Fight till Dying von abgemeldet (Das Schicksal geht seltsame Wege) ================================================================================ Kapitel 8: Pain - Schmerz ------------------------- Diesmal war es an mir, vor Derek aufzuwachen. Wenn ich ehrlich war, hatte ich nicht wirklich geschlafen. Seine Nähe schnürte mir die Luft ab, denn ich hatte nicht die gnädige Betäubung des Alkohols genossen. Ich hasste mich für mein törichtes Herz, welches das Geschehene nicht ausblenden und vergessen konnte. Stattdessen presste ich die Hände auf die Augen und versuchte mich in den Schlaf zu zwingen. Doch es wollte mir nicht gelingen. An Dereks ruhigem Atem erkannte ich, dass es ihm gelungen war, was mich wütend machte. Das war so typisch. Als ich die ersten Schimmer der Sonne durch das kleine Fenster kommen sah, hielt ich es nicht mehr aus. So vorsichtig wie möglich richtete ich mich auf und wägte die Chance ab, unbemerkt über Derek zu krabbeln. Ich kannte ihn nicht lange, doch ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass er bei der kleinsten Bewegung wach sein würde. Während ich ihn musterte fiel mir auf, dass ich ihn zum ersten Mal vollkommen entspannt und hilflos vor mir hatte. Er sah irgendwie…jünger aus. Ich fragte mich, ob er auch so sein konnte, wenn er nicht schlief. Das hielt ich aber für unwahrscheinlich. Sobald er die Augen öffnete, war er derselbe wie immer. Kalt und ablehnend. Mein Blick wanderte seinen Körper hinab. Seine Hände hatte er auf dem Bauch verschränkt und seine nackte, stählerne Brust hob und senkte sich in einem gleich bleibenden, ruhigen Takt. Ich beneidete ihn um seine Ruhe. Denn je mehr ich ihn betrachtete, desto mehr wurde mir seine Männlichkeit bewusst, die mich nur noch mehr quälte. Ich zog die Decke unter mir weg und warf sie über ihn. Nicht weil ich dachte er würde frieren, sondern um mich vor seinem Anblick zu schützen. Ich rannte da unaufhaltsam in Etwas, was ich definitiv nicht wollte. So vorsichtig ich konnte, richtete ich mich auf meine Beine auf und wankte über die Matratze. Wer schon einmal über eine Matratze gelaufen ist, weiß wie schwer das ist. Über eine zu schleichen, war noch viel schwieriger. Diesmal war ich wirklich froh über meine langen Beine. Ich setzte zu einem großen Schritt an, mit dem ich galant über Derek hinwegsteigen wollte. Natürlich verlor ich das Gleichgewicht. Zu meinem Glück jedoch nach vorne, was hieß ich stürzte nicht auf den Mann unter mir, sondern fiel ziemlich unschön auf die Knie. Nur mit Mühe und Not konnte ich verhindern, dass ich fluchte. Stattdessen hielt ich die Luft an und betete, dass Derek durch diese dumme Szene nicht wach geworden war. Doch ich vernahm nur seine regelmäßigen Atemzüge. Erleichtert atmete ich aus und stand auf. Da packte mich was am Knöchel und ich schrie auf. „Wohin des Weges?“ Seine Stimme war weder verschlafen, noch schien er irgendwelche Folgeerscheinungen vom Alkohol zu haben. „Jetzt sagen Sie mir nicht, Sie waren die ganze Zeit wach.“, versuchte ich mit sicherer, empörter Stimme hervorzubringen, was nicht leicht war, da mein Herz raste. Dummes, törichtes Herz. Er drehte den Kopf und sah mir in die Augen, soweit dass bei dem Dämmerlicht möglich war. „Ich wollte mal sehen, was du tust, wenn du dich unbeobachtet fühlst!“ So amüsiert er das rüberbringen wollte, ich sah ihm an, dass er dies nicht fühlte. Wofür diese Farce? Ich rappelte mich auf und schüttelte seine Hand ab, die mich noch immer festhielt. „Ich kann nicht mehr schlafen und deshalb geh ich jetzt.“ „Ach ja, und wohin?“ „Das kann Ihnen egal sein. Ich werde nirgendwohin gehen, wo ich in Gefahr sein könnte.“ Derek stützte sich auf seine Ellbogen auf und ich musste die Augen schließen, damit ich nicht auf seine Brust starrte. Was war nur los mit mir? Ich war sonst nie so gewesen. „Was gefährlich ist oder nicht, entscheide ich. Du kennst Palmasola nicht.“ Er sagte das so, wie ein Erwachsener ein Kind ermahnte und das ärgerte mich. „Ich verlasse die Wohnung nicht.“, stieß ich giftig hervor und verließ das Zimmer, bevor er was sagen konnte. Ich ging in das provisorische Badezimmer und „duschte“. Zuhause hätte mir eine heiße Dusche geholfen mich zu entspannen. Hier brachte mich das kalte Wasser nur noch mehr in Rage, doch es gefiel mir. Ich wollte wütend sein, denn das war die Reaktion, die ich haben wollte, wenn es um Derek ging. Nichts anderes sonst kam in Frage. Mit geröteter Haut und nassen Haaren schlich ich mich zurück in das Zimmer. Ich trug immer noch das überlange T-Shirt, weil ich in der Eile meine Kleidung vergessen hatte. Zu allem Übel hatte Derek sich nicht von der Stelle gerührt. „Warum sind Sie noch hier?“ Die Sonne war soweit über den Zenit gestiegen, dass ich sehen konnte, wie er eine Augenbraue hob. „Warum sollte ich nicht mehr da sein?“ „Sie wollten früh aufstehen.“, sagte ich schlicht und lief zu dem kleinen Korb, in dem Kara meine Sachen aufbewahrte. Ich entschied mich für schwarze Shorts und ein schwarzes ärmelloses T-Shirt. „Alicia! Wir müssen reden!“ Als er meinen Namen aussprach, knotete sich mein Magen zusammen. Geschäftig wühlte ich weiter im Korb. Wonach ich suchte, wollte mir in dem Augenblick nicht einfallen. Ich spürte, wie er sich erhob, was mich dazu veranlasste noch emsiger zu suchen. Je näher er kam, desto stärker war mein Fluchttrieb und ich schalt mich selbst dafür. Wovor hatte ich, verdammt noch mal, Angst? Derek blieb neben mir stehen und schien einfach abzuwarten, dass ich fand was ich suchte und ich musste mir eingestehen, dass ich ihm nicht entkommen konnte. Mit einem leisen Seufzer erhob ich mich und sah ihm ins Gesicht. Es überraschte mich, dass seine Augen nicht kalt wirkten. Vielmehr musterten sie mich abschätzend, jedoch nicht unfreundlich. „Es tut mir Leid, dass ich gestern so grob zu dir war.“ Ich zuckte so lässig wie möglich mit den Schultern. „Das ist nicht mehr wichtig.“ „Doch das ist es. Du hast geweint. Ich hätte merken müssen, dass ich zu weit gehe.“ Ich wünschte er hätte alles auf den Alkohol geschoben, denn es wäre einfacher gewesen, ihn als unzurechnungsfähig einzustufen. „Sie waren betrunken und hatten einen harten Tag hinter sich. Ich habe Sie provoziert.“ Meine Stimme wurde von Wort zu Wort höher. „Es war nichts, worüber es sich zu sprechen lohnte.“ Ich wollte das Gespräch beenden, doch Derek wäre nicht Derek, wenn er mich so einfach davon kommen ließe. „Warum weichst du dem Thema aus?“ „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.“ Derek kesselte mich mit seinem Körper ein, was mich wieder an den Rand meiner Beherrschung brachte. Dieser Mann war viel gefährlicher für meinen Verstand, als alles andere in Palmasola. „Entweder wir reden vernünftig miteinander, oder wir bleiben den ganzen Tag hier. Solange bis du mir gesagt hast, warum du geweint hast.“ Ich hätte am Liebsten mit den Zähnen geknirscht. Ich war für die Wut sogar dankbar. „Was bringt es Ihnen, das zu wissen? Was haben Sie davon? Fühlen Sie sich dann bestätigt? Das kleine Mädchen, das Sie heiraten mussten hat Angst vor Ihnen! Fühlen Sie sich jetzt besser?“ Ich lachte bitter auf, doch ihm ins Gesicht sehen konnte ich nicht. Schweigen breitete sich zwischen uns aus und auf einmal kam mir die Luft so furchtbar stickig vor. „Hast du wirklich Angst vor mir?“, er sagte das so leise, dass ich automatisch aufsah. Sein Blick war von solcher Intensität, dass ich schlucken musste. Ich konnte ihn nicht anlügen. Ich war ehrlich gewesen, als ich gesagt hatte, ich könne nicht lügen. Es lag mir einfach nicht. „Nein. Aber ist es nicht das, was Sie hören wollen?“ Er schüttelte den Kopf. „Wie kommst du darauf?“ „All diese Regeln die Sie aufgestellt haben. Sie wollen Einzelgänger sein und Sie lassen mich das spüren, wann immer Sie können.“ Ich holte tief Luft. „Was immer Sie von mir denken mögen, es gibt nichts, was ich getan hätte, das es verdient so behandelt zu werden. Sie sind ekelhaft und gemein. Wir sind erst einen Tag verheiratet und es graut mir bereits vor jedem weiteren.“ Mir wurde bewusst, dass ich auf seine eigentlich Frage noch nicht geantwortet hatte. „Ich habe geweint, weil ich vor dem Angst hatte, was danach kommen könnte.“ Ich senkte den Blick. „Ich glaube nicht, dass ich die Kraft hätte es zu ertragen. Was immer die Folgen wären.“ Nach einiger Zeit des Schweigens hatte Derek sich auf die Matratze niedergelassen und mich nachdenklich gemustert. Ich konnte mich nicht vom Fleck bewegen und lehnte mich deshalb gegen die kalte Wand. Diese weckte so langsam meine tauben Glieder. Scheinbar müde fuhr Derek sich über das Gesicht und seufzte leise. „Ich muss zugeben, soweit habe ich nicht gedacht.“ Wen überraschte das? Doch ich sagte nichts. „Wenn ich wie ein Einsiedler lebe, dann liegt es an dem was ich tu, was ich erlebe.“ „Sie müssen mir das nicht erzählen.“, wehrte ich ab, denn ich war mir nicht sicher, ob es gut war, wenn er sich mir dermaßen offenbarte. „Doch das muss ich. Die Fronten sollten geklärt sein.“ Er stand auf und stellte sich unter das Fenster, um hinauf zu sehen. Der Mond war noch zu sehen. „Ich will dir weder schaden, noch dich verletzen. Du wirst bald nach Hause können, was immer bald heißen mag. Und ich werde dafür sorgen, dass du unbeschadet nach Hause zurückkehren kannst.“ Sein Profil war im fahlen Licht umwerfend und ich erkannte, dass er in diesem Augenblick ebenso verletzlich war, wie im Schlaf. „Die Regeln waren genau aus diesem Grund wichtig für mich, bevor ich Kara zusagen konnte. Ich bin gefährlich für dich und es tut mir Leid, dass ich auch nur eine Sekunde daran gedacht habe, ich könnte einen Nutzen aus unserer Verbindung ziehen.“ Er fuhr sich durch seine kurzen Haare. Eine unkontrollierte, fahrige Geste. „Ich werde ab jetzt im Flur schlafen.“ Ich wollte protestieren, doch er winkte ab. Er wollte meine Meinung dazu gar nicht hören. „Zieh dich bitte an und komm dann in die Küche. Du wirst heute ein wenig von Palmasola sehen.“ Damit stand Derek auf und verschwand aus dem Zimmer. Wieso war ich nicht zufrieden? Er hatte gesagt, er hatte einen Nutzen aus der Verbindung ziehen wollen. War es ihm um Sex gegangen? Natürlich, ich war ja so naiv. Aber wäre es so gewesen, wäre er dann nicht weniger zärtlich und verständnisvoll mit mir umgegangen? Nein! Ich erkannte, dass ich mich in Derek täuschte. Er mochte letzte Nacht Gedanken gehabt haben, die mir nicht unbedingt passten, aber er hätte mich nie gezwungen. In der ersten Nacht nach der Hochzeit hatte er gesagt, er lebe seit Jahren im Zölibat. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie es für ihn sein musste, die Nacht neben mir zu verbringen. Und sollte er von einer Ehe nur annähernd dieselben Vorstellungen haben wie ich, dann war er in einem Zwiespalt. Alleine das Gefühl, mit jemanden dermaßen verbunden zu sein war schon verwirrend genug. Sein Beschützerinstinkt, dem ich ihm nicht absprechen konnte, und sein gutes Herz machten es ihm sicher nicht leichter. Ich schlug mir mit der flachen Hand vor die Stirn. Was dachte ich da nur? Ich konnte nicht wissen, was dieser Mann dachte. Und ich würde ihm nie so nahe kommen, dass ich auch nur eine Ahnung davon bekäme. Fluchend zog ich mich an. Wenig später kam ich in die Küche, in der tatsächlich Frühstück auf mich wartete. Es bestand zwar nur aus hartem Brot und trockenen Käse, aber ich war so dankbar wie lange nicht mehr. Als Derek dann begann Kaffee aufzubrühen wusste ich, das Getränk konnte noch so dünn sein, ich würde es lieben. Als er fertig war, setzte er sich zu mir. Doch er aß nichts, sondern polierte stumm drei Messer von unterschiedlichster Größe. Sah ich etwa an einer Klinge Blutstropfen? Ich schluckte und sah aus dem Fenster. Wieder eine Bewegung. Ich spürte, wie mir ein Schauer über den Rücken lief. „Wann werden sie endlich verschwinden?“ Ich hatte mehr mit mir gesprochen und gar nicht bemerkt, dass ich es laut gesagt hatte. Deshalb zuckte ich zusammen, als Derek antwortete. „Der Don kann sehr hartnäckig sein. Wobei ich sagen muss, er ist weitaus versessener, als es sonst der Fall wäre.“ Er sah mich nicht an, doch ich wusste sehr genau wovon er sprach. „Wenn er so….versessen ist, wird er sich dann nicht irgendwann holen, was er haben will?“ Ich hatte gehofft er würde dies jetzt verneinen, doch Derek schürzte die Lippen. „Ich denke sogar, dass er es versuchen wird.“ Ich schluckte schwer und versuchte nicht zu zeigen, dass ich doch Angst bekam. Nicht nur ich war hilflos, sondern auch Kara konnte sich nicht wehren, wenn Estévez auf die Idee kam, die Wohnung zu stürmen. Und ich bemerkte auch, dass ich nicht nur um uns, sondern auch um Derek Angst hatte. Wenn Estévez es drauf anlegte, konnte er Derek umbringen. Ich spürte, dass Derek mich musterte und hob den Blick. Ich meinte Erkennen in seinen grünen Augen zu sehen und schimpfte mit mir, weil ich so durchsichtig war. „Ich kann dir nicht versprechen, dass er es nicht versuchen wird, Alicia. Aber ich werde es vorher erfahren, da kannst du dir sicher sein.“ Ich tat so, als würde es mich beruhigen und stand auf. „Ich sehe noch mal nach Kara, bevor wir gehen.“ Ich fragte ihn nicht, ich tat es einfach und er schien nichts dagegen einzuwenden zu haben. Als ich in Karas Zimmer kam, das ebenso spärlich möbliert war wie meins, erschrak ich, weil Kara unter der Bettdecke so winzig und eingefallen aussah. Ich kniete mich nieder und nahm ihre kalten Hände in die meine und suchte ihren Puls am Hals. Es schlug noch. Ich atmete tief durch. Ihr Herz schlug noch, doch das konnte doch kein Dauerzustand sein. Die alte Frau öffnete die Augen und lächelte. Ihre Stimme war leise, doch ruhig und fest. „Licia, mein Kind, wo ist Derek?“ Wieso brachte sie Derek eigentlich grundsätzlich mit mir in Verbindung? „Er ist in der Küche. Er möchte heute durch Palmasola laufen, mit mir.“ Sofort grinste die Alte. „So ist das richtig. Zeigt euch und spuckt dem Don ordentlich in die Suppe.“ Apropos Suppe! „Kara du muss erst was essen, sonst gehen wir nicht.“ Die Alte schüttelte den Kopf. „Wir machen einen Deal. Auf eurem Spaziergang soll Derek Sebastiân sagen, er soll mir was bringen. Der Gute weiß was ich brauche. Somit bekomme ich was Essbares und ihr könnt den Tag genießen.“ Schweren Herzens stimmte ich ihr zu und verließ das Zimmer um wieder zu Derek zu stoßen. Dieser saß immer noch am Küchentisch, doch diesmal mit einer Schusswaffe. Erschrocken blieb ich im Türrahmen stehen. „Das ist nicht Ihr Ernst!“ Derek sah irritiert auf und sah meinen Blick, der der Pistole galt. „Sagen Sie nicht, Sie haben die schon mal benutzt!“ Derek zuckte ungerührt mit den Schultern. „Und selbst wenn, würdest du es nicht erfahren.“ Ich schluckte. Ich musste aufhören so zu denken, wie es außerhalb der Mauern Palmasolas gewesen wäre. Derek hatte mit Sicherheit schon einige Menschen getötet, wie lange er auch hier war. Wieder fühlte ich mich entfremdet. Einerseits spürte ich, dass mir bei diesen Leuten nichts geschehen konnte, andererseits waren sie Mörder und das ließ mich alles andere vergessen. Derek sah, dass ich mich unwohl fühlte und steckte die Waffe in seinen Hosenbund. „Wie geht es Kara?“ Ich riss mich aus meiner Trance. „Es könnte ihr besser gehen, aber sie will nicht essen bis ein gewisser Sebastiân ihr etwas gebracht hat.“ Ich zuckte mit den Schultern, da ich annahm, dass Derek damit etwas anfangen konnte. Er nickte auch nur, also hatte ich mit meiner Einschätzung richtig gelegen. Wir verließen die Gasse in der die Wohnung lag und ich wunderte mich, dass ich niemanden sah, der uns auflauerte. Die Männer des Don, waren wohl doch nicht ganz so ungeschickt, wie ich gedacht hatte. Kurz vor der Hauptstraße hielt Derek mich zurück, nahm meine Linke in seine Hand und sah mich eindringlich an. „Versuch einfach so zu tun, als wäre alles in Ordnung.“ Ich nickte und wappnete mich, ein ungezwungenes Lächeln auf den Lippen zu halten. Als wir in die Sonne traten beneidete ich Derek sofort um seine Kappe. Der Staub der Straßen reflektierte die Sonne und mir war augenblicklich heiß. „Wir werden uns die verschiedenen Orte ansehen, die auch für dich wichtig sein werden, sollte Kara oder mir etwas zustoßen.“ Mir lief ein Schauer über den Rücken, was Derek merkte. Der Ernst in seinen Augen machte es nicht besser. „Damit musst du rechnen, Alicia. Der Killer der Mafia hätte mich gestern töten können.“ Ich schluckte und nickte. Daran konnte ich mich nicht gewöhnen. An die spartanische Lebensweise, das schlechte Essen vielleicht. Aber dass jemand sterben könnte der mir nahe stand, dass ging zu weit. Das konnte ich nicht verkraften. Derek drückte meine Hand und zog mich an sich heran, sodass wir Brust an Brust standen, mit dem Unterschied, dass Derek größer war als ich. Er nahm mich in den Arm und ich sah über seine Schulter hinweg zwei Männer, die mir sehr bekannt vorkamen und interessiert, nein wütend, zu uns hinüber starrten. Das waren Dons Männer. Die beiden, die bei der Hochzeit gewesen waren. „Du darfst nicht darüber nachdenken, ob heute oder morgen jemand stirbt.“, flüsterte er mir ins Ohr. Ich vergrub mein Gesicht an seiner Schulter, weil ich die hasserfüllten Gesichter nicht ertrug. „Sie werden Sie umbringen, weil sie genau DAS hier gerade tun.“ Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme zitterte. Dereks Brust vibrierte, weil er lachte, dann küsste er mich auf den Scheitel und ließ mich los. „Dann würde ich aber mit einer Frau im Arm sterben. Nicht der schlechteste Tod.“ Ich wusste nicht ob ich mich amüsieren oder sauer sein sollte. Er sprach so leichtfertig über seinen Tod, während ich mich deshalb ängstigte. Das war unfair. Was bedeutete er mir schon? Mein Leben. Er rettete mir mein Leben und ich hatte das Gefühl, ich war ihm etwas schuldig. Wir liefen quer durch das Dorf bis zu den Mauern und an den Mauern entlang wieder zurück. Die meisten Insassen und fast alle Wachen grüssten Derek und mir wurde bewusst, dass es dem Don nicht leicht fallen würde, Derek einfach aus dem Weg zu räumen. Er schnitt sich immer sofort auch ins eigene Fleisch. Bald wurde mir auch klar, wieso Kara und Derek so über ihre Verhältnisse lebten. Überall hin hatten sie Verbindungen, auch nach draußen und benötigten sie was, wurde es ihnen so schnell wie möglich gebracht. Natürlich waren hier Luxusgüter die einfachsten Sachen, angefangen bei Seife und Fleisch. Doch Derek stellte mir alle seine „Freunde“ vor und mich ihnen als seine Frau. Sofort versicherten sie mir ihre Hilfe, wann immer ich sie benötigte. Derek wies mich jedoch später daraufhin, dass die Hilfe dieser Männer immer nur so weit ging, wie sie es mit ihrem Leben vertreten konnten und ich sah ein, dass man ihnen daraus keinen Vorwurf machen konnte. Denn auch ich spürte die ständige Präsenz der Mafia. Bald war es ein Kinderspiel, Dons Männer von den anderen Insassen zu unterscheiden und ich konnte auch die Angst spüren, die ihre Anwesenheit verbreitete. Die Menschen hier versuchten sie zu ignorieren, haderten jedoch der Dinge, die da kamen, sollte Estévez was gegen sie in der Hand haben. Wir liefen gerade an der Bar vorbei, an der ich mich verletzt hatte und dessen Scheibe mit Brettern vernagelt war, als mir eine Frage auf der Zunge lag, die ich aus den Tiefen meines Gedächtnisses geholt hatte. „Ich habe mal gelesen, dass viele Menschen hier bleiben, selbst wenn sie frei sind. Wieso ist das so?“ Derek grüsste einen untersetzten Afrikaner und wandte sich dann mir zu. Er hielt meine Hand noch immer fest umklammert und ich musste mir eingestehen, dass ich es nicht als unangenehm betrachtete. Es bot mir sogar Sicherheit. „Das liegt daran, dass viele Menschen sich hier eine Existenz aufbauen und dort draußen nichts anderes auf sie warten würde, als Armut und Tod.“ „Aber der Tod ist hier doch auch an jeder Ecke.“ Ich deutete auf zwei Mafiosi, die in einer Gasse verschwanden. „Wenn man weiß, wie man hier überlebt, tut man das irgendwann so selbstverständlich wie essen und schlafen. Man denkt darüber nicht nach.“ Er deutete zu den Mauern. „Dort draußen ist für manche Leute eine viel grausamere Welt. Deshalb bleiben sie hier.“ Im ersten Moment wollte ich das als dumm abtun, doch dann fragte ich mich, wie es war, wenn man sein ganzes Leben in Palmasola verbracht hatte. Hier gab es nur die eigenen Regeln, dort draußen die der Politiker, die sich kaum um die Bedürfnisse des Volkes scherten. Was interessierte sie die Prozentzahl der Armen, solange ihre Tische reich gefüllt waren? „Wie lange sind Sie hier?“ Derek schmunzelte. „Nicht lange genug um nicht zu wissen, was mir hinter den Mauern entgeht.“ Ich starrte ihn weiterhin stumm an, da ich nicht bereit war, mich abwimmeln zu lassen. Er seufzte. „Das ist mein fünftes Jahr.“ Ich wollte ihn fragen, wie lange er absitzen sollte und was sein Vergehen war, doch er nutzte die Situation und sprach einen kleinen, blassen Mann mit beginnender Glatze an. Als er begann mit ihm Französisch zu sprechen, blieb mir der Mund offen stehen. Was konnte dieser Mann eigentlich nicht? Ich hatte bisher nur Schulfranzösisch genossen und hatte Probleme mit der Umgangssprache, die sie sprachen, doch ich verstand, dass dies Sebastiân sein musste. Derek stellte mich kurz vor und ich grüßte den Mann so gut ich konnte, was beide Männer überraschte. Ein Punkt für mich, stellte ich zufrieden fest. Die beiden besprachen sich und schon war Sebastiân verschwunden. Ich hoffte, dass er auf dem Weg zu Kara war. „Gut und jetzt zeig ich dir einen der schönsten Flecke hier in Palmasola.“ Derek führte mich durch kleine verwinkelte Gassen und ich spürte seine Anspannung. Er legte die andere Hand an die Waffe und ich musste mir eingestehen, dass sie mir jetzt sehr willkommen war. Ich vermutete, dass Estévez’ Männer nicht auf der Hauptstrasse angreifen würden und Derek in den Gassen deshalb so nervös war. Nein, nervös war der falsche Ausdruck. Er war nur gespannt wie ein Bogen und ich ahnte, dass er die Waffe in Sekundenschnelle ziehen konnte. Derek blieb vor einer niedrigen Mauer stehen. „Los, hoch mit dir.“ „Wie bitte?“ Ich sah zweifelnd die Mauer hoch. Ich war viel zu ungeschickt um da hoch zu klettern. Ich würde auf die andere Seite fallen. Derek stieß mich an. „Los, setz deinen Fuß in meine Hände. Ich heb dich hoch.“ „Ich kann das nicht, ich brech mir das Genick.“ Derek verdrehte die Augen, packte mich und warf mich unschön auf die Mauer. Wie ein Äffchen klammerte ich mich fest. „Das war nicht nett!“, schimpfte ich und Derek musste lachen. Sofort hockte er neben mir. „Wir laufen jetzt die Mauer entlang bis zu der Hauswand und die Leiter hoch. Meinst du, du schaffst das?“ Der Spott in seiner Stimme spornte mich an und ich rappelte mich auf. Das wäre doch gelacht. Doch mein Gleichgewichtssinn ließ mich im Stich und Derek musste mich um die Taille herum festhalten, damit ich nicht von der Mauer fiel. Wie demütigend. Als er mich am Hintern dann die Leiter hoch schob, trat ich nach ihm. Es überraschte mich nicht, dass ich ihn nicht traf. „Lehnen Sie sich nicht zu weit aus dem Fenster, Sir!“, fauchte ich und er kicherte. Wie konnte es sein, dass der Mörder von vorhin, auf einmal wie ein vorwitziger Junge sein konnte? Ich fiel vorne über auf ein Flachdach, weil Derek mir noch einmal einen Stoß versetzt hatte und rappelte mich fluchend auf, während er bereits neben mir stand. Ich wollte ihm einen Schlag versetzen, doch er fing ihn ab und zog mich über das Dach. „Jetzt hör auf zu schimpfen und schau.“ Ich entriss ihm meine Hand und richtete mich auf, um mich umzusehen. Als Erstes fiel mir auf, dass irgendwer, vielleicht Derek, sich hier oben ein kleines Reich geschaffen hatte. Unter einer Plastikplane stand ein altes, ramponiertes Sofa mit Decken versehen und daneben ein niedriger Tisch aus wurmstichigem Holz. Derek ging zu der Couch und riss die Plane herunter und bedeutete mir, mich zu setzen, während er hinter einer Art Kaminsims verschwand. Das Sofa war unglaublich weich und obwohl es modrig roch, war ich begeistert von dieser Idee. Plötzlich war ein Schatten über mir und ich erkannte, dass Derek einen Sonnenschirm über das Sofa breitete. Als er fertig war, ließ er sich neben mich fallen. „So und jetzt schau gerade aus!“ Ich folgte seinem Blick und erstarrte. „Das ist die Freiheit, wohin du bald und ich irgendwann zurückkehren werden.“ Wir sahen genau über die Mauern hinweg in die Steppe Boliviens. Mir verschlug es den Atem. Von hier sah es aus wie ein Katzensprung, der uns von der Freiheit trennte. Am Horizont konnte ich Santa Cruz entdecken. Dort wo Marielle lebte. Ich erinnerte mich an den Brief und das Geld, was ich beides noch nicht einmal in die Hand genommen hatte. Ich musste den Brief lesen. Derek bemerkte mein Schweigen und wandte sich zu mir um. „Quält es dich nicht?“, fragte ich ihn, ohne aufzusehen. Er sah mich fragend an und ich deutete auf die Aussicht. „Dort hinaus zu sehen und die Sehnsucht zu ertragen, die dich überkommt, weil dort deine Liebsten sind und du hier, ohne zu wissen, ob du je wieder hier raus kommst?“ Sofort spürte ich, wie Derek sich zurückzog. Er sah weiterhin über die Landschaft, doch er freute sich nicht mehr darüber. Hilflos rang ich die Hände im Schoß. „Was auch immer ich Falsches gesagt habe, es tut mir Leid.“ Derek winkte ab und stand auf. Er griff unter das Sofa und holte eine Wasserflasche hervor, die er mir zuwarf. „Wir gehen jetzt zu Kara zurück.“ Ich stutzte. Wir waren vielleicht fünf Minuten hier oben gewesen. Ich hatte mich dieser Offenbarung nicht als würdig erwiesen, weil ich die falsche Frage gestellt hatte, ohne zu wissen was ich tat. Verloren waren die Momente des Friedens und Einvernehmens zwischen uns. Stattdessen hatte ich wieder den Derek vor mir, der mich nicht mochte, mit seinen kalten Augen und seiner ablehnenden Haltung. Seufzend stand ich auf und vermied es, mir von ihm helfen zu lassen, als wir hinunter stiegen. Dass er an der Hauptstraße meine Hand nahm, konnte ich nicht verhindern, aber als wir zuhause waren, ließ er sie genauso schnell los. Doch ich kam nicht dazu, mir weiter Gedanken zu machen. Kara saß am Küchentisch, wie immer und lachte, während der Mann namens Sebastiân am Feuer stand und kochte. Kara sprach kein Französisch, sondern Spanisch mit ihm und sie amüsierten sich über irgendetwas. Ich spürte wie eine Tonnenlast von meinem Herzen fiel und ging mit Tränen in den Augen neben ihr in die Knie. Sie lächelte auf mich herab. „War der Tag so furchtbar, dass du weinen musst, Kleines?“ Ich lachte. „Was auch immer Sie ihr gekocht haben, ich will das auch!“ Der Franzose schenkte mir ein zahnloses Lächeln. „Wenn Sie mögen zeig ich es Ihnen.“ Die Aussicht etwas zu tun zu bekommen und dem zerknirschten Derek zu entkommen war sehr verlockend und ich sprang auf und stellte mich zu Sebastiân. „Sie brauchen hier ein „sentiment pour la cuisine“.“, sagte er so bedeutungsvoll, wie es ein Fernsehkoch gesagt hätte um Spannung zu erzeugen. Ich musste mir das Lachen verkneifen, damit ich ihn nicht beleidigte. „Wir haben hier nicht sehr viele Möglichkeiten gut und nahrhaft zu kochen und deshalb müssen Sie für sich lernen, was gut ist.“ Ich nickte eifrig und verfolgte jeden seiner Handgriffe. Den Rest des Nachmittags zeigte mir Sebastiân alles. Angefangen vom Feuer schüren und abschätzen der richtigen Temperatur bis hin zu den unkonventionellsten Gewürzen, die überall zu finden waren. Gegen Abend fühlte ich mich erschöpft aber glücklich und Sebastiân schien ebenfalls zufrieden mit mir. Er stellte eine wahnsinnig gute Suppe auf den Tisch und grinste Derek und Kara an. „Ab Morgen möchte ich Alicia bei mir im Restaurant haben.“ Mein Herz machte einen Satz und ich wollte sofort Ja sagen, doch Derek kam mir zuvor. „Auf gar keinen Fall!“ „Was?“ Ich sah ihn entsetzt an. Das hätte das Ende meiner Langeweile bedeutet. Derek sah nicht mich, sondern Sebastiân an. „Das ist zu gefährlich. Dort ist sie wie auf dem Präsentierteller.“ „Ihr könnt mich doch nicht hier einsperren bis José mich holt!“ Ich wusste, dass er das konnte und er würde es tun, wenn es von Nöten war. Ich sah Kara hilflos an, die mich nachdenklich musterte. „Arturo hat noch immer nichts von sich hören lassen seit der Hochzeit.“, sagte ich so verzweifelt wie möglich. „Ich ertrag es nicht, hier eingesperrt zu sein!“ Dereks Mund verzog sich zu einem Strich, doch er sagte noch immer nichts. „Derek, ich denke du musst entscheiden, was das Beste für deine Angetraute ist.“ Ich sah Kara verwirrt an und mir wurde erst jetzt bewusst, dass jemand dabei war, der nicht eingeweiht worden war. Trotzdem schien es ihr ernst zu sein, denn sie sah Derek abwartend an. Sebastiân setzte sich neben mich an den Tisch und fing ungerührt damit an, die Suppe zu löffeln. Ich wünschte er hätte sich wenigstens für mich eingesetzt. So musste ich mich selbst verteidigen. „Du hast nur eine andere Möglichkeit, außer mich einzusperren. Du müsstest mich mitnehmen.“ Ich verkniff mich ein siegessicheres Grinsen, da ich wusste, dass er das am Wenigsten wollte. Bloß nicht mit mir belasten, bei was auch immer. Er warf mir einen giftigen Blick zu. Jetzt war es mir ausnahmsweise egal, ob er sauer war. Wenn ich in dem Restaurant arbeiten konnte, würde ich mir weniger Gedanken über diesen Rüpel machen, was mir sehr zugute kam. „Sie darf ins Restaurant gehen, solange ich sie dort hin bringe und wieder abhole.“ Wieder sah er Sebastiân an und nicht mich. Er legte es wirklich darauf an, mich in Rage zu versetzen. Doch ich blieb schön ruhig, denn ich wollte was von ihm und nicht umgekehrt. „Sollte dir zu Ohren kommen, dass Estévez zu dir kommen wird, sagst du mir umgehend Bescheid. Er wird versuchen an sie ran zu kommen, wenn ich nicht anwesend bin.“ Sebastiân nickte. „Du weißt sehr wohl, Derek, dass ich dir so ein Angebot nicht machen würde, wenn ich deine Frau in Gefahr wüsste. Das werde ich nicht zulassen.“ So überzeugt er jetzt war, fragte ich mich doch, ob der Franzose seinen Kopf hinhalten würde, wenn die Mafia in seinem Restaurant stand. Derek nickte und ich löffelte fröhlich die Suppe. Zwei Tage später hatte ich meine erste Bewährungsprobe. Bis dahin sprach Derek nicht ein Wort mit mir und war noch grimmiger als er es sonst war. Doch das konnte meine Vorfreude nicht trüben. Als er mich zu Sebastiân und zu seinem gleichnamigen Restaurant brachte, sagte er nichts zum Abschied oder wann er mich holen würde. Aber ich ignorierte ihn genauso wie er mich. Meine Tage würden wieder einen Sinn bekommen und nicht nur aus Warten bestehen. Wie herrlich. Sebastiân machte zunächst einen Rundgang durch die zwei kleinen Räume, die er erworben hatte. Wie, das fragte ich nicht. Der Größere der beiden Räume galt als das eigentliche Restaurant, wenn man das so nennen konnte, mit den alten kahlen Tischen, die mit Papierblumen geschmückt waren. Hinten befand sich die Küche, die ebenfalls nur mit Feuer beheizt wurde. Für mich war das ein Paradies. Der Franzose zeigte mir die Speisen, die er zubereitete und ich stellte fest, dass die Waren zwar nicht frisch, aber auch nicht ganz so schlecht waren, wie ich es erwartet hatte. Seine Arbeit war anspruchsvoll und phantasiereich, jedoch nicht so schwer, als dass ich sie nicht hätte erlernen können. Viel Betrieb hatte das Restaurant nicht zu vermelden, was mich bei den Preisen nicht wunderte. Sebastiân erzählte mir, dass viele Insassen teils Wochen sparten, um einmal im Monat keine vergammelten Essensreste vorgesetzt zu bekommen. Ich musste mir eingestehen, dass mich die hohen Preise Mitleid für die empfinden ließ, die sich das nicht leisten konnten, doch jeder musste sehen wo er blieb. Ich konnte meinem neuen Chef keinen Vorwurf daraus machen. Derek erschien an dem Abend genau in dem Augenblick als das Restaurant schloss, gegen 20.00 Uhr. Er war noch gereizter als am Morgen und ich wunderte mich, dass er mich nicht hinter sich herschleifte. Ich konnte mir vorstellen, dass er das gerne getan hätte. Wenn ich ihn jetzt auch nur berührte, würde er mit Sicherheit in die Luft gehen. Da ich gute Laune hatte, hätte ich es drauf ankommen lassen können. Doch der Tag war lang gewesen und ich war zu müde, also lief ich brav neben ihm her. Dass er meine Hand nicht nahm, fand ich in diesem Augenblick nicht schlimm. Kara wollte natürlich alles ganz genau erzählt bekommen und freute sich über das Stück Schweinefilet, das schon etwas grau aussah, aber meine Bezahlung war. Da ich wusste, dass Kara gut essen musste, hatte ich Sebastiân gebeten, von Geld abzusehen und mich lieber mit guten Lebensmitteln zu versorgen. Er war sofort einverstanden gewesen. Während ich das Fleisch mit einigen Kartoffeln zubereitete, erzählte ich Kara fröhlich alles was ich gelernt und gesehen hatte. Derek verschwand nach dem Essen wieder und kam erst spät in der Nacht zurück, um sich dann im Flur in eine Decke zu rollen und dort zu schlafen. Es störte mich nicht besonders. Nach der zweiten Woche im Restaurant kochte ich so gut wie alles alleine und es sprach sich bald herum, dass die Frau von Derek bei Sebastiân arbeitete. Demnach kamen die Leute oft genug einfach nur, um mich zu sehen. Dass sie dann etwas kauften kam natürlich meinem französischen Freund zugute. Erfreut stellte ich fest, dass man mir überall mit Wohlwollen entgegenkam und auch wenn ich kein Spanisch sprach, die meisten konnten entweder Deutsch, Englisch oder Französisch, wenn auch nur mäßig. Immer öfter fragte ich mich, was Derek tat, wenn er in Palmasola’s Straßen verschwand. Die Menschen schienen ihm zu vertrauen und ihn zu mögen, was mir eine sehr gute Starthilfe war. Eine Woche später kannte ich sehr viele Insassen mit Namen, ihre Familieangehörigen und einige Geschichten. Manche Frauen, die nur wegen ihren Männern hier im Dorf waren, gewöhnten sich bald an, einmal täglich aufzutauchen und mit mir zu quatschen. Einige Tage später waren auch Männer dabei und Sebastiân erzählte mir, dass man mich als die personifizierte Freiheit sah, da ich mir meine Lebensfreude bewahrt hatte. Natürlich freute ich mich darüber, aber ich bezweifelte, dass ich immer noch so war, wenn ich ebenso lange wie Derek hier war. Wovon ich nicht auszugehen wagte. In all der Zeit bekam ich Derek nur zu Gesicht, wenn er mich zum Restaurant brachte oder abholte. Ich hatte mir gesagt, genau so wollte ich es haben, aber die schlechte Stimmung ging oft auch auf mich über. Ich hasste Disharmonie und da er ja immer noch mein Ehemann war, inszeniert oder nicht, ging mir dieser Krieg fürchterlich auf die Nerven. Vor allen Dingen weil ich im Endeffekt nicht wusste, was ihm so quer saß. Irgendwann fing ich an, meinen Tagesablauf herunterzurattern, wenn er mich abholte. Ich tat einfach so, als ob er es hören wollte und redete und redete, ohne Unterbrechung, bis wir zuhause ankamen. Am Anfang hatte Kara, der es zwar nicht gut, aber immer noch besser ging, Dereks Laune ebenso ignoriert wie ich. Doch eines Nachts hatte ich auf dem Flur gehört, dass sie ihn für sein Verhalten schalt. Ich verstand nicht was er antwortete, doch es war knapp und unfreundlich. Ich schloss daraufhin einfach nur die Augen und versuchte an den kommenden Tag zu denken. Am sechsten Tag, nachdem ich angefangen hatte ihm auf die Nerven zu gehen, rastete er dann aus. Da ich ihn kaum eines Blickes würdigte, als er mich abholte, erkannte ich nicht, dass er am Arm verletzt und seine Laune dadurch ins Bodenlose gefallen war. Also plapperte ich wieder wild drauflos, auch wenn ich nur von Klatschgeschichten zu berichten hatte. Ich bemerkte nicht einmal, dass er den anderen Insassen keinen Gruß zukommen ließ, nicht einmal ein Nicken. Erst als wir bei Kara ankamen und ich nichts mehr zu erzählen hatte, fiel mir auf, dass irgendetwas nicht stimmte. Einige Augenblicke später erspähte ich das Blut auf seinem grünen Shirt. Ich hielt die Luft an und schloss zu ihm auf, um mir den Arm anzusehen. „Du meine Güte, was ist passiert?“ Kaum das ich den Arm berührte, packte Derek mich hart am Handgelenk und riss mich herum, sodass ich an Karas Hauswand stand. Ich stieß erschrocken einen Schrei aus, weshalb sich eine seiner Hände auf meinen Mund legte. Die andere hielt meinen Arm fest. Meine andere Hand war zwischen uns eingeklemmt. Ich spürte zum ersten Mal seit langem Angst, als ich in seine Augen blickte. Ich sah nur Hass und Wut. Der Schmerz in meinem verdrehten, rechten Arm trieb mir die Tränen in die Augen. Als er sprach, tat er das nur zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch. „Solltest du in nächster Zeit nur noch ein Wort sagen oder auch nur in meine Nähe kommen, schwör ich dir, dass du mich kennen lernen wirst.“ Seine grünen Augen bohrten sich in meine und sendeten weitere Schmerzwellen durch meinen Arm. „Hast du das verstanden?“ Eine Träne rollte über meine Wange, doch es waren Wuttränen. Ich kam einfach nicht los. Sein Druck verstärkte sich und ich stöhnte auf vor Schmerz. „Hast du das verstanden?“ „DEREK!“ Keiner von uns beiden wandte sich zu Kara um. Ich konnte mich nicht bewegen und Derek sandte noch immer tödliche Blicke in meine Richtung. „Derek! Wenn du sie nicht sofort loslässt, schwör ich dir, dass ich mit dem Schrotgewehr komme.“ Mit einem Mal war ich frei, obwohl mir klar war, dass es nicht an Karas Drohung lag. Meine Knie gaben nach und ich griff nach dem Arm, der vollkommen taub war. „Was ist denn bloß in dich gefahren?“, bellte die kleine Frau und eilte an meine Seite, um mich auf die Beine zu ziehen. Derek ging einfach in das Haus. Eine unglaubliche Welle des Zornes überkam mich. Woher ich ihn nahm? Ich weiß es nicht. Wie ich das Selbstbewusstsein und den Mut hervorbrachte? Keine Ahnung. Ich schüttelte Kara ab und eilte hinter Derek her. Als ich durch die Küche ging, wo er nicht war, schnappte ich mir einen Kochlöffel. Ich holte ihn ein, als er durch das Wohnzimmer zum Bad ging. Wahrscheinlich wollte er duschen. Meine Fähigkeiten im Sport waren immer beschränkt gewesen. Sportfeste waren ein Graus für mich und ich war froh, dass dies an der Uni nicht verlangt wurde. Aber als ich diesmal den Kochlöffel warf, traf ich Derek direkt am Hinterkopf. Überrascht drehte er sich um und rieb sich über die Beule, die bereits jetzt zu sprießen begann. „Du riesengroßes Arschloch! Dein arrogantes Gehabe hängt mir zum Hals raus. Meinetwegen kannst du an einer Blutvergiftung verrecken.“, schrie ich so laut ich konnte. Als ich keinen Sauerstoff mehr in den Lungen hatte, drehte ich mich auf dem Absatz rum und rannte an Kara vorbei aus dem Haus. Ich wusste es war töricht und ich hörte Kara noch zwei Gassen weiter rufen, doch ich konnte nicht mehr in seiner Nähe bleiben. Ich weiß, wir sind hier nicht in Hollywood, wo man einen absolut filmreifen Abgang machen kann. Aber ich wollte da raus und ich rannte an der Hauptstraße auch schon nicht mehr, sondern ging gemächlich die Straße entlang. Diese Auseinandersetzung hatte mir gut getan und ich war froh, dass ich mich gegen Derek durchgesetzt hatte. Die Leute grüßten mich und ich blieb hier und da stehen um zu plaudern. Doch die Straße wurde immer leerer je dunkler es wurde und mir wurde bewusst, dass ich nach Hause musste. Also kehrte ich schweren Herzens um und lief genau in Estévez hinein. Mein Herz setzte aus um doppelt so schnell weiter zu schlagen. „Wen haben wir denn da?“ Der Don grinste mich an und aus irgendeinem Grund, jagte es mir einen eiskalten Schauer über den Rücken. Neben ihm standen zwei seiner spanischen Leibwächter und die Insassen um uns herum gingen entweder eilig weiter oder blieben in einiger Entfernung stehen. „Wie kommt es, dass du zu dieser Stunde alleine bist? Ärger mit deinem Ehemann?“ Ich wusste, dass dies eine rethorische Frage war, weil ihm mit Sicherheit ein Spitzel gesagt hatte, was sich vor Karas Haus zugetragen hatte. Deshalb antwortete ich nicht, sondern wich vor ihm zurück. „Na Na, Täubchen, ich werde dir nicht weh tun. Ich weiß wie man mit Frauen umgeht.“ Seine Schränke lachten und stießen sich gegenseitig in die Seiten. Der Don lächelte immer noch sein ekelhaftes Lächeln. „Da ich das nicht herausfinden möchte, erübrigt sich alles Weitere.“, gab ich so ruhig wie möglich zurück. Einer seiner Leibwächter riss die Augen auf, doch Estévez’ Miene zeigte keinerlei Reaktion. Er streckte die Hand aus und fuhr mir sachte über den Oberarm. Ich bekam eine Gänsehaut, aber keineswegs, weil es sich gut anfühlte. Ich ekelte mich. Ich zuckte zurück und wollte gerade in diesem Augenblick etwas sagen, als jemand hinter mich trat und mir seine Hand um die Taille legte. Der Don wich zurück und seine Miene verdüsterte sich. „Du wirst meine Frau nicht noch einmal anfassen, Alvaro.“ Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Ich war dankbar für die Rettung, aber Derek würde mich umbringen, sobald er die Möglichkeit dazu bekam. Sollte ich mich lieber sofort dem Don überlassen? „Aber, liebster Derek, ich erkundigte mich nur nach dem Wohlbefinden deiner Frau. Ihr hattet einen solch entsetzlichen Streit, wie ich hörte. Nicht, dass du sie aus Versehen verletzt. Sie ist doch so ein zartes Ding.“ Er warf mir einen lasziven Blick zu, was Derek wütend werden ließ, das konnte ich an der Anspannung seines Armes spüren. Äußerlich blieb er jedoch ruhig. „Meine Frau lebt jedoch noch, Alvaro, und ich werde sie jetzt mit nach Hause nehmen.“ Estévez hob abwehrend die Hände und Derek zog mich hinter sich her, die Straße hinunter. „Ich wünsch dir noch viel Freude mit ihr, Derek. Genieß es.“ Selbst für mich hörte sich das nach einer Drohung an und ich zog den Kopf ein, weil ich fast damit rechnete, dass man auf uns schießen würde. Doch Derek lief gemessenen Schrittes weiter, grüßte Freunde, sagte sonst jedoch nichts. Ich sah, dass sein Arm mittlerweile verbunden worden war. Als wir in Karas Hinterhof kamen, stand diese Händeringend vor ihrer Tür und fiel mir um den Hals, als ich vor ihr stand. „Oh Gott Liebes, was machst du nur? Als Pedro uns sagte, dass Estévez unterwegs ist, dachte ich du kommst nicht wieder.“ Pedro? Ich hatte ihn nirgends gesehen. Ich nahm die alte Frau in den Arm. „Es tut mir Leid, Kara. Ich habe nicht nachgedacht.“ „Das ist jetzt nicht mehr wichtig.“ Sie ließ mich los und zog Derek und mich in die Wohnung. „Setz dich. Heute habe ich das Kochen übernommen. Du entspannst dich einfach nur, okay?“ Sie warf Derek einen scharfen Blick zu und ich wusste, sie wollte nicht, dass er was gegen mich sagte. Und es schien zu wirken. Während des ganzen Abends sagte er kein einziges Wort mehr. Diesmal wollte ich das auch nicht. Ich hatte mich dumm benommen, das wusste ich. Aber er hatte etwas getan, was ich ihm nicht verzeihen würde. Er hatte mir wehgetan und meine Reaktion war zwar nicht die logischste, aber in diesem Augenblick das einzig richtige für mich gewesen. Gegen meine Gewohnheiten war jedoch auch ich sehr ruhig und ertappte mich oft dabei, dass meine Gedanken abdrifteten. Meistens dachte ich an zuhause, meine Mutter und die wenigen Freunde die ich in Köln hatte. Eigentlich war ich dort mehr Einsiedler, als das Mädchen, das ich hier verkörperte. Personifizierte Freiheit? Wahrscheinlich sah ich die Freiheit nie wieder. „Alicia?“, riss Kara mich aus den Gedanken. Sie sah bedeutungsvoll auf meinen rechten Arm, den ich noch immer umklammert hielt. Es war mehr Reflex, da ich das dumpfe Pochen genauso verdrängte wie meine Umgebung. „Ja?“, sagte ich leise. Kara strich mir über den Arm, sah mir aber in die Augen. „Ist alles okay?“ Ich nahm ihre Hand und versuchte beruhigend zu lächeln. „Mach dir nicht immer Sorgen um mich, Kara. Es ist alles in Ordnung.“ Ich wusste sie glaubte mir nicht, aber sie stellte keine Fragen mehr. Kurze Zeit später war es genau Kara, die die ach so fröhliche Runde beendete. Sie stand auf, sammelte die Teller ein und stellte sie ins steinerne Spülbecken. Als ich mich erheben wollte, um zu spülen, drückte sie mich auf den Stuhl zurück. „Bleib sitzen, wir machen das morgen.“ Sie gab mir einen Kuss auf den Scheitel und legte Derek beschwichtigend eine Hand auf die Schulter, dann verschwand sie. Na super! Wieso hatte sie mich mit diesem Grobian alleine gelassen? Dachte sie wirklich, dass Derek was sagen würde? Im Endeffekt interessierte es mich auch nicht. Ich mochte ihn genervt haben und dass ich bei Sebastiân arbeitete, mochte ihm nicht passen, aber nichts davon erklärte seinen Ausbruch. Ich warf Derek einen Blick aus dem Augenwinkel zu und bemerkte, dass er angestrengt vor sich auf den Tisch stierte. Das war doch lächerlich! Mit einem Ruck schob ich den Stuhl zurück, der dabei fast umkippte, und verließ die Küche. Ich konnte zwar mit Sicherheit nicht schlafen, aber ich wollte meine Ruhe haben. Ohne noch mal ins Bad zu gehen, lief ich in mein Zimmer und hinderte mich im letzten Moment daran, die Tür zu zuschlagen. Dann ließ ich mich frustriert auf die Matratze fallen, was sich als sehr schmerzhaft herausstellte. Die Sprungfedern bohrten sich unangenehm in meine Rippen. Einen Augenblick überlegte ich mir, eine Kerze anzuzünden, da ich bereits so gut wie nichts mehr sah, doch ich konnte mich nicht aufraffen. Als ich die Tür quietschen hörte, spannte sich alles in mir an. Verdammt noch mal, wieso gab es hier keine Schlüssel. „Du kannst sofort wieder verschwinden.“, zischte ich. Nach der Attacke war es mir egal, ob ich ihn noch Siezte oder nicht. Was machte es schon für einen Unterschied. Derek schien einen Augenblick zu zögern, kam dann jedoch näher. Ich richte mich auf meine Unterarme auf und funkelte in seine Richtung, auch wenn er es wahrscheinlich nicht sah. „Was daran hast du nicht verstanden? Raus!“ Er setzte sich auf den Boden, genau vor die Matratze und rührte sich nicht. Ich stöhnte frustriert und drehte mich so auf die Seite, dass er nur meinen Rücken zu sehen bekam. Das Schweigen zog sich. Er saß einfach da, sagte nichts und nur an seinem Atem erkannte ich, dass er nicht längst gegangen war. Immer wieder sagte ich mir, dass Schlaf die beste Lösung war, aber ich war noch immer angezogen und ich fühlte mich unwohl. Als ich es nicht aushielt stand ich seufzend auf und ging zu dem Korb mit Wäsche. Ich würde mich nicht nur in Unterwäsche dort hinlegen, ob er was sah oder nicht. Während ich in dem Wäschekorb geräuschvoll kramte, mir in Gedanken die wüstesten Beschimpfungen ausdachte, hörte ich nicht, dass Derek aufgestanden war. Erst als sich eine Hand auf meinen Rücken legte fuhr ich mit einem Schrei herum und wich zurück. Es war eine unbewusste Reaktion gewesen. Derek machte sofort einen Schritt zurück. Er trug noch immer seine Kappe, weshalb ich nicht sehen konnte, ob er mich ansah. Dafür war es schlichtweg zu dunkel. Ich raffte das Hemd, was ich aus dem Korb geholt hatte, vor der Brust zusammen und biss mir auf die Zunge. Es gab so viele Dinge, die ich jetzt gerne gesagt hätte, aber all das passte in diesem Augenblick nicht mehr. Mein Herz schlug viel zu schnell und die Wut war verflogen. Ich war auf einmal nur noch traurig. Was das ausgelöst hatte? Ich wusste es nicht. „Alicia, ich muss mich bei dir entschuldigen!“ Galle sammelte sich bei mir in der Kehle. „Das kannst du vergessen!“, stieß ich hervor. Meine Glieder waren wie gelähmt. Jetzt schwankte ich zwischen Wut und Tränen. Am Liebsten hätte ich ihn getreten, aber er würde wieder ausweichen. „Das kann ich auch nicht.“ Ich atmete zischend ein. „Weil es keine Entschuldigung dafür gibt, dass ich dir wehgetan habe.“ Er sagte es so vorsichtig, so zaghaft, dass es mir die Tränen in die Augen trieb. Was machte dieser Mistkerl nur mit mir. Ich wandte das Gesicht ab, um die Tränen wegzublinzeln. Er machte einen Schritt auf mich zu, was mich wieder zurückweichen ließ. Weit kam ich leider nicht, das Zimmer war einfach zu klein. Schemenhaft sah ich, dass er eine Hand nach mir ausstreckte. „Wenn du mich anfasst, schrei ich.“ Was ne doofe Bemerkung! Als wenn Kara dazwischen gehen würde. Sie kannte Derek, er würde mir nichts tun. Sie erwartete, dass wir uns versöhnen würden. Er ballte die Hand zu einer Faust, ließ sie aber nicht sinken. „Was soll ich tun?“ „Gehen!“, schoss es aus mir hervor. „Das kann ich nicht.“, flüsterte er. „Wieso nicht?“ „Weil es falsch wäre.“ Er sagte das mit solcher Überzeugung, dass ich es fast geglaubt hätte. Doch ich riss mich in letzter Sekunde zusammen und gewann meine Sicherheit zurück. „Wieso das auf einmal? Soweit ich weiß warst du es, der mir gesagt hat, ich darf weder reden noch in deine Nähe kommen.“ Ich konnte ja verdammt biestig werden. „Ich kann dir diese Reaktion nicht erklären.“ „Kannst oder willst du nicht?“ „Das ist nicht der richtige Augenblick.“ Ich lachte bitter. „Ach so! Ich frag lieber nicht, wann der sein soll!“ Ich schob mich an ihm vorbei, bedacht darauf ihn so wenig wie möglich zu berühren und wollte mich umziehen. Viel sah er ja sowieso nicht. Doch er hielt mich am Handgelenk fest. Sanft zwar, aber es stellten sich mir alle Nackenhaare auf. „Diesmal werde ich mich wehren, also lass lieber los.“, meine Worte versprühten Gift. Doch er hob meine Hand an und nahm sie zwischen seine. Irritiert beobachtete ich, wie er sie vorsichtig betrachtete und sachte mit den Fingern darüber strich. Mein Herz setzte mal wieder aus und ich schloss die Augen. Verdammt! „Du bist die Letzte, der ich jemals wehtun wollte. Irgendwie hat sich über die Tage ein Knoten gebildet, der genau heute geplatzt ist. Ich habe mich immer im Griff.“, er sagte das fast schon verwundert. „Deshalb kann ich es mir selber nicht verzeihen, was ich getan habe.“ „Das ist wohl kaum mein Problem.“, stieß ich hervor, doch meine Stimme hatte an Schärfe verloren. „Nein, dass ist es wirklich nicht.“ Er fuhr über mein Handgelenk und ertastete meinen fliegenden Puls. „Hast du Angst vor mir?“ Was sollte ich denn darauf sagen? „Was denkst du?“ „Ich denke, dass es mich nicht wundern würde. Ich glaube aber, dass du wütend bist.“ Ich biss die Zähne zusammen. Traurig traf es wohl eher und ich schlug die Augen nieder. Leider deutete Derek diese Geste genau richtig. In der nächsten Sekunde lag ich in seinen Armen und mein Kopf an seine Brust gedrückt. Ich fragte mich gerade, ob er mir damit helfen wollte oder sich selbst, als er mir einen Kuss auf den Scheitel drückte. Das machte mich sprachlos. „Ich wünschte, ich könnte dir alles erklären.“, flüsterte er und ich hatte das Gefühl, dass das gar nicht direkt für meine Ohren bestimmt war. Sein Herz schlug ruhig und regelmäßig und sofort hasste ich das meine. Blut rauschte in meinen Ohren. Meine Hände zitterten, weil ich den Wunsch verspürte die Umarmung zu erwidern. Wie tröstlich eine solche sein konnte und ich sehnte mich danach. Aber ich brachte es nicht über mich, die Arme zu heben. „Derek, bitte lass mich los.“, sagte ich mit erstickter Stimme. Widerstrebend lockerte er seinen Griff, ließ mich aber nicht vollends los. Jetzt konnte ich ihm ins Gesicht schauen und war froh, dass ich seine Augen nicht erkennen konnte. Ich hatte Angst vor dem, was ich sehen würde. Er strich mir sanft über die Wange und ich musste mich zusammenreißen. Ich verspürte Fluchttrieb und Genuss zugleich. „Die Freiheit!“, wisperte er. „Sie haben Recht.“ Er legte seine Stirn an die meine und mir wurde schwindlig. Hatte Derek Drogen genommen? Getrunken hatte er nicht, das war deutlich. Aber das was er tat, ergab einfach keinen Sinn. „Du lässt einen das ersehnen, was man nicht haben kann, wusstest du das?“ Ob die Frage auf eine Antwort hoffte? „Estévez hätte dich töten können, Alicia.“ Ich zuckte zusammen und mir wurde kalt, obwohl Dereks Körper und sein Atem mich wärmten. „Ist das von Bedeutung?“ Die Wunde war tief, die er mir zugefügt hatte. Tiefer als ich vermutet hatte. Er hob mein Gesicht an und ich konnte mir vorstellen, dass er die Stirn runzelte. „Natürlich. Ich habe dich geheiratet, damit dir nichts geschieht.“ „Du hast mich geheiratet, weil du Kara damit helfen und dem Don eine auswischen konntest.“ Ich machte mich von ihm los. „Im Endeffekt bin ich die ganze Zeit eine Last für dich und deshalb ist dir heute auch der Kragen geplatzt. Du erträgst es nicht mehr.“ Ich hatte es doch die ganze Zeit gewusst. Warum störte es mich jetzt, wo ich es aussprach? Gedankenverloren rieb ich mir über den rechten Arm. Ob ich Blutergüsse davontragen würde? „Ich werde nicht mehr zu Sebastiân gehen.“ „Wie bitte?“ „Ich werde hier bleiben und dir keine Probleme mehr bereiten. Du hattest Regeln bestimmt, die ich weiter einhalten werde und eine neue Regel kommt hinzu.“ Ich schluckte. Wieso war ich so deprimiert? „Ich werde alles vermeiden, was dir in Quere kommen könnte. Das bin ich dir schuldig, schließlich riskierst du dein Leben um mir zu helfen.“ Meine Stimme war fast mechanisch. Derek nahm mein Gesicht in seine Hände und sah mich an. „Was redest du da? Deine Arbeit mit Sebastiân ist dir wichtig.“ „Mir ist wichtiger, solche Szenen wie heute zu vermeiden.“ Ich fühlte mich vollkommen ausgebrannt. „Alicia, das wird nie wieder passieren, hörst du?“ Ich schüttelte ihn ab und ging zum Bett. Ohne auf ihn zu achten zog ich mich um und krabbelte unter die Decke. Jetzt war der Schlaf das Einzige, was ich noch wollte. Derek folgte mir und legte sich neben mich, sodass er mich immer noch ansehen konnte. Ich schloss die Augen und versuchte meinen Kopf abzuschalten. Für mich war alles gesagt. Gott sei Dank, sagte Derek nichts mehr, sodass ich bald in einen traumlosen, dumpfen Schlaf fallen konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)