeit so selten war, dass sie die wenigen Male, in denen sie wirklich glücklich gewesen war, an einer Hand abzählen konnte. Doch Narutos unkonventionelle Art hatte sie zu ihm herabgezogen, sodass sie sich auf Augenhöhe begegnen konnten. Wo andere sie wegen ihrer Magie fürchteten, war Naruto neugierig. Auf eine eigenartige Weise schaffte er es ohne Mühe durch ihre Fassade hindurch zu sehen. Er sah nicht wie alle anderen die Weiße Magierin der Fünf in ihr, sondern ein Mädchen, das er kennen lernen wollte. Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. „In Ordnung, Naruto-kun.“
 

Naruto verzog das Gesicht, dann seufzte er. „Na, immerhin etwas besser. Also was wolltest du mich fragen?“ Sie wandte den Blick ab und zupfte verlegen an ihrem Ärmel. „Uhm … ich weiß um ehrlich zu sein, immer noch nicht genau, wer diese Leute waren, die uns gefangen genommen haben. Ich habe ihr Wappen nicht erkannt.“
 

Ihr unerwarteter Retter starrte sie fassungslos an. „Meinst du die Uchiha?“ Sie nickte. „Ihr kommt wirklich nicht von hier, was?“ Er warf einen kurzen Blick zu den anderen hinüber, die gerade über eine Bemerkung lachten; sie wirkten frei und unbekümmert. Dann sah er zu der Stelle hinüber, wo Konan im Wald verschwunden war, lautlos wie immer. Er wandte sich wieder zu Hinata. „Die Uchiha sind die Statthalter Konohas, die das Land auf Geheiß des Goldenen Kaisers von Oto verwalten, nachdem die Königsfamilie-“ „Naruto, wo bleibt ihr denn?!“, schnitt Inos Stimme ihm das Wort ab. „Ich habe dich jetzt schon zweimal gerufen, aber der Herr ist ja wohl offensichtlich taub. Sei bloß froh, dass deine Mutter nicht da ist!“
 

Hinata und Naruto blickten gleichzeitig zum Feuer hinüber, wo Ino eine drohende Geste mit der Suppenkelle machte und ungeduldig zu ihnen herüber sah. Deidara und Lee betrachteten sie beide mit einer gewissen Art Respekt, aber das Grinsen saß noch immer auf ihren Lippen.
 

„Komm schon“, murmelte Naruto, „sonst haut sie mir das Ding noch um die Ohren. Ich erkläre dir später den Rest.“ Etwas lauter rief er: „Nun, mach nicht so einen Stress, Ino! Das Essen wird noch sauer, wenn du weiter so rumzeterst!“ Mit großen Schritten setzte Naruto sich in Richtung Feuer in Bewegung, wo er sich gleich einen Seitenhieb von Ino einfing. Hinata lächelte. Diese Leute hatten etwas an sich, das sie für sich einnahm, aber für einen kurzen Moment hatte sie geglaubt hinter Narutos Fassade einen Ausdruck von Verlust gesehen zu haben…
 

„Deutet der hohe Herr etwa an, ich könnte nicht kochen?!“, schnappte Deidara gerade, als sie sich neben Lee am Feuer niederließ. „Das habe ich nie gesagt“, konterte Naruto, „ich erinnere mich nur noch an dieses eine Mal, als du uns weismachen wolltest, dass drei Pfund Chili gesundheitsfördernd sind und wir alle zwei Wochen mit Magenverstimmung im Bett lagen. Weißt du noch?“ „Das sind doch alles alte Geschichten“, winkte Deidara ab, „stell dich nicht so an. Hier, die Dame, meine Spezialität: Feuertopf.“ Ino schnaubte verächtlich, was der Schmiedelehrling wohlweislich ignorierte. Deidara reichte Hinata eine dampfende Schüssel, die so aussah, als würde sie tatsächlich ganz gehörig aufwärmen. „Vielen Dank, Deidara-san.“ „Keine Ursache, Schätzchen. Aber du darfst dich gern bei Gelegenheit bei mir revanchieren, hm.“ Er zwinkerte ihr anzüglich zu, was Hinata erneut das Blut in den Kopf trieb.
 

„Sei nicht so undankbar, Deidara!“, krähte Lee dazwischen, „sie hat uns das Leben gerettet! Wie kannst du nur so unehrenhaft mit ihr reden!?“ Ino und Naruto verdrehten synchron die Augen, aber Hinata war insgeheim froh, dass Lee sich in der vergangenen Woche bereits so gut erholt hatte und er zu einem solch enthusiastischen Ausbruch überhaupt fähig war. Und das trotz ihrer wilden Flucht. Das zeugte von einer Art Stärke und Vitalität, die sie bewunderte und nicht oft antraf. „Iss einfach, Lee“, knurrte Deidara, „ich werde dich garantiert nicht noch mal über die Schulter werfen, wenn du nicht bei Kräften bist. Wer bin ich denn? Ein Landstreicher, der eine holde Maid entführt, hm?!“ Hinata lächelte in sich hinein und probierte einen Löffel Eintopf. Wie sie es erwartet hatte, war das Essen scharf, aber die Pilze, die sie unterwegs gefunden hatten, zergingen ihr auf der Zunge. Selbst einige Brocken Fleisch schwammen in ihrer Schale. Die verdankten sie Konan, die auf einer ihrer ruhelosen Patrouillen einen Truthahn erlegt hatte.
 

Nachdenklich kauend sah Hinata zu ihren Pferden herüber, die sie durch die Bäume nur teilweise sehen konnte und friedlich nebeneinander grasten. Sie trugen noch immer Sättel und Zaumzeug, schließlich konnte man nie wissen. Einzig die Kochutensilien hatten sie bereits ausgepackt. Dabei hatten Ino und Deidara eine Menge Kräuter zutage gefördert, die ihr unbekannt waren. Hinata schluckte einen weiteren Löffel Eintopf hinunter, ehe ihre Gedanken wieder zu den Pferden wanderten. Mondtänzer, ihr Schimmel, hatte sich mühelos an die Spitze der Rangordnung gesetzt. In regelmäßigen Abständen stellte er die Ohren auf und lauschte wachsam. Neben ihm war Konans Dunkelbraune festgemacht und döste vor sich hin. Doch sie gab sich nicht der Illusion hin, dass das Tier deshalb unaufmerksam war. Nachtherz war genau wie alle ihre Pferde schlachterfahren und nicht leicht aus der Ruhe zu bringen. Aber er glich seiner Herrin in einer Art, für die Kiba Konan schon oft aufgezogen hatte. Sie war genauso lautlos, diszipliniert und wendig wie ihre Reiterin.
 

Wo blieb ihre Freundin überhaupt? Konan hätte längst zurück sein müssen. Das war merkwürdig. Konan war schnell, ausdauernd und fand sich auch auf unbekanntem Terrain unwahrscheinlich rasch zurecht. War etwas passiert? Hinata spürte, wie die Sorge in ihr wuchs. Normalerweise hätte sie sich keine Gedanken gemacht, aber diese Situation war anders. Sie waren nur noch zu zweit und wussten absolut nicht, wo sie waren. Unwillkürlich begann sie, schneller zu essen.
 

Auf einmal hob Nachtherz den Kopf und wandte sich dem Wald zu. Hinatas Blick folgte dieser Richtung. Konan verursachte nicht mal ein Geräusch, als sie aus dem Wald trat, aber Hinata sah ihr augenblicklich die Anspannung an. „Konan!“ Sie sprang auf.
 

„Packt sofort die Sachen zusammen!“, befahl Konan ohne Umschweife, als sie ans Feuer trat und Erde darüber trat, um es zu löschen. „Sie haben unsere Spur gefunden. Wenn wir uns nicht beeilen, sind sie in einer Stunde hier.“ „Wie bitte?!“ Ino verschluckte sich fast an ihrem Eintopf. Konan achtete nicht auf sie, sondern trat weiter das Feuer aus und machte sich daran ihr weniges Hab und Gut zusammen zu packen, das sie bereits in der Mulde unter dem Baumstamm verteilt hatten. „Die Uchiha? Bist du dir sicher?“, hakte Deidara nach. Konan warf ihm nur einen einzigen Blick zu. „Todsicher.“
 

„Aber … wenn wir nur eine Stunde Vorsprung haben-“ Ino beendete ihren Satz nicht. Konan hatte inzwischen Nachtherz losgebunden und prüfte ihre Waffen. Die mystischen drei Dolche, Umbra – der Schatten, Nox – die Nacht und Cruor – das Blut, die ebenso wie Nejis Schwert Akai, Kibas Bogen Cridhe, Peins Schwert Antarion und ihr magisches Amulett, der Ismalith, dazu in der Lage waren Untote zu vernichten, trug sie immer am Körper. Doch nun band sich Konan nach Sitte der Schattengilde einen zusätzlichen Gürtel mit Dolchen und Wurfmessern um die Hüfte. Ihre restlichen Waffen, ein beeindruckendes Arsenal, blieben vorläufig, wo sie waren. Doch die Ernsthaftigkeit der Situation wurde nun allen deutlich.
 

„Wir … wir können ihnen nicht davon laufen, oder?“, flüsterte Ino. Von ihrer sonst so selbstbewussten Art war nicht mehr viel übrig. Nur noch Angst. Hinata konnte es ihr nicht mal verdenken. Sie alle hatten nicht gewagt Lee zu fragen, was die Uchiha ihm angetan hatten, aber seine Wunden waren so schwer gewesen, dass sie sich ihren Teil zusammen reimen konnten. Lee selbst sprach nicht darüber, aber im Schlaf warf er sich unruhig herum und schrie manchmal sogar.
 

„Lasst mich hier zurück.“ Es war das erste Mal, dass Hinata Lee so ernst erlebte. Aber er war es, der genau wusste, was sie erwartete, wenn die Uchiha sie erwischten. Er kannte das Risiko besser als jeder andere. „Ohne mich könnt ihr es vielleicht schaffen. Ich verlangsame euch nur.“ „Nein!“ Naruto widersprach ihm so heftig, dass er sie für den Moment überrumpelte. Es war als wäre plötzlich ein anderer an die Stelle des fröhlichen Naruto getreten. Ein Mann aus Stahl und einem ungebrochenen Willen … Ein Mann, der niemals seine Freunde zurücklassen würde. „Sag‘ das nie wieder, Lee. Wir lassen keinen von uns im Stich. Entweder leben wir alle oder wir gehen gemeinsam unter!“
 

„Dann entscheide dich. Wir verlieren Zeit.“ Konan trat auf ihn zu. „Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder kämpfen wir oder …“ „Oder?“, hakte Naruto nach. Ein listiges Lächeln trat auf die Lippen der Assassine und sie warf einen Blick zu Hinata hinüber. „Oder wir führen sie in die Irre.“
 

„Wie stellst du dir das vor?“, hakte Deidara nach, „wir können wohl kaum vor ihren Augen davon spazieren, hm?“ Er richtete sich auf und sah Konan herausfordernd an. „Das sind nicht irgendwelche Straßenräuber, das sind Soldaten der Uchiha. Die Bluthunde des Kaisers.“
 

„Es gibt einen Weg.“ Sämtliche Augenpaare richteten sich auf Hinata. Sie holte tief Luft. Sie hatte genau gewusst, worauf Konan hinauswollte in dem Moment, in dem sie deren Blick aufgefangen hatte. „Es gibt einen Weg – wenn ihr mir vertraut.“ Überdeutlich spürte sie das schwere Silber des Medaillons auf ihrer Haut, ein vertrautes Gewicht, das ihr Sicherheit gab, seit sie es das erste Mal gespürt hatte. „Welcher Weg sollte das sein?“, fragte Deidara misstrauisch. Sie sah ihm fest in die Augen. „Ein Zauber. Er wird den Lord und seine Männer von unserer Spur ablenken, verlangt jedoch einiges von uns ab. Immerhin ist es Blutmagie.“
 

Sie sah das Entsetzen auf dem Gesicht jedes einzelnen und sie konnte es ihnen nicht einmal verdenken. Blutmagie war sehr dicht an der schwarzen Magie und viele Magier, die sie kannte, weigerten sich, sie zu nutzen. Die Grenze zu der wirklich dunklen Zauberei war manchmal so dünn, dass sie nicht zu erkennen war – nur die eigene Moral des Anwenders würde sie ersichtlich machen. Selbst ein Magier wie Hinata, gefestigt in seinen Wertvorstellungen, griff nur als allerletztes Mittel auf diese Art der Magie zurück. Es war ein schmaler Grat, auf dem der Anwender sich bewegte, denn durch das Blut des Beteiligten, das für die Ausführung unabdinglich war, erlangte er Macht über denjenigen. Macht, die man nur allzu leicht missbrauchen konnte …
 

„Ich erzeuge eine Illusion“, fuhr sie fort, als niemand etwas sagte. „In ihren Augen werdet ihr unsichtbar sein. Selbst, wenn ihr direkt vor ihnen steht.“ „Wie … wie funktioniert das?“, fragte Ino endlich. Ihre Stimme zitterte und Hinata hatte das Gefühl, dass es nicht wegen der Uchiha war. „Ich brauche nur einen Tropfen eures Blutes. Ich schwöre bei meiner Ehre, ich werde die Magie nicht gegen euch verwenden.“ Sie sah sich suchend um und entdeckte dann nicht weit entfernt einen etwa handgroßen Stein. Die Magierin bückte sich, hob ihn auf und wischte Dreck und Moos davon ab. Sie wog ihn prüfend in der Hand. Perfekt. Dann sah sie auf.
 

„Jeder von euch muss einen Tropfen seines Blutes darauf tropfen lassen. Anschließend muss jemand den Stein unseren Verfolgern unterjubeln. Parallel legen wir eine falsche Fährte. Unsere Verfolger werden einem Phantom nachjagen.“
 

Schweigen legte sich über die Gruppe. Ihre neuen Gefährten sahen sich unbehaglich von der Seite an. Konan überkreuzte die Arme vor der Brust, ihre Stirn nachdenklich gerunzelt, den Blick fest auf die anderen gerichtet, die es kaum wagten, die Blicke der anderen aufzufangen.

Ein solcher Vorschlag wurde nirgendwo begeistert aufgenommen, doch diese Reaktion war doch etwas extrem. Hinata fragte sich, ob sie in ein Fettnäpfchen getreten war. Hatte einer ihrer neuen Freunde schlechte Erfahrungen damit gemacht? Hätte sie diesen Vorschlag nicht machen sollen? Aber was blieb ihnen ansonsten übrig? Sie konnten nicht fliehen, sie konnten nicht kämpfen. Das war das einzige, was ihr einfiel.
 

„Haben wir eine Wahl?“, fragte Naruto endlich und fasste damit Hinatas letzten Gedanken in Worte. „Die Alternative ist gegen fünfzig bewaffnete Soldaten zu kämpfen, die die Hölle in der Burg überlebt haben“, gab Konan spitz zurück. Ohne weiter Zeit zu verlieren, schnitt sie sich mit ihrem Dolch in den Zeigefinger und hinterließ einen blutigen Abdruck auf dem Stein, den sie Hinata aus der Hand genommen hatte. Ihre Blicke trafen sich und die Magierin schöpfte tief in der Quelle ihrer Magie. Wenigstens Konan vertraute ihr, aber daran hatte sie auch nicht gezweifelt. Vielleicht würde dieses entschlossene Handeln den anderen zeigen, dass Hinata ihr Wort ehrte. „Lysin solan yil ceracon che’dra ni ormynt.“ Die Zauberin wob die Magie samtweich um den Stein. Schon nach der zweiten Silbe spürte sie, wie die Magie an ihren Kräften zehrte. Blutmagie war tückisch. Nur allzu leicht ergriff sie Besitz von dem Magier selbst, band seinen Geist und lenkte stattdessen ihn, bis er nur noch eine seelenlose Puppe war, die auf ihr Ende wartete. Nur eine falsche Silbe… Doch Konan vertraute ihr. Gemeinsam hatten sie unzählige Male dem Tod ins Auge geblickt. Gemeinsam würden sie auch das hier überstehen.
 

Ohne zu zögern öffnete sie ihren Geist für Hinata und erlaubte ihr einen winzigen Teil ihrer selbst an das Blut auf dem Stein zu binden. „…Gir inaet dentei.“ Sie beendete den Zauber und spürte augenblicklich die Erschöpfung. Ein so mächtiger Zauber verbrauchte Unmengen an Energie. Es war Magie höherer Ordnung, etwas, dass nur wenige Anwender überhaupt erreichen konnten. Aber das mussten die anderen nicht wissen – je weniger sie über das wahre Ausmaß ihrer Mächte erfuhren, umso besser. Das hatte Konan ihr von Anfang an erklärt. Als Hinata zu Atem gekommen war, wischte sich Konan gerade das Blut an ihrer Kleidung ab. Auf dem Stein hatte sich das Blut in der Mitte trotz der glatten Oberfläche, wie in einer Kuhle gesammelt. Ihre unerwarteten Gefährten hatten das Schauspiel schweigend beobachtet. Die Assassine blickte sie der Reihe nach an, ehe ihr Blick an Naruto hängen blieb. Auffordernd hielt sie ihm das Messer hin, dessen Metall gefährlich aufblitzte. „Wähle“, sagte sie, „Leben oder Tod?“
 

Einen Augenblick sah Hinata den inneren Kampf in seinen Augen, dann blickte er über das Messer hinweg direkt in ihre Augen. Sein Blick war hart und kalkulierend, so ungewohnt in seinem Gesicht. Für einen Moment erinnerte er sie an Pein, wenn dieser versuchte, einen Gegenüber abzuschätzen, und sie schauderte.
 

Dann fällte Naruto die Entscheidung und seine Finger umschlossen den Griff des Messers. Er presste die Lippen zusammen, dann schnitt er sich genau wie Konan zuvor in den Finger. Seine Freunde sogen kollektiv die Luft ein. „Ich bin zu jung zum sterben“, erklärte er fast trotzig. Dann wurde sein Blick etwas weicher, als er ihn wieder auf sie richtete. „Und ich vertraue dir, Hinata.“ Er atmete tief ein, dann ließ er einen Tropfen Blut auf den Stein fallen. „Naruto, nei-“, begann Ino im selben Moment laut, aber einen Augenblick zu spät. Doch Hinata bekam den Rest ihrer Worte nicht mehr mit.
 

Denn die Reaktion war so heftig, dass sie den Stein mit einem gepeinigten Aufschrei los ließ. Die Magiewelle rollte im Bruchteil einer Sekunde durch ihren Körper und war so stark, dass sie ihr Inneres erzittern ließ. „Hinata!“ Sie spürte Konans starke Hände, die sie aufgefangen hatten, weil ihr Körper nachgegeben hatte, ohne dass sie es überhaupt bemerkt hatte. Kurz wurde ihr erneut schwarz vor Augen, dann verschärfte sich ihr Sichtfeld wieder. Sie atmete heftig. Nur langsam verebbte die Magie in ihr. „Was hast du getan?!“, hörte sie Konan, wie aus weiter Ferne. Die Arme ihrer Freundin hielten sie fürsorglich und schützend hatte die gefährliche Kriegerin sich zwischen sie und die anderen geschoben. „Ich habe nur das gemacht, was sie gesagt hat!“ Naruto. Angst, Entsetzen in seiner Stimme. Die Geräusche kehrten ebenso plötzlich zu ihr zurück. Konan setzte gerade zu einer genauso unfreundlichen Erwiderung an, als Hinata beiden ins Wort fiel.
 

Ly … sin“, flüsterte sie und tätschelte Konans Oberarm, um sie zu beruhigen, „so … lan yil.“ Sie musste den Zauber zu Ende bringen. Wenn sie ihn nicht vollendete, waren sie dem Untergang geweiht und Naruto … Naruto hatte ihr vertraut … Sie holte tief Luft, auch wenn sie spürte, dass sie vor Anstrengung zu zittern begann. „Ce … racon … che’dra … n-ni or … mynt.“ Sie schloss die Augen und zog sich tief in sich selbst zurück. Der Ismalith pulsierte und Hinata griff dankbar nach der warmen Quelle seiner Kraft. Sie durfte nicht nachdenken. Nur die Worte des Zaubers durften in ihr sein. Ihre Zunge formte die erste Silbe des letzten Formelabschnitts im selben Moment, in dem sie Narutos Seele leicht an stupste. Sie spürte, wie er zunächst vor ihrer inneren Berührung zurück wich, doch die Wärme der abschließenden Worte umschloss ihn ganz und dann endlich gewährte er ihr Zutritt.
 

Gir … in-naet … den-tei.“ Eine Sekunde lang sah sie etwas in ihm aufblitzen, aber es war zu flüchtig, um es wirklich fassen zu können. Doch eins nahm sie deutlich wahr, nur ein Gefühl zwar, aber sie spürte, dass es mehr war als das. Bedauern und Hilflosigkeit und Angst. Angst nicht um sich selbst, sondern um seine Eltern und Freunde und Angst, was die Zukunft brachte. Ein Gefühl, das ihr nur allzu vertraut war. Doch sie schüttelte es ab, wie ein welkes Blatt, das der Wind davon trug. Sie hatte jetzt keine Zeit, sich darum zu kümmern, außerdem wäre es ein tiefer Vertrauensbruch, weiter in ihn einzudringen.
 

„Weiter“, krächzte sie heiser. Konans Finger gruben sich in ihre Schulter und sie half ihr, sich wieder aufzurichten, so dass sie auf den eigenen Beinen, so wackelig sie auch waren, stehen konnte. „Hinata.“ Ihre Stimme war so eindringlich, dass Hinata ohne Worte ihre Warnung verstand. Aber genauso wie Konan ihre Kämpfe austragen musste, war dies hier Hinatas. Sie würde siegen. „Macht weiter“, bat sie erneut. Deidara, Ino und Lee hatten sie mit offenem Mund beobachtet. Zögernd nahm Deidara Naruto das Messer ab. Ein weiterer Tropfen Blut fiel auf den Stein. Das winzige Rinnsal floss zu dem übrigen Blut, das sich in der Mitte des Steins gesammelt hatte, zischte als es auf Narutos und Konans Blut traf. Erleichtert spürte sie, dass es diesmal keine Reaktion gab und sich der Zauber so verhielt, wie er es sollte.
 

Mittlerweile kauerte Hinata am Boden während Konan ihr den Rücken stützte. Die Assassine hatte den Stein aufgehoben und hielt ihn Hinata hin. Immer leiser entschlüpften ihr die Worte. Ino gewährte ihr, wenn auch widerwillig Zutritt zu ihrem Innersten, während Hinata ihren Geist nur noch mit reiner Willenskraft auf den Stein fixierte. „Lee-san“, hauchte sie. Mit Deidaras Hilfe humpelte der Verletzte auf sie zu, ließ sich neben ihr nieder und ein letztes Mal vollzog Hinata den Zauber.
 

Dann streckte sie entschlossen die Hand nach dem Messer aus und schnitt sich alle fünf Fingerkuppen der linken Hand auf. Bestimmt drückte sie diese um das Blut der anderen herum. „Blydra ir’risa enth’ight’oem.“ Erleichtert beobachtete sie, wie ihr Blut einen Kreis um das Blut der anderen schloss. Dann spaltete sich das Blut der anderen in fünf Rinnsale auf, rann entgegen jeder Schwerkraft zu fünf verschiedenen Punkten auf dem Kreis ihres Blutes und verband sich so miteinander, dass es auf der Oberfläche des Steins ein Pentagramm bildete. Einen Moment brannte die Magie glühend hell in ihr, dann verebbte sie genauso plötzlich, wie sie aufgekommen war. Das Blut verblasste auf dem Stein bis nichts mehr von seiner Existenz kündete. Hinata stieß einen erleichterten Seufzer aus. Sie fühlte sich ausgelaugt und leer, doch der Zauber zog nicht mehr an ihr und bald konnte sie ruhen, während Konan den zweiten Teil der Aufgabe übernahm.
 

„Was ist passiert?“ Konan beugte sich besorgt über sie und half ihr sich aufzusetzen. „Das ist noch nie vorgekommen. Ich weiß, dass es ein schwerer Zauber ist, aber sonst hat er dir keine Probleme bereitet.“ „Es geht schon“, erklärte sie und versuchte eine tapfere Miene aufzusetzen, auch wenn sie sich so fühlte, als hätte sie einen ganzen Tag ohne Pause gekämpft. „Hinata!“ Naruto packte ihre Hand. „Es tut mir so leid. Ich weiß, dass es meine Schuld war! Ich-“ Blitzschnell packte Konan seine Hand und verdrehte sie schmerzhaft, so dass er einen lauten Schmerzenslaut ausstieß. „Lass sie in Ruhe!“, fauchte Konan, „du hast schon genug angerichtet.“ Naruto stöhnte vor Schmerz, doch der schuldbewusste Ausdruck verschwand dennoch nicht aus seinem Gesicht. „Naruto!“, rief Ino entsetzt und ihre Hand zuckte zu ihrem eigenen Dolch, auch wenn sie alle wussten, dass Konan keine Probleme haben würde, mit ihr und Naruto gleichzeitig fertig zu werden.
 

„Nicht, Konan!“, verlangte Hinata schwach und griff nach Konans Hand, die Narutos so rücksichtslos hielt. „Es ist nicht seine Schuld. Ich war … ich war nicht auf eine so starke Reaktion vorbereitet.“ Die Lüge kam ihr erstaunlich mühelos von den Lippen. Konan sah sie noch einen Moment eindringlich an, dann ließ sie Naruto los. Der rieb sich das schmerzende Handgelenk. Hinata wusste selbst nicht, wieso sie die Wahrheit vor den anderen verbarg. Es war mehr passiert als eine bloße Überlastung ihrer Fähigkeiten. Niemand hatte die Reaktion zu verantworten, eigentlich hätte sie der Zauber nicht mehr Kraft kosten müssen, als sie auf einem einstündigen, wilden Ritt verbraucht hätte, doch das Blut … Die Reaktion war in dem Moment aufgetreten, als Narutos und Konans Blut aufeinander getroffen war und die einzige Erklärung für ein solches Phänomen, die ihr bekannt war, war Blutsverwandtschaft. Bei dieser wagten es selbst Großmagier nicht einen Blutszauber ohne bestimmte Vorkehrungen durchzuführen. Diese Vorkehrungen hatte Hinata natürlich nicht getroffen, denn hier gab es keine Verwandten. Denn das war unmöglich. Konans gesamte Familie war tot und Naruto kannten sie erst seit ein paar Tagen… Es musste etwas anderes sein. Etwas anderes musste mit herein gespielt haben. Aber im Moment war sie zu müde, sich große Gedanken darüber zu machen. Morgen … Morgen war auch noch ein Tag …
 

Konan blickte sie nochmal besorgt an, dann wurde ihre Miene die einer Kriegerin, die sich auf eine Schlacht vorbereitete. Entschlossen nahm sie Hinata den Stein aus den Händen und verstaute ihn in ihrer Kleidung. „Ich werde unseren Verfolgern den Zauber unterjubeln“, erklärte sie hart und ihr Blick verweilte einen Moment zu lange auf Hinata. Wir reden noch darüber, schien er zu sagen. Dann wandte sie sich an die anderen: „Wer von euch kommt mit mir und legt die falsche Fährte?“
 

Die Fremden zögerten. Nur allzu bewusst war ihnen die Lebensgefahr, in die sich derjenige begeben würde. Konans Blick glitt über Lee hinweg und wanderte von Ino über Naruto zu Deidara. Dann- „Ich tue es.“ Naruto trat entschlossen vor und erwiderte Konans Blick. Ein Blick, der schon einige der stärksten Krieger ihrer Zeit in ihre Schranken gewiesen hatte. Doch Naruto hielt ihm stand. Auf einmal wirkte er anders. Er war nicht mehr der naive junge Mann, der sie so neugierig ausgefragt hatte. Plötzlich war da erneut etwas an ihm, das sie an Pein erinnerte, stahlhart und verschlossen, und an die Überzeugungskraft, die diesem inne wohnte, wann immer er jemanden überzeugen wollte. „Ich habe etwas gut zu machen“, erklärte Naruto auf Konans skeptischen Blick hin. „Naruto, nein! Ich lasse nicht zu, dass du gehst!“ Ino packte ihm am Arm und funkelte ihn wütend an. Wie ein Kindermädchen … Nein, eine persönliche Beschützerin, die ihre Aufgabe sehr ernst nahm, schoss es Hinata unvermittelt durch den Kopf. Auf was für seltsame Gedanken man doch kam, wenn man müde war … „Ich verstehe dich, aber wenn wir dich verlieren, verlieren wir alles! Willst du das?“ Inos Worte machten keinen Sinn, warum sollte Naruto so bedeutend sein? „Natürlich nicht!“, fauchte Naruto zurück, „aber ich … ich kann doch nicht-“ „Ich gehe.“ Deidara trat auf sie zu und brachte damit Ino und Naruto gleichzeitig zum Schweigen. „Ich kenne mich in der Gegend aus und wenn sie mich erwischen, ist das weit weniger schlimm.“ Er wandte sich zu Hinata um. „Sag mir, was ich tun soll.“
 

Hinata sah ihn an und sah tiefer in ihn hinein. Das Nachklingen der Blutmagie machte so etwas einfach und beinahe natürlich. Da waren keine Zweifel. Er hatte zwar Angst, aber er war entschlossen und wirkte selbstbewusst genug die Aufgabe zu bewältigen. Hinata griff in ihre Tasche und holte ein winziges Fläschchen heraus, das eine silbrige Flüssigkeit enthielt. „Flüssiges Mondlicht“, erklärte sie, „wenn du es trinkst, wird es all deine Spuren verwischen.“ Deidara nahm das Fläschchen entgegen und betrachtete es ehrfürchtig. „Und das hier“, fuhr sie fort, „wird dich auf dem Rückweg zu uns zurück bringen. Sobald du mir näher kommst, wird sie warm.“ Sie gab ihm eine filigrane Kette, an der eine ihrer kostbaren schwarzen Perlen befestigt war. Deidara schloss sie um seinen Hals.
 

„Los jetzt“, forderte Konan unwirsch, „wenn wir uns nicht beeilen, sind sie gleich hier.“ Niemandem musste sie erklären, dass sie mittlerweile in Minuten rechnete. Deidara nickte ihr zu, dann saß er auf seinem Pferd auf. Konan tat es ihm gleich, blickte aber noch einmal zurück. Hinata spürte die Besorgnis, die sie ihr entgegen brachte. „Du ruhst dich jetzt aus.“, erklärte sie bestimmt, dann fasste sie die drei ins Auge, die mit ihr zurückblieben würden und ihr Blick war hart und kalt und jagte selbst der Magierin einen Schauer über den Rücken. Lee und Ino wichen beide einen Schritt zurück, doch Naruto erwiderte ihn ohne Angst. „Wenn Hinata etwas passiert…“, setzte sie an. Der Blonde half Hinata aufzustehen ohne die Augen von Konan abzuwenden. „Nun … Diesmal wirst du wohl uns vertrauen müssen.“

Chapter 10 ~ Now who is it pursuing?

Konan verschmolz mit der Dunkelheit. Es war keine Magie, es war nur Übung und ein Training, das so hart war, dass es Leute umbrachte. Hätte man mit Auszeichnung bestehen können, so hätte sie es getan. Aber die einzige Belohnung dafür waren Missionen und die darauf folgende Gefahr des Todes.
 

Nachtherz trat behände auf das junge Gras und verursachte so fast kein Geräusch. Sie erinnerte sich nicht mehr, wie oft sie im Auftrag der Schattengilde oder später bei ihren Gefährten Aufgaben übernommen hatte, die geradezu nach Gefahr rochen. Doch selbst daran hatte sie sich gewöhnt, denn man konnte sich an alles gewöhnen. Selbst an ein Leben, das jeden Tag auf der Schneide zum Tod stand.
 

Mühelos lenkte Konan die Stute zwischen den Bäumen hindurch, wobei sie exakt den Weg nahm, den sie schon für ihren Rundgang genutzt hatte. Deidara, der knapp hinter ihr ritt, war nicht ganz so geschickt und machte für ihren Geschmack zu viel Lärm, aber sie respektierte seinen Mut. Er wusste, dass er bei dieser Aktion sterben konnte, doch seine Entschlossenheit war echt. Deidara würde sich auf der Stelle opfern, wenn er damit seine Freunde retten konnte.
 

Ihre Gedanken schweiften zu den anderen zurück und zu dem Zauber, der Hinata fast entglitten wäre. Neben ihrer Sehnsucht nach Nagato kam nun auch noch die Sorge um ihre Freundin hinzu. Konan hatte die Zauberin selten so angestrengt gesehen, während sie Magie wirkte. Und es war Konans Blut gewesen, das mit Narutos reagiert hatte. Irgendetwas verschwieg Hinata ihr. Sie war lange genug ein Mitglied der Schattengilde und kannte die Hyugamagierin gut genug, um eine so halbherzige Lüge wie diese mühelos zu durchschauen. War die Wahrheit etwa so brisant, dass Hinata sie ihr vorenthielt? Oder hatte sie einfach befunden, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt für ein solches Gespräch gewesen war?
 

„Wie weit ist es noch?“ Deidara brachte sein Pferd auf gleiche Höhe mit ihrem und hatte eine harte Miene aufgesetzt. Konan schüttelte den Gedanken an das Geschehene ab und verbannte ihre Weggefährten in einen entfernten Winkel ihres Bewusstseins. Für ihr Vorhaben brauchte sie ihre ganze Konzentration. „Nicht mehr weit“, gab sie kurz zurück, „wenn ich richtig liege, tauchen sie in einiger Zeit hier auf.“ Wie zur Bestätigung wieherte Deidaras Stute nervös und warf den Kopf zurück. Mit einer schnellen Reaktion zog er die Zügel an und brachte sie wieder unter Kontrolle. Er war aschfahl geworden und Konan konnte es ihm nicht mal verdenken. Denn ihr ganzer Plan hing davon ab, ungesehen an den Uchiha vorbeizukommen. Konan sah sich aufmerksam um. Waren ihre Verfolger bereits so nah, dass sie das Pferd hören konnten? Zur Sicherheit lenkte sie Nachtherz leicht zur Seite und schlug sie einen Bogen ein. Deidara folgte ihr wortlos.
 

Nachdem sie etwa eine Meile hinter sich gebracht hatten, was im Wald schwer zu sagen war, hob Konan die Hand und deutete Deidara anzuhalten. Der zügelte sein Pferd und sah sie abwartend an. „Wie gut kennst du dich wirklich aus?“ „Gut genug“, erwiderte Deidara, „ich nehme den Weg zum nächsten Bach und von dort aus ist es nicht weit bis zu einer Klippe. Vielleicht denken sie, wir sind abgestürzt, wenn ich dort … die Spur lösche.“ Sein Zögern entging ihr nicht. Allerdings überraschte es sie nicht, dass er Hinatas Magie misstrauisch gegenüberstand, nachdem er miterlebt hatte, welche Wendung die Blutmagie genommen hatte. Natürlich waren seine Bedenken umsonst. Die Blutmagie mochte tückisch sein, doch das flüssige Mondlicht würde ihm in keinem Fall schaden.
 

„Gute Idee“, gab Konan zu, „wie lange brauchst du dafür?“ Er zuckte mit den Schultern. „Etwas weniger als eine halbe Stunde, denke ich.“ Innerlich rechnete Konan nach. Die Uchiha dürften nicht mehr weit entfernt sein. Wenn Deidara einen Bogen um sie schlug und sie es schaffte ihnen rechtzeitig den Stein unterzujubeln, dann würden sie notgedrungen auf Deidaras Spur stoßen. Doch dazu musste er sich zu diesem Zeitpunkt schon weit genug entfernt befinden. Alles hing davon ab, wie genau ihre zeitliche Übereinstimmung war. Wenn ihre Verfolger Deidara einholten, ehe der das flüssige Mondlicht getrunken hatte, würde ihr gesamter Plan scheitern. Und wenn sie sie entdeckten, ehe sie Hinatas Blutmagie aktivieren konnte …
 

Konan kontrollierte ihren Atem und zwang sich zur Ruhe. Wenn sie ihr Ziel erreichen wollten, dann musste sie sich vollkommen im Griff haben. Ihr Geist musste so klar sein wie Wasser und ihre Entschlossenheit so scharf wie einer ihrer Dolche. Konan spürte die Veränderung, die sie durchfuhr. Wie tausende Male davor wurde sie zur Kriegerin der Schattengilde. Ungesehen, wie ein Schatten, gnadenlos, wenn sie es sein musste, und kompromisslos, wenn sie ein Ziel verfolgte.
 

„Hier trennen sich unsere Wege“, erklärte sie, während ihre Hand nach dem Stein in den Falten ihrer Kleidung tastete. Deidara sah sie einen Moment unentschlossen an, als wollte er ihr noch etwas sagen, und trug dabei eine Miene zur Schau, die seine Todesangst nicht ganz verbergen konnte. „Wir werden nicht scheitern.“ Sie wusste nicht genau, warum sie ihm Mut zusprach. War es, weil er sie an einen der Lehrlinge in der Schattengilde erinnerte? Junge Knaben und Mädchen, die hart trainiert hatten und sich doch keine Vorstellung vom dem Tod machten, den sie bringen würden – oder dem, der stets einige auf ihrer ersten Mission ereilte. Aber es gab keine Alternative. Konan richtete sich im Sattel auf und verlagerte ihr Gewicht, sodass Nachtherz augenblicklich dem Impuls folgte und sich nach Westen in Bewegung setzte. „Stirb nicht.“ Sie drehte sich nicht einmal um, als sie Deidara hinter sich zurück ließ.
 

Einen Moment lang spürte sie, wie er ihr nach sah. Dann nahm auch er die Zügel seines Pferdes auf und verschwand in die entgegengesetzte Richtung. Sie konnte nur hoffen, dass er sich tatsächlich so gut auskannte, wie er vorgab. Aber sie hatte schon höher gewettet. Sie war bereits ein paar Meter entfernt, als sie glaubte den Wind Seid vorsichtig flüstern zu hören.

Konan drehte den Kopf, doch Deidara war bereits verschwunden. Sie atmete einmal kurz aus, dann drückte sie Nachtherz die Fersen in die Seite. Die Dunkelbraune schien den Ernst der Lage begriffen zu haben und trat wie viele Male zuvor behände auf dem Waldboden auf, selbst als sie ihr Tempo erhöhte. Nach einer Viertelstunde brachte Konan Nachtherz zum Stehen und ließ sich leichtfüßig aus dem Sattel gleiten. Dann griff sie nach dem Halfter und führte ihre treue Gefährtin in den Schutz einiger dicht stehender Bäume. „Warte auf mich“, flüsterte sie der Dunkelbraunen ins Ohr und band sie lose an dem nächsten Baumstamm fest. Wenn sie zurückkehrte, würde sie jede Sekunde brauchen. Zur Antwort stupste Nachtherz sie einmal liebevoll an. Konan trat einen Schritt zurück und kontrollierte ein letztes Mal ihre Dolche. Jetzt würde der schwierige Teil beginnen …
 

Konan hörte auf, sie selbst zu sein. Sie wurde zum Nichts. Sie wurde zu der alten Eiche, die ihren Weg säumte, zum Wind, der durch die Blätter fuhr und sie rascheln ließ, zur Erde unter ihren Füßen und zum Herzschlag der kleinen Tiere des Waldes. Sie wurde zum Wald selbst, der keine menschlichen Gedanken zuließ und seit Jahrhunderten einen immer wiederkehrenden Traum träumte. Das machte es ihr leicht, sich dem Lager zu nähern, das sie schon von weitem hören und tief im Innern sogar spüren konnte. Es bereitete ihr keine Mühe, sich ungesehen heranzuschleichen, so nahe, dass sie dieses Pferd oder jene Wache berühren könnte, wenn sie nur die Hand ausstreckte.
 

Es fiel ihr nicht leicht, sich aus ihrem tranceartigen Zustand zu lösen, der ihr mehr Konzentration als irgendjemandem sonst verlieh, gleichzeitig aber das Risiko barg sich allzu sehr zu verlieren. Mitglieder der Schattengilde wurden mehrere Jahre ausgebildet, ehe sie zu dieser Technik in der Lage waren.
 

„Beeilt euch gefälligst!“ Der arrogante Tonfall eines jungen Mannes erregte ihre Aufmerksamkeit. Vorsichtig schob Konan die Zweige beiseite, hinter denen sie sich versteckt hielt. Vor ihrem Versteck im Unterholz rannten hektisch Soldaten vorbei, die anscheinend etwas suchten. „Lord Uchiha“, sagte eine schleimerisch unterwürfige Stimme, die Konan augenblicklich als die Offizier Enevors erkannte. Widerlicher Hund. „Ich bitte Euch um noch etwas Geduld. Die Jagdhunde werden die Witterung unverzüglich wieder aufnehmen, sobald meine Soldaten sie von der Fährte des Rotwilds abgebracht haben.“ „Wer hat die überhaupt abgerichtet?“, fuhr der junge Lord ihn an.
 

Als er endlich in ihr Blickfeld trat, sah Konan einen jungen Mann Anfang zwanzig vor sich, der seinen Vasallen mit offener Missbilligung anblickte. Etwas Dunkles umgab ihn und das lag nicht an seinem schwarzen Haar und den onyxfarbenen Augen, die bar jeder Wärme zu sein schienen. Er trug feine Kleider und darüber eine hochwertige Rüstung, die fast makellos war und der man die Kunstfertigkeit des Schmiedes ansah. Im Gegensatz zu allen anderen war er noch hoch zu Ross. Und was für ein Ross es war – schwarz wie die Nacht und eineinhalbmal so groß wie Nachtherz stand es wie ein Fels und zuckte kaum mit den Ohren.

Konan war jungen Adligen seines Schlages nur allzu oft begegnet. Sie alle waren über die Maßen arrogant und der festen Ansicht, dass es niemanden gab, der ihnen zu widersprechen wagen würde. Sie hatte seinesgleichen wieder und wieder scheitern sehen, aber dieser junge Lord machte hinter all seiner Arroganz nicht den Eindruck, auf den Kopf gefallen zu sein. Im Vergleich zu Enevor würde es schwer werden ihn zu überlisten.
 

Die übrigen Männer machten im Gegensatz zu ihm einen weit weniger gefassten Eindruck, wobei Konan ihnen das nach ihrer Begegnung mit einem ganzen Friedhof voller Untoten nicht einmal verübeln konnte. Ungesehen huschte sie zum nächsten Baum und drückte sich mit dem Rücken an die Rinde.
 

„Wie lange soll ich hier noch warten, Enevor?!“, herrschte der junge Adelige den Offizier an und stieg gekonnt vom Pferd ab. „Lord Uchiha, der Fährtenleser lässt ausrichten, dass er möglicherweise eine Spur gefunden hat.“ „Möglicherweise?“ Der junge Lord hob eine Augenbraue. Seine Stimme war ebenmäßig, aber es war eher die Ruhe vor dem Sturm. Dann trat ein verächtlicher Ausdruck auf sein Gesicht. „Nun, dann richte ihm aus, dass ich ihn möglicherweise einen Kopf kürzer mache, wenn er sie nicht bald findet.“ Selbst auf die Entfernung erkannte Konan, wie Offizier Enevor kurz zusammenzuckte und dann mit einer Mischung aus Furcht und Bewunderung salutierte.
 

Sekundenlang verharrte sie hinter dem Baum, dann nutzte sie die Gelegenheit, als niemand in ihre Richtung sah und wechselte ihren Beobachtungsposten. Von ihrem neuen Versteck aus, konnte sie die Bewegungen der Gruppe genauer einschätzen. Wie es aussah, hatte der junge Lord seine Leute entweder sorgfältig angewiesen oder er hatte mit den Überlebenden der Uchihafestung die Diszipliniertesten unter den Soldaten in seinen Dienst gestellt. Obwohl die Männer erst einige Tage gemeinsam reisten, war die Aufgabenverteilung klar geregelt. Während einige die Pferde versorgten, die zu ihrer Erleichterung ebenso erschöpft von der Verfolgung wirkten wie ihre eigenen, kümmerten sich andere um die Ausrüstung.
 

Dennoch wurde sie immer ungeduldiger. Selbst mit ihrem geübten Auge, konnte sie keine Lücke in dem organisierten Gewusel entdecken, die es ihr erlaubte ihre Aufgabe zu erfüllen. Wenn sie es richtig verstanden hatte, wartete der junge Adelige auf die Rückkehr seines Fährtensuchers, der zu allem Unglück auch noch Jagdhunde dabei hatte. Sobald dieser zurückkam, würden die Hunde die Spur aufnehmen, die sie zuerst zu ihr führen würden.
 

Hätte sie nur etwas mehr Zeit gehabt! Dann hätte sie ihnen tagelang folgen und auf die passende Gelegenheit warten können. Die Tiere würden sich nach und nach an sie gewöhnen, die Soldaten würden sie nicht einmal bemerken. Doch je mehr Zeit verstrich, desto schneller würden sie Hinata und die anderen einholen. Und dann … Nein, das konnte sie nicht zulassen.
 

Nachdem Konan die Gruppe einmal umrundet hatte, war sie an ihrem Ausgangspunkt angekommen. Für einen Moment schlug sie resigniert die Augen nieder. Es gab keine Möglichkeit kurzfristig so nah an den jungen Lord heranzukommen, um ihm ungesehen den Stein unterzuschieben und den Zauber zu aktivieren. Das war eine Tatsache. Doch mit Tatsachen konnte sie arbeiten. Weil es keine Möglichkeit gab, musste sie eine schaffen. Das war einer der Grundsätze der Schattengilde. Entschlossen griff Konan in einem der kleinen Beutel an ihrer Hüfte, in denen sie allerlei nützliche Dinge aufbewahrte.
 

Das Flussgras war ebenso unscheinbar wie praktisch, ein einfacher Halm aus silbergrünem Gras, der derartig mit Magie getränkt war, dass sogar Konan sie spüren konnte. Niemand käme auf die Idee einen so trickreichen Zauber dahinter zu vermuten, wie ihn Hinata erschaffen hatte. Er war nicht mal besonders mächtig, aber äußerst wirkungsvoll und leicht anzuwenden. Konan musste zugeben, dass ihre Freundin sich hierbei wieder einmal selbst übertroffen hatte. Der einzige Nachteil war wohl, dass man es nur einmal verwenden konnte und der Effekt nicht besonders lange anhielt, aber sie brauchte ja auch nicht lange.
 

Sie legte das Flussgras an ihre Lippen und blies einmal probehalber darüber. In dem Moment, als ihr Atem die Oberfläche traf, hoben sämtliche Pferde der Soldaten den Kopf und spitzten die Ohren. Für einen Menschen waren die Töne, die man mit dem Flussgras erzeugen konnte, nicht wahrzunehmen. Nur Pferde konnten diese Sequenz hören und – es trieb sie zur Raserei. Konan legte das Flussgras erneut an die Lippen und spielte eine einfache Melodie. Der Effekt war noch überwältigender, als sie es erwartet hatte. Von einen auf den anderen Moment brach unter den Soldaten das reinste Chaos aus. Dort stieg ein schwer gepanzertes Kriegsross auf die Hinterbeine, nicht weit entfernt riss sich eine Scheckstute von dem Soldaten los, der sie gerade tränken wollte, anderswo wurde ein anderer Krieger einfach niedergetrampelt, als er nicht schnell genug auswich.
 

Der junge Lord selbst konnte nur knapp den Hufen seines eigenen Pferdes ausweichen, dessen Augen vor Panik das Weiße sehen ließen. „Was zum-!?“, stieß er hervor, als er rückwärts stolperte. Während er noch nach dem Angreifer suchte, den er nicht sehen konnte, nach einer Erklärung für die plötzliche Hysterie der Pferde, huschte Konan aus ihrem Versteck. Nun war es egal, ob man sie sah oder nicht. Inmitten des Chaos achtete niemand auf eine weitere Gestalt, die zwischen ihnen herum rannte.
 

„Enevor!“, brüllte Sasuke von Uchiha, „bring die Pferde unter Kontrolle oder ich schwöre, dass sich sämtliche Soldaten vor dem Kriegsgericht verantworten können!“ Im selben Augenblick sah Konan drei Pferde in wildem Galopp im Wald verschwinden, die von mehreren Soldaten verfolgt wurden. Ein diabolisches Grinsen formte sich auf ihren Lippen, als sie das Flussgras nun mit nur einer Hand an die Lippen drückte. Mit der anderen umklammerte sie schon den Stein, bereit den Blutzauber augenblicklich zu aktivieren, sobald sie nah genug an den jungen Lord heran gekommen war.
 

Dieser hatte sich mittlerweile wieder aufgerappelt und versuchte die Situation zu begreifen, die sich vor seinen Augen abspielte. Konan musste ihm lassen, dass er auch jetzt nicht die Nerven verlor, sondern stattdessen begann Befehle an seine Männer zu rufen, die sich dank diesen den letzten Rest Disziplin bewahrten, den sie nach dem Untotenangriff und der tagelangen Verfolgung noch übrig hatten. Nach und nach straffte sich ihre Organisation und ein paar Männern gelang es sogar ein Pferd mit mehreren Stricken wieder einzufangen. Konan stimmte eine neue Berserkermelodie auf dem Flussgras an und die Situation verschlimmerte sich für Pferde und Soldaten gleichermaßen.
 

Die Luft war erfüllt von Schreien, panischer Hektik und dem von todesangsterfüllten Wiehern der Pferde. Eine gewaltige Explosion in der Nähe ließ sie zusammen zucken. Ihr Blick schweifte über die Bäume, ehe sie in nicht weit entfernt eine Rauchsäule über dem Wald aufsteigen sah. Sekundenlang stockte Konan in ihrem Spiel. Was war da passiert? In ihrer wohl durchdachten Kalkulation, hatte sich eine Unbekannte aufgetan. Kurz dachte sie an Deidara. Hatten sie ihn bereits erwischt oder hatte er die Soldaten bewusst auf seine Spur gelenkt. Sie konzentrierte sich und schüttelte die unnützen Gedanken ab, wie ein welkes Blatt. Es hatte keinen Sinn sich jetzt Sorgen zu machen, denn wenn sie versagte waren sie alle verloren. Ob Deidara nun etwas zugestoßen war oder nicht …
 

Nur dank ihrer eisenharten Ausbildung in der Schattengilde rannte sie weiter und war nun kaum zehn Meter von dem jungen Anführer entfernt und noch immer hatte sie niemand entdeckt. Sie war unsichtbar in den Bewegungen und der Hektik von Mensch und Tier geworden. Wäre dies eine Attentatsmission, befand sich der junge Lord in diesem Moment in ihrer Reichweite. Warum brachte sie ihn eigentlich nicht einfach um? Dann hätten sie dieses Problem auch vom Halse … Sie müsste ihren neuen Freunden, die damit ganz sicher nicht einverstanden wären, nicht einmal davon erzählen.
 

Gerade wollte sie den Blutzauber aktivieren, der auf keinen Fall schaden würde, ob sie nachher noch einen Dolch zum Einsatz brachte oder nicht, als ein aggressives Bellen sie aus der Konzentration riss. Aus der anderen Richtung kamen drei Jagdhunde auf sie zugerannt, die bei ihrem Geruch rasend wurden und laut anschlugen, als sie sie lokalisierten. Konan verfluchte ihr Pech, dachte eine Sekunde an Akamaru und zückte dann drei dünne Nadeln, so lang wie ihre Handspanne.
 

In einer fließenden Bewegung drehte sie sich auf dem Fußballen und warf alle drei Nadeln im Bruchteil eines Augenblickes kurz hintereinander auf die Hunde. Mit einem dumpfen Aufprall kamen alle drei Tiere auf dem Boden auf; sie hatte mit den Nadeln ihre Druckpunkte getroffen und sie auf ungewisse Zeit gelähmt. Die Waffen konnte sie nachher wieder einsammeln, wenn sie für alle unsichtbar war, vorausgesetzt sie war jetzt schnell genug. Doch ihr Angriff hatte Konan ihren Vorteil gekostet. In dem Augenblick, den sie für den Gegenangriff gebraucht hatte, hatte sie das Flussgras verloren. Die Melodie war abgebrochen und die Wirkung begann bereits nachzulassen, auch wenn die Pferde noch weitertobten und Konan fand sich mitten unter Feinden wieder. Ihre einzige Chance war nun Hinatas Blutzauber.
 

Sie spürte die Schneide ihres Dolches kaum, als sich damit beim Laufen über die Handfläche fuhr und ihr Blut auf den Stein tropfen ließ. Augenblicklich wurde das Muster darauf wieder sichtbar, das Hinatas Zauber gewirkt hatte. Eine Welle der Magie rollte wie der Herzschlag eines riesigen Tieres durch ihren Körper. Ursprünglich hatte sie den Stein unter den Habseligkeiten des jungen Lords verstecken wollen, doch diese Gelegenheit war nun verstrichen. Nun war Konan auf eine weit weniger subtile Methode angewiesen. In Gedanken flehte sie ihre Schutzgöttin Taikai-hime um Beistand an. Dann holte sie zum Wurf aus und in diesem Moment drehte sich Sasuke von Uchiha um.
 

Sekundenlang war der Stein zwischen ihnen und der Blutzauber pulsierte in der Luft, bereit den ersten in seinen Bann zu ziehen, den er berührte. Die Zeit verlief wie in Zeitlupe. Konan konnte die Macht des Zaubers knistern spüren, in erhöhter Wachsamkeit nahm sie etliche Dinge auf einmal wahr: wie Offizier Enevor näher kam, wie über den Baumwipfeln zwei Krähen aufflogen, wie der Fährenleser aus dem Unterholz gestolpert kam, ihr eigenes Blut, das Adrenalin durch ihren Körper jagte und in ihren Ohren pochte, und der intensive, verwirrte Ausdruck in den Augen des jungen Lords, als sich ihre Blicke trafen.
 

Dann … endlich entlud sich der Zauber. Der junge Lord hob die Hand, wie um den Stein abzuwehren oder um sich verwirrt über die Augen zu fahren, wie man es tat, wenn man etwas Seltsames, Unwirkliches sah. Doch es war zu spät. Kaum, dass der Kiesel Sasukes Hand berührte, rollte die Macht des Blutzaubers wie in einer gigantischen Welle über sie alle hinweg.
 

Aber Konan konnte sich nicht von dem Anblick losreißen, den das Nachbild des Zaubers auf ihrer Netzhaut hinterlassen hatte, denn im letzten Augenblick hatte Sasuke von Uchiha sie angesehen. Für einen Augenblick erstarrte sie zu Eis, unfähig zu entscheiden, was zu tun war. Hatte er begriffen, was er gesehen hatte? Unterlagen er und damit seine Männer dem Blutzauber oder machte die Tatsache, dass er die Anwendung des Zaubers miterlebt hatte diesen bereits zunichte? Konan dachte nicht weiter nach, sondern rannte.
 

~ [ ♦ ] ~
 

Nach einem zehnminütigen Spurt erreichte Deidara den Bach, wobei er sich nicht die Mühe machte leise zu sein. Wenn dieser verdammte Drecksack von einem Uchiha klug genug gewesen war, ein paar Jagdhunde mitzunehmen und einen vernünftigen Fährtenleser dabei hatte, würden sie ihn schon meilenweit wittern – und auch hören, soweit sie in Hörweite kamen. Deidara hatte nicht übel Lust diesen kleinen Bastard in die Luft zu jagen – oder irgendetwas, da war er nicht wählerisch. Aber vorzugsweise diesen hochnäsigen Möchtegern-Adeligen, dessen Schuld es war, dass sie in dieser Misere steckten. Warum musste der sie auch so hartnäckig verfolgen!?
 

Deidara kaute nervös auf seiner Lippe herum und versuchte, so gut es ging die Angst beiseite zu schieben, die ihn nun schon eine ganze Weile gepackt hatte. Wie er herausgefunden hatte, half es ein wenig diesem Mistkerl Tod und Teufel an den Hals zu wünschen, nur leider wirkte das nur begrenzte Zeit. Denn wenn seine Gedanken weiter abschweiften, musste er daran denken, was diese Leute Lee angetan hatten, was seinen Freunden blühte, wenn der kleine Dreckskerl sie in die Finger bekam – und was ihn selbst erwartete, wenn er nicht schnell genug war.
 

Der Plan, den sie auf die Kürze zusammen gezimmert hatten, war mehr als waghalsig und er versuchte mehr oder weniger erfolglos zu verdrängen, was bei dieser Sache alles schief gehen konnte. Angefangen bei der Frage, ob dieser merkwürdige Zauber, der ihm noch immer nicht geheuer war, wirken würde, bis zu dem Punk, wie leicht sowohl er als auch Konan erwischt werden konnten, und am schlimmsten – wenn sie Naruto gefangen nehmen würden und begriffen, wer er war.
 

Deidara kannte Naruto gut genug um zu wissen, dass er selbst unter Folter eisern schweigen würde, doch für wie lange würde das gut gehen? Der Kronprinz Konohas mochte zwar in mancher Hinsicht ein Dummkopf sein, aber er hatte das Herz am rechten Fleck. Außerdem glaubte er fest daran, dass – sollte es einmal so weit kommen – Naruto auch ein guter König sein konnte. Diese Zukunft durfte er nicht so einfach aufgeben! Deswegen war er gegangen. Er war entbehrlich, Naruto nicht. So einfach war das.

Der Schmiedelehrling warf einen flüchtigen Blick über die Schulter. Nichts. Im nächsten Augenblick stolperte er über eine Wurzel und stürzte mit dem Gesicht voran in den Bach, an dem er die letzten Minuten entlang gerannt war. Fluchend kam er wieder auf die Beine, rappelte sich auf und stellte fest, dass drei Viertel seines Schwarzpulvervorrats nass geworden waren. Verdammte Scheiße! Sollten diese Dreckskerle ihn doch einholen, was er ja eigentlich wollte, würde er sich kaum verteidigen können.
 

Wenigstens war sein Dolch nicht verloren gegangen. Wie ein treuer Gefährte hing er wie immer in der ledernen Scheide an seiner Hüfte. Bei dem Gedanken seinen Verfolgern ein neues Gesichtsmuster zu verpassen, trat ein diabolisches Grinsen auf seine Lippen. Doch das verblasste, als er hinter sich einen der Jagdhunde anschlagen körte. Sie hatten seine Spur gefunden.
 

Er verschwendete keine Zeit einen weiteren Blick zurück zu werfen. Jetzt rannte er um sein Leben und das seiner Freunde. Mit einem hektischen Blick erfasste er seine Umgebung, kalkulierte seine Route neu und versuchte abzuschätzen, ob er ihre Verfolger bereits umrundet hatte. Das Bellen kam näher. Einen Moment dachte Deidara sehnsüchtig an das Pferd, das er im Unterholz versteckt zurück gelassen hatte. Wenn er es richtig berechnet hatte, würde er nachdem er seine Pflicht getan hatte, wieder darauf stoßen, aber im Wald war es schlicht und ergreifend dumm durchs Unterholz zu galoppieren. Es würde keine fünf Minuten dauern, ehe sie ihn eingeholt hätten.
 

Sein Laufschritt geriet ins Stolpern, dann fing er sich wieder, während er ein paar große Blätter beiseite wischte. Sein Atem ging bereits stoßweise und er verfluchte den jungen Lord ein weiteres Mal. Gerade als er die Hunde bereits hinter sich zu spüren glaubte, passierten mehrere Dinge gleichzeitig. Wie auf Kommando stimmten seine Verfolger ein wildes Jaulen an, was Deidara mehr als nur irritierte. Waren die nicht ihm auf der Spur? Warum brachen sie die Jagd ab?
 

Im nächsten Moment hatte er die Antwort, als direkt vor ihm aus dem Unterholz ein gewaltiges Kriegsross heran stürmte. In seiner Panik brach das Tier ohne Rücksicht auf Verluste vorwärts und er konnte nicht einmal erahnen, was es derart in Panik versetzt hatte. Hastig warf er sich beiseite und riss sich dabei – erneut – seinen Ärmel auf. Einen Augenblick starrte er ihm hinterher, als ihm einfiel, dass er jetzt wahrhaft andere Probleme hatte. Über das Wie und Warum dieses seltsamen Ereignisses konnte er sich später noch Gedanken machen.
 

„Es ist da entlang!“ Keine sieben Meter entfernt kämpften sich drei Soldaten durch das Dickicht aus Farnen, Ästen und jungen Bäumen. Deidara drehte sich der Magen um. Was auch immer hier geschah – es war nicht unbedingt zu seinem Vorteil. Wenigstens war er ein wenig zu Atem gekommen, doch jetzt musste er weiter. Ohne großartig darüber nachzudenken, tat er das Erste, das ihm in den Sinn kam: Er raste zwischen den Soldaten hindurch, die ihm verdutzt nachstarrten und nicht entscheiden konnten, ob sie nun ihm oder dem Pferd folgen sollten. Zur Hölle damit! Deidara wünschte ihnen alles Schlechte der Welt auf den Hals und weil er ohnehin gerade dabei war, etwas absolut Verrücktes zu tun, warf er ihnen in guter Manier noch eines seiner Schwarzpulverpräparate vor die Füße. Leider konnte er im Laufen nicht gut genug zielen und so riss die Explosion zwar die Soldaten von den Füßen und setzte ein paar nahe stehende Bäume in Brand, aber ansonsten blieben sie unverletzt. Sie waren höchstens ein bisschen angesengt.
 

Völlig überrascht von der Wendung dieser Ereignisse, blickten sie orientierungslos umher und gaben ihm somit die Möglichkeit zur Flucht. Allerdings hatte er sich damit auch einen entscheidenden Nachteil eingehandelt. Jeder, absolut jeder der Soldaten musste nun seinen verfluchten Standort kennen. Er hätte auch gleich mitten in ihr Lager sparzieren können. Egal. Er hatte nach seiner Schätzung etwa den größten Teil seines Weges hinter sich gebracht und musste jeden Moment auf die Klippe stoßen, von der er wusste, dass sie bald vor ihm auftauchen musste. Wenn er das hier überlebte, so schwor er – würde er Naruto noch jahrelang vorhalten, dass er seinen Arsch gerettet hatte. Konnte ja nicht schaden, wenn einem der königliche Bengel einen ziemlich großen Gefallen schuldete.
 

Hinter ihm schlug erneut laut bellend ein Hund an. Der kurze Moment des Triumphes verflog genauso schnell, wie er gekommen war. Deidara zog im Laufen seinen Dolch. Diese Biester hatten sich nicht einmal von der Explosion ablenken lassen, also waren sie ihm bereits so nah, dass sie ihn jeden Moment von hinten anspringen konnten. Doch so einfach würde er es ihn nicht machen und obwohl seine Lungen bereits brannten, kämpfte er sich weiter durch den Wald. Äste peitschen seine Arme und sein Gesicht und er wehrte sie mit ungeduldigen Bewegungen ab. Wenigstens hatten diese Viecher hinter ihm auch damit zu kämpfen.
 

Licht fiel durch die Bäume. Deidara stolperte darauf zu, in der einen Hand hielt er den Dolch, mit der anderen schlug er Zweige beiseite, die ihm im Weg waren. Das Bellen hinter ihm wurde lauter und der Schweiß rann ihm übers Gesicht. Im nächsten Augenblick brach er durch die Bäume ins Freie und hatte beinahe so viel Schwung, dass er fast den Abgrund hinunter gestürzt wäre, der plötzlich vor ihm aufgetaucht war. Dabei beinhaltete der Plan lediglich, diese Bastarde denken zu lassen, dass er hineingefallen wäre!
 

Hektisch blickte er sich um. Der Steilhang lag verlassen da und erlaubte einen atemberaubenden Blick über ein grünes Meer von Bäumen, das sich fast bis zum Horizont erstreckte. Direkt über dem Blätterdach versank die Abendsonne und ihre Strahlen tauchten die Szenerie in goldrotes Licht. Der Anblick war wunderschön und surreal zugleich. Dieses Bild erinnerte Deidara an das Feuer, das er so sehr liebte. Die Hitze und ständige Gefahr, die aus einer winzigen Flamme ein Inferno machen konnte. Doch im gleichen Herzschlag erinnerte er sich auch an ein Gefühl wohliger Wärme, das die Kälte an eisigen Wintertagen vertrieb. All das ließ ihn einen Augenblick innehalten, während er keuchend versuchte seinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen.
 

Nur langsam sickerte zu ihm durch, dass er seine Aufgabe erfüllt hatte. Jetzt konnte er seine Spuren löschen und wenn Konan ihr Vorhaben tatsächlich gelungen war, dann hatten sie ihren Plan trotz aller Risiken, Hindernisse und unerwartet auftretender Probleme zu einem guten Ende gebracht. Mit zittrigen Fingern suchte er nach dem kleinen Fläschchen, das Hinata ihm gegeben hatte. Als er es schließlich gut verstaut in der Innentasche seiner Jacke fand, stieß er einen erleichterten Seufzer aus. Er machte sich gerade am Korken zu schaffen, als er das Geräusch von schnell auf dem Waldboden aufschlagenden Pfoten hörte.
 

Deidara wirbelte herum und verfluchte sich, dass er nicht schneller gewesen war und den Dolch weggesteckt hatte. Er griff nach der Waffe und warf sich dann zur Seite – keinen Moment zu früh, denn der Hund stürzte sich wild bellend und zähnefletschend mit einem gewaltigen Sprung auf ihn. Das Tier segelte über Deidara hinweg und stieß ein Jaulen aus, als es bemerkte, dass sich hinter seiner Beute nichts befand als Leere.
 

Er verschwand aus dem Blickfeld des Blonden, der es inzwischen geschafft hatte, den Dolch zu ziehen, und da hatte schon die nächste Bestie zum Angriff angesetzt. Stechender Schmerz zuckte sein Bein hoch, als sich scharfe Zähne in seine Wade bohrten. Ohne, dass er es verhindern konnte, schrie er überrascht auf, als ihn zugleich die Wucht eines dritten Hundes traf, dessen Sprung er nicht ausweichen konnte und ihn von den Füßen riss. Das Fläschchen mit dem flüssigen Mondlicht flog aus seiner Hand und rollte über die Felsen außer Reichweite.
 

Rücklings kam Deidara auf dem Boden auf und schrammte sich seinen gesamten linken Unterarm auf. Der Ärmel hing in Fetzen. Ohne groß nachzudenken rammte er dem Tier, das sich in seinem Bein verbissen hatte, den Dolch in die Kehle, worauf das Vieh endlich von ihm abließ und seine Reißzähne aus Deidaras Fleisch löste. Der verbliebende Hund war in Lauerstellung gegangen und umkreiste ihn knurrend. Vor Schmerzen keuchend zog Deidara Bilanz. Der Stoff seines rechten Hosenbeins hatte sich bereits mit Blut vollgesogen und seine linke Seite fühlte sich an, als hätte wäre die gesamte Kavallerie des vermaledeiten Goldenden Kaisers darüber geritten. Noch dazu konnte er kaum den Dolch halten, geschweige denn rennen und seine vielleicht einzige Rettung lag einige Meter entfernt. Trotzdem versuchte er sein Bestes, um sich aufzurappeln.
 

„Verzieh dich!“, zischte Deidara dem verbliebenen Jagdhund zu, der noch immer die Lefzen hochgezogen hatte und ihn aus grollender Kehle anknurrte. „Los doch! Oder willst du, dass es dir genauso geht wie deinen kleinen Freunden?!“ Er stieß ein paar Mal mit dem Dolch in die Richtung des Hundes, doch der knurrte nur lauter und versperrte den Weg zu dem gläsernen Fläschchen flüssigen Mondlichtes, das wie durch ein Wunder beim Aufprall heil geblieben war.
 

Plötzlich hob der Köter den zottigen Kopf und seine Ohren zuckten in Richtung Wald. Deidaras Blick folgte ihm und auf einmal waren alle Geräusche bis auf sein vor Angst immer schneller schlagendes Herz verstummt.
 

„He!“, rief eine Stimme, „ich glaube die Hunde haben was entdeckt.“ „Bist du sicher?“, antwortete ein zweiter Sprecher, „ich glaube, die Viecher drehen allmählich durch. Schon seit wir die Burg verlassen haben, sind sie viermal wie die Teufel hinter einer falschen Spur her.“ „Nun gut, aber dann wirst du Uchiha berichten, wie gründlich wir unsere Arbeit getan haben.“
 

Deidara hielt den Atem an, sein Blick huschte zu Hinatas magischem Trank, der im Schatten eines anderthalb Meter hohen Felsen lag, über den letzten verbliebenen Jagdhund bis zum Wald aus dem jeden Moment Fährtenleser oder Soldaten kommen konnten. Er hatte keine Wahl. Innerlich flehte er, dass Konan ihre Aufgabe erfüllt hatte und setzte alles auf eine Karte. Mit einem Sprung, den er auf das unverletzte Bein stützte, setzte er über den zotteligen Kopf des Hundes hinweg, rollte sich ab, griff noch in der Bewegung blitzschnell nach dem Fläschchen und zog den Korken. Allerdings war die Töle schon bei ihm und er stieß mit dem Dolch nach ihr, um sie auf Abstand zu halten. Das war alles, was er brauchte, nur ein paar Sekunden… Der Hund wich behände aus und duckte sich erneut zum Angriff.
 

Deidara grinste den verdammten Köter höhnisch an, setzte vor Hast zitternd das kleine Fläschchen an den Mund und schüttete den Inhalt in einem Zug herunter. Noch nie hatte er etwas Vergleichbares geschmeckt. Es war süß wie Honig, fühlte sich jedoch so an, als würde Eiswasser durch seinen Körper strömen, das alles betäubte ihn, aber verlieh ihm gleichzeitig eine bemerkenswerte Klarheit.
 

Das Glas zersprang auf den Felsen, als er es achtlos fallen ließ, während er humpelnd Abstand zwischen sich und die Töle brachte. Diese Mühe hätte er sich allerdings gar nicht machen brauchen, denn von der anfänglichen Aggression eines Jägers, der seine Beute in die Enge getrieben hatte, war nichts mehr übrig. Vielmehr schien der Hund seine Hetzjagd vollkommen vergessen zu haben. Verwirrt roch er an dem Blut auf dem Stein, das von Deidaras Bein stammte, blickte dann den Blonden selbst an und schaffte es anscheinend nicht, die unterschiedlichen Bilder, die ihm Nase und Augen zeigten in Einklang zu bringen. War er nun tatsächlich aus der Wahrnehmung des Jagdhundes verschwunden, wenn er außer Sichtweise war?
 

„Was bei allen Göttern ist hier passiert? Die Köter sind noch durchgedrehter als vorher.“ Deidara erstarrte. Für Momente hatte er die eigentliche Gefahr, die ihm drohte, vollständig vergessen. Aus dem Wald waren zwei Soldaten gekommen. Der eine war schmächtig, trug lederne abgewetzte Kleidung und wirkte dank der dunklen Ringe unter seinen Augen sehr erschöpft. Der andere hatte einen stämmigen Körper, über dem er volle Rüstung trug, die ihn anscheinend überhaupt nicht müde machte. Er musterte seinen Begleiter mit der Manier eines Mannes, dem es nichts ausmachte, tagelang eine Burg zu bewachen, aber es satt hatte, durch die Wildnis zu wandern. „Lass gut sein, Rhon’as“, winkte der Fährtensucher ab, als er die Miene seines Gefährten bemerkte. „Scheint, als wären wir zu spät gekommen. Der Dreckskerl muss ihnen wohl einen ordentlichen Kampf geliefert haben.“ Er trat näher und betrachtete den Hund, der noch immer versuchte die Spur wieder zu finden, die er verloren hatte, mit einem gewissen Maß grimmigen Stolz. Dem nur wenige Schritt entfernten Kadaver warf er einen bedauernden Blick zu.
 

Deidara rührte sich nicht, als die beiden näher kamen. Noch immer widmeten sie sich ganz ihrem Gespräch. Als beide nur noch fünf Meter entfernt waren, fühlte es sich auf einmal so an, als würde sein Blut zu kochen beginnen und Deidara war unfähig auch nur einen Muskel zu rühren. Es war ein noch eigenartigeres Gefühl als das, was das flüssige Mondlicht bei ihm hinterlassen hatte. Deidara konnte förmlich spüren, wie der Zauber, dessen Teil sein Blut war, in ihm seine Wirkung entfaltete.
 

Ein Windhauch streifte ihn, als der Fährtenleser so dicht an ihm vorbei ging, dass Deidara ihn riechen konnte. „Scheint, als ob du Recht behältst, Rhon’as“, erklärte er und hob den blutbesudelten Dolch von der Erde auf. In Gedanken vor sich hin fluchend, griff Deidara nach der leeren Scheide, die noch an seinem Gürtel hing. Wann hatte er den denn fallen lassen? Und warum bei allen Höllen hatte er es nicht bemerkt und wieder hochgenommen?! Jetzt war der Dolch verloren.
 

„Nun, dann müssen wir wenigstens nicht nach seiner Leiche suchen.“ Er drehte sich um und sah ihm direkt ins Gesicht, doch auf seinen Zügen zeichnete sich kein Erkennen ab. Deidara fiel wieder ein, was Hinata gesagt hatte, und ein kalter Schauer rann seinen Rücken herunter. „In ihren Augen werdet ihr unsichtbar sein, selbst wenn ihr direkt vor ihnen steht.“
 


 

~ [ ♦ ] ~
 

Raidou, der Späher, setzte sich an die Spitze der Gruppe. Minato scheute sich nicht davor, die Anführerposition direkt hinter ihm einzunehmen, die ihn zu einem leichten Ziel machte, und sein engster Kreis scharrte sich um ihn. Temari gesellte sich zu ihnen und Pein lenkte Kriegsstern neben ihren Wallach, auch wenn er weder ihr noch den anderen viel Aufmerksamkeit schenkte. Raidou führte sie auf geradem Wege nach Westen. Der Pfad wand und schlängelte sich, aber es gab keinen Zweifel. Das brachte sie von ihrem eigentlichen Weg ab, doch Pein war gewillt, auch diesen Preis zu zahlen. Außerdem lag Advorgar im Westen, also würden sie nicht zu viel Zeit verlieren, wenn sie sich schließlich wieder von Minato und seinen Leuten trennten, um Temaris Magier aufzusuchen.
 

Während der ersten halben Stunde nach dem Kampf ritt die Gruppe schweigend dahin, niemand sprach, nur die Schritte der Pferde, das Knarren des Sattelzeugs sowie das Klirren ihrer Rüstungen und Waffen begleiteten sie. Noch war das Gefecht zu frisch in ihren Köpfen, die Toten zu nah, die Verletzungen war tief. Pein kannte diese Art von Ruhe, er wusste, dass sie bald wieder verschwinden würde. Denn auch wenn diese tapferen Männer und Frauen noch vor kurzem Kameraden verloren hatten, so waren sie doch Soldaten und Krieger und sie wussten, dass dieses Leben, das sie gewählt hatten, Tod und Gram mit sich brachte. Sie würden aufhören, stumm zu trauern und stattdessen Geschichten über die Gefallenen erzählen, großartige und lächerliche und wunderbare. Aber noch war es nicht so weit.
 

Es war ruhig um sie herum, nur die vertrauten Geräusche des Waldes waren zu hören, und hin und wieder erscholl der ferne Klang der Jagdhörner. Doch die Uchiha waren weit weg und offensichtlich noch ohne eine Spur ihrer Beute. Das würde enden, sobald die Überlebenden der Schlacht ihre Kameraden erreichten. Aber darüber konnten sie sich Sorgen machen, wenn es soweit war.

Temari begann bald ein Gespräch mit Lady Yoshino von Nara und dem Magier über die aktuelle politische Situation Otos, dem Pein nicht folgen konnte. Zu viele fremde Namen, Sitten und Definitionen kamen auf, außerdem wurde Wissen über vorangegangene Ereignisse vorausgesetzt, von denen er noch nie gehört hatte, so dass er schnell wieder aufgab, den Sinn in der Diskussion verstehen zu wollen. Außerdem lenkten seine eigenen Gedanken und Theorien ihn so sehr ab, dass er kaum auf die Umgebung achten konnte geschweige denn auf ein solches Gespräch.
 

Bald war er zurückgefallen, so dass er zwischen den letzten beiden der Soldaten ritt. Sie waren beide brünett, in bester körperlicher Verfassung und übereinstimmend ausgestattet, aber da hörte ihre Ähnlichkeit auch schon auf. Der eine hatte wildes abstehendes Haar und eine Stupsnase mit spitzbübisch funkelnden Augen darüber. Das Haar des anderen war glatt und schulterlang und er hatte ein freundliches offenes Gesicht mit feinen Lachfältchen um die Augen.
 

„Du siehst aus, als hättest du Probleme.“, bemerkte ersterer. Pein zuckte mit den Schultern. „Probleme, die sich nicht so leicht beheben lassen.“, fügte der andere hinzu. Pein wiederholte seine Geste. „Das werden wir sehen.“ Noch fehlte ihm ein Beweis für seine Theorie. Im Moment hatte er nichts als seltsam aussehende Berge und eine Gesellschaft, die er nicht verstand - und keine Zeit, darüber nachzudenken.
 

„Ich bin übrigens Kotetsu.“, stellte der erste sich vor. „Das ist Izumo.“ „Hm.“, für einen Moment überlegte Pein, ob er die Gesprächsversuche abblocken sollte. Doch mit seinen Überlegungen kam er ohne Hinata sowieso nicht weiter und er hatte sich der Gruppe anschließen wollen, weil er mehr über Minato erfahren wollte. Er wusste nicht, wie lange er hier bleiben musste, wo immer hier auch war, ehe er und seine Gefährten einen Weg zurück fanden.
 

Also würde es nicht schaden, wenn er Informationen über die bedeutenden Personen hier sammelte. Vor allem, wenn sie derartig mit dem Land verknüpft waren, das er als sein eigenes ansah. Und Minato war eine solche Person, insbesondere auch, weil er persona non grata für die unberechtigt Herrschenden seines eigenen Landes zu sein schien. „Dient ihr eurem Herrn schon lange?“, fragte er darum, wobei er sich bemühte einen möglichst freundlichen Ton anzuschlagen. Aber sie würden sich nicht groß darum kümmern, wenn er etwas rüde und direkt war. Es waren Soldaten, so war ihre Umgebung – und Pein hatte unter Kriegern gelebt, seit er zwölf war.
 

Die beiden Männer wechselten einen Blick, aber es schien eher darum zu gehen, wie viel sie ihm erzählen wollten als um etwas anderes. Dann zuckte Kotetsu mit den Schultern und Izumo sagte: „Unsere Großväter dienten in der regulären Armee Konohas, wie ihre Väter vor ihnen und deren wiederum vor ihnen und so weiter. Unsere eigenen Väter haben sich unter den Rekruten befunden, als der Krieg ausbrach, und nachher gehörten sie zu den Überlebenden des Kriegs. Viele waren das nicht.“ Ein bitterer Unterton schwang in seiner Stimme mit und so nahm sein Kamerad den Faden auf: „Wie die meisten ihrer Kameraden gingen sie daraufhin nach Iwa im Westen. Der Goldene Kaiser ist dort noch nicht.“ Aber wenn ihn niemand aufhielt, würde er dort eines Tages sein. Niemand brauchte Pein das zu sagen – er kannte Herrscher wie den Kaiser. Despoten dieser Art bekamen den Hals nicht voll und griffen immer nach mehr, mehr, mehr. Vor den Totenkriegen hätte ein solcher Herrscher sich die Krone auf das Haupt gesetzt und sich König genannt. Hier schien ein solcher Griff nach Macht anders zu verlaufen. Oder vielleicht war es der Titel Kaiser, der den des Königs ersetzte, doch das war nur eine Vermutung. Der Begriff sagte ihm nichts.
 

„Und wie seid ihr in Minatos Dienste getreten? Scheint nicht so, als ob man ihn einfach aufsuchen und sich für seine Armee melden konnte.“, hakte Pein erneut nach. „Temari sagte mir, er ging nach dem Fall des Reiches ins Exil.“ Izumo nickte. „Er war damals noch ein Kind, etwa zehn glaube ich.“ Nachdenklich kratzte er sich am Kinn. „Stimmt“, warf Kotetsu von der anderen Seite ein. „Niemand wusste, dass er das Massaker überlebt hatte, und bis heute hat er nicht verraten, wo genau er die nächsten Jahre verbrachte. Meister Jiraiya hat ihn ausgebildet und schließlich nach Iwa gebracht, um Verbündete zu suchen und seine Möglichkeiten auszuloten. Dort hat er dann auch die alten Getreuen seiner Familie zusammengerufen und jeden begrüßt, der kam. Unsere Väter waren auch dabei.“ Ob sie nun tot waren? Oder auf einem anderen Posten? „Warum? Suchst du einen neuen Lehnsherren?“, erkundigte sich Izumo nun schmunzelnd. „Ist die Lady nicht gut genug? Ich will ja nichts sagen, aber unser Herr wäre da vielleicht nicht die beste Wahl mit dem Kopfgeld und all den Verfolgern und dem ganzen Ärger.“, lachte Kotetsu. Pein schnaubte. „Nein. Ich bin … einfach nur neugierig. Und Temari ist nicht meine Herrin. Wir trafen uns erst vor ein paar Tagen und sie hilft mir bei der Suche nach meinen Gefährten.“ Sein Gegenüber runzelte die Stirn. „Warum hilft dir eine Lady?“ Er reckte den Hals um einen guten Blick auf Peins Schild zu erhaschen. Als er kein Wappen fand, wirkte er noch verwirrter.
 

Früher war Pein unter dem Banner Zhelyrs geritten, doch diese Zeiten waren vorbei. Denn ein Kriegsherr, wie Pein einer war, kämpfte für mehr als nur einen Fürsten. Das war überhaupt der Grund, warum es diese Position gab: mehrere Fürsten, die sich zusammenschlossen und keine Einigung fanden, wer der Erste unter ihnen war und darum das Recht zu führen hatte. Also wurde ein Vertreter, der Kriegsherr, ernannt. Pein hatte keine Interesse daran, die Ereignisse der letzten Tage groß auszubreiten, also antwortete er auf die Frage: „Ich habe ihr auch geholfen.“
 

Kotetsu verengte misstrauisch die Augen und Izumo wollte in betont neutralem Tonfall wissen: „Bist du ein Söldner?“ Er warf dabei einen vielsagenden Blick auf Peins kleines Waffenarsenal. Der Angesprochene war froh, dass er diese Frage zumindest vehement verneinen konnte: „Nein. Ich bin nur ein Soldat, der sich verlaufen hat.“ Auch das stimmte nicht ganz; es gab kein ‚nur‘ in Verbindung mit Pein Kriegsfeuer, das wusste er so gut wie jeder andere. Aber Nagato – Nagato war nichts Besonderes, nur der zu schnell erwachsen gewordene Sohn eines Schäfers, dem man ein Schwert in die Hand gedrückt und dann in den Kampf geschupst hatte. Seine beiden Gesprächspartner musterten ihn scharf, schienen allerdings zufrieden mit dem Ergebnis zu sein, denn sie entspannten sich wieder.
 

„Du kommst nicht aus der Gegend, wie?“, fragte Kotetsu gutmütig. Pein fragte sich, ob der offensichtliche Themenwechsel auf den Gegenstand des Gesprächs zurückzuführen war oder die Männer ihn nur ausfragen wollten. Vermutlich etwas von beidem. Er beschloss, so ehrlich wie möglich zu sein, ohne dabei die Wahrheit preiszugeben. Was auch immer die Wahrheit war. Das sollte nicht allzu schwer werden, vor allem nicht, wenn man bedachte, dass er selbst noch nicht sagen konnte, was genau geschehen war. „Nein.“, antwortete er und das stimmte, ganz egal, was er als Heimat ansah, wo er herkam und unabhängig von der Örtlichkeit, an der er sich gerade befand. Der Ort an dem er sich jetzt befand war weit weg von dem entfernt, das er einmal Zuhause genannt hatte und jetzt nicht mehr existierte.
 

„Ich habe einen ziemlich langen Weg hinter mir.“ Auch das stimmte, im wortwörtlichen sowie im übertragenen Sinne. „Ich… Mein Heimatdorf wurde niedergebrannt, als ich noch ein Kind war.“ Kotetsu und Izumo wechselten einen betroffenen Blick. Pein zuckte mit den Schultern. „Ist schon lange her.“ Er erklärte nicht, wo er danach gelandet war. Es war auch keine große Sache – wie vielen Leuten war er begegnet, denen nicht ein ähnliches Schicksal widerfahren war? Er konnte sie an einer Hand abzählen. Anscheinend war so etwas hier allerdings völlig anders. „Wir wollten nicht…“, begann Izumo trotzdem, doch er unterbrach sich, als die lange Reihe der Reiter in Stocken kam.
 

„Was ist los?“, fragte Kotetsu mit gesenkter Stimme. Der Soldat vor ihnen schüttelte den Kopf, die Hand fest um das Heft seines Schwertes geschlossen. Pein blickte sich über die Schulter um, doch er konnte nur den mit platt getrampeltem Gras überwachsenen Weg und die schweigenden Bäume um sie herum sehen. Sie hinterließen eine ziemlich deutliche Spur, der auch ein Trottel folgen könnte. Allerdings musste die Spur erst einmal gefunden werden.
 

Bevor jemand sie über den Halt aufklären oder sie sich wieder in Bewegung setzen konnte, ertönte ein Jagdhorn. Es war so laut und so nah, dass einige der Pferde erschrocken schnaubten und nervös mit den Hufen stampften. Jemand fluchte laut, wurde aber schnell zum Schweigen gebracht. Ob die Uchiha sie tatsächlich gefunden hatten? Oder war das Zufall? Wo war Kiba mit seinen übernatürlichen Sinnen, wenn man ihn einmal brauchte? Pein löste den Bogen von seinem Sattel. Die Waffe hatte Kiba für ihn gefertigt, ein traditioneller Inuzukabogen, handlich und stark und dafür geeignet, aus dem Sattel abgeschossen zu werden.

Auch die anderen Krieger machten sich für einen Kampf bereit, stülpten sich die Helme über und griffen nach ihren Waffen. Kurz darauf setzte sich der Zug wieder in Bewegung, schweigend und lauschend. Nur die Tritte ihrer Pferde waren zu hören und das leise Geklimper von Metall auf Metall sowie das Knarren des Sattelleders. Doch auch die Hörner der Uchiha schwiegen, so dass es unmöglich zu erkennen war, wo die Feinde sich befanden. Manchmal klang es so, als könnte Pein andere Reiter hören, tiefer im Wald. Doch das konnte auch das Echo der Hufe ihrer eigenen Pferde sein, denn zu sehen war nichts. Kotetsu und Izumo, die hinter Pein in die lange, schmale Reihe der Reiter gefallen waren und damit das Schlusslicht bildeten, hatten die Köpfe zusammengesteckt und flüsterten miteinander. Dabei waren sie jedoch so leiste, dass selbst Pein sie kaum verstand. Anscheinend hatten sie Übung damit.
 

Pein fragte sich einen Moment, ob es sich lohnen würde, nach vorne zu reiten um näher an denen zu sein, die das Sagen hatten und die Entscheidungen trafen, doch vermutlich würde das nicht sehr viel bringen. Minato und seine Leute mussten Erfahrung mit diesem Spiel haben, um so weit gekommen zu sein. Sie brauchten seine Hilfe nicht. Er selbst wäre der einzige, dem dieser Positionswechsel dienen würde, also ließ er es bleiben. Kurz darauf wurde die Karawane schneller, so dass sie im raschen Trab durch den Wald eilten. Dennoch blieben die Reiter selbst still und keiner löste sich aus der Reihe, wozu nur lange Übung und große Disziplin befähigen konnten. Glaubte Minato, dass sie die Uchiha hinter sich gelassen hatten? Oder wägte er die Risiken ab und entschied, dass es besser wäre, schnell aus dem Gebiet zu verschwinden statt die Stille zu bewahren? Beides hatte sein Risiko.

Pein konzentrierte sich auf den Weg und die Umgebung, spähte in den Wald um eventuelle Feinde frühzeitig zu erkennen und achtete auf jeden großen Orientierungspunkt, der ihm zwischen den dicht belaubten Zweigen ins Auge fiel. Als sie einmal aus dem Wald herausbrachen, um am Rande einer Schlucht entlang zureiten, wusste er: hier war er bereits vorher gewesen. Es war vieles anders als damals, der Verlauf von Flüssen, die Kanten einiger Steilwände, die Reste von mächtigen Felsstürzen und Lawinen, die er nicht kannte, und der Saum von Wäldern, der andere Muster bildete, als die, an die er sich erinnerte. Doch die Gipfel, die sich um ihn herum erhoben, waren unverkennbar und er hätte ihre Silhouetten gegen den blauen Himmel überall erkannt. Immerhin hatte er einige Monate hier in der Nähe gelebt und gekämpft. Hier war hier seinen ersten Untoten begegnet und hatte sein erstes Kommando übernommen. Eine solche Zeit vergaß man nicht. Er war schon gar nicht mehr überrascht, sich so weit entfernt von der Stelle zu befinden, an der er eigentlich sein sollte, ehe er seine vertrauten Gefährten so plötzlich verloren hatte.
 

Der Klang des Jagdhorns durchschnitt erneut die Ruhe, die sie umgeben hatte, und zerstörte jede Illusion von Sicherheit. Pein riss den Kopf herum, als von der anderen Seite eine Antwort ertönte. Der erste Ton war von schräg hinten gekommen und hatte alle Reiter aufhorchen lassen. Der zweite ließ sie leise fluchen. Die Uchiha hatten sie am Ende gefunden und sie in die Mangel genommen. Aber war den Feinden klar, wie nahe sie ihrer Beute bereits waren? Wie schnell würden sie über die Gruppe herfallen und wie viele Köpfe zählten sie? Und was hatte Minato jetzt vor? Die Antwort kam in Form des Spähers, der zurück nach hinten ritt. Er winkte Kotetsu und Izumo, die sich von ihren Plätzen am hinteren Ende der Schlange lösten, und verschwand mit ihnen um die Biegung, um die sie gerade geritten waren.
 

Das Laub schluckte die Tritte ihrer Pferde. Pein übernahm ohne Übergang ihre Aufgabe als Schlusslicht, aber er hätte sich nicht sorgen müssen. Als die drei wieder zurückkehrten, die deutlichen Spuren hinter sich so gut verwischend, wie sie konnten, hatte sich ihre Situation nicht verändert. Um sie herum ertönten noch immer die Hörner, doch kein Angreifer tauchte im Unterholz auf. Die drei Soldaten nutzten Äste und Laub, um ihre Spuren entweder zu überdecken oder zu verwischen. Anscheinend hatten sie Übung darin, wenn man nach der Art urteilte, wie schnell und geübt sie ihre Aufgabe ausführten.
 

Doch ein aufmerksamer Beobachter würde den Weg, den sie genommen hatten, trotzdem entdecken. Ein Späher würde ihnen ohne Probleme folgen können. Aber Pein wusste aus eigener Erfahrung, dass die meisten Leute im Zuge einer Verfolgungsjagd ab dem Punkt, an dem sie die Beute in der Falle wähnten, nicht mehr auf den Boden und eventuelle Spuren achteten. Und so wie die Uchiha sich verhielten, wussten sie nun recht genau, dass Minato und seine Leute sich in ihrer Mitte befanden, und versuchten, sie in einer bestimmte Richtung zu lotsen. Ob Minato einen Ausfall wagen würde? Oder ließ er sich in die Falle treiben in der Hoffnung, schneller zu sein? Seine Krieger jedenfalls hatten die Waffen gezückt – einige trugen Kurzbögen wie Pein, die meisten jedoch Schwerter und kurze Speere. Das nächste Horn war so nah, dass es die angespannte Stille zerriss wie Donner. Ein paar Pferde wieherten schrill, zwei oder drei bockten sogar und einen Moment später hörten sie die Hufe, die nicht zu den eigenen Rössern gehörten.
 

Berstende Äste begleiteten den jähen, brutalen Angriff der Uchiha. Pein riss den Bogen hoch, eher ein Reflex als eine bewusste Reaktion, und schoss den ersten Feind aus dem Sattel, der in seinem Blickfeld auftauchte. Für einen zweiten Schuss jedoch blieb keine Zeit. Er schob den Bogen in die Halterung zurück und riss in der gleichen Bewegung den griffbereiten Schild nach oben. Ein Schwert krachte gegen die roten Drachenschuppen und einen Moment später erneut. Pein stieß den Schild nach vorne, um seinen Gegner lange genug abzulenken, damit er sein Schwert ziehen konnte. Die bronzene Klinge durchkreuzte den nächsten Angriff, doch dieses Mal schlug er zurück. Er hielt sich nicht lange damit auf, mit dem Mann herumzuspielen, sondern nutzte sofort eine komplizierte Attacke, die die Verteidigung des Angreifers durchbrach, sein Schwert beiseite fegte und die rote Klinge in den Spalt zwischen dem Helm und der schützenden Halskrause trieb. Der Soldat stieß ein gurgelndes Geräusch aus und kippte aus dem Sattel, während Pein sich schon dem nächsten Gegner zuwandte.
 

Um ihn herum wurde bereits heftig gekämpft, die lange, geordnete Reihe von Minatos Männern hatte sich zu kleinen Grüppchen aufgelöst. Pein lenkte Kriegsstern rückwärts zu Kotetsu und Izumo, Raidou und zwei weiteren Kriegern, während er einen zweiten Gegner fällte und sich Temari an die Seite wünschte. Ihren Stil kannte er inzwischen und sie war eine zuverlässige Kameradin im Kampf, die lange und umfangreich von jemandem ausgebildet worden war, der das Kriegshandwerk verstand und es auch weitergeben konnte. Jemand brüllte Befehle, aber Pein konnte nicht einmal ausmachen, ob sie von Freund oder Feind stammten. Neben ihm kippte einer der Reiter aus dem Sattel und Kotetsu fluchte laut, nur um seine Anstrengungen noch einmal zu verdoppeln. Doch als die Hörner kurz darauf erneut ertönten, lösten sich die Uchiha von ihnen und preschten in geordnetem Rückzug in das Unterholz zurück. Sie verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren. Aufgeregte Rufe schallten durch den Wald, gemischt mit einigen Schmerzensschreien.
 

„Verdammt!“, fluchte Izumo, der aus dem Sattel rutschte um nach den gefallenen Kameraden zu sehen. Er blickte auf und schüttelte den Kopf. Hier gab es nichts mehr zu retten. Kotetsu, der aus einer Wunde am Arm blutete und die Hand darauf gepresst hatte, wandte sich heftig ab. Blut sickerte zwischen seinen Fingern hervor. Raidou starrte mit gerunzelter Stirn auf den Boden, das vernarbte Gesicht hart. Es waren noch weitere der königstreuen Krieger gefallen, und sie lagen mit gebrochenem Blick zwischen den wenigen Leichen ihrer Angreifer am Boden. Mit einem solchen schnellen, kurzen Angriff von wenigen, aber vorbreiteten Gegnern hatte anscheinend niemand gerechnet und umso größer waren die Verluste. Er war so schnell und kurz genug gewesen, dass Antarion gar nicht hatte verlangen können, Teil des Kampfes zu sein, was nicht oft vorkam. Diese Attacke jedoch hatte trotzdem eine verheerende Wirkung gehabt. Von den sechszwanzig Kriegern, mit denen der König und seine Gemahlin aufgebrochen worden waren, waren kaum ein Dutzend geblieben.
 

Was auch immer Minatos Absicht war, Pein hoffte, dass sie all die Menschenleben wert war, die dafür gelassen worden waren. Er fragte sich, was die Uchiha damit bezweckten. Wäre es nicht viel einfacher, die Feinde so lange zu verfolgen, bis sie sich gesammelt hatten und einen Großangriff starten konnten, der auf alle Fälle siegreich verlaufen würde? Oder versuchten sie Zeit zu schienden, weil sie befürchteten, dass die Beute entkommen würde, ehe ihre Falle zuschnappte? Oder vielleicht waren sie gar nicht so viele, wie Minato und seine Leute annahmen und sie mussten auf eine solche Methode zurückgreifen, damit sie nicht selbst zur Beute wurden? Kushina ritt langsam die Reihe ab, sprach mit den übrig gebliebenen Kämpfern und gab einer Gruppe nach der anderen leise Befehle.
 

Langsam verschwand die laute Aufregung und wich einer stillen, angespannten Atomsphäre, die die Härchen auf Peins Armen aufrichtete und ihn frösteln ließ. Schließlich erreichte Kushina auch ihn und seine Kampfbrüder. „Wir haben nicht viel Zeit.“, erklärte sie ohne Überleitung, die Hand noch immer auf dem Schwertheft. Ihr hübsches Gesicht war von der Anstrengung gerötet und aus einem Schnitt in ihrer Wange floss noch immer Blut. „Nehmt, was wertvoll ist, fangt die Pferde ein und versorgt die schlimmsten Wunden.“ Sie warf einen kurzen Blick zu Kotetsu und seinen Verletzung hinüber, um zu zeigen, wen genau sie damit meinte.

„Wir haben keine Zeit, unsere Gefallenen zu begraben, aber wir wollen sie auch nicht einfach hier liegen lassen. Bedeckt sie darum mit Ästen und Laub.“ Es würde nicht viel bringen, um sie vor Witterung und wilden Tieren zu schützen, wusste Pein, und würde daher eher dem Seelenheil der Überlebenden dienen. „Wir brechen in Kürze wieder auf. Kannst du die Spuren weiterhin verdecken?“ Die letzte Frage war an den Späher gerichtet, der mit den Schultern zuckte. „Es wird nicht viel bringen.“, erklärte er. „Sie haben sicher einen Fährtenleser dabei. Aber in der Nähe gibt es einen kleinen Fluss, den wir benutzen können. Wir müssen uns jedoch beeilen.“ Kushina nickte. „Gut. Ich sage Minato Bescheid.“ Sie warf einen kurzen Blick zu Pein, sagte aber nichts, als sie an die Seite ihres Mannes zurückkehrte.
 

Pein half dabei, die beiden Gefallenen unter einem Haufen Laub und abgebrochenen Zweigen zu verbergen. Die Pferde einzufangen war kein großes Problem; sie standen in der Nähe und scharrten nervös mit den Hufen im Laub. Kurz nachdem sie auch das letzte zu ihnen herübergelockt hatten, wurde auch schon der Befehl zum Aufbruch weitergegeben, leise und von Mund zu Mund, statt eines lauten Rufes. Raidou überließ es Kotetsu und Izumo, die Spuren der Gruppe weiter zu verschleiern und setzte sich an die Spitze des Zuges, um sie zu dem Flüsschen zu führen, von dem er gesprochen hatte. Und mehr als das war es tatsächlich nicht – flach und steinig und an einigen Stellen schmal genug, um ihn zu überspringen, suchte sich der Flusslauf einen Weg durch das Unterholz und über die knorrigen Wurzeln der alten Bäume.
 

Vorsichtig lenkten sie ihre Pferde in den Bach um den Lauf zu folgen. Sie kamen dadurch nur langsam voran, da keines der Tiere stürzen durfte, und waren viel lauter als auf dem weichen Waldboden, doch das Risiko war es wert. Nur den besten Spähern würde es auffallen, dass sie hier den Weg verlassen hatten, denn drei Soldaten lösten sich aus der Reihe um den Fluss zu überqueren und im Wald zu verschwinden. Wenn sie eine Spur gelegt hatten, die lang genug war, um die Uchiha weit genug von dem Bach wegzuführen, würden sie zurückkommen. Izumo war einer von ihnen, um auch hier die Spuren zu verwischen. Der Rest der Reiter folgte Raidou den Bachlauf entlang, bis der Späher entschied, dass es jetzt genug war und eine Stelle fand, an der es leicht war, den Bach unauffällig zu verlassen. Während des nassen Weges jedoch hörten sie noch immer von links und rechts die Hörner des Feindes und einmal sogar eine galoppierende Gruppe von Kriegern. Die Stimmung war angespannt und die Pferde nervös und unwirsch. Ein erleichtertes Aufatmen ging durch den Trupp, als die drei Reiter aufholten, die die falsche Fährte gelegt hatten. Izumo nickte Kotetsu beruhigend zu und klopfte ihm auf den Arm, als er wieder seinen Platz in der Karawane einnahm. Doch auch dies hob die Stimmung nur marginal.
 

Kurz nachdem sie den Bach verlassen hatten, fielen Pein noch mehr Landmarken auf, die ihm bekannt vorkamen. Eine Gruppe Findlinge, eine scharfkantige Felswand, eine Schlucht… Wenn er richtig lag, näherten sie sich einem der Außenposten Zhelyrs. Sollte er Minato drauf aufmerksam machen? Vielleicht konnten sie dort einen Unterschlupf finden. Eine leicht zu verteidigende Stellung vielleicht, die auch noch verborgen lag und trotzdem einen weiten Blick über das Land bot. Auf der anderen Seite wusste er nicht, wie die kleine Festung hier und jetzt aussah. Es gab so viele Veränderungen um ihn herum, vielleicht war da gar kein Turm mehr und er weckte trügerische Hoffnungen. Doch ehe er zu einem Entschluss kam, veränderten sich die Rufe der Hörner. Anscheinend hatten die Uchiha nun die Spur verloren. Wie lange würde es dauern, bis sie sie wieder fanden? Früher oder später würde jemand auf die Finte mit dem Bach kommen und dann war es nur noch eine Frage der Zeit, bis man die echte Spur fand. Allerdings konnte es zu diesem Zeitpunkt für die Jäger zu spät und die Beute längst entwischt sein. Doch die Uchiha waren ihnen zahlenmäßig überlegen und – wie der Hörnerschall bewies – hatten sie sie trotz allem beinahe eingekreist. Der Fluss hatte sie nur noch tiefer in die Falle geführt, auch wenn der Gegner keine Ahnung davon hatte.
 

Raidou nahm den einzigen Weg, der ihn noch eine Lücke versprach, auch wenn niemand eine Ahnung zu haben schien, wo genau sie waren und wohin sie ritten. Die Krieger jedoch blieben still bis auf beunruhigtes Flüstern und angespanntes Spähen in das Unterholz, was die Pferde scheu machte. Erst, als sie erneut den Wald verließen und direkt vor einer hohen Felswand standen, wurden die Soldaten lauter. Kotetsu und Izumo wechselten einen besorgten Blick. Doch die Gruppe kam nur kurz ins Stocken, denn Minato trieb sie unbarmherzig weiter. Also wechselten sie in einen raschen Trab und blieben hinter ihm in der Reihe. Das gab niemanden genug Zeit darüber nachzudenken, wie schlimm es um ihre Lage stand. Pein hätte es ebenso gemacht.
 

Der schmale Streifen Wiese, der den Wald von den Felsen trennte, die wie eine senkrechte Mauer neben ihnen aufragten, wurde breiter, während sich der Waldboden gleichzeitig auf der anderen Seite in einen immer steiler werdenden Hang verwandelte. Pein verspürte ein immer stärkeres Gefühl von Déjà-vu. Schließlich gelangten sie an einen Durchbruch in der Wand, doch dahinter befand sich nur ein kesselartiges Tal. Ein kleiner Fluss gluckerte munter hindurch, gespeist von einem hohen, schmalen Wasserfall, nur um am anderen Ende des Tals im Felsen zu verschwinden. Moos und Efeu bedeckten die Wände und etwa ein halbes Dutzend alter Trauerweiden erhob sich ehrwürdig und mächtig, beinahe im Kreis. Jetzt stoppte die Karawane und niemand schien zu wissen, was folgen würde – oder konnte. Der einzige Weg war der zurück und wer wusste schon, wo die Uchiha sich im Moment befanden? Die Felswände hier warfen den Hörnerschall jedenfalls verzerrt zurück, so dass an eine Ortsbestimmung der Feinde nicht mehr zu denken war.
 

Während die Anführer der Gruppe sich versammelten um die Lage zu besprechen, verteilten sich die meisten der Krieger in kleine Grüppchen. Ein paar tränkten ihre Pferde am Fluss, andere ließen die ihren grasen. Die reiterlosen Rösser wurden neu verteilt um die Führer abzulösen. Anscheinend versuchten die meisten der Soldaten, diese erzwungene Pause als die Ruhe vor dem Sturm anzunehmen. Es gab ihnen die Gelegenheit sich um ihre Pferde zu kümmern und Kraft zu schöpfen. Einige prüften ihre Waffen. Doch niemand schien darüber nachdenken zu wollen, dass diese Ruhe sehr trügerisch war und die Uchiha jeden Moment im wortwörtlichen Sinne ums Eck biegen konnten. Vielleicht hofften sie, dass die Uchiha an ihrem Weg vorbeireiten würden und sie hier nicht fanden. Aber Hoffnung war noch nie etwas gewesen, auf das Pein viel gegeben hatte. Nur Minato und seine engsten Vertrauten schien das zu kümmern und sie suchten verzweifelt nach einer Lösung des Problems.
 

Temari hielt sich etwas abseits von ihnen; sie hörte aufmerksam zu, sagte aber nichts. Auch Pein rutschte aus dem Sattel und führte Kriegsstern zum Bach hinüber. Der Boden war weich und federnd unter seinen Stiefeln, die Sonne war warm und der Wasserfall ein angenehmes Rauschen im Hintergrund. Eigentlich war das hier ein sehr idyllischer Ort, aber trotz allem hatte niemand Augen dafür, auch wenn alle so taten, als wären sie auf einem Picknick und hätten nur eine kurze Verschnaufpause eingelegt. Der Talkessel bot außer dem schmalen Eingang keinerlei gute Verteidigungspositionen und an einem paradiesischen Platz zu sterben machte den Tod auch nicht erträglicher. Als Pein gegen einen plötzlichen Felsbrocken trat, blieb er mit einem leisen Schmerzenslaut stehen. Der Stein – groß und dunkel und glatt – war halb in der Erde versunken und von Moos überzogen. Mit gerunzelter Stirn kratzte er mit dem Stiefel Pflanzen und Dreck davon weg. Der Fels schien unnatürlich eckig zu sein und unter den Pflanzen kam ein stark verwitterter Schriftzug zum Vorschein…
 

Pein ließ die Zügel seines Pferdes los und ging in die Hocke, um besser an den Stein heranzukommen, um ihn mit den Fingern zu säubern. Die Schrift war kaum lesbar, aber er erkannte sie dennoch genug, um den Namen darauf lesen zu können: Risara. Ein eiskalter Schauer überfuhr ihn. Es war wie eine Hand, die sich auf seinen Rücken legte, groß und bedrohlich, um ihn zu dem letzten Teil des Puzzles zu leiten, das seine Vermutung untermauerte. Unvermittelt sah er sich damit konfrontiert, dass die Ahnung, die ihn seit einiger Zeit begleitete, wahr zu sein schien. Aber … konnte das denn überhaupt sein? Er hatte niemals auch nur etwas Ähnliches gehört und wie…? Ein kurzer, rascher Blick durch das Tal offenbarte noch weitere ähnlich verborgene Steine, die im Laufe von Jahrzehnten – Jahrhunderten vielleicht, langsam versunken waren. Auf jedem Stein stand ein Name, eingebrannt durch Magie. Dies hier war ein uralter, längst vergessener und verschwundener Friedhof und Pein kannte ihn. Er kannte die Personen, die hier ihre ewige Ruhe gefunden hatten, und er kannte dieses Grab, vor dem er kniete. Er hatte es selbst ausgehoben.

Chapter 11 ~ With foes ahead, behind us dread

Nachdenklich ließ Shikamaru den Blick über die Ebene schweifen. Innerhalb eines Tages hatte sich die gesamte Umgebung verändert. Wo zuvor grüne Wiesen und Felder am Fuße der Forstburg gelegen hatten, war nun das Gras von unzähligen Flüchtenden niedergetrampelt worden. Die Erde war von den Explosionen, die der feindliche Magier gewirkt hatte, aufgerissen und verbrannt und vor Etris Toren war ein Lager entstanden, das er auf gut und gerne achttausend Mann schätzte.
 

Shikamaru trat näher an die Mauer heran, um sich darauf abzustützen, und sein Blick blieb an Etris hängen, das ausgestorben in der Ferne lag. Das Dorf wirkte wie eine Geisterstadt und der Trubel, der noch vor wenigen Stunden in den Straßen geherrscht hatte, war wie weggewischt. Ausgelöscht von der Armee, die im Auftrag des Goldenen Kaisers gekommen war, um die Burg und damit auch Etris als wichtigen Handelsknotenpunkt einzunehmen. Sie hatten es gewusst und doch waren sie nicht schnell genug gewesen. Sicherlich war er nicht derjenige gewesen, der als Erster losgerannt war, aber er hasste es bei etwas zu verlieren, das er eigentlich schon gewonnen glaubt hatte.
 

Vor einer Stunde hatte er im Namen ihrer Gruppe endlich seine Audienz bei Graf Darui bekommen, doch das Gespräch war wenig fruchtbar gewesen. Der Graf hatte sich zwar bei ihm für die Mühen bedankt, aber angesichts der Gefahr, in der sie noch immer schwebten, wirkte sein Dank seltsam hohl und Shikamaru hatte das Gefühl bei seiner Aufgabe versagt zu haben. Tenten, Kankuro, Suigetsu und er hatten Etris warnen wollen und stattdessen saßen sie nun selbst in der Falle.
 

„Es ist ein Albtraum.“ Er wandte leicht den Kopf und Tenten trat neben ihn. Sie war merklich blasser als noch vor ein paar Stunden und der Angriff schien sie tief erschüttert zu haben. Shikamaru zwang sich den Blick von der gegnerischen Streitkraft zu lösen und sah sie ernst an. „Wenn es einer wäre, könnten wir aufwachen. Da wir das nicht können, müssen wir uns mit der Realität auseinandersetzen.“ Sie sah ihn verärgert an. „Wie kannst du dabei nur so ruhig bleiben?! Wir … wir könnten jeden Moment sterben, Shikamaru!“
 

Er verschränkte die Arme am Hinterkopf und kehrte dem Unheil hinter sich den Rücken zu. Innerlich verfluchte er alle Götter, die ihm dieses Schicksal beschert hatten. Nicht nur, dass er sich in einer unmöglichen Lage befand, jetzt musste er auch noch seine Kameradin beruhigen und der Umgang mit Frauen, die noch dazu unter Schock standen – was leider ebenfalls berechtigt war –, gehörte nun wirklich nicht zu seinen Stärken. Wie anstrengend.

„Wir hätten auch auf dem Weg hierher ein Dutzend Mal sterben können“, stellte er wenig kreativ fest. „Außerdem hat der Feind es vorgezogen ein Lager aufzuschlagen, falls es dir nicht aufgefallen ist. Das bedeutet, er wird so bald nicht mehr angreifen. Sie wollen uns entweder aushungern oder sich ihren nächsten Angriff genau überlegen, da wir den letzten ja irgendwie vereiteln konnten – das werden sie kein zweites Mal riskieren.“, breitete er nüchtern vor ihr aus. Und ohne es zu wollen tauchten vor seinem inneren Auge Bilder von Kiba und Neji auf. Kiba wie er den weißen Langbogen spannte und aus einer unmöglichen Entfernung sein Ziel traf. Neji, wie er es mit einer Übermacht an Gegnern aufnahm und trotzdem kaum außer Atem geriet und unverletzt davonkam. Und dann diese magischen Utensilien, die sie dabei hatten. Erst die silbernen Scheiben, dann der von ihnen aus dem Nichts erzeugte Feuerball. Selbst, wenn er kein Genie gewesen wäre, hätte er gewusst, dass die Forstburg spätestens beim ersten Magieangriff gefallen wäre, wenn Kiba und Neji nicht eingegriffen hätten.
 

„Shikamaru?“ Jetzt wirkte Tentens Stimme etwas fester und er musste ihr zugutehalten, dass sie sich trotz der Situation erstaunlich gut im Griff hatte. Ino wäre wahrscheinlich hysterisch geworden. „Glaubst du, wir haben eine Chance?“ Die Frage traf ihn unvorbereitet. „Eine Chance?“ Tenten strich sich eine Strähne ihres offenen Haares aus dem Gesicht und nickte dann nachdrücklich. Shikamaru trat an den Rand der Mauer und sah in den Burghof. Dort herrschte reger Betrieb. Die Menschen rannten hektisch durcheinander, der Lärmpegel war merklich angeschwollen und dort, wo das Loch in der Mauer klaffte, waren zwei Dutzend Soldaten stationiert, die das feindliche Lager fortwährend im Auge behielten. Zwar lag Panik in der Luft, doch Shikamaru konnte auch Zuversicht heraushören – oder den schlichten Willen nicht aufzugeben und zu überleben.
 

„Hättest du mich das heute Morgen gefragt, hätte ich Nein gesagt, aber jetzt…“ Er führte den Satz nicht zuende, aber Tenten begriff auch so, dass er auf Neji und Kiba anspielte, die der gesamten Situation eine völlig neue Wendung gegeben hatten. Aber würden sie ausreichen, um das Blatt zu wenden? So stark und erfahren sie auch waren, sie waren nur zwei Männer…
 

„Dann werde ich auch nicht aufgeben“, erklärte Tenten, „was wir auch ausrichten können, lass uns alles tun, was möglich ist. Wir haben für diese Leute eine Verantwortung.“ Das konnte er ihr nicht absprechen. Immerhin hatte das Schicksal von Etris in ihren Händen gelegen, seit sie aufgebrochen waren, um das Dorf zu warnen. Ihre erste Chance hatten sie verspielt, würden sie die zweite nutzen können?
 

„Tenten! Shikamaru!“ Kankuro tauchte außer Atem auf der Mauerbrüstung auf. „Kommt sofort mit! Graf Darui will, dass wir an seiner Notfallsitzung teilnehmen.“ „Ich auch?“ Überrascht sah Tenten ihn an und Shikamaru hörte ihren Zweifel heraus, der vermutlich in ihrem gesellschaftlichen Status und ihrer Vorstellung beim letzten Angriff begründet lag. „Ja, du auch“, erwiderte Kankuro ungeduldig. „Jetzt beeilt euch mal ein bisschen. Wer weiß schon, wann diese Bastarde das nächste Mal angreifen.“ Shikamaru tauschte einen Blick mit Tenten, ehe sie schließlich synchron zur steinernen Treppe hasteten und Kankuro folgten. Shikamaru fiel auf, dass er eine Wunde am Arm hatte, die vor ein paar Stunden definitiv noch nicht da gewesen war. Zwar hatte er Kankuro und Suigetsu kurz vor seiner Audienz beim Grafen flüchtig gesehen, aber keine Gelegenheit gehabt groß mit ihnen zu reden. Seine oberste Verpflichtung hatte darin gelegen endlich das lang ersehnte Treffen bei Darui zu bekommen. Wenigstens waren seine Gefährten alle noch am Leben, wenngleich sie ziemlich angeschlagen waren.
 

Er hastete Tenten und Kankuro hinterher; die steinernen Stufen herunter und anschließend durch den betriebsamen Burghof, den er eben noch beobachtet hatte. Es war nicht ganz einfach sich durch die Menge zu bewegen, da sämtliche Leute durcheinander rannten und sich nicht die Mühe machten sich zu entschuldigen, wenn sie ihn anrempelten. Die Gefahr schwebte noch immer über ihnen und die Angst der Menschen überlagerte alles. Sie war beinahe greifbar.
 

Fluchend wich Shikamaru einem Korb voller Äpfel aus und sprang anschließend über einen umgekippten Sack voller Hafer. „He, pass doch auf!“, schimpfte ein kräftiger Mann hinter ihm her, doch Shikamaru ignorierte ihn. Sie konnten es sich nicht leisten noch mehr Zeit mit Höflichkeiten zu verplempern. Tenten tat sich trotz ihres Kleides etwas leichter damit Kankuro zu folgen und war ihm bereits drei Meter voraus, als er endlich zu den beiden aufschloss und ein wenig außer Atem die große Flügeltür erreichte, die in die Burg führte.
 

In die zwei Hand breite, massive Flügeltür war eine weitere kleinere eingelassen, die Kankuro in diesem Moment aufstieß und für Tenten offenhielt. Sie warf ihm einen schwer zu deutenden Blick zu und schlüpfte hindurch. Als er seinen Gefährten folgte, fand er sich in einer geräumigen Eingangshalle wieder, die allerdings nur eine schwache Illusion ihres ehemaligen Glanzes darstellte. Die Zeit war nicht nur an den Mauern der Forstburg vorbeigegangen. Shikamaru sah sich kurz im Raum um und ließ den Blick über einen kristallenen Kronleuchter, einen Wandteppich, der den Stammbaum des Burgherrn zeigte, und die ausladende Treppe, die in die oberen Stockwerke der Burg führte, gleiten. Es gab keine Fenster und so wurde der Raum auch am Tag von an der Wand angebrachten Fackeln beleuchtet, die ihr Schattenspiel an die dicken Steinwände warfen.
 

In diesem Moment kam mit schnellen Schritten ein Soldat die Treppe herunter und wirkte erleichtert, als er sie entdeckte. Der Mann war in seinen Vierzigern und trug ein glänzendes Kettenhemd über einem braunen Wams, auf dem das Wappen der Burg prangte. Auf seinem Rücken hatte er einen Schild gehängt und an seiner Seite hing ein Breitschwert, dessen Heft so abgegriffen war, dass Shikamaru augenblicklich klar wurde, hier einen Soldaten vor sich zu haben, der sich schon in etlichen Kämpfen hatte beweisen müssen. „Na, endlich“, begrüßte sie der Mann und hob eine bauschige Augenbraue, die von einer wulstigen Narbe gespalten wurde. „Graf Darui erwartet euch bereits und hat mich ausgeschickt, um zu sehen, wo ihr bleibt.“ „Entschuldigt bitte“, antwortete Kankuro, „ich konnte meine Gefährten in der Menschenmasse draußen nicht so schnell finden. – Tenten, Shikamaru, das hier ist Merod. Er ist der Hauptmann der Wache und-“ „Kein Mann unnötiger Worte“, fiel ihm der Veteran grimmig ins Wort. „Folgt mir, ich will Graf Darui nicht noch länger warten lassen.“ Shikamaru tauschte einen Blick mit Tenten, doch die konnte auch nur mit den Schultern zucken. Dann folgten sie Merod zu dritt die Steintreppe herauf, einen langen Gang entlang und gelangten schließlich an dessen Ende in den ehemaligen Rittersaal der Burg.

In dem hohen Raum saßen etwa ein Dutzend Menschen um einen langen rechteckigen Tisch aus massiver Eiche herum und verstummten, als sie eintraten. Am Kopfende entdeckte Shikamaru just in diesem Moment den Burgherrn, der bei ihrem Anblick erleichtert zu sein schien. Graf Darui war ein Mann mit dunkler Hautfarbe, die in starkem Kontrast zu seinem hellen Haar stand, das ihm in die Stirn und die Augen fiel. Er war noch relativ jung, muskulös und besaß ausreichend Charisma und Durchsetzungsvermögen, um seine Leute auch in dieser Lage im Griff zu haben. Shikamaru war froh, dass es wenigstens einen Burgherrn gab, der nicht auf den Kopf gefallen war, wenn die Festung selbst zur Verteidigung nicht besonders taugte. Zudem hatte er seit ihrer letzten Begegnung seine Rüstung angelegt und trug nun ein Schwert an der Hüfte.
 

„Ah, Shikamaru, Ihr kommt genau richtig“, begrüßte der Graf sie, „nehmt Platz, wir wollen nicht noch mehr Zeit vergeuden.“ Merod grunzte zustimmend und ließ sich dann auf den Stuhl rechts neben einem älteren Mann fallen, der zwischen ihm und dem Grafen saß. Daraufhin setzte sich Shikamaru zwischen Tenten und Kankuro vier Plätze links von Darui. Mit einem schnellen Blick musterte er schließlich die übrigen Teilnehmer der Sitzung. Zwischen ihm und dem Grafen saß auf dessen linker Seite eine Frau, die vielleicht das Ende ihrer Vierziger erreicht hatte, aber dennoch zäh und autoritär wirkte, was ihr wiederum einen jugendlichen Elan gab. Dunkel erinnerte er sich, dass sie das Geschehen im Burghof koordiniert hatte, als Kiba und Neji mit ihrem Zauber den ersten Magieangriff vereitelt hatten. Auf ihrer linken Seite wiederum folgten Suigetsu und Kankuro. Dann kamen er selbst, Tenten und neben ihr endete die Reihe mit zwei leeren Stühlen.
 

Gegenüber auf der anderen Seite des Tisches entdeckte er zu seiner Überraschung den Schmied Orith aus Etris, der angeregt mit dem muskelbepackten Mann neben ihm flüsterte. Gerade als er die Menschen auf der anderen Tischseite genauer betrachten wollte – es handelte sich um einen grobschlächtigen Kerl, an dessen Seite es aufgrund seiner Werkzeuge bei jeder Bewegung klirrte, sowie einen drahtigen jungen Mann, der lebhaft auf ihn einredete, eine junge Frau, die so aussah, als könne sie ordentlich zupacken und schließlich zwei weitere Männer, die rechts von Merod saßen, – klatschte Graf Darui in die Hände und erhob sich. „Willkommen“, begrüßte sie der Graf erneut und fuhr dann etwas ernster fort: „vielen Dank, dass ihr so schnell gekommen seid.“ Er achtete nicht auf ihre erwiderten Begrüßungen, sondern fuhr fort: „Nie haben sich Etris oder die Forstburg in größerer Gefahr befunden – und leider“, er machte eine Geste in seine Richtung, „sind unsere Freunde, die für unseren rechtmäßigen König kämpfen nicht rechtzeitig eingetroffen, um uns zu warnen.“ „Sie sind Rebellen!?“, entfuhr es Orith und der Schmied warf einen ungläubigen Blick in seine Richtung und auch die anderen Teilnehmer der Runde betrachteten sie jetzt aufmerksamer.
 

Shikamaru spürte, dass Tenten neben ihm unter all den Blicken zusammenschrumpfte. Kurz dachte er darüber nach, ob es klug gewesen war, ihre Identität zu enthüllen, allerdings lehnte sich gerade ohnehin die gesamte Burg und mit ihr ganz Etris gegen die Belagerer und den Tyrannen in Oto auf, sodass es kaum einen Unterschied machen dürfte, aus welchen Gründen nun jemand Widerstand leistete. Bevor der Schmied oder ein anderer noch etwas sagen konnte, hob der Burgherr die Hand und erstickte jegliche Diskussionen im Keim. „Ja, sie sind Rebellen“, herrschte er Orith an, „aber nach dem letzten Angriff unterscheiden wir uns nicht mehr von ihnen. Oder könntet Ihr tatenlos dabei zusehen, wie unsere Feinde euer Zuhause zerstören, Orith?“ Der Schmied lief puterrot an, sagte aber nichts mehr. Darui fuhr ungerührt fort. „Erlaubt mir euch alle miteinander bekannt zu machen. Dies hier ist Bela. Sie ist meine Haushaltsvorsteherin. Suigetsu, Kankuro, Shikamaru und Tenten von den Rebellen, Merod, der Hauptmann meiner Wache, Emeric, mein Burgschmied und neben ihm sein Handwerkerkollege Orith aus Etris.“ Darui war, nachdem er Tentens Namen genannt hatte, rasch zur gegenüberliegenden Tischseite gewechselt. „Aeleis, die Vorstehende der Händlergilden, Quinn, dem trotz seiner Jugend sämtliche meiner Zimmerleute unterstehen, Hadryan als Vertreter der Steinmetze, Louvel von den Maurern und natürlich Tahir, der Dorfvorsteher von Etris.“
 

Shikamaru hatte dem Grafen aufmerksam zugehört, schließlich konnte man nie wissen, wann es gut war diese oder jene wichtige Persönlichkeit zu kennen. Seit seiner Kindheit hatte er es so gehalten und sich dabei ein bemerkenswertes Namens- und Personengedächtnis angeeignet, das ihm bei mehr als einer Gelegenheit von Nutzen gewesen war. Insgesamt wirkten die Anwesenden zwar erschüttert von dem Angriff, aber noch immer nicht bereit den gegnerischen Invasoren ihre Heimat einfach so zu überlassen. Einzig Tahir, ein Mann Mitte fünfzig mit einem nicht zu unterschätzenden Bauchumfang und kantigen Gesichtszügen, wirkte erstaunlich blass. Shikamaru konnte nur vermuten, dass es in seiner jahrelangen Erfahrung als Dorfvorsteher noch nie eine solche Krise gegeben hatte.
 

Plötzlich öffnete sich die Tür knarzend und draußen war ein kleiner Tumult zu hören, als laute Stimmen die Eindringlinge davon abhalten wollten, den Raum zu betreten. Allerdings war dieses Unterfangen erfolglos, da im nächsten Moment die schwere Holztür vollends aufschwang und ein grinsender Kiba, der gefolgt von dem riesigen Hund Akamaru und Neji, in den Raum trat und verkündete: „Und eure Retter, Graf Darui.“ Neji hinter ihm schüttelte nachsichtig den Kopf, die Arme vor der Brust verschränkt, als wäre er amüsiert über das Verhalten seines Kameraden.
 

Diese Aussage löste ganz unterschiedliche Reaktionen aus. Merod setzte sich empört in seinem Stuhl auf und knurrte: „Was erlaubt Ihr euch, Fremde!“ Der junge Quinn wirkte neugierig und Orith sah eher so aus, als würde er es bereuen seine letzten Kunden übers Ohr gehauen zu haben. Die restlichen Anwesenden blickten fragend zu ihrem Grafen, der als einziger die Ruhe bewahrte. Das, so vermutete Shikamaru, lag vor allem daran, dass Kiba mit seiner Aussage nicht unbedingt falsch lag.
 

Im nächsten Moment traten drei Wachen hinter den beiden in den Sitzungssaal. „Verzeiht, Herr, wir konnten sie nicht aufhalten. Und…“ Bei aller Objektivität konnte Shikamaru den Blick, den die Wache Neji und Kiba zuwarf, nur als Verehrung interpretieren. Es war fast nicht zu glauben, wie schnell die beiden Fremden die Loyalität der Wachen gewonnen hatten. „Wie bitte?! Mit welchem Recht betretet Ihr diesen Raum?“ Merod funkelte die Eindringlinge so wütend an, dass jeder andere vermutlich schon bei diesem Blick wieder kehrtgemacht hätte. Kiba, der in diesem Moment Akamaru hinter den Ohren kraulte, schnaubte jedoch nur verächtlich und erwiderte: „Mit dem Recht desjenigen, der dein mickriges Leben gerettet hat.“ Merod blickte ihm mit offenen Mund nach, als Kiba Bogen und Köcher griffbereit auf dem Boden abstellte und sich dann vergewisserte, dass die Messer und Dolche an seinem Gürtel, richtig saßen, ehe er ungerührt am Ende der Reihe links von Graf Darui Platz nahm. Neji nickte dem Grafen, der von der Wendung der Ereignisse nun doch etwas erstaunt wirkte, entschuldigend zu und hob den Kopf, drehte ihn in die Runde und ließ die Illusion erstehen, er hätte die Anwesenden angesehen. Bevor er jedoch Platz zwischen Kiba und Tenten Platz nahm, zögerte er kurz. Zu seiner Überraschung bemerkte Shikamaru, dass Neji offenbar kurz daran gedacht hatte, sein Schwert abzulegen. Als er jedoch festgestellt hatte, dass sich anscheinend niemand darum scherte, ließ er es dort, wo es war. Im Gegensatz zu Kiba, hinter dessen Stuhl sich nun der riesige Hund zusammenrollte, entdeckte Shikamaru zwar eine nicht ganz so große Sammlung von Messern und Dolchen an seiner Hüfte, aber in Anbetracht der Tatsache, dass er in ihrem Gepäck eine noch viel umfangreiche Sammlung gesehen hatte, musste er vielleicht sogar dankbar sein, dass sie nicht alle Waffen mitgenommen hatten.
 

Außerdem trug die Tatsache, dass Kiba und Neji mittlerweile eine Rüstung trugen, erheblich zu ihrer ohnehin schon andersartigen, einschüchternden Erscheinung bei. Er war nicht der einzige, dem dies sofort ins Auge stach. Die beiden Schmiede Orith und Emerick betrachteten ungläubig die Meisterarbeit, die keiner Rüstung glich, die ihnen bislang untergekommen sein musste. Und dennoch… Im ersten Moment wirkten die in den unterschiedlichsten Dunkelrottönen gefärbten Platten, die fein säuberlich auf einen Lederharnisch genäht waren, nur wie eine besonders schöne historische Kriegsrüstung, wie die Adeligen sie manchmal auf Festen oder Paraden trugen. Doch die winzigen Rillen, die sich spinnenartig wie dunkle Adern über den gesamten Brustpanzer zogen, vermittelten den Eindruck größter Handwerkskunst. Der Harnisch mochte zwar zerbrechlich wirken, aber Neji und Kiba gehörten nicht zu den Dummköpfen, die sich von Äußerlichkeiten blenden ließen. War das Material härter als der Stahl gewöhnlicher Rüstungen? Die Verarbeitung war auch äußerst praktisch. Durch die lederne Grundlage würden Neji und Kiba im Gegensatz zu einer reinen Stahlrüstung nicht halb so sehr ins Schwitzen geraten und bewahrten sich dabei ihre Beweglichkeit. Die Arm- und Beinschienen, Schulterpanzerung sowie Panzerhandschuhe waren ebenfalls aus Leder auf dem dicht an dicht unzählige kleine rote Platten befestigt waren. Unter der Rüstung trugen beide Hemd und Hose aus festem, mehrfach geflicktem Leinenstoff und ihre Füße steckten in gepflegten, wenn auch abgenutzten Lederstiefeln. Es war als würde er erst jetzt den wahren Kern ihres Wesens begreifen. Männer aus Stahl.
 

Graf Darui seufzte. „Nun, da Ihr schon mal hier seid, könnt Ihr auch bleiben. Ich kann nicht leugnen, dass es ohne Eure Hilfe weit mehr Opfer gegeben hätte und ich brauche jeden fähigen Mann, den ich in dieser Situation bekommen kann.“ „Vielen Dank, Darui-san“, erwiderte Neji und nickte dem Grafen zu, „da wir uns in derselben Lage befinden, werden alles in unserer Macht Stehende tun, um diese Burg zu verteidigen.“ „Wir wissen doch nicht einmal, wer diese Fremden sind, Graf Darui“, mischte sich Louvel ein, „könnt Ihr ihnen einfach so vertrauen?“ Shikamaru sah auf den Gesichtern der übrigen Anwesenden unverhohlene Ablehnung gegenüber den Fremden. „Aber sie haben unser Leben gerettet!“, widersprach zu seiner Überraschung Tenten neben ihm. „Ich, ich meine…“, stotterte sie, als sich nun die gesamte Aufmerksamkeit auf sie richtete, „Ihr könnt doch nicht verleugnen, dass sie sich als wertvoll erwiesen haben und wir ohne sie überrannt worden wären! Sollten wir in dieser Lage nicht an das Wohl aller denken und uns nicht mit Kleinigkeiten aufhalten? Sie könnten uns jederzeit wieder angreifen!“ Tenten warf Neji und Kiba einen schnellen Blick zu und verstummte dann sichtlich verlegen.
 

Einen Augenblick herrschte Stille, dann klatschte der mächtige Hadryan in die Pranken, was eine ziemliche Wirkung entfaltete, da er als Steinmetz beachtliche Oberarme besaß, und sagte: „Wohl gesprochen, meine Liebe. Ich stimme ihr zu, Graf Darui. Fangen wir endlich an, Lösungen zu suchen, statt uns mit möglichen Problemen zu befassen.“ Zustimmendes Gemurmel. Faszinierend, wie schnell eine solche Situation kippen konnte. Aus dem Augenwinkel sah Shikamaru, wie Neji Tenten ein dankbares Lächeln zuwarf. Dies fiel allerdings nicht nur ihm auf. Kankuro warf Neji über ihn hinweg misstrauische, ja fast eifersüchtige Blicke zu. Allein die Tatsache, dass sich ein anderer Mann Tenten näherte, schien auszureichen, um Kankuro beinahe seine Selbstbeherrschung zu rauben. Irgendwie war es verständlich, aber in dieser Situation war es das letzte, das er brauchen konnte. Shikamaru stieß seinem Freund einen Ellbogen in die rechte Seite und zischte ihm leise zu: „Beherrsch dich. Das ist der falsche Moment für Feindseligkeiten.“ Der Angesprochene warf ihm einen ärgerlichen Blick zu, beschränkte sich dann jedoch darauf die Maserung der Holzplatte mit seinen Blicken zu erdolchen.
 

„Nun, fangen wir endlich an“, mischte sich nun Merod ein. „Wir haben auf der Forstburg eine Wache von etwa zweitausend Mann, zuzüglich der kampffähigen Männer aus Etris kommen wir vielleicht auf die doppelte Anzahl. Der Feind dürfte in etwa achttausend haben.“ „Gut geschätzt. Es sind 7.653“, warf Neji ein. Sichtlich irritiert überging der Hauptmann der Wache diesen Einwand und fuhr fort: „Wir haben zwar den Vorteil, dass wir eine Burg verteidigen und das Gelände kennen, aber wenn die Angreifer sich für eine Belagerung entschließen, halten wir keine drei Monate durch. Dazu kommt auch noch der Zauberer und wie wir vor einigen Stunden feststellen konnten, ist die Burgmauer auch in keinem besonders guten Zustand.“ „Das kann man wohl sagen!“ Bela verschränkte die Arme vor der Brust und blickte fragend in Graf Daruis Richtung. Dieser nahm das als Aufforderung und erklärte: „Deshalb habe ich Quinn, Hadryan und Louvel herbestellt. Wir brauchen eure Fertigkeiten, um die Mauer auszubessern.“ „Noch besser wäre es das Loch in der Mauer so schnell wie möglich zu schließen“, mischte sich Kiba ein, „Ihr habt direkt vor der Mauer Bruchstücke, die wir allesamt verbauen können – je größer das Hindernis, desto besser. Wie viel Holz und Steine gibt es innerhalb der Forstburg? Würde es reichen, um die Bresche zu schließen?“ Diese Frage richtete sich an die drei Handwerker. „Wir haben kürzlich Brennholz für den Winter eingelagert, vielleicht drei Speicher voll.“, sagte Quinn. „Wir brauchen alles.“, entgegnete Kiba, „alles, was ihr irgendwie auftreiben könnt, sonst wird diese Stelle erneut Ziel eines Angriffs sein. Louvel-san, Hadryan-san, an euch ist es die Steine so zu beschlagen und zu verbauen, dass wir das Loch in der Mauer schließen können. Vorübergehend würde ich vorschlagen, so viele Schleudern und Katapulte dort zu positionieren, wie es geht. Während die Arbeiten vorgenommen werden, sollte zum Schutz der Arbeiter zudem ein Trupp Soldaten abgestellt werden. Wir haben etwa eine Woche Zeit, ehe der feindliche Magier wieder Zugriff auf seine Kräfte hat. Diese Zeit sollten wir nutzen.“ Kiba richtete sich in seinem Stuhl auf und sah nacheinander jedem der Anwesenden fest in die Augen. Von seiner provokanten Art war kaum etwas übrig. Von einem Moment zum anderen war er ernst geworden und hatte begonnen die Situation in einer Weise zu analysieren, die weder die anderen noch der Graf erwartet hatten. Im Gegenteil: Seine Vorschläge klangen einleuchtend. Aeleis nickte ihm anerkennend zu und selbst Merod schien beeindruckt. Graf Darui, der Kibas unfassbaren Schuss aus nächster Nähe gesehen hatte, wirkte beinahe so, als hätte er nun ein wenig Hoffnung wenn nicht ungeschoren, dann zumindest lebend davon zu kommen.
 

„Habt Ihr Erfahrung bei der Verteidigung von Burgen, Kiba?“, wollte der Graf wissen. „Ich weiß zumindest, was ich tue“, erwiderte dieser. „Jemand soll herausfinden, wie viele Waffen vorhanden sind. Ich gehe davon aus, dass die Soldaten ausgestattet sind, aber wir brauchen Ersatz und wenn es hart auf hart kommt, müssen wir jeden ausstatten, der eine Waffe halten kann. Alles was fehlt, muss umgehend hergestellt werden. Es wäre eine Schande zu verlieren, nur weil wir nicht ausreichend bewaffnet sind. Waffen, Schilde Rüstungen.“ Er fletschte die Zähne zu einem Grinsen und warf Orith und Quinn einen Blick zu. „Ihr zwei versteht euer Handwerk, nehme ich an?“ „Selbstverständlich!“, schnaubte Orith empört und verschränkte die Arme vor der Brust. Emerick nickte bekräftigend und besonnener. „Ich kann Euch nicht sagen, wie viele Waffen sich derzeit in der Burg befinden, aber ich denke, dass wir mit den Arbeiten umgehend beginnen können.“
 

„Es gibt noch ein paar alte Katapulte, die wir in den Kellern lagern.“, warf Bela ein. „Das müssten mindestens ein Dutzend sein.“ „Guter Gedanke!“, sagte Graf Darui erfreut, dem diese Tatsache offensichtlich entfallen war. „Sind sie funktionsfähig?“ „Das müssten wir überprüfen“, antwortete Bela. „Aber selbst wenn nicht, können wir aus den Überresten noch ein paar zusammenfügen.“ „Dann tut das bitte umgehend.“, befahl der Graf. „Kiba, kann ich darauf vertrauen, dass Ihr die Befestigung der Burg koordiniert? Ihr scheint mir ein Mann zu sein, dem ich diese Aufgabe anvertrauen kann.“ Kiba erhob sich und schlug sich auf die Brustpanzerung. Dann ließ er ein wölfisches Grinsen sehen. „Vertrau mir. Solange ich hier bin, wird diese Burg nicht so schnell fallen.“ „Gut. Dann ist dies Eure Aufgabe. Bela wird Euch die Katapulte zeigen. Bela, bring bitte auch in Erfahrung, wie es um unsere Vorräte bestellt ist“, wandte sich Darui an seine Haushaltsvorsteherin. Anschließend fuhr er fort, Kiba weitere Anweisungen zu geben. „Dann will ich, dass Ihr Euch mit Emerick und Orith über Waffen und Rüstungen austauscht. Außerdem übertrage ich Euch aufgrund Eurer Verdienste die Aufsicht auf die Befestigung der Burgmauer. Quinn, stell du mit den Mitgliedern deiner Zunft, so viele Schilde her, wie ihr könnt. Die andere Hälfte deiner Leute kümmert sich um die Gerüste für die Mauer. Zur Not können wir darauf Schützen positionieren. Hadryan, Louvel, ich will, dass ihr und eure Leute Tag und Nacht durcharbeitet und die Bresche in der Mauer befestigt. Merod, sorgt dafür, dass zwei Dutzend Eurer Männer die Arbeiten beaufsichtigen. Nun, geht! Die Leben aller hängen von eurem Geschick ab!“ Die Angesprochenen erhoben sich und riefen synchron: „Zu Befehl, Graf Darui!“ Dann marschierten sie zur Tür. Nur Kiba, Bela und Merod zögerten. Merod, weil er den Befehl an eine der Wachen vor der Tür weitergab und aller Wahrscheinlichkeit nach noch in den weiteren Beratungen gebraucht wurde. Bela blickte abwartend zwischen Darui und Kiba hin und her.
 

„Nur für den Fall“, fing Kiba an, „gibt es eine Möglichkeit die Zivillisten zu evakuieren? Ein unterirdischer Gang oder so etwas in der Richtung?“ Darui legte die Stirn in Falten, als er angestrengt nachdachte. „Bislang habe ich es noch nie erlebt, dass sich die Forstburg ernsthaft verteidigen musste“, sagte er dann, „ich…“ „Es gibt einen“, fiel ihm überraschend Tahir ins Wort. „Mein Großvater erzählte mir davon. Zu Zeiten der Totenkriege wurde ein Geheimpfad angelegt, der die Felswand, an dessen Rand die Forstburg steht, herunter in die Wälder führt. Als kleiner Junge habe ich einmal danach gesucht, aber nur einen verwitterten und überwucherten Weg gefunden, der auch von einem Wildwechsel hätte stammen können. Ich glaube kaum, dass dieser Weg begehbar ist und selbst wenn wäre es viel zu gefährlich. Allein beim Herabsteigen würden Menschen in den Tod stürzen.“, schloss der ältere Mann und wirkte ernüchtert. „Einen anderen Weg gibt es nicht?“ Kiba wirkte enttäuscht. „Meines Wissens nicht.“ „Mir ist auch weiter nichts bekannt“, ergänzte Merod. „Hmm“, machte der Graf nachdenklich. „Vielleicht wäre es vernünftig sich die Sache erst einmal anzusehen und dann ein Urteil zu fällen, Graf Darui.“, warf Shikamaru ein. „Es ist eine lange Zeit vergangen, seitdem Tahir nach diesem Weg gesucht hat. Vielleicht hat er etwas übersehen?“ „Möglicherweise habt Ihr Recht, Shikamaru.“, erwiderte der Graf. „Merod, lass dir von Tahir die Stelle beschreiben und schicke ein paar deiner Männer zur Überprüfung an die Mauern.“ „Zu Befehl, Herr!“, rief Merod, begann kurz mit Tahir zu flüstern und öffnete dann den Raum, um die weiteren Befehle an die wachestehenden Soldaten weiter zu geben.
 

„Nun zu unserer Verteidigungsstrategie“, sagte Graf Darui, als Merod sich wieder gesetzt hatte. Erstaunlich, wie sich ihre Reihen gelichtet hatten, schoss es Shikamaru durch den Kopf. Wie zum Teufel waren sie nur in dieser Krise gelandet…? Wie anstrengend… „Aeleis“, wandte sich der Graf nun an die junge Frau, die sich bis dahin eher zurückgehalten hatte, „gibt es eine Möglichkeit Kontakt zu möglichen Verbündeten aufzunehmen? Ihr kennt die Handelsrouten besser als ich.“ „Müssten wir dazu nicht erstmal durch die Reihen des Feindes schlüpfen?“, stellte Aeleis die Gegenfrage. „Das ist wahr, aber ihr seid schlau. Mit eurer Gerissenheit gelingt es uns vielleicht ein paar Gesandte zur nächsten Stadt durchzuschleusen. Ich bin sicher, unsere Nachbarn sind ebenso wenig erpicht darauf, angegriffen und belagert zu werden wie wir. Und wenn die Forstburg fällt, werden sich unsere Angreifer sicherlich nicht mit Etris und seiner Burg zufriedengeben!“ „Verlangt Ihr von mir, meine Leute in den Tod zu schicken?“ Mit einem Schlag war Aeleis‘ Stimme so hart wie die eines Kriegers. „Wenn es dazu dient, all diese Leute zu retten?“, entgegnete der Graf. „Ja, dann tue ich es!“ Ohne es zu wollen, war Shikamaru beeindruckt von seiner Entschlossenheit. Selbst unter den Rebellen gab es nicht viele, die zu solch schnellen Entscheidungen fähig waren. Aeleis starrte den Burgherrn fassungslos an.
 

„Ihr müsst das verstehen, Aeleis“, begann Darui und diesmal war eine leichte Spur von Panik in seinen Worten. „Ich bin für all diese Menschen verantwortlich-“ „Das bin ich auch, Darui“, unterbrach ihn Tahir, „aber ich glaube auch, dass es nur unnötige Opfer oder Geiseln geben wird, wenn wir versuchen mit Gewalt zu möglichen Verbündeten vorzudringen.“ Der alte Mann faltete die knochigen Hände und sah Graf Darui abwartend an, der noch immer Aeleis fixiert hatte. „Und selbst wenn es möglich wäre… Wer würde uns zur Hilfe kommen? Die Wache von Advorgar? Die Streitkräfte von Kuroda?! Glaubt ihr wirklich, jemand würde kommen und sich selbst zur Zielscheibe machen? Wir wissen nicht mal, wer unser Feind ist, Graf Darui! Verschwendet nicht Leben, die wir besser hier gebrauchen können.“ Stille trat ein. Dann sagte Graf Darui erschöpft: „Bitte, meine Freunde. Lasst uns nicht streiten. Ich ertrage es nicht, wenn dieser Angriff auch noch Zwist zwischen uns säht…“ „Wie wäre es stattdessen mit ein paar Brieftauben“, mischte sich Shikamaru ein. „Wir lassen sie in verschiedene Richtungen fliegen und schicken ein paar zur Ablenkung. Auf diese Weise wird vorerst niemand verletzt.“ „Oder Ihr verständigt Eure Familie, Shikamaru von Nara. Ich bin sicher, die Rebellen verfügen über ganz eigene Kommunikationswerkzeuge.“, warf Merod ein und Shikamaru konnte eine gewisse Genugtuung nicht überhören. Zwei Plätze neben ihm, machte Neji eine winzige Bewegung, doch es reichte, um ihm verstehen zu geben, dass er diese neue Information überaus ernst nahm.
 

Shikamaru zwang sich ruhig zu bleiben. „Ihr habt nicht unrecht, Hauptmann“, erwiderte er, „doch ehe Streitkräfte der Rebellen hier eintreffen, wird es zu spät sein. Wir wurden hierhergeschickt, um euch zu warnen und werdet ihr euch mit offener Kooperation mit den Rebellen nicht direkt zur Zielscheibe des Goldenen Kaisers machen? Darüber hinaus … es ist noch zu früh für meine Familie zu offenbaren, wem ihre wahre Loyalität gebührt.“ „Seid Ihr ein Mann oder ein Feigling?“, fauchte Merod, verstummte aber, als Darui ihn mit einer wütenden Geste zum Schweigen brachte. Shikamaru blieb still, spürte aber gleichzeitig, wie sich auch seine Gefährten bei dieser Beleidigung anspannten. „Verzeiht“, brachte Merod heraus, „das war unangebracht. Ich weiß nur nicht, wie ich eine Burg verteidigen soll mit den wenigen Männern, die ich habe.“ „Mit anderen Worten, wir haben keine Handhabe bis auf Shikamarus Vorschlag auf Hilfe von außen zu hoffen?“, fasste Graf Darui zusammen. „So scheint es“, bekräftigte Tahir. „Nun gut, Aeleis. Es tut mir leid, dass ich Euch vorhin um etwas Derartiges bitten musste, aber ich schöpfe nur alle Möglichkeiten aus, die mir bleiben. Darf ich Euch die Aufgabe anvertrauen, die Brieftauben loszuschicken? Lasst Euch wenn nötig von meinen Schreibern behilflich sein.“ „Die Nachrichten werden ankommen, Graf Darui.“, versprach die Frau und erhob sich.
 

Als sie schnellen Schrittes den Raum verlassen hatte, seufzte der Burgherr. „Wir sind auf uns gestellt, egal ob man uns zu Hilfe kommen wird. Merod, Ihr sagtet vorhin, dass Ihr etwa viertausend Soldaten habt?“ „Viertausend tapfere und ehrbare Männer.“, erwiderte Merod grimmig. „Mit Tapferkeit allein gewinnt man keine Schlacht.“ Überraschung huschte über die Gesichter der Anwesenden, als Neji zum ersten Mal die Stimme erhob. „Ihr seid ein Außenseiter“, herrschte Merod ihn an, „sagt mir nicht, wie ich meine Männer führen soll!“ „Ich würde es nicht wagen, Euch zu kritisieren, Merod-san, aber hier stehen Menschenleben auf dem Spiel und ich werde nicht zulassen, dass du diese aufgrund deiner mangelnden Erfahrung opferst.“ Merod wurde so blass vor unterdrückter Wut, dass sogar die Narbe über seiner Augenbraue rot hervortrat. „Wie könnt Ihr es wagen?“, sagte Merod so leise, dass man ihn kaum verstand. „Ich habe mein Leben dem Schutz dieser Burg verschrieben und mein Vater und dessen Vater vor ihm!“ „Ich kritisiere nicht deine Fähigkeiten“, entgegnete Neji, „aber du hast offenbar noch nie einen Angriff auf diese Burg abwehren müssen und auch wenn du zweifelsohne ein begnadeter Krieger bist, trifft das mit Sicherheit nicht auf alle Soldaten zu, geschweige denn auf die Männer von Etris. Sag mir, Merod-san, wie viele Schlachten hast du bereits erlebt? Und glaubt mir, dieses kleine Scharmützel vorhin kommt dem, was uns noch bevor steht, nicht im Mindesten nahe.“
 

Erneut herrschte Stille und Shikamaru wunderte sich insgeheim, wie Neji trotz allem so ruhig und beherrscht bleiben konnte. Dann: „Zwei“, sagte Merod, „als ich jung war. Ich weiß, wie es in einer Schlacht zugeht, Fremder.“ „Du bist zweifelsohne ein fähiger Mann, Merod-san“, antwortete Neji, „aber deine Soldaten sind unerfahren. Es gibt scheinbar keine Befehlskette, Deine Männer sind vor dem Angriff erstarrt und von einer Formation habe ich nicht viel wahrgenommen.“ „Dann müsst Ihr wohl blind sein!“, fauchte Merod, „Meine Männer trainieren-“ „Das bin ich“, fiel Neji ihm ins Wort und richtete seinen toten Blick direkt auf den Hauptmann der Wache, der Neji daraufhin so erschrocken und peinlich berührt ansah, dass er jedes weitere Wort vergessen zu haben schien. Fast war Shikamaru froh, dass er bereits von Nejis Behinderung wusste und deshalb nicht so überrascht reagierte wie der Graf und seine Leute. „Aber ich sehe Dinge, die anderen verborgen bleiben.“, endete Neji gerade. Unbeeindruckt von den Reaktionen von Merod, Tahir und Graf Darui fuhr er dann fort: „Deine Männer legen großen Wert auf Tradition, Ehrgefühl und Loyalität. Daran ist nichts Falsches, aber sie haben noch nie gegen einen echten Gegner auf Leben und Tod gekämpft. Erst recht nicht die Dorfbewohner aus Etris. Sie haben keinerlei Erfahrung damit ihre Burg gegen einen realen Feind zu verteidigen. In einem echten Kampf kommt es nicht darauf an, seinen Gegner aufrichtig entgegen zu treten, sondern mit allen Mitteln am Leben zu bleiben. Du musst deine Denkweise umstellen, Merod-san. Für eure Frauen, Kinder und Alten müsst ihr lernen hinterhältig zu sein. Listig, unvorhersehbar und furchtlos. Legt eure Skrupel ab und ich werde euch lehren, wie ihr eine Schlacht gewinnt.“ Die letzten Sätze waren an sie alle gerichtet und Shikamaru hoffte, dass dies reichen würde. Zwei Männer und ein Hund, die scheinbar aus dem Nichts erschienen waren und gerade hier bei ihnen gelandet waren, um sie zu retten. Und das war nicht einmal das erste Mal, auch im Wald, als sie von den Untoten überrascht worden waren, hatten die beiden Fremden ihnen das Leben gerettet. Ob eine höhere Macht dahintersteckte und ihre Schritte lenkte?
 

„Und was-“, wollte Merod wissen, „qualifiziert Euch dazu mehr als mich? Ihr sagtet selbst, dass zwar vorübergehend keine Gefahr mehr von dem feindlichen Magier ausgeht, aber was, wenn er seine Kraft schneller wiedererlangt, als Ihr es vorausgesehen habt?“ Neji setzte sich gerader hin und für einen Moment wirkte er gedankenverloren. „Glaubt mir, ich werde es merken, wenn der Magier früher wieder zu Kräften kommt. Ich mag zwar kein Magier sein, aber ich bin magiesensitiv.“ „Magiesensitiv?“, hakte Graf Darui nach. „Die Fähigkeit, Magie wahrzunehmen“, hauchte Tahir, „ich habe davon gehört.“ „Und nicht nur ich bin magiesensitiv“, ergänzte Neji und wandte sich dann überraschend zu seiner Rechten um. „Du bist es ebenfalls, Tenten-san.“ „Wie bitte?!“ Tenten starrte ihn fassungslos an. „Ich, ich… bin doch nicht…“ Doch Neji lächelte nur. „Du hast die Magie der Silberscheiben gespürt, noch bevor wir den Schutzzauber aufbauen konnten, oder?“ Langsam nickte sie. „Ich habe ein Kribbeln gespürt, so als hätte ich einen elektrischen Schlag bekommen.“ „Vertrau mir. Du bist magiesensitiv und ich brauche deine Fähigkeiten. Wir werden uns mit der Beobachtung abwechseln. Auf diese Weise werden wir wissen, wenn der feindliche Magier uns frühzeitig angreift.“ „Aber ich weiß nicht, ob ich das kann“, widersprach Tenten erneut. Eine unmerkliche Härte stahl sich in Nejis Gesicht, die Shikamaru überraschte. „Du musst. Oder du wirst sterben.“, sagte er. „Geht Ihr nicht ein wenig zu weit?“, mischte sich Shikamaru ein, als er sah, wie Tenten zu zittern begann. Er legte ihr eine beruhigende Hand auf den Arm und sie warf ihm einen dankbaren Blick zu, schien aber noch immer nicht beruhigt. „Nein“, winkte Neji ab, „ich bin nur realistisch. Wenn uns der Magier überrascht, ist das unser Untergang und das nächste Mal wird er selbst für Kibas Bogen weit genug entfernt sein, das versichere ich euch.“ Vermutlich wäre es auch ihr Untergang, wenn sie den Magier kommen sahen, weil sie ihm nichts entgegenzusetzen hatten.
 

„Schön und gut“, mischte sich Merod erneut ein, „Gehen wir davon aus, dass wir wissen werden, wann der Magier uns angreift, aber wieso seid ausgerechnet Ihr in der Lage meine Männer so vorzubereiten, dass diese Burg nicht schon morgen eingenommen wird?“ Neji wandte dem Hauptmann seinen Oberkörper zu und signalisierte ihm so seine Aufmerksamkeit. „Vorhin habe ich mich nach deinen Schlachterfahrungen erkundigt, Merod-san. Meine Ausbildung begann, als ich vier Jahre alt war, und danach habe ich praktisch im Krieg gelebt. Ich habe mit meinen Gefährten Schlacht um Schlacht überlebt und mein ganzes Leben lang gekämpft.“ Shikamaru starrte Neji an und auch seine Gefährten holten zischend Luft. Er hatte zwar erwartet, dass Neji und Kiba nicht normal sein konnten, aber mit so einer Enthüllung hatte er nicht gerechnet. Söldner, ja, das hatte er in Betracht gezogen, aber nicht etwas Derartiges… Wie alt mochte Neji sein? Shikamaru tat sich schwer sein Alter zu schätzen, wirkte er doch weit älter als er womöglich war. Und noch etwas ließ ihn stutzen: Er hatte im Krieg gelebt, unzählige Schlachten geschlagen? Das war nicht möglich, denn es gab keinen Krieg. Zumindest keinen offenen. Die Rebellion mochte vielleicht eines Tages zu einem Krieg führen, doch noch blieb sie im Verborgenen… Dennoch hatte er keinen Zweifel an der Wahrheit in Nejis Worten.
 

„Darui-san, ich habe mehr Erfahrung als Merod-san. Lass mich ihn unterstützen und ich verspreche bei meiner Ehre, dass ich meine Fähigkeiten dafür einsetzen werde, die Männer so vorzubereiten, dass sie dem nächsten Angriff organisierter begegnen werden. Vielleicht werde ich zu hart sein, aber wenn es dazu beiträgt, dass es ein Massaker verhindert, nehme ich es in Kauf, derjenige zu sein, den deine Männer dafür hassen, dass er sie durch die Hölle geschickt hat.“ „Ihr seid Euch Eurer Sache sehr sicher, Neji. Nun, gut. Ihr werdet Merod dabei helfen, die Soldaten vorzubereiten. Aber erstmal brauchen wir eine Strategie.“ Er blickte sich am Tisch um. „Irgendwelche Vorschläge?“
 

Shikamaru dachte angestrengt einen Moment nach. „Wie gut seid Ihr im Umgang mit Ausfällen, Merod?“ „Passabel“, gab Merod erstaunlich ehrlich zurück. „Nicht schlecht, aber auch nicht herausragend. Was genau habt Ihr vor?“ „Eine Guerilla-Taktik. Wir sind so dermaßen in der Unterzahl, dass wir sie zermürben müssen. Wir werden jede oder auch jede zweite Nacht einen Ausfall machen. Dabei werden wir mehrere Gruppen bilden, die abwechselnd schlafen, trainieren oder den Ausfall ausführen. Unsere Angreifer werden nicht mehr ruhig schlafen können.“ „Das könnte klappen“, gab Merod zu und erstmals hellte sich seine Miene auf. „Ein guter Vorschlag“, stimmte auch Neji zu. „Sehr gut“, sagte Graf Darui, „aber was machen wir, wenn der Feind entgegen all unserer Vorsichtsmaßnahmen die Mauer überwindet? Ich kann nicht verantworten, dass Unschuldige in die Kämpfe hineingezogen werden.“ „Ich würde in jedem Moment Bogenschützen auf den höheren Türmen positionieren“, schlug Shikamaru vor. Oder dem, was davon noch übrig ist, dachte er missmutig, als er sich an den höchsten Burgturm erinnerte, dessen Spitze bei Nejis und Kibas magischen Gegenangriff heruntergerissen worden war. „Gut“, stimmte Darui zu, „was noch?“ „Wir brauchen auf jeden Fall eine klare Befehlskette. Dabei baue ich auf deinen Rat, Merod-san“, sagte Neji. „Außerdem wäre eine zusätzliche Einteilung in Kavallerie und Lanzenkämpfer vielleicht nicht schlecht.“ „Lanzen?“, fragte Merod, der sich offenbar schon in der heroischen Vorstellung sah, wie er in strahlender Rüstung und hoch erhobenen Schwert seine Gegner niedermähte. „Lanzen haben eine größere Reichweite und wenn wir sie richtig einsetzen, kann man einen Angriff eine ganze Weile aufhalten.“, erklärte Neji. „Nun gut, es gibt tatsächlich einige fähige Männer unter meinem Kommando, die dazu geeignet wären.“, gab sich Merod geschlagen. „Und wie viel Pferde besitzt ihr?“, fragte nun Shikamaru, „wenn wir auf eine Ausfalltaktik setzen, dann sind Pferde unser Schlüssel zum Erfolg.“ „Mit denen von Etris?“ Merod zuckte mit den Schultern. „Vielleicht fünfhundert.“ „Fünfhundert!“, rief Tahir aus. „Das ist immerhin ein Achtel unserer Gesamtstreitkraft!“, fauchte Merod zurück. „Zur Not müssen wir halt ein paar erbeuten“, setzte Neji der Diskussion ganz pragmatisch ein Ende. Wieder erntete er ein paar ungläubige Blicke, die er allerdings entweder ignorierte oder schlichtweg nicht wahrnahm.
 

„Jemand muss den Frauen und Kindern, den Flüchtlingen aus Etris, die Lage erklären“, sagte Tenten unvermittelt, „und wenn wir angegriffen werden, muss jeder wissen, an welchen Ort er sich flüchten kann.“ „Wäre das nicht eine Aufgabe für Eure Haushaltsvorsteherin, Graf Darui?“, erkundigte sich Kankuro, der sich zum ersten Mal am Gespräch beteiligte. „In der Tat“, bestätigte Graf Darui. „Ich werde nach dieser Sitzung ohnehin das Wort an meine Männer und unsere Schwestern und Brüder aus Etris richten. Ich bin mir sicher, dass Bela einige gute Ideen haben wird und-“ Mitten im Satz wurde er von einem gewaltigen Glockenschlag unterbrochen. Neji und Merod waren die Ersten, die aufsprangen und die Hände suchend zu ihren Waffen gleiten ließen. Tahir war zusammengezuckt. „Sie greifen uns an“, flüsterte der Dorfvorsteher von Etris, „wir hatten keine Zeit. Wir werden untergehen…“ „Nein, das werden wir nicht!“, stauchte Darui ihn wütend zusammen. Mittlerweile hatten sich auch Shikamaru und die übrigen Rebellen erhoben. Ein weiterer Gong ertönte und diesmal war er noch volltönender. „Ich glaube, es ist kein Magieangriff“, flüsterte Tenten neben ihm, die sich offenbar Mühe gab ihre neuentdeckten Fähigkeiten einzusetzen. „Nein, das ist es nicht“, bestätigte Neji, der sich offenbar so stark konzentrierte, dass er für einen Moment alles andere ausblendete. „Sollen diese Bastarde nur kommen!“, höhnte Suigetsu, der bereits drei Messer in der linken Hand hielt, „wir werden ihnen einen Empfang bereiten, den sie nie vergessen werden.“
 

„Es ist kein Angriff“, sagte Neji plötzlich. „Es ist-“ Ungeachtet jeder Höflichkeit schwang die riesige Flügeltür des ehemaligen Rittersaals der Burg auf und zwei Soldaten stürzten in den Raum. „Graf Darui! Hauptmann! Der Feind hat die weiße Fahne gehisst. Es sieht so aus, als wolle er verhandeln.“ „Um Himmels willen! Kann er einem nicht mal ein paar Stunden Ruhe gönnen!“, rief Tahir aus. Er wäre schön blöd, stellte Shikamaru missmutig in Gedanken fest. Der gegnerische Kommandant verstand offenbar sein Handwerk.
 

„Hat er bereits Forderungen gestellt?“, wollte Graf Darui wissen. „Er verlangt mit dem Burgherrn, also mit Euch, zu verhandeln.“, antwortete einer der Soldaten zögernd und wechselte einen Blick mit seinem Kollegen. „Ihr dürft ein paar Eurer Gefolgsleute mitbringen. Er erwartet Euch auf halber Strecke zwischen dem Lager und der Forstburg.“ Darui atmete einmal kräftig durch, dann befahl er: „Sattle mein Pferd!“ Der Soldat zögerte einen Moment, als der Graf nicht einmal innehielt, sondern ohne Umschweife auf die Flügeltür zusteuerte und schreckte dann hoch, als dieser ihn anblaffte: „Worauf wartest du noch? Sofort!“ Der Mann salutierte hastig und ging dem Burgherrn fast fluchtartig aus dem Weg. Shikamaru hatte seinerseits Mühe mit dem energiegeladenen Fürsten mitzuhalten, der fast auf das Treffen zu brennen schien. Vermutlich würde er auch ganz alleine dem feindlichen Kommandanten entgegentreten, wenn ihm nicht vorher jemand zur Besinnung brachte und die Situation analysierte. Missmutig stellte er fest, dass eine solche Aufgabe irgendwie immer die Angewohnheit hatte, an ihm hängen zu bleiben.
 

Gerade als er sich in sein Schicksal fügen wollte, kam ihm Merod zuvor. „Ich werde Euch begleiten, Graf Darui!“ „Du kannst dir auch genauso gut dein eigenes Grab schaufeln.“ Neji hielt bei dem Tempo, das der Graf vorlegte, ohne Probleme mit. Mittlerweile waren sie auf einem Gang in Höhe der Burgmauer und Shikamaru spürte förmlich, wie Darui die Landschaft nach seinem Widersacher absuchte, der sich irgendwo vor den Toren seiner Burg befinden musste. „Wie bitte?!“ Merod, ohnehin schon gereizt, weil ihm Neji noch vor gut einer Minute ständig widersprochen hatte, hielt abrupt an und Shikamaru stöhnte innerlich. Fehlte nur noch, dass sie sich an Ort und Stelle die Köpfe einschlugen. Dann konnte ihr Feind vor den Toren picknicken.

„Ich werde Graf Darui begleiten.“, stellte Neji mit einem Ton fest, der keine Widerworte duldete. „Was würde wohl passieren, wenn das eine Falle ist? Würde die Forstburg standhalten, wenn der Feind Graf Darui und dich umbringt?“ Merod öffnete den Mund und schloss ihn dann wieder. „Ich bin nicht so wichtig wie du und ich versichere dir, dass man mich nicht so schnell überrumpeln wird.“ Merod atmete dreimal tief durch und tauschte einen Blick mit dem Grafen, der ebenfalls angehalten hatte und auf einen Punkt vor der Mauer fixiert war. Shikamaru spähte ebenfalls hinunter und entdeckte eine kleine Gruppe von sechs Mann zu Pferde, die eine weiße Flagge gehisst hatten.
 

„Er hat recht, Merod.“, mischte sich Graf Darui unerwartet ein. Der Hauptmann der Wache warf Neji noch einen Blick zu. „Gut“, knurrte Merod dann, „Gut, aber wenn Graf Darui etwas zustößt, werde ich Euch dafür verantwortlich machen! Nun, entschuldigt mich, ich muss meine Männer für einen Kampf bereitmachen! Wer weiß schon, was passiert…“ „Macht Euch keine Sorgen, Merod, ich werde ebenfalls mitkommen.“, ließ sich Shikamaru herab zu sagen, gerade als Tenten, Kankuro und Suigetsu aufholten. Tenten hielt sich die Seiten und schnappte halb erschöpft, halb erschrocken nach Luft. „A-aber… Shikamaru“, stammelte sie. „Warum schlitzen wir dem Bastard nicht die Kehle auf? Dann haben wir Ruhe“, ließ sich Suigetsu vernehmen, der sein Messer nicht mal beim Laufen weggesteckt hatte. Neji war nicht in der Lage jemanden einen vernichtenden Blick zuzuwerfen, aber die mörderische Aura, die auf einmal von ihm ausging, wäre wohl jedem aufgefallen. „Hast du überhaupt einen Funken Ehre im Leib?“ Suigetsu setzte zu einer wütenden Erwiderung an, als der Graf die aufkeimende Auseinandersetzung im Keim erstickte. „Ich werde niemanden angreifen, der unter dem Schutz der weißen Flagge an mich herantritt. Ich danke Euch beiden für Euer Angebot. Ihr könnt mich begleiten.“ Erleichterung durchflutete Shikamaru als er sich endlich mit Neji und dem Grafen auf den Weg machte. „Seid vorsichtig!“, rief Tenten hinter ihnen her und ihre Finger klammerten sich an die gewaltigen Steinquader der Mauer. Suigetsu schnaubte verächtlich, nur Kankuro war ungewöhnlich still, doch darüber konnte er jetzt nicht nachdenken.
 

Als sie endlich im Burghof ankamen, herrschte aufgeregte Hektik. Überall rannten Menschen herum, die von der Ankunft des gegnerischen Kommandanten offenbar in Panik geraten waren. Shikamaru konnte ein kleines Mädchen sehen, das in den Armen seiner Mutter bitterlich weinte. Irgendwo glaubte er Bela zu hören. Eine Schar Soldaten kam ihnen in den Weg, die allerdings erschrocken Platz machten, als sie ihren Burgherrn erspähten. „Wo ist dieser Nichtsnutz?!“, schimpfte Graf Darui, der offenbar auf der Suche nach dem Soldaten war, den er vorausgeschickt hatte, um sein Pferd zu satteln.
 

Im Gegensatz zu diesem war Neji schneller. Shikamaru hatte keine Ahnung, wie er es gemacht hatte, aber auf einmal tauchte er neben ihm auf seiner Schimmelstute auf. „Hier.“ Überrascht und dankbar nahm Shikamaru die Zügel eines der Burgpferde entgegen, die Neji ihm hinhielt. „Danke“, sagte er und saß auf. Auf dem Rücken seines Pferdes kontrollierte er seine Waffen. Außer einem Dolch besaß er nichts, um sich zu verteidigen. Zudem trug er anders als Neji und der Graf keine Rüstung. Na, das kann ja heiter werden, dachte er missmutig, wenn sie jemanden herauspicken, um diesen zu meucheln, werde ich unter Garantie der Erste sein. „Dies sind Verhandlungen“, sagte Neji plötzlich, als hätte er seine Gedanken erraten, „unter der weißen Flagge zu töten ist ein Frevel, der seine Ehre auf ewig beschmutzen würde. Mach dir keine Sorgen, Shikamaru-san, sollte er es dennoch wagen uns anzugreifen, werde ich ihn schneller töten, als er sein Schwert heben kann.“ Shikamaru schluckte und betrachtete seinen Verbündeten in der filigranen Rüstung und dem Schwert an der Seite, als er an die Seite des Grafen ritt. Seltsamerweise verschafften ihm die Worte ein wenig Erleichterung.
 

„Was genau verstehst du unter ‚sofort‘ nicht, Perek?!“ Shikamaru sah überrascht zu einem jungen Burschen, den der Graf damit beauftragt hatte sein Pferd zu satteln. Eben jenes, einen prachtvollen Dunkelbraunen hielt der Soldat nun am Zügel und reichte ihn Darui. „Verzeiht mir, Herr. Ich habe so schnell gehandelt, wie es mir möglich war.“ Perek verneigte sich und sagte dann zu Shikamarus Überraschung: „Ich bin sicher, es ist in Hauptmann Merods Sinne, wenn ich Euch begleite. Er kann Euch nicht schützen, falls dies eine Falle sein sollte und ich will Euch nicht sehenden Auges in den Tod geschickt haben.“ Erst jetzt fiel Shikamaru auf, dass der junge Soldat ebenfalls ein Pferd mit sich führte. Es war eine hellbraune Stute, die ihn immer wieder sanftmütig anstuppste. „Ein Grünschnabel wie du?“ Darui sackte in sich zusammen. „Wenn das so weitergeht, sind wir dem Untergang geweiht.“, murmelte er zu sich selbst. „Wie lange dienst du der Forstburg schon, Perek?“ „Ein halbes Jahr“, antwortete der Angesprochene zögerlich, „aber das bedeutet nicht, dass meine Treue weniger wert ist als die der anderen!“, setzte er schnell hinzu. „Lasst mich mit Euch kommen, Graf Darui, ich würde mein Leben geben, um Eures zu retten.“
 

„Wohl gesprochen. Graf Darui dieser Bursche mag zwar jung sein, aber äußerst vielversprechend. Hauptmann Merod spricht in den höchsten Tönen von ihm.“, warf ein verschrumpelter alter Mann von der Seite ein; Shikamaru hatte nicht einmal bemerkt, dass er da war. Perek wurde unter dem Lob so rot, dass Shikamaru ihn kaum mehr von einer Tomate unterscheiden konnte. „Es wäre doch in Ordnung, wenn ich Euch ebenfalls begleite nicht wahr, Herr? Ich bin zwar alt, aber mein Wissen könnte Euch in dieser Situation nützlich sein.“ „Ihr erscheint nicht zu meiner Sitzung, weil Ihr etwas nachschlagen wollt, Elmrothas, aber jetzt wollt Ihr mich begleiten?“ „GRAF DARUI! MEINE GEDULD IST ERSCHÖPFT! IHR HABT MICH LANG GENUG WARTEN LASSEN! TRETET MIR GEGENÜBER ODER LEBT DAMIT, DASS ICH EUCH NOCH VOR DER NACHT ERNEUT ANGREIFEN WERDE!“ Mit einem Schlag wurde es totenstill. Der Klang der verstärkten Stimme dröhnte durch die gesamte Festung. Perek war kreidebleich geworden, wirkte aber immer noch entschlossen. Ohne weiter nachzugrübeln schwang er sich auf sein Pferd und nahm ein Banner entgegen, das das Wappen der Forstburg zeigte: Eine goldene Burg, die den Mittelpunkt eines Kreuzes bildete, auf dessen vier Arealen eine Eichel, ein Gerstenhalm, ein Kastanien- und ein Ahornblatt auf grünem Grund zu sehen waren.
 

„Na, schön. Perek, Elmrothas, ihr begleitet uns.“, durchbrach Graf Darui die Stille. „Folgt mir, ich werde diesem Bastard nicht erlauben, mich noch einmal als Feigling darzustellen.“ Der Burgherr schwang sich auf sein Pferd. Der alte Mann in seinen zerknitterten Kleidern, der – wie Shikamaru vermutete – wohl der Bibliothekar der Forstburg war, hatte einige Mühe es seinem Herrn gleichzutun. Erst als Perek ihn mit einem Ruck hochzog, kam er unter Schnaufen oben an. Graf Darui war unterdessen auf das Tor zugeritten, Neji an der Seite.
 

„Öffnet das Tor! Das ist ein Befehl!“, brüllte er die Soldaten an, die auf der Stelle strammstanden. „Wie Ihr wünscht, Herr!“ Ein Soldat salutierte, machte eine Handbewegung und seine Kameraden an den Winden setzten sich in Bewegung. Unter lautem Knarzen hob sich das Eisengitter in die Höhe. Gleichzeitig schoben jeweils sieben Soldaten die beiden riesigen Eichenflügel des Tores nach außen auf. Das Holz war zwar alt, aber an Robustheit hatte es über die Jahre nichts eingebüßt. Vermutlich lag die Schwierigkeit eher darin, dass es vor der Belagerung den Besuchern immer offen gestanden hatte und kaum bewegt worden war. Mit einem gewaltigen metallischen Knacken rasteten die Winden ein und das Gitter stand still.
 

Shikamaru stieß seinem Pferd die Hacken in die Seite und folgte den anderen, die schon in leichten Trap verfallen waren. Einen Moment senkte sich der Schatten des Durchganges über ihn, dann passierten sie die gewaltige Burgmauer und das Tor spuckte sie vor den Mauern der Burg wieder aus. Gerade als er wieder die Abendsonne über sich spürte, erklang ein lautes Bellen hinter ihnen. Shikamaru sah über die Schulter und stellte fest, dass im Hof der Burg Aufregung ausgebrochen war. Er vernahm laute Stimmen, etwas fiel klappernd zu Boden und Geschrei wurde laut, das sich in wütende Flüche verwandelte. Im nächsten Moment schoss Akamaru wie ein Pfeil hinter ihnen her. Der gewaltige Hund war kleiner als die Pferde – aber nur wenig. Innerhalb weniger Augenblicke schloss er zu ihnen auf, ein Bündel aus reiner Kraft und Wildheit, dem etwas Unzähmbares anhaftete, vor dem die Pferde auf der Stelle scheuten. „Brrr!“, rief Perek, als sein Reittier bockte und der Bibliothekar entging einem Sturz nur, weil Neji, dessen Pferd als einziges nicht scheute, beherzt in die Mähne von seinem Pferd griff. Der Graf und Shikamaru selbst, schafften es irgendwie ihre Rösser zu beruhigen, ehe sie sich lächerlich machten. „Was zum…?!“, entfuhr es dem Burgherrn, als er in einem Halbkreis zu ihnen zurückgekehrt war. „Akamaru“, sagte Neji erfreut, beugte sich über den Hals seines Pferdes und tätschelte dem riesigen Hund den Kopf. Akamaru bellte laut, ein tiefes, kolossales Geräusch, und Shikamarus Pferd warf nervös schnaubend den Kopf. „Es scheint, als wolle er uns anstelle seines Herrn begleiten“, schmunzelte Neji und deutete in Richtung des feindlichen Heereslagers. „Beten wir, dass er ihnen einen so gewaltigen Schreck einjagt, dass sie von allein wieder verschwinden“, knurrte Graf Darui und gab seinem Pferd die Sporen.
 

Shikamaru folgte dem Burgherrn mit den Augen und erspähte in einiger Entfernung die kleine Gruppe, die er schon von der Mauer aus gesehen hatte. Kurze Genugtuung überkam ihn, als ihm aufging, dass sie gebührend Abstand zu hielten, um den Bogenschützen der Forstburg kein Ziel zu bieten. Nicht mal Kiba konnte so weit schießen. Shikamaru reihte sich neben Neji ein, der seine Schimmelstute offenbar mühelos an die linke Seite des Grafen gelenkt hatte. Wie eine Pfeilspitze galoppierten sie nun auf die noch immer gehisste Weiße Flagge zu.
 

Als sie näherkamen, konnte Shikamaru langsam mehr erkennen als nur unförmige Silhouetten. Außer dem gut erkennbaren Anführer, der sich etwas vor den anderen postiert hatte, waren es größtenteils Krieger, doch einer der Reiter trug seinen Arm in einer Schlinge. War das…? „Da ist er.“, sagte Graf Darui grimmig und blickte ihre Gegenüber an, bei denen langsam Details sichtbar wurden. Alle waren bewaffnet und wirkten im Gegensatz zu den Soldaten der Forstburg wie erfahrene Veteranen. Ihrer zusammengewürfelten kleinen Gruppe fehlte es in jeder Hinsicht an dieser Selbstsicherheit. Shikamaru suchte nach einer Schwachstelle, doch die Männer strahlten eine grimmige Entschlossenheit aus und sie warteten schweigend unter der noch immer hoch gehobenen weißen Flagge. Daneben hing noch eine zweite Standarte. Obwohl er in seinem Leben einige Stunden der Heraldik gewidmet hatte, hatte er das Wappen noch nie gesehen. Eine rote Sanduhr auf goldenen Grund. Kam dieser Kommandant aus dem Süden?
 

Langsam verringerten sie das Tempo und dann endlich erreichten sie ihre Angreifer. Als sie nur noch zehn Meter entfernt waren, schwang sich der Anführer ihrer Gegner aus dem Sattel, um ihnen, begleitet von zwei seiner Krieger, entgegenzutreten. Graf Darui war der erste, der sich vom Pferd schwang und auf die Fremden zuging. Perek blieb stoisch sitzen, das Banner erhoben, und richtete den Blick auf die drei noch berittenen Männer des Feindes. Neji stieg ebenfalls elegant von seinem Pferd. Der Gelehrte jedoch plumpste eher unbeholfen zu Boden. Shikamaru selbst beeilte sich an die Seite des Grafen zu gelangen, um diesen nicht schutzlos auf sich gestellt zu lassen. Er machte sich keine Illusionen. Dies mochten zwar Verhandlungen unter Waffenstillstand sein, aber was hielt den Feind davon ab sie nicht trotzdem alle umzubringen? Das war zwar ehrlos, aber deutlich effektiver als zu warten, bis die Burg sich von selbst ergab – und wie viel Ehre konnten sie von einem Söldner erwarten? Denn dass es sich bei diesen Leuten um gedungene Klingen handelte, war daran zu erkennen, dass niemand das Banner der Uchiha oder des Kaisers selbst trug.
 

Ein leises Knurren riss seine Aufmerksamkeit auf sich und er sah wie Akamaru zu dem Grafen aufschloss und seine Flanke deckte. Der riesige Hund, der vom Boden noch weit beeindruckender wirkte als hoch zu Ross, hatte die Ohren gespitzt, die Lefzen hochgezogen und den Blick unverwandt auf die Soldaten vor ihm gerichtet. Mit Genugtuung stellte Shikamaru fest, dass nicht nur ihre Pferde vor dem riesigen Hund scheuten, sondern auch die des Feindes, nervös schnaubten und tänzelten. Vielleicht waren sie doch nicht so hilflos, wie er geglaubt hatte.
 

„Ich bin Graf Darui, Herr über die Forstburg und Schutzpatron von Etris. Ihr habt nach mir verlangt, Fremder? Doch gebt mir vorher eine Antwort, warum Ihr so unvermittelt über uns herfallt, meine Leute abschlachtet und direkt unsere Mauern attackiert? Was wird uns vorgeworfen? Oder seid Ihr nur ein Haufen schmutziger Räuber?“, begrüßte der Burgherr seinen Belagerer mit grimmiger Miene und scharfen Worten. „Habt Dank für Eure Kooperationsbereitschaft, Graf Darui.“ Der Anführer der feindlichen Armee trat vor und ging auf den Grafen zu. Seine Stimme war dunkel und voll und beherrscht, kühl sogar, als hätte Darui ihn nicht soeben beleidigt. Dass er sich zudem einen neutralen Gesichtsausdruck bewahrte, obwohl Akamarus Augen ihm mit jedem Schritt folgten, sprach ebenfalls für große Selbstbeherrschung und Führungsstärke. Er war groß gewachsen, hatte rostrotes Haar, das in der Abendsonne einen noch intensiveren Farbton annahm, und trug eine Rüstung, die aus einem engmaschigen Kettenhemd sowie metallenen Schutzschienen an Unterarmen- und beinen und kunstvollen Schulterstücken bestand, die der Handarbeit eines Meisterschmiedes würdig waren. Darunter blitzte ein Wams aus teurem, aber dennoch robusten, schlichten Stoff hervor und seine Füße steckten in festen Lederstiefeln. Den langen, weiten Umhang hatte er zurückgeworfen und seine behandschuhte Hand ruhte auf dem Heft eines Schwertes lag. Dessen Scheide war mit Shikamaru völlig unbekannten Runen und Zeichen verziert. Ihn fröstelte, als er zulange auf die Waffe starrte, und er wandte den Blick ab. „Erlaubt mir, mich vorzustellen“, sagte der Fremde und musterte die Gruppe des Grafen nacheinander. In seinem Gesicht war nicht zu erkennen, was er von dieser Ansammlung an bunten Gestalten hielt, nur als er Elmrothas anblickte, zuckte es kurz darin „Mein Name ist Gaara von Sabakuno und ich stehe im Moment unter Befehl des Goldenen Kaisers, seiner Hoheit Malao.“
 

Neben ihm zog Elmrothas scharf die Luft ein und murmelte etwas vor sich hin, das wie „Uzuno! Ich wusste es!“ klang, und auch Shikamaru kam der Name vage bekannt vor. Von Sabakuno… Seine Augen huschten zu dem Wappen, das auf dem Banner direkt unterhalb dem des Kaisers prangte. Eine Sanduhr mit rotem Sand gefüllt, der ganz durchgelaufen war und vom stilisierten Umriss einer Sonne umschlossen wurde. Shikamaru runzelte die Stirn. Wenn er sich recht erinnerte, sah das Wappen der fernen Wüstenlords aus Uzuno anders aus. Der Sand war schwarz und nur halb durchgelaufen, weil die wankelmütigen Herren niemals klar Position bezogen, und auch der Umriss der Sonne fehlte. War das eine Abwandlung, die der Fremde für sich beanspruchte, weil er im Vergleich seines Clans andere Ideale hatte?
 

„Und weshalb…“, fragte Graf Darui, „nehmt Ihr Euch das Recht heraus, Etris und die Forstburg anzugreifen? Wir haben in der Vergangenheit stets unsere Abgaben an den Kaiser geleistet. Malao-“ „Ihr solltet vielleicht nicht ganz so vertraulich mit dem Namen des Kaisers umgehen.“, schlug einer von Gaaras Begleitern belustigt zu. „Ihn ohne korrekten Titel zu nennen - dafür hätte man Euch in Oto den Kopf abgeschlagen.“ Graf Darui warf dem Sprecher einen wütenden Blick zu, aber ehe er etwas erwidern konnte, hob der junge Kommandant die Hand und brachte seinen Vasallen mühelos zum Schweigen. Dann suchte er Daruis Blickkontakt. Shikamaru sah, wie dieser einen Moment lang zögerte und dann deutlich höflicher fortfuhr: „Der Goldene Kaiser hat keinen Grund eine so unbedeutende Stadt ohne Vorwarnung und ohne sich zu erklären anzugreifen.“ Es fühlte sich an, als hätte Graf Darui bereits verloren, nur weil Gaara von Sabakuno das stille Duell zwischen ihnen zu seinen Gunsten entschieden hatte. „Dies bestreite ich nicht. Aber“, setzte der fremde Feldherr nach, „es gibt Grund zur Annahme, dass Etris und die Forstburg im Geheimen die Anhänger des Betrügers Minato von Konoha unterstützt, der sich selbst einen König nennt.“
 

Shikamaru spürte, wie er vor Wut die Fäuste ballte. Wie konnte er es wagen, den rechtmäßigen König dieses Landes zu verleumden? Minato würde niemals Unschuldige angreifen lassen, um seine Position zu sichern. Nicht wie diese feigen Bastarde, die sich Etris‘ Schutzlosigkeit zu Nutze gemacht hatten.
 

„Habt Ihr Beweise für diese Anschuldigung?“, mischte sich überraschend der Gelehrte Elmrothas ein, „nach meinen Informationen ist Kronprinz Minato von Konoha ebenso wie der Rest der königlichen Familie vor Jahren im Inferno umgekommen, als sie Schutz bei Verbündeten suchten und von dieser Tragödie ereilt wurden. Ich denke nicht, dass Etris oder die Forstburg in der Lage wären einem Geist Unterstützung zu gewähren, meint Ihr nicht auch?“ Der versteckte Spott ließ Shikamaru erschaudern. Entgegen seiner äußeren Erscheinung war Elmrothas gerissener, als es den Anschein hatte.

„Ich versichere Euch, dass Minato von Konoha höchst lebendig ist.“, antwortete Gaara und zuckte dann mit den Schultern, als würde ihn das alles nichts angehen. Aber er war ein Söldner. Was verstand er von Loyalität? Den nächsten Krieg schon mochte er gegen den Goldenen Kaiser führen, den er im Moment noch diente. Trotzdem fuhr er fort: „Ebenso wie seine Frau, sein Sohn und seine Armee, die mit ihren Taten nichts als Unruhe in dieses Land gebracht haben. Doch dies geht uns hier nichts an. Ich gebe Euch die Möglichkeit friedlich aus diesem Konflikt zu gehen, Graf Darui. Wenn Ihr seiner Majestät, dem Goldenen Kaiser Eure Loyalität schwört, soll niemandem ein Leid geschehen. Ich sichere Euch in seinem Namen Unterstützung beim Wiederaufbau von Etris, Versorgung der Verletzten und eine Position bei Hofe zu. Geht Ihr auf mein Angebot ein, werde ich den Großteil meiner Truppen abziehen und Etris wie bisher erlauben seine Position als Handelsknotenpunkt zugunsten der Hauptstadt wiederaufzunehmen.“ Gaara von Sabakuno sah Graf Darui direkt an. „Glaubt mir, Graf Darui, auch ich will weitere Opfer vermeiden.“
 

Und doch würde er nicht zögern erneut anzugreifen, wenn er von seinem Kontrahenten nicht die passende Antwort bekam… Er sagte es nicht, aber es hätte nicht deutlicher sein können, dass er nicht vorhatte seinen Befehl zu missachten. Ansonsten kann er seinen Sold wohl in den Wind schreiben, fuhr es Shikamaru durch den Kopf, während er zu Graf Darui hinüberblickte, der zögerte. Er mochte zwar Minatos Ideale teilen, aber in erster Linie war er für das Leben der Menschen in Etris und der Forstburg verantwortlich. Ein Kniefall vor dem Kaiser könnte seine Leute retten, ohne noch einen weiteren seiner Vasallen zu verlieren, die auf ihn zählten.
 

„Du sprichst in schönen Worten, Gaara von Sabakuno.“ Nejis Stimme war so leise, dass man sie hätte überhören können, wenn er nicht so einen eisigen Tonfall angeschlagen hätte. „Warum sagst du dem Grafen nicht, was du wirklich willst? Ich bin nur ein Reisender, aber selbst ich habe verstanden, dass es dir nicht um Loyalität gegenüber deinem Herrn geht, sondern darum die Kontrolle über die Handelsrouten zu erlangen und diesem Minato von Konoha einen wichtigen Verbündeten, von dem du glaubst, dass er ihn in Gestalt der Forstburg innehat, zu entreißen. Oder hast du vor Etris lediglich als Lockvogel zu benutzen, um ihm selbst habhaft zu werden?“ Die Direktheit dieser Worte überraschte Shikamaru beinahe noch mehr, als der Mut sie im Angesicht des Feindes auszusprechen. Zudem hatte Neji Gaara einfach geduzt. Das war Shikamaru schon vorher aufgefallen. Gaara und auch Graf Darui bekleideten ganz klar eine höhere Position als Neji und doch zögerten er und Kiba nicht eine Sekunde, wenn sie Respektspersonen auf Augenhöhe ansprachen. Nachdem er geendet hatte, brach unter Gaaras Leuten wütendes Gemurmel aus, denen diese Respektlosigkeit gegenüber ihrem eigenen Anführer offensichtlich mehr zusetzte, als jedes Spottlied auf den Goldenen Kaiser es je könnte. Auch der Kommandant selbst wirkte kurz irritiert, aber noch etwas Anderes weckte Shikamarus Aufmerksamkeit. Es schien so, als hätte Neji noch nie von der politischen Lage Konohas gehört, aber innerhalb eines Augenblickes bereits mehr verstanden als viele andere Politiker.
 

Ein Soldat trat von hinten an Gaara von Sabakuno heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dann zog er sich rasch zurück. Gaara musterte Neji danach umso genauer. Anscheinend hatten auch Gaaras Untergebene nicht vergessen, wie viele ihrer Kameraden durch Nejis Klinge gefallen, wie viele von Akamaru zerfleischt worden waren und wie viele durch Kibas Pfeile den Tod gefunden hatten. „Ihr überrascht mich, Fremder“, wandte er sich nun höflich, aber direkt an Neji, „wieso solltet Ihr Euch in diesen Konflikt einmischen, wenn er Euch im Grunde genommen nichts angeht? Wenn Ihr es wünscht, könnt Ihr augenblicklich gehen. Weder der Goldene Kaiser noch ich haben ein Interesse daran mehr Leute als nötig in diesen Konflikt mit hineinzuziehen.“ Er hatte Recht. Vermutlich hatte Gaaras Begleiter Neji erkannt und diese potentielle Gefahr seinem Herrn unverzüglich mitgeteilt. Die Intelligenz mit der der Heerführer die Situation handhabte, ging weit über das hinaus, was gewöhnliche Feldherren zustande gebracht hätten. Wenn Gaara sich Neji – und auch Kiba –, die keiner der beiden Konfliktparteien verpflichtet waren, auf so einfachem Wege entledigte, brauchte er nur noch die Tore einrennen und könnte die Forstburg innerhalb weniger Stunden einnehmen. Das wusste Gaara vermutlich nicht, aber die Belagerung würde dennoch um ein Vielfaches schneller zum Erfolg führen. Wie war es möglich, dass ein solcher Konflikt so stark von der Entscheidung zweier Männer abhängen konnte!?
 

Shikamaru warf Neji einen besorgten Blick zu und auch der Graf, Perek und Elmrothas wirkten beunruhigt. Sie brauchten Nejis Wissen über die feindliche Magie. Sie brauchten ihn, um die Soldaten auszubilden, und sie brauchten Kiba für die Verteidigung der Burg. Doch wer sagte ihnen, dass sie ihre Entscheidung nicht einfach umstoßen konnten? Schließlich gab es für sie keinen Grund loyal gegenüber Menschen zu sein, mit denen sie nichts verband? Ein spöttisches Lächeln trat auf Nejis Gesicht. „Ich wurde schon auf kreativere Weise zu bestechen versucht, aber du bist wahrlich der Erste, der mich auf so einfachem Wege loswerden will, statt mich für sich zu gewinnen. Du bist sehr klug, Gaara von Sabakuno und ich bedauere, dass ich dich nicht zu meinen Verbündeten zählen kann. Ich lehne dein Angebot aus zwei Gründen ab. Erstens: Ich stecke bereits inmitten dieses Konfliktes, seit ich mithilfe meines Gefährten deinen Magier kampfunfähig gemacht habe. Der Pfeil, der ihn schachmatt setzt, wurde von meiner Familie hergestellt. Der Schild, der seine Magie aufhielt, wurde von jener erschaffen, der ich mein Leben verschrieben habe, und das Feuer, das Eure Soldaten bei lebendigen Leibe verbrannt hat, ist Kriegsmagie, der sich meine Familie bedient.“ Ein Wispern ging durch die Reihen der feindlichen Soldaten. „Zweitens: Bei meiner Ehre! Ich werde niemals – niemals! – dabei zusehen, wie Unschuldige wie diese Bauern und ihre Kinder für die Machtkämpfe einzelner Männer sterben. Solange ich lebe, werde ich der Schild sein, der sich vor die Schwachen stellt und ich werde die Klinge sein, die auf Unterdrücker wie euch niederkommt. Zu oft musste ich Kinder sehen, die unter Klingen niedergemetzelt wurden, und wenn ich das auch nur einmal verhindern kann, so soll mir das genug Antrieb sein.“ Überrascht von der Intensität seines Ausbrauches, musterte Shikamaru Neji erneut. Einen solch hohen Idealismus hatte er ihm gar nicht zugetraut.
 

Gaaras Augen verengten sich, doch bevor er etwas sagen konnte, trat der Mann vor, der seinen Arm in der Schlinge trug, und schob sich beinahe grob an seinem Anführer vorbei. Ebenso wie Gaara war sein Haar flammend rot, doch ansonsten hatten sie nicht viel Ähnlichkeit. Er selbst war relativ klein und ihm fehlte der Körperbau des Kriegers, aber seine grauen Augen blitzten zornig. In diesem Moment sah Shikamaru sich in seiner Vermutung bestätigt, dass es sich bei diesem Mann um den feindlichen Magier handelte. Vermutlich nagte es an seinem Stolz, auf eine solche Weise ausgeschaltet worden zu sein. „Ihr habt Euer eigenes Todesurteil unterschrieben! Ich werde nicht ruhen, bis Euer Leichnam tot zu meinen Füßen im Staub liegt. Ich werde Euch lehren, was es bedeutet mich, Sasori vom Roten Sand, einen der herausragendsten Magier, heraus zu fordern. Ihr werdet-“ „Genug, Sasori. Dies ist nicht der Zeitpunkt für Vergeltung.“ Gaaras Finger bohrten sich in die unverletzte Schulter Sasoris, er selbst fixierte aber immer noch Neji, ehe er hinzusetzte: „Noch nicht.“ Auch Gaara hatte die Schreie seiner Männer nicht vergessen, die in den Flammen der Feuermagie verbrannt waren…
 

Dann löste er seinen Blick von Neji, bedeutete seinem Magier zurückzutreten, was dieser nach kurzem Zögern mit einem säuerlichen Gesichtsausdruck auch tat, und wandte sich anschließend wieder dem Grafen zu. „Graf Darui, ich frage Euch nun ganz direkt: Nehmt Ihr die großzügigen Kapitulationsbedingungen seiner Majestät Malao, dem Goldenen Kaiser, an oder entscheidet Ihr Euch zu kämpfen? Seid jedoch gewiss, dass Ihr meiner Armee nichts entgegen zu setzen habt.“
 

„Ihr habt mir nicht unbedingt Zeit gelassen mich auf dieses Treffen vorzubereiten“, erwiderte Graf Darui, „Ihr habt Etris überrannt und seine Bewohner massakriert und gejagt. Jetzt schlagt ihr mir einen Weg vor, mit dem ich die übrigen retten kann. Ihr werdet sicherlich verstehen, dass ich Zeit brauche, um eine so wichtige Entscheidung treffen zu können.“ Er spielt auf Zeit, wurde Shikamaru klar. Obwohl Graf Darui seine Wut nicht verbergen konnte, war er doch so besonnen zu verhandeln – er konnte es sich nicht leisten, ein solches Angebot einfach in den Wind zu schießen.
 

„Elender Bastard!“, knurrte einer von Gaaras Leuten. „Wenn wir Euch töten, bringen wir die Forstburg sofort zu Fall!“ „Ferid!“ Doch es war zu spät. Der Soldat hatte bereits einen Dolch gezückt und stürzte sich auf den Burgherrn zu. Shikamaru war wie erstarrt und auch von den anderen hatte sich keiner vor Schreck gerührt. Es gab nur zwei Menschen, die schnell genug reagierten. Ehe Ferid auch nur zwei Meter weit gekommen war, war Neji schon mit einer fließenden Bewegung zwischen den Angreifer und sein Opfer geglitten. Er machte drei, vier Bewegungen mit den Händen und ein lautes Knacken ertönte, wie ein trockener Zweig, der zerbrach. Der Dolch glitt dem Angreifer aus den plötzlich kraftlosen Fingern und fiel nutzlos in den Staub. Einen Moment später rang hatte Gaara seinen Untergebenen zu Boden. Akamaru knurrte tief in der Kehle, den Körper wie zum Sprung geduckt.
 

„Ferid“, knurrte Gaara, „habe ich dir nicht klar zu verstehen gegeben, dass in meiner Gegenwart unter der Weißen Fahne niemand auch nur einen Kratzer davontragen wird?“ „Das habt Ihr, Herr“, presste Ferid zwischen den Zähnen hervor. Schweiß stand auf seiner Stirn und sein Handgelenk hatte einen seltsamen Winkel – gebrochen. Einen Moment lang sah Gaara auf seinen Untergebenen herab, den er in den Staub drückte. „Ich werde mich später mit dir befassen, in meinen Reihen dulde ich keinen solchen Ungehorsam.“ Damit erhob sich der Rothaarige mit einer kraftvollen Bewegung. Ferid war nur noch in der Lage zu nicken wie ein geprügelter Hund und er rappelte sich dann langsam auf, um in den Hintergrund zu schleichen.
 

„Graf Darui“, fuhr der Anführer der Söldner dann fort, „vergebt meinem Untergebenen. Wie Ihr seht, möchte auch er diesen Konflikt so schnell wie möglich beenden. Ich gebe Euch einen Tag. Morgen Abend um dieselbe Uhrzeit werde ich genau hier auf Euch warten. Kommt Ihr nicht oder entschließt Ihr Euch mich zu Eurem Feind zu machen, werde ich die Forstburg erneut angreifen. Und Ihr könnt sicher sein, dass sie diesmal zu Staub zermalmen werde.“ Mit diesen Worten drehte sich der feindliche Kommandant um und saß auf seinem Pferd auf, einem sandfarbenen Wallach, dessen ganzer Körper nur so vor Kraft vibrieren schien. Gaaras Leute, der Magier Sasori von Akasuna durch seine Schulterverletzung ein wenig behindert, beeilten sich es ihrem Anführer gleich zu tun. Einzig Ferid hatte mehr Probleme, doch niemand bot ihm Hilfe an.
 

„Kommt“, forderte nun auch Graf Darui ihn und die anderen auf. „Wir gehen.“ Er schwang sich auf sein Pferd, während es an Shikamaru hängen blieb Elmrothas zur Hand zu gehen. Neji jedoch hatte sich nicht von der Stelle gerührt und sah noch immer Gaara nach, den Kopf leicht schief gelegt, als würde er lauschen. „Du hältst dich für sehr stark, nicht wahr, Gaara von Sabakuno?“ Seine Stimme hielt den Mann auf, der sein Ross zügelte und sich zu ihm umdrehte. Sein Gesichtsausdruck war unleserlich, doch er senkte nicht den Kopf, sondern starrte den fremden Krieger von oben herab an. Neji kümmerte sich nicht darum, sondern fuhr unbeeindruckt fort: „Doch lass mich dir noch eins sagen: Auch für dich läuft die Zeit ab und weder deine Armee noch dein Magier noch diese Klinge an deinem Gürtel werden dich davor bewahren können. Nicht nur du weißt, wie man Schlachten gewinnt.“ Eine Sekunde hielt Gaara inne, dann wandte er sich wieder ab und gab er seinem Wallach die Sporen, um in die entgegen gesetzte Richtung davonzureiten. Endlich drehte sich auch Neji um und ging zu seiner Schimmelstute, die treu auf ihn wartete.
 

Shikamaru spürte beinahe körperlich, wie die Anspannung von ihm abfiel. Er hatte gar nicht gemerkt, wie sehr ihm diese Situation zugesetzt hatte. Er war ein Beobachter. Er hatte erkannt, was für ein Mensch sein Gegner war und hatte einen Tag, um darüber nachzudenken, wie er ihn zu Fall bringen konnte, doch sein Bauchgefühl sagte ihm, dass Gaara von Sabakuno niemand war, der sich von einer halbherzig zusammengeschusterten Strategie beeindrucken ließ.
 

~ [ ♦ ] ~
 

„Was ist passiert?“ Tenten blickte ihn noch besorgter an als vor der Sitzung. Sie hatten sich auf der Burgmauer getroffen, von wo aus sie einen guten Blick hatten und gleichzeitig relativ ungestört reden konnten. Die wachhabenden Soldaten in der Nähe kümmerten sich nicht um sie, sondern starrten nervös zum Lager des Feindes hinüber. Graf Darui hatte sich unterdessen mit Merod und Elmrothas zu einer weiteren Beratung zurückgezogen. Shikamaru warf seiner unschuldigen Begleiterin einen, wie er hoffte, beruhigenden Blick zu, der leider nicht viel Wirkung zeigte. „Nun sag schon, Shikamaru!“ Selbst Suigetsu konnte seine Neugier nicht verbergen. Nur Kankuro starrte ausdruckslos in die Ferne, wo sich die zahlreichen Zelte der Söldner erhoben. „Unser Gegner ist Gaara von Sabakuno, einer der Wüstenlords aus dem Süden. Ich bezweifle nicht, dass wir es mit einem Gegner zu tun haben, den wir nicht unterschätzen dürfen. Er mag zwar jung sein und nicht so erfahren wie andere, auch wenn ich mir da gar nicht so sicher bin, aber er ist auf keinen Fall dumm. Sein Angriff mag zwar grausam gewesen sein, aber er selbst erschien mir Prinzipien zu haben, Grenzen, die er nicht überschreiten wird. Er hat jedoch seine Befehle, aber-“
 

„Du glaubst, man kann mit ihm verhandeln, wenn er Darui ein Ultimatum gestellt hat?“, hakte Suigetsu nach. „Er schien es auf jeden Fall vermeiden zu wollen, dass Unschuldige-“ „Er wird seine Meinung nicht ändern.“ Kankuro sah sie noch immer nicht an und Shikamaru fiel wieder ein, wie seltsam er sich schon die ganze Zeit benommen hatte. „Woher willst du das wissen?“, fragte Suigetsu ein wenig taktlos. „Ich kann mich nicht erinnern, dass du bei den Verhandlungen anwesend gewesen bist, Fettwanst. Oder auch nur wichtig genug dafür wärst.“, setzte er bissig hinzu. Tenten blickte nun besorgt zu Kankuro, der sich immer noch nicht gerührt hatte. Im Vergleich zu sonst prallen Suigetsus Sticheleien wirkungslos an ihm ab. Er schien mit seinen Gedanken weit weg zu sein, was mehr als untypisch für ihn war. „Kankuro?“, wagte sie sich vorsichtig vor.
 

„Wenn man jemanden kennt, dann braucht man ihn nicht zu treffen, um zu wissen, was er tun wird.“ Tausend Fragen flackerten in Shikamaru auf. Eine nahm ihm Tenten ab. „Du kennst diesen Gaara, Kankuro?“ Sie wog ihre Frage sorgfältig ab und genau daran erkannte Shikamaru, dass auch ihr bewusst war, auf was für einem Minenfeld sie sich hier bewegten.
 

Kankuro lachte freudlos auf. „Ob ich ihn kenne?“ Und endlich drehte er sich zu ihnen um und blickte sie geradeaus an. Doch der Ausdruck in seinem Gesicht erschreckte Shikamaru. Es war eine Mischung aus Leid, einer lang vergessenen Wut und Hilflosigkeit. „Natürlich kenne ich ihn!“, sagte Kankuro, „Gaara von Sabakuno ist mein Bruder.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
[15.o5.2oo9]

Dies ist der Auftakt einer recht epischen Fantasy-Fanficiton. Offensichtlich ist die FF ein extremes AU und wir haben die Charaktere echt bunt durcheinandergemixt, wie der Prolog schon zeigt. (Übrigens werden auch ein paar Charaktere aus anderen Mangs (v. a. Inuyasha) auftauchen.)
Ich sage wir, denn Heldenlied ist eine Zusammenarbeit zwischen moonlight_005 und Arianrhod-, darum wird das auch bei diesem Account hochgeladen.

Die Kapiteltitel werden alle Zeilen aus irgendwelchen Lyrics sein, die uns grad passend erscheinen.
Die Ballade, von der wir Strophen über die Fic verteilen, ist übrigens von uns, darum verzeiht, wenn da einmal der Rhythmus nicht stimmt, der Reim blöd ist oder ähnliches - wir sind beide keine Profis auf dem Gebiet der Lyrik, aber wir haben unser bestes gegeben und uns gefällt das momentane Ergebnis davon. :3

Vielen Dank an Knispell (wegen dem Bild) und Votani als Balladen-Helferlein.

Wir hoffen, es gefällt euch. :)

moony & Sorca~

[Edit]
Weil schon zweimal gefragt wurde und es kein Geheimnis ist: Die Totenkriege und damit das Verschwinden der 5 Helden liegen etwa 8oo Jahre zurück. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
[17.11.2oo9]



Hallo :)

Nach einer gefühlten Ewigkeit gibt es jetzt mal Kapitel 1 von uns. Leider konnten wir uns mit der Länge nicht ganz am Riemen reißen, aber wir hoffen dennoch, dass dies kein Grund ist nicht mehr weiter zu lesen. An dieser Stelle bedanken wir uns auch schon für die vielen Favoriteneinträge und die Kommentare beim letzten Mal.

Wem es noch nicht aufgefallen ist: Wir haben Heldenlied jetzt um Kurzbeschreibung und noch weitere Informationen upgedatet. Wer möchte kann gerne mal reinschauen, denn bislang war es ja alles noch ein bisschen nebulös, worum es eigentlich ging. Es besteht allerdings auch Spoilergefahr. Wer sich von manchen Dingen also noch überraschen lassen möchte, sollte lieber nur die Kapitel lesen.

Wir hoffen, dass euch das erste Kapitel genauso gut gefallen hat wie der Prolog und natürlich, dass ihr uns treu bleibt, auch, wenn ihr wohl auch in Zukunft längere Wartezeiten in Kauf nehmen müsst.

Lob und Kritik ist uns wie immer sehr willkommen. :)

moony & Sorca


[Edit]
Da letztes Kapitel die Frage aufkam...
Ein Lichlord (ohne 't' in der Mitte XD) ist ein Leichenbeschwörer/Nekromant. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
[27.o2.11]

Hallo liebe Leser,

nach einer halben Ewigkeit melden wir uns nun mit dem neuen Kapitel zu Heldenlied zurück. Leider ist der Zeitabstand zum letzten Kapitel reichlich groß, allerdings ist das nächste schon fast fertig, daher Kapitel 3 nicht ganz so lange auf sich warten lassen. Wir hoffen jedoch, dass dieses Kapitel eure Erwartungen nicht enttäuscht hat, ihr Spaß beim Lesen hattet und es euch gefallen hat. Über Kommentare und Kritik würden wir uns selbstverständlich auch freuen.

Bis zum nächsten Kapitel

sorca & moony Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, hier wäre dann das 3. Kapitel. Es dauerte wieder länger, als gedacht, aber wir waren schneller als letztes Mal. XD" Wir wissen aber nicht, ob das jetzt so positiv ist... Jedenfalls ist das Kapitel auch kürzer, was hoffentlich ein Pluspunkt ist - so elendslange Kapitel lesen dich doch nicht so gut. Das nächste Kapitel ist schon länger in Planung und wir versuchen, es während unseres Urlaubs auf die Beine zu stellen.
Wie auch immer, auch hier hoffen wir, dass ihr euren Spaß damit hattet, das ist ja das Wichtigste.

moony & sorca Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Jetzt hab ich ausversehen das ganze Nachwort wieder gelöscht. Ups. Auf ein Neues...

Nach langer Wartezeit endlich wieder ein neues Kapitel. Ich hoffe, irgendwer interessiert sich noch für diese FF. ^^"
Und ich muss ich erst einmal mit all diesen neuen FF-Funktionen zurechtfinden, weil es eine halbe Ewigkeit her ist, dass ich das letzte Mal was hochgeladen habe.

Jetzt sind endlich alle 5 Helden angekommen, was uns freut, weil wir jetzt nämlich richtig schön einstegen können. Dieses Kapitel mag sich etwas ziehen, weil nicht so viel passiert, aber dafür macht es (hoffentlich) ein paar andere Dinge deutlich. Und keine Sorge: im nächste Kapitel geht es richtig rund! Und in den folgenden wohl auch. Wir haben nämlich einiges vor! :D
Darum werden die Kapitel wohl auch weiterhin so lang bleiben, denn egal wie wir uns anstrengen, es werden immer zu viele Worte. v.v Ich hoffe, das Kapitel hat euch trotz allem gefallen. :)

Grüße
Sorca~ (& moony) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo liebe Leser,

wie immer hat es ein wenig gedauert bis es weitergeht, aber jetzt können wir euch endlich ein neues Kapitel von Heldenlied präsentieren. Das nächste Kapitel, das ungefähr genauso lang ist, haben wir bereits fertig. Die Aufteilung der einzelnen Parts war nicht so leicht und auch beide Szenen (Naruto, Ino & Deidara sowie Pein & Temari)mussten sorgsam durchdacht werden. Aber mit diesem Ergebnis sind wir sehr zufrieden. Die nächsten Kapitel sind ebenfalls schon fertig geplant. Wir hoffen also, dass ihr weiterhin viel Freude an unserer Geschichte habt und uns noch eine ganze Weile erhalten bleibt.

moony (& Sorca) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, etwas früher als gedacht, das nächste Kapitel. Das 7. ist schon in der Mache, aber noch nicht lange. ^^" Anyway, euch hat dieses Kapitel hoffentlich gefallen. (Das ist übrigens bis jetzt das längste Kapitel und wir werden uns bemühen, nicht so oft über die Strenge zu schlagen.)

Sorca~ (& moony) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt. Bzw. das Kapitel ist etwa einen Monat zu spät, aber besser spät als nie, eh?
Eigentlich hatten wir ein kurzes Zwischenkapitel geplant, aber irgendwie hat das auch nicht so richtig funktioniert. :/ Aber wir sind ziemlich zufrieden damit. :) Ich hoffe, es hat euch auch gefallen.
moony hat den größten Teil des Kapitels geschrieben, btw.

Tja, die Lage spitzt sich jetzt langsam zu und ich hoffe, ihr bleibt bei der Stange. :) Das nächste Kapitel wird auf jeden Fall aufregend!

Sorca~ & (moony) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallöchen :)

Da sind wir wieder - wenn auch mit einer etwas längeren Pause, die private Gründe hatte. Dafür haben wir aber die folgenden zwei Kapitel schon fast fertig. Wie ihr diesmal gemerkt haben dürftet (zumindest die, die trotz unserer Warnung am Anfang bis hierhin gelesen haben), war dieses Kapitel um einiges brutaler als die vorherigen, da sich Heldenlied - wie ihr vielleicht erraten habt - in den nächsten Kapiteln um eine Belagerung dreht. Es wird vermutlich auch nicht das einzige Kapitel dieser Art bleiben, einfach damit wir die Situation realistisch darstellen können. Nichts desto trotz, werden die Handlungsfäden um Pein, sowie Hinata & Konan natürlich trotzdem nicht vernachlässigt. Seid also gespannt :)

Wir hoffen, dass es euch gefallen hat und ihr uns weiterhin die Treue haltet :)

moony (& Sorca) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Sorry, wir haben gelogen. Es geht jetzt doch erstmal um die anderen. Zur Belagerung kehren wir dann später wieder zurück...

Wir wollten das Kapitel auch kürzer halten, I swear! Die 1oo.ooo Worte haben wir hiermit übrigens auch geknackt.

Das so schnell ein neues Kapitel kommt, hättet ihr nicht gedacht, was? :D Wir freuen uns jedenfalls, dass wir das so rasch auf die Reihe gekriegt haben. Es mag auch daran liegen, dass wir das letzte Kapitel in 3 Teile splitten mussten...
Das nächste ist übrigens auch schon halb fertig.

Außerdem haben wir noch ein kleines Geschenk für euch: die Heldensagen, eine kleine Sidestory-Sammlung für Heldenlied. Den Anfang macht ein kleiner OS über Kiba. Wir hoffen, es gefällt!
(Ich habe ihn gleichzeitig hochgeladen, es sollte also schon bzw. bald on sein.)

Gruß
Sorca~ (& moony) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo :)

Lange, lange ist es her, seitdem wir das letzte Kapitel hochgeladen haben, aber natürlich haben wir sie nicht vergessen. Schuld bin ich, die Prüfungsphase in der FH hatte und leider die Prioritäten etwas verschieben musste. Dankeschön nochmal an alle, die mir die Daumen gedrückt haben - alles ist gut ausgegangen :)

Dieses Kapitel ist sehr actionlastig und lässt sich hoffentlich sehr flüssig in einem Rutsch lesen. Pein ist einigen Fragen auf die Schliche gekommen und die Gruppe um Konan & Deidara hat Sasuke und seine Leute erstmal erfolgreich abgeschüttelt. In den nächsten Kapiteln werden wir uns dann intensiver mit Etris beschäftigen, wo noch immer die Belagerung stattfindet. Diese Ereignisse werden wohl mehrere Kapitel in Anspruch nehmen, aber auch nicht so einfach zu schreiben sein, weil wir uns wirklich zu jedem Detail austauschen müssen. Wir bemühen uns aber, schnell die nächsten Kapitel fertig zu schreiben - immerhin freuen wir uns schon ewig darauf ;) Daher hoffen wir, dass ihr uns weiterhin treu bleibt und ebenso viel Spaß an Heldenlied habt, wie wir :)

moony (& Sorca) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr lieben :)

Lange, lange ist es her, dass wir zuletzt ein Kapitel hochgeladen haben, aber nach wie vor liegt uns sehr viel an Heldenlied. Es macht einfach Spaß diese Geschichte zu entwickeln, sie weiter auszubauen und viele Zusammenhänge in unserer Welt zu knüpfen - allerdings macht das auch verdammt viel Arbeit, weil wir euch natürlich etwas Vernünftiges zum Lesen und nichts Halbherziges geben möchten. Allein in diesem Kapitel, das zum ersten Mal nur von einer von uns stammt, gab es unheimlich viele Dinge zu beachten: Wie soll die Rüstung der Helden aussehen? Wen braucht man alles für die Verteidigung einer Burg? Welche Möglichkeiten haben die Verteidiger und wie schaffen wir es, dass jeder zu Wort kommt? All das und noch einiges mehr, musste beachtet und diskutiert werden, sodass sich dieses Kapitel leider sehr verzögert hat. Wir hoffen, es gefällt euch trotzdem. Das nächste wird vermutlich schneller kommen und diesmal hat dann Sorca den Löwenanteil :) Schließlich müsst ihr ja auch wissen, wie es bei den anderen weiter geht XD

Wir hoffen jedenfalls, dass ihr Spaß beim Lesen hattet und uns hoffentlich noch weiterhin treu bleiben werdet (-trotz all unserer langen Wartezeiten ;)).

alles Liebe

moony (& Sorca) Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (121)
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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Annasche
2019-02-15T12:17:26+00:00 15.02.2019 13:17
Oh mein gott, ist das spannend! Leider wurde schon sehr lange nicht mehr geschrieben... Schade... Die FF ist wirklich sehr gelungen!
Von:  Azarel31
2017-08-15T08:53:48+00:00 15.08.2017 10:53
Ich warte immer noch auf ein neues Kapitel das lest mich nicht mehr schlafen ich warte seid Monaten ich hoffe ihr schreibt bald weiter
Von:  Azarel31
2017-03-29T02:36:51+00:00 29.03.2017 04:36
Ich bitte Sie darum die Geschichte schnell vertig zu schreiben da sie es so spannend machen und ich das Ende nicht abwarten kann ist es ja auch ihre schuld sie haben die Charaktere so perfekt eingebaut und mein Favorit neji und auch hoffentlich die Beziehung zu tenten so schön gestaltet dass ich das mir das abwarten als jetzt als Folter anfühlt
Von:  L-San
2017-01-02T19:29:09+00:00 02.01.2017 20:29
Lange ist es her, aber ein kurzer Blick auf mein letztes Review hat mich wieder daran erinnern lassen, was letztes Mal geschehen war. Und wie ich euren Text durchlese, erinnere ich mich auch daran, weshalb mir die FF so gut gefallen hat. Der schön flüssige Schreibstil, die Plot-Ausarbeitung, etc.
Bei der ersten Hälfte des Textes musste ich ein wenig schmunzeln. Minato hat mich für einen kurzen Moment an Aragorn erinnert. Ein König ohne Reich, der ihn zurückerobern will. Vom Volk geliebt und so.
Nagatos Skepzis kann man nach vollziehen, aber ich denke, ihn wird er trauen können. Ich bin ja auch gespannt, wann Temari merken wird, dass er einer der legendären Krieger ist.
Im zweiten Teil - da habt ihr mich mit dem Blutszauber überrascht. Andererseits überrascht es mich nicht, dass Konan und Naruto evtl verwandt sind? Wenn Hinata doch nur Sherlock Holmes Spruch folgen würde. Dass man im Prinzip alles in Eräwgung ziehen sollte, auch wenn es absurd erscheinen mag.
Mal schauen, was mehr hinter dieser Verbindung ist.
Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel!
Einen schönen Abend noch!

LG
L-San
Von:  Levisto
2016-10-31T16:03:49+00:00 31.10.2016 17:03
Ich liebe euch! Vor 4 Tagen hab ich mich echt gefragt, wann es bei euch vlt weiter geht und prompt wae ein neues da *.*
Gott diese Geschichte ist so facettenreich. Und das da viel Überlegungen dahinter stecken ist verständlich. Und jetzt habt ihr Gaara eingebaut - als Kankuros Bruder. Ihr habt wohl noch nicht genug Arbeit *lach*

Ich freue mich IMMER auf ein neues Kapitel und warte darauf auch mal ein halbes Jahr.
Liebe Grüße
Levisto
Von:  kimje
2016-10-27T21:06:14+00:00 27.10.2016 23:06
Sehr schönes Kapitel.
Die kleinen Infos, die man über Neji und Kiba erhält sind klasse. Mich wundert es,
dass es bei Shikamaru noch nicht "bing" gemacht hat. Ich bin schon gespannt, wenn
man alle Puzzelteie hat. Auch darauf wie das Verhältnis von Hinata und Neji ist.
Immerhin widmet er ihr sein Leben. Als Tenten würde ich da stutzig werden.

Ich hoffe es geht ganz bald weiter.
Grüße kimje

Von:  funnymarie
2016-10-26T22:26:26+00:00 27.10.2016 00:26
Ein ganz tolles Kapitel
Ich bi gespannt, wie es weiter geht
Lg funnymarie

Von: abgemeldet
2016-10-25T09:53:19+00:00 25.10.2016 11:53
Hii
Ich hoff es hat keiner mitbekommen das ich wärend des Unterrichts das Kapitel gelesen habe, wollte nich aufhören zu lesen war soo spannend!
Ich bin gespannt wie der rest darauf reagiert das Gaara von Sabakuno der Bruder von Kankuro ist. Und ob die sich jetzt noch weiter die Köpfe ein rennen.
Ich habe keine Kritik dafür war das Kapitel einfach zu cool!
Hoffe es geht bald weiter.

Lg crazy-Shinigami


Von:  AmayaInuzuka
2016-10-24T22:51:30+00:00 25.10.2016 00:51
Holly crap, jetz musste ich mich kurz mal wieder einlesen, aber nachdem ich dieses kappi durchhatte musste ich die drei davor auch gleich wieder lesen. und sie sind so spannend, umfassend, abwechslungsreich und einfach nur kreativ geschrieben das man sich sofort wieder in der Geschichte verliert. Absolutes Kompliment!
Normalerweise verlier ich nach langer Pause das Interesse, aber hier geht das einfach nicht. Ich MUSS einfach wissen wie es hier weitergeht.
Gaara als gegnerischer Feldherr mit Sasori an seiner Seite- genial!
Kiba und Neji sind einfach nur cool, Shika wie immer bedacht, aber auch lässig. Tenten wird auch schon ;)
Weiter so!! Bin absolut begeistert. Zählt mitunter zu den besten FFs die ich bisher gelesen habe!
Von:  Mizislife
2016-10-24T18:28:32+00:00 24.10.2016 20:28
Wirklich einer der besten Geschichten die ich je gelesen hatte<3<3.
Bitte schreib bald wieder weiter!!
LG Mizislife


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