Bloodsplashed Memories von CuthbertAllgood ================================================================================ Kapitel 1: Breaking down ------------------------ Sie stritten wieder. Das kleine Mädchen stöhnte leise auf und drückte sich das Kissen auf den Kopf. Solange es in der Nähe war, taten seine Eltern so, als wäre alles in Ordnung. Sobald sie aber dachten, dass es schlief und es nicht bemerken würde, stritten sie und schrien sich gegenseitig an. Trotzdem das Mädchen noch sehr jung war – es war grade 6 Jahre alt geworden und würde nächsten Sommer mit der Schule beginnen, wie ihre Mutter stolz und es selbst genervt erzählte – so war es doch sehr reif und intelligent für sein Alter. Viele unterschätzten die junge Dame daher, auch – insbesondere – seine Eltern. Es war der Blonden durchaus klar, dass rein gar nichts in Ordnung war. Das Problem hieß Geld; oder konkreter der Umstand, dass keines vorhanden war. Ihre Mutter drohte ständig mit Scheidung, was auch immer das sein mochte, und Trennung. Den Begriff verstand sie und man konnte auch nicht sagen, dass sie ihm abgeneigt wäre. Denn das wäre sicherlich endlich ein Ende des ewigen Gezetters. Der Lärm schwoll an, sodass sie entnervt das Kissen wieder beiseite schob. Überrascht stellte sie fest, dass sich andere – fremde – Stimmen dazu gemengt hatten. Sie stand auf, die Decke fiel halb auf den Boden. Man sah ihr trotz dem ersten, knabenhaften Eindruck sowie dem zerrissenen T-Shirt und der abgeschnittenen Jeans, die ihr als Schlafgewand dienten, einen späteren sicherlich hohen Wuchs und eine gewisse Drahtigkeit an. Nun aber huschte sie beinahe geräuschlos über verstreute Kleidungsstücke hinter die Tür, drückte sich in die enge Nische zwischen jener und der Wand und versuchte, die Worte zu verstehen. „Halt mich nicht zum Narren, Stella!“, knurrte da einer der Fremden zornig. Stella, das war der Name ihrer Mutter. Die war durch ein leises Wimmern zu hören. „Lasst sie in Ruhe, verdammt!“ Ihr Vater. Angst schwang in seiner Stimme mit. Außerdem war er nicht die Art Mann, die fluchte. „Du hast hier ja wohl keine Forderungen zu stellen!“ Der andere Mann klang noch wütender. Ein Klatschen bewieß, dass jemand geschlagen worden war. Sie drückte sich weiter in ihr improvisiertes Versteck. „Der Chef hat keine paziena mehr, auf eure Lire und den Rest zu warten! Also brauchen wir wohl etwas anderes… Wie wäre es mit deinem Weib, vorerst?“ Raues Gelächter folgte, das ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagte, während ihre Mutter aufschrie und ihr Vater Verwünschungen von sich stieß. „Ach, halt die Klappe“, fuhr der Typ fort, kurz darauf folgten Geräusche, die sie nicht genau einordnen konnte. Nur zwei waren eindeutig definierbar. Ein Gurgeln, gefolgt von einem noch lauteren Schrei ihrer Mutter. Erschocken kratzte ihre Hand, die bisher leicht auf der Tür gelegen hatte, über das Holz. Unnatürlich laut in der darauffolgenden Stille, die nur das Wimmern der Frau erfüllte. „Oh, scheiße…“, murmelte sie tonlos. Das zu erwartende „Was war das?“, folgte erst im selben Moment, in dem die Tür mit Wucht aufgerissen war und schmerzhaft gegen die Schulter des Mädchens geschlagen wurde, die daraufhin das Gesicht verzog, sich aber zugleich auf die Unterlippe biss, um nicht noch mehr Geräusche von sich zu geben. In ihr schmales Gesichtsfeld trat ein unbekannter Mann mit einer Handfeuerwaffe, die er vor sich hielt. „Sieh mal an… Hast du uns vielleicht jemanden verschwiegen, Stella? Nachdem du schon immer die Schuld auf deinen Mann abwälzen wolltest?“ Er erhielt keine Antwort, was ihn dazu brachte, sich umzudrehen und nach etwas – wahrscheinlich ihrer Mutter – zu treten. „Das ist eindeutig ein Kinderzimmer. Wie alt ist es? Wie lange verheimlichst du es uns schon, hm?“ Offenbar war seine Geduld aber schon zu erschöpft um auf eine Antwort zu warten, denn er machte eine Handbewegung, die scheinbar ein Befehl war – auf jeden Fall keuchte ihre Mutter auf und fiel auf einmal in ihr Blickfeld. Das war genug. Ohne überhaupt nachzudenken, schnellte sie vor, fiel neben der Frau auf die Knie. „Mama, steh auf!“ „Sieh an…“, machte da der gesprächsleitende Fremde. „Das ist also euer Sohn…“ „Ich bin ein Mädchen!“, protestierte die Blonde und sprang auf. Ihre Mutter wimmerte, dass sie verschwinden sollte, aber darauf achtete sie jetzt nicht. „Und ihr habt meiner Mama weh getan!“ Anstatt zu antworten, machte der Mann eine Kopfbewegung und das Mädchen wurde grob von hinten gepackt. Sie spürte nur zu deutlich den Lauf, der ihren Kopf leicht zur Seite drückte. „So, Stella. Wenn dich schon der Tod deines Mannes nicht beeindruckt hat – vielleicht bringt dich ja die Gefahr, in der dein… Kind … schwebt, dazu uns endlich zu verraten, wo das ist, was wir haben wollen?“ Zitternd hob sie den Kopf. „Ich habe es nicht, verdammt! Nehmt euch, was ihr wollt, aber lasst meine Tochter in Ruhe!“ Diese jedoch hatte die Zeit, in der ihre Mutter sprach, dazu genutzt, sich aus dem von Schweiß glitschigen Griff des Mannes, der sie festhielt, zu winden und auf einmal hatte sie sogar selbst die Waffe in der Hand. Überrascht starrte sie sie an, ehe sie sie dann auf den Bedroher ihrer Mutter richtete. Der sah genauso verblüfft aus, begann aber zu lachen und bedeutete dem Typen hinter ihr, sie in Ruhe zu lassen. „Ich bin heute in guter Laune“, begann er dann, „also werde ich dir wohl deinen Wunsch erfüllen… Wir nehmen die Kleine mit, die wird sicher eine hervorragendende Schülerin.“ „Ich will nicht mit euch mit!“ Der Mann zerrte ihre Mutter hoch und setzte ihr seine eigene Waffe an die Schläfe. Ein selbstsicheres Grinsen zierte seine Züge. „Du willst doch nicht, dass ihr etwas passiert?“ Er war zu selbstsicher gewesen, dass das Kind nicht schießen würde oder die Waffe nicht entsichert war. Doch sie war entsichert, die Blonde schoß – und ließ die Waffe erst recht überrascht fallen, als sie die Stirn des Mannes getroffen hatte! Es dauerte einen Moment, bis sie sah, dass der Schuss, der von unten schräg hoch gegangen war, auch durch den Schädel ihrer Mutter gefahren war. Sie waren fast zeitgleich gestorben. „Nein… NEIN!“ Schreiend taumelte sie auf die Tote zu. Die Schreie wurden noch lauter, als jemand nach ihrer Schulter fasste. Von sinnen drehte sie sich um und jagte an den Männern, an der Leiche ihres Vaters vorbei, dessen durchgeschnittene Kehle sie wie ein blutiger Mund anzugrinsen schien, hinaus in ein nächtliches, winterliches Rom. Winter in Rom, das war nichts Romantisches. Was es war, das war kalt und unerbittert. Es waren noch einige Leute unterwegs. Manche sahen ihr zwar nach, aber niemand kümmerte sich wirklich um das Mädchen, das rannte, ohne auf den Weg zu achten. Niemand bemerkte das in der Nacht schwarze Blut, mit dem sie besudelt war. Das Blut ihrer Mutter. Das Blut ihres Vatermörders. Immer weiter jagte sie, durch Hauptstraßen ebenso wie kleine Gassen. Eigentlich hätte sie zu den Carabinieri gehen sollen, aber daran dachte sie nicht. Wie auch? Sie war nur ein Kind. Sie lief viel weiter, als sie es unter normalen Umständen gekonnt hätte, ohne sich umzusehen, ohne auf mehr zu achten als darauf, dass sie nicht irgendwo gegen krachte. Avanti, das war der einzige Gedanke, den sie zuließ. Aber irgendwann gingen auch die übermässigen Kraftreserven zuende. Keuchend blieb sie stehen und sah sich um nach einem Versteck oder ähnlichem, auch wenn die Fremden ihre Spur längst verloren hatten. Sie hatten sie nicht einmal lange verfolgt; welche Schande wäre es auch, als Schuldigen für den Tod des Anführers ein sechsjähriges Kind anzuschleppen? Aber das wusste das Mädchen nicht. Schließlich schob sie unter Aufbietung der letzten Kräfte die schweren Türen einer Basilika auf und schlüpfte ins Innere. Zwar war es hier auch nicht viel wärmer als draußen, aber zumindest ein wenig und außerdem war hier drinnen kein Wind und sollte es anfangen zu regnen, wäre sie auch davor sicher. Erst jetzt, wo sie zur Ruhe kam, holten die grausamen Bilder sie ein. Und die Gewissheit, dass sie jetzt allein war. Ganz allein. Die Blonde begann zu weinen, lautlos und es kaum registrierend, die Tränen zogen Schlieren über das Blut, das ihr Gesicht besudelte. Langsam schritt sie nach vorne und hob den Blick anklagend gegen das Kreuz, das hinter dem Alter an der Wand hing. „Warum hast du das zugelassen?“, fragte sie leise. Ihre Stimme zitterte und jemand, der weiter als einen Schritt entfernt gestanden hätte, hätte nicht einmal bemerkt, dass sie etwas gesagt hatte. „Was war der Sinn?“ Sie erhielt keine Antwort, natürlich nicht. Dennoch wartete sie ein paar Momente, und als sich dann noch nichts getan hatte, schlug sie trotzdem das Kreuz. „E Nomine patris et filii et spiritus sancti, amen“, murmelte sie tonlos, ehe sie sich abwandte. Die Nacht verbrachte sie im Beichtstuhl, doch es dauerte lange, bis der Schlaf ein Einsehen mit ihr hatte. Pazienza = Geduld Lira = italenische Währung vor dem Euro. 1000 Lire waren nicht ganz eine DM. Carabinieri = Polizei Avanti = Weiter, vorwärts, voran Basilika = Kirche mit überhöhtem Mittelschiff “E Nomine patris et filii et spiritus sancti” = Lat. “Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)