Die Hölle, Tag 4 - Nacktbaden
Für Aito, für den Knopf und die Ohrläppchen.
Für Lisa, weil die Romanauszüge ihre Idee waren :)
Und für Syn-, die beinahe alle meine FFs in ihrer Favoritenliste hat ;)
Viel Spaß beim Lesen!
Liebe Grüße,
Paperflower
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Er hatte es ja gewusst. Es konnte immer noch schlimmer werden! Seine Kopfschmerzen waren verschwunden, aber vor zehn Minuten – es war kurz vor acht – war das Unheil heraufgezogen. Und zwar in Form von kichernden Mädchen, die an ihre Zimmertür klopften und Lavi fragten, ob er nicht Lust hätte, mit zu ihnen aufs Zimmer zu kommen, um noch etwas – und Kandas Nackenhaare hatten sich bei dem Wort gesträubt – Flaschendrehen zu spielen und Bier zu trinken.
Beinahe war er sich sicher gewesen, dass Lavi ablehnen und verkünden würde, dass er auf Kanda aufpassen musste. Allerdings hatte er den halben Tag damit verbracht, Lavi zu erklären, dass er seine Hilfe nicht brauchte.
„Klar, ich komm mit rüber“, waren die Worte, die ihn ins Verderben gestürzt hatten. Nun war Lavi drei Zimmer weiter mit einer Horde gieriger Mädchen, die alle nach Lavi lechzten! Wie hatte sich der Vollidiot nur darauf einlassen können? Es war doch vollkommen klar, dass all diese Mädchen nur Eines von ihm wollten!
Kanda hatte sich sein Buch geschnappt, um sich von dem absolut unerträglichen Gedanken abzulenken, dass Lavi gerade munter mit jedem Mädchen herumknutschte, das darum bat. Wie konnte man nur so leicht zu haben sein, das war empörend, er selbst würde sich niemals von Lavi küssen lassen und schon gar nicht von einem dieser Klatschweiber. Es war nicht zu fassen.
…schlich durch den dunklen Flur und die Treppe hinunter…
Das Buch sollte an dieser Stelle eigentlich spannend sein, aber er konnte sich nicht konzentrieren. Er starrte die Seite seit fünf Minuten an, ohne, dass die Sätze irgendeinen Sinn in seinem Gehirn hinterließen.
…schlich durch den dunklen Flur…
Er sah sich schon selbst durch den dunklen Flur schleichen, um Lavi vor all den geifernden Weibern zu retten, doch soweit kam es noch, dass er dem elenden Feuermelder aus der Patsche half, nur weil er in der Bewunderung badete, die ihm diese nervtötenden Mädchen entgegenbrachten…
…hörte nur das leise Knarzen seiner Schritte auf der morschen Treppe und das rauschende Blut in seinen Ohren…
Und wie sein Blut rauschte bei dem Gedanken, dass der Nervbolzen tatsächlich aus dem Zimmer gegangen war! Was, wenn er einen schweren Gehirnschock erlitt und Niemand im Zimmer war? Dann würde Lavi sich hoffentlich bis ans Ende seines Lebens schlecht fühlen und sich Vorwürfe machen. Jawohl! Grimmige Genugtuung würde er noch im Grab empfinden, wenn er sich vorstellte, wie Lavi vergrämt vor seinem Grabstein weinte!
…Licht am Ende des Ganges, das unstet flackerte und mit jedem Schritt näher kam…
Lavi würde sein blaues Wunder erleben, wenn diese ausgehungerten Weiber ihn fesselten, knebelten und ihn als Sexsklaven hielten. Aber es geschah ihm eindeutig recht, sollte er doch leiden und nach Kanda rufen, aber er würde Lavi höchstens den Vogel zeigen. Es war ja nicht sein Problem, dass Lavi die Gesellschaft dieser Weiber Kandas Gesellschaft vorzog.
…zischende Stimmen im schwach beleuchteten Zimmer…
Ja, die Mädchen zischten sich wahrscheinlich Stille- Post- artig ins Ohr, welche von ihnen Lavi als Erste abknutschen durfte. So musste es sein! Lavi konnte unmöglich freiwillig mit einer von diesen Bratzen herumknutschen…
Kanda starrte das Buch an. Die Buchstaben schwammen sinnlos vor seinen Augen hin und her. Das mussten die Nachwirkungen von diesem Ball sein, der seinen Kopf getroffen hatte. Normalerweise würde er sich überhaupt dafür interessieren, was Lavi tat und was er nicht tat. Oder wozu er gezwungen wurde… Aber er konnte sich noch so sehr einreden, dass Lavi ihm am Allerwertesten vorbei ging. Es ärgerte ihn.
Die Vorstellung ärgerte ihn, dass Lavi mit diesen Mädchen zusammen saß und Bier trank und Flaschendrehen spielte und es wohlmöglich genoss, mit ihnen herum zu knutschen. Er warf einen Blick auf die Uhr. Es war halb neun. In einer halben Stunde war Bettruhe. Lavi würde dann wohl wieder hier sein und dann konnte Kanda ihn in aller Ruhe verhöhnen, weil er so anspruchslos war.
Doch neun Uhr kam und ging. Und Kanda schaffte nur zwei Seiten seines Romans. Um viertel nach neun klappte er das Buch wütend zu und stand auf. Zornentbrannt riss er die Zimmertür auf und stapfte barfuß und lediglich in einer Trainingshose den Gang entlang, bis er vor der Zimmertür angekommen war, hinter der Lavi gerade sitzen musste. Er klopfte nicht an, sondern öffnete die Tür ohne Umschweife.
Die Mädchen waren zu fünft und saßen mit Lavi in einem Kreis, in der Mitte eine leere Bierflasche. Lavi war gerade dabei, sich über die Bierflasche hinweg zu einer der Gören hinüber zu beugen, garantiert, um sie zu küssen. Als er die Tür aufgehen hörte, wandte er den Kopf und starrte Kanda verwirrt an.
„Yuu, was machst du denn hier?“, fragte er vollkommen verdattert.
Kanda schnaubte.
„Es ist Bettruhe! Ich habe keine Lust, Anschiss zu bekommen, nur weil du nicht rechtzeitig im Zimmer bist!“, motzte er ohne darauf zu achten, wie laut er war. Die Mädchen sahen eindeutig so aus, als wollten sie ihn am liebsten erschießen, aber er machte sich nichts daraus. Lavi setzte sich und sah ihn von unten herauf an. Seine Wangen waren gerötet und seine Augen ziemlich glasig. Na wunderbar. Der Vollpfosten war angetrunken! Wenn nicht gar betrunken!
„Hab gar nicht auf die Uhr geguckt“, gab Lavi zu und sah verlegen aus, als er sich durch die roten Haare fuhr. Kanda hätte ihm gerne einen Tritt verpasst, aber das konnte er auch noch machen, wenn er Lavi aus den Fängen dieser Klatschweiber errettet hatte.
„Los, komm mit“, sagte er ungehalten und Lavi erhob sich tatsächlich gehorsam, winkte den Mädchen noch zu, die allesamt enttäuscht aussahen – vor allem die, die Lavi beinahe geküsst hatte – und folgte Kanda aus dem Zimmer. Kanda hatte ihn am Arm gepackt, doch Lavi sagte nichts dagegen.
„Yuu, ich glaub, ich bin n bisschen betrunken“, sagte Lavi heiter, als Kanda die Zimmertür hinter ihnen geschlossen hatte.
„Das merke ich“, knurrte er schlecht gelaunt, „und, hast du alle einmal durch geknutscht?“
Lavi sah ihn erstaunt an.
„Nee. Nur eine… bevor du rein kamst“, sagte er unumwunden. Kanda kochte vor Wut. Oder…vor etwas Anderem? Er war sich nicht sicher.
„Ins Bett!“, schnauzte er ungehalten und wandte sich ab. Lavi kicherte.
„Hab noch keine Lust ins Bett zu gehen. Ich will noch an den Strand“, verkündete er.
„Bist du von allen guten Geistern verlassen?“, zischte Kanda entnervt. Der Idiot war doch vollkommen übergeschnappt! Nur Lavi konnte auf solche brunzdummen Gedanken kommen… und betrunken war er auch noch!
„Musst ja nicht mitkommen. Ich will noch mal nackt baden, bevor wir wieder nach Hause fahren.“
Kandas Gehirn buchstabierte das N- Wort in roten Leuchtbuchstaben.
Nackt.
N A C K T.
Schon wieder nackt! Wieder fiel ihm auf, wie er dieses Wort hasste! Wer hatte es überhaupt erfunden? Wieso wurden Menschen nicht mit Klamotten geboren? Dann müsste er sich jetzt mit der Vorstellung von einem nackten Lavi herumschlagen! Ihm wurde heiß.
„Es ist Bettruhe“, knurrte er und spürte, wie sein Gehirn von roten Leuchtbuchstaben auf Grüne umstieg.
N A C K T.
N
A
C
K
T
!
„Ach Yuu, es ist Klassenfahrt! Niemand hält sich auf einer Klassenfahrt an die Regeln“, erklärte Lavi, nun deutlich lallend und wühlte in seinem Koffer nach einem Handtuch.
„Doch!“, sagte Kanda trotzig, „Ich!“
Lavi lachte leise in seinen Koffer hinein, ehe er ein großes, grünes Badetuch hervorzog und es sich über die Schulter warf.
„Du musst ja auch nicht mitkommen, ich geh allein!“
Kanda lagen einhundertfünfundsiebzig Erwiderungen – die meisten davon Beschimpfungen – auf der Zunge, aber er öffnete den Mund, ohne, dass auch nur ein Wort heraus kam.
Lavi hatte ihn vom Strand nach Hause getragen. Er hatte ihm das Bett neu bezogen. Einen Waschlappen gebracht und Frühstück gekauft…
„Dann geh doch!“, brummte er missmutig und warf sich auf sein Bett.
„Tu ich auch. Bis später, Yuu!“
Sein Gehirn buchstabierte nackt mittlerweile in gelb.
Er starrte die Tür an, aus der Lavi gerade verschwunden war. Unentschlossen kaute er auf seiner Unterlippe herum, seine Augenbraue zuckte mordlustig. Schließlich setzte er sich mit einem wütenden Schnauben auf, stapfte zur Tür hinüber und riss sie auf. Das fehlte ihm gerade noch, dass Lavi ertrank. Wohlmöglich würde er die Verantwortung dafür tragen müssen. Weil er sein unfreiwilliger Mitbewohner war. Und weil er Lavi nicht ans Bett gefesselt und ihn an seinem Vorhaben gehindert hatte!
Natürlich folgte er Lavi nur, um seinen eigenen Hintern zu retten und nichts Anderes! Das wäre ja auch gelacht.
Die Rezeption war leer und der Eingangsbereich vollkommen dunkel. Kanda schritt so leise und so schnell es ging durch die kleine Halle und öffnete die Tür. Dann machte er sich auf den Weg hinunter zum Strand.
Es dauerte nicht lange, bis er Lavi gefunden hatte. Der kleine Strand war wie ausgestorben, es war angenehm warm und dunkel. Und der Vollhorst stand bis zu den Knien im Wasser. Nackt. Natürlich. Sämtliche Hoffnungen, dass Lavi vielleicht wenigstens seine Shorts anlassen könnte, waren vergebens gewesen. Er starrte eine Weile lang auf die regungslose Gestalt im Wasser, dann ging er näher heran. Als hätte Lavi ihn gehört – was nicht sein konnte, da der Sand die Geräusche seiner Schritte völlig schluckte – ging er weiter ins Wasser hinein, bis er schließlich bis zum Bauchnabel darin versunken war.
Kanda verschränkte die Arme vor der Brust und achtete nicht darauf, dass die Wellen seine nackten Füße berührten.
„Wenn du ertrinken solltest, wird ich dich sicher nicht retten“, informierte er Lavi. Der erschrak offenbar und drehte sich hastig zu ihm um. Einen Moment lang starrte er ihn nur fassungslos an. Das blasse Licht einer nahen Straßenlaterne beleuchtete seine Züge gerade genug, um das glasige Funkeln seiner Augen zu sehen.
„Was machst du denn hier?“, fragte Lavi perplex. Kanda schnaubte.
„Ich hab keine Lust, Anschiss wegen dir zu kriegen“, sagte er. Lavi grinste.
„Hast dir Sorgen gemacht, was, Yuu?“
Kanda spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. Seine Arme lösten sich aus der Verschränkung und seine Hände ballten sich zu Fäusten.
Lavi lachte leise und dann warf er sich bäuchlings in die nächste Welle. Eine kurze Zeit lang war er unter der Wasseroberfläche verschwunden und Kanda konnte sich nicht entscheiden, ob er hoffen sollte, dass Lavi ertrunken war, oder dass er sehr schnell wieder auftauchte… denn seine Beine machten eindeutig Anstalten, ebenfalls tiefer ins Wasser zu gehen.
Aber er würde nicht in diese Brühe gehen. Nicht für Lavi. Nicht, weil Lavi immer noch nicht aufgetaucht war… und schon gar nicht, weil er sich irgendwie Sorgen machte…
Mit einem unterdrückten Fluchen watete er tiefer ins Wasser und auf die Stelle zu, an der Lavi verschwunden war. Unsicher, was er eigentlich tun sollte, stand er einen Moment unschlüssig hüfthoch im Wasser, dann ging er ganz ins Wasser.
Lavi würde dafür büßen. Wenn er ertrunken war, würde Kanda ihn gleich mal erwürgen. Und dann aufhängen!
Seine Hose waberte nass um seine Beine, als eine Hand sich um seine Beine schloss und ihn nach unten zog. Mit einem erschrockenen Japsen tauchte er unter und trat nach unten aus. Die Hand hatte ihn bereits wieder losgelassen und er tauchte prustend und nach Luft schnappend wieder auf, seine Haare nun ebenfalls klitschnass.
Lavis Kopf schaute ein Stück weit neben ihm aus dem Wasser. Er grinste.
„Bist ja doch rein gekommen“, sagte er schmunzelnd. Kanda wollte ihn auf der Stelle…
Wütend schnaubend schwamm er in Richtung Ufer und stakste klatschnass an den Strand, wischte sich die nassen Haare aus dem Gesicht und war sogar zu verlegen und sauer, um sich über den Sand, der nun an seinen Füßen klebte, zu ärgern.
Lavi war absichtlich so lange untergetaucht. Nur, um ihn ins Wasser zu locken! Und er war auch noch wie der letzte Idiot hinein gegangen, weil er gedacht hatte, Lavi wäre irgendetwas passiert… Er wollte sich selbst dafür ohrfeigen und stapfte wutentbrannt durch den Sand, als sich zwei Arme von hinten um ihn schlangen.
Er erstarrte, als Lavis nackter Körper sich von hinten an ihn drückte.
„Tut mir Leid“, flüsterte Lavi nah an seinem Ohr. Eine Gänsehaut überkam ihn, die nichts mit dem Wasser auf seiner Haut und der leichten Brise zu tun hatte. Er schluckte. Sein Herz vollführte einen heftigen Trommelwirbel, als Lavi ihn vorsichtig zu sich herumdrehte. Kanda blickte starr hoch zu dem Rotschopf, der genau wie er klatschnass war. Und nebenbei auch noch nackt.
„Aber schön, dass du dir wirklich Sorgen gemacht hast“, murmelte Lavi. Er war viel zu nahe. Wirklich….viel zu nahe. Er konnte sogar im schwachen Licht vereinzelte Sommersprossen erkennen…
„Hab ich… nicht…“, krächzte er. Seine Beine fühlten sich an wie Pudding. Und dann küsste Lavi ihn. Einfach so. Und er konnte nicht mehr denken. Nicht einmal mehr, dass er Lavi eigentlich dafür umbringen wollte…