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Es war ein Sommer

von

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Aller Anfang ist schwer

„Meine Liebe, wo willst du denn hin?“ Die Sonne stand erbarmungslos am Himmel und brachte die Küstenstadt La Brise zum Schwitzen. Kyoko zog sich ihre Kappe noch tiefer ins Gesicht, um den quälenden Strahlen zu entgehen. 40° C im Schatten waren auch ihr zu viel. „Ich suche nach unserem Hotel! Was denn sonst?“, sagte Kanae aufgebracht und stapfte davon. „Warte! Maria, komm!“ „Ja, O-nee-sama!“ Die Kleine hob hastig ihren Koffer auf und folgte den beiden Frauen der Straße entlang.
 

Ein Bus hatte sie, nachdem sie in Frankreich angekommen waren, in die kleine Küstenstadt La Brise gebracht und sie an einer Haltestelle einfach abgesetzt. Nun waren sie auf der Suche nach ihrem Hotel, dass am Rand der Stadt sein und einen fantastischen Blick auf das Meer zeigen sollte. Doch stattdessen irrten die drei durch die Gassen der Kleinstadt.

„Ich sag dir,“ begann Kanae, „ich lass mich nie wieder auf so einen Urlaub ein!“ „Aber meine Liebe, es war doch die Idee des Präsidenten! Wir sollten uns mal so richtig erholen. Wir hatten ja auch schon ewig keinen Urlaub mehr.“ „Ach, wer braucht schon Urlaub?“ Verächtlich blickte Kanae über ihre Schulter zu Kyoko, die hinter ihr lief. „Ich will schauspielern und berühmt werden! Das werde ich sicherlich nicht, wenn ich hier in so einem kleinen Kaff hänge!“ Ihre Laune verschlechtete sich Minute um Minute. Maria blieb lieber ganz still. Sie hatte Kanae die ganze Zeit im Bus ertragen müssen. Sie freute sich sehr auf diesen Urlaub und hatte stundenlang bei ihrem Großvater gebettelt, um mitfahren zu dürfen. Ein Urlaub mit ihrer O-nee-sama hatte sie sich schon immer gewünscht! Das hieß zwar, dass sie ihren heißgeliebten Ren-sama für 2 Wochen nicht sehen würde, aber das nahm sie in Kauf. Doch das die Stimmung so in den Keller gehen würde, hatte sie nicht gedacht.

„Meine Liebe, warum fragen wir nicht einfach jemanden? Irgendwer muss ja wissen, wo das Hotel Sur la mer ist.“ Kanae blieb stehen und sah sich gründlich um. Aber sie konnte keinen einzigen Menschen auf den Straßen entdecken. Was nicht verwunderlich ist bei dieser Hitze. Erschöpft wischte sie sich über das Gesicht. „Wisst ihr was? Wir setzen uns jetzt irgendwo in den Schatten und warten bis es kühler wird.“ Maria war begeistert. So machten sie sich nun eben auf die Suche nach einem schattigen Plätzchen. Unter einem großen Baum setzten sie sich nieder und streckten die müden Beine aus. Kyoko schloss die Augen und genoß die angenehme Kühle.

„O-nee-sama?“ „Mhhh.“ „Ich weiß nicht, aber könnte es sein, dass sich Großvater geirrt hat?“ „Geirrt? Wobei denn?“ „Na, er meinte doch, dass wir uns erholen sollten und nun stapfen wir schon seit Stunden durch diese kleine Stadt. Hätten wir nicht schon längst das Hotel finden müssen? Warum hat er uns eigentlich mit dem Bus fahren lassen? Ihr seid doch Schauspieler. Kann man da nicht was besseres erwarten?“ „Nein. Er meinte auch, dass wir mal aus unseren Alltag und unserem Schauspielerdasein heraus sollten, um dann mit neuer Kraft wieder bei einem neuen Projekt zu starten.“ Die Kleine nickte verstehend. Kyoko blinzelte verstohlen zu ihr hinunter. Da kam ihr ein Gedankenblitz. „Wartet einen Moment“, sagte sie und war auch schon aufgesprungen. „Aber...“ „Lass sie“, meinte Kanae, die ebenfalls die Augen geschlossen hatte. „Wenn sie unbedingt hinaus in die Sonne will, soll sie machen. Sie wird schon wieder kommen!“ Maria sah die Freundin ihrer O-nee-sama verwundert an. Und die beiden sind wirklich beste Freundinnen???
 

Die Minuten vergingen.

„Maria! Kanae! Seht mal!“, rief Kyoko ihnen zu. Sie hielt den beiden jedem eine Eistüte entgegen. Neben ihr stand ein unbekannter Mann. „Das ist David Gaelle. Ich habe ihn vor dem Eisstand getroffen und er wäre bereit uns zum Hotel zu fahren. „Wirklich?“ Maria war ganz aus dem Häuschen. Denn dieser David fuhr nicht nur ein Cabrio, sondern sah auch noch gut aus. Natürlich nicht so gut, wie ihr Ren-sama, aber immerhin könnte er es fast mit ihm aufnehmen. Kanae stand schwerfällig auf und betrachtete den Unbekannten eingängig. „Nun gut. Wenn Sie uns dieses nette Angebot machen, können wir wohl schlecht ablehnen.“

Begegnungen am Strand

Der Wind streichelte angenehm die Haare der Insaßen des roten Cabrios. Geschickt schlängelte er sich durch die engen Gassen bis er zu einer großen Hauptstraße etwas außerhalb der Stadt kam.
 

„Ach, was ich Sie fragen wollte, wenn ich darf.“ „Natürlich, ähm... Kyoko-san?“ „Gut.“ Kyoko saß neben ihrem Wohltäter David Gaelle und lächelte ihn etwas verlegen an. „Weshalb sprechen Sie so gut Japanisch?“ „Ich war für 3 Jahre an der Tokyo Uni und habe dort eure Sprache erlernt. Ich habe dich deshalb auch vor dem Eisstand angesprochen. Ich wollte einmal wieder japanisch sprechen. Eure Kultur ist wirklich interessant!“ „Was haben Sie denn studiert?“, mischte sich jetzt Maria ein. „Psychologie.“ „Oh, toll!“ Maria hatte sich weit über den Vordersitzen gelehnt, um dem Gespräch folgen zu können. Kanae dagegen saß neben ihr und streifte mit ihren Augen die Landschaft, die an ihnen vorüberzog.

„Es wäre mir eine Freunde, wenn ich euch meine Heimat zeigen dürfte. Hättet ihr Interesse?“ Kyoko sah kurz zu Kanae. Dann zu Maria, die sie mit strahlenden Augen ansah. „Sehr gern.“ „Gut, wie lang werdet ihr in La Brise anzutreffen sein?“ „Ab heute 2 Wochen“, antwortete Kyoko.

Der Wagen fuhr nun einen Hügel hinauf, auf dem ein einladendes Gebäude stand. Vor diesem hielt er an.

„So, wir sind da.“ David lächelte und zeigte auf das Hotel Sur la mer. „Ich gebe euch meine Nummer und wenn ihr Lust und Zeit habt, könnt ihr mich einfach anrufen. Ich habe in nächster Zeit nichts vor.“ Er reichte Kyoko eine Visitenkarte. „Vielen Dank für das Angebot und dass Sie uns hergebracht haben“, sagte Kyoko und verbeugte sich höflich. „Keine Ursache. Man hört von sich.“ David half noch Maria und Kanae beim Entladen der Koffer und verabschiedete sich. Der rote Cabrio fuhr davon.
 

Nun standen sie allein vor dem Hotel und betrachteten es staunend. Ein großes, weißes Gebäude zierte die Klippe. Nur wenige Meter vom Absturz ins Meer entfernt und von Bäumen und Pflanzen beschmückt, lag es vor ihnen.

„Mademoiselle Mogami? Mademoiselle Kotonami et Mademoiselle Takarada?“, kam eine freundliche Stimme vom Eingang her. „Ja, das sind wir“, antwortete Kanae. Die Beschäftigte des Hotels bat sie ihr zu folgen und führte sie ins Haus.

Sie zeigte ihren ihre Zimmer und wünschte ihnen einen angenehmen Aufenthalt.
 

„Kanae, würdest du mir bitte helfen?“, jammerte ein kleiner Bettwäschehaufen. „Maria?“ „Ja?“, kam es gedämpft heraus. „Was hast du denn nur gemacht?“, fragte Kyoko besorgt. „Da merkt man eben, dass sie noch ein kleines Kind ist“, kommentierte Kanae und befreite sie mit wenigen Griffen. „Ich bin kein kleines Kind mehr!“, rief Maria entrüstet. Doch Kotonami schenkte ihr nur einen abwertenden Blick. „O-nee-sama! Sag doch auch mal was!“, bat das kleine Mädchen verzweifelt. Doch diese war augenblicklich verschwunden. „Siehst du? Du kannst dich nicht immer hinter deiner „O-nee-sama“ verstecken“, lachte Kanae.

„O-nee-sama? Wo bist du?“ „Ich komme gleich!“, drang es durch die Badtür. „Was hat sie denn nun schon wieder vor?“, seufzte ihre große Freundin und ließ sich auf das Bett fallen.

„Und wie gefalle ich euch?“ Kyoko strahlte ihre Begleiterinnen glücklich an und wartete ungeduldig auf deren Antwort. „Kyoko? Was...“ „Du siehst toll aus!“, unterbrach sie Maria. „Ich wusste gar nicht, dass du dir einen neuen Bikini gekauft hast! Etwas nur für diesen Urlaub?“ „Ja“, lächelte Kyoko verlegen. „Willst du jetzt zum Strand?Dann komme ich natürlich auch mit! Und Kotonami...“ „Ich bleibe hier. Geht ruhig. Ich habe für heute genug erlebt und brauche erstmal eine kleine Pause. Ich komme einandermal mit.“ „In Ordnung. Maria kommst du?“ „Ja, bis dann.“
 

„Wahnsinn!“ Kyoko hielt ihre Hand vor ihre Augen und ließ ihren Blick über das Meer schweifen. Kleine Wellen verliefen im Sand. Noch einige andere Menschen waren an den Strand gekommen und freuten sich über die willkommene Abkühlung. „Ist das schön hier!“ Wie verzaubert spazierten die beiden über den warmen Sand – es war in der Zwischenzeit später Nachmittag und kühler geworden. Unter den verwunderten Blicken der Einheimischen suchten die beiden Japanerinnen sich ein Plätzchen, wo sie ihre Decke ausbreiten konnten.

„Wollen wir ins Wasser?“, fragte die Jüngere gespannt. „Gern!“ Kyoko strahlte übers ganze Gesicht. Und schon liefen sie lachend und jubelnd in das erfrischende Nass.
 

„Können Sie nicht aufpassen?“, schrie eine Stimme empört. „Was? Wie?“ Kyoko sah sich verdutzt um. Sie war doch nur laut spitzend ins Wasser gerannt. Was sollte denn daran falsch sein? War das denn verboten? Doch nun ergriff sie das Entsetzen. Der Mann nur einen Meter neben ihr hielt eine große Kamera in der Hand, mit der anderen versuchte er das Objektiv zu trocknen. „Es...es tut mir so Leid! Bitte entschuldigen Sie! Es war nicht meine Absicht“, stammelte sie erschrocken. „Dass will ich auch hoffen, Kleine!“ Er betrachtete Kyoko grimmig. „Was haben Sie denn auch eine Kamera mit im Wasser?“, empörte sich Maria. „Da müssen Sie doch wissen, dass sie naß werden kann!“ „Na, was werde ich wohl mit einer Kamera machen, kleines Fräulein Neunmalklug?“, spuckte er sarkastisch. „Ich wollte sie schon immer mal im Meer waschen. Habe aber leider die Seife vergessen. Könntest du mir bitte helfen?“ Düster grinste er und beugte sich zu ihr hinunter. „Nein, Kleine. Du bist es nicht wert“, sagte er verächtlich, schüttelte den Kopf und erhob sich. „Macht, dass ihr fort kommt! Wir arbeiten hier! Das ist kein Platz für kleine Mädchen wie euch!“

„Was ist hier los? Warum geht es nicht weiter? Robert, was ist?“ Der grimmige Mann namens Robert drehte sich genervt um. „Nichts. Zwei freche Gören haben nur meine Kamera bespritzt.“ Er deutete auf Kyoko und Maria. „Ich muss Sie bitten aus dem abgesperrten Bereich sich zu entfernen.“ „Abgesperrter Bereich?“, fragte Kyoko verdutzt. „Ja“, sagte der andere, freundlich aussehende Mann. „Von da bis da“, er machte eine Handbewegung. „Wir machen hier eine Fotostory für ein Jugendmagazin und wünschen nicht gestört zu werden.“ „Oh, bitte entschuldigen Sie. Das haben wir nicht gewusst“, sprach Kyoko hastig. „Wir wollten nur.....“ „Mogami-san? Was machst du hier?“ Die Angesprochene blickte um sich. Woher war die Stimme nur gekommen? Ihre Augen weiteten sich augenblicklich. „Was....was machen SIE denn hier?“

Stars und Ekelpakete

„Ren-sama!“, rief Maria begeistert aus. „Tsuruga-san, was machen Sie denn hier?“, wiederholte Kyoko verdutzt.

„Eine Unterbrechung nach der anderen!“, schimpfte es hinter Ren. Eine junge Frau luckte hinter ihm nun hervor und blickte genervt die zwei Störenfriede an. Das .... das ist Laura Beaufort!, schoss es Maria durch den Kopf. „Oder bist du etwa dieser Ersatz für mich?“, kopfschüttelnd betrachtet sie Kyoko. „Das kann nicht sein...“ „Mon ami, wie kommst du denn darauf?“, fragte der Fotostoryleiter. „Na, der Partnerlook!“ Der französische Star zeigte auf Kyokos Bikini. „Schlicht und Dunkelblau – genauso wie seine Badehose.“ Erschrocken blickte Kyoko an sich hinab und musste ihr recht geben. „Und wie sieht es nun aus? Sind Sie meine Ersatzperson?“ Laura wirkte ungeduldig. „Äh... Nein, das bin ich nicht. Ich...“ „Also, was suchen Sie dann noch hier? Au revoir!“ Sie drehte sich gekonnt um und zerrte an der einen Hand Ren an der anderen den Fotograph mit sich. „Nein, sowas! Das man nicht einmal in Ruhe arbeiten kann!“, murmelte sie grimmig. „Ganz recht“, beteuerte der Mann mit der Kamera.“Wo bleibt nur meine Ersatzperson?“, jammerte sie weiter. Nur Ren sah noch einmal kurz zu Kyoko, bevor er sich wieder ganz der Arbeit widmete.

„Ich muss Sie beide nun wirklich bitten den abgesperrten Bereich zu verlassen“, sagte der Leiter. Kyoko und Maria nickten abwesend, entschuldigten sich nochmals und gingen.
 

Die Sonne begann zu sinken. Gedankenversunken spielte Kyoko mit ihren Füßen im Sand. „So ein Ekelpaket!“, meinte Maria verdrossen. „Maria-chan! Wie oft soll ich dir noch sagen, dass sich so was nicht gehört?“, seufzte ihre O-nee-sama. Sie waren noch etwas schwimmen gewesen – natürlich außerhalb des abgesperrten Bereiches – und hatten sich dann an den Strand gelegt. Von ihrem Platz aus konnten sie immer wieder einen Blick auf Laura Beaufort und Ren erhaschen. Wie es aussah, spielten beide in einer Liebesgeschichte die Hauptrollen. Wie sollte es auch anders sein? Allerdings konnten sie kein Wort verstehen, denn der Regisseur rief seinen Darstellern jede Anweisung auf Französisch zu. Seid wann Ren französisch konnte, wussten sie nicht. Aber es musste sich um eine herzzerreißende Handlung drehen. Als die Sonne langsam hinter dem Horizont versank, hielt Ren die liebreizende Laura in den Armen und sah ihr tief in die Augen.

„Komm wir gehen. Miss Menno wird sich schon Sorgen machen, wo wir so lang bleiben.“ Kyoko stand entschlossen auf und begann die Decke zusammen zu legen. Maria nickte hastig und nahm den Korb. Ihre Schatten lagen lang gestreckt auf dem immer noch warmen Sand. Fast niemand war mehr am Strand.
 

„Da seid ihr ja!“, rief Kanae erleichtert aus. Sie sah erholt und erfrischt aus. „Ich habe fast den ganzen Nachmittag verschlafen“, gab sie zu. „Als ich aufwachte und auf die Uhr sah, bekam ich einen Schrecken. Aber ihr ward ja eh noch nicht wieder da! War der Strand schön?“ „Ja, sehr! Der Sand war warm und weich. Und das Wasser – einfach herrlich!“, bekundete Kyoko leicht lächelnd. „Gar nix war schön!“, grummelte Maria und stampfte an Kanae vorbei. „War was?“ Kanae blickte ihrer Freundin prüfend in die Augen. „Ach nichts! Nichts von großem Belangen. Wir sind nur mit jemanden zusammengestoßen...“, erklärte Kyoko schnell. „Nichts, worum man sich Sorgen machen muss!“ Und somit schlich sie ebenso an Kotonami vorbei. Diese sah beiden fragend hinterher.
 

Nachdem reichlichen Abendessen war Maria erschöpft zu Bett gegangen und ihre beiden Freundinnen unterhielten sich noch leise. „Die ist ja fertig!“, flüsterte Kyoko mit einem liebevollen Blick auf das kleine Wesen. „Ja...Nun sag schon. So entrüstet wie der Zwerg heute Abend war, muss am Strand wirklich was schlimmes passiert sein!“, drängelte Kanae. „Na ja.... Wir sind nur Tsuruga-san begegnet und haben mitbekommen, dass er eine Hauptfigur in einer Fotostory ist. Und dann haben wir noch ein paar Stars kennengelernt. Ich weiß gar nicht mehr, wie die eine hieß..... Laura Biefort...oder so..... irgend so ein französischer Star....“ Kyoko zuckte mit den Schultern. „Meinst du etwa Laura Beaufort?“ „Ja, genau die! Kennst du die etwa?“ Kanae rollte mit den Augen. „Du etwa nicht? Sie ist eines der viel versprechenden Nachwuchstalenten! Sie soll angeblich jeden Tag mindestens 10 Heiratsanträge bekommen. Dabei ist sie erst ungefähr 17! Allerdings mit ihrem elfengleichen Aussehen und ihrem schauspielerischen wie auch gesanglichen Talent konnte sie schon vor Jahren alle Kritiker überzeugen.“ „So ein richtiger Star!“ Kyoko machte große Augen. „Und mit dieser Superfrau darf Tsuruga-san eine Liebesgeschichte darstellen! Da treffen ja zwei Stars der Spitzenklasse aufeinander!“ Kyoko hielt einen Augenblick inne. „Allerdings all zu nett scheint sie nicht zu sein...“ „Warum?“ „Sie hat uns nur abwertend angesehen. Und Maria hat sich danach total über die Leute vom Set aufgeregt.“ „Die Leute vom Set habt ihr auch noch kennengelernt?“ „Na ja... jedenfalls einige....“ begann Kyoko und erzählte noch die Begebenheit mit dem Fotographen.

„Ihr seid mir zwei Tollpatsche!“, lachte Kanae. „Aber nun sollten wir auch uns schlafen legen. Es ist schon spät!“ Ein Blick auf die Uhr verriet, dass es schon fast Mitternacht war. Nach einem herzhaften Gähnen stand auch Kyoko auf. Es war ein langer und anstrengender Tag gewesen. Sie fühlte sich wie gerädert. Was wohl Ren jetzt macht?, schoss es ihr durch den Kopf. Energisch schüttelte sie den Kopf. Was sie nur alles denken konnte! Was geht das denn sie etwas an?

Ohne noch einen Gedanken an ihren Sempai zu verschwenden, ging sie zu Bett.

Schicksal?!

Der nächste Morgen versprach wieder bestes Wetter. Die Sonne schien in das Zimmer und flutete es mit ihrem Licht.

Marias Augen begannen leicht zu zucken. Verschlafen öffnete sie sie einen Spalt und kniff sie sofort wieder zu. „Ist das hell...“, stöhnte sie leise. „Na, bist du nun auch mal wach?“, fragte Kanae an der offenen Tür stehend. Maria sah sie verdutzt an. „Wie...wie spät ist es denn?“ „Schon fast 11.“ „Was??? Warum habt ihr mich so lang schlafen lassen???“, rief die Kleine geschockt. Sie sprang aus dem Bett und fuhr sich hastig über ihre zerzausten Haare. „Deine O-nee-sama war der Meinung, du würdest so fein schlummern, dass wir beschlossen dich schlafen zu lassen. Es muss für dich gestern ein anstrengender Tag gewesen sein.“ „Wo...wo ist O-nee-sama denn jetzt?“ Suchend blickte sich Maria um. „Sie bestellt gerade Lunchpakete. Wir wollen uns heute mal etwas genauer die Landschaft hier ansehen. In ungefähr einer Stunde wollen wir los. Ich sollte dich wecken.“ Maria sah immer noch recht verdutzt drein. Dann lächelte sie und verschwand summend im Bad.
 

La Brise war eine recht historisch erhaltene Stadt. Mit kleinen Gassen, einem Stadtbrunnen und einem Schloß. Dieses lag auf einem Hügel und war von der Stadt aus gut zu sehen. Dorthin wollten die drei Urlauber am Nachmittag. Den Mittag verbrachten sie in der Altstadt, wo sie viele kleine Geschäfte durchstöberten. Kyoko wollte unbedingt etwas für das Ehepaar finden, das sie aufgenommen hatte. Aufgrund des Urlaubs fehlte ihnen eine Arbeitskraft. Sie mussten den Laden allein führen und auf Kyoko verzichten. Aber der Chef war sofort dafür gewesen, dass sie an dieser Reise teilnahm. Kyoko war ihnen sehr dankbar. Aber etwas als Mitbringsel für die beiden zu finden, gestaltete sich schwieriger als gedacht.

„Sie werden sich schon darüber freuen“, meinte Kanae etwas genervt. Sie hatte schon lang etwas für ihre Geschwister gefunden. Als diese hörten, dass ihre große Schwester in den Urlaub fährt, hatten sie sie belagert, ihnen etwas mitzubringen. Kyoko hingegen hielt kritisch betrachtend die kleine Porzellanfigur, die die Altstadt mit dem Schloß darstellte in den Händen. Immer wieder drehte sie es hin und her, und konnte sich einfach nicht entscheiden. „Das ist nicht so einfach“, murmelte sie fast unverständlich. Kanae seufzte. „Maria, sag doch auch mal was dazu!“ Sie blickte sich um. Wo ist denn der Zwerg nur hin? „Maria?“

„Hier bin ich“, rief das kleine Mädchen freudestrahlend. „Seht mal, wen ich getroffen habe!“ Kanae drehte sich zum Eingang des Geschäftes und erblickte Ren Tsuruga. „Guten Tag, Tsuruga-san“, sagte sie höflich. „Sind Sie heute nicht beim Dreh?“ Ren trat näher. „Nein, jetzt noch nicht. Wir machen erst am Nachmittag weiter, weil da die Sonne besser steht.“ Sein Blick schweifte lächelnd zu Kyoko. Kanae versuchte zu erklären. „Sie sucht nach einem passenden Mitbringsel für ihre Wohneltern. Kann sich aber nicht entscheiden...“ Ren blickte Kyoko, die ihn gar nicht wahrnahm, über die Schulter und betrachtete die kleine Figur. Nach einer kurzen Weile bemerkte er: „Ich würde es nehmen.“ Kyoko erschrak etwas und sah mit großen Augen auf den Mann, der ihr gerade seine Meinung förmlich ins Ohr gehaucht hatte. „Tsuruga-san! Was machen Sie denn hier?“, rief sie entsetzt aus. Er schüttelte leicht den Kopf. „Kannst du mich nicht auch einmal was anderes fragen?“ Liebevoll blickte er auf das kleine Wesen vor sich. „Ich sehe mir etwas die Stadt an, um mir die Zeit zu vertreiben. Und um dir bei deiner lebenswichtigen Entscheidung zu helfen.“ Er zwinkerte. „Er hat auch noch nichts gegessen!“, ereiferte sich Maria. Das sollte so viel heißen, wie „Können wir nicht zusammen essen?“. Doch das sagte sie nicht, da sie fürchtete auf Ablehnung zu stoßen, wenn sie den Vorschlag brachte. „Ach, wirklich?“ Kyoko sah ihren Sempai tadelnd in die Augen. Sie wandte sich ab und ging zur Kasse. „Nun gut. Ich nehme diese Figur und dann gehen wir essen!“ „Aber wir haben doch unsere Lunchpakete“, erinnerte Kanae. „Die essen wir später“, sagte Maria schnell und hüpfte ihrer O-nee-sama hinterher. Ren sah lächelnd dem Treiben zu.
 

Man fand ein kleines Restaurant. Sie saßen im angenehmen Schatten und studierten eifrig die Karten. Ren erklärte sich bereit seinen Begleiterinnen zu erklären, welches Gericht unter den Namen sich verbarg. „Das ist Cous-Cous mit Gemüse und Geflügel.“ Er zeigte mit dem Finger auf Kyokos Speisekarte. „Aha...“, machte sie verstehend. Er lächelte sie verschmitzt an. „In Frankreich ist es oft üblich 3 Gänge zu sich zu nehmen. Eine Vorspeise, ein Hauptgericht und ein Dessert. Als Vorspeise wird meist Salade, Wurstwaren oder Räucherfisch gewählt. Das Hauptgericht besteht aus Fleisch oder Fisch mit Gemüse und das Dessert z.B. aus Früchten oder Kuchen“, erklärte er weiter. „Ein passender Wein darf natürlich nicht fehlen. Besonders in Restaurants.“ Maria hatte ihm mit großen Augen zu gehört. Sie fragte sich, ob sie 3 Gänge schaffen würde. Es klang so viel! Oder würde sie vorher platzen?

Die Kellnerin kam zu ihrem Tisch und fragte höflich: „Vous avez choisi?“ Ren blickte die Damen an und fragte: „Nun, was nehmt ihr?“ Sie zeigten kurzerhand auf die Karte und ersparten sich das Aussprechen dieser seltsam fremd klingenden Gerichte. Ren übersetzte geschwind und die Kellnerin verschwand wieder.

„Tsuruga-san?“, begann Kyoko, „Seit wann sprechen Sie so gut französisch?“ Er blickte sie an und überlegte kurz. „Als ich noch ein Kind war, reisten meine Eltern geschäftlich sehr viel und nahmen mich wenn es möglich war einfach mit. So kam ich zum Beispiel auch nach Frankreich. Die Sprache faszinierte mich und da meine Eltern des öfteren in diesem Land weilten, bot es sich an diese Sprache zu lernen.“ Er trank einen Schluck und sah gedankenverloren auf sein Glas.

Nach einer kurzen Weile lächelte er wieder und wollte nun aber auch wissen, was die 3 Mädels in Frankreich verloren haben. Sie erzählten vom Erholungsurlaub, den sie von dem Präsidenten geschenkt bekommen hatten und von ihrer Unterkunft. Das Essen war in der Zwischenzeit gekommen und sie unterhielten sich angeregt über dieses und jenes. „Ist Laura Beaufort wirklich so eine gute Schauspielerin?“, fragte schließlich Kyoko und sah ihren Sempai an. „Na ja, wie soll ich sagen?“ Ren strich sich mit der Hand durch das Haar. „Wir haben unterschiedliche Ansichten, was das Schauspiel anbelangt. Auch die Handlung ist für mich teilweise etwas unverständlich. Es stimmt schon, wenn man sagt – 'Eben ein französischer Film!' - oder – 'Ein amerikanischer Film!'. Es gibt Unterschiede zwischen den Bevölkerungen und deren Geschmäcker. Ein Film, der in Frankreich gefeiert wird, kann in einem anderen Land als der größte Rotz beschimpft werden.“ Er lächelte. „Aber so gesehen ist Laura Beaufort eine gute Schauspielerin, ja...“ Prüfend blickte er Kyoko an. „Warum wolltest du das wissen?“ „Ach nur so“, wich sie aus. Sie konnte seinem Blick nicht standhalten und starrte augenblicklich auf ihren fast leeren Teller. Ren wandte sich von ihr ab und plauderte mit den anderen beiden vergnügt weiter. Maria fiel irgendwann auf, dass sie seinen Betreuer Yashiro noch gar nicht zu Gesicht bekommen hatte. Doch das ließ sich ganz leicht erklären. Der Schauspieler erzählte ihnen, dass sein armer treuer Begleiter einen Sonnenstich bekommen hatte. Er stand zu lang in der Sonne, als er auf Ren warten musste, weil sich der Dreh hinzog. Und nun hütete er das Hotel.

Das Essen neigte sich dem Ende zu. Ren beschloss die Damen einzuladen und bezahlte großzügig die Rechnung. Nicht ohne von Kyokos Protest. Aber er bestand darauf.

Sie bummelten noch etwas zusammen durch die Stadt. Am Marktbrunnen verabschiedete sich Ren. Er müsse nun zurück zum Hotel und sich für den Dreh zurecht machen.

Die Mädels beschlossen in des sich auf den Weg zum Schloß zu machen. Es war ein recht weiter Weg und zudem etwas steil.
 

Der Weg war glücklicherweise an vielen Stellen recht schattig, sodass es angenehm war dort entlang zu wandern. Maria lief einige Meter vor den beiden Freundinnen und bestaunte die Schmetterlinge, die farbenreich am Wegesrand flatterten.

„Kyoko?“ „Ja, Miss Menno?“ „Findest du es denn nicht auch seltsam?“ „Was denn?“ Kyoko sah ihre Freundin fragend an. „Dass wir Tsuruga-san begegnet sind. Du hast mir heute früh gesagt, dass du ihn nicht sehen willst und deshalb den Tag nicht am Strand verbringen wirst. Aber dein Ausweichversuch ist total daneben gegangen....“ Kyoko blieb stumm und überlegte. „Es scheint mir fast schicksalhaft, dass du ihm so oft begegnest...“, erzählte Kanae weiter. „Schicksal?“, stutzte Kyoko. „Na ja, scheint so...“ „Aber...“

„Kotonami! O-nee-sama! Seht mal! Ist der nicht schön?“, rief Maria und zeigte begeistert auf einen Schmetterling, der sich auch eine Blume niedergelassen hatte. „Ja, der ist wirklich märchenhaft!“, pflichtet Kyoko ihr bei. Vom selben Gefühlsausbruch wie Maria erfasst, holte sie gleich ihren Photoapparat heraus und machte ein Photo. Nun folgten viele Schmetterlingsphotos und andere Landschaftsbilder, bis sie endlich oben vor dem Schloß angekommen waren.

Erschöpft ließen sie sich erst einmal auf einer Bank nieder und genoßen den atemberaubenden Anblick des stattlichen Gebäudes von außen.

Muskelkater, oh lieber Muskelkater

„Na, wenn das nicht ein Zufall ist! Bonjour mon amies!“

David Gaelle blieb vor Kyoko, Kanae und Maria stehen. „Gaelle-san! Es freut uns Sie wiederzusehen!“, sagte Kyoko herzlich. „Seht ihr euch das Schloß an?“ „Ja. Es sah schon von der Stadt so faszinierend aus.“ David machte eine einladende Geste. „Meine Damen, darf ich mir erlauben euch zu begleiten?“ Maria lachte. „Natürlich dürfen Sie! Nicht wahr, Kotonami?“ „Gern.“

„Also?“ Er bot seinen Arm der Kleinsten an, den sie gern annahm. Er zwinkerte ihr verschmitzt zu. „Dann wollen wir mal.“ Maria nickte aufgeregt. Wenn nur ihr Ren-sama das mal machen würde!
 

Durch das Schloß wurde eine Führung angeboten – sogar in verschiedenen Sprachen!David ging zur Kasse und ließ seine Damen etwas abseits des Gedränges stehen.

Kyoko schaute sich erstaunt um. Wie es wohl wäre hier zu wohnen? Als Prinzessin? Als Kind hatte sie sich immer vorgestellt einmal in so einem Schloß zu hausen.... einem europäischen Schloß! Und nun durfte sie das erste Mal eines von Innen betrachten. Ein Traum wurde für sie wahr!

David kam soeben von der Kasse zurück. „Sie haben hier sogar eine Führung für Japaner. Wenn ihr wollt, könnte ich da was einrichten.“ „Oh, Gaelle-san! Das würden Sie tun?“ Er nickte. Die Augen der „Damen“ begannen zu leuchten.

„Wartet einen Moment.“ Schon war er wieder zur Kasse gegangen.
 

„Und hier sehen Sie das Bildnis von Ludwig dem XIV. . Er ist auch bekannt als der Sonnenkönig. Er lebte von 1638 bis 1715. Während seiner Herrschaft blühte der Absolutismus so richtig auf. Er sagte von sich selbst: 'Der Staat, das bin ich!'“ Kyoko und Maria bestaunten mit großen Augen, das riesige Gemälde vor ihnen. Kanae stand etwas erschöpft außerhalb der kleinen Gruppe. Außer ihnen hatten sich noch 5 andere Japaner zu der Führung angemeldet. Das Fräulein, das sie durch alle Räume führte, blieb an jedem Gemälde, an jedem Stuhl und jedem anderen Gegenstand stehen. Sie war sehr nett und man konnte ihr auch gut zuhören und es war auch sicherlich interessant.... Aber..... Kanae verdrehte kurz die Augen. Hätte sie das nur gewusst! Die Führung konnte noch Stunden dauern und ihre Beine taten ihr langsam weh. Wie machte das da nur der kleine Zwerg names Maria?

„Wann war denn dann die Revolution? War das nicht unter Ludwig XIV.?“, fragte Maria etwas verwundert. Kanae warf ihr einen bösen Blick zu. Jetzt musste der Zwerg auch noch eine Frage stellen und alles in die Länge ziehen! Das Fräulein lächelte. „Nein, das war unter Ludwig XVI. im Jahre 1789. Der Adel lebte über die Maßen und der restlichen Bevölkerung lebte unter der Existenzgrenze. Die Leute wurden immer wütender und erhoben sich gegen den Adel. Am 14.7.1789 stürmten sie die Bastille. Die Revolution war in vollem Gange. Die Königsfamilie wurde abgesetzt und einige Zeit später hingerichtet.“ Maria schüttelte sich leicht. Hingerichtet..... wie grausam...... „Das war das Ende des Absolutismus und der Anfang einer neuen Ära.“ Die Besucher nickten verstehend. „Lasst uns in den nächsten Raum gehen. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.“ Die kleine Gruppe setzte sich in Bewegung. Kyoko ließ noch einmal den Blick über das Gemälde von Ludwig XIV. schweifen. Hingerichtet..., schoss es ihr durch den Kopf. Ob man auch als Prinzessin gehaßt wird? Sie schüttelte leicht den Kopf. Nein, wenn das so wäre, würde sie keine Prinzessin sein wollen. „O-nee-sama? Kommst du?“ „Ja!“
 

„Es war herrlich!“ Maria schwärmte vor sich hin. Sie saßen wieder auf der Bank, auf der sie schon vor der Führung gesessen hatten und ließen noch ein letztes Mal das Schloß auf sich wirken. Es war Abend geworden. Die Sonne erhellte den Sandstein in einem etwas rötlichen Ton. Ein leiser, frischer Wind löste die Hitze des Tages ab. „Es freut mich, dass es euch so gut gefallen hat.“ David lächelte die 3 an. „Da fällt mir ein, übermorgen, also am 14.7., findet wieder der Nationalfeiertag statt. Ich würde euch gern noch mehr von unserer Kultur zeigen, wenn ihr mögt.“ „Warum nicht, aber was ist so besonderes an diesem Feiertag?“, fragte Kanae. „Am 14.7.1789 war der Sturm auf die Bastille und ein Jahr später hat man diesen Tag zum Feiertag ernannt. Der Tag als Beginn der Revolution. Und daran erinnern wir uns. Die Siege Frankreichs!“, sagte er voller Stolz. „Es wird ein Feuerwerk geben und in Paris gibt es auch Paraden. Wir sind hier zwar zu weit weg von der Hauptstadt, aber dafür gibt es Tanz auf der Straße und andere Spektakel!“ „Wir kommen gern“, entschied Kyoko. „Fein! Freut mich.“ David lächelte.

„Mon petit lapin au sucre!“ Das Fräulein kam auf die kleine Gruppe zu. „Ah, Dian!“ David ging ihr etwas entgegen, nahm sie bei der Hand und stellte sie den anderen vor. „Das ist Dian, meine Verlobte.“ Er lächelte über das ganze Gesicht. „Freut mich sie kennenzulernen.“ Sie ist doch die Frau, die uns durch das Schloß geführt hat, schoss es Kanae, Kyoko und Maria durch den Kopf. David hatte also seine Verbindungen gebraucht, um für die Japanerinnen eine Führung in deren Sprache zu arrangieren. Das Fräulein names Dian wandte sich ihrem Verlobten zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr. „Also, wir müssen uns leider auch schon verabschieden. Wir haben noch eine wichtige Verabredung heute Abend“, entschuldigte David sich. „Kein Problem. Wir möchten Ihnen nicht zur Last fallen“, meinte Kyoko lächelnd. So ging das Paar davon und ließ die Urlauber stehen. „Jetzt machen wir uns auf den Weg zum Hotel!“, entschied Kanae und wollte schon fast los laufen, als Maria jammerte: „Ich hab aber solch einen Hunger!“ Kanae seufzte leicht, nahm den Rucksack vom Rücken und packte die Lunchpakete aus. „Jetzt ist es sogar gut, dass Tsuruga-san uns zum Mittag eingeladen hat.“
 

Es war schon sehr spät als sie nun endlich im Hotel angekommen waren. Ihre Füße schmerzten und die Augen drohten in jedem Moment zu zuklappen. Es war ein sehr schöner Tag für alle 3 gewesen, aber auch sehr anstrengend. Nachdem sie sich gewaschen hatten, gingen sie auch sofort zu Bett und schliefen innerhalb von Sekunden ein.
 

Der dritte Tag ihrer Reise gestaltete sich sehr ruhig. Vom Muskelkater geplagt, beschlossen sie einstimmig den Tag mit Karten schreiben und ausruhen zu verbringen.

Am Abend ging Maria zeitig zu Bett. Kyoko und Kanae liefen noch einmal am Strand entlang und genoßen die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Verlassen lag das Meer und der Strand vor ihnen. Ihre nackten Füße schmiegten sich in die wohlige Wärme des Sandes.

„Miss Menno?“ „Hmmm?“ „Wie...wie meintest du das? Das mit dem Schicksal?“ „Welches Schicksal denn?“, fragte Kanae verwundert. „Du hast gemeint, dass es schicksalhaft sei wie oft Tsurauga-san und ich uns begegnen.“ „Ach, das meinst du!“ Sie dachte einen Moment nach. „Na ja, du weichst ihm aus, du versteckst dich vor ihm und doch findet er dich immer wieder. Findest du das denn nicht seltsam?“ Kyoko nickte nachdenklich. „Wenn das Schicksal zwei für einander bestimmt hat, dann zieht es die beiden zueinander. Ist doch ganz logisch!“ „Für... für einander bestimmt??? Miss Menno, du machst Scherze!!!“, rief Kyoko erbost. „Das kann nicht stimmen! Niemals!“ „Ach, und warum nicht?“, meinte Kanae etwas gereizt. „Du hängst doch auch sonst immer mit ihm rum. Warum sollte das dann also nicht möglich sein?“ „Ich... er ist mein Sempai! Und außerdem will ich doch....“, Kyoko hielt kurz inne. „Ich habe andere Ziele!“ „Ganz wie du meinst...“, Kanae zuckte mit den Schultern und ging einen Schritt schneller. „Aber wunder dich dann nicht!“, rief sie noch ihrer Freundin zu und verschwand.

Der Nationalfeiertag

„Heute ist der große Tag!“, rief Maria entzückt. Sie war schon früh aufgestanden und wirbelte durch das Zimmer. „Mach nich so' n Krach!“, grummelte Kanae verschlafen. „Aber heute ist doch der Nationalfeiertag! Da muss man doch guter Laune sein“, meinte Maria und zog der brummigen Kanae die Bettdecke weg. „Hey! Lass das! Pfoten weg!“ Mit aller Kraft versuchte sie ihre Decke zu halten, doch vergeblich. „Kyoko! Sag doch auch mal was dazu! Kyoko?“ Ihre Freundin war ebenfalls schon lang aufgestanden und saß stumm in einem Sessel. „Was ist mit dir?“ „Ach, ach nichts...“ Kanae und Maria sahen sie verwundert an. „Irgendwas stimmt nicht mit ihr, meinst du nicht?“, flüsterte die Kleine der Freundin ihrer O-nee-sama ins Ohr. Diese nickte zustimmend. Kyoko stand auf und streckte sich. „Los lasst uns frühstücken!“ „Sie ist irgendwie unheimlich...“, flüsterte Kanae zurück.
 

Die Zeit wollte nicht vergehen. Besonders für Maria war es langweilig. Sie wartete ungeduldig auf den Abend. Gegen 17 Uhr wollten sie sich nämlich mit David treffen und auf einen Ball gehen. Warum konnte es nicht schon 17 Uhr sein?

Jedoch war es dann so weit. Die 3 hatten sich etwas chic gemacht und wurden nun von David abgeholt. Seine Verlobte war nicht dabei. Er erklärte, sie müsse bei ihren kleinen Geschwistern bleiben. Sie fuhren bis zur Nähe des Marktplatzes, stellten das Auto ab und gingen das letzte Stück. Der Marktplatz war geschmückt mit Girlanden, bunten Tüchern und der französischen Flagge. Die Menschen waren ausgelassen und feierten ihren Tag.

„Wahnsinn!“ Maria war begeistert und auch Kanae staunte nicht schlecht. Sie setzten sich in ein kleines Café. „Das ist wirklich schön hier“, meinte Kanae anerkennend und ließ den Blick über den mit Kerzenlicht erhellte Raum schweifen. Man hatte beide Flügeltüren geöffnet und man bekam den Eindruck sich immer noch auf dem Marktplatz zu befinden. Auch Maria sah sich angestrengt um. „Suchst du etwas?“, fragte sie Kotonami. Die Kleine flüsterte ihr leise ins Ohr: „Ich muss mal, aber finde die Toiletten nicht!“ Die Ältere lächelte amüsiert, erhob sich und meinte zu Kyoko und David: „Maria und ich müssen mal kurz uns frisch machen. Entschuldigt uns, ja?“ So verließen die beiden den Tisch.

„Kyoko-san? Darf ich Sie etwas fragen?“ „Ja.“ „Wie wäre es, wenn wir uns nun duzen? Ich meine, wir kennen uns nun schon etwas besser, d'accord?“ „Ja.“ „Fein“, er lächelte.
 

„Monsieur Tsuruga? Kommst du? Ich habe extra einen Tisch hier bestellt!“ Laura Beaufort führte Ren durch das Café zu einem Tisch. „Gefällt es dir?“ Sie lächelte. „Ich wüsste nicht, wann ich Sie gebeten haben sollte mich zu duzen“, meinte Ren etwas schroff. „Aber wir sind doch Kollegen! Und da duzt man sich nun mal“, entgegnete sie trotzig. „Aber setz dich doch!“ Ren tat wie ihm gehießen und sah sich um. War das dort drüben nicht Kyoko? Seine Kyoko? 'Mit einem fremden Mann? Wie kann das sein?' „Hast du etwas, Ren?“ „Wie? Was? Äh... nein, ich habe nur gerade eben die Schönheit des Café bewundert.“ „Ja, nicht?“ Sie lächelte versprechend. „Hier kann man es aushalten!“ Sie legte den Kopf etwas zur Seite und betrachtete ihr Gegenüber. „Besonders wenn du dabei bist“, hauchte sie. „Ach, meinen Sie?“ Ren legte sein gespieltes Lächeln auf und sah sie an. „Aber lass doch das blöde 'Sie'“, lachte sie leise. Ihre meeresblauen Augen sahen in seine. Dann wendete sie sich leise kichernd ab und fragte: „Nun was wollen wir essen?“ „Ich...“ „Ah! Ich habe schon eine Idee“, unterbrach sie ihn grob. Laura winkte den Kellner herbei und bestellte einen großen Teller Spaghetti. „Wie bei Rosi und Strolch!“, strahlte sie. „Das wollte ich schon immer mal machen!“ „Erstens heißt der Hund Susi und zweitens bezweifle ich, dass Sie damit ihre Absichten erfüllt bekommen.“ „Ach, und welche Absichten habe ich denn?“, fragte sie herausfordernd. Wieder legte sie ihren Kopf auf die Seite und wieder blickte sie ihm tief in die Augen. „Mademoiselle?“, unterbrach der Kellner die Stille am Tisch und stellte einen riesigen Teller zwischen die beiden. „Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit!“

„Na, dann lass es dir schmecken!“, sagte Laura und stopfte auch schon die erste beladene Gabel in den Mund. Ren sah ihr schweigend zu. „Komm schon, du musst etwas essen. Sonst fällst du mir noch vom Fleisch!“ Er sah sie verblüfft an. Das sagte sonst nur Kyoko zu ihm. Seine Kyoko. Was sie wohl mit diesem Herrn an dem Tisch dort so ganz allein macht? Entschlossen griff er nach der Gabel und begann zu essen. Laura lächelte ihn begehrend an. Das Essen ging schweigend vorbei.
 

„Ren, Ren...“, kicherte Laura. „Was?“ Fragend sah er sie an. „Du hast da was...“ Bevor Ren sich darüber klar werden konnte, was seine Partnerin meinte, hatte sie sich über den Tisch gelehnt und ihre Lippen auf die seinen gelegt. Er war zu überrascht und traute sich nicht, sie zu rühren.Sie löste sich wieder von ihm. „So, nun ist es weg.“ Sie lächelte verschwörerisch. „Das kleine Stück Nudel, das an deinem Mundwinkel klebte.“ Ren sammelte sich. Sie hatte es tatsächlich gewagt! Und er hatte sich eingeredet, ihren Anspielungen entgehen zu können. Susi und Strolch! Er hatte gewusst, dass sie versuchen würde ihn zu küssen, aber im Film geschieht das durch eine Nudel, die die beiden Hunde sich teilen. Und da beide hier mit Gabeln aßen, dachte er, dass es unmöglich sei, einen Grund zu finden ihm so nah zu kommen. Er hatte sich getäuscht. Er hatte sie unterschätzt. Seit er an diesem Set arbeitete, hatte sie sich ständig an ihn geschmiegt und die eine oder andere Andeutung gemacht. Jetzt hatte sie ihr Ziel erreicht.

„Ich muss Sie bitten, das in Zukunft zu unterlassen!“, sagte Ren streng. „Was denn? Ich habe dir doch nur einen Gefallen getan. Oder wolltest du etwa den ganzen Abend mit einer Nudel im Gesicht herum laufen?“ Sie lachte amüsiert. Verführerisch schüttelte sie ihr langes, dunkles Haar. Ihr war nicht entgangen, wie viele Männer sie in diesem Moment beobachteten. Und sie war sich sicher, sie könnte alle haben, aber der einzige, den sie jetzt wollte, saß vor ihr und weigerte sich sie auch nur beim Namen zu nennen!
 

„Wo bleiben nur Kanae-san und Maria?“, fragte sich David. Besorgt sah er in Richtung Toilette. „Ich werde mal nachsehen gehen, warte bitte hier.“ Er stand auf. Kyoko nickte abwesend.

'Tsuruga-san? Ist das die Frau, die sie lieben?' Verstohlen blickte sie zu dem Paar am anderen Tisch. 'Sie ist schön. Sie ist jung. Sie ist erfolgreich. Sie passt zu Ihnen. Sicherlich werden Sie mit ihr glücklich.' Von einer ungewohnten Traurigkeit erfasst starrte sie auf das Weinglas vor sich. 'Was soll das? Warum bin ich so traurig? Ich wollte doch, dass er sich zu seiner Liebe bekennt. Ich wollte, dass er glücklich wird! Also warum bin ich dann nicht glücklich?' Mit der Hand wischte sie eine kleine Träne weg. 'Wie peinlich... warum weine ich denn jetzt auch noch?' Sie sah noch einmal zu dem Paar und stand auf. Sie musste aus diesem Café. Und zwar schleunigst! Entschlossen und mit erhobenen Haupt verließ sie das Gebäude mit schnellen Schritten.
 

Außer Atem blieb Kyoko am Marktbrunnen stehen. Um sie herum wirbelten einige Tanzpaare zur Musik. Es wurde viel gelacht und getrunken. Man konnte die gute Stimmung förmlich spüren.

Kyoko sah einem Paar einige Momente zu und spürte ihr Herz zerbrechen. Je mehr sie den tanzenden Leuten zu sah, desto mehr spürte sie die Einsamkeit. Sie wollte nur noch fort. Irgendwo hin, wo es nicht mehr schmerzen würde.

„Kyoko-san?“ Erschrocken drehte sie sich um. David stand vor ihr. Er nahm sie bei der Hand und führte sie aus dem Gedränge. Beim Strand angekommen, bat er sie sich auf die Bank sich zu setzen. Danach setzte er sich neben sie und sagte eine Zeit lang nichts. „Kyoko? Mir scheint, dich bedrückt etwas.“ Die Angesprochene nickte stumm und stocherte mit ihrem Schuh im Sand herum. „Na ja... Gaelle-san.... schon irgendwie....“ Sie holte tief Luft und dachte nach. David wartete geduldig. „Es.... es ist wegen einem Bekannten... Miss Menno meinte, es wäre Schicksal, dass wir uns immer wieder an den unvorstellbarsten Orten begegnen. Manchmal will ich ihn überhaupt nicht sehen, und prompt treffen wir aufeinander! Er ist auch hier.“ „Magst du diesen Menschen nicht?“, fragte er interessiert. „Wie kommst du da drauf? Nein, ich kann ihn eigentlich ganz gut leiden.“ David lachte leicht. „Es klingt aber fast so als hättest du Angst vor ihm.“ Kyoko sah ihn erstaunt an. „Nein, das ist es wirklich nicht. Auch, wenn er schon manchmal zu fürchten ist, wenn man ihn verärgert hat. Aber das ist es diesmal nicht. Es ist nur.... das Wort 'Schicksal' – es klingt so unbegreiflich, so unausweichlich! Verstehst du, was ich meine?“ Er nickte langsam. „Es erscheint mir so, als würde ich gezwungen, als wäre es schon lange bevor ich etwas dagegen tun hätte können, beschlossen worden, dass ich ihn einmal heiraten werde!“ „Übertreibst du nicht etwas? Sie hat doch nur eine Andeutung gemacht. Man könnte fast wirklich zu der Annahme kommen, dass er dir etwas bedeutet. Wie dem auch sein... Aber wer zwingt dich denn, dass du ihn liebst? Du begegnest doch so vielen Menschen in deinem Leben. Hast Freundschaften – auch mit Männern – und trotzdem liebst du doch nicht alle so, dass du denjenigen heiraten willst, oder?“ Sie hatte angespannt zugehört. „Und was nun?“, fragte sie leise. „Ich will ihn nicht lieben. Ich habe andere Ziele. Ich lebe für die Rache! Das habe ich mir geschworen! Er würde mich bestimmt von meinem Ziel abbringen! Das will ich nicht!“ Bei diesen Sätzen wurde ihr Geschichtsausdruck ganz hart. „Aber....aber warum denn das? Was ist dir zu gestoßen, dass du so denkst?“ Kyoko sah ihn mit einem verletzten, aber zu gleich auch sarkastischen Blick an.

„Ich habe schon einmal geliebt.“ Sie fing an ihm von ihrer Liebe zu Sho zu erzählen. Berichtete davon, wie sie sich für ihn aufgeopfert hatte, wie sehr sie ihn geliebt hatte, und wie er sie ausnutzte und wie er sie schließlich wie eine heiße Kartoffel fallen ließ. „Ich möchte nicht noch einmal das durch machen. Es noch einmal zu ertragen, wie ich verraten werde. Ich habe mir geschworen mich an ihm zu rächen! Ich werde berühmter als er! Deshalb darf ich mich nicht verlieben! Ich muss an meine Rache denken!“ David schwieg.

„Du denkst also, wenn du dich an ihm rächst, schadest du ihm, ja?“ Kyoko nickte entschlossen. Er schüttelte amüsiert den Kopf. „Aber dadurch wirst du doch nicht frei! Du denkst an ihn, du arbeitest an dir, nur damit er wie ein Dummkopf dasteht! Machst vielleicht sogar Dinge, die dir selbst keinen Spaß machen, um ihm zu schaden. Schädigst du dich da nicht viel mehr selbst?“ „Ich bin gern Schauspielerin!“, protestierte Kyoko. „Das vielleicht schon, aber du verschließt deine Augen vor der Welt – oder besser gesagt, vor der Liebe. Sie läuft dir vielleicht in diesen Tagen über den Weg und du siehst sie nicht, weil du den Sand der Rache in den Augen hast! Und möglicher Weise wird sie dir später nie mehr begegnen – die Liebe, die ein Leben hält!“ Sie dachte nach. „Aber..... aber ich kann nicht lieben.... ich habe dieses Gefühl verloren.... als ich Sho verlor....“ „Ich gebe dir einen Tipp: Lass das Vergangene ruhen. Lass Gras darüber wachsen! So, und was ist nun mit dem Bekannten? Deshalb bist du doch so bedrückt, oder?“

Kyoko begann die Geschichte mit Ren zu erzählen. Wie sie sich gehaßt haben, aber auch wie sie sich langsam immer besser verstanden. „Eigentlich müsste ich froh sein, denn er erzählte mir einmal von seiner unerwiderten Liebe. Heute habe ich ihn mit einer Frau im Café gesehen. Sie hat ihn sogar geküsst. Er hat seine Liebe gefunden. Aber irgendwie bin ich nicht glücklich.“ David lächelte sie verschmitzt an. „Kyoko, Kyoko! Du bist wirklich noch grün hinter den Ohren!Wie naiv bist du denn?“ „Wie meinst du das?“ „Wenn die Liebe ein Meer wäre, wo wärst du?“, fragte er herausfordernd. „Ich denke, ich wäre am Strand und würde den anderen nur zu sehen.“ „Du wärst also nicht in der Liebe?“ Sie nickte. „Falsch! Ich bin der Meinung, du bist schon mittendrin und weißt es noch nicht einmal!“ „Wie kannst du so etwas meinen?“, rief Kyoko entsetzt. „Ich und verliebt, das geht nicht! Das ist unmöglich!“ „Ach, und wie erklärst du dir deine Reaktion als du deinen Bekannten mit der Frau gesehen hast? Du bist gegangen! Du konntest die beiden nicht ertragen! Das nennt man Eifersucht, meine Liebe! Und jeder weiß, dass die Eifersucht sich gern mit der Liebe paart.“ Sie schüttelte energisch den Kopf. „Und wenn wir mal annehmen, es wäre so. Ich wäre unsterblich in meinen Bekannten verliebt. Was sollte ich denn deiner Meinung nach nun tun? Er hat seine Geliebte! Da hätte ich nichts mehr zu suchen!“ Sie fühlte sich siegessicher. Hierauf könnte er sicherlich nichts erwidern! Schweigsam dachte er nach. „Nun ja, das ist in der Tat nicht so einfach. Bist du dir denn auch sicher, dass die beiden ein Paar sind?“ „Hundertprozentig! Sie hat ihn geküsst!“ „Ist dein Bekannter auch Schauspieler?“ „Ich weiß zwar nicht, was die Frage soll, aber ja. Er ist auch Schauspieler. Warum?“ „Kennst du das nicht? Manche Leute sind so verrückt, und überfallen schon gern mal einen Prominenten, um dann im Rampenlicht zu stehen!“ „Ach ja?“ Kyoko glaubte ihm kein Wort. „Ein Beispiel: Laura Beaufort hat schon mal einfach den Musiker Peter Edelfels geküsst. Sie hatten nie etwas miteinander, aber er ist berühmt. Es ist gut für das Geschäft.“ Kyoko bekam große Augen. Die Frau, die ihren Tsuruga-san geküsst hatte, war diese Laura Beaufort. „Allerdings kann man sich nie sicher sein, wann sie es einmal ernst meint.“ David seufzte. „Diese Frauen! Da ist meine Dian ganz anders...“ Er blickte verträumt zum Himmel. „Und... und nun? Was mache ich nun?“ „Ich dachte, du liebst ihn nicht. Warum solltest du dir dann Gedanken machen?“, fragte er spitz. „Na ja, nur so angenommen. Es würde mich einfach nur interessieren.“ „Dann finde doch erst einmal heraus, ob die beiden wirklich ein Paar sind. Und dann kämpfe!“ „Kämpfen?“ Sie sah sich schon in einer Rüstung und wie sie gegen einen Drachen kämpfte, um den holden Ren Tsuruga aus dem Turm zu befreien. Bei diesem Gedanken fing sie an zu lachen. Sie wollte immer eine Prinzessin sein und gerettet werden und nun... und nun... sollte sie Ren helfen!

„Ich sehe, dir geht es wieder besser“, bekundete David erleichtert. „Ja, aber es wird kalt“, meinte Kyoko sich die Arme reibend. „Gut, wir sollten zurück gehen. Wir haben noch gar nichts gegessen und Kanae und Maria warten sicherlich schon eine Ewigkeit!“ „Ach du Schreck! Miss Menno und Maria-chan! Die habe ich ja total vergessen!“ „Keine Sorge! Sie haben sich Gedanken über dich gemacht und als du nicht mehr da warst, sollte ich einmal mit dir reden. Deine Miss Menno meinte, dass du vielleicht Liebeskummer haben könntest.“ „Aber woher sollte sie denn das wissen?“, fragte sie gerührt. „Sie ist doch deine beste Freundin. So was wissen nun mal nur beste Freundinnen!“, meinte er schmunzelnd. „Die Kleine haben wir aber erst einmal herausgehalten. Wir wissen nicht, wie sie damit umgehen kann. Schließlich ist sie ebenfalls in deinen Bekannten unsterblich verliebt. Armes Ding. Sie ist doch noch so jung! Und sollte sich noch nicht mit solchen Dingen auseinandersetzen müssen.“ „Gut. Sie soll den Urlaub unbeschwert genießen können.“

Kyoko und David standen auf und machten sich auf den Rückweg.
 

Es wurde noch eine schöne Nacht. Ren und diese Laura Beaufort hatten zu Kyokos Freude das Café schon verlassen, als sie zurück kamen. Bei einem guten Essen redeten die Freunde über alles mögliche, nur nicht über den Vorfall. Kyoko verbannte Ren aus ihren Gedanken. Jetzt wollte sie diese Zeit genießen.

Auf dem Marktplatz wurde immer noch Musik gespielt und David tanzte mit jeder seiner Begleiterinnen. Es machte allen sehr viel Spaß. Zum krönenden Abschluß wurde das Feuerwerk entzündet. Über die kleine Küstenstadt La Brise ergoß sich ein Meer von Farben und Licht.

Volleyball!

Der 5. Tag ihrer Reise gestaltete sich schon vom Morgen an recht streßig. Kyoko lief wie von der Tarantel gestochen durch das Zimmer und suchte ihrer Sonnenbrille. Kanae und Maria lagen noch in ihren Betten und zogen genervt ihre Decken über das Gesicht, als ihre hastige Freundin die Vorhänge zur Seite schob und die Sonne plötzlich den Raum flutete.

„Mensch, Kyoko! Was machst du da? Hast du schon mal auf die Uhr gesehen? Es ist erst um 7!!! Wir sind erst gegen 3 zu Bett!“, jammerte Kanae. Aber Kyoko schien sie nicht zu hören und kramte weiter in ihren Sachen. „O-nee-sama? Wie kannst du nur jetzt schon wach sein?“ „Ich....ich suche meine Sonnenbrille! Die ist weg! Ich brauche sie doch so dringend!“, erwiderte sie. „Ach, und dafür weckst du uns so unmenschlich in der Nacht?“, beschwerte sich ihre erste richtige Freundin. „Na ja, es ist eben wichtig!“ Kanae zog eine Augenbraue in die Höhe, sah noch einmal den Störenfried an und drehte sich auf die andere Seite. „Gute Nacht!“

„O-nee-sama? Wofür brauchst du denn deine Brille?“, wollte nun Maria endlich wissen. „Ich will herausfinden, ob Laura Beaufort es ernst mit Tsuruga-san meint oder ob sie ihn nur ausnutzt...“ „Und was hat dich das zu interessieren?“, meldete sich doch noch einmal Kanae zu Wort. „Er ist mein Sempai!“, rief Kyoko entrüstet. „Ich kann ihn doch nicht einfach der Schlang preisgeben!“ „Schon klar.... Der Schüler muss auf den Lehrer aufpassen.... Du spinnst!“ „Diese Laura Beaufort hat sich an Ren-sama ran gemacht?“, fragte die Kleine schockiert. Kyoko hielt inne. Sie hatten ausgemacht, dass sie Maria-chan aus dieser Angelegenheit heraushielten. Sie war so dumm gewesen vor ihr so zu reden.... Kyoko lächelte das kleine Wesen an und meinte: „Nein, ich meinte... Du weißt doch wie die Frauen manchmal Tsuruga-san ansehen, oder?“ Sie nickte. „Das eben das nicht passiert und vielleicht noch ein Frauenherz gebrochen wird, weil Tsuruga-san sicherlich nichts für seine Verehrerinnen empfindet, möchte ich Laura Beaufort warnen. Sie vor einer peinlichen Situation retten, verstehst du?“ Sie überlegte. „Ja... ich denke schon. Ich verstehe nur nicht deine Motive dazu. Seit wann bist du der Retter der Frauenherzen?“ Kyoko grinste. „Als ich noch jung war, kam im Fernsehen die Sendung „Tsunami – Frauenherzen in Gefahr“. Das war eine Geschichte über Catherina, die geheime Superkräfte hatte und die Frauenherzen vor den bösen Männern rettete. Ich bewunderte sie so sehr, dass ich sein wollte wie sie. Und ich versprach, dass ich eines Tages ebenso wie sie handeln würde, wenn sich nur die Gelegenheit ergeben würde.“ Maria sah ihre Freundin etwas skeptisch an. „Und...und wozu brauchst du nun die Sonnenbrille? Dein Superheldcostume???“ „Nein. Aber mein Agentenoutfit! Weißt du noch, als wir Miss Menno beschattet hatten? Da haben wir uns doch verkleidet! Und das mach ich nun auch.“ „Aha...“, Maria wusste nicht, was sie von dieser Geschichte halten sollte. „Tsunami – Frauenherzen in Gefahr“ - gab es so etwas wirklich? Klang irgendwie seltsam. Und ihre O-nee-sama wollte ein Superheld sein, die Frauen vor ihrem Ren-sama schützte? Sie gähnte herzhaft und rieb sich in den Augen.

„Ich kann dich wohl nicht begleiten.... Ich bin noch so müde! Aber erzähl mir, was du herausgefunden hast! Versprich es!“ Die Kleine sah der Person, die für sie wie eine Schwester war, tief in die Augen. Diese lächelte herzlich und nickte. „Versprochen!“
 

So verließ Kyoko allein das Hotel gegen 7.30 Uhr. Sie hatte ihre Sonnenbrille und ihren großen Hut letztendlich ganz unten im Koffer gefunden. Glücklich, dass Kanae und Maria nicht mit ihr gingen, stampfte sie hinunter zum Strand. Zwar vermutete sie so zeitig noch niemanden vom Set dort, aber sie wollte sich noch eine Strategie einfallen lassen. An diesem Tag war sie einfach aufgewacht, konnte nicht mehr schlafen. Ihr Sempai tat ihr leid. Diese Laura kann ihn doch nicht einfach für ihr Geschäft nutzen! Er ist schließlich der begehrteste Mann in ganz Japan! Da hatte auch so ein französisches Supertalent nichts zu melden. Sie merkte, wie Wut in ihr aufstieg, nur wenn sie an diese unverschämte Person dachte. Diese...diese....!!! Wie kann sie es wagen?! Ihren Tsuruga-san....Verbittert starrte sie auf den Sand vor ihr.

Plötzlich wurde sie von etwas harten gerammt und fiel unsanft zu Boden.

„Hoppla....Bitte entschuldigen Sie mich...“ Ein junger Mann, ungefähr Kyokos Alter, beugte sich über sie und reichte ihr seine Hand. Kyoko ergriff diese zögernd und mit meinem schwungvollem Hauruck stand sie wieder auf den Füßen. „Ist Ihnen etwas passiert?“, erkundigte er sich weiter. „Nein...nein, ich glaube nicht“, brachte sie gequält heraus. „Wirklich?“ Langsam nickte sie. Über seine Schulter hinweg konnte sie noch weitere Jugendliche entdecken. Einer von ihnen kam auf sie zu gerannt. „Mensch Gilles! Du bist eine Wucht! Einfach so ein hübsches Mädel zu überrennen!“, der Freund von Gilles grinste breit. „Bonjour! Je suis Peter“, hastig ergriff er ihre Hand und schüttelte sie kräftig. „Et comment tu t'appelles?“ Kyoko verstand kein Wort. Peter ging ein Licht auf. „Du kannst kein einziges Wort Französisch?“ Sie wurde rot und nickte schuldbewusst. „Also gut! Je suis – Ich bin, klar?“ Leichtes Nicken. „Et comment tu t'appelles? - Und wie heißt du?“ Kyoko überlegte kurz und sagte leise: „Je suis Kyoko.“ Peter grinste nun nur noch breiter. „Super!“ Er klopfte ihr auf die Schulter.

„Kommt ihr?“, rief ein Mädchen. Sie hatten Volleyball gespielt und Kyoko war leider Opfer bei einem Annahmeversuch von Gilles geworden. Ungefähr noch 9 andere Jugendliche standen auf dem Spielfeld und warteten, dass das Spiel nun endlich weiter ginge. Peter rief freudestrahlend: „Klar! Und wir haben nun endlich einen 12. Mann!“ Er deutete auf Kyoko. Diese sah ihn perplex an. Hatte sie eine Andeutung gemacht, dass sie mitspielen wolle? „Sie müssen nicht, wenn Sie nicht wollen“, sagte Gilles sanft. „Er ist immer so stürmisch. Sie können von Glück sagen, dass er Ihnen nicht gleich einen Kuss auf die Wangen gedrückt hat“, lächelte er. „Aber das hindert Sie doch nicht ihm ihre Meinung zu sagen.“ Das stimmte. Sie konnte sich dagegen wehren. Aber gewisserweise war es schon verlockend. Kyoko hatte in der Mittelschule immer gern Volleyball gespielt und war darin nicht gerade schlecht. Nach einem Moment nickte sie lächelnd. Tsuruga-san war noch nicht zu sehen, und ihr würde sicher langweilig werden, hier auf ihn zu warten. Also, warum sollte es schaden?
 

Kurzerhand wurde ihr die anderen 9 vorgestellt, doch sie konnte sich unmöglich alle Namen merken. Aurélie, Marc, Florence, Olivier, Frédéric, Madeline, Carole,.... und die anderen 2 Namen vergaß sie ganz.

Das Spiel begann!

Man verständigte sich auch weiterhin auf englisch und nahm anfangs noch Rücksicht auf Kyoko. Aber je länger sie spielten, desto härter wurde der Kampf um die Punkte. Nicht selten landete einer der Spieler etwas unsanft im Sand. Die Sonne stieg und brachte alle zum Schwitzen. In einer kurzen Pause gab Florence der Japanerin etwas von ihrem Getränk ab. Es war eine ausgelassene Stimmung. Kyoko genoß jede Sekunde des Spiels.

Man spielte weiter.

„Mann, hab ich einen Hunger!“, Peter ließ sich erschöpft in den Sand fallen. Soeben hatte die Mannschaft gewonnen, in der auch Kyoko spielte und somit Gleichstand erreicht. Eigentlich müsste es noch ein Entscheidungsspiel geben, aber auch die anderen sahen recht k.o. aus. „In Ordung“, meinte Marc. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Gehen wir etwas essen. Die Entscheidung kommt dann eben später...“ „Wie... wie spät ist es eigentlich?“, fragte Kyoko nervös. Olivier, der etwas molligere sah auf seine Armbanduhr: „Genau 12 Uhr mittags.“

„Was so spät schon???“

„Ja, ja – die Zeit verrennt, ohne das man etwas merkt“, meinte Aurélie und streckte sich. „Ich....ich muss fort. Es war schön euch alle kennenzulernen und auch das Spiel war super, aber ich muss jetzt wirklich los!“ „Aber Kyoko, wohin denn? Wir hätten dich zum Essen eingeladen“, stutzte Peter. „Es tut mir leid, vielleicht einander mal. Aber habe noch etwas zu erledigen. Dazu bin ich eigentlich hier her gekommen. Es tut mir wirklich leid. Au revoir!“ Kyoko verbeugte sich hastig etwas und rannte davon. Die anderen sahen ihr verwundert hinterher.
 

Das sie während des Spieles Tsuruga-san vergessen konnte! Ihr ganzer Tagesplan war zerstört wurden! Aber wo war er nur? Hätte sie ihn nicht sehen müssen? Hätte nicht zumindest der brummige Kameramann namens Robert zu hören sein müssen? Der sich wieder über irgendwelche Passanten aufregt? Waren sie etwa gar nicht am Strand? Kyoko hielt an und blickte sich um. Einige Urlauber und Einheimische hatten sich zurückgezogen. Die Sonne brannte einfach zu stark um die Mittagszeit. War vielleicht Tsuruga-san hier gewesen und sie hatte ihn verpasst? Und nun würde er im Hotel sitzen und sich von der Hitze erholen? Mutlos sank Kyoko in den heißen Sand. Mit einem Finger zeichnete sie ein Strichmännchen und schrieb daneben 'Tsuruga'.

Kanae hatte ihr doch gesagt, dass es Schicksal wäre, dass sie sich immer wieder fänden. Und wo war dieser Herr nun??? Sarkastisch sah sie auf das Strichmännchen.

Schicksal?! Wie lachhaft!

Noch einen Moment starrte sie auf das Bildnis ihres Sempai, dann strich sie mit der Hand darüber und ließ es verschwinden. Entschlossen stand sie auf. So schnell würde sie nicht aufgeben! So einfach würde sie es Laura Beaufort nicht machen!
 

In der Stadt setzte sich Kyoko in ein kleines Café. Bestellte sich ein kühles Getränk und fragte sich, was wohl in diesem Moment Maria und Miss Menno machen würden. Wahrscheinlich würden sie jetzt zu Mittag essen und dann zum Strand hinunterschlendern. Miss Menno war die ganze Zeit über noch nicht einmal im Wasser gewesen.

„Mogami-san?“, fragte eine bekannte Stimme. „Hallo Kyoko-chan! Haben wir uns aber lang nicht mehr gesehen!“, rief jemand begeistert aus. Kyoko sah zu den beiden Störenfrieden und erkannte ihren gesuchten Tsuruga-san und dessen Begleiter Yashiro. „Dürfen wir uns zu dir setzen?“, fragte der letztere. Sie nickte. Ihr Sempai machte ihre einen bedrückten, fast besorgten Eindruck.

Als die beiden sich gesetzt hatten, hielt es Kyoko nicht mehr aus. „Tsuruga-san? Haben Sie irgendwas? Sie sehen so bedrückt aus.“ Der Angesprochene hielt inne. Doch dann lächelte er auf seine Gentlemanart und meinte: „Wie kommst du nur darauf? Mir geht es gut. Es ist nur so entsetzlich warm heute!“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, wischte er sich mit einem Tuch über die Stirn. Sie nickte stumm. Er wollte es ihr eben nicht sagen.

„Sag Kyoko“, begann der Betreuer, „warst du gestern auch auf dem Fest? Es war ja beeindruckend! Das Feuerwerk! Der Tanz! Die Musik!“ Seine Augen leuchteten bei dieser Erinnerung. „Ja, ich war auch dort. Mit Maria-chan und Kanae.“ „Dir hat es doch sicherlich auch so gut gefallen, oder? So wie ich dich kenne, fährst du doch total auf so etwas ab“, bohrte er zwinkernd weiter. „Ja, es war sehr schön. Mir hat das Feuerwerk am besten gefallen.“ „Ich hätte gern dich und Ren mal tanzen sehen“, bedauerte Yashiro. „Das wäre sicherlich ein schöner Anblick gewesen...“, seufzte er.

„Hatte Tsuruga-san denn keine Begleitung?“, fragte Kyoko spitz und sah ihrem Sempai fest in die Augen. „Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass er ohne auf dem Fest erschienen wäre. Bei seinem Prestige...“ „Doch, er hatte eine Begleitung! Aber sie ist nichts im Gegensatz zu dir!“, beteuerte er. Ren schwieg. „Ach, weshalb?“ Sie hatte immer noch ihren Blick auf sein Gesicht geheftet. Aber egal, was sein Betreuer und sie sagten, er ließ sich nichts anmerken.

„Na, sie ist aufdringlich und kann auch nicht einmal kochen! Wenn ich da an dich denke, geht mir fast das Herz auf. So muss eine Frau sein! Und nicht nur eine Dekoration des Mannes!“ Bei diesen Worten zuckte Yashiro ein Taschentuch und fuhr sich über die Augen. Er war ergriffen von seinen eigenen Worten und dem Loblied auf Kyoko. Er hatte sich so darauf gefreut sie wiederzusehen.

„Sie ist ganz anders als du!“ „Stimmt das Tsuruga-san?“ Er blickte immer noch in ihre Augen und schwieg. „Was soll diese Spannung und dieses Schweigen?“, jammerte der Betreuer. „Ist etwas vorgefallen, von dem ich nichts weiß?“ „Ach nein“, sie wandte ihren Blick von ihm und sah nun Yashiro lächelnd an, „nichts bedeutendes. Ich bedauere nur etwas, dass ich euch gestern nicht wirklich treffen konnte. Es wäre bestimmt lustig geworden.“ Dem Blondhaarigen floß ein kalter Schauer den Rücken hinunter.

Was hatten denn nur die beiden? Wo waren die sehnsuchtsvollen Blicke? Die vertrauten Gespräche? Wo war nur die Liebe?
 

Yashiro empfand das Schweigen als eine Qual. Er hatte sich so gefreut die beiden wieder vereint zu sehen, nachdem er das Hotel für einige Zeit hat hüten müssen.

Und nun?

Und nun musste er mit ansehen, dass diese zwei so geliebten Personen sich nichts mehr zu sagen hatten.

Die Chance

„Ren? Wir sollten langsam gehen“, erinnerte Yashiro. Der Schauspieler sah zur Uhr. „Ja, es wird Zeit. Die Mittagspause ist vorbei.“ „Müssen Sie wieder zur Arbeit am Set?“, fragte Kyoko. „Ich gehe schon mal bezahlen“, meinte der Betreuer schnell und ließ die beiden allein.

„Ja“, erwiderte Ren. Er wollte so eben auch aufstehen als sie ihn noch einmal zurück hielt. „Tsuruga-san, was haben Sie? Sie wissen doch, dass Sie mich nicht durch Ihr aufgesetztes Lächeln blenden können. Habe ich Ihnen irgendwas an den Kopf geworfen?“ Sie klang fast besorgt. Einen Moment lang studierte er ihr Gesicht. Doch dann wandte er sich ab. „Nein, es ist nichts. Mach dir keine Sorgen.“ Und somit verschwand er mit seinem Betreuer aus dem kleinen Café.
 

Es war Nachmittag. Kyoko schlenderte durch die kleinen Gassen der Altstadt. Nachdenklich beobachtet sie die geschäftigen Menschen, die an ihr vorbei liefen. Sie kam auch wieder zu dem Brunnen, an dem David sie gefunden hatte. Ein leichtes Lächeln zierte ihren Mund.

Sie wollte ihrem Sempai retten. Und nun? Und nun stand sie da und wusste nicht weiter.

Das Gespräch im Café hatte zu gar nichts geführt. Aber sie konnte sich einfach nicht zurückhalten. Sie wollte aus seinem Mund hören, was er zu dieser Geschichte mit dem Kuss zu sagen hatte. Aber was macht er? Er schweigt! Vielleicht war sie auch etwas zu egoistisch gewesen.

Sie wollte ihn provozieren, aber es half nichts.... Er schwieg.

Kyoko lehnte sich gegen den Brunnenrand.

Hatte sie sich zu viel herausgenommen? Er war ihr Sempai – hatte sie überhaupt das Recht, ihn zur Rede zu stellen? Wäre er nicht bloßstellt worden durch ihre Dummheit?

Kyoko seufzte.

War sie zu weit gegangen?
 

„Kyoko! Was freut es mich, dich hier zu treffen!“ Peter und Gilles kamen auf sie zu. Sie trugen voll bepackte Einkaufstüten auf ihren Armen. Kyoko lächelte sie an und schob ihre dünstern Gedanken bei Seite. „Was macht ihr denn hier?“, fragte sie fast gut gelaunt.

„Wir machen eine Party! Heute Abend!“, meinte Peter freudestrahlend. „Mit Grillen und vielen lustigen Leuten!“ Gilles nickte aufgeregt.

„Möchtest du vielleicht auch kommen? Es wäre uns eine Freude!“, meinte der Ruhige. Kyoko war überrascht. Sie bei einer Grillfete? Peter schien begeistert zu sein von der Idee. „Oh, ja. Du musst kommen! Die anderen werden auch da sein!“

Kyoko überlegte. „Vielen Dank für die Einladung, aber ich bin mit 2 Freundinnen hier. Ich kann sie nicht den ganzen Tag allein lassen.“ Gilles schlug die Augen nieder. „Es tut mir leid, das wusste ich nicht. Ich...“ Aber Peter unterbrach ihn gekonnt. „Ach, was! Dann bring sie doch einfach mit! Um so mehr, desto besser!“ „Meinst du wirklich?“ Kyoko verspürte eigentlich keine richtige Freude bei dem Gedanken an eine Grillfete. „Natürlich!“ Sie überlegte kurz.

„Okay, ich werde sie fragen, ob sie mitgehen würden.“

„Gut! Dann bis heute Abend um 20 Uhr bei Gilles – Rue des Cévennes.“ Peter schrieb ihr auf einen Zettel die Adresse. „Bis später!“

Die beiden verabschiedeten sich.
 

„O-nee-sama!“, rief Maria begeistert. „Sieh mal!“ Sie hielt Kyoko eine schillernde Muschel hin. „Kotonami und ich waren heute Vormittag und Nachmittag am Strand und haben Muscheln gesammelt! Ich habe mir überlegt, ob ich nicht vielleicht für meinen Vater daraus eine Kette bastle!“

„Ja, sehr schön“, lobte die Ältere. „Sag, wo ist denn Miss Menno?“

Kyoko hatte sich gegen Abend auf den Weg zum Hotel gemacht. Als sie am Strand vorbei kam, entdeckte sie Maria, die im Sand wühlte. Kanae war nirgends zu sehen.

„Ach, die ist gerade beim Set und erkundigt sich danach, worum die Geschichte, in der Ren-sama mitspielt sich dreht.“ Sie zeigte auf einige Leute, die recht weit von ihnen entfernt standen. „Aha“, meinte nur Kyoko und stapfte auf die kleine Gruppe zu. Doch bevor sie diese erreichen konnte, lösten sie sich auf und jeder ging seiner Wege. Kanae kam auf ihre Freundin zu.

„Ich muss dir unbedingt etwas erzählen!“, begann diese sofort. Als sie aber Maria sah, verstummte Kotonami und flüsterte leise: „Später.“ Und zwinkerte vergnügt.

„Was war denn los?“, wollte das kleine Wesen wissen. „Hast du was herausgefunden, wie wir Laura Beaufort vor der Zuneigung zu Ren-sama retten können?“ Kyoko sah sie erschrocken an. Dann erinnerte sie sich und lächelte: „Nein, leider nicht.“ „Schade“, gab Maria sich zufrieden. Ihre O-nee-sama erschien ihr irgendwie verändert, aber sie konnte nicht erahnen, woran das lag.
 

„Wie wäre es, wenn wir zu Abend essen?“, sagte Kanae und machte sich auf den Weg zum Hotel.

„Äh... meine Liebe?“ „Was denn?“, fragte diese leicht genervt. Sie musste den ganzen Tag mit dem Zwerg verbringen und wollte jetzt wenigstens eine Belohnung dafür haben – ein gutes Essen!

„Ich wurde gefragt, ob ich nicht an einer Grillfete teilnehmen wolle...“ „Von wem?“, fragte Maria begeistert. „Von ein paar Jugendlichen mit denen ich heute Volleyball gespielt habe“, erklärte Kyoko. „Aber... aber ich dachte, du wolltest nach einer Möglichkeit suchen, wie du Catherina der Superfrau näher kommen und dabei Laura Beaufort vor Ren-samas Charme retten könntest, bevor ihr Herz zerbricht“, ereiferte sich die Kleine. „Und dann spielst du Volleyball! Sehr ernst kann dir deine Mission ja nicht sein!“ Maria schmollte.

„Wie dem auch sei“, entschied Kotonami, „wo findet die Grillfete statt?“ „Wir gehen hin?“, fragte Kyoko überrascht. „Natürlich! Wenn du schon so nett eingeladen wirst....“ 'Und gegrilltes Fleisch schmeckt im Sommer immer besonders gut!', fügte Kanae in Gedanken hinzu.

„Maria? Kommst du?“ Die Kleine überlegte kurz, zog nochmal einen Schmollmund und rannte den beiden Frauen hinterher. „Aber nur, wenn ich einen gegrillten Fisch gekomme!“
 

„Bon soir! Was freue ich mich euch zu unsere Grillfete begrüßen zu können!“ Peter kam überschwänglich den 3 Japanerinnen entgegen. „Na, na! Peter! Überrenne die Armen doch nicht gleich“, hörte man Aurélie lachen. Es waren alle gekommen, die Kyoko schon vom Volleyballspiel her kannte und dazu noch einige, denen sie noch nie begegnet war. Der Garten war recht groß und hatte in der Mitte einen kleinen Teich. Einige hängten soeben Girlanden auf und andere versuchten ein Lagerfeuer in Gang zu bringen. Ein leichtes Lüftchen umspielte die Atmosphäre.

„Das sind meine Freundinnen Kanae Kotonami und Maria Takarada“, wies Kyoko auf ihre Begleiterinnen. „Freut uns euch kennenzulernen“, erwiderten die Gastgeber. „Habt ihr auch gegrillten Fisch?“, fragte Maria vorlaut. Florence lachte. „Natürlich!“
 

Gilles hatte noch jüngere Geschwister, die sich schnell mit Maria anfreundeten. So ließ die Enkeltochter des Präsidenten ihre Freundinnen allein.

„Miss Menno? Gefällt es dir hier?“, fragte Kyoko, als sie sich mit einem vollem Teller zu ihrer Freundin auf eine Decke setzte. „Ja, es ist sehr schön hier. Deine neuen Freunde sind wirklich nett.“ Kyoko nickte glücklich.

„Du hast erwähnt, dass du mir unbedingt etwas erzählen müsstest“, erinnerte sie. Kanae nickte. „Es geht um Laura Beaufort. Und natürlich um Tsuruga-san.“ „Ich höre.“ „Also... in der Fotostory geht es um ein wohlhabendes Fräulein, dass kurz vor dem Ruin steht und deshalb einen reichen alten Knacker heiraten soll. Aber dieses Fräulein hat sich unsterblich in ihren Nachbarn verliebt, der allerdings nicht so wohlhabend ist.... Die übliche Dramatik...“ „Und?“, drängte Kyoko ungeduldig. „Das wird es doch noch nicht gewesen sein...“ „Nein, es geht noch weiter. Also die beiden lieben sich abgöttisch und fliehen gemeinsam ans Meer. Dort können sie ihre Liebe frei ausleben...“ „Mit Fummelszenen?“, unterbrach ihre Freundin. „Fummelszenen???“, Kanae war überrumpelt, „Fummelszenen? Weiß ich nicht... ist das wichtig?“ Kyoko wurde rot und schüttelte schnell den Kopf. Was hätte es denn auch sie anzugehen? Wenn ihr Sempai mit einer Schauspielerin etwas fummeln müsste? Kanae erzählte weiter: „Also... die beiden lieben sich abgöttisch bis auf einmal der Bruder der Geliebten auftaucht und die beiden auseinanderbringen will. Dabei kommt es zu kämpferischen Szenen und sie fällt ins Wasser und er springt ihr hinterher, schlägt dabei aber mit dem Kopf an einem Stein auf. Sie ist zwar Rettungsschwimmerin, kann aber ihm nicht mehr helfen. Er stirb verblutend in ihren Armen. Sie ist daraufhin so erschüttert, dass sie zurück zur Uni fährt, wo sie sich das erste Mal liebten und aufs Dach krabbelt und springt. Eben ein klassischer Selbstmord. Ihr Bruder bekommt totale Schuldgefühle und erschießt sich mit der Schrotflinte, mit der er eigentlich seines Schwesters Geliebten erlegen sollte. Am Ende geht die Familie des wohlhabenden Fräuleins bankrott und alle sterben.... =Ende=“ „Eine sehr ergreifende Geschichte!“, pflichtete Kyoko bei. „Und alle sterben! Es scheint als hätte der Autor nicht mehr gewusst, was er mit seinen handelnden Personen machen sollte und so starben sie... Und was ist daran nun so interessant? Außer, dass es für mich wie ein Wunder erscheint, dass die diese Geschichte als Fotoband herausbringen wollen! Es klingt für mich eher wie eine Filmhandlung mit Überlänge...“ „Ganz einfach! Laura Beaufort kann nicht schwimmen!“ „Ach, und?“ Kyoko verstand nicht. „Sie spielt eine Person, die Rettungsschwimmer ist, aber selbst kann sie nicht schwimmen! Und da kommst du ins Spiel!“ „Was? ICH?“, ihre Freundin war von den Socken. „Wieso denn ich? Ich bin doch gar keine Rettungsschwimmerin! Und außerdem...“ „Du musst ja auch keine richtige Rettungsschwimmerin spielen! Du musst dich nur in den Posen photographieren lassen! Eben schwimmend im Wasser mit Tsuruga-san. Mehr nicht. Und du kommst an die beiden ran und kannst deine Mission somit erfüllen. Na, wie klingt das?“ Kyoko bekam große Augen. „Das ist es!“, rief sie begeistert aus. „Miss Menno, du bist ein Schatz!“ „Keine Ursache“, meinte diese bescheiden. „Ich habe mich eben heute Nachmittag nur etwas umgehört und kurzerhand für dich einen Vertrag geschlossen.“
 

„Hey, ihr beiden! Was tuschelt ihr da so?“, lallte Fréderic etwas. „Kommt, wir wollen noch etwas Spaß haben! Der Abend ist noch jung!“ Olivier schob Fréderic zur Seite und meinte: „Lass doch die beiden. Wir wollen ein Spiel machen und wenn sie keine Lust dazu haben, dann ist das doch okay, oder?“ Sein Freund nickte betroffen. „Klar, hast Recht. Aber es wäre trotzdem schöner, wenn sie mitspielen würden...“ Bei diesen Worten blickte er die beiden Japanerinnen erwartungsvoll an.

Kyoko lächelte leicht. „Wir würden gern mitspielen.“
 

Es war wirklich ein seltsames Spiel. Es gab einen Jäger und die anderen verkörperten Tiere. Kyoko war ein Eichhörnchen und Kanae ein Bär, was sie gar nicht toll fand. Den Sinn des Spieles verstanden sie nicht ganz, nur so viel, dass sie vor dem Jäger, den Peter spielte, flüchten mussten. Das Spielfeld erstreckte sich über die ganze Altstadt. Eine dritte Gruppe bildeten die Helfer – für Tiere und Jäger. Gewisse Fallen wurden gestellt und gewisse Hilfen, damit die „Tiere“ sich verstecken könnten. Man könnte es vielleicht als eine Mischung zwischen „Verstecken“ und „Räuber und Schadarm“ beschreiben. Jedenfalls bekam die Gruppe der Tiere, nachdem sich die Helfer an ihren Stationen in der Stadt eingefunden hatte, einen kleinen Vorsprung.

Der Jäger machte sich auf die Suche nach seinen Opfern.

Die Altstadt wurde von wenigen Laternen erleuchtet. Kyoko und Kanae hatten sich getrennt, um bessere Chancen zu haben. Um diese Zeit fuhren kaum noch Autos durch die Straßen und die Gassen lagen verlassen da. Kyoko entschloß sich zwischen mehreren Mülltonnen zu verstecken und zu warten.
 

„Ren, gute Arbeit“, lobte Yashiro. Dieser nickte nur grimmig. Sie liefen durch die Altstadt, auf dem Weg zu ihrer Unterkunft. Die Arbeit hatte dieses Mal bis tief in die Nacht gedauert.

Sein Betreuer seufzte und meinte wehleidig: „Ren, was ist nur los mit dir? Du hast dich schon seit heute Mittag so benommen! Seit wir Kyoko-chan begegnet sind. Dabei dachte ich, du würdest dich freuen mit ihr deine Mittagspause zu verbringen. Was ist nur in dich gefahren?“ „Es ist nichts. Wirklich. Ich bin nur etwas müde.“

„Müde? Den ganzen Tag? Das kannst du vielleicht deiner Mutter erzählen, aber nicht deinem Betreuer! Es steckt mehr dahinter, ich weiß es! Und ich werde es herausfinden! Und das weißt du auch!“ Ren ließ den Kopf hängen. „Es ist... es ist einfach nur so unheimlich kompliziert! Ich will ihr nah sein und doch auch wieder nicht... Sie ist wie die Sonne – ohne sie kann ich nicht leben und komme ich ihr zu nah, verbrenne ich....“ „Aber das wußtest du doch schon vorher. Was reißt dich jetzt so zu Boden? Es kann nicht nur die Erkenntnis sein, dass du nicht weißt, wie du mit ihrer Nähe umgehen sollst.... Du willst sie, aber denkst, dass du sie nicht verdient hast – das ist mir nichts neues... Also?“ Ren schwieg.

„Man kann nicht immer bei Problemen schweigen, Ren.“

„Ja, ich weiß... Ich habe es eigentlich immer gewusst, wollte es mir aber nicht eingestehen. Sie braucht mich nicht. Ich habe keinen Platz in ihrem Leben. Sie hat andere, bessere als ich.“ „Wie kommst du denn darauf?“, fragte der Betreuer verwundert. „Hast du nicht die anderen gesehen?“ „Nein, habe ich nicht. Ist denn zwischen ihnen irgendwas passiert?“ „Nein, ist es nicht. Aber es gibt auch noch andere Dinge, die mich von ihr trennen.“ „Die wären?“ „Yashiro, davon möchte ich jetzt nicht reden, ja? Ich möchte nicht noch Öl ins Feuer gießen.“

„Du schweigst, weil du einen Streit verhindern möchtest?“

Er nickte. „Ren, Ren, wer hätte gedacht, dass du so unerfahren bist! Ein Streit ist wie ein Gewitter! Es reinigt die Luft – ist erfrischend und belebend. Wenn man richtig streitet! Wenn man streitet, um eine Einigung zu erlangen und nicht, um den anderen zu demütigen oder die eigene Meinung aufzuzwängen. Du...“ „Ist dort nicht Mogami-san?“, unterbrach Ren seinen Betreuer in seiner Lehransprache. „Wo?“, fragte dieser verdutzt. „Na, dort! Zwischen den Tonnen?“ Er wies in die Dunkelheit. Doch sah man genauer hin, konnte man die Umrisse von ihr im schwachen Licht der Laterne erkennen. „Was macht sie dort?“
 

Die beiden Männer blieben stehen und starrten die kleine Person zwischen den Tonnen erwartungsvoll an. Was macht eine junge Frau wie Kyoko zu dieser Zeit an so einem Ort? Zwischen Tonnen? Hatte sie sich verlaufen?

Dann hörten sie plötzlich schnelle Schritte auf sich zu kommen. Eine dunkle Person rannte auf Kyoko zu. „Hab ich dich, Kyoko!“, rief eine männliche Stimme triumphierend. Ein heller Aufschrei folgte. Eine Tonne schepperte. Yashiro wollte schon fast zu den beiden sprinten, doch Ren hielt ihn auf. „Warte.“ „Aber....“

Der Jäger hielt seine Beute in den Armen. Die Tonne war umgestürzt durch Kyokos Versuch der Flucht. Beinah wäre sie über den herumliegenden Müll gefallen, aber Peter war schneller. Mit einer geübten Bewegung hatte er sie an sich gepreßt.

„Peter, wie hast du mich so schnell gefunden?“, fragte Kyoko entsetzt. Sie blickte in sein Gesicht, das ein breites Grinsen zeigte. „Du hast nicht ganz das Spiel verstanden. Es gibt die Helfer, die mir Fallen gestellt und dir somit geholfen hätten.“ Er lachte leise. „So, nun muss ich aber noch die anderen jagen“, scherzte er leise und hauchte ihr ins Ohr: „Du bist ein naives Opfer, aber dafür ein sehr süßes. Leider gibt es für ein Eichhörnchen nicht viele Punkte...“ Erschrocken wich sie zurück und löste sich aus seiner Umarmung.
 

„Yashiro, wir gehen“, entschied Ren und drehte sich zum Gehen. Der andere jedoch blickte noch gebannt die Szene an, die ihnen soeben geboten wurde. Die beiden hatten sie nicht gesehen und auch nicht gehört. War er der andere, von dem Ren gesprochen hatte? Aber warum sollte Ren so gleichgültig sein? Yashiro entschloß, das noch herauszufinden und folgte dem Schauspieler.

Der Sprung

„Meine Füße!“ Kanae stolperte ins Hotelzimmer, ließ sich auf einen Sessel fallen und streckte ihre schmerzenden Beine. „Kotonami, du warst aber auch gut! Nur durch dich hat die Tiergruppe gewonnen“, sagte Maria anerkennend. „Ja, meine Liebe! Du warst richtig toll!“ Kanae verdrehte die Augen. „Nachdem du dich aber auch so leicht hast fangen lassen, musste deine Ungeschicklichkeit wieder ausgebessert werden! Und wenn ich dafür stundenlang durch die Stadt rennen musste! Als Bär!“

Es war 3 Uhr morgens und die Tiergruppe hatte dank Kanae gewonnen. Nach dem Spiel hatten sich alle von einander verabschiedet und sich auf den Weg nach Haus gemacht. Maria war schon längst auf dem Sofa der Gastgeberfamilie eingeschlafen und musste geweckt werden. Im Hotel angekommen, machten sich die Urlauber so gleich daran so schnell wie möglich ins Bett zu kommen.

„Aber als Bär hattest du auch die meisten Punkte zu verteidigen!“, gähnte Kyoko. „Das ist aber nicht meine Schuld gewesen! Wir haben die Rollen ausgelost!“ Mogami ließ sich auf ihr Bett plumpsen und streckte sich genießerisch. „Von mir aus...“

„Kotonami? Hast du meine Haarbürste gesehen?“, fragte Maria und lukte unter dem Bett hervor. „Ich kann sie nirgends finden“, jammerte sie weiter. „Dann nimm meine dieses eine Mal!“, entgegnete Kanae entnervt. Dann wandte sie sich wieder ihrer anderen Freundin zu. „Kyoko, weißt du eigentlich, wie schwer es war... Kyoko? Hörst du mir überhaupt zu?!“ Doch von Kyokos Bett kam nur noch ein leises Schnarchen. „Sie ist eingeschlafen“, stellte Maria fest. „Sieht so aus....“ Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen meinte Kanae weiter: „Komm wir gehen nun auch zu Bett. Wir haben es verdient!“ und legte sacht eine Decke über ihre schlafende Freundin.
 

Der Vormittag kam und es begann zu regnen. Nach den vorherigen heißen Tagen kam nun die kühlere Luft sehr gelegen. Natur und Menschen schienen aufzuatmen.

Am Nachmittag ging Kyoko zum Strand, um dort bei der Fotostory als Ersatzperson zu fungieren. Es regnete nicht mehr, nur tief hängende Wolken bedeckten noch den Himmel und der Sand war feucht. Der Leiter des Sets war begeistert. Da nun die dramatischen Szenen folgen sollten, in denen Ren ertrinkt, war die düstere Stimmung sehr passend. Die Crew war schon 2 Stunden vorher angekommen und hatte schon alles für die Aufnahmen bereit gestellt. Auch Robert, der grimmige Kameramann war wieder mit am Start. Er saß neben dem französischen Star Laura Beaufort auf einer Bank und beobachtete das Treiben.

„Es wird Zeit, dass wir mit der ganzen Sache abschließen“, grummelte er. „Ich kann es nicht mehr ertragen... Immer das Gegaffe von den Passanten!“ Dabei drehte er etwas den Kopf und sah wütend auf die kleine Schar Schaulustige, die einen Blick auf die Stars werfen wollte. „Ach, was regst du dich auf!“, meinte Laura abwertend. „Das sind meine Fans! Du wirst sehen, durch diese Sache, wie du es nennst, werde ich noch berühmter! Dann liegt mir die Welt zu Füßen!“ „Ja, ja... Dir geht es um den Profit... typisch! Stars sind ein eigenes Völkchen, die man nicht verstehen muss...“ „Du hast es erfasst!“ Sie zwinkerte verführerisch. Robert schüttelte den Kopf angewidert und stand auf. „Pass auf, dass du nicht mal verführst wirst!“ Er ging.
 

„Ah Mademoiselle Mogami! Da sind Sie ja!“, rief der Leiter des Sets erfreut aus. „Wo haben Sie denn Mademoiselle Kotonami gelassen?“ „Sie hat sich gestern bei einem Geländespiel einen Fuß verstaucht und hütet das Bett.“ „Die Arme“, bedauerte er. „Kann man wohl nichts machen... Aber kommen Sie, ich stellen Ihnen kurz die Crew vor. Dann können wir auch gleich anfangen. Die Utensilien liegen schon für Sie bereit.“ Mit diesen Worten führte er Kyoko zu den anderen und zeigte zwischen durch auf allerlei technische Geräte.

„So sieht man sich wieder“, sagte Robert. Er putzte wieder seine Kamera. „Ja, so ist es“, meinte Kyoko etwas benommen. Sie hatte schlechte Erfahrungen mit diesem Kerl gemacht und wollte sich eigentlich von ihm fern halten. Doch das schien jetzt unmöglich geworden zu sein. „Nun dann, auf gute Zusammenarbeit!“, brachte er etwas grob heraus. Das überraschte sie. Konnte dieser Miesepeter etwa nett sein? „Ja, du sagst es“, erinnerte der Leiter, „Wir müssen nun anfangen! Ich bitte Sie sich umzuziehen. Dort drüben steht eine Umkleidekabine. Und dort ist eine Kiste mit den Utensilien für die Standmen. Da nehmen Sie sich bitte den Beutel mit der Aufschrift 'Anette Szene 35' heraus.“ Kyoko nickte und folgte den Anweisungen.

Sie beugte sich noch über die Utensilienkiste, als sie angesprochen wurde. „Mogami-san? Auf gute Zusammenarbeit.“ „Tsuruga-san!“ Erschrocken erhob sie sich. „Ja.... ähm... auf gute Zusammenarbeit“, schrie sie fast. Amüsiert lächelte er sie an. „Du bist also für die nächsten Szenen meine Partnerin? Das freut mich.“ „Aber warum?“, stammelte Kyoko. „Aber warum was?“, fragte er interessiert. 'Warum freut es Sie, dass ich ihre Partnerin bin', wollte sie fast fragen, doch sie verkniff sich die Frage. „Warum....äh... warum tragen Sie denn noch normale Kleidung? Wir sollen doch ins Wasser...“, brachte sie schließlich heraus. „Kennst du die Geschichte nicht? Wir stürzen ins Wasser! Das heißt – wir sind in normaler Kleidung“, erklärte er. Der Schreck stand Kyoko ins Gesicht geschrieben. „Natürlich!“, flüsterte sie beschämt. Wie konnte sie das nur vergessen?

„Nun beeil dich! Wir wollen in 10 Minuten los! Als Erstes nehmen wir die Szene an der Klippe in Angriff! Ich bewundere deinen Mut, dass du von einer 20 Meter hohen Klippe ins Wasser dich fallen lässt! Alle Achtung!“ Somit lächelte er sie nochmals an und verschwand ebenso schnell, wie er gekommen war.

'Klippe? 20 Meter? Fallen?' Warum hatte sie DAS nicht gewusst? War sie lebensmüde geworden? Sie erstarrte. Hatte Miss Menno ihr etwas verschwiegen?
 

Mit einem Bus fuhr die Crew und die Schauspieler zu der Klippe.

Kyoko wurde von Minute zu Minute mulmig und mulmiger. Gleich würde sie springen! Konnte man das nicht schon als Mordversuch gelten lassen? Und Ren sollte ihr hinterherspringen... Ren? Er würde auch springen müssen!

Langsam schielte sie in das Gesicht des neben ihr sitzenden Mannes. Nein, er schien ganz entspannt. Hatte er gar keine Angst? Und warum saß er eigentlich neben ihr? Schließlich war sie nur ein Standman!

„Ist was?“, riss er sie aus ihren Gedanken. Herausfordernd sah er ihr in die Augen. Sofort drehte sie den Kopf zum Fenster und meinte: „Nein, es ist nichts.... Springen Sie eigentlich gern von hohen Klippen?“ Was ist denn das für eine Frage? Was sollte er nun von ihr halten? „Wenn es sein muss...“, er machte eine kurze Pause. „Es kann sehr erfrischend sein!“ Überrascht sah sie ihn wieder an. War das sein Ernst? Frech leuchteten seine Augen. „Aha...“, brachte sie nur heraus und wandte sich wieder ab. Minuten der Stille vergingen.

„Hast du Angst?“

„Ähm... wissen Sie, es ist so.... ich...“, doch weiter kam sie mit ihrer Antwort nicht, denn der Bus hatte sein Ziel erreicht und über die Lautsprecher wurde verkündet, dass nun alle auszusteigen hätten.
 

Man befand sich ca. 15 Kilometer von La Brise entfernt in einer Klippenlandschaft. Ein kühler Wind durchfuhr die Bäume. Diese hielten gut 30 Meter respektvoll Abstand zur Klippe.

Kyoko zitterte leicht und schloß ihre Jacke. In dem Beutel mit den Utensilien hatte sie eine Stoffhose mit einigen Löchern gefunden, ein T-shirt und eine recht verdreckte Jacke. Den schlechten Zustand der Kleidung erklärte man ihr damit, dass dadurch die Strapazen der Flucht vor dem mörderischen Bruder verdeutlicht werden solle. Zudem hatte man sie noch etwas geschminkt und eine Langhaarperücke aufgesetzt. Nun sah sie Laura Beaufort recht ähnlich.

Unentschlossen schlenderte sie einmal kurz zum Abgrund hinüber und wagte einen Blick ins Meer. Das Wasser prallte an die Steilküste und schäumte wie ein wildes Tier. Ein kalter Schauer durchzog Kyoko. Da sollte sie runter?

„Beeindruckend, nicht wahr?“, meinte Ren. Er hatte sich zu ihr gestellt und folgte ihrem Blick hinunter. „Hier ist die einzige Stelle, an der man springen kann ohne unten von spitzen Felsen aufgespießt zu werden. Also keine Angst – dort ist nur Wasser! Keine Ungeheuer! Noch nicht mal irgendwelche versteckte Felsen!“ Er lächelte aufmunternd. Sie nickte mit bleichem Gesicht.

„Sind die anderen mit ihrer Besprechung fertig?“, fragte sie nun und deutete auf die Gruppe der Fotographen. Da man Fotos von einer Bewegung – von dem Sprung – machen wollte, hatten sich alle Kameraleute versammelt und berieten, wie sie diesen Moment am besten aufnehmen könnten. Dem Leiter lag es daran, die Schauspieler nur einmal springen zu lassen. Wofür Kyoko ihm sehr dankbar war. Alles musste perfekt laufen!

„Ja, es ist so weit. Es geht los.“
 

Kyoko bekam noch einige Hinweise vom Regisseur und von einem Sportler wurde ihr vorgeführt, dass wirklich nichts passieren könne, wenn sie sprang. Er machte ihr vor, wie sie sich zu bewegen hatte und ließ sich einfach in die Tiefe fallen. Sie schluckte schwer.

Nun würde sie dran sein...

Laura Beaufort und Ren „kämpften“ kurz mit dem Bruder. Man hörte nur das Rauschen der Blätter und das Knipsen der vielen Kameras. Es war ein ergreifender Augenblick. Der Schmerz, die Verzweiflung, die Wut – alles wurde perfekt in Bildern festgehalten. Jetzt kam man an die Stelle, an der Anette – die Geliebte, die von Laura verkörpert wurde – ins Meer stürzt. Kyoko wurde noch bleicher und ihre Beine schienen zu schwanken. Nun würde sie an der Reihe sein. Als sie Ren bei dem Schauspiel beobachtete, vergaß sie ganz, was noch auf sie wartete. Doch der Zustand des Vergessens dauerte nur kurz. Leider.

Sie blickte noch einmal zu ihrem Senpai, dann schritt sie entschlossen zu dem Abgrund. Er würde ihr hinterherspringen. Das gab ihr etwas Mut. Er würde ihr in die Tiefe folgen. Es könnte ihr nichts passieren.

Sie stellte sich auf ihre Position und wartete auf das Startsignal. Die Sekunden kamen ihr wie Stunden vor. Glücklicherweise brauchte sie nicht in den Abgrund sehen, denn sie würde mit dem Rücken zuerst fallen. Eine kurze Kampfszene und Ren wurde von dem Bruder so stark gestoßen, dass er gegen Kyoko fiel und sie durch den Aufprall über das Festland befördert wurde. Sie verlor den Halt unter ihren Füßen und spürte einen starken Luftzug um ihren Körper.

Sie schrie!

Alles bewegte sich zu schnell an ihr vorbei, dass ihr fast schwindlig davon wurde. Dann tauchte sie senkrecht ins Wasser. Es war kälter, als sie gedacht hätte. Es wurde dunkel.

Plötzlich fühlte sie etwas neben sich. Verzweifelt wehrte sie sich dagegen, als es sie umfassen wollte.

Sie tauchte auf.

„Kyoko! Alles okay?“ Ren war ganz außer Atem.

'Kyoko?'

Sie öffnete die Augen und blickte in sein klitschnaßes Gesicht. Die Haare klebten ihm an der Stirn und die Wassertropfen rannten über seine Wangen. Seine Arme hatte er um ihren Oberkörper geschlossen. „Ja... ja... ich glaube schon“, stammelte sie etwas verlegen. Sie konnte seinem Blick nicht ertragen, aber ebenso wenig konnte sie wegsehen. Wie gebannt betrachtete sie die Tropfen, die wie Perlen von seinem Kinn tropften.

„Ist wirklich alles okay?“ Besorgnis lag in seinen Augen. „Ja.... ist alles... okay“, flüsterte sie benommen. Ein leichter Rotschimmer legte sich auf ihr Gesicht. „Ich...“ Langsam näherte sie sich seinem Gesicht. Ren löste einen Arm von ihrem Körper und strich sanft ihr die Haare aus dem Gesicht. Hinter ihrem Ohr ließ er seine Hand liegen. Alles um sie herum verschwamm zu einer einzigen Masse. Als gäbe es nur noch sie beide.
 

„Ihr wart super!“, rief es von der Seite. Der Zauber verschwand. Erschrocken wandten sie sich um. Der Regisseur fuhr mit einem Ruderboot an die beiden Schauspieler heran. „Die Fotographen sehen sich gerade eben die Ergebnisse an, aber ich denke, das war's! Ihr wart wirklich richtig toll! Diese Dramatik!“, schwelgte er. „Jetzt nur noch die Aufnahmen, wie Kyoko Ren aus dem Wasser zieht, nachdem er sich den Kopf gestoßen hat!“ Kyoko löste sich von ihrem Senpai und fragte den Regisseur: „Wie soll ich ihn denn ans Land ziehen? Hier ist nirgendwo eine Möglichkeit, dass wir an Land gehen könnten.“ Sie blickte zu der Steilküste. Der Aufstieg wäre viel zu anstrengend!

„Wir machen hier ein paar Aufnahmen und den Rest machen wir dann bei einem anderen Strand. Also? Darf ich bitten?“ Sie nickte. Die Fotographen auf dem Ruderboot machten sich bereit.

„Tsuruga-san?“ Er nickte und legte sich fast bewegungslos ins Wasser. Kyoko umfasste seinen Oberkörper, wie sie es vorher gezeigt bekommen hatte. Knips. Knips. „Und nun etwas schwimmen!“, kam die Anweisung des Regisseurs. Unter großer Anstrengung bewegte sie sich vorwärts. Ihren Senpai in ihren Armen. Knips. „Wunderbar“, konnte sie hören.

Knips!
 

Es war Abend als das Ruderboot an dem Strand ankam, von dem es gekommen war. Während der Fahrt hatte der Regisseur immerfort seine Begeisterung kundgegeben. Seine kühnsten Träume seien in Erfüllung gegangen! Kyoko und Ren saßen schweigend nebeneinander. Man hatte ihnen eine Decke über die Schultern gelegt.

„So, nun machen wir noch schnell die Aufnahmen, wie Kyoko Ren aus dem Wasser zieht!“, verkündete der Leiter hoch erfreut. „Dann seit ihr fertig!“

Das Boot legte am Steg an und die Insaßen stiegen allesamt aus. „Die letzten Szenen werden heute nichts“, sagte Robert. „Aber warum denn nicht?“, fragte der Regisseur wie ein kleines Kind, dem der Lolli weggenommen wurde. Der Fotograph zeigte nach oben. „Sehen Sie das? Die Wolken? Es wird in wenigen Minuten anfangen zu regnen. Besser wir verschieben die letzten Aufnahmen auf morgen.“ Betretenes Schweigen.

„Nun gut. Mademoiselle Mogami? Dürfte ich Sie bitten morgen noch einmal zu erscheinen? Für die letzten Aufnahmen? So gegen 17 Uhr?“ „Natürlich!“, versicherte sie. „Fein!“, das Lächeln war auf das Gesicht des Leiters zurückgekehrt. „Dann ziehen Sie beide sich um und die Crew räumt schnell alles auf! Nicht, dass wir Wasserschaden erleiden!“
 

„Mogami-san, möchtest du dich zuerst umziehen? Kotonami und Maria-chan werden schon auf dich warten.“ Ren und Kyoko standen unschlüssig vor der einzigen Umkleidekabine. „Gern“, sie lächelte leicht. „Hast du irgendwas?“, fragte er vorsichtig. „Ach... nein!“, meinte sie und verschwand schnell in der Kabine. „Bist du dir sicher?“, fragte er noch einmal. „Natürlich! Du kannst dich auf mein Urteilsvermögen verlassen!“

„Ach, Ren! Da bist du ja!“ Laura Beaufort kam auf ihn zu. „Ich dachte schon, du wärst ertrunken, als ich dich nicht mehr wieder sah“, verteuerte sie liebenswürdig. 'Das ist Laura Beaufort!', schoß es Kyoko durch den Kopf. 'Ach, stimmt ja, die gibt es ja auch noch!'

„Du bist ja noch ganz naß. Du wirst dich sicherlich erkälten! Du musst dich sofort umziehen!“ „Ich habe Mogami-san vor gelassen. Ihre Begleiterinnen werden schon warten und außerdem ist sie doch als Urlauber hier. Es wäre für sie viel schrecklicher krank zu werden als für mich. Ich bin zum Arbeiten hier. Wenn ich krank werde, gehört das zu meinem Beruf.“ „Du bist eben ein richtiger Gentleman“, hauchte sie und strich ihm mit dem Zeigefinger über die Brust. 'Wenn die wüsste', dachte währenddessen Kyoko in der Kabine. „Dann mache ich dir eben in der Zwischenzeit einen schönen heißen Tee!“, beschloß sie und zog ihn mit sich zum Bus. „Nicht, dass du mir krank wirst!“
 

Es regnete als der Bus den Strand verließ und sich in Richtung La Brise aufmachte. Kyoko saß wieder neben Ren und betrachtete gedankenverloren ihren Tee, den sie in den Händen hielt. Wie sollte sie ihren Senpai vor dieser Frau schützen? War sie dafür nicht viel zu schwach dafür?

„Mogami-san? Ist dir kalt?“, fragte Ren. Erschrocken wandte sie sich ihm zu und schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich dachte nur, dass es eine Ehre sein muss mit einem französischen Supertalent zusammenarbeiten zu dürfen.“ „Meinst du Laura? Na ja... es ist auch nicht anders als mit anderen....Man kann sich eben seine Partner nicht aussuchen...“ „Aha, verstehe... Ich bin eben noch nicht so gut vertraut mit der Promiwelt!“, lachte Kyoko. Ren schwieg.

„Warum fragst du mich solche Dinge?“ „Wie meinen?“ „Als würdest du dich nicht in der Promiwelt auskennen! Du bist jetzt schon so lang dabei und bist zu einer wirklich guten Schauspielerin geworden, mit der ich noch viele Projekte in Angriff nehmen möchte! Und du stellst immer dein Licht unter den Scheffel! Wo ist dein Selbstvertrauen?“ „Tsuruga-san... ich...“ Kyoko war perplex. Schätzte ihr Senpai sie wirklich so sehr?

„Ich... ich danke Ihnen.“ Sie lächelte ihn glücklich an. „Das hat mir noch nie jemand gesagt.“ Ren zog eine Augenbraue in die Höhe. „Okay, ja schon.... aber wenn man mir sagte, dass ich eine gute Schauspielerin sei, habe ich immer gedacht, dass die mir nur schmeicheln wollen... Bei Ihnen ist es etwas anderes! Ich weiß, dass ich mich auf Ihr Urteil verlassen kann und dass Sie mir nicht nur etwas sagen, weil Sie nur nett zu mir sein wollen. Sie wollen mir nicht schmeicheln! Dafür sind Sie viel zu gemein!“ Sein Gesichtsausdruck begann zu entgleisen. „Das hast du wirklich nett gesagt!“ Sein typisches Gentleman-Lächeln unterstrich noch seine Begeisterung.

„Uups....“
 

Der Bus erreichte La Brise und hielt auf dem Marktplatz. Es hatte aufgehört zu regnen.

Dort wartete Yashiro schon ungeduldig auf die Ankunft seines Schauspielers. Als dieser dann noch Kyoko erblickte, leuchteten seine Augen vor Freude.

„Oh, ich habe ja gar nicht gewusst, dass Kyoko-chan auch mit von der Partie ist! Freut mich, dich zu sehen!“ „Freut mich ebenso!“ Lächend stieg sie noch die letzte Stufe aus dem Bus herab und stolperte unglücklich dabei. Doch Ren fing sie auf. „Ach, ähm.... vielen Dank...“ Irritiert löste sie sich von seinem Arm. „Ich sollte nun gehen...“ „Aber Kyoko-chan! Alle gehen jetzt in ein Restaurant! Möchtest du denn nicht mit? Da du nun ein Mitglied der Crew bist, dürfte das kein Problem sein!“ „Ach, nein! Kanae und Maria werden schon auf mich warten! Es tut mir leid, aber es geht nicht!“ „Nun dann – grüß die beiden von uns, ja? Und bis später!“ „Ja, bis bald“, so verabschiedete sie sich und machte sich auf den Weg zum Hotel.
 

„Und wie war's?“, begrüßte Kanae Kyoko als diese das Zimmer betrat. „Ich musste ja den ganzen Tag hier verbringen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie langweilig das war! Maria hat mir zwar nahezu jeden Wunsch erfüllt, aber es war so ruhig! Richtig langweilig!“

„Ach, mein Tag war an sich ganz toll gewesen! Besonders der Sprung von einer 20 m hohen Klippe hat's mir angetan! Das war so aufregend! Das kalte Wasser und das Adrenalin! Einfach herrlich! Ich kann mich eigentlich nur glücklich schätzen“, lächelte sie verschwörerisch. „Ja, wirklich! Ich kann

mich glücklich schätzen, dass in dem Meer zufällig nicht die Krokodile schwammen, die Kleopatra zur Ehrung der Göttin der französischen Prominenz -Laura Beaufort- zukommen lassen hat!"

„Bist du sauer?“

„Nein, bin ich nicht!“, schrie Kyoko fast. „Ich wäre ja nur fast an einem Herzaussetzer gestorben!“ Mit einem lauten Knall verschwand sie im Bad.
 

Maria brachte das Abendessen auf's Zimmer. „Ist O-nee-sama wieder da?“ „Ja, und mit einer schlechten Laune... Lass sie am besten erstmal in Ruhe.“

Die Kleine nickte.
 

Der Abend verging mit einer angespannten Ruhe. Nur Marias Seufzen konnte man von Zeit zu Zeit hören. Recht zeitig machte man sich bettfertig.

„Sag mal O-nee-sama, warum bist du eigentlich so stinkig?“ „Ach, das liegt nur daran, dass ein gewisser Jemand mir etwas verschwiegen hat und ich deshalb von einer Klippe springen musste!“ Kyoko verdrehte ihre Augen zu Kanae. „Du musstest von einer Klippe SPRINGEN?“, wiederholte Maria fassungslos. „Aber das ist nun nicht meine Schuld“, verteidigte Kotonami. „Ach ja?“, ironisierte ihre Freundin und kroch unter ihre Bettdecke. „Maria, kannst du bitte das Licht ausschalten?“ Diese nickte und drückte den Schalter.

„Gute Nacht!“
 

Morgen würde sie also noch einen Abend mit Tsuruga-san verbringen. Versonnen strich sie sich über die Gesichtshälfte, die er berührt hatte. Als sie sich dessen bewusst wurde, woran sie gerade dachte, zog sie die Bettdecke sich über das Gesicht und seufzte. Er benahm sich so seltsam.... Er hatte sie eine gute Schauspielerin genannt und wollte auch weiterhin mit ihr arbeiten... Und er hatte sie verzaubert, zwar nur für einen kurzen Moment, aber trotzdem verzaubert.... Kyoko seufzte...

Was war nur los? Sie wollte ihren Senpai vor einer besitzergreifenden Frau schützen, die ihn dreister Weise einfach geküsst hatte! Geküsst??? Sie hatte ja immer noch nicht das Rätsel um den Kuss im Restaurant gelöst! Sie hatte einfach angenommen, dass er überfallen wurde! Vielleicht war dessen gar nicht so... vielleicht war ja dieser französische Star seine heimliche Geliebte! Aber wenn dem so wäre, was wäre denn dann das heute im Wasser gewesen?

Alles drehte sich in ihrem Kopf. Sie kam einfach nicht zu einem Schluß! Warum musste es denn auch so kompliziert sein?

„Der Typ nervt!“, flüsterte sie genervt in ihr Kopfkissen. „Du kannst mir gestohlen bleiben! Ich schlafe jetzt! Hörst du mich, Ren Tsuruga? Ich schlafe jetzt! Und du wirst mich nicht um den Schlaf bringen!!!“ Energisch bettete sie ihren Kopf ins Kissen und schloß die Augen.

'Ich werde jetzt schlafen!'

Auf in die Weinberge!

„Guten Morgen, O-nee-sama!“, jubelte Maria. „Hast du aber lang geschlafen! Es ist schon fast 11! Und David möchte doch heute mit uns einen Ausflug machen!“

„Ausflug? Wohin denn?“, murmelte Kyoko schlaftrunken. „Na, in die Weinberge!“ „Weinberge?“ Sie verstand das kleine Mädchen einfach nicht...

„Maria? Kyoko weiß davon noch nichts“, klärte Kanae sie auf. „Oh, Entschuldige, O-nee-sama... Das hatte ich vergessen. Also – gestern sind wir, Kotonami und ich, abends noch einmal in die Stadt bummeln gegangen und sind dort David begegnet. Er hat uns erzählt, dass sein Großvater Winzer auf einem Weinberg hier in der Nähe ist und er hat uns eingeladen diesen Weinberg zu besuchen! Wir haben sofort zugesagt“, berichtete Maria freudig. „Ihr wart bummeln?“, brachte Kyoko ungehalten hervor. „Miss Menno hat sich doch den Fuß verstaucht! Wie könnte ihr da bummeln gehen?“ „Na ja, ehrlich gesagt...“, begann Kanae, „ehrlich gesagt, war mein Fuß gar nicht verstaucht, nur etwas überdehnt. Bei dem Geländespiel habe ich die Sehen überlastet und das war dann der Grund für die stechenden Schmerzen. Außerdem hat Maria mir fast den ganzen Tag kalte Umschläge gemacht... Also kein Grund zur Sorge! Und zusätzlich waren wir auch noch in einer Apotheke und haben eine Creme gekauft.“ „Falscher Alarm?“, fragte Mogami fassungslos. „So sieht es aus.“ „Und ich habe mir Sorgen um dich gemacht! Und dann falscher Alarm???“

„Ach, O-nee-sama... Beruhige dich und zieh dich an! David wird uns in einer halben Stunde abholen!“, meinte Maria fröhlich und begann ihren Rucksack zu packen. „Er holt uns in einer halben Stunde ab?“, fragte sie verwirrt. „Ja, da du ja nun mit den Aufnahmen fertig bist, können wir wieder was zusammen unternehmen!“ „Aber... aber ich bin doch noch gar nicht fertig!“ „Wie? Die vom Set haben gemeint, dass du nur einen Tag für sie arbeiten müsstest!“ „Ja, das stimmt schon, Miss Menno... Aber gestern wurde das Wetter plötzlich wieder schlechter und so wurden die letzten Szenen auf heute Abend verlegt. 17 Uhr soll ich wieder am Set sein... Was machen wir denn jetzt nur?“

„Du fährst natürlich mit!“, entschied Maria bockig. „Ja, es dürfte kein Problem sein dich kurz vor 17 Uhr wieder hier abzusetzen. Wir fahren gut eine ¾ Stunde. Das heißt wir sind gegen 12 Uhr dort und müssten dann kurz nach 16 Uhr wieder starten. Das sind gut 4 Stunden! Das müsste reichen.“ „Meint ihr?“ Beide nickten bestimmt. „Nun gut, wenn ihr meint, fahre ich mit.“ Im Geheimen freute Kyoko sich jetzt schon auf den Ausflug mit ihren Freundinnen. Sie konnte gut etwas Ablenkung von Ren und dieser Laura Beaufort gebrauchen.
 

David Gaelle kam pünktlich und lud alle Rucksäcke in den Kofferraum.

„David?“ „Ja, kleines Fräulein?“ Er lächelte Maria an, die ihm gerade ihren Rucksack entgegen hielt. „Ist der Weinberg deines Großvaters sehr groß?“ Er nahm ihr das Gepäck ab und antwortete: „Nein, er ist im Verhältnis zu den anderen recht klein. Aber er bringt jedes Jahr ein paar wunderbare Tröpfchen hervor. Mein Großvater ist eigentlich nur noch aus Vergnügen Winzer.“ David zwinkerte ihr zu. „Ich freu mich schon!“, jubelte sie und kletterte ins Auto.

„Es ist wirklich nett, dass du uns diesen Ausflug anbietest“, sagte Kanae. „Hab vielen Dank!“, ergänzte Kyoko. „Ach was! Keine Ursache! Ich sollte eh schon seit längerer Zeit mal wieder meine Großeltern besuchen. Da ist die Gelegenheit doch echt günstig!“ „Trotzdem vielen Dank“, Kyoko verbeugte sich leicht.

„Darf ich bitten einzusteigen? Es geht los!“
 

Die Fahrt wurde sehr angenehm. Man fuhr landeinwärts und bestaunte die vorüberschweifende Landschaft. Die Sonne stand hoch am Himmel und ließ die Wiesen und Wälder satt und saftig erscheinen. Im Radio trällerte ein Lied nach dem anderen. Der Fahrtwind brachte eine angenehme Frische. Irgendwann verließ man die Hauptstraße und bog auf einen Weg ab. Am Rand standen einige Blumen verstreut. David erklärte, dass man nun sich dem Besitz der Familie näherte.

Das Auto hielt vor einem großen, weißen Haus.

„So, wir sind da!“

Maria bestaunte das Anwesen. „Ist das toll!“ „Nicht von schlechten Eltern“, bestätigte Kanae.

Ein gut gebräunter älterer Mann kam auf sie zu. „Ich freue mich Sie auf meinem Gut begrüßen zu dürfen! David hat mir schon erzählt, dass Sie ihn begleiten werden. Ich bin sein Großvater Gérard Moreau.“ „Es freut uns ebenfalls“, antwortete Kyoko höflich. „Ich hoffe, wir machen Ihnen keine Umstände...“ „Aber nein“, winkte er ab. „Ich wollte schon immer Davids Freunde kennenlernen.“

„David! Ist das eine Überraschung!“ Eine junge Frau kam auf die Gruppe zugerannt. „Fleur! Das ich dich hier treffe!“ Er ging ihr entgegen und umarmte sie kurz. „Darf ich vorstellen“, er wandte sich an die Japanerinnen, „meine kleine Schwester Fleur! Sie studiert in Paris und ist nicht oft hier anzutreffen.“ „Freut mich euch kennenzulernen!“ „Nun kommt“, meinte der Großvater ungeduldig, „Wie ich gehört habe, habt ihr leider nicht viel Zeit. Wollen wir mit der Führung anfangen?“

Er steuerte auf das große Haus zu und seine Besucher folgten ihm. Innen war es erstaunlicherweise angenehm kühl. Sie setzten sich auf ein Sofa in der Eingangshalle und tranken etwas zur Erfrischung. Gérard begann zu erzählen. Er berichtete von den Anfängen des Weinanbaus und von den Besonderheiten. Dazu zeigte er einige Bilder über einen Diaprojektor.

„Haben Sie denn noch irgendwelche Chancen gegenüber der riesigen Konkurrenz? Nützt es denn noch hier Wein anzubauen?“, fragte Kanae. „Nein, in dem Sinne habe ich keine Chance, um gegen sie zu bestehen. Aber ich habe etwas anderes – was den Weinbau wiederum wertvoll macht. Ich habe mich auf bestimmte Weinsorten spezialisiert. Ich stelle selbst nur noch Spitzenweine her, die dann auf Auktionen und an große Nobelrestaurants für viel Geld verkauft werden. Nur mein Freund in La Brise, der ein Restaurant dort besitzt, bekommt jedes Jahr eine Flasche von mir geschenkt. Aber ansonsten finanziert sich das Ganze hier über die Produktion und den Verkauf von erstklassigen Weinen. Außerdem könnte ich mir nicht vorstellen aufzuhören... Mein Leben ist der Wein“, lachte er. „Das ist ja interessant!“, meinte Maria. Sie hatte ihm aufmerksam zugehört. Er hatte die Gabe, die meistens nur Großväter oder Großmütter besitzen – er konnte so erzählen, dass auch das Langweiligste plötzlich interessant wurde. „Und wie heißen Ihre Weine?“, fragte sie weiter. „La Cour du Seine“, antwortete er lächelnd. „Das Herz der Seine.“
 

Nach dem Vortrag gingen sie nach draußen in den Weinberg. Maria betrachtete stauend die Trauben, die in der Sonne hingen. M. Moreau erlaubte ihr einige der Trauben zu kosten. Sie waren wunderbar süß.

Über einige Weinstöcken hingen große Netze. Davids Großvater erklärte, dass das gegen die Vögel sei, die immer wieder auf Traubenraubzügen gingen. Er wollte verschiedene Methoden dieses Jahr ausprobieren, um diese Störenfriede zu verscheuchen.

Es wurden noch die großen Holzfässer gezeigt und etwas zum Gärprozeß erwähnt. Kyoko und Kanae durften sogar einen der Spitzenweine probieren. Vorsichtig rochen sie daran und nahmen einen Schluck. „Der schmeckt ja fantastisch!“, rief erstere überrascht aus. „Da kann man den Preis verstehen!“, stimmte die andere zu. Großvater Gérard grinste nur zufrieden. Ja, er lebte für den Wein!
 

Der Nachmittag neigte sich dem Ende zu. Man stand wieder vor dem großen, weißen Haus. Die Sonne stand nun schon etwas tiefer. Bedauernd musste man sich verabschieden.

„Haben Sie vielen Dank! Es war wirklich sehr interessant!“, verkündete Maria. Der Alte lachte nur erfreut. „Schön, dass es dir so gefallen hat. Maria, ich habe noch etwas für dich und auch für deine Freundinnen, wenn sie es nicht zu kindisch finden“, flüsterte er. Die Kleine machte große Augen. „Was denn?“ Verschmitzt hielt er ihr einen Schlüsselanhänger vor das Gesicht. Eine Weintraube hing daran mit Augen und einem breit grinsenden Mund, mit Händen und Füßen, und auf der Rückseite stand „La Cour du Seine“. Dankbar nahm sie ihr Geschenk entgegen. Sie fand es einfach nur süß! So süß wie die Trauben, die sie kosten durfte. Um es nicht zu verlieren hängte sie es an ihren Rucksack. „Kyoko? Kanae? Möchtet ihr auch ein kleines Geschenk?“ Die beiden waren gerade noch mit Autobeladen beschäftigt. Neugierig drehten sie sich um. Wieder mit dem so typischen Grinsen auf dem Gesicht hielt er ihnen ebenfalls je einen Schlüsselanhänger hin. Dankend nahmen sie das Geschenk an. „Es hat uns wirklich gefallen!“, beteuerte Kyoko noch einmal.

Dann verabschiedeten sie sich und kletterten wieder ins Auto. Sie mussten wieder zurück.
 

Kyoko beschimpfte in Gedanken diesen Robert, der am vorhergehenden Tag verhindert hatte, dass sie mit den Aufnahmen fertig wurden. Was hätte schon der Regen gemacht? Dann hätte sie noch länger auf dem Weingut bleiben können und wäre der zickigen Laura Beaufort entgangen. Aber sie wusste es ja besser. Es konnte nichts daran geändert werden. Sie musste wieder zum Set.

Mit etwas genervten Gesichtsausdruck gab sie sich dem Fahrtwind hin und schloß die Augen.
 

„Wunderbar!“, rief der Regisseur aus. „Dass wir heute so gut vorankommen! Wir liegen gut im Zeitplan! Damit hatte ich nicht gerechnet. Leider müssen wir jetzt auf Mademoiselle Mogami warten. Ich hatte ihr 17 Uhr gesagt. Aber wir haben es erst 16:30 Uhr... Nun gut – eine halbe Stunde Pause für euch!“ Die Crew zerfiel in ein erleichterten Gemurmel.

„Ach, Ren! Könnte ich dich noch mal kurz sprechen?“ Der Regisseur winkte den Schauspieler zu sich heran. „Ja, was wünschen Sie?“ „Ren, ist es für dich in Ordnung, wenn Mademoiselle Mogami auch diese Stelle übernimmt?“ Er tippte mit dem Zeigefinger auf das Drehbuch. „Du weißt ja, dass es Laura nicht so gut geht. Sie hat gestern einfach zu sehr gefroren als sie auf ihren Einsatz warten musste. Die Aufnahmen morgen von ihrem Selbstmord wird sie wieder selbst übernehmen. Aber heute geht es ihr einfach zu schlecht. Sie hat zwar protestiert und wollte die noch fehlenden Szenen ein weiteres Mal verschieben, aber dazu haben wir keine Zeit! Wir kamen zwar heute gut voran, haben aber auch schon genügend Einbußen gehabt. Wir können nicht mehr warten. Heute passt es auch mit dem Wetter perfekt. Und ich bin mir zudem sicher, dass Mademoiselle Mogami auch diese Szene meistern wird. Sie ist wirklich begabt! Da hat ihre Freundin Mademoisellen Kotonami nicht übertrieben.“ Ren nickte zustimmend.
 

Yashiro reichte ihm eine Flasche Wasser. Ren hatte sich bereits umgezogen für die nächsten Szenen und saß in einem Standkorb. „Vielen Dank.“

„Ist Kyoko-chan auch diesmal wieder deine Partnerin?“, fragte der Betreuer neugierig. „Ja, ist sie...“ „Das ist ja schön! Freust du dich denn gar nicht?“ Misstrauisch sah er seinen Schauspieler an. Dieser seufzte lang und starrte das Meer an. „Ich weiß nicht.... ich weiß es nicht.... müsste ich denn?“ „Aber hör mal Ren!“, ereiferte er sich. „Wie kannst du nur so etwas sagen?! Du, der...“ „Mogami ist angekommen!“, rief es und unterbrach Yashiro grob. „Ah, da haben wir sie ja!“ Der Betreuer ging ihr entgegen.

„Kyoko-chan! Schön dich wiederzusehen!“, sagte er lächelnd. „Und natürlich auch Kanae und Maria-chan!“, ergänzte er. „Wer ist das?“ Er sah David an, der hinter den Mädchen stand. „Das ist David Gaelle – ein Freund von uns. Wir haben zusammen einen Ausflug heute gemacht“, erklärte die Kleinste. „Wir wollten fragen, ob wir heute aufpassen dürfen bei den Aufnahmen.“ Yashiro hielt dem Unbekannten die Hand hin. „Guten Abend. Ich bin Yashiro – der Betreuer eines Schauspielers, den die jungen Damen hier kennen. Freut mich.“ Kanae und Maria ließen die beiden Männer stehen und wanderten auf den Regisseur zu, um ihre Bitte vorzutragen.

Kyoko ging in der Zwischenzeit sich umziehen. Sie schauderte bei dem Gedanken, wieder in der Kleidung ins Wasser zu gehen. Waren die Klamotten erstmal naß, dann wogen sie so einiges. Und sie, Kyoko, sollte ja auch noch Tsuruga-san aus dem Wasser ziehen. Sie verdrehte die Augen und zog das T-shirt über.

Der Regisseur erlaubte ihnen zuzusehen. Somit setzten sie sich auf eine Bank und warteten gespannt auf den Start. Yashiro hatte sich zu ihnen gesellt. Etwas misstrauisch blickte er immer wieder zu Gaelle hinüber. Doch dieser ließ sich nichts anmerken und sah erwartungsvoll auf die Crew, die sich für die Aufnahmen bereit machten.

Es war kurz nach 17:30 Uhr als sie begannen. Kyoko und Ren stiegen ins Wasser und warteten auf das Zeichen.
 

„So, wir sind so weit!“, rief der Regisseur den beiden zu. „Also bitte!“

Ren legte sich wieder fast bewegungslos ins Wasser und Kyoko schlang ihre Arme um seinen Körper. Dabei versuchte sie Entsetzen in ihr Gesicht zu zaubern, was ihr allerdings nicht so ganz gelingen wollte. Ren war einfach zu schwer! Sie hatte große Mühe ihn überhaupt fortzubewegen. „Mogami! Mehr Gefühl!“, rief es vom Strand aus. „Ja, ja...“, murmelte sie etwas gereizt. „Soll ich dir helfen?“, flüsterte Ren. „Wie? Sie wollen mir helfen? Wie denn?“ „Keine Sorge, es wird niemand auf den Fotos sehen.“ Er lächelte schwach und ließ ein Bein tiefer sinken. Plötzlich wurde es für Kyoko leichter und sie konnte sich mehr auf den Schmerz des Verlustes ihren Geliebten konzentrieren. Ren schob langsam mit dem einen Fuß sich selbst mit vorwärts. Knips. Knips. „Schon besser!“, rief es wieder vom Strand.

„So, und nun...“, begann der Regisseur, „Ren leg dich hierher und Mogami beugte sich so über dich.“ Der Schauspieler legte sich in den noch warmen Sand und Kyoko beugte sich über ihn. Unsicher sah sie sich um. Was sollte sie denn nun machen? Einfach sich so über ihn beugen? „Mogami! Du musst versuchen ihn wiederzubeleben! Er ist bewusstlos und atmet nicht mehr.“

Kyoko sah etwas entsetzt den Regisseur an. Warum konnte denn das nicht diese Laura machen? Apropos Laura – wo war diese denn überhaupt? Sie hatte sie noch gar nicht gesehen... nun gut... Kyoko gab sich einen Ruck und redete sich ein, es sei nur ein Spiel – ein Schauspiel! Warum konnte sie hier nicht einfach so in der Handlung und in deren Personen versinken? Dann hätte ihr es gar nichts ausgemacht, glaubte sie zumindest. Sie konnte es doch sonst auch... was war hier nur so anders?

Sie schüttelte den Kopf. Daran konnte sie jetzt nicht denken. Sie musste ihren Geliebten wiederbeleben! Also los!

Zuerst überprüfte sie, ob er noch atmete – so wie sie es in einer Erste Hilfestunde gelernt hatte. Da dies nicht der Fall sein sollte, machte sie sich an die Beatmung. Nase zuhalten und dann über den Mund... Kyoko errötete... Wäre dies ein Film, sie wäre haushoch durchgefallen. Das wusste sie! Aber da es nur Fotoaufnahmen waren, schien es niemanden zu stören, dass sie stockte. Sie schloß die Augen und drückte ihren Mund auf seinen. Knips. „Ja, genauso!“, rief der Regisseur. „Nur weiter so!“

Kyoko legte als nächstes ihre Hände auf seine Brust, so als würde sie drücken wollten. Knips. Knips. „So, und nun merkst du langsam, dass es keinen Sinn hat und dass dein Geliebter so eben gestorben ist!“ Dies fiel ihr um einiges leichter. Entsetzt sah sie ihren Geliebten an und schüttelte ihn etwas, als wöllte sie ihn aufwecken. Die Tränen floßen ihr über die Wangen und benetzten sein Gesicht. Zärtlich strich sie ihm durch das naße Haar. Verzweifelt legte sie ihren Kopf an seine Schulter und ließ ihren Gefühlen freien Lauf. Knips. Die Haare der Perücke fielen ihr auf das Gesicht und versteckten ihre Augen. Trotzdem reichten die Tränen auf den Wangen und der vor Schrecken aufgerissene Mund aus, um die Trauer auszudrücken.

Die Crew stand still. Es war als würden alle die Luft anhalten. Der Regisseur hatte einige Tränen in den Augen. Ergriffen fuhr er sich über das Gesicht.
 

„Gut, das war's“; durchdrang es die Stille. Es war Laura. Sie stand plötzlich neben einem der Kameraleute. „Jetzt bist du ja fertig, Mademoiselle Mogami. Du kannst nach Hause gehen.“

Kyoko erhob sich. Da stand sie, die es gewagt hatte sich ihren Tsuruga-san zu nähern. Da stand sie, die sie mit einem überheblichen, arroganten Blick durchlöscherte.
 

„Vielen Dank für deine Hilfe“, sagte der Regisseur. „Du hast uns wirklich geholfen!“ Er drückte ihr 50 € in die Hand. „Deine Bezahlung. Und natürlich bekommst du noch eine Ausgabe mit der Fotostory, wenn es fertig ist.“ „Haben Sie vielen Dank. Es war für mich eine ganz neue Erfahrung. Leben Sie wohl!“, antwortete Kyoko. Sie verbeugte sich leicht und machte sich auf den Weg zu ihren Begleitern.

„Mogami-san“, rief Ren. „Darf ich noch mal kurz mit dir sprechen?“ Sie hielt an und nickte. „Mogami-san, würdest du einmal etwas mit mir unternehmen?“ Sie stutzte. Unternehmen? „Ja, warum nicht!“ „Gut, freut mich! Da ich jetzt tot bin, habe ich etwas Freizeit und möchte von der Gegend noch etwas sehen, bevor ich nach Japan zurückkehre. Sie brauchen mich hier nicht mehr.“ „Wenn das so ist“, sie lächelte, „würde ich gern etwas mit Ihnen unternehmen. Wann wäre es Ihnen denn recht?“ „Wie wäre es morgen? Ich würde dich zum Mittagsessen abholen? Oder habt ihr schon etwas anderes geplant?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, haben wir nicht. Aber was ist mit Miss Menno und Maria-chan?“ „Tut mir leid, daran hatte ich nicht gedacht – dass du noch deine Freundinnen hast, meine ich. Aber eines weiß ich: Ich möchte die Zeit mit dir verbringen. Nur mit dir.“ Ein leichter Rotschimmer legte sich auf Kyokos Wangen. „Vielleicht können sie ja etwas mit Yashiro unternehmen?“, antwortete sie. „Ja, vielleicht...“ Schweigend sahen sie sich an.

„Kyoko! Kommst du nun? Wir warten!“, rief Kotonami. Die Gerufene drehte sich ruckartig um. „Ja, ich komme!“ Wandte sich zu ihrem Senpai. „Also dann, Tsuruga-san, bis morgen um 11 Uhr?“ „Ja, in Ordnung. Ich hole dich um 11 Uhr ab. Auf Wiedersehen!“ „Aurevoir!“

Mit wackligen Beinen lief sie zu ihren Freunden.

Mit wackligen Beinen vor Glück.
 

David fuhr sie bis vor das Hotel und half ihnen noch das Gepäck auszuladen.

„Haben Sie nochmals vielen Dank, Gaelle-san!“, meinte Kanae höflich und verabschiedete sich. Sie nahm ihren Rucksack. „Maria? Kyoko? Kommt ihr?“, rief sie und hielt den beiden die Tür auf. Maria lächelte David dankbar an und folgte Kotonami. Kyoko wollte soeben auch ihrer Freundin folgen, doch er hielt sie zurück.

„Kyoko? Dürfte ich mich kurz mit dir unterhalten?“ Diese nickte und meinte zu ihren Begleiterinnen: „Geht schon mal vor. Ich rede noch kurz mit David. Ich komme gleich nach!“

Die Tür fiel ins Schloss.
 

Sie setzten sich unter einem großen Baum auf eine Bank.

„Also? Was gibt es?, fragte Kyoko neugierig. „War das der Schauspieler, von dem du mir am Nationalfeiertag erzählt hast? Dieser Tsuruga-san?“ „Wie kommst du denn darauf?“ Verwundert sah sie ihn an. „Habe ich Recht? Nun... man kann es sehen!“ „Ja, du hast Recht. Aber was sieht man denn?“ Sie verstand nicht. „Na, die Liebe!“ Er lachte. Kyoko blickte ihn an als hätte er etwas total Hirnrissiges gesagt. „So, wie ihr euch in die Augen seht und miteinander umgeht! Das sagt mehr als Worte! Glaube mir.“ „Ich weiß nicht, wie du zu der Annahme kommst, dass wir uns verliebt verhalten. Aber egal... Ich muss gehen“, sie stand auf, „die beiden werden schon auf mich warten! Leb wohl!“ Mit großen Schritten stapfte sie davon. Amüsiert sah er ihr hinterher. „Ach, und viel Spaß morgen bei deinem Rendezvous!“ Hastig drehte sie sich noch einmal um. „Das ist kein Rendezvous!“, und lief weiter.
 

„Was wollte denn David?“, fragte Maria, als Kyoko zur Tür herein kam. Sie und Kanae hatten es sich auf den Sesseln in der Eingangshalle zwischen riesigen Topfpflanzen bequem gemacht und auf ihre Freundin gewartet. „Ach nichts weiter...“, winkte diese ab. „Habt ihr auch so großen Hunger wie ich?“, fragte sie ablenkend. Der Kleinen Augen wurden groß. „Wollen wir essen gehen?“

So machten sie sich auf den Weg zu dem im Hotel ansäßigen Restaurant und ließen den Tag ruhig ausklingen.

Ein Ausflug zu zweit

Die Sonne stand hoch am Himmel. Es wurde ein warmer Tag. Gegen Abend sollten, laut Wetterbericht, allerdings Gewitter und Regenschauer die Hitze ablösen.

Ren stand vor dem Hotel „Sur la mer“ und wartete auf Kyoko. Es war kurz vor 11 Uhr. Vorsichtig schaute er sich um. In Frankreich fühlte er sich zwar um einiges sicherer vor Fanattaken als in Japan, aber man konnte ja nie wissen. Nachdem diese Fotostory auf dem Markt erscheinen wird, kann er sich sicherlich auch hier auf den Straßen kaum noch blicken lassen. Berühmt zu sein, hat auch seine Schattenseiten... Ren seufzte und zog sich seine Dachmütze noch tiefer ins Gesicht. Heute würde ein Tag sein, so als wäre er ganz normal... als wäre er ein unbedeutender Normalo... der einfach in der breiten Masse untergeht... keine Anhäufungen von Menschen, die von ihm ein Autogramm haben wollen oder sich gar mit ihm fotografieren... Erleichtert sah er an sich hinunter: Jeans und Turnschuhe – so war er schon lang nicht mehr durch die Gegend gelaufen.

Ein ganz normaler Tag!

„Tsuruga-san?“ Kyoko stand vor ihm und lächelte ihn etwas unsicher an. „Ich bin so weit!“ Sie nahm ihren Rucksack auf die Schultern und spielte etwas mit einem Bändchen. „Wollen wir dann?“, fragte Ren zuckersüß. Sie nickte amüsiert. „Und wohin wollen Sie mit mir?“ „Lass dich überraschen!“, lachte er verschwörerisch, „Wir müssen nun aber wirklich los. Sonst fährt der Bus ohne uns!“ „Bus?“ Sagte er Bus? Kyoko sah ihn perplex an. Bus? Doch er nahm sie bei der Hand und zog sie mit sich. „Ich wollte schon lang mal wieder einen ganz normalen Tag haben, einen Tag wie ihn sonst nur Nichtpromis haben.“ Sie machte ein besorgtes Gesicht. „Keine Sorge! Hier wird mich schon keiner erkennen!“ Wie ein kleiner Junge lief er leichten Schrittes mit ihr an der Hand den Weg zur Stadt hinunter.
 

Im Bus war es sehr warm. Die Klimaanlage war entweder ausgefallen oder es gab erst gar keine. Doch Rens Stimmung ließ sich dadurch nicht trüben. Er saß lächelnd neben Kyoko und schaute aus dem Fenster, während sie sich den Kopf darüber zerbrach, wo er eigentlich mit ihr hin wollte.

Man durchquerte eine größere Stadt und kam dann zu einem etwas abseits gelegenen Dorf.

Es war ein herrlicher Anblick. Alles lag so friedlich in der Mittagssonne und nur ein leichter Wind durchfuhr die Bäume, die es hier massenweise gab. Es schien, als wäre die Zeit stehen geblieben.

Ren und Kyoko standen an der Bushaltestelle und genoßen die Atmosphäre.

„Ich möchte dir jemanden vorstellen“, begann er, „einen alten Freund von mir. Er hat hier ein kleines, hübsches Restaurant. Er ist Italiener. Ich habe ihn schon seit Jahren nicht mehr gesehen.“ „Weiß er, dass wir kommen?“ „Ja, ich habe ihn vorher angerufen. Er freut sich schon.“
 

„Ah! Kou...mmen Sie! Ren, es freut mich!“ Ein etwas dicklicher Mann hieß sie auf's herzlichste Willkommen. Er hatte eine Schürze um die Hüfte gebunden und ein Wischtuch in der Hand. Als er merkte, dass er wohl einen recht seltsamen Anblick bieten musste, lächelte er entschuldigend und erklärte, dass seine Frau krank sei und er ihre Arbeit übernehmen müsse.

„Ach, was! Macht doch nichts. Ich hoffe, deiner Frau geht es bald wieder gut“, meinte Ren. Dann zeigte er auf Kyoko: „Das ist Mogami Kyoko, eine Freundin von mir. Kyoko, das ist Gino, mein Freund.“ „Es freut mich Sie kennenzulernen.“ „Ach, Mädel – lass das Siezen! Du kannst mich ruhig duzen! Seine Freunde sind meine Freunde!“Kyoko lächelte unsicher. „Vielen Dank.“

„So, was wollt ihr essen?“ Gino führte sie zu einem Tisch. „Was hast du denn im Angebot?“ „Also da hätten wir...“ „Gut, das nehmen wir“, meinte Ren kurz. Mit einem verdutzten Gesichtsausdruck wandte sich sein Freund zur Küche.

Etwas Zeit verging. „Entschuldige mich“, sagte Ren und stand auf. Verwirrt starrte sie ihm hinterher.
 

„Gino?“, flüsterte Ren in die Küche und steckte den Kopf durch die Tür. „Ja, mein Freund? Was liegt dir denn auf dem Herzen?“, flüsterte dieser zurück. „Ich hoffe, dir passiert kein kleines Ungeschick. Du weißt schon...“ „Natürlich! Hast du nicht mitbekommen, wie ich das Unglück noch abwendete? 'Kou..mmen Sie'“, er lachte. „Du heißt jetzt Ren Tsuruga. Ich weiß schon“, er verdrehte die Augen. „Aber warum darf sie es nicht wissen? Ich dachte, sie ist eine Freundin? Und scheinbar sogar eine recht gute... Also warum das Versteckspiel?“ Er sah seinen Freund väterlich besorgt an. Dieser seufzte etwas. „Es ist einfach besser so. Den Grund erzähl ich dir später mal. Pass einfach auf, dass du dich nicht verplapperst, ja?“ Nicken. „Gut, ich muss jetzt wieder“, meinte Ren noch und verschwand.
 

Gino kam mit einem Tablett in die Gaststube hereingeschwebt. „So, 2 mal Ginger Ale.“ „Sag Gino, warum ist denn sonst niemand hier?“, wunderte sich Kyoko. „Heute ist eigentlich Ruhetag in meinem Restaurant. Als ich aber hörte, dass mein alter Freund Ren mich besuchen wollte und das auch noch in weiblicher Begleitung, habe ich eine Ausnahme gemacht. Außerdem kann ich mich so etwas mit euch unterhalten. Ich war gespannt dich kennenzulernen“, lachte er. „Da fällt mir ein... Ist mein Freund immer so?“, mit seinem Kinn wies auf Ren. „Dass er den Kellner erst gar nicht aussprechen lässt und einfach was bestellt, ohne zu wissen, um was es überhaupt handelt?“ Kyoko schaute Ren forschend ins Gesicht und meinte dann zu Gino: „Ja, dass ist er! Er mag es nicht sich über Essen den Kopf zu zerbrechen. Als wir das letzte Mal Essen waren, da hat er einfach das genommen, das ich nahm. Er ist sowieso ein schlechter Esser!“ Tadelnd stieß sie ihn leicht in die Seite und zwinkerte verschwörerisch. Er rieb sich die getroffene Stelle und grinste schuldbewusst. Der Restaurantbesitzer lachte laut, schwenkte sein Wischtuch über die Schulter und verschwand wieder in der Küche.
 

„Wie lang kennen Sie ihn eigentlich schon?“, fragte Kyoko nach einer Weile. „Ich hatte dir doch erzählt, dass meine Eltern öfters in Frankreich waren. Damals lernte ich ihn kennen. Zu der Zeit hatte noch sein Vater das Restaurant. Wir spielten am Strand, bauten Sandburgen und sammelten Muscheln. Man sieht es ihm vielleicht nicht an, aber er ist nur 3 Jahre älter als ich. Vor 2 Jahren starb plötzlich sein Vater und er übernahm das Restaurant. Es läuft recht gut. Seine Frau ist eine ausgezeichnete Köchin! Ich bin gespannt, ob er auch so kochen kann. Als ich das letzte Mal hier war, war sie gerade seine Freundin geworden und hatte einmal für uns gekocht.“

„So! Hier kommt eurer Essen!“ Gino trabte mit 2 großen Tellern an. Tortelini nur für euch! In Herzenform! Meine neuste Erfindung! Eigentlich nur für den Valentinstag gedacht, aber da ihr nur jetzt da seid... lasst es euch schmecken!“ „Vielen Dank!“

Das Essen war auch ohne Ginos Frau köstlich und die Gesellschaft angenehm.
 

Kyoko und Ren liefen nebeneinander dem Fußweg entlang. Sie erkundeten nach der reichlichen Mahlzeit die Landschaft. Die Häuser waren hier kleiner und die Gärten größer. Über die Zäune schauend konnte man Blumenpracht und Gemüsebeet bestaunen. Es gab viele Äpfelbäume, die schon Früchte trugen, die in der Sonne leuchtend rot schimmerten.

„Und was machen wir nun?“, frage er. „Ich dachte, Sie führen mich aus“, stutze sie. „Nun gut, wenn du meinst... Als erstes gebe ich dir die Erlaubnis mich zu duzen. Jedenfalls solang wir in Frankreich sind, ja? Und dann... kennst du Asterix und Obelix?“ Sie schüttelte den Kopf. „Das ist ein weltweit berühmter Comic – von René Goscinny und Albert Uderzo. Ich habe in einem Prospekt gelesen, dass hier in der Nähe eine Ausstellung dazu sein soll. Wie wäre es damit?“ „Sie... äh... du und Comics?“, fragte sie erstaunt. „Warum nicht?“, lächelte er. „Gut, ich würde mir das gern einmal ansehen.“
 

Gesagt – getan!

Sie besuchten die Ausstellung. Ren erzählte Kyoko kurz worum die Geschichte handelte. Sie lachte. „Ein kleines gallisches Dorf und der Zaubertrank! Und ein paar Legionen Römer! Das würde sicherlich auch Maria-chan gefallen!“ Sie beschloss ihr ein Comicheft in japanischer Ausgabe mitzubringen.
 

Der Nachmittag neigte sich dem Ende zu. Sie machten sich auf den Rückweg und beschlossen noch einmal die Seele baumeln zu lassen.

Kyoko und Ren schlenderten gemächlich über eine mit Blumen übersäte Wiese. Sie genoßen die Natur, die sie als Tokyoer nicht oft so nah spüren konnten. Sie lauschten dem Summen der Bienen und dem leisen Wind in den Bäumen. Schweigend liefen sie nebeneinander. Am Horizont zogen Wolken herauf.

Kyoko spielte etwas an einem Band ihres Rucksackes und äugte zu Ren. Mit einer entspannten, gelösten Miene durchschritt er das Gras. Sie hatte noch so viele Fragen... Sie wollte noch so viel von ihm wissen... Aber sie schwiegen nur, was sie noch nervöser machte.

„Wie lang wirst du noch in Frankreich bleiben? Warst du nicht fertig? Mit der Arbeit, meine ich“, begann Kyoko nach einiger Zeit. Ihr war das Schweigen unheimlich. „Ja, richtig... Ich bleibe noch gut 4 Tage. Ich soll noch ein Interview geben, das dann mit in die Zeitung kommt, wo die Fotostory veröffentlicht wird.“ „Aha....“ Sie überlegte. Jetzt wäre wohl die Chance gekommen ihre Fragen loszuwerden. Sie legte eine unschuldige Miene auf. „Und was wird aus Mademoiselle Beaufort?“, fragte sie vorsichtig. „Was soll denn aus Laura werden?“ Verwundert blieb er stehen und sah sie unverwandt an. „Na, sie wird doch sicherlich fürchterlich traurig sein, wenn du gehst...“ „Ich wüsste nicht warum!“ „Sie mag dich doch so... und du sie doch auch?“ Er blickte sie entsetzt an. „Nein? Ich dachte nur...“ „Wie kommst du denn auf zu etwas???“, fuhr er sie an. „Es...es ist doch offensichtlich! Ich erwähne nur das Wort Restaurant.“ „Ach, und was soll da deiner Meinung nach so offensichtlich gewesen sein?“, forschte er weiter. „Na, dass ihr euch liebt! Der Kuss zum Beispiel...“ „Wie absurd! Wie kannst du so etwas nur glauben? Der KUSS – wie du es nennst, war nicht das, was du denkst!“ „Ach, 'es ist nicht so, wie du denkst' – was für eine alte Floskel! Du hast einen alten Dramafilm zu oft gesehen!“, konterte sie. „Ich fass es nicht! Du willst mir aller Ernstes eine Affäre mit dieser französischen Trulla anhängen? Wie komme ich denn dazu?“ „Wenn ihr euch aber auch so in aller Öffentlichkeit küsst, kann ich doch für nichts garantieren...“ „Wofür solltest du schon garantieren? Außerdem, was gehen dich überhaupt meine Angelegenheiten an? Wir können uns nicht mal als Freunde bezeichnen!“ „Nein? Und warum hast du dann mich heute deinem Freund als eine Freundin vorgestellt?“ „Da kann ich ja noch glücklich sein, dass ich dich nicht als meine Freundin vorgestellt habe!“ Er stampfte einige Schritte weiter.

„Nein, denn das ist Laura Beaufort“, zwitscherte sie. Sie wusste nicht, woher sie plötzlich den Mut nahm, ihm das so offen zu sagen... und erschrak etwas deswegen.

Mit grimmiger Miene drehte er sich auf dem Absatz um. „Wie oft soll ich noch sagen, dass das nicht stimmt?! Aber vielleicht sollten wir erst einmal bei dir anfangen! Wie war das mit David und Peter und wie sie alle heißen?“ „Das sind doch nur Freunde!“, verteidigte sie sich. „Ach so? So, sah das aber vor einigen Tagen nicht so aus. Wie er dich in seinen Armen hielt oder der andere, der dich sooo verständnisvoll, fast bemitleidend ansah und dann mit dir so märchenhaft tanzte. Selbst in Japan ziehst du die Männer scheinbar magisch an! Reino und Sho! Denkst du ich sehe nicht, wie sie dich ansehen? Wie ein Opfer! Oh, arme Kyoko! Du hast es ja so schwer!“, spottete er. „Lass die Idioten aus Japan hieraus! Und bei Peter hier - das war nur ein Spiel!Ein Geländespiel um genau zu sein. Ich wäre beinah gefallen und er hat mich davor bewahrt! Und bei David – erstens hat er eine Verlobte...“ „Du machst dich an vergriffenen Männern zu schaffen, das hätte ich nun nicht gedacht!“ „Zweitens,“ ereiferte sie sich, „ich habe nichts mit ihm! Er ist einfach nur nett! Er hat mir geholfen, als es mir schlecht ging.“ 'Wegen dir', fügte sie in Gedanken bei. „Etwa weil dein so lieber, netter Freund keine Zeit für dich hatte?“ Sein gehässiges Grinsen widerte Kyoko an. Sie spürte wie ihre Augen nass wurden, aber sie kämpfte dagegen an.

„Nein“, schrie sie fast, dann schluckte sie schwer. „Nein... es war... es war... wegen Laura... ich konnte...“ „Stotter doch nicht so!“, jammerte er. „Was soll Laura dir denn getan haben? Sie hat dich nicht gerade sehr nett behandelt und etwas schief angeguckt, aber das ist doch kein Grund für solche...“ „Es ist wegen DIR!“, brachte sie nun unter Tränen heraus. „Ich konnte es nicht ertragen, dass sie deine Freundin sein soll!“ Verdutzt sah er sie an.
 

Der Wind hatte unbemerkt aufgefrischt und es begann in Strömen zu regnen. Kyoko wandte sich von ihm ab und rannte. Es war ihr egal wohin. Nur fort. Fast verspürte sie Scham, dass sie zugegeben hatte, dass sie wegen ihm weinte. Der Regen vermischte sich mit ihren Tränen. Von Ferne konnte sie ihn ihren Namen rufen, doch sie hielt nicht an.

Plötzlich schlanken zwei Arme sich um ihre Taille. „Ich habe doch gesagt, du sollst anhalten.“ Er klang erschöpft. Sie zappelte wie ein Fisch am Land und wollte sich losreißen. „Lass mich!“, brachte sie keuchend heraus. „Nein“, entschied er, „Erst wenn du mich angehört hast.“ Energisch schüttelte sie den Kopf. „Ich habe genug gehört!“ Mit einem heftigem Ruck drehte er sie zu sich. Entsetzt blickte sie in sein Gesicht. Fast könnte sie meinen, darin so etwas wie Schmerz auszumachen. Doch sie hatte genug. Sie wollte kein Mitleid mit diesem Mann haben!

„Kyoko“, begann er immer noch außer Atem, „Ich... ich... Laura ist nicht meine Geliebte und wird das auch nie sein. Verstehst du?“ Doch sie schüttelte ihren zierlichen Kopf. Er legte eine Hand in ihren Nacken und zwang sie ihn anzusehen. Regentropfen fielen unweigerlich und liefen wie Tränen über die Gesichter. „Kyoko... Kyoko“, hauchte er fast. „Kyoko... ich... ich will nur dich. Ich liebe dich.“ Ein kleines Lächeln huschte über seinen Mund. Sie starrte ihn an. „Das... das kann nicht wahr sein...“, murmelte sie. „Ich... ich bin es nicht wert...“ „Doch das bist du. Du bist es wert, dass ich jeder anderen Frau auf der Welt den Rücken kehre. Kyoko...“ Sie legte ihre Hand ihm auf den Mund.

„Es tut mir leid...“
 

Es regnete immer noch als sie im Bus schweigend nebeneinander saßen. Sie waren bis auf die Haut durchgeweicht. Keiner von beiden hatte an einen Regenschirm gedacht.

Ren starrte aus dem Fenster.

Sie hatte ihn nicht weiter sprechen lassen. Sie hatte sich bei ihm entschuldigt und gemeint, dass sie es nicht begreifen könne. Sie bräuchte Zeit. Natürlich! So hatte er sich das Ganze auch nicht geplant. Wer hätte denn gedacht, dass der Tag so enden würde? Er seufzte in sich hinein. Aber nun war es raus. Im inneren Auge hatte er noch den Anblick vor sich – Kyoko, die ihn sachte die Hand auf den Mund legt und ihn mit einem traurig flehenden Blick ansah.

'Es tut mir leid...'
 

In La Brise stiegen sie aus und Ren begleitete sie noch bis zu ihrem Hotel.

Er räusperte sich. „Kyoko. Ich möchte gern eine Antwort haben. Nicht jetzt, aber noch solang ich in Frankreich bin. Ich gebe dir 3 Tage Zeit. Am 4. werde ich 10 Uhr wieder im Flugzeug nach Japan sitzen. Ich bitte dich darum.“ Er verbeugte sich leicht. Sie sah ihn verwundert an. Dann schlug sie die Augen nieder. „Gut, ich werde dir eine Antwort geben... So viel bin ich dir schuldig. Entschuldige mich.“ Sie wandte sich ab und lief auf die Eingangstür zu. „Bis bald“, flüsterte er ihr hinterher und verschwand im strömenden Regen.
 

„Hallo O-nee-sam!“, rief Maria fröhlich aus. Diese lächelte ihr schwach zu. „Na ihr? Wie war es mit Yashiro-san? Hattet ihr einen schönen Tag?“ Die Kleine nickte eifrig. „Ja! Wir waren alle zusammen schwimmen! Und haben Sandburgen gebaut und Muscheln gesammelt!“ Zum Beweis hielt sie ihr ein Eimerchen hin, das mit schillernden Muscheln nur so überfüllt war. „Das ist ja schön“, lobte sie leise.

Kanae kam aus dem Bad. „Ah, da bist du schon wieder? Wir dachten, es wird sicherlich spät bei euch. Und klitschnass bist du auch noch!“ „Nein, Miss Menno... Ich bin wieder da. Leider hatte keiner von uns einen Regenschirm dabei.“ Sie versuchte normal zu klingen und zu lächeln, aber es gestaltete sich schwieriger als geahnt. „Willst du dann mit Abendessen kommen? Wir sind mit Yashiro verabredet.“ „Nein, lasst nur. Ich habe keinen Hunger. Das Mittagsessen war mehr als reichlich“, erklärte sie. „Wenn du meinst“, ihre Freundin sah sie etwas besorgt an. „Geht es dir nicht gut?“, flüsterte sie. Doch diese schüttelte den Kopf und meinte: „Später.“

„Maria? Komm wir gehen! Wir wollen doch Yashiro nicht warten lassen!“ Mit einem Jubelruf verabschiedete die Kleine sich. „Bis dann“, sagte Kanae und verschwand.
 

Nun war sie allein. Müde ließ sie sich auf das Bett fallen und betrachtete die weiße Decke. In die Stille hinein drang seine Stimme: 'Ich will nur dich. Ich liebe dich.' Ein leichter Rotschimmer legte sich auf ihre Wangen. Stöhnend drückte sie ein Kissen auf ihr Gesicht. „Warum?“ So lag sie da. Allein. Und doch nicht allein. Ihre Gedanken kreisten immer wieder um den Streit, den sie heute Nachmittag mit Ren hatte. War er etwa eifersüchtig auf David und Peter? Hatte er sie beobachtet? Woher konnte er sonst wissen, dass Peter sie in seinen Armen gehalten oder dass David mit ihr getanzt hatte?
 

„Ren, ich muss nun! Ich habe mich für heute Abend mit Kotonami und Maria-chan verabredet“, sagte Yashiro gutgelaunt. „Nun guck doch nicht so wie ein sterbender Kanarienvogel! Ich kann mir gut vorstellen, dass sie dir vergeben wird, was auch immer du angestellt hast.“ Ren hockte in einem Sessel und starrte seine Hände an. Yashiro nahm seine Jacke vom Haken. „Wenn ich wiederkomme, musst du mir aber erzählen, was vorgefallen ist! Kommst einfach so rein und verbreitest eine Depristimmung! Ist ja nicht zum Aushalten! Also bis dann!“ Er ging.

'Sie wird mir vergeben?', dachte er ironisch. 'Wohl kaum. Ich habe sie überrumpelt und verletzt...' Er stand auf und wankte zu einem Spiegel. Da stand er – einer der berühmtesten Schauspieler, einer der begehrtesten Männer und einer der Unbeherrschtesten! Mit einem leeren Blick sah er sein Gegenüber an. 'Das ist du... oder?'

Versunken

„Und dann hat sie nur noch tief geseufzt“, sagte Kanae und nahm ihren Strohhalm zwischen die Zähne. Yashiro nickte nachdenklich. „Wo ist sie jetzt?“ „Sie ist noch im Hotel und hockt wie ein Häuflein elend auf ihrem Bett.“ „Und Maria?“ „Ich habe heute morgen Gilles angerufen und ihn gebeten, dass seine kleinen Geschwister mit ihr etwas unternehmen. Sie ist mit ihnen auf eine Pferderanch gefahren und wird erst am Abend wiederkommen.“ „Gut“, er starrte vor sich hin.

Es war Mittag. Wolken hingen tief, aber es regnete nicht. Kanae und Yashiro hatten sich in einem Café getroffen, um sich über die Angelegenheit 'Ren und Kyoko' auszutauschen. Bei einem Getränk wollten sie beraten, was nun geschehen müsse.

„Ich muss gestehen, dass ich erst glücklich war, als er mir anvertraute, dass er ihr seine Liebe gestanden hätte... Aber wer hätte denn gedacht, dass sie so darauf reagieren würde! Nimmt er mal den Mut zusammen und sagt es ihr, wird er zurückgewiesen...“, seufzte Yashiro. „Aber ihr kannst du auch nicht die Schuld geben!“, verteidigte Kanae. „Erst sieht es so als, als wäre diese Laura Beaufort seine Geliebte und dann plötzlich stellt sich diese Annahme als falsch heraus! Und dann muss sie noch erkennen, dass er sie liebt! Es ist einfach zu viel. Sie kommt sich zu unbedeutend vor, als dass sie seine Geliebte sein könnte. In ihm sah sie immer eine Respektsperson, zu der sie gern aufsah.“ „Ja, schon. Aber selbst ich habe in letzter Zeit ihre Zuneigung zu ihm bemerkt. Wie sie ihn ansah, war nicht nur aus Bewunderung, sondern auch aus Verbundenheit. Ich sag dir: Sie haben einander angeschmachtet!“ „Wirklich? Ich muss zugeben, dass ich den beiden nur sehr selten gemeinsam begegnet bin... Aber schon möglich... Sie hatte immer mehr mit ihm zu tun.“ Sie nahm einen Schluck und blickte ihr Gegenüber fragend an. „Und was bringt uns nun die Erkenntnis? Er liebt sie – sie ihn ebenso, will es aber nicht wahr haben. Was machen wir nun?“ Yashiro schaute blicklos aus dem Fenster. Als würde er dort die Antwort finden.

„Wenn ich das wüsste... Wir können ihnen wahrscheinlich nur beistehen und sie ertragen...“ Er verzog das Gesicht als würde ihm die Antwort nicht zufrieden stellen. Kanae beobachtete ihn und nickte langsam. „Ja, ich glaube, du hast Recht...“
 

Sie verließen das Café. Geschäftiges Treiben umhüllte sie und drohte sie zu verschlingen. Gedankenverloren ließen sie sich mitreißen.

„Es heißt, dass die Zeit alle Wunden heilt...“, begann Kanae. „Ja, aber aus Wunden werden Narben“, erwiderte ihr Begleiter. „Wann werdet ihr nach Japan zurückkehren?“, hakte sie nach. „Am 22. fliegen wir zurück. Also in 3 Tagen“, antwortete er. „Da haben wir nicht viel Zeit mehr... Kyoko muss sich schnell einig werden, was sie nun will! Möchte sie seine Freundin werden oder ist sie sich zu minderwertig?“ Seufzen. „Und Ren sollte reinen Tisch machen in der Angelegenheit mit Laura! Es kann doch nicht wahr sein, dass diese Person – egal, ob sie nun total populär ist oder nicht – so ein Verhalten an den Tag legt!“ Kanae war sauer. „Sie bringt sich noch mal in Teufels Küche!“ Er nickte zustimmend.

Sie waren an dem Brunnen in der Marktmitte angekommen. Ein Musiker saß auf der Erde und spielte Gitarre. Einige Menschen hatten sich um ihn gereiht und hörten zu. Auch die beiden Japaner blieben stehen. „Where would I be and what would I do? I would it given up all I do when it wasn't for you 'cause I need you so!“ 'Oh, toll! Ein Liebeslied – das hat mir gerade noch gefehlt', dachte Kanae höhnisch. „Still waiting – we cross the border – even I have my arms around her, feel so good to surround her! When I was falling asleep, have one home – my head on her shoulder...“ „Ein schönes Lied“, flüsterte Yashiro gerührt. „...She's touching me, how easy love can be – never felt and learnd so easily...“ Es folgte noch einmal der Refrain und darauf der Applaus. Der Musiker stand auf, verbeugte sich leicht und lächelte zufrieden. Die Menge löste sich langsam auf.

Der Musiker packte seine Gitarre ein und nahm das Geld aus seiner Mütze. Er warf einen prüfenden Blick auf seine Hand und wiegte den Kopf hin und her. Dann steckte er die Münzen in seine Hosentasche und verschwand.
 

„Warum kann es nicht so einfach sein?“, seufzte Yashiro. „How easy love can be...“ Kanae schüttelte amüsiert den Kopf. „Dann gäbe es keinen Herzschmerz und auch keine Bücher darüber! Gerade weil es kompliziert ist, beschäftigt es die Menschheit seit Jahrhunderten! Gerade weil es so ist, macht es so anziehend und interessant.“ Er blickte sie forschend an. „Aber das sind doch meistens nur erfundene Geschichten! So geht es selten im wahren Leben zu! Er sieht sie – sie sieht ihn und schwups sind sie verliebt und lieben sich bis an das Lebensende! Zwischendurch tauchen noch ein paar Schwierigkeiten auf – eine andere Frau oder Mann oder eine dunkle Vergangenheit – aber am Ende findet das Liebespaar das große Glück. Wenn du mich fragst, sehr unrealistisch!“ „Magst recht haben... Aber diese Geschichten liebt Kyoko über alles! Sie hat mir erzählt, dass sie früher immer gehofft hat, irgendwann einem Prinzen zu begegnen, den sie dann heiratet wird und sie wunderschön macht. So wie Aschenputtel“, sagte sie. Der Betreuer lachte leise. „Wie in einem Märchen!“ „Ja, aber so ist nun mal das Leben nicht... wie du schon sagtest.“ „Ich weiß, aber das wäre doch was! Dem Ganzen einen märchenhaften Anstrich geben!“ „Wie meinst du das?“, fragte sie misstrauisch.

„Wenn Kyoko sich so gut auf Märchen versteht...vielleicht können wir ihnen so helfen!“
 

Erschöpft kam Kanae wieder ins Hotel. Es hatte angefangen zu regnen. Sie war gerannt, um den Fluten von oben zu entgehen. Als sie das Zimmer betrat, war niemand da. Sie ließ sich auf einen Sessel fallen und schloß die Augen.

Die Tür knallte zu. Maria stand vor Kanae und sah sie verwundert an. „Kotonami?“ Nichts rührte sich. „Kotonami? Schläfst du?“ Ihr Gesicht begann zu zucken und die Augen öffneten sich einen Spalt. „Wie spät ist es?“, murmelte sie. „Fast 7 Uhr.“ „Was?! So spät schon?“ Mit einen Satz hatte sie sich aus dem Sessel befördert. „Das darf doch nicht wahr sein! Wir konnte ich nur so verpennen? Ich hab doch noch so viel zu tun!“ „Was denn?“, fragte die Kleine neugierig. „Yashiro und ich haben uns etwas einfallen lassen, um Kyoko wieder aufzumuntern.“ Sie lächelte etwas schief. „Und dazu brauchen wir deine Hilfe und die der anderen Bekannten.“ „Also auch die von Peter und Gilles?“ Nicken. „Wo ist eigentlich unser Häuflein Elend?“ „Sie hat einen Zettel hinterlassen. O-nee-sama ist heute Nachmittag zum Strand gegangen. Sie wollte in Ruhe nachdenken. Langsam sollte sie aber auch wieder zurückkommen. Zum Abendessen wollte sie jedenfalls da sein.“ Maria blickte besorgt auf die große Wanduhr.

„Sie wird schon gleich kommen“, meinte Kanae und zerrte an Marias T-Shirt. „Komm mit! Wir müssen den anderen Bescheid sagen und uns ausmachen, wann wir uns treffen!“ „Aber was machen wir denn?“, fragte diese neugierig und befreite sich von dem Griff. „Sag ich dir, wenn wir die anderen treffen. Ich habe keine Lust alles doppelt und dreifach zu erzählen!“ Mit diesen Worten verschwanden sie aus dem Zimmer.
 

„Ah, Kyoko! Da bist du ja!“, rief Kanae aus und wies auf den leeren Platz neben sich. Maria und sie hatten sich in ein Restaurant gesetzt und auf Kyoko gewartet. Maria grinste ihre O-nee-sama vergnügt an. „Was ist denn, Maria-chan? Habe ich irgendwo einen Popel hängen?“ Die Kleine schüttelte den Kopf und wandte sich ab. Sie fand Yashiros Plan einfach fantastisch! Ihre O-nee-sama musste einfach davon sich mitreisen lassen! Aber sie mussten es geheim halten... das fiel ihr nicht gerade sehr einfach... Die anderen – Peter und seine Freunde – waren auch gleich begeistert und wollten mit helfen. 'Für unsere holde Kyoko!', hatte er ausgerufen und dabei getan, als würde er ein Schwert in die Höhe halten. Die letzten Streitigkeiten hatten sie durch Losen behebt. Morgen würden sie anfangen. Maria konnte es kaum erwarten. Vielleicht würde auch ihr geehrter David-san kommen.

„Und was machen wir morgen?“, fragte Kanae gleichgültig. „Ich weiß nicht“, gestand Kyoko. „Am Nachmittag habe ich eine Verabredung. Erst ein Spaziergang und dann zu Abend essen. Ich kann leider nicht euch mitnehmen. Ihr müsst die Zeit allein verbringen.“ „Ach, das werden wir überleben“, winkte Kanae ab und sah Maria auffordernd an. Diese reagierte schnell und nickte eifig. „Ja, mach dir keine Sorgen!“ „Aber mit wem hast du die Verabredung?“ „Na ja... wie soll ich sagen? Heute Nachmittag traf ich Laura Beaufort am Strand. Sie meinte, sie wolle sich einmal in Ruhe mit mir unterhalten und hat mich für morgen eingeladen.“ „Laura Beaufort? Wie kommst du denn zu der Ehre?“, platzte ihre Freundin raus. „Ist doch gut! Dann kann O-nee-sama sie vielleicht davon überzeugen die Finger von Ren-sama zu lassen. Bevor sie ihr Herz verliert und in Depressionen stürzt! Ganz genau wie in Tsunami - Frauenherzen in Gefahr! Dann kann sie ihrem Idol Catherina näher kommen.“ „Catherina?“, fragte Kanae verwundert. Ihr ging ein Licht auf. „Ach ja! Die Catherina! Na klar – das wäre die Gelegenheit!“ Eindringlich blickte sie Kyoko an und nickte langsam. „Das wäre die Gelegenheit! Oder Mogami-san?“ Diese lächelte etwas schief und stimmt laut zu. „Danke, Maria-chan! Daran hatte ich noch gar nicht gedacht!“ „Nicht? Ich dachte die ganze Zeit, dass du dir Gedanken darüber machst, wenn du ohne uns fort gehst. Deshalb wollte ich dich nicht stören. Bist du etwa gar nicht traurig, weil du Laura Beaufort nicht retten kannst? Ich dachte nämlich, dass du so niedergeschlagen bist, weil du Ren-samas Charme nicht aufhalten kannst... Dass es hoffnungslos ist und dein Traum mit dem Meer davon gespült wurde... Dass du nie wie Catherina sein kannst... Ist es etwa gar nicht so?“ In dem kleinen Gesicht schien geschrieben zu stehen: 'Sag mir die Wahrheit.' Doch Kyoko winkte ab und meinte: „Doch es ist so! Ich kann Rens Charme nicht ausweichen und Laura Beaufort hängt schon viel tiefer als ich dachte. Ren ist wirklich hoffnungslos! Ich bin etwas verzweifelt deswegen.“ Maria schien noch nicht befriedigt zu sein und setzte ein zweites Mal an: „Aber ist Ren-sama nicht froh, wenn du ihm Laura Beaufort vom Hals schaffst? Ich glaube nämlich nicht, dass mein Ren-sama auf solch eine Frau steht! Ich denke eher, dass er auf Frauen steht, die auf beiden Füßen stehen und ihn ab und zu mal total überraschen. Mit ihrem Wesen und ihrem Charme. Er mag keine Frauen, die nur mit anderen spielen und zu sein scheinen, die sie nicht sind.“ Kyoko dachte nach. „Schon möglich...“

Doch bevor sie eine Erklärung abgeben konnte, kam das Essen und das Gespräch wandte sich anderen Themen zu. Man erkundigte sich nach dem Pferdeausflug, den Maria mit den anderen Kindern hinter sich hatte. Sie meinte, es wäre recht nett gewesen. Sie hätte erst das Pferd geputzt, dann gesattelt und dann wären sie durch die Landschaft geritten, was sie von den ganzen anderen Tätigkeiten am schönsten fand. Die Geschwister von Gilles würden öfters reiten.

Als nichts mehr zu sagen war, wühlte sie in ihrer Tasche. Maria hatte ihre Kette für ihren Vater fertig und zeigte diese stolz ihren Begleiterinnen. Dafür erntete sie großes Lob. „Wirklich hübsch!“, staunte ihre O-nee-sama. „Da kann man richtig neidisch auf deinen Vater werden!“ Sie errötete leicht und strich geschmeichelt über eine der Muscheln. Kanae zählte in der Zwischenzeit ihr Geld. „Hast du etwas, meine Liebe?“ „Ach, es ist nichts! Ich muss nur vor unserer Abreise noch einmal in einen Süßigkeitenladen. Ich brauche noch etwas für meine Geschwister.“ „Ich dachte, du hast schon für sie etwas gekauft?“ „Ja, schon... aber...“, schuldbewusst kratzte sie sich am Kopf. „Ich bekam einen Heißhunger! Wenn ich viel nachdenken muss, stopfe ich immer haufen in mich hinein... Ich hoffe, das wird nie sichtbare Folgen haben.“ Mit einem prüfenden Blick strich sie sich über ihren Bauch. „Über was musstest du denn so stark nachdenken? Miss Menno, du bist doch zum Urlaubmachen hier!“ „Ja, schon... Es ist auch nicht so wichtig gewesen“, meinte sie und versuchte das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Und was machen wir nun morgen früh?“

Man beschloss am nächsten Tag mit der Fähre zu einer Insel überzusetzen. Auf dieser befand sich Frankreichs größte, künstliche Eishalle. Schlittschuhfahren war angesagt! Maria freute sich riesig. Mitten im Sommer auf das Eis zu gehen, schien aufregend zu sein.
 

Kanae schlüpfte in ihre Jacke. „Wohin gehst du denn noch um diese Uhrzeit, meine Liebe?“ „Ich bin nicht lang fort“, versicherte diese. „Ich treffe mich nur kurz mit Yashiro.“ „Was habt ihr beiden nur? In letzter Zeit hängt ihr fast jeden Tag zusammen!“, flüsterte ihre Freundin. Sie wollte Maria, die schon schlief, nicht aufwecken. Kanae zuckte mit den Schultern und verschwand.
 

„Hast du schon lang gewartet?“ Yashiro lehnte an dem Brunnenrand. „Nein, habe ich nicht. Du weißt ja, ich bin der Betreuer des pünktlichsten Schauspieler der Welt! Das färbt wohl ab“, witzelte er. „Morgen wird es leider nichts... Kyoko wird am Abend nicht da sein. Laura Beaufort möchte mit ihr den Abend verbringen. Sie will sich mit ihr unterhalten. Ich bin ja gespannt, was unser Superstar auf dem Herzen hat!“ Er schniefte. „Dann müssen wir es eben verschieben. Kannst du den Abend übermorgen frei halten? Pass auf, dass niemand Kyoko für sich ein vernehmen will für diese Zeit. Es wird sonst wirklich knapp!“ „Morgen Vormittag sind wir in der Eishalle und dann geben wir unser Häuflein Elend dem Supertalent ab.“ „Gut, dann treffen wir uns schon am Vormittag und planen alles so gut es geht. Du und Maria kommt am Nachmittag dazu. Gaelle-san und Verlobte haben ebenfalls zu gesagt!“ „Sehr gut! Was machst du eigentlich mit Tsuruga?“ „Der muss morgen den ganzen Tag noch zu einem Fotoshooting und dann zu einem Werbeauftrag. Er soll im TV Werbung für das Jugenmagazin machen.“ Er verdrehte die Augen. „Sie nutzen ihn richtig aus... So wie ein wertvolles Spielzeug, dass man nicht mehr lang haben wird! Er schläft kaum noch. Aber das liegt wohl nicht nur an dem Streß bei der Arbeit... Ich hoffe, dass sich alles in Japan wieder richtet.“ Kanae schenkte ihm einen mitfühlenden Blick. „Ganz sicher!“

„Wie nimmt unsere kleinste Mademoiselle die Angelegenheit auf?“ „Sie wird misstrauisch“, seufzte Kanae. „Kyoko versucht sie zwar zu beruhigen, aber es gelingt ihr immer weniger. 'Tsunami – Frauenherzen in Gefahr' ist ihre neuste Erfindung! Sie gibt vor Laura Beaufort retten zu wollen, bevor sie ihr Herz an Tsuruga verliert und daran zerbricht. So wie die Hauptperson Catherina. Es ist schwer es vor ihr geheim zu halten. Ich muss zugeben, dass ich etwas Angst vor ihrer Reaktion habe, wenn sie erfährt, dass ihr Geliebter ihrer O-nee-sama seine Liebe gestanden hat. Schließlich wollte sie ihn in einigen Jahren heiraten. Das macht es Kyoko wahrscheinlich nicht gerade einfacher sich zu entscheiden. Sie hat einen Narren an der Kleinen gefressen!“ Yashiro lächelte ihr verständnisvoll zu. „Sie wird es überleben! Sie ist doch ein starkes, kleines Mädchen! Und sie liebt Kyoko-chan wie eine Schwester. Eines Tages wird ihr ein Mann über den Weg laufen und sie wird Ren keinen einzigen Gedanken mehr schenken. Sie wird sicherlich einmal so schön werden wie ihre Mutter!“ Kanae nickte gedankenverloren. „Ich muss jetzt gehen. Kyoko macht sich sonst Sorgen. Außerdem wird auch sie misstrauisch. 'Warum verbringst du in letzter Zeit immer deine Zeit mit Yashiro?'“, ahmte sie belustigt nach.

„Gute Nacht.“

Auf Eis

Der Morgen brach an. Die Sonne kletterte über den Horizont und tauchte das Land in einen goldenen Glanz. Über dem Wasser schwebten Möwen. Die Fischkutter steuerten das Festland an. Es war ein friedlicher Morgen.

Im Hotel 'Sur la mer' jedoch herrschte schon geschäftiges Treiben. Maria und Kyoko schliefen schon, als Kanae zurückkehrte. Dementsprechend waren die beiden besonders gut ausgeschlafen und packten schon freudig ihre Rucksäcke. Kanae hingegen warf ihnen einen vorwurfsvollen Blick zu und verkroch sich unter ihrer Bettdecke.

Einige Zeit später trat Kyoko an das Bett ihrer Freundin und sagte in einem erziehenden Ton: „Du musst jetzt aufstehen! Sonst verpassen wir noch die Fähre! Du bist doch selbst Schuld, wenn du dich noch so spät mit Yashiro triffst!“ Sie zog die Decke von der Schlafmütze. „Nun komm schon! Kotonami! Nun los!“ Maria war ganz ungeduldig. Sie war schon komplett fertig und sah immer wieder auf ihre Uhr. „Wir haben es schon 6:15 Uhr!In einer viertel Stunde müssen wir los! Die Fähre fährt 6:45 Uhr!“ Mit einem Satz war Kanae aus dem Bett. „Was? In einer viertel Stunde?“ Hastig strich sie sich das Haar aus dem Gesicht. Einen Moment später machte sie sich in Lichtgeschwindigkeit für den Ausflug fertig.

In dem Sinne erreichten sie pünktlich die Fähre.
 

„Ich weiß nicht, wie mir das passieren konnte!“, jammerte Kanae und verzog das Gesicht. „Das ausgerechnet ich verschlafe!Schon gestern Nachmittag bin ich einfach so eingeschlafen... Das muss wohl am Urlaub liegen...“ Verdrossen blickte sie auf das Meer hinaus. Kyoko lehnte neben ihr an der Reling. „Nimm es nicht so schwer, Miss Menno! Dafür ist der Urlaub ja da! Zum Erholen und Ausschlafen! Der Alltag kommt eh viel zu schnell wieder! Was auf uns wartet, wissen wir noch nicht. Aber es wird aufregend und uns viel Kraft kosten! Also – lass uns die freie Zeit genießen so lang es geht.“ „O-nee-sama! Guck mal! Da drüben!“ Maria war auf das Geländer geklettert, um besser sehen zu können. „Dort drüben! Ist das die Insel?“ Mit dem Zeigefinger deutete sie an den Horizont. Ihre beiden Freundinnen folgten der Andeutung und starrten angestrengt, ob man nicht etwas erkennen könnte. „Ich glaube schon...“, schoss Kyoko schließlich. „Wir müssen bald da sein!“
 

Tatsächlich näherte sich nach einer guten halben Stunde Fahrt die Fähre der Insel Nouron. Es war eine der etwas größeren Inseln. Auf ihr befanden sich eine Stadt und mindestens ein dutzend Dörfer. Und natürlich Frankreichs größte Eishalle.

Die drei Urlauber verließen das Schiff und schlenderten durch die Stadt. Sahen sich hier und dort die Schaufenster etwas genauer an und kamen ihrem eigentlichen Ziel immer näher. Die Eishalle!

Sie liehen sich Schlittschuhe aus und machten sich daran die Eisfläche zu erkunden.
 

„Miss Menno! Maria! Nicht so schnell!“, keuchte Kyoko. Mit wackligen Beinen stolperte sie auf dem Eis herum. „Kyoko? Kannst du gar nicht Eislaufen?“, fragte Kanae etwas vorwurfsvoll. „Doch eigentlich schon... Es ist nur schon so lange her!“ „Wie lange?“ Kyoko senkte den Blick. „Mindestens 7 Jahre.“ „Und da sagst du uns nichts? Du siehst eher wie eine Zirkusattraktion aus! So, wie du mit den Armen wedelst und den eingeknickten Beinen!“ Kyoko versuchte still zu stehen und ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Sie hätte nicht gedacht, dass sie Eislaufen jemals verlernen könnte. „O-nee-sama? Komm ich helfe dir“, bot die Kleine an. Sie fasste ihre Freundin an den Händen und zog sie einige Schritte. „Du wirst es schon wieder lernen!“, versicherte Maria aufmunternd. Kyoko lächelte matt. Vielleicht hatte die Kleine ja recht.

Kanae dagegen war eine richtige Sportkanone! Sie fuhr über die glatte Fläche, als hätte sie nie etwas anderes getan. Etwas neidisch blickten die anderen beiden ihr hinterher. „O-nee-sama, du wirst auch noch mal so gut! Wir üben einfach eben jetzt noch konzentrierter!“ Mit vollem Elan trainierten sie weiter. Und Kyoko machte Fortschritte. Bald konnte sie wieder ohne Hilfe sich auf dem Eis bewegen. Zwar nur langsam, aber immerhin!

Die Zeit verging viel zu schnell. Kanae zeigte ihren Freundinnen noch einige Tricks und gab ihren Tipps, wie sie besser und sicherer fahren könnten, damit sie auch bei „Kunststückchen“ sich nicht den Hals brachen.

Mit fröhlichem Gelächter verließen die drei die Halle. „Das war toll!“, schwärmte Maria. Kyoko nickte ausgelassen. „Ja, das war es!“ „Aber nun habe ich Hunger!“, verkündete Kanae und zeigte auf einen Imbissstand.
 

Es war Mittag geworden und die drei Japanerinnen erkundeten nach dem Essen noch etwas die Insel. Die Sonne schien mit voller Kraft, dennoch blieb es angenehm kühl. Ein frischer Wind lockerte die Atmosphäre.

Kanae versuchte für ihre Familie Mitbringsel zu beschaffen. Missmutig kramte sie in einem Verkaufsstand. Nichts wollte ihr wirklich gefallen... Maria kaufte in indes ein Armband mit Muscheln und Kyoko machte Fotos.

Gegen 14 Uhr sollte die Fähre sie wieder auf das Festland zurückbringen. Also machten sie sich auf dem Weg zum Hafen. Kanae hatte leider nichts für ihre Geschwister gefunden und Kyoko war erstaunlich ruhig geworden.

„Habt vielen Dank für den tollen Ausflug! Ich habe einfach vergessen können, was heute noch auf mich wartet“, ein trauriges Lächeln überflog ihr Gesicht. „Kyoko, ich bin sicher, dass du das Gespräch überleben wirst!“, meinte Kanae. „Sie wird dir schon nicht den Kopf abreisen“, ergänzte Maria. Kyoko schauderte bei dem Gedanken. Dann winkte sie ab und sagte etwas fröhlicher: „Ja, wahrscheinlich habt ihr recht! Sie ist auch nur eine Frau. Ich weiß ja nicht einmal, was sie von mir möchte. Wird schon gut gehen.“
 

Kyoko hielt vor einem Schaufenster und sah sich kritisch in der Spiegelung an. Sie fuhr sich durch die Haare und atmete tief durch. Sie setzte ihren Weg fort. Wie gern würde sie jetzt mit Maria-chan und Miss Menno tauschen! Nachdem sie in La Brise wieder angekommen waren, hatten sich die Freunde getrennt. Die anderen beiden wollten sich mit Yashiro treffen. Maria strahlte richtig. Was sie vor hatten, sagten sie ihr leider nicht. Doch egal was es war, es war sicherlich besser, als das, was auf sie wartete.

Schließlich stand sie vor dem Café, in dem sie Laura Beaufort treffen sollte. Mit einem vorsichtigen Blick lugte sie durch die Glastür und versuchte zu erkennen, ob sie schon auf sie wartete. Und tatsächlich! Da saß sie! Etwas grimmig sah sie auf ihre Armbanduhr und kontrollierte immer wieder ihre Fingernägel.

Kyoko blickte kurz selbst auf ihre Uhr. Nein, sie war nicht zu spät! Erleichtert lächelte sie. Sie wollte sich nicht vorhalten lassen, dass sie zu spät wäre. Sie sammelte ihren Mut und stieß die Tür auf.

Laura saß unverändert da. Kyoko hielt vor ihr und bemühte sich zu lächeln und höflich zu sein. „Mademoiselle Beaufort?“ Sie sah auf. Erst missmutig, dann lächelnd. „Ah, da bist du ja! Es freut mich, dass du den Weg hierher gefunden hast! Ich war so frei und habe für uns beide Ginger Ale bestellt. Du hast doch nichts dagegen, oder?“ Kyoko schüttelte den Kopf: „Nein, habe ich nicht.“ „Bitte setz dich doch!“ Sie wies ihr den freien Stuhl gegenüber.

Als Kyoko Platz nahm, sprach der Star weiter: „Du wirst dich sicherlich fragen, warum ich mich gern mit dir unterhalten würde, ne c'est pas?“ Sie tat zuckersüß. „Ja, durchaus. Das würde ich gern wissen! Es gibt nichts, das uns in irgendeiner Weise verbinden würde“, antwortete Kyoko. „Oh, doch! Das gibt es! Ich bin mir sicher, dass du es in deinem Inneren schon längst erraten hast. Ich spreche von einem bestimmten Schauspieler.“ „Tsuruga-san?“ „Richtig! Ich weiß zwar nicht, welche Bindung zwischen euch besteht, aber es ist doch offensichtlich, dass du niemals die Anforderungen von solch einem Mann erfüllen kannst.“ „Und was gedenkst du dagegen zu tun?“ Kyoko verzog keine Miene. „Ihn abblitzen lassen! Ganz einfach. Ich habe bemerkt, dass dir etwas an ihm liegt. Ich bin mir sicher, dass du ihn glücklich wissen möchtest. Da du nicht diejenige bist, die ihn glücklich machen könnte, müsstest du dann dein Leben lang mit Schuldgefühlen dich plagen. Und warum? Nur weil du ihm nicht zu seinem Glück mit einer anderen Frau verholfen hast. Weil du so egoistisch warst und ihn für dich haben wolltest.“ „Sollte das Tsuruga-san nicht selbst entscheiden, mit wem er sein Leben verbringen möchte?“ „Ach meine Liebe, da sieht man wieder, wie unerfahren du noch bist!“ Amüsiert schüttelte Laura ihr langes Haar. „Ein Mann kann das nicht einschätzen! Er ist eher auf das Hier und Jetzt beschränkt! Aber als Frau – als Frau plant man sein Leben in Kürze! Man wägt ab. Man ist sich gewiss, dass das momentane Glück nicht ewig ist. Was jetzt noch als Glück erscheint, kann sich in einen Fluch umwandeln.“ Kyoko hörte aufmerksam zu.

„Welche Frau ist aber richtig für besagten Schauspieler? Vielleicht du selbst?“ Laura schwieg einen Moment. „Vielleicht... aber nicht für ein Leben! Ich bin nicht der Typ, der nur mit einem Glück zufrieden ist. Das wird mir mit der Zeit zu langweilig, du verstehst?“ Ihr Gegenüber stützte ihr Kinn auf einen Handrücken und schüttelte langsam den Kopf. „Nein, ich verstehe nicht.“

Laura strich ihr elegantes Oberteil glatt, lehnte sich an die Tischkante, nahm einen Schluck Ginger Ale und betrachtete ihren Gast. „Es ist doch so, das Gefühl des Verliebtseins bleibt nicht für immer. Irgendwann verlöscht das Feuer des Frischverliebtseins. Was dann bleibt, ähnelt eher einem Trott. Irgendwann kennst du deinen Partner in- und auswendig! Wo bleibt da noch der Spaß? Das Abenteuer? Du bist gebunden.“ Kyoko dachte skeptisch über ihre Worte nach. „Wünscht sich nicht jede Frau zu einem Mann zu gehören? Für ihn zu leben? Warum macht sie sonst solch einen Aufwand, nur um irgendwann festzustellen, dass alles ein großer Flop war? Sind die Menschen nicht immer auf der Suche nach jemanden, der sie annimmt, wie sie sind? Mit denen sie Leid und Freud teilen können? Durch Dick und Dünnen gehen können? Sich geborgen wissen?“ „Kyoko, Kyoko... Du träumst also von der wahren, ewigen Liebe? Weißt du denn nicht, was es dich kosten kann?“ Die Angesprochene starrte die Französin an. „Es kann sein, dass du ewig auf sie warten musst! Dass du in der Zwischenzeit deine Jugend und Schönheit allein verbringst - vergeudest! Dass du viele Niederlagen einstecken musst. Dass du Risiken eingehen musst. Und was, wenn du dachtest, sie gefunden zu haben und einige Jahre später merkst, dass es doch nicht richtig war? Was dann?“

Kyoko nahm ihr Glas und schwenkte den Inhalt leicht. „Ich werde es wissen... Ich werde es wissen, wenn er mir begegnet.“ Dabei lächelte sie scheu. Laura legte ihren Kopf schief. „Du wärst also bereit?“ Ihr Gegenüber schwieg.

„Nur der kann wirklich lieben, der auch bereit ist zu leiden!“

Kyoko blickte sie fragend an.

„Ja, es ist so... Bist du bereit für diese Liebe zu leiden?“
 

Kyoko machte sich auf den Heimweg. Sie fühlte sich wie betäubt. Laura Beaufort war also auch der Ansicht, dass sie nicht gut genug für Ren sei. Sie seufzte. Die Sonne ging soeben unter. Lange Schatten überzogen das Land. Es wurde kühl.
 

„Habt ihr alles?“, rief Yashiro. Die anderen nickten. „Es soll heute Nacht angeblich regnen – auch wenn ich mir das nicht vorstellen kann! Keine einzige Wolke am Himmel weit und breit... Wie gut, dass wir unsere Überraschung auf morgen verschieben mussten“, betonte Kanae. Peter und Gilles waren mit Kartons beladen. Erstere jammerte: „Wo bleibt nur David? Wollte er nicht das Auto holen? Die Dinger hier sind sau schwer!“ „Mecker nicht! Wir müssen eh erst zur Straße! Hier auf dem Strand darf er doch gar nicht fahren!“, meinte Maria. Auch sie hatte die Hände voll. Die Freunde von Peter und Gilles machten sich daran, die Platten anzuheben. Über ihren Kopf haltend stampften sie im Schneckentempo auf die Straße zu.

„Yashiro, denkst du das klappt morgen?“ Kanae lief neben ihm her und machte eine besorgte Miene. Doch er war zuversichtlich. „Ja, es muss klappen! Wir haben jetzt so viel geübt und so viel Zeit investiert! Ich bin mir sicher!“ Er lächelte ihr aufmunternd zu. Maria gesellte sich zu den beiden. „Auch ich bin mir sicher, dass es funktionieren wird! O-nee-sama muss dann einfach wieder fröhlich sein!“ „Na, wenn ihr das sagt! Dann kann ja gar nichts schief gehen!“

An der Straße wartete schon David mit dem Transporter. Nachdem sie alles eingeladen hatten, berieten sie noch schnell den nächsten Tag. „Am Nachmittag können wir noch nicht her. Da ist der Strand noch zu voll! Aber am Abend findet im Nachbarort ein Fest statt. Dann sind wir die anderen Touristen los! Wer würde schon in dem langweiligen La Brise bleiben, wenn nebenan eine Fete steigt?“, lachte Peter. „Gut, dann treffen wir uns gegen 18 Uhr hier. Ist das in Ordnung David? Schaffst du das arbeitsmäßig? Auch deine Verlobte?“, fragte Yashiro. „Ja, das müsste zu schaffen sein“, antwortete Dian. „Aber was machen wir mit Kyoko? Es soll doch eine Überraschung sein! Wie verstecken wir unser Vorhaben vor ihr?“, warf Gilles ein. „Kanae und Maria müssen sie ablenken!“, beschloss Peter. „Wir bauen in der Zwischenzeit alles auf und machen uns bereit!“ „Und was mach ich mit Ren?“, meinte dessen Betreuer. „Er wird schon misstrauisch. Ständig bin ich unterwegs...“ „Sag ihm, du hättest ein Rendezvous mit Kotonami“, zwitscherte Kanae. „Schließlich fragt sich Kyoko auch, was wir wohl die ganze Zeit machen!“ Yashiro lachte. „Auf solch eine Ausrede wäre ich beim besten Willen nicht gekommen! Aber so werde ich ihn los! Ich besorge ihm noch einige DVDs, damit er auch etwas zu tun hat!“ „Kann Ren-sama nicht einfach mitkommen?“, fragte Maria, die nicht verstand. „Nein, dass kann er nicht! Es ist doch die Überraschung für Kyoko“, erklärte Kanae. „Und da kann Ren-sama nicht einfach mit dabei sein? Dann wäre es doch auch eine Überraschung für ihn.... und ihr müsstet ihn nicht mit einer Lüge im Zimmer einsperren.“ „Maria, ich glaube, Ren steht nicht auf solche Dinge... Er würde sich eher wegschmeißen vor Lachen, verstehst du?“, sagte Yashiro zu ihr gebeugt. Die Kleine nickte langsam. Vielleicht würde es ihm ja tatsächlich nicht gefallen und sich am Ende nur ärgern...
 

Als Kanae und Maria auf das Zimmer kamen, saß Kyoko schon auf ihrem Bett und las ein Buch.

„O-nee-sama!“, rief die Kleine erfreut aus. „Und wie war es?“ Neugierig warf sie sich mit auf das Bett. Kyoko sah auf und lächelte. „Ich denke, es ist vorbei. Meine Arbeit als Catherina ist beendet.“ „Heißt das, du konntest sie davon überzeugen, die Hände von Ren-sama zu lassen?“ „Ja, ich denke schon. Sie war sehr vernünftig! Sie hat eingesehen, dass sie nichts davon hätte, wenn sie Ren lieben würde. Dass sie daran kaputt gehen würde.“ „Und wieder ein Frauenherz gerettet!“, jubelte Maria und ließ sich auf den Rücken fallen. Kanae nutzte den Moment und blickte ihre Freundin fragend an. Doch diese nickte bestimmt. „Sie will nichts von ihm.“

„O-nee-sama? Was machen wir nun? Zur Feier des Tages?“Die Kleine rappelte sich auf und setzte sich im Schneidersitz neben sie. „Wie wäre es, wenn wir... uns einen schönen Abend machen?“ „Und was stellst du dir da vor?“ „Wir... wir gehen an einem Imbiss vorbei und dort kaufen wir unser Abendessen, dann gehen wir weiter zum Strand, setzen uns dort auf eine Decke, genießen unser Festmahl und schauen uns die Sterne an.“ „Aber Kanae hat gemeint, dass es heute Nacht regnen soll...“ „Ich habe aber auch gesagt, dass ich nicht glaube, dass es dazu kommt... Sieh dir den Himmel an – immer noch keine Wolke! Ich denke, wir können es riskieren!“
 

Die Luft war kühl, aber der Sand unter ihnen noch warm. So saßen sie auf einer großen Decke und sahen in das schwarze Meer. Das Rauschen des Wassers war gleichmäßig. Die Sterne funkelten über ihnen. Es war als könnte man den Rhythmus der Welt spüren. Keiner von ihnen wagte etwas zu sagen. Die Ruhe sollte nicht gestört werden. Nicht im Moment.

„O-nee-sama?“, flüsterte Maria schließlich. „Ich habe Durst. Wir haben vergessen etwas zu trinken mitzunehmen.“ Diese drückte ihr etwas Kleingeld in die Hand und wies auf einen Imbissstand ganz in ihrer Nähe. „Dort kannst du etwas bekommen. Würdest du Kanae und mir auch etwas mitbringen?“ Sie nickte und machte sich auf den Weg.

Kanae sah ihre Freundin an. „Ich weiß, was du fragen willst“, sagte diese. „Nein, ich habe mich nicht entschieden. Ich kenne jetzt nur Lauras Ansichten bei dem Thema über die Liebe. Ich weiß, dass sie niemals Ren auf Dauer beanspruchen würde. Dann könnte sie nicht glücklich werden, meinte sie zumindest.“ „Aber das ändert nichts! Was bringt es dir? Wenn Tsuruga-san ihr verfallen sollte - auch wenn du weißt, dass sie nur spielt - so ändert es nichts, dass er an ihr dann zerbrechen würde. Das ist es ja gerade, dass sie nur spielt! Du darfst sie nicht zum Zug kommen lassen!“ „Und wie? Auch sie erachtet mich als zu unwürdig“, verteidigte sie sich. „Kannst du nicht Tsuruga-san das überlassen? Hast du so wenig Vertrauen zu ihm? Er ist ein erwachsener Mann! Vergiss das nicht!“ Kyoko nickte betroffen.

„Mögt ihr Orangenlimonade?“, fragte Maria plötzlich. Die beiden anderen wandten sich überrascht um. Ihre O-nee-sama lächelte dankend. „Ja, natürlich! Vielen Dank!“ Sie nahm ihr eine der Getränkedosen ab.

Sie verbrachten noch einige Zeit am Strand. Als dann doch Wolken aufzogen, packten sie ihre Sachen zusammen und machten sich auf den Weg zurück in das Hotel.

Wie im Märchen

„Ich habe nur noch einen Tag Zeit, um Tsuruga-san eine Antwort zu geben!“, jammerte Kyoko vor sich hin.

Sie saß allein an einer Theke und starrte auf ihr halbvolles Glas Wasser. „Ich habe schon die ganze Nacht und den Vormittag damit verbracht, aber ich finde es einfach nicht! Was will ich eigentlich?“ Sie ließ ihren Blick durch das Café schweifen. „Haufen Pärchen zur Nachmittagsstunde hier...“, murmelte sie. Hastig trank sie ihr Glas aus, zahlte und ging.

Als Kyoko auf den belebten Markt traf, blinzelte sie vor Helligkeit. Die Sonne schien ihr direkt in die Augen. Sie wollte schon die Hand vor ihr Gesicht halten als plötzlich eine große Gestalt vor ihr auftauchte.

„Ren! Was machst du denn hier?“, stotterte sie verwundert. „Ich sah dich hier allein. Wo ist denn Kotonami und Maria?“, fragte er lächelnd. „Die haben etwas ganz wichtiges noch zu tun. Vor einer guten halben Stunde haben sie mich einfach in ein Café gesetzt und sind in unbekannte Richtung verschwunden“, erklärte sie etwas grimmig. „Ich frage mich, was da vor sich geht“, gestand Ren. „Yashiro habe ich schon seit 2 Stunden nicht mehr gesehen... Er meinte, er wolle noch nach Souvenirs schauen... aber irgendwie nehme ich ihm das nicht ab.“ „Meinst du da steckt etwas im Busch?“, fragte sie nach. Ihr Gegenüber nickte. „Und was machst du nun so allein?“, erkundigte er sich nach einer Weile. „Ich weiß nicht... Etwas über den Markt schlendern?“ „Darf ich mich anschließen?“ Er verbeugte sich leicht und sah in ihre Augen. Sie wich zurück. „Ähm, ja, natürlich... Es steht dir frei zu entscheiden, was du machst.“
 

Schweigend liefen sie nebeneinander. Manchmal erwischte Kyoko Ren dabei, wie er sie anstarrte. Doch sie gab sich unberührt und ging weiter. Nach der 3. Runde über den Marktplatz schlug er vor, sich auf eine Bank zu setzen und sich auszuruhen. Sie folgte seinem Rat.

„Kyoko? Ich...“, begann er, wurde jedoch von ihr grob unterbrochen. „Ich weiß, was du fragen willst. Und nein, ich kann dir noch keine Antwort geben. Aber du wirst noch eine Antwort bekommen, bevor du abreist!“ Er nickte und wandte sich von ihr ab. Den Blick auf das bunte Treiben vor sich gerichtet, versuchte er ein unverfängliches Gespräch in die Gänge zu bekommen. „Was habt ihr noch in eurem Urlaub vor?“ „Ich weiß nicht ganz. Wir machen das meist spontan aus. Viel Zeit bleibt uns auch nicht mehr. Am 24. werden wir nach Japan zurückkehren.“ „Ja, morgen ist der 22.“, meinte Ren gedankenverloren.
 

„Yashiro! Konntest du noch alles besorgen?“, rief Peter. Er kam gerade mit Gilles über den Strand gelaufen, wieder mit Kisten beladen. Yashiro nickte und hielt einige Tüten hoch. „Es war gar nicht so leicht... Ich hoffe, dass Ren jetzt nicht noch mehr bestätigt wird in seinem Misstrauen“, seufzte er. „Sind Kanae und Maria schon da?“, fragte er weiter und sah sich um. Aurélie und Frédéric machten sich an der Kulisse zu schaffen. Dian und David waren auch schon da und brachten soeben eine Bank getragen. „Ja, die beiden sind auch schon da. Wir hatten hier einen Notfall, deshalb baten wir sie eher zu kommen.“ „Und Kyoko-chan? Ist sie etwa auch allein gelassen worden?“ Doch bevor Peter antworten konnte, gesellte sich Maria zu ihnen. „O-nee-sama ist in einem Café in der Stadt. Ich habe ihr gesagt, dass sie in der Nähe bleiben soll, damit wir sie später wiederfinden.“ „Gut, dann können wir ja nun richtig loslegen!“, beschloss der Betreuer.
 

Die Zeit verging wie im Wind für die kleine Gruppe, aber für Ren und Kyoko schien es eine Ewigkeit zu sein. Etwas mulmig saßen sie stumm nebeneinander und starrten vor sich hin. Jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Die Sonne begann schon lange Schatten zu werfen.

„Ren, da bist du ja!“ Tsuruga löste sich aus seiner starren Haltung und blickte seinen Betreuer verständnislos an. „Ja, was ist denn?“ Auch Kyoko sah Yashiro fragend an. Dieser stammelte dann etwas erschöpft: „Ich... ich habe dir ein paar DVDs besorgt, damit du dir die Zeit heute Abend vertreiben kannst... und dazu etwas Popcorn – Na, was sagst du?“ „Bist du auch heute wieder unterwegs?“, lautete die Antwort. „Ja... Es ist wirklich ganz wichtig. Tut mir leid, dass ich in den letzten Tagen so wenig Zeit für dich hatte. Aber wenn das hier vorbei ist, verspreche ich dir, dass ich das ändere.“ Ren nickte müde. „Von mir aus.“ Schwerfällig stand er auf und nahm seinen Begleiter die Tüte mit den Filmen aus der Hand. „Mach nur, was du willst... Du hast dir auch etwas Urlaub verdient. Du bist nicht mein Babysitter. Keine Sorge, ich überlebe auch mal ohne dich.“ Müßig setzte er sich in Bewegung. „Also dann – Kyoko, bis bald! Yashiro, viel Vergnügen!“

„Kyoko? Es ist so weit!“ „Was ist so weit?“, fragte sie mit großen Augen. „Das wirst du sehen“, lächelte Yashiro verschwörerisch. „Aber zu erst müssen wir dir die Augen verbinden?“ „Wie soll ich denn dann noch etwas sehen?“, kicherte sie. „Vertraue mir.“
 

Yashiro führte Kyoko behutsam über den Strand. In ihren Sandalen konnte sie den Sand ihre Füße kitzeln fühlen. Sie war gespannt. Was war es, was er ihr zeigen wollte? Doch er verriet sich mit keinem Wort. Schließlich drückte er sie in weiche Kissen. Neben ihrem Ohr konnte sie ihn flüstern hören: „Wir sind da.“ Dann machte er sich an der Augenbinde zu schaffen. Blinzelnd betrachtete sie das Bild einige Meter vor sich. Im Sand standen ein Tisch und einige Stühle. Dahinter waren große Tücher aufgehangen. Gilles betrat die Bühne von links, in einem altertümlichen Anzug gekleidet, räusperte sich gekonnt und begann: „Werte Dame. Es ist uns eine Freude Ihnen heute Abend ein einmaliges Schauspiel präsentieren zu dürfen. Wir haben keine Mühen gescheut Ihnen ein unvergessliches Erlebnis zu bieten. Nun genug der Worte. Lasst uns beginnen mit unserem Stück „Aschenputtel“! Wir wünschen viel Vergnügen!“ Er schritt weiter nach rechts und blieb am Rand der Bühne stehen.

Kyokos Augen leuchteten. „Aschenputtel“, eines ihrer Lieblingsmärchen.
 

Kanae, Maria und Florence betraten die Bühne, in prächtigen Kleidern gehüllt und setzten sich an den Tisch. Letztere rief mit grantiger Stimme: „Aschenputtel! Wo bleibt unser Tee? Du faule Gans! Wegen dir werden wir noch verdursten!“ Die zwei Japanerinnen wedelten mit ihren Fächern sich Luft zu und verdrehten die Augen. „Diese Wärme... einfach schrecklich Mutter! Ich halte es nicht mehr aus. Meine Kehle ist schon ganz trocken!“, jammerte Kanae. Auch Maria verzog ihr Gesicht zu einer gequälten Miene. Aschenputtel – Dian – kam auf die Bühne mit einem Tablett gestürzt. Beinah wäre ihr eines der Gläser zu Bruch gegangen. „Du Tollpatsch! Pass doch besser auf!“, fuhr sie Florence an. „Ja, Mutter, entschuldigt.“ Aschenputtel stellte allen dreien je ein Glas hin und wartete. „Habt ihr noch etwas für mich, Mutter?“ Mutter überlegte kurz, dann fragte sie: „Hast du die Betten gemacht? Und den Boden geschrubbt? Die Hühner gefüttert? Die Kuh gemolken? Beim Schneider nach meinem neuen Kleid gefragt?“ „Ja, das habe ich alles getan. Ihr Kleid wird am Mittwoch fertig sein.“ Bei ihrer Antwort lächelte Aschenputtel fast. „Gut, dann kannst du ja mit dem Unkrautjähten anfangen.“ Ihre Miene wurde wieder betrübt. „Ja, Mutter.“ Mit etwas genickten Gang verließ sie die Bühne. Der Vorhang wurde geschlossen.

Der Erzähler Gilles sprach: „Es war einmal ein Mädchen von hoher Geburt, das lebte glücklich mit ihrer Familie. Jedoch starb ihre Mutter als sie noch sehr jung war. Kurze Zeit später heiratete der Vater erneut. Die neue Frau brachte noch 2 Töchter, die sehr hübsch waren, mit in die Ehe. Doch innerlich waren alle drei verdorben und grausam. Als der Vater gestorben war, machten sie Aschenputtel zu ihrer persönlichen Magd. Von da an erging es dem Mädchen schlecht. Nie konnte sie ihre Stiefmutter mit den beiden Töchtern zufrieden stellen. Nie gönnten sie ihr ein kleines Glück. So lebte sie tagein tagaus.“

Der Vorhang öffnete sich wieder und machten den Blick auf Aschenputtel frei. Mit einem Rechen stocherte sie in dem Sand herum und bückte sich, um Gras in einen Eimer zu werfen. Erschöpft fuhr sie sich über die Stirn. „Ah! Aschenputtel! Gut, dass ich dich treffe!“ „Guten Tag, Herr Postbote! Wie geht es Ihnen?“, erkundigte sie sich freundlich. Yashiro rückte seine Mütze zurecht und hielt ihr einige Briefe hin. „Es geht mir gut, danke der Nachfrage.“ „Und ihrer Frau? Auch alles in Ordnung?“ „Oh, ja! Ich bin erst vor 3 Tagen das fünfte Mal Vater geworden! Du kannst dir nicht vorstellen, was für ein Segen es für uns ist! Wir freuen uns über jedes Kind, auch wenn wir dann noch ein Maul zu stopfen haben. Aber auch das werden wir schaffen!“, strahlte er. „Herzlichen Glückwunsch!“ „Danke, nun muss ich aber weiter! Der Bürgermeister wartet schon ganz ungeduldig auf einen wichtigen Brief! Er nervt mich schon seit Tagen damit!“ „Auf Wiedersehen, Herr Postbote!“ „Mach's Gut, Aschenputtel!“ Yashiro klappte seine Tasche zu und machten sich auf den Weg. Aschenputtel blickte ihm noch kurz hinterher und widmete sich dann der Post. „Oh, Ein Brief für mich!“, murmelte sie verwundert. Vorsichtig schaute sie sich um, wischte sich die Hände an der Schürze ab und öffnete das Kuvert. „Sehr geehrte Dame, hiermit lade ich, der Prinz von LME, Sie ganz herzlich zu dem Ball der Bälle ein. Ich freue mich Sie am Sonnabend in einer Woche in meinem Schloss begrüßen zu dürfen. Gezeichnet der Prinz von LME.“ Sie überflog noch einmal die Worte, schloss kurz die Augen, blickte wieder darauf. „Was? Ich? Ich werde eingeladen? Aber... aber wer bin ich denn schon?“ „Aschenputtel?“ Eine der Stiefschwestern trat auf. „Was hast du da? Ist die Post schon da?“ Erschrocken wandte sie sich um. „Ja... ja, der Postbote war schon da.“ Sie hielt die Briefe hin. Maria zerrte ihr das Papier weg. „Und was verbirgst du hinter deinem Rücken?“ Aschenputtel versuchte sie abzulenken. „Ach, nichts.... Nichts wichtiges...“ „Zeig einmal her“, forderte die Schwester. Mit zitternden Händen reichte sie ihr den Bogen. Maria las den Zettel, lachte auf und meinte amüsiert: „Das ist wohl ein schlechter Scherz! Wer sollte dich schon einladen? Der Prinz von LME?“ Sie lachte immer lauter. „Das ist unmöglich! Sieh dich doch mal an! In deinem Lumpen? Noch nicht einmal ein paar Schuhe an den Füßen! So kannst du niemals im Palast erscheinen!Da hat sich sicherlich einer einen Scherz mit dir erlaubt! Unser Aschenputtel auf einem Ball! Wie lächerlich!“ Maria zerriss das Papier und ging lachend weiter. „Vergiss nicht die Möhren zu ernten!“ Weg war sie.

Aschenputtel stand bewegungslos da. „Ja. Wer sollte schon mich einladen?“, hauchte sie kraftlos. Sie machte sich wieder an ihre Arbeit. Immer wieder sagte sie vor sich hin: „Es stimmt wohl, was sie sagte. Ich bin es nicht wert. Da hat sich wohl jemand einen Scherz erlaubt.“

Der Vorhang schloss sich. Es war in der Zwischenzeit immer dunkler geworden, sodass Fackeln rund um die Bühne entzündet wurden. Kyoko saß auf der Bank, die mit vielen Kissen und Decken versehen war, und bestaunte das Schauspiel. Sie kannte die Handlung ganz genau. Und trotzdem folgte sie ihr immer wieder auf's Neue mit Begeisterung.

„Es wurde Abend. Nach einem langen Arbeitstag legte sich Aschenputtel in ihr Bett. Doch sie konnte nicht einschlafen“, sprach der Erzähler.

Der Vorhang öffnete sich wieder. Aschenputtel lag auf einem Strandtuch und wälzte sich unruhig hin und her. „Was ist nur los?“, sagte sie schließlich. „Ich weiß, dass ich nicht auf den Ball gehen darf, auch wenn ich eingeladen worden bin. Ich bin doch nur das schmutzige Aschenputtel...“ Sie seufzte. „Wie er wohl aussieht? Der Prinz? Sicherlich ist er ein stattlicher Mann. Gutaussehend, gebildet, liebenswert, höflich... Ach, was würde ich darum geben, wenn ich ihn nur einmal sehen könnte.“ Sie setzte sich auf und strich sich durch das Haar. „Aber so“, sie wies auf ihre alte Kleidung und die wuschligen Haare, „so kann ich nicht auf einen Ball gehen. Mutter würde es mir bestimmt auch nicht erlauben.“ Seufzend ließ sie sich in ihr Kissen fallen. „Wenn ich ihn nur einmal sehen könnte...“ Dann schlief sie ein.

Der Vorhang schloss. „So verging fast eine Woche. Aschenputtel versuchte den Prinzen zu vergessen. Am Tage arbeitete sie wie immer hart, wurde von ihren beiden Stiefschwestern nur so mit Arbeit überhäuft und schikaniert. Aber in der Nacht, dann wenn sie eigentlich schlafen sollte, konnte sie den Prinzen nicht vergessen. In fast jedem Traum besuchte er sie. Jedes Mal sah er etwas anders aus. Sie hatte ihn noch nie gesehen. Immer größer wurde der Wunsch ihn nur ein einziges Mal zu sehen. Am Tage verdrängte sie den Gedanken wieder. Sie konnte keinen Entschluss fassen. Doch eines Tages...“

Langsam schob sich der Vorhang zur Seite. Aschenputtel kehrte soeben den Boden. Ihre Stiefmutter saß auf einem Stuhl am Tisch und schlürfte Tee. Die Stieftochter richtete sich auf, trat auf sie zu und sagte: „Mutter, heute Abend ist ein Ball im Schloss des Königs von LME. Auch ich wurde eingeladen. Darf ich gehen? Bitte.“ Die Mutter stellte die Tasse ab und sah sie mit einer grimmigen Miene von unter an. „Du eingeladen? Unmöglich!“ „Doch Mutter, es stimmt!“ „So, so... wenn dem so ist, dann hast du auch sicherlich eine Einladung erhalten.“ „Ja, so ist es.“ „Dann möchte ich sie sehen.“ Da fiel Aschenputtel wieder ein, dass ihre jüngere Stiefschwester den Brief zerrissen hatte. „Nun? Ich warte!“ „Es tut mir leid, Mutter. Aber ich kann Ihnen nicht die Einladung zeigen. Eine meiner Schwestern hat sie zerrissen und weggeworfen. Sie hielt es für einen Scherz.“ „Nun Aschenputtel, dafür halte ich es auch! Wer sollte dich einladen? Wie dem auch sei – keine Einladung, keine Erlaubnis zum Ball! Und nun mach dich wieder an die Arbeit!“ Aschenputtel wandte sich enttäuscht ihrem Besen zu. „Glaubt ihr mir nicht?“, fragte sie schließlich leise. „Weshalb sollte ich dir glauben? Einer Magd? Aber wenn du willst, werde ich meine Töchter nach dem gewissen Brief fragen. Nun weiter! Heute Abend ist der Ball und da sollten deine Schwestern umwerfend aussehen! Du musst noch die Kleider bei dem Schneider abholen.“

Der Vorhang verbarg zum wiederholten Male die Bühne und der Erzähle trat auf. „Natürlich logen die beiden Schwestern die Mutter an, als sie nach dem Brief gefragt wurden. Und die Mutter glaubte ihnen. Für unser Aschenputtel sah es schlecht aus. Der Abend näherte sich immer mehr. Die Stieftöchter wurden angekleidet mit prächtigen Kleidern und feinstem Schmuck. Zur Dämmerung hielt eine Kutsche vor dem Hause der Familie und brachte die Mutter und ihre zwei Töchter zum Ball. Nur Aschenputtel blieb zu Haus. Doch sieh selbst.

Sie saß auf dem Boden und sortierte Linsen und Erbsen. „Auch wenn ich zum Ball wöllte... Ich werde hiermit doch nie fertig! 'Die Linsen in den Topf und die Erbsen in die Schale'“, ahmte sie ihre Stiefmutter nach. Gedankenverloren fuhr sie mit den Fingerspitzen durch die Körner. Auf einmal tauchten 3 in weiß gekleidete Mädchen auf. „Aschenputtel“, riefen sie. „Komm, steh auf und mach dich auf den Weg zum Schloss, denn heute wird dir das Glück hold sein.“ Erschrocken stand Aschenputtel auf. „Wer seid ihr?“ „Wir sind die guten Feen. Nun beeil dich! Wir werden dir die Arbeit abnehmen. Sei aber vor Mitternacht wieder da!“ „Aber was soll ich anziehen?“, fragte sie verzweifelt. Eine der Mädchen hielt ihr ein Päckchen hin. „Nimm dies. Und nun lauf!“ „Oh, wie soll ich euch danken?“ „Werde glücklich“, bekam sie als Antwort.

Die Szene verschwand. Der Erzähler räusperte sich. „Aschenputtel machte sich auf den Weg zum Schloss. Als sie den Hof verließ, war da ein Pferd, dass auf sie gewartet hatte. So gelangte sie zu dem Ball.

Als nächstes konnte Kyoko einige tanzende Paare sehen. Alle elegant gekleidet. Musik ertönte zart. Von der rechten Seite kommend, erblickte sie Aschenputtel. Sie trug ein hellblaues Kleid und silberne Schuhe. Die Zuschauerin begann zu schwelgen. Auf der anderen Seite stand elegant-charmant der Prinz – hier von David verkörpert. Langsam schritt er auf das scheue Mädchen zu, das sich unsicher umsah. „Gefällt es dir?“ Überrascht blickte sie ihm in die Augen. „Oh ja... es ist traumhaft! Wirklich ein gelungener Ball. Auch wenn ich weiter noch nie auf einem war.“ Sie lächelte entschuldigend. „So, das ist also dein erster Ball.“ „Ja, mein Herr.“ „Wurdest du schon zum Tanz aufgefordert.“ „Nein, mein Herr.“ Sie senkte den Blick. „Wenn dem so ist“, er verbeugte sich leicht, „Darf ich die Dame um den nächsten Tanz bitten?“ Etwas überrumpelt willigte sie ein.

Nach einigen Drehungen fasste sie den Mut und fragte ihn: „Sagt mir, wer seid Ihr?“ Amüsiert sah er ihr in die Augen. „Habt Ihr mich noch nie gesehen?“ „Nein, mein Herr.“ „Nun denn... Ich bin der Prinz von LME. Bitte erschreckt nicht. Ich sah Euch allein stehen und fragte mich, wie alle anderen Herren hier so ein wunderschönes Fräulein übersehen können.“ Leichte Röte zierte ihre Wangen. Scheu starrte sie an seine Brust. „Es ehrt mich. Habt vielen Dank für das Kompliment.“ „Darf ich nun auch erfahren, mit wem ich das Vergnügen habe?“ „Also... ich....“ Doch bevor sie weiter reden konnte, schlug die Uhr 23:45 Uhr. Erschrocken sah sie sich um. Es war hier so schön, aber sie konnte nicht bleiben. Das wusste sie. 'Sei vor Mitternacht wieder da.' „Es tut mir leid, aber ich muss jetzt gehen! Es tut mir schrecklich leid!“ Sie löste sich von ihm und rannte fort. Nur einen Schuh verlor sie. Der Prinz blickte ihr sehnsuchtsvoll hinterher, hob ihren Schuh auf und strich behutsam mit den Fingerspitzen darüber. „Wer war sie nur?“

Der Vorhang zog sich wieder zusammen. „Dem Prinzen ging das wundersame Mädchen nicht mehr aus dem Kopf. Wer war sie nur? Wie könnte er sie finden? Noch in dieser Nacht beschloss er sie zu finden und zu seiner Frau zu nehmen. Er hatte sich im ersten Moment, da er sie sah, sich in sie unsterblich verliebt. Doch sie hatte ihm keinen Namen genannt. Weshalb war sie so plötzlich verschwunden? So einige Fragen quälten ihn und raubten den Schlaf. Es dämmerte bereits, als ihm der Einfall kam, wie er sie wiederfinden könne. Alle Mädchen im Reiche müssten den Schuh probieren und diejenige, die er passt, die würde er zur Frau nehmen. Gedacht – getan. Eines schönen Tages kam die königliche Kutsche auch zu dem Haus, in dem Aschenputtel wohnte.

Der Vorhang öffnete sich. Kanae zwängte sich in den Schuh. „Oh, seht nur! Er passt!“, brachte sie gequält hervor. Doch der Gutachter schüttelte den Kopf. „Nein, er ist zu klein. Habt ihr nicht noch eine Tochter?“, wandte er sich an die Mutter. „Ja, ich habe noch eine zweite.“ Nun war Maria an der Reihe. Auch ihr war der Schuh zu klein. Der Begutachter stand auf. „Nein, auch in diesem Haus nichts von der wunderschönen Prinzessin...“, und zu seinen Begleitern meinte er: „Lasst uns gehen... Wir haben noch einige Haushalte zu untersuchen. Es ist schon verrückt mit dem Schuh!“ In dem Moment betrat Aschenputtel die Bühne. „Verzeihen die Herren, wollten Sie vielleicht noch eine kleine Erfrischung?“ „Ja, gern. Ähm... sag Mädchen, warst du auch auf dem Ball des Prinzen von LME?“ Aschenputtel fühlte sich ertappt und schielte kurz zu ihrer Stiefmutter. Doch sie antwortete wahrheitsgemäß. „Ja, ich war dort.“ „Könntest du diesen Schuh hier probieren?“ Sie starrte den einzelnen Schuh an und nickte. Er passte wie angegossen. „Dem Herrn sei Dank! Er passt! Wir haben sie endlich gefunden!“ Der Gutachter hüpfte vor Freude in die Luft.

„Und so kam letztendlich Aschenputtel zum Schloss des Königs. Dort wartete der Prinz schon ungeduldig auf sie“, sagte der Erzähle während hinter dem Vorhang alles für die letzte Szene gerichtet wurde.

„Endlich! Endlich habe ich dich gefunden!“, rief der Prinz beglückt aus. Überwältigt schloss er sie in seine Arme. „Oh, mein Prinz! Ich habe nicht hoffen gewagt, Euch noch einmal wiederzusehen!“, gestand sie den Tränen nahe. „Ihr werdet mich nun des öfteren sehen, meine Liebe. Denn wir wollen Hochzeit halten und nie mehr voneinander scheiden.“ Sie nickte überglücklich. „Es ist wie ein Traum“, lachte sie heiser. „Es ist Wirklichkeit!“ Er küsste sie und der Vorhang schloss sich.
 

Kyoko saß auf ihrer Bank wie angewurzelt. Sie wagte kaum zu atmen. Ganz zum Schluss öffnete sich der Vorhang das letzte Mal und alle Darsteller verbeugten sich breit grinsend. Kyoko tauchte aus der Starre und klatschte euphorisch Beifall.
 

Kurze Zeit später wurde Kyoko von Maria fast um gerannt. „Und wie fandest du es?“, fragte sie hastig. „Es war traumhaft! Einfach großartig!“, lobte ihre O-nee-sama. „Geht es dir jetzt besser?“ „Wie?“ „Du warst in den letzten Tagen immer so traurig. Da dachten wir uns etwas aus, wie wir dich aufmuntern könnten.“ „Ja, das ist euch wirklich gelungen!“, lachte sie. „Habt vielen Dank!“ Zart drückte sie das kleine Mädchen, das sich vertrauensvoll an sie schmiegte. Langsam gesellten sich auch die anderen um Kyoko. „Habt vielen Dank! Es war wirklich wie ein Traum!“ Sie lächelte. „Dann sind wir beruhigt“, meinte Gilles zwinkernd. „Dian – du warst das schönste Aschenputtel, das ich je gesehen habe!“, sagte Kyoko anerkennend. Diese senkte scheu den Blick. „Ach, es war doch nichts dabei. Es freut mich, wenn es dir so gefallen hat.“
 

Kyoko ging allein durch die Altstadt. Die anderen mussten noch die Bühne abbauen. Erst wollte sie helfen, aber das stritten die anderen ab. Sie sei ihr Gast gewesen. Da könnten sie es nicht zu lassen, dass sie mit Hand anlegt. Am Brunnen blieb sie stehen. Leicht schmunzelt blickte sie in die Tiefe. 'Ich hoffe, du weißt, was zu tun ist!', hatte ihr Kanae noch gesagt. Ja, sie wusste es. Sie müsste Ren eine Antwort geben. Leise seufzend flüsterte sie vor sich hin: „Und nun? Kyoko, was nun? Soll ich die Einladung annehmen?“ Natürlich hatte sie den Wink mit dem Zaunpfahl gemerkt. In dem Märchen hatte das Aschenputtel eine Einladung zum Ball bekommen, dachte aber, dass sie nicht gut genug sei, um diese auch anzunehmen. Kyoko hatte eine Liebeserklärung bekommen, aber sie dachte, dass sie nicht gut genug sei, denjenigen auch glücklich zu machen. Kanae, Maria, Yashiro, Peter, Gilles, David, Dian und all die anderen dachten scheinbar, dass sie es wäre. Dass sie die Einladung annehmen solle. Und sie selbst? Dachte sie jetzt immer noch so darüber? Hatte nicht das Gespräch mit Laura ihr Selbstbewusstsein gestärkt? Sollte es nicht Ren überlassen sein, wen er liebt? Oder die Bemerkung von Maria: War nicht sie die Frau, die am besten zu ihm passen würde? Sie holte tief Luft. Sie müsse sich jetzt entscheiden.
 

„Aber Roberto! Ich liebe dich doch!“ „Stirb Kleine!“ Peng. „Roberto!“ Ein lebloser Körper fiel auf die naße Erde. „Es tut mir fast leid, aber du hast dir den falschen ausgesucht!“, lachte er vor sich hin. Der Regen der Nacht prasselte auf ihn hernieder.

Was für Filme hat mir Yashiro da nur ausgesucht?, dachte Ren grimmig. Einer grauenhafter als der andere!

Es klopfte. „So spät noch?“, murmelte Ren und stand mühselig auf. Wieder klopft es. „Ja, ja... Ich komm schon. Immer mit der Ruhe!“ Er erreichte die Tür und öffnete langsam. „Wer stört noch zu so später St.... Kyoko?!“ „Es tut mir leid, wenn ich dich so spät noch störe. Besonders da du morgen einen langen Flug vor dir hast.“ „Ach was! Komm herein. Du störst nicht. Keine Sorge!“ Sie trat an ihm vorbei ins Zimmer. Der Fernseher lief noch. Ren schloss die Tür.

„Also, was führt dich zu mir?“, fragte er scheinbar unwissend. „Ich... ich habe mich entschieden“, stammelte sie. „Weißt du Ren, es ist so...“ „Peng! Peng! Peng!“ Beide zuckten zusammen. Der Film war weiter gelaufen und nun bei einer wilden Schießerei angekommen. „Oh, entschuldige! Ich mach sofort den Film aus.“ Er wandte sich ab und suchte nach der Fernbedienung.

„So, jetzt kannst du weitersprechen. Was wolltest du sagen?“ Er wollte sich wieder zu Kyoko drehen, aber da stand sie nicht mehr. „Kyoko? Kyoko?“ Doch sie war nicht zu finden. Er ließ sich in den Sessel fallen. „Danke Yashiro! Vielen Dank für die tollen Filme! Jetzt hat sie Angst bekommen und sich aus den Staub gemacht!“
 

Kyoko rannte die Treppen hinunter. Beinah wäre sie gestolpert. Von anderen Gästen des Hotels wurde sie mit entsetzten Blicken verfolgt, doch das merkte sie kaum. Sie rannte einfach weiter.
 

Kanae und Maria waren schon im Zimmer, als Kyoko hereinschneite. Die Keine war gerade eingeschlafen und Miss Menno ermahnte ihre Freundin zur Ruhe. „Was ist denn?“, fragte sie schließlich, nachdem Kyoko sich auf ihr Bett gesetzt hatte. „Ich habe es verbockt! Ich... ich wollte es ihm sagen.... aber dann bin ich erschrocken, habe plötzlich die Worte vergessen, die ich sagen wollte und hab den Mut verloren!“ „Kyoko, du bist wirklich ein Depp! Morgen fliegt er nach Japan zurück! Die Gelegenheit bekommst du vielleicht nie wieder! Du musst es ihm sagen! Bis du ihn vielleicht in Japan wieder so einfach mal unter vier Augen triffst, hat er längst vergessen, dass er dir seine Liebe gestanden hat.“ „Ich weiß, Miss Menno!“ Sie seufzte. „Ich werde es ihm morgen früh sagen! Wenn die Sonne aufgeht. So schwer kann es ja nicht sein...“ „Gut. Ich hoffe, dass es diesmal klappt!“ Kyoko nickte mit einem leichten Rotschimmer. „Ich auch.“

Zwischen Wahrheit und Lüge

Kyoko konnte diese Nacht nicht schlafen. Immer wieder ging sie im Kopf durch, was sie Ren sagen wollte. Doch kaum hatte sie eine Idee, verwarf sie diese wieder. Schließlich nahm sie einen Zettel und einen Stift zur Hand und schrieb alles auf. Doch keine der Worte schienen das auszudrücken, was sie empfand.

Es dämmerte bereits als sie von Müdigkeit übermannt wurde und einschlief.

Der Wecker riss sie unsanft aus dem traumlosen Schlaf. Grummelnd schaltete sie ihn aus und warf einen Blick auf Kanae und Maria. Keiner von beide rührte sich. Kyoko schwang die Beine aus dem Bett und streckte sich. 'Haben die beiden es gut!', dachte sie dabei. 'Jetzt aber los!'
 

Die Sonne hatte sich gerade über den Horizont geschoben als sich Ren zu dem verabredeten Treffpunkt aufmachte. Kyoko hatte ihm noch mitten in der Nacht eine SMS geschrieben, in der sie ihm mitteilte, dass sie ihn gern kurz nach Sonnenaufgang am Strand bei der kleinen Bank treffen wolle.

Die Morgenluft war noch kühl. Er erreichte die Bank, aber Kyoko war nirgendwo zu sehen. Er setzte sich und beschloss zu warten. Nach einer Weile hörte er Schritte hinter sich. Langsam drehte er sich um.

„Ren? Wartest du schon lang?“ „Kyoko, guten Morgen! Nein, ich habe nur die morgendliche Stille genoßen.“ Sie setzte sich neben ihn. „Ja, es ist schön hier... Ren, ich.... ich wollte dir sagen, wie ich mich entschieden habe.“ Sie holte tief Luft. „Also... ich... wie soll ich sagen?“ Er lächelte sie an. „Wollen wir nicht einige Schritte gehen? Dann ist unser Treffen hier nicht mehr so steif.“ Er stand auf und hielt ihr seine Hand auffordernd hin. Sie nickte, ergriff die Hand und ging mit ihm.

„Es ist angenehm am Morgen etwas zu laufen. Die Luft ist noch frisch. Der Tag noch ganz unbeschmutzt. Alles liegt noch vor einem“, sagte er ruhig. Immer noch ihre Hand halten, spürte er, wie sie sich langsam entkrampfte. „Man hat noch alle Zeit der Welt!“, sprach er weiter. „Hast du auch alle Zeit der Welt?“, fragte sie plötzlich. „Ja, ich denke schon. Kommt darauf an, wie du es meinst.“ „Kannst du Geduld haben? Kannst du Schwierigkeiten und Probleme stillschweigend ertragen? Kannst du dir Zeit nehmen?“ „Zeit für was? Geduld mit wem?“ Sie blieb stehen und blickte in seine Augen. „Für mich und mit mir.“ Er lächelte sie etwas erleichtert an. „Ren, ich... ich mag dich wirklich sehr und... und ich möchte mit dir zusammen sein. Aber ich weiß nicht, ob ich deine Vorstellung von Liebe erfüllen kann. Ich möchte, dass du glücklich wirst. Ich möchte dir zu keiner Last werden. Ich...“, doch er legte ihr einen Finger auf den Mund. „Nein, Kyoko! Du wirst mir nicht zur Last werden. Ich wusste schon immer, mit wem und auf was ich mich einlasse, wenn ich es zu lasse, dass ich dich liebe. Du brauchst keine Superfrau zu sein, die mir jeden Wunsch von den Augen abliest und diesen dann im Handumdrehen erfüllt. Nein, dass brauchst du nicht zu sein. Ich möchte nur eines von dir.“ „Und das wäre?“ „Ich möchte, dass du die Kyoko bleibst, die ich schon seit langer Zeit liebe. Ich wünsche mir, dass du du selbst bleibst. Mit allen deinen Macken und Liebeswürdigkeiten. Mehr verlange ich nicht.“ Durch Tränen hindurch sah sie ihn an. „Dann wäre ich der glücklichste Mann in ganz Japan!“ „Ren... meinst du das wirklich?“ „Ja, vertraue mir. Unsere Liebe wird keine kurze Lichterscheinung am Nachthimmel sein.“ Zärtlich drückte er ihre Hand. „Aber Ren, was...was werden deine Fans sagen, besonders die Weiblichen, wenn sie erfahren, dass du mit mir zusammen bist. Mit einem Mauerblümchen?“ „Was sollte denn gesagt werden?“, lachte er. „Vielleicht so – 'seht nur, dass ist die Frau von Ren Tsuruga! Hat der ein Schwein gehabt!' Ich werde der beneideste Mann in Japan sein. Und du vielleicht die Beneideste.“ Kyoko konnte nicht anders als ihn vergnügt anzulachen. „Du kannst dich nie zufrieden geben, was? Der begehrteste, der glücklichste und der beneideste Mann in ganz Japan!“ „Ich habe schon immer nach den Sternen gegriffen“, scherzte er. „Ja, ja... schon klar!“ „Aber der schönste Stern, den ich je haben wollte, steht vor mir. Neben dir verblassen alle andern, egal wie sie heißen mögen – Erfolg, Reichtum oder Macht.... Wenn ich nur mit dir bis zu meines Lebensende zusammen sein dürfte, würde ich alles andere vergessen und dir in die Wüste folgen.“ „Dann kannst du froh sein, dass ich kein Kamel bin!“, lachte Kyoko.

Plötzlich war es so einfach! Plötzlich war alles geklärt. Plötzlich hatte der Gedanke in ihr Platz gefunden, mit ihm durch Dick und Dünn zu gehen. Plötzlich verlor alles andere an Bedeutung.

Es war ihr egal, was Laura ihr erzählte von Liebesschmerzen. Es war ihr egal, ob die anderen sie als zu gering erachten würden oder nicht.

Sie konnte es glauben. Sie konnte glauben, dass er – der berühmteste Schauspieler in Japan sie liebt und sie an seiner Seite haben wollte. Sie konnte es glauben, dass sie die richtige für ihn sein könnte.

Blinzelnd blickte sie in sein Gesicht. „Ren, ich möchte mit dir zusammen sein. Mit dir in die Zukunft reisen, egal was passiert. Egal, was kommen wird.“ Er zog sie etwas zu sich heran und küsste ihr die Stirn. „Ja, ich werde mit dir gehen. Ich werde für dich alle Zeit der Welt haben.“ Er schloss sie vorsichtig in seine Arme und lehnte seinen Kopf an den ihrigen.
 

„Ren! Komm nun! Sonst macht der Flieger sich ohne uns auf den Weg nach Japan!“, rief Yashiro. Es war gegen Mittag und Kanae, Maria und Kyoko verabschiedeten den Schauspieler und seinen Betreuer an der Taxihaltestelle. „Nun denn die Damen“, begann Ren grinsend, „Es war uns eine Freude Euch hier getroffen zu haben. Ich hoffe, wir sehen uns bald in unserer Heimat wieder!“ Galant verbeugte er sich, nahm Kyokos Hand und gab ihr einen Handkuss. Er blinzelte zu ihr hinauf. „Ich hoffe, wir sehen uns schon sehr bald wieder“, zwinkerte er. Maria drückte er noch kurz und verabschiedete Kanae. „Pass mir gut auf die beiden Hühner auf!“ 'Hühner?', ging es Kyoko durch den Kopf. 'Ich bin doch kein Huhn!' „Ja, mache ich!“, versicherte Kotonami. „Kyoko ist wohl eines der verrücktesten Hühnchen, die es gibt!“ Diese warf ihrer Freundin einen scharfen Blick zu. Doch diese gab sich unberührt. 'Wie kann Miss Menno nur so etwas sagen? Ich und ein Hu...?' Plötzlich ging ihr auf, was Kanae damit sagen wollte. Bou! Sollte etwa Ren von ihrer Rolle als Huhn Bescheid wissen? Wusste er etwa, dass sie in diesem Kostüm steckt? Kalter Angstschweiß lief ihr über den Rücken. Aber jetzt war sie doch seine Freundin.... da bräuchte sie doch keine Angst mehr vor ihm zu haben.... Und wenn doch? Ren sah sie besorgt an. „Kyoko, hast du irgendwas?“ Diese schreckte hoch und meinte schnell: „Ach, es ist nichts.... Ich hatte nur gerade an etwas unangenehmes gedacht!“ „Wenn dem so ist, dann bin ich froh, dass du wieder aufgetaucht bist!“ Sein Gentleman-Lächeln erstrahlte in lang nicht gesehener Schönheit. Kyoko erstarrte fast. 'Es gibt wohl noch so einiges zu klären!', sagte sie sich.

„So, nun müssen wir aber los!“, erinnerte Yashiro. „Wir sehen uns in einigen Tagen ja wieder! Also dann – macht's gut! Kanae, Maria, Kyoko? Es war schön unsere Freizeit mit euch zu verbringen. Das hat den Aufenthalt in Frankreich um einiges angenehmer gemacht.“ Der Betreuer stieg in das wartende Taxi. „Bis bald“, lächelte Ren und folgte ihm.

Als das Taxi fort fuhr, winkten die Mädchen noch etwas hinterher.
 

„Und jetzt?“, fragte Kanae. „Was machen wir jetzt?“ „Ich habe Hunger!“, verkündete Kyoko. „Ich habe noch nicht mal ein Frühstück gehabt!“ Maria nickte stumm. „Gut, gehen wir etwas essen...“

Bei Spaghetti und Limonade berieten die Urlauber, was sie noch in den letzten zwei Tagen zu tun hätten. „Ich müsste mich noch einmal nach Mitbringsel umschauen!“, meinte Kanae. „Und du, Maria“, fragte Kyoko, „was möchtest du noch machen?“ Die Kleine schwieg, sah sie ausdruckslos an und antwortete schließlich: „Ich würde heute Abend gern mit dir allein etwas spazieren gehen. Wenn es Kotonami es nichts ausmacht, dass sie dann allein ist.“ „Nein, es macht mir nichts aus! Ich wollte eh noch einen Reisebericht anfertigen. Da kann ich die Ruhe gut gebrauchen.“ Kyoko nickte. „Gut, Maria-chan! Dann gehen wir heute Abend spazieren. Wo würdest du langlaufen wollen?“ „Ich würde noch einmal das Schloß von außen sehen wollen.“
 

Der Nachmittag verging im üblichen Trubel. Kyoko und Maria halfen Kanae beim Einkaufen. Sie machten noch einige Fotos von der Umgebung.

Nach dem Abendbrot ließ Kanae ihre beiden Freundinnen allein. Diese trotteten langsam auf den Weg zum Schloß zu. Durch die Bäume rauschte der Wind. Maria ging schweigend neben ihrer O-nee-sama her. „Nun, Maria-chan? Was willst du mit mir besprechen?“, fragte Kyoko gut gelaunt. „O-nee-sama? … Hast du mich angelogen?“ „Was? Wie kommst du denn darauf?“ Erstaunt blieb sie stehen. „Na ja... Ich meine, die Geschichte mit den Frauenherzen und Catherina... Es gibt sie nicht, oder?“ Kyoko holte tief Luft. „Ja, es stimmt. Es gibt keine Fernsehsendung 'Tsunami – Frauenherzen in Gefahr'“ „Aber warum hast du mir dann das erzählt?“, bohrte die Kleine weiter. „Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst...“ „Sorgen? Worüber? Über Ren-sama?“ Sie stemmte die Hände an die Hüfte. „Ja, weißt du, Laura wollte ihn benutzen und warf sich ihm um den Hals...“ „Und das sollte ich nicht wissen?“, unterbrach sie. „Ja, weil wir dachten, dass wenigstens du einen schönen, sorgenfreien Urlaub haben solltest.“ „Und deshalb lügst du mich an? Weil eine Tussi sich an Ren-sama macht?! Hast du überhaupt eine Ahnung, wie viele Anwärter auf sein Herz ich schon vertrieben habe? Wenn es um so etwas geht, bin ich nicht zu bremsen!“ „Außerdem wollte ich....“, begann Kyoko. „Du wolltest dich selbst an ihn werfen, oder?“ Marias harter Blick und abfällige Art verletzte Kyoko. „Nein, Maria. So war das nicht!“ „Wie war es denn dann?“ Die Größere seufzte, ging ein paar Schritte und setzte an: „Ich beobachtete, wie Laura sich an Ren schmiegte. Ich habe einmal gehört, dass Ren in ein junges Mädchen verliebt sei. Ich wollte herausfinden, ob sie es sei. Aber das erwies sich als Trugschluss. Eher kam ich noch in einem Streit mit ihm. Und da gestand er mir, dass er in mich verliebt sei.... Ich war total verzweifelt, weil ich dachte, dass ich nicht gut genug für ihn sei... Aber mit eurer Hilfe, habe ich begriffen, dass ich ihm einfach vertrauen muss. Er wird sich nicht irren! Es ist ihm überlassen, wem er sein Herz schenkt.“ „Und deshalb habt ihr mich angelogen?“ Marias Stimme klang ganz schwach. „Deswegen?“

„Maria... Ich.... wir wussten nicht, wie wir damit umgehen sollten... Denn ich weiß ja, wie sehr du an Ren hängst. Ich wollte dich nicht verletzen...“ „Behandelt mich doch nicht ständig wie ein kleines Kind!“, schrie sie nun. Dicke Tränen überfluteten das Gesicht. „Ich dachte, du wärst meine große Schwester! Eine Schwester, mit der ich über alles reden könnte und die keine Geheimnisse vor mir hat! Anstatt mit mir zu reden, belügst du mich auf hinterhältige Weise! Dass du mir Ren-sama wegnimmst hätte ich dir vielleicht noch verziehen! Aber das du mich belügst....verleugnest....“, sie schluchzte. „Das hätte ich nicht von dir gedacht! Nicht von dir! Nicht von meiner Schwester!“ „Maria...“ „Nein! Ich will nichts mehr hören! Ich habe genug gehört! Ich weiß jetzt, was ich wissen wollte! Nur deshalb habt ihr mich damals am Strand etwas zu Trinken kaufen geschickt... nur deshalb habt ihr manchmal noch leise abends geflüstert!“ Maria blickte noch einmal Kyoko mit ihren großen, naßen Augen an und verschwand rennend im Gebüsch. Kyoko versuchte ihr hinterher zu rennen, aber zwischen den Büschen und Bäumen konnte die Kleine viel einfacher hindurch laufen.
 

Kyoko suchte noch einige Zeit, dann beschloss sie Kanae zu holen. Sie sollte ihr helfen.

Als sie im Hotel ankam, wartete Miss Menno schon auf sie. „Da bist du ja! Du hast dein Handy vergessen...“ „Maria... Maria... sie... sie...“, Kyoko war ganz aus der Puste. „Maria ist oben und weint sich gerade in den Schlaf“, antwortete Kotonami. „Sei beruhigt. Es geht ihr gut. Wir sollten sie erst einmal in Ruhe lassen...“ Die andere nickte und folgte zum Fahrstuhl.

„Als sie hier ankam, beschimpfte sie mich mit 'Lügner' und 'Ich will euch nie wiedersehen!' Ich nehme an, sie hat dein kleines Versteckspiel mitbekommen?“ „Ja, sie hat schon lange einen Verdacht gehabt... Aber ich wollte sie wirklich nicht verletzen... Ich wollte sie schützen! Ich wollte, dass sie unbeschwerte Tage verleben kann... Und nun sieht es aus als hätten wir die Reise zu dritt bekommen und beenden sie zu zweit... Wenn Maria nichts mehr mit uns zu tun haben will... Es zerreißt mir fast das Herz“, gestand Kyoko. „Warum muss Glück und Verderben nur so nah beieinander liegen?“

Abschied

Am nächsten Tag trafen die drei Urlauber auf dem Markt David und Dian. Lächelnd kam er auf sie zu. „So eine Überraschung! Wir haben uns ja schon ewig nicht mehr gesehen!“ Kyoko und Kanae begrüßten ihn freundlich. Nur Maria schaute ihn stumm an und wandte sich ab. Doch David tat so, als hätte er nichts bemerkt. „Was macht ihr heute?“ „Ach, das wissen wir selbst noch nicht so genau... Es ist heute unser letzter Tag in Frankreich. Wir wollen unseren Urlaub ruhig ausklingen lassen.“

„Was? Das ist eurer letzter Tag hier?“, wurden sie unterbrochen. „Peter! Wo kommst du denn her?“ Peter hatte sich plötzlich zwischen die kleine Gruppe geschoben. „Ich habe euch hier gesehen und da dachte ich mir, ich sag euch mal 'Hallo'... Ist es wirklich wahr? Das ist eurer letzter Tag?“ „Ja, das stimmt... Morgen Mittag werden wir nach Japan zurückreisen.“ „Schade.... Aber wenn dem so ist, werde ich euch heute Abend eine würdige Abschiedsfete bieten! Seid so gegen 19 Uhr bei Gilles. Ihr wisst doch noch, wo er wohnt, oder?“ „Ja, das wissen wir noch. Aber...“ „Gut! Dann bis heute Abend! Ich muss jetzt los. Ich habe noch eine Menge zu tun! Au revoir!“

Ebenso plötzlich wie Peter gekommen war, war er auch wieder verschwunden.

„Eine Abschiedsfete?“, fragte Kanae skeptisch klingend. Aber dann schüttelte sie den Kopf und meinte: „Ist eigentlich gar keine schlechte Idee! Wir haben hier so einige Leute kennengelernt, die wir morgen verlassen werden und vielleicht nie wiedersehen... Da können wir ruhig noch einmal zusammen feiern!“ Kyoko nickte zustimmend. Maria schließlich auch. „Wird David auch mitkommen?“, fragte sie. Kyoko sah den Franzosen an. „Wenn es euch nicht stört, würde ich und Dian gern auch zur Fete kommen.“ Die Japanerinnen waren einverstanden. Schließlich hatten sie David einiges zu verdanken. Er hatte von Anfang an seine Hilfe angeboten.

„Gut, dann bis heute Abend“, sagte David. „Ich muss mit Dian jetzt noch einkaufen gehen.“ Er schnitt eine Grimasse. Seine Verlobte hängte sich trotzig bei ihm unter und schleifte ihn weg. „Bis heute Abend!“
 

In Japan waren in der Zwischenzeit Ren und sein Betreuer Yashiro angekommen. Letztere musste sofort einen Bericht an dem Präsidenten abgeben. Dieser saß in einem breiten Sessel in einem Bademantel gehüllt und genoß einen guten Rotwein, den Ren ihm als Souvenir mitgebracht hatte.

„So, so.... Also seid ihr Kyoko, Kotonami und meiner Enkelin in Frankreich begegnet... Welch ein Zufall!“ Yashiro sah den großen Chef skeptisch an. 'Welch ein Zufall?!' „Haben meine drei Mädchen einen schönen, erholsamen Urlaub genoßen?“ „Oh ja, das haben sie! Wir sind ihnen zwar nur recht selten begegnet, aber sie machten immer einen fröhlichen Eindruck“, antwortete der Angestellte. „Habt auch ihr, Ren und du, die Reise genoßen?“, wurde weiter gefragt. „Ja, es war wirklich interessant und aufregend in einer so fremden Umgebung arbeiten zu dürfen!“ „Das dachte ich mir....“ Der Präsident schwang das Glas etwas. „Ren kam mir so glücklich vor. Das wird wohl doch nicht nur von dem schönen Wetter kommen?“ Verschwörerisch blickte er seinem Gegenüber in die Augen. „Was meinst du?“ Yashiro schluckte. „Na ja... es liegt sicherlich auch mit an dem schönen Wetter. Aber, dass Kyoko-chan und ihre Freundinnen auch in Frankreich weilten, war schon eine Bereicherung.“ Plötzlich grinste Takarada-san. „Gut! Wann ist die Hochzeit?“ Mit jugendlichem Schwung stand er auf und wandelte durch das prunkvolle Zimmer. „Warten Sie! Kyoko-chan hat Ren um Zeit gebeten... Sie ist eher zurückhaltend.... Ich glaube kaum, dass sie von einer Heirat zu dieser Zeit begeistert wäre!“ „Ach, papperlapapp!“, machte der Präsident. „Wer braucht schon Zeit? Ren ist für mich wie ein Sohn! Ich möchte ihn in guten Händen wissen!“ „Seien Sie beruhigt! Das ist er. Aber lassen Sie die beiden selbst entscheiden, wann es so weit sein wird. Es genügt, dass Sie ihnen auf die Sprünge geholfen haben.“ Der Ältere blieb wie angewurzelt stehen, verzog das Gesicht zu einem Schmollmund und sah ihn mit großen Kulleraugen an. „Meinst du wirklich?“ Nicken. „Nun gut... da kann man nichts machen!“, seufzte er. „Die Liebe lässt sich nicht erzwingen oder irgendwie beschleunigen... Dann muss ich mich wohl gedulden!“
 

Die Lichter in Gilles Garten brannten bunt. Es war kühl geworden und dunkel. Peter und seine Freunde hatten für ein kleines Büfett gesorgt. Es gab Bowle und kleine Snacks. Im Hintergrund spielte leise Musik. Es waren alle gekommen. In kleinen Gruppen standen sie beieinander und redeten munter. Nur Maria saß auf ihrem Stuhl etwas abseits und sah dem Treiben stumm zu. Von Zeit zu Zeit nippte sie an ihrer Bowle und seufzte leise.

„Darf ich mich zu dir gesellen?“, fragte plötzlich eine Stimme. Es war David. Nachdem sie gleichgültig genickt hatte, setzte er sich neben sie.

Nach einer Weile meinte er: „Hat dir der Urlaub gefallen?“ Sie nickte kurz. „Freust du dich auf Zuhause?“ Wieder nickte sie. „Unternimmst du des öfteren etwas mit Kyoko?“ Verwundert blickte sie ihn an. Dann antwortete sie: „Ja. Wir haben schon einiges miteinander unternommen. Ich wollte unbedingt mit ihr in diesen Urlaub fahren.“ „Dann werdet ihr wohl auch nächstes Jahr wieder zusammen irgendwohin fahren, oder?“ „Nein... nein, ich glaube nicht...“ „Wieso nicht?“ „Sie ist nicht mehr meine O-nee-sama....“ „Ach, und weshalb?“ „Sie hat mich verletzt.... Ich habe ihr vertraut und sie hat das ausgenutzt...“ „Hat sie das mit Absicht getan?“ „Ja! Natürlich!“, sagte Maria jetzt etwas lauter. „Sie hat es sogar selbst zugegeben! Aber sie meinte auch, dass sie mich nur schützen wollte... Allerdings wüsste ich nicht wovor!“ „Vielleicht, dass dein Herz bewahrt bleibt... Vielleicht ging es ihr nicht um das Herz von Laura Beaufort oder um das von Ren... vielleicht ging es ihr um dein Herz. Sie wusste, dass du Ren sehr magst. Sie wollte dich nicht verletzen und hat deshalb gelogen... Wie wäre es wohl gewesen, wenn sie von Anfang an offen zu dir gewesen wäre? Wie hättest du reagiert?“ Maria überlegte. „Ich hätte diese Laura mit Spinnen oder ähnlichem weggeekelt... Ich konnte sie gleich beim ersten Augenblick, dass ich sie sah, nicht leiden! Sie hätte meinen Ren-sama nicht bekommen!“ „Und wenn sie Rens Freundin nun gewesen wäre?“ „Ren-sama steht nicht auf solche Weiber!“ „Bist du dir da sicher?“ „Ja! Ich bin mir sicher! Auch wenn es nicht so wäre, ich könnte es nicht zu lassen, dass er solch eine Person an seiner Seite hat!“ „Wäre der Urlaub für dich dann immer noch so schön gewesen?“, fragte er weiter. Gedankenverloren spielte sie an ihrem Glas. „Nein, ich denke nicht... Ich hätte nicht so viel Spaß gehabt.... hätte immer daran gedacht, dass Ren-sama in dem Moment mit dieser Zicke zusammenarbeiten muss...“ Er nickte verstehend. „Meinst du, dass mich O-nee-sama deswegen belogen hat, weil sie mich nicht belasten wollte?! Mit Dingen, bei denen ich eigentlich nicht viel ändern kann? Dass ich einen schönen Urlaub mit ihnen erleben kann, so wie ich es mir von Anfang an gewünscht habe? Wie es mein Traum war?“

„Maria, du hast einen hellen Verstand. Aber du bist immer noch ein Kind... verstehst du, was ich sagen möchte?“ Sie nickte langsam. „Du meinst, dass mich bestimmte Sachen einfach nichts angehen, richtig?“ „Ja.... Du magst Ren sehr, aber es ist recht unrealistisch, dass ihr jemals...“ „Das weiß ich selbst“, unterbrach sie plötzlich. „Ich weiß selbst, dass er eher mein großer Bruder sein könnte.... Und ich nehme es O-nee-sama auch nicht übel... Ich gönne es ihr. Ob das bei anderen Frauen auch so wäre, weiß ich allerdings nicht! Ich bin nur so enttäuscht, dass sie mich belogen hat! Ich habe ihr nun mal vertraut...“ „Und was hast du nun vor?“, fragte David und lehnte sich zurück. „Ich weiß es nicht genau...“, gestand sie leise. „Wirst du verzeihen können?“ Sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und lächelte schwach. „Ja, ich glaube schon. Ihr kann man nicht ewig böse sein... Aber das heißt nicht, dass ich es in Ordnung finde, dass sie so mit mir umgegangen ist! Sie hätte es mir auch einfach erklären können... Aber wahrscheinlich ist sie so nun einmal...“, sie seufzte. Er lachte etwas in sich hinein.

„Kyoko ist schon eine interessante Person, nicht wahr?“ Sie nickte. „Ja, das ist sie...“ Nach einer Weile stand Maria auf und atmete tief durch. „Okay, aber wehe ich bekomme von der Hochzeitstorte kein riesengroßes Stück!“ Mit diesen Worten stampfte sie in Richtung Bowle. David blickte ihr gutmütig lächelnd hinterher.
 

„O-nee-sama?“, sagte Maria in einem straffen Ton. Kyoko, die bei Florence und Aurélie stand, drehte sich überrascht um. „Kann ich kurz mit dir sprechen?“

Die beiden setzten sich etwas abseits auf einen Mauervorsprung. Maria überlegt kurz, bevor sie meinte: „O-nee-sama, du weißt, dass du mich verletzt hast... und auch, dass ich sagte, dass ich dir nicht verzeihen könnte... Allerdings war das eher aus dem Effekt heraus... und ich bin bereit dir zu vergeben, wenn du dich in aller Form bei mir entschuldigst!“ Sie verzog bei diesen Worten keine Miene und hielt den Rücken auffallend gerade. Kyoko hingegen war fast den Tränen nahe. „Du... du gibst mir also eine Chance?“, fragte sie leise. Die Kleine nickte. Dann lächelte O-nee-sama.

„Gut! Ich werde dein Angebot annehmen und mich in aller Form bei dir entschuldigen!“ Sie sprang von der Mauer und kniete sich auf das Gras, mit dem Kopf nach unten. „Werte Takarada Maria, ich möchte mich aufrichtig bei dir entschuldigen, dass ich dich verletzt habe, auch wenn ich nur gute Absichten hatte. Es tut mir leid.“ Schweigen. „Und was gedenkst du als Wiedergutmachung?“ „Wenn wir wieder in Japan sind, werden wir beide einen ganzen Tag zusammen verbringen und du darfst dir aussuchen, was wir machen werden.“ Maria überlegte kurz. Dann sprang sie ebenfalls von der Mauer. „Klingt gut! Wenn dem so ist, werde ich eine Liste zusammenstellen, die wir dann abarbeiten!“ Sie klang vergnügt. „Komm jetzt O-nee-sama! Das ist unsere Party hier! Unsere Abschiedsparty! Da sollten wir auch mit feiern.“ Flüsternd fügte sie hinzu: „Kyoko? Ich hätte dich auch nicht als Freundin verlieren wollen...“ Diese lächelte sie breit an, stand wieder auf, nahm ihre Hand in die ihrige und führte sie zu den anderen.
 

Es wurde noch ein lebhafter Abend. Die Zeit verrannte einmal wieder viel zu schnell. Man machte ein Gruppenfoto und tauschte einige Adressen aus. Peter überlegte schon, ob er nicht seine nächsten Ferien in Japan verbringen würde. „Dann kann ich mich davon überzeugen, dass dieser Ren Tsuruga auch gut zu meiner Kyoko ist!“, hatte er gemeint. Die anderen sahen ihn fragend/ verblüfft an. „Ja! Kyoko, wenn nicht dieser Typ hier gewesen wäre, hätte ich dich gefragt, ob du nicht mal mit mir ausgehen würdest! Du bist wirklich ein interessantes Geschöpf!“ Die anderen fingen an zu lachen, nur die Japanerin sah ihn schüchtern an. Dann grinste er breit. „Ach was! Du passt viel besser zu ihm! Aber ich würde dich gern zum Abschied einmal umarmen.“

Peter umarmte sie vorsichtig und hauchte ihr dabei ins Ohr: „Lass dich nicht unterkriegen, hörst du?“ Sie nickte schwach. Nun langsam machte sich die Stimmung breit, dass der Urlaub zu Ende ging. Man lachte noch viel, aber irgendwie hing etwas Bedrückendes in der Luft. Gegen 3 Uhr herrschte Aufbruchstimmung und alle halfen beim Aufräumen noch etwas mit. Die Japanerinnen bedankten sich noch für die tolle Party, verabschiedeten sich und machten sich auf den Weg zum Hotel. David hatte ihnen angeboten, sie mit dem Auto hinzubringen, aber sie hatten dankend abgelehnt. Sie wollten noch einmal durch die Altstadt laufen und die Ruhe genießen.
 

Gegen Mittag stand David jedoch wieder vor dem Hotel. Kanae brachte einen Koffer nach dem anderen zu ihm, den er dann fachmännisch im Kofferraum verstaute. „So, das müsste der letzte sein!“, keuchte sie und wischte sich über die Stirn. „Wo sind die anderen beiden?“ „Die sind noch oben und sehen nach, ob wir auch nichts vergessen haben...“

Die Sonne schien wieder so heiß wie am ersten Tag.Alles flimmerte leicht in ihrem Licht. Die Bäume, das weiße Hotel an der Klippe, … einfach alles!

Maria und Kyoko kamen lächelnd aus dem Hotel. „Wir wären so weit! Wir haben nichts weiter gefunden.“ „Dann können wir ja los.“
 

Am Flughafen half David noch mit den Koffern und gab ihnen einige Hinweise. Man verabschiedete sich herzlich. Maria blieb noch einen Moment stehen, während Kanae und Kyoko durch die Glastür verschwanden.

„David-san?“, begann sie. „Hab vielen Dank für deine Hilfe und deinen Beistand. Es freut mich, dass wir hier jemanden wie dich haben konnten.“ Sie kramte in ihrer Tasche und zog eine Muschelkette hervor. „Du kannst damit vielleicht nicht so viel anfangen, aber deine Verlobte... Ich habe leider nichts, das ich dir schenken könnte...“ „Maria, mach dir keine Gedanken. Die Kette ist wunderschön und ich werde mich immer an dich erinnern, wenn ich sie an Dians Hals sehe. Das ist wirklich ein schönes Geschenk, hab vielen Dank!“ Er drückte sie kurz und schob sie dann in Richtung Eingangstür. „Du musst nun gehen. Es wird Zeit.“ Sie nickte, drehte sich noch einmal um und grinste ihn an. „Wenn ihr Zeit und Lust haben, besucht uns doch mal in Japan!Ich meine, du und Dian... Dann zeigen wir euch unsere Kultur und lassen Feten für euch steigen!“ „Ganz sicher!“

Er winkte ihr noch hinterher als die Tür hinter ihr schloss.
 


 

= Ende =



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Kommentare zu dieser Fanfic (49)
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Von: abgemeldet
2011-11-11T23:57:21+00:00 12.11.2011 00:57
Hello! :)

Ich bin neu hier und dein FF gefällt mir seeeeeeehr gut! Mal was ganz anderes! Bin gespannt wie es weiter geht. =P

Angellie
Von:  Redis
2009-08-26T09:01:17+00:00 26.08.2009 11:01
*umfall* was für ein plötzliches Ende >.<
Ich glaube, dass Angel- und Kyo-Hizu-chan das "Ende" überlesen haben >.<
Alles in allem ist ja alles gut geworden:
Sie ist mit Ren zusammen, Maria-chan hat sich mit ihr ausgesöhnt und sie hat viele neue Freunde gefunden. Was wilt man mehr?
Vllt. ist diese FF zu Ende, da die Handlung abgeschlossen ist, vllt. wird sie jedoch in einer neuen FF fortgesetzt, mit einem neuen Ren/Kyoko-Schwerpunkt? Ich bin schon mal gespannt, was Kaname-san noch so für uns parat hat ^^
Allerliebste Grüße, Redis
Von:  DarkEye
2009-08-25T19:46:13+00:00 25.08.2009 21:46
schönes ende :D


dark
Von: abgemeldet
2009-08-25T14:14:13+00:00 25.08.2009 16:14
weita,aba flott...*grins*
ach jetzt kommt das wiedasehen mit ren...*freu*
schnell an die arbeit....
bis demnächst....
gruß angel ^^
Von:  Kyoko-Hizuri
2009-08-25T14:04:15+00:00 25.08.2009 16:04
schön...*beruhigend ausatmen*
Maria und Kyoko sind wieder glücklich^^
und im nächsten Kap sind Kyoko, Kanae und Maria in Japan, wo hoffentlich der heißersehnte Kuss zwischen Ren und Kyoko kommt^^
na denn, schreib schön fleißig weiter...*grins*
Kyo-Hizu
Von:  DarkEye
2009-08-16T20:01:42+00:00 16.08.2009 22:01
total klasse :D
dark
Von:  Kyoko-Hizuri
2009-08-16T18:49:31+00:00 16.08.2009 20:49
arme Maria, das muss schwer für sie sein,...*seufz*
ich hoffe Kyoko und Maria vertragen sich wieder
das Ren und Kyoko jetzt ein Paar sind ist super, aber wenigstens ein kleiner, kurzer Kuss auf die Lippen hätte schon drin sein können^^
na denn, bis zum nächsten Kap
Kyo-Hizu
Von: abgemeldet
2009-08-16T13:06:24+00:00 16.08.2009 15:06
ach herje...
die kleine is aba auch auf zack...
ich hoffe sie versteht kyoko und verzeiht ihr trotzdem...
oda ren könnte doch was drehen...
ihm hört sie sicher zu...
ich laß mich von dir übaraschen...^^
bis demnächst...
gruß Angel ^^
Von:  Kyoko-Hizuri
2009-08-11T20:31:14+00:00 11.08.2009 22:31
...*mich umschau*...*keiner da*...*ausatmen*

*flüsterton* halihalo, ich muss mich kurz fassen, da ich eigendlich erst ab Sonntag wieder randarf, aber ich MUSS einfach jetzt ein Kommi schreiben:
"Das Kap ist spitzen klasse, einfach genial.^^ich musste mich richtig zusammenreißen um nicht in lachen auszubrechen und ich kann nur hoffen das Kyoko,-am nächsten Morgen-,keinen rückzieher macht und ihm ihre Liebe gesteht. Bin schon richtig gespannt aufs nächset Kap."
bis bald,
Kyo-HIzu
Von:  Redis
2009-08-11T17:50:14+00:00 11.08.2009 19:50
*lachtränen aus den augen wisch*
das aschenputteltheater war einfach köstlich, wie ich gelacht habe :D
jaaa...ich muss angel recht geben...ein wunder, dass sie ma nich auf der leitungstand *tag rot im kalender anstreich*
aber dass sie dann abgehauen is...tyoisch...sie muss sone situationen i-wie immer versauen '-.-
wenn d ma nich noch was dazwischen kommt und sie unverrichteter dinge wieder nach hause fliegt....
allerloebste grüße, redis


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