Say my stupid Name von abgemeldet (»Kastanienblüte« | Jared/Nate) ================================================================================ Kapitel 1: Kastanienblüte ------------------------- SAY MY STUPID NAME ( … Kastanienblüte) Ich hatte eigentlich nicht erwartet, dass es so lange laufen würde. Tatsächlich war ich sogar erstaunt darüber. Nicht, dass es mir nicht gefiel, aber als das begonnen hatte, war ich davon ausgegangen, dass es nichts Ernstes war; eine flüchtige Liebelei vielleicht. Nicht mehr. Aber so war es dann doch nicht. Das hier war etwas völlig anderes als »nichts Ernstes«. Sehr zu meiner Verblüffung, wie gesagt. Mittlerweile war wieder Herbst und die herrliche Frühlingsgrüne war wieder verschwunden. Der Frühling hatte für mich wieder eine etwas andere Bedeutung, keinesfalls negativ. Ich konnte mich deutlich an den Tag erinnern, als ich Jared das erste Mal geküsst hatte. Das war nun schon ein halbes Jahr her und seitdem waren wir … ein Paar. Es fiel mir schwer, mich als den Teil einer Beziehung anzusehen. Ich hatte mich aus einem unerfindlichen Grund immer noch nicht daran gewöhnt. Ich hatte wirklich einen Freund. Ich war vergeben. Und niemand wusste es. Niemand außer Jared selbst natürlich, der war immerhin der zweite Part dieser Beziehung. Niemand wusste, dass zwischen ihm und mir etwas lief. Wir verbargen es vor der Öffentlichkeit. Meinetwegen. Weil ich nicht wollte, dass jemand davon erfuhr. Mir war bewusst, wie feige das klang, aber es hatte wirklich nichts damit zu tun, dass ich Angst davor hatte. Aber ein Bauchgefühl — und ich vertraute meinem Bauchgefühl sehr — hielt mich davon ab, es in die Welt hinauszuposaunen. Jared hielt sich daran, er behielt es ebenfalls für sich. Ich wusste, dass es ihm nichts ausgemacht hätte, jedem davon zu erzählen. Aber er schwieg mir zuliebe. Seit einem halben Jahr. Dass er so geduldig mit mir sein würde, hätte ich nicht erwartet, aber ich war ihm dankbar dafür. Für alle Welt sahen wir aus wie zwei Bekannte, noch nicht einmal Freunde. Wir sprachen in der Schule hin und wieder miteinander. Er war O’Connor und ich war Rivers. So wie vor unserer Beziehung. Niemand wäre davon ausgegangen, dass wir eine heimliche Beziehung führten. Wir sahen alles andere als nah verbunden aus. Die Flüchtigkeit, mit der wir einander in der Schule begegneten, war für sich sprechend. Was ihn (aber auch mich) trotzdem nicht davon abhielt, in unbeobachteten, ungefährlichen Momenten wie ein Tier über mich herzufallen. Demnach konnte ich in meiner Liste also bereits den Punkt »Sex in der Schule« getrost abhaken. Eine bereichernde Erfahrung mehr. Das konnte niemals schaden. Im Prinzip hatten wir eine Affäre. Das war wohl der treffendere Begriff, ausgehend von dem, wie die Sache zwischen uns lief. Die Art, wie wir unsere Liebesgeschichte führten, war vermutlich der Albtraum eines jeden Mädchens. Ich hatte schon häufig erlebt, wie sie sich darüber aufgeregt hatten, wenn ihr Freund sie in der Öffentlichkeit und unter Begleitung seiner Freunde wie Luft behandelt hatte oder besser gesagt, nicht wie seine Freundin. Dafür war er dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit der reinste Traummann. So in etwa war es auch mit Jared. Mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass es alles abgesprochen war, dass wir uns nicht wie ein händchenhaltendes Pärchen aufführten. Privat war Jared … unbeschreiblich. Demnach führten wir keine unterkühlte Beziehung. Wir machten der Welt etwas vor. Er wegen mir und ich, weil ich es so wollte. Vermutlich hätte niemand mir geglaubt, wenn ich erzählt hätte, wie aufopferungsbereit Jared wirklich sein konnte. An seinem Ruf hatte sich in dem halben Jahr nichts geändert. Seine Fangirlgemeinde wuchs stetig. Ich wusste, er war nicht interessiert an ihnen, was nicht bedeutete, dass er kein Mädchen ansah. Er hatte durchaus weibliche Freunde und ich war mir keinesfalls sicher, ob sie nicht nur mit ihm befreundet waren, weil sie dachten, wie würden sich so an ihn ranschmeißen können. Andererseits wählte Jared seine Freunde mit Sorgfalt. Es hatte mich erstaunt, was für eine gute Menschenkenntnis er hatte — er selbst sagte immer, er würde einfach nur gut beobachten. Wären diese Mädchen also wirklich hinter ihm her, wäre er nicht mit ihnen befreundet. Trotzdem kam ich nicht umhin, ein wenig, wirklich nur ein klitzeklitzekleines bisschen eifersüchtig zu sein. Doch ich vermied es, darüber nachzudenken. Es gab kaum etwas, was ich mehr verabscheute, als eifersüchtig oder neidisch zu sein. Ich versuchte es zu verbergen, und ich wusste, dass ich es vor allen Außenstehenden konnte, aber ich war mir nicht sicher, ob Jared mich nicht bereits durchschaut hatte. Wenn, dann sprach er mich freundlicherweise nicht darauf an. Es wäre ein durch und durch unangenehmes Thema für mich gewesen. Ich hatte in diesem halben Jahr mehr über Jared erfahren. Er hatte zwei jüngere Schwestern. Es war eine Überraschung für mich gewesen, das zu erfahren. Ich hatte nie auch nur in Erwägung gezogen, er würde der ältere Bruder für zwei Mädchen sein. Allerdings waren seine Eltern genau wie meine geschieden und seine Schwestern lebten bei seinem Vater, während er bei seiner Mutter geblieben war. Es war nicht weiter schwer unsere affärengleiche Beziehung vor seiner Mutter zu verbergen. Sie war eine Geschäftsfrau und oft unterwegs. Ich hatte sie kennengelernt, als ich einmal bei Jared gewesen war. Da war sie allerdings nur auf einen Sprung gekommen, hatte schnell wieder weiter gemusst. Der Geschichtsunterricht war heute noch zäher und langweiliger als sonst. Ich weiß nicht, ob das an meiner Einstellung zu diesem Fach lag oder an dem Lehrer oder an dem Thema. Eigentlich war es mir auch egal, denn ich hatte schon lange aufgegeben, zu versuchen, dem Unterrichtsgeschehen zu folgen. Ich lag halb auf meinem Tisch, hatte das Gesicht in meine Hand gestützt und kritzelte auf meinem Block herum. »Rivers, hey!« Ich hob den Blick. Jared saß in Geschichte direkt vor mir und hatte sich halb zu mir umgewandt. Er streckte die Hand aus und ließ ein kleines Stück Papier auf meinen Tisch segeln. Ich sah noch sein schelmisches Grinsen, bevor er sich wieder nach vorne wandte. Verwundert zog ich die Augenbrauen zusammen, während ich den Zettel auseinanderfaltete. Jared und Zettelchen schreiben? Das war ja mal was ganz Neues. Doch das Geschriebene erschütterte mich. Ficken? Ich spähte vorsichtig umher, um zu überprüfen, was meine Nachbarn gerade machten. Glücklicherweise saß ich ganz hinten, sodass mir niemand ungemerkt über die Schulter starren konnte. Erleichterte seufzte ich auf, als ich feststellte, dass sie alle eigenen Dingen nachgingen und sich nicht für mein Zettelchen interessierten. Bist du noch zu retten?, kritzelte ich hastig und spähte wieder kurz aus den Augenwinkeln umher. Dann warf ich Jared das Papier geknüllt an den Kopf. Er drehte sich zu mir um, schaute mich kurz an und bückte sich dann nach dem Zettel. Ich beobachtete ihn dabei, wie er sich nach vorne drehte und schaute seinen Bewegungen zu. Er gab mir den Zettel zurück. Willst du nicht? Ich schnaubte leise. Was war denn das bitte für eine Frage? Hatte ich in dem halben Jahr je nein zu ihm gesagt? Das ist es nic … Weiter kam ich nicht, denn Jared hatte sich wieder zu mir umgedreht und sah mir dabei zu, wie ich mich ans Antworten gemacht hatte. Er entriss mir den Zettel wieder, ehe ich meinen Satz beenden konnte und schrieb schnell etwas unter meine unvollständige Antwort. Okay, lass mich raten. Du hast es langsam satt, dass wir bei jedem unserer Treffen vögeln, bist genervt, dass ich scheinbar nur an das Eine denke und dir permanent das Hirn aus dem Kopf ficke? Du willst was mit Händchen halten und Romantik und Kerzen und Rosen und Liebesgeständnisse und so? Du möchtest, dass ich freundlicher frage? Ich liebte seine Wortwahl, seine unverblümte Direktheit, mit der er die Sachen anging. Wie selbstkritisch er doch war. Ich seufzte. Er interpretierte zu viel in irgendwas hinein. Mit gespreizten Fingern fuhr ich mir durch die Haare und schüttelte dann den Kopf als Erwiderung auf seine geschriebenen Worte. Er sah mich an. Als würde ich es satt haben, dass er das tat. Eigentlich müsste er am besten wissen, dass ich es genoss. Außerdem führten wir keine reine Fickbeziehung. So war das nun wirklich nicht. Auf einmal wurde sein Blick skeptisch. Jared hatte schmale Augen und musterte mich eingehend. Er hatte seine Grüblerfurche zwischen den Augenbrauen. Das gefiel mir nicht. Dieser Blick … als würde er versuchen, auf meine Seele schauen zu wollen. Hast du einen anderen? Ich fiel fast vom Stuhl, als ich die Worte las. Wie um alles in der Welt kam er denn jetzt darauf? Erschrocken sah ich ihn an, doch sein Blick blieb ungerührt. Er wog meine Reaktion ab. Dachte er, ich fühlte mich ertappt? Ich kaute auf meiner Lippe herum. Es gefiel mir nicht, dass er glaubte, ich würde ihn betrügen. Sah ich wirklich so aus? Als würde ich ihn hintergehen? Das war traurig. Seine Frage blieb also unbeantwortet. Sozusagen. Er hatte den Zettel einfach zerknüllt, ehe ich antworten konnte, und ich seine Federtasche gesteckt. Für den Rest der Stunde hatte er sich nicht mehr zu mir umgedreht. Irgendwie hatte ich ein schlechtes Gewissen. Ich wollte nicht, dass er daran dachte, ich würde untreu sein. Das war absolut irrsinnig. Für den Rest des Tages fühlte ich mich unbehaglich. Ich war froh, als der Unterricht beendet war und ich nach Hause konnte. Draußen regnete es. Wunderbar. Ich hatte meine Jacke im Auto vergessen. Kurzerhand zog ich mir die Kapuze meines Pullovers über den Kopf, zog die Schultern hoch und hastete zu meinem Auto. Regen war etwas, das ich überhaupt nicht mochte. Aufseufzend zog ich mir die Kapuze wieder vom Kopf und lehnte mich nach hinten. Im selben Moment öffnete sich die Beifahrertür und Jared ließ sich auf den Sitz gleiten, ehe er die Tür wieder zufallen ließ. Auf dem Parkplatz herrschte so viel Wirrwarr, dass niemand es mitbekam. Er schaute mich an. Ich schaute zurück. Mein Magen fühlte sich an wie ein großer, schwerer Klumpen. »Zu mir oder zu dir?«, fragte er mich dann. Auf einmal breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. Ich kannte es. Es war mir vertraut und ich liebte es. Erleichterung machte sich in mir breit. Also glaubte er nicht, dass ich ihn betrog oder auch anlog diesbezüglich. Es tat gut, das zu wissen. Ich schnallte mich an, bevor ich den Motor des Wagens startete. »Meine Mutter ist heute nicht da«, erzählte ich nachdenklich, während ich das Auto aus der Einfahrt zum Schulparkplatz lenkte. »Wunderbar. Ich war schon lange nicht mehr bei dir«, meinte Jared und ich warf ihm einen kurzen Blick zu. Er hatte mir oft gesagt, dass er gern bei mir zu Hause war. Sich bei mir regelmäßig zu treffen, war aber gar nicht so einfach, denn meine Mutter war öfter zu Hause als seine. Ich lächelte leicht. Es gefiel mir, dass er gern bei mir war. Das hatte immerhin etwas zu bedeuten. »Dann also zu mir«, sagte ich und nickte bestätigend. »Sag mal, willst du wirklich mehr Romantik? Mehr von diesem ganzen Liebesgetue oder so? Stört es dich inzwischen, dass wir so tun, als wären wir einander fremd?«, wollte er dann plötzlich wissen. Ich klammerte die Hände fest um das Lenkrad und starrte nach vorn. Wie kam er denn auf diesen Schwachsinn? Das passte gar nicht zu ihm. Er nahm zwar Rücksicht auf mich und war kompromissbereit, aber das war schon eindeutig Überfürsorge und das gefiel mir nicht. Er sollte sich wegen mir nicht selbst aufgeben. Das wollte ich nicht, das war es nicht, was ich erwartete. »Blödsinn«, murmelte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen. »Ich war nur erschrocken, dass du mir diesen Zettel im Unterricht gegeben hast, wo jeder es hätte mitbekommen können. Du kannst beruhigt sein. Ich bin zufrieden so, wie es jetzt ist. Ich bin kein Mädchen, ich brauche keine Romantik.« Jared blieb eine Weile still, dann lachte er. »Das wär’ doch was. Ein Hausmädchen-Dress.« Ich hatte leider keine Möglichkeit ihn fassungslos und entrüstet anzustarren. Hatte er das gerade wirklich gesagt? Ich presste die Lippen pikiert aufeinander und verscheuchte das Bild aus meinen Gedanken. Bei aller Liebe, aber ich würde niemals — NIEMALS — ein Kostüm dieser Art anziehen. Mochte zwar sein, dass ich eine Beziehung zu einem anderen Kerl führte, aber ich war nun nicht so … schwul. Jared lachte nur noch lauter, er streckte seine Hand aus und wuschelte durch meine Haare. »Das war durch nur ein Witz, Bambi. Du glaubst doch nicht im Ernst, ich will dich als Hausmädchen verkleidet sehen?«, sagte er zu mir und tätschelte meine Wange. Ich lief einmal mehr feuerrot an. Seine Finger fühlten sich kalt auf meiner erhitzten Haut an. Er hatte es mal wieder geschafft, dass ich mich in Grund und Boden schämte, dass er mich so aufgelöst sah. Warum wurde ich bei diesem Idioten immer rot? Das Leben war doch unfair. »Lass deine Witze«, blubberte ich verschämt und drehte den Kopf so, dass seine Finger mein Gesicht nicht mehr berührten. Ich sah ihn aus den Augenwinkeln lächeln. So leicht ließ er sich nicht abwimmeln. Er liebte es, wenn ich rot wurde. Seine Fingerspitzen fuhren meinen Hals entlang und erst als sie auf Stoff stießen, zog Jared seine Hand wieder zurück. Es war fast ungewohnt, dass meine Mutter nicht da war, als ich nach Hause kam. Sie arbeitete meistens nachts und war tagsüber zu Hause, aber heute hatte sie Schichtwechsel, weswegen sie weg war. Ich schaltete das Licht im Flur an, nachdem ich die Haustür aufgeschlossen hatte. Jared schlängelte sich an mir vorbei und zog bereits Jacke und Schuhe aus, als ich die Tür schloss. Ich warf meine Tasche an den Treppenabsatz und ging dann vor in die Küche. Er folgte. »Hast du Hunger?«, fragte ich Jared, als ich den Kühlschrank öffnete und einen Blick hineinwarf. Gähnende Leere. Wie so oft. Meine Mutter vergaß es andauernd, einkaufen zu gehen, deswegen war ich meistens derjenige, der dafür verantwortlich war, dass der Kühlschrank gefüllt blieb. Ich seufzte. Eigentlich hatte sich meine Frage von selbst erübrigt, wenn es nichts gab, dass ich Jared hätte anbieten können. »Ich schätze, nein«, erwiderte Jared, der über meine Schulter schaute. Irgendwie war es eine peinliche Lage. Wie sah es denn aus, wenn jemand nichts im Kühlschrank hatte? Ich schaute mich in der Küche um. Gab es denn nichts …? Jared grinste, dann wühlte er erneut durch meinen Haarschopf. »Ich hab vorhin gegessen, also mach dich nicht verrückt«, sagte er amüsiert. Ich seufzte und setzte mich auf die Anrichte. Das hieß, dass ich später noch einkaufen fahren musste, wenn ich für heute Abend etwas zu essen haben wollte. Außerdem würde Mom sicher auch Hunger haben, wenn sie nach Hause kam. Meine schusselige Mutter. Bei dem Gedanken an sie musste ich lächeln. Jared stellte sich zwischen meine Beine und legte die Hände auf meine Oberschenkel. So war ich sogar größer als er, wenn auch nur ein unbedeutend kleines Stück. »Lerne ich deine Mutter auch endlich mal kennen?«, wollte er dann wissen und schaute mich neugierig an. Ach ja. Das stand ja auch noch aus. Zwar kannte ich seine Mutter, er meine aber nicht. Ich hatte es immer vermieden, ihn mit zu mir zu nehmen, wenn sie hier war. Zwar hatten wir ausgemacht, dass ich sie ihm vorstellen würde, wenn auch nicht als meinen Freund, aber bisher hatte ich es immer noch nicht in die Tat umgesetzt. Ich kämmte mit den Fingern beider Hände durch seinen inzwischen wieder etwas länger gewordenen, dunklen Haarschopf und grub mich darin fest. Jareds tiefbraune Augen schauten mich erwartungsvoll und zugleich liebevoll an. »Morgen. Versprochen«, sagte ich dann und er lächelte. Ich lehnte meine Stirn an seine. »Es tut mir leid.« »Was genau?«, hakte er nach. »Dass ich dich dazu zwinge, mein Geheimnis zu bleiben«, erwiderte ich leiser und schloss die Augen. Ich hatte seinen Duft in der Nase. Ich hörte ihn leise lachen. »Du zwingst mich zu gar nichts«, widersprach er mir und strich über meine Beine. »Das mache ich ganz freiwillig. Außerdem gefällt mir der Gedanke irgendwie, dass ich dein kleines, schmutziges Geheimnis bin, denn meines bist du auch.« Ich hätte am liebsten aufgestöhnt. Immer hatte er nur die dreckigsten Gedanken im Kopf. Es war nicht zu fassen, was er alles in etwas Derartiges umwandelte. Trotzdem hatte ich ein schlechtes Gewissen. Bei Jared konnte ich mir nie sicher sein, ob er es ernst meinte, oder einfach nur sagte, um mich zu beruhigen. Er strich mir mit den Lippen vorwitzig über den Hals, fuhr dann mit ihnen meine Kieferlinie nach und hauchte mir einen Kuss auf den Mundwinkel. Ich zog sein Gesicht zu mir heran und drückte ihm meine Lippen auf den Mund. Jareds Hände glitten über meine Oberschenkel zu meinen Kniekehlen und er schlang meine Beine um seine Hüfte. Seine Lippen liebkosten meine, ehe seine Zunge sich in meinen Mund schob. Wir lieferten uns einen Kleinkrieg, vorwiegend in meinem Mund, während ich seine Hände an meinem Hosenbund spürte. Ich entließ ein Keuchen in den Kuss, als ich gedanklich den Punkt »Sex in der Küche« abstrich. ❀ Ich hatte mein Zimmer von allen Kerzen befreit, bevor ich es am nächsten Morgen verließ. Wie sah es denn aus, wenn ich plötzlich Kerzen im Zimmer hatte? Es goss draußen wie aus Eimern, als ich am nächsten Morgen aus dem Haus ging. Jared hatte sich noch gestern Nacht aus dem Haus geschlichen, als meine Mutter bereits wieder zu Hause, aber im Bett war. Ich gähnte herzhaft, während ich die Autotür öffnete und mich auf den Fahrersitz gleiten ließ. Der Tag begann einfach viel zu früh. Ich lief durch den Schulflur zu meinem Spind und gab den kleinen Zahlencode ein. Während ich meine Bücher herausholte und sortierte, klopfte mir jemand auf die Schulter. Als ich mich umdrehte, sah ich Rebecca Thurstone. Sie lächelte mich strahlend an. Rebecca war mitunter eines der beliebtesten Mädchen der Schule, sie war in meinem Jahrgang. Ich hatte mal eine Phase, in der ich für sie geschwärmt hatte, aber das lag schon ewig zurück. Damals war ich mir noch nicht bewusst gewesen, dass ich auf eine flache Brust stand anstatt auf Brüste. Seither hatte ich ihr eigentlich keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt. Sie war wie jemand, der einfach da war, den man flüchtig kannte und zum alltäglichen Leben gehörte. »Hey, Nate«, sagte sie lächelnd und legte den Kopf ein wenig schräg. Rebecca zeigte mir ihre makellos weißen Zähne, ehe sie kurz ihre blonde Mähne schüttelte. »Du bist doch so ein Mathegenie. Ich hab gerade fürchterliche Probleme und deswegen wollte ich dich fragen, ob du mir vielleicht heute eine Nachhilfestunde geben könntest?« Ich war mir nach dem folgenden Augenaufschlag nicht mehr sicher, ob es ihr wirklich um Mathe ging. Aber andererseits sollte es für mich keine Rolle spielen. Sie hatte mich vorher nie beachtet. Ich war mir sogar absolut sicher, dass sie nie gewusst hatte, dass ich überhaupt existierte. Damals hatte ich so aus der Ferne angehimmelt. Rebecca hatte nie erfahren, dass ich mal auf sie gestanden hatte. Warum sollte sie ausgerechnet jetzt damit anfangen? Außerdem hatte sie einen Freund, soweit ich wusste. Den Star des Footballteams — wie sollte es auch anders sein? »Klar. Heute nach Unterrichtsende?«, erwiderte ich und packte eines der Bücher, das ich nicht brauchte, zurück in den Spind. Rebeccas Lächeln wurde etwas breiter. Sie hatte ihre Bücher ganz mädchenhaft an ihre Brust gepresst, die Arme gekreuzt und hielt sich daran fest, als wäre es ein Rettungsring. Vielleicht war das ein Klischee, aber … nun ja. Ich kam mir in diesem Moment vor wie in einer dieser Schulmädchenromanzen, die in einer Endlosschleife im Fernsehen gezeigt wurden. Wenn Fernsehen zur Realität wurde … »Ja, das wäre klasse«, sagte sie. »Dann bis später, Nate.« Ich sah ihr nach, als sie den Flur entlang spazierte, gefolgt von ihrem Fußvolk, namentlich ihrem persönlichen Fanclub von Mädchen, die etwas von ihrem »Glamour « abhaben wollten. Rebecca warf einen Blick über ihre Schulter, lächelte mich wieder an und drehte den Kopf dann wieder nach vorn. Ich zog die Augenbrauen hoch. Wäre mir das doch vor ein paar Jahren passiert, da wäre ich glücklich darüber gewesen, dass sie mich angebaggert hatte. Wie brachte man einem der beliebtesten Mädchen der Schule bei, dass man sie nicht wollte? »Rivers«, sagte jemand neben mir und ich wandte mich um. Die Stimme zu meinem persönlichen Glück. Ich riss mich zusammen, um nicht loszustrahlen wie ein radioaktiv verseuchtes Glühwürmchen im Wald. Ich setzte eine unbeteiligte Miene auf. Jared hatte sich seine Tasche über die Schulter gehängt. Seine Haare sahen schwarz aus, weil sie feucht waren. Wassertropfen perlten über sein Gesicht. Dafür schienen seine Augen allerdings heller zu sein, mit einem sanften Stich ins Grüne. Mich trag der Schlag, als ich ihn sah. Aber ich riss mich zusammen und schmachtete ihn still an, während ich mich nach außen hin völlig gelassen gab. »Wie sieht’s aus? Es steht noch der Vortrag für Englisch an, den wir machen müssen? Hast du das schon wieder vergessen?«, fragte er und schüttelte kurz den Kopf. Kleine Wassertropfen flogen durch die Gegend und verloren sich irgendwo. Im ersten Moment dachte ich, er würde sich gerade eine Möglichkeit einfallen lassen, mit mir zu reden, aber wir hatten in der Tat einen Referat, das wir in Englisch zusammen halten sollten. Dabei bot sich a) die Gelegenheit, sich außerschulisch zu sehen, ohne dass es verdächtig wirkte, und b) konnte ich ihm auch gleich meiner Mutter vorstellen. »Oh … ja. Ja, lass uns das heute machen«, lenkte ich ein und legte mir den Riemen der Tasche über die Schulter, bevor ich den Spind schloss. Dann wandte ich mich wieder zu Jared um. »Heute Nachmittag bei mir?« »Alles klar«, meinte Jared und ließ seinen Blick kurz durch den Flur schweifen, ehe er mich wieder ansah. »Nimmst du mich mit?« »Das wäre theoretisch kein Problem, aber ich gebe nach dem Unterricht noch eine Nachhilfestunde. Du könntest solange warten …«, erklärte ich. Ich sah, wie Jared verwundert eine seiner Augenbrauen hob. Er war offensichtlich erstaunt, dass ich eine Nachhilfestunde gab, aber natürlich sagte er nichts dazu. Das würde er heute Nachmittag tun, wenn wir allein waren. »Ich warte. Wir sehen uns dann«, erwiderte Jared dann, strich sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht. Er machte Kehrt und ging in die Richtung davon, aus der er gekommen war. Irgendwie hatte ich ein schlechtes Gewissen, dass er gerade triefend durch die Schule lief. Ich hätte ihn eigentlich abholen können, auch wenn das vielleicht seltsam ausgesehen hätte. Aber bei Fragen hätten wir immer noch behaupten können, ich hätte Jared aufgelesen vor lauter Mitleid. Nach dem Unterricht fiel mir ein, dass ich mit Rebecca gar nicht ausgemacht hatte, wo wir uns treffen wollten, doch sie fand mich, ehe ich überhaupt auf die Idee gekommen war, nach ihr zu suchen. Wie aus dem Nichts tauchte sie neben mir auf und lächelte mich wieder blendend an. Sie führte mich zielstrebig in den Musikraum und während wir nebeneinander herliefen, dachte ich darüber nach, wie ich Jared am besten meiner Mutter vorstellen sollte, ohne den Verdacht zu erregen, ich würde etwas mit ihm am Laufen haben. Meine Mutter war ein sehr aufmerksamer Mensch. Es war schwer, etwas vor ihr zu verbergen. Sie kannte mich unglaublich gut und manchmal machte sie mir wirklich Angst damit. »Okay«, sagte ich, als wir saßen und sie ihren Block herausgeholt hatte. Sie hatte die Beine übereinander geschlagen und stützte den Ellbogen auf der Tischplatte ab, während sie ihr Kinn auf ihren Handballen bettete. »Was genau verstehst du denn nicht?«, fragte ich und warf einen Blick auf den Block, der vor ihr lag. Sie schaute mich unschuldig und lächelnd an. Dann erklärte sie mir kurz, worum es ging. Sie rutschte mit ihrem Stuhl näher an meinen heran, aber das fiel mir erst auf, als ich plötzlich ihre Hand auf meinem Oberschenkel hatte. Warum lief es immer darauf hinaus? Das hier war so wahnsinnig absehbar gewesen und ich Volltrottel lief natürlich mitten hinein. Wie naiv war ich eigentlich? »Rebecca —«, begann ich, doch sie unterbrach mich sofort. »Nenn mich Becky«, hauchte sie mir ins Ohr. Und im nächsten Moment saß sie auf meinem Schoß und presste mich gegen die Rückenlehne meines Stuhls. Ich starrte sie an. Warum geschah das jetzt? Warum nicht dann, als ich noch in sie verknallt gewesen war? »Ich denke nicht, dass …« Sie legte mir einen Finger an die Lippen, mit der anderen Hand fuhr sie über meine Brust. Eigentlich hätte ich etwas wie einen Fluchtinstinkt spüren sollen. Eigentlich. Es gab immer einen Haken. Ihre Hände fuhren bis zu meinem Hosenbund und wieder hinauf, ehe sie ihre Hände fast grob in meine Haare krallte. Ich konnte ihr Gewicht auf meinen Beinen spüren, fühlte ihren Atem auf meiner Haut. Sie war so weich und zierlich. Ein Mädchen. Ihre Lippen berührten fast meine, als sie sich meine Hände auf ihre Brüste legte. Das war meine Ernüchterung. In diesem Moment erwachte mein Fluchtinstinkt. In diesem Moment wusste ich wieder — und ich wusste es mit einer überwältigenden Gewissheit — dass ich nicht auf Möpse stand. Dass ich gerade einen Fehler beging, über den ich gestern noch erschrocken und empört zugleich gewesen war. Als würde ich Jared betrügen, hatte ich mir gesagt. Aber ich war gerade dabei gewesen, es zu tun — und das auch noch mit einem Mädchen. Das war erbärmlich. Ich war wirklich taktlos, denn ich warf Rebecca nahezu runter von mir. Sie stieß einen überraschten Schrei aus, als sie von meinen Beinen rutschte. In Windeseile hatte ich mein Zeug zusammen gepackt und sah sie an. »Es tut mir wirklich leid, Rebecca. Aber das hier fällt dir ein paar Jahre zu spät ein«, sagte ich zu ihr, ehe ich fluchtartig den Musikraum verließ. Doch ich kam nicht weit, denn direkt vor dem Musikraum saß Jared auf einem Kasten und trommelte mit den Hacken seiner Füße gegen das Teil. Er sah auf, als ich aus der Tür gestürmt kam. Ich sah seinen Gesichtsausdruck. Absolute Ausdruckslosigkeit. Ich hasste mich selbst. Er hatte es gesehen, was gerade geschehen war. Hatte gesehen, was beinahe geschehen wäre. »Jared, ich …«, begann ich, hielt aber inne. Er starrte mich ohne jegliche Regung an. Er war völlig ruhig. Als wäre es ihm egal. Dieser Gedanke versetzte mir einen Stich. Ich wollte nicht, dass es ihm egal war. Ich biss mir auf die Zunge. Was sollte ich jetzt sagen? »Ich kann das alles erklären« wäre wohl ziemlich armselig gewesen. Aber ich konnte es erklären. Was ich nicht erklären konnte, war die Tatsache, dass mir der Fehler erst so spät wirklich klar geworden war. Als es schon fast zu spät gewesen war. »Es tut mir leid«, sagte ich dann schließlich und seufzte tief, raufte die Haare und ließ meine Arme dann hängen. »Es tut mir so leid. Ich … ich weiß nicht, was mich da gerade geritten hat …« »Eine Frau«, sagte er teilnahmslos und zuckte mit den Schultern. Wieder ging ein Stich durch meinen Körper. Es tat unerwartet stark weh, dass er so desinteressiert reagierte. »Es ist … es ist wirklich nichts passiert. Kein Kuss, nichts … Ich könnte nicht. Sie ist ein Mädchen … sie ist so … so … weich und … ich meine, sie hat Brüste.« Jared lachte auf, diesmal klang es aber ehrlich und mit Emotion, als hätte ich einen Witz gemacht. Er sprang von der Kiste und kam auf mich zu, bis er direkt vor mir stand. Dann tippte er mir mit einem Finger fest an die Stirn. »Das haben Mädchen eben so an sich«, klärte er mich fachmännisch auf und schüttelte den Kopf. »Schön, dass es dir aufgefallen ist. Jedenfalls kann ich dir jetzt endlich eine Urkunde ausstellen. Herzlichen Glückwunsch, Nathaniel Rivers, du bist nun ein vollwertiges Mitglied der Schwanzlutscher-Gesellschaft. Wenn die beiden Ms dich kein Stück geil machen, bist du hier genau richtig.« Ich starrte ihn an. Machte er sich gerade über mich lustig? Verwirrt blinzelte ich, aber Jared grinste sein schiefes Grinsen und schien sichtlich belustigt über meine Reaktion zu sein. Ich zog irritiert die Augenbrauen zusammen. »Die … beiden Ms?«, fragte ich unsicher und Jared lachte. »Muschis und Möpse«, erklärte er mir und grinste mich an, als wäre ich geistig zurückgeblieben. »Ah«, machte ich wissend und nickte. Etwas Geistreicheres fiel mir in diesem Moment einfach nicht ein. Ich fühlte mich wie der letzte Vollidiot. Krampfhaft versuchte ich zu begreifen, was gerade vor sich ging, was passiert war und was Jared gesagt hatte. Das erschien mir nicht plausibel. Ich sah ihn verstört an. »Du wolltest mich endlich deiner Mutter vorstellen. Und da du deine Nachhilfestunde in praktischer Biologie beendet hast, können wir uns dem doch jetzt zuwenden oder hast du noch etwas geplant?«, sagte Jared und runzelte nachdenklich die Stirn. Ich glotzte ihn immer noch an und sah vermutlich aus wie eine Kuh, wenn’s donnert. Aber irgendwie konnte ich Jareds Gedankengänge nicht nachvollziehen. War er denn nicht sauer? Wütend? Wollte er mir nicht eine runterhauen? Ich begriff es einfach nicht. Was um alles in der Welt geschah hier denn? »Oder willst du Sex im Lehrerzimmer?«, wollte er wissen und schaute mich unschuldig an. Mein Hirn nahm seine Funktion langsam wieder auf und verarbeitete die Flut an aufgestauten Informationen. Ich sah Jared eine Weile lang schweigend an. »Ich … möchte nicht, dass du mein schmutziges, kleines Geheimnis bist«, sagte ich dann langsam. »Jared …« »Nate. Hast du eigentlich immer solche Startschwierigkeiten?« Er grinste mich an, bevor er meine Hand nahm. Und dann legte er seine Lippen sanft auf meine und ich wusste, zu wem ich gehörte. Ich nahm meine Urkunde zu gern entgegen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)