Der Mann, den keiner sah. von abgemeldet (Supernatural) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Sam, was ist mit deiner Hand?“ „Hm?“ Er hatte gerade so schön gedöst. Nach der letzten Nacht hätte ihn Dean jetzt ruhig mal schlafen lassen können. Schließlich war dieses Viech, was auch immer es darstellen sollte, nen ziemlicher Brocken gewesen. Wie in der griechischen Mythologie hatten sie es schlußendlich unter einem Erdrutsch vergraben. Aber vorher hatte es Sam angespuckt, mit einem widerlichen, knallroten Schleim, der ziemlich auf der Haut gejuckt hatte. Beim Duschen hatte es auch noch stark geschäumt, so dass Sam sich nie sicher gewesen war, ob er es jetzt endlich runtergewaschen hatte und nur das Duschgel noch schäumte. „Wahrscheinlich nen Ausschlag. Ich hab doch diesen Schleim abgekriegt.“ murmelte er schlaftrunken in sein Kopfkissen. „Sam, wenn's nur ein Ausschlag wäre, könnte ich deine Hand noch sehen.“ drang Deans besorgte Stimme an sein Ohr. „Hm? Was?“ Er war immer noch nicht ganz wach und merkte nur, dass irgendetwas an Deans Aussage ihn aufspringen lassen sollte. „Sam! Wach auf! Ich kann deine Hand nicht sehen! Sie ist verschwunden!“ So ein Blödsinn. Bestimmt lag da nur das Kissen dumm drüber, oder sein Hemdsärmel oder sowas. Moment. Seine Hand war weg? Sam schrak auf. „Was ist los?“ schrie er: „Dean, meine Hand ist weg!“ Sam wedelte mit...mit seinem Armstumpf! vor seinem Gesicht rum. Aber es war nicht, als sei die Hand abgehackt. Er konnte die Knochen sehen und die Adern, die Muskeln, wie sein Blut ihm entgegenpulste und dann einfach verschwand, anstatt ihm ins Gesicht zu spritzen. Angeekelt und fasziniert konnte er den Blick nicht davon abwenden. „Dean! Meine Hand ist weg!!“ Sam kriegte sich nicht mehr ein. Dean stand am anderen Ende des Raums und sah ihn angewidert an. Um seine Nasenspitze herum war er sehr bleich. „Ich weiß, Sammy. Und tu bitte was drüber, das ist das Schlimmste, was ich jemals gesehen habe.“ Als er aufgewacht war und zu Sammy rübergeblickt hatte, war ihm sofort aufgefallen, dass etwas nicht stimmte. Er hatte einen kleinen Moment gebraucht, um zu begreifen, dass eine von Sams Riesenhänden urplötzlich verschwunden war. Zuerst hatte er gedacht, dass jemand ihm seine Hand abgehackt hätte, worauf ihm sofort übel geworden war und er sich hatte übergeben müssen. Die Vorstellung, dass jemand seinem kleinen Bruder so wehgetan hatte, während er seelenruhig daneben geschlummert hatte, war einfach zuviel für ihn gewesen. Dann hatte er Angst gehabt, dass Sammy tot sein könnte, schließlich musste so eine Verletzung immens schmerzen, Sam hätte also zumindest schreien müssen, aber er lag ruhig auf seinem Bett und bewegte sich nicht. Als Dean sich endlich getraut hatte, näher an seinen Bruder heranzutreten, konnte er mit Erleichterung feststellen, dass dieser noch atmete. Aber seine Hand. „Sam, was ist mit deiner Hand?“ hatte er ihn geweckt. Und jetzt standen sie hier. „Bitte, ich kann für nichts garantieren, wenn ich das noch länger sehen muss.“ Dean drehte sich zum Fenster. Er schob den Vorhang beiseite, in der Hoffnung, irgendetwas Schönes zu erblicken. „Sammy, tut es weh?“ zitterte seine Stimme. Sam schaffte es endlich, von seinem Inneren den Blick abzuwenden. Er sah, dass nicht nur Deans Stimme zitterte. „Nein! Nein, überhaupt nicht.“ beeilte er sich, seinen Bruder zu beruhigen. Deans Schultern entspannten sich merklich. Er ließ den Vorhang los und senkte den Kopf. „Ehrlich gesagt, glaube ich, meine Hand noch zu spüren.“ Dean drehte sich um. „Was?“ fragte er erstaunt. Sammy drehte seinen Arm. Dann griff er vorsichtig mit seiner Linken dahin, wo seine Rechte sein müsste. Er zögerte. Er hatte Angst davor, dass seine Hand doch nicht noch da sein könnte. Dean biß sich auf die Unterlippe. „Sam, entweder du vergewisserst dich jetzt oder ich mach das!“ Obwohl er das so überhaupt nicht wollte. Er konnte den Anblick der Adern und des Blutes nicht noch einmal ertragen. Es war das absolut gruseligste, das er jemals gesehen hatte. Sam griff zu. Und lachte erleichtert laut auf. Dean atmete aus. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er den Atem angehalten hatte. „Dean, sie ist noch da. Sie ist nur unsichtbar!“ Sam sah ihn mit seinem strahlendsten Kleiner-Junge-Grinsen an. „NUR unsichtbar?! Sam! Meinst du nicht, dass das irgendwie ein Problem sein könnte?“ Er fasste sich an den Kopf. Manchmal könnte er seinen kleinen Bruder wirklich in die Tonne kloppen. „Ja, schon. Aber sie ist noch da. Also müssen wir nur noch herausfinden, wie das passiert ist, und es rückgängig machen.“ Sam strahlte ihn immer noch so an. Diesmal mit sehr viel Zuversicht. Natürlich, er war froh, dass seine Hand noch da war. Die Hand zu verlieren war schon schlimmer, als sie einfach nur nicht sehen zu können. Also gut, dann würden sie jetzt halt herausfinden, warum sie Sammys Hand nicht sehen konnten, und gut war's. Das sollten sie hinkriegen, sie hatten schon Schwereres geschafft. „Ich ruf Bobby an. Vielleicht ist es irgendeine Art von Magie.“ Sammy nickte und blickte sich schon wieder in den Arm. Urgs. Dean wandte sich schnell ab und suchte sein Handy. Bobby würde bestimmt helfen können. „Faszinierend. Wie das aussieht. Diese Farben“ Oh, bitte, bitte nicht weiterreden. Dean drehte sich schon wieder der Magen um. „Dean! Ich glaube, das Blut, das zurückfließt, ist etwas heller als das, das reinfließt.“ Dean schüttelte den Kopf. „Ist das nicht normal? Von wegen Sauerstoff und kein Sauerstoff im Blut?“ Sein kleiner Bruder war doch sonst immer so schlau. „Nein, normalerweise ist das sauerstoffreiche Blut heller als das sauerstoffarme. Aber mein zurückfließendes Blut ist extrem hell.“ verbesserte Sam ihn. Gut, ja. Er blieb dann wohl auch der Schlauere. Dean seufzte. „Dann wird es wohl daran liegen, dass sich das unsichtbare Blut aus deiner Hand mit dem sichtbaren vermischt.“ Sam nickte. „Aber Dean, das Blut, das reinfließt, ist doch auch sichtbar. Müsste ich es nicht eigentlich sehen, wie es durch die unsichtbare Hand fließt?“ Sam drehte schon wieder den Armstumpf so, dass sein Bruder hineinblicken konnte. Dean schluckte einmal schwer. „Wahrscheinlich,“ spekulierte er: „Wird das Blut, wenn es in die Hand fließt, auch unsichtbar.“ Das klang doch ziemlich plausibel. Also war er auch schlau. Sam nickte wieder. „Dean,“ fragte er dann besorgt: „wenn das Blut, sobald es mit dem unsichtbaren Gewebe in Berührung kommt, auch unsichtbar wird, heißt das dann nicht, dass alles, was mit dem unsichtbaren Blut in Berührung kommt..“ Seine Stimme wurde immer leiser, während sich Deans Augen immer mehr weiteten. „Ich ruf ganz schnell Bobby an. Versuch du, etwas im Netz zu finden.“ Dean tippte wild auf seinem Handy rum, während Sam aufsprang und seinen Laptop griff. Mit der unsichtbaren Hand. Wäre die Situation nicht so schlimm, hätte Dean jetzt gelacht. Es sah schon komisch aus, wie der Laptop neben Sams Oberschenkel schwebte. Es klingelte. Hinter ihm klapperten schon Sams sichtbare und unsichtbare Finger auf der Tastatur. „Bobby? Verdammt, Bobby geh ans Telefon.“ Wieder nur der Anrufbeantworter. Das passierte in letzter Zeit öfter. „Bobby, hör zu. Krieg keinen Schreck, aber Sams Hand ist weg. Wir sind, also ich bin heute morgen aufgewacht, und Sam lag einfach so da und seine Rechte fehlte. Kannst du mal nachsehen, ob's da irgendeinen Zauberspruch oder Fluch oder was auch immer gibt? Meld dich bald, bitte! Eventuell löst sich Sammy nämlich immer mehr auf..“ Sams Geklappere hörte auf. „Dean, vielleicht war's auch der Schleim. Ich mein, ich hab das Zeug auf die Hand gekriegt. Das war das einzige Stück Haut, das mit dem Schleim direkt in Berührung kam. Der Rest hat ihn erst beim Duschen abbekommen.“ Dean starrte Sam an. Sam starrte Dean an. „Ich bin im Bad.“ sprang Sammy auf und stürmte geradezu nach nebenan. Dabei hatte Dean gerade selbst ins Bad rennen wollen. Vielleicht ging die Überkeit weg, wenn er frische Luft schnappte. Er verließ das Motelzimmer, ließ die Tür hinter sich aber offen stehen. Im Bad blieb es erstaunlich ruhig. Dann hörte er, wie sich Sam das T-Shirt über den Kopf zog. „Shit!“ Das wollte er gar nicht wissen, nein, nein. Wenn er jetzt auch noch Sams Innereien sehen müsste..wie das Herz schlug..und der Magen verdaute..und was so alles im Darm..nein. Ihm wurde schon wieder kotzübel und er kämpfte mit dem Würgreiz. Sam tapste nur in Jeans aus dem Bad. Dean drehte sich schnell um. „Dean, so schlimm ist es nicht. Die Haut ist nur ein klein wenig durchscheinender. Man sieht die Adern deutlicher.“ beruhigte ihn sein kleiner Bruder. „So, als hätte ich seit Jahren keine Sonne mehr zu Gesicht bekommen.“ Deann drehte sich zögernd wieder um. Sam sah aus, als würde er im Dunkeln leuchten.Die Adern zeichneten sich ganz deutlich ab, und Dean konnte sogar aus der Entfernung sehen, wie das Blut in ihnen floß. Seltsamerweise fand er den Anblick wunderschön. Es hatte irgendwie etwas Edles. „Ich hatte schon Angst, ich könnt mir jetzt selbst beim Verdauen zugucken.“ grinste Sam ihn an. „Und ich war froh, dass du dir gestern abend nicht noch die Haare gewaschen hast. Was meinst du, wie die jetzt aussehen würden.“ flappste Dean zurück. Also war es doch nicht so schlimm mit der Unsichtbarkeit. Aber er hätte es dennoch lieber, wenn Sam sich das Shirt wieder anziehen würde. „Du leuchtest fast.“ merkte Dean in einem bewundernden Ton an. Sam runzelte die Stirn. „Tja, ich bin halt ziemlich helle.“ Aber er schien sich Sorgen zu machen. Dean betrat wieder das Motelzimmer und schloß die Tür. Sofort hörte Sams Haut auf, bleich zu schimmern. „Ich glaube, das Licht ist nicht so gut für mich. Ich meine, mal gehört zu haben, dass die Blutplättchen zerfallen, wenn sie mit UV-Licht bestrahlt werden. Aber sicher bin ich mir nicht..“ Das, also, hatte ihm Sorgen gemacht. „Dann bleib besser drinnen. Und zieh dir was über, als Schutzschicht.“ Vor allem als Schutzschicht für Dean. Bevor er noch mehr zu sehen bekam als jetzt. Sam ging wieder ins Badezimmer und holte sein Shirt. Dann wühlte er in seiner Tasche und schaffte es tatsächlich seinen herkömmlichen Zwiebellook noch um 3 Schichten zu erweitern. Wo hatte er den Rollkragenpulli her? Dean setzte sich an den kleinen Tisch und zog den Laptop zu sich rüber. „Es wäre leichter,“ nuschelte Sam durch den zweiten Pulli, den er sich überzog: „wenn wir wüsste, wie das Viech heißt. So kann man nichts weiter machen, als nach einer Beschreibung zu suchen. Und das funktioniert so gut wie nie. Nicht mal die Bildersuche kann einem helfen.“ Dean seufzte. Sam blickte wieder auf seinen Armstumpf. „Dean, weißt du noch, wann genau mich der Schleim getroffen hat?“ Dean blickte mit gefurchter Stirn auf. „Nicht so direkt, warum?“ Sam atmete einmal tief ein und zog dann den zweiten Stuhl an den Tisch. Er klopfte mit den Fingern auf den Tisch. Gerade als Dean ihm sagen wollte, dass er das doch bitte sein lassen solle, bemerkte er, dass Sam mit den unsichtbaren Fingern klopfte. Es schüttelte Dean. Hoffentlich würden sie bald eine Lösung finden. Er wollte nicht Zeuge werden, wie Sam verdaute. Den Herzschlag würde er ja noch aushalten, aber die ganzen Breie und so..nein, das wollte er nicht sehen. Zum Glück aß Sam nicht so viel. Sam kratzte sich am Kopf. Dean beschloß, einfach nicht mehr hinzusehen. Sam war Rechtshänder. Er würde die Hand mit Sicherheit noch für einige andere Sachen benutzen. Und Dean war sich sicher, dass er sich an den..Nichtanblick nicht gewöhnen würde. „Nun ja. Nehmen wir an, ich hab den Schleim so gegen 2 abgekriegt. Jetzt ist es halb 1. Also hat es so ungefähr etwas über 10 Stunden gedauert, bis die Hand komplett unsichtbar war. In weiteren 10 Stunden ist dann wohl der Unterarm größtenteils weg. Es sei denn, die Blutverteilung sorgt dafür, dass ich nach und nach durchscheinender werde. Dass die Haut so aussieht, wie sie aussieht, hat ungefähr 8 Stunden gedauert. Also dürfte ich in weiteren 8 Stunden keine sichtbare Haut mehr haben. Aber wenn das Tempo so bleibt, dürfte wir an die 250 Stunden haben, bis ich..verschwunden bin. Das sind ungefähr 11 Tage. Fast 2 Wochen. Jede Menge Zeit.“ „Oder aber,“ vermutete Dean: „Es passiert parallel. Die Stellen, die direkt am befallenen Gewebe liegen, werden Stück für Stück unsichtbar und dein Körper wird durch das Blut immer durchscheinender. Dann dürfte es noch viel kürzer dauern.“ Sam schluckte schwer. „Dean, ich will nicht verschwinden.“ „Sam, sieh es doch mal so: Du kannst in jedes Studentinnenwohnheim der Welt einziehen, ohne dass es einer merkt. Alle Männer der Welt werden dich darum beneiden.“ versuchte Dean, Sam aufzumuntern. Es hatte nur keine Wirkung auf seinen kleinen Bruder. „Sam, wir finden eine Lösung. Wir haben bis jetzt immer eine gefunden. Ich lass nicht zu, dass du verschwindest, das verspreche ich dir.“ Ohne darüber nachzudenken legte er seine Hand auf Sams unsichtbare. Wenn er nicht hinsah, fühlte es sich immer noch an wie Sammys Hand. „Sammy, glaubst du mir das? Wir schaffen das!“ Sam starrte abwesend auf den Boden. Offensichtlich glaubte er ihm nicht. Dean seufzte. „Ich rufe Bobby noch mal an. Vielleicht ist er ja jetzt im Haus. Oder endlich aufgestanden.“ Sam nickte. „Willst du im Netz weitersuchen?“ Als Antwort zog Sam seinen Laptop wieder zu sich und legte seine Finger auf die Tastatur. Dann fiel sein Blick auf die Finger seiner rechten Hand, beziehungsweise dorthin, wo diese Finger sein sollten. Er nahm den rechten Arm wieder runter, steckte die Hand in seine Hosentasche und tippte schließlich nur mit der Linken. Dean spürte körperlich, wie schmerzhaft Sams Angst davor war, zu verschwinden. Er stand auf und verließ mit dem Handy in der Hand das Motelzimmer. Sammy musste nicht unbedingt mitkriegen, dass er sich wahrscheinlich noch viel größere Sorgen machte. Draußen wehte inzwischen ein starker Wind und es war etwas kühl geworden. Jetzt wünschte er sich, er hätte Sams Schichten auf der Haut. Vorhin hatte doch noch die Sonne geschienen. Gerade als er Bobby anrufen wollte, klingelte sein Handy. „Dean, was ist los? Sams Hand ist weg? Was soll das heißen?“ Bobby klang noch viel besorgter als Dean es war. Natürlich, einem seiner „Pflegesöhne“ war etwas Schlimmes zugestoßen. Wie sollte er da ruhig bleiben? „Sie ist unsichtbar. Man kann sie noch spüren, aber nicht mehr sehen. Und inzwischen hat es sich auch schon ein bißchen mehr ausgebreitet. Wir haben bis jetzt herausbekommen, dass es kein Fluch oder sowas ist, sondern dass es mit dem Schleim zusammenhängt, den er letzte Nacht abbekommen hat.“ versuchte Dean zu erklären. „Welcher Schleim?“ erkundigte Bobby sich mit etwas mehr Professionalität in der Stimme. „Nun ja, da war dieses Monster. Ein widerliches Biest, keine Ahnung, was es war. Und es hat Sammy angespuckt, mit einem knallroten Schleim. Der jetzt dafür sorgt, dass Sammy ziemlich durchschaubar wird.“ Am anderen Ende der Leitung war es sehr still geworden. Offensichtlich überlegte Bobby schon, was für ein Monster das gewesen sein könnte. „Wie seid ihr mit dem Viech fertig geworden?“ Dean führte noch einmal genau aus, wie sie das Monster in eine Falle hatten locken und unter einem Erdrutsch begraben können. „Das heißt, man könnte es sich noch mal angucken, vielleicht Gewebe- oder Schleimproben nehmen?“ Dean rümpfte die Nase. So gerne wollte er das hässliche Biest eigentlich nicht wiedersehen. „Theoretisch schon. Bobby, bist du etwa unter die Chemiker gegangen?“ „Nein, nein,“ versicherte ihm Bobby: „Aber ich kenne da jemanden..“ Natürlich. Bobby kannte da immer „jemanden“. „Wo seid ihr, ich werd dann zu euch kommen, um Proben nehmen zu können. Und ich muss mir Sam ansehen.“ Dean gab ihm eine genaue Beschreibung ihres Aufenthaltsortes und auch der Stelle, an der sie den Erdrutsch verursacht hatten. „Und Bobby, wir haben weniger als 2 Wochen bis Sammy außer Sicht ist.“ Wenigstens erlaubte die Situation den einen oder anderen schlechten Wortwitz. Dean klappte sein Handy zu. Hoffentlich würde Sam etwas fröhlicher werden, wenn er ihm sagte, dass Bobby kam. Er schlang die Arme um sich und starrte gedankenverloren in die Wolken. Sams Anblick war immer etwas gewesen, dass ihm Sicherheit gegeben hatte. Würde sich das ändern, wenn Sammy nicht mehr zu sehen sein würde? In einem weiteren kühlen Windstoß überzog eine Gänsehaut seinen Rücken. Er beschloß, wieder hineinzugehen und zu schauen, ob Sammy mit seiner Internetrecherche weitergekommen war. Vielleicht sollte er ihn auch dazu überreden, jetzt etwas zu essen, bevor man zuviel davon zu sehen bekam. Auch wenn das etwas taktlos war. Im Inneren des Motelzimmers war es jetzt etwas dämmerig geworden. Dean atmete erleichtert auf, als er Sams Silhouette am Tisch sitzen sah. Insgeheim hatte er befürchtet, die Unsichtbarkeit hätte sich schon schneller verbreitet. „Bobby kommt her. Er kennt da jemanden, der Proben nehmen will, von dem Monster und dem Schleim.“ Dean ließ sich auf sein Bett fallen. Wenn Bobby kam, würde alles wieder gut. Bobby konnte jedes Problem lösen. „Auch von mir?“ fragte Sam zaghaft. Dean zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Vielleicht. Wenn's hilft.“ Dean drehte sich auf die Seite und knuddelte sein Kopfkissen. Die Sache mit Sam hatte ihm doch ziemlich zu schaffen gemacht, er war etwas müde geworden. „Dann hoffe ich, es müssen keine Blutproben sein.“ hörte er Sam sagen. „Hm? Wieso?“ murmelte Dean. „Weil...wenn ich in meinen Arm blicke .. sehe ich kein Blut mehr.“ Dean sprang auf und rannte zu Sam: „WAS?!“ Sam hielt ihm seinen Armstumpf hin. Er konnte noch den Knochen und die Muskeln sehen, aber die Adern und das Blut waren verschwunden. „Dean, ich glaube, es geht doch etwas schneller als wir uns das gedacht haben. Das Blut verbreitet es einfach viel zu schnell.“ Sams niedergeschlagene Stimme brach ihm das Herz. „Ich glaube, heute abend kann man mich schon nicht mehr sehen.“ Dean war kurz davor, loszuheulen. Sams Anblick, seine gebrochene Haltung, die geknickte Art und Weise, wie er sprach. Es war einfach zu viel. Er konnte es nicht ertragen, zu sehen, wie Sam litt. „Sam, das geht nicht. Bobby braucht mindestens einen Tag bis er hier ist. Wir müssen doch irgendetwas tun können. Ich kann dich nicht einfach verschwinden lassen. Du bist doch mein ganzes Le..meine ganze Familie. Ich brauche dich. Was soll ich denn jetzt..? Was mach ich nur..?Vielleicht ist irgendwas bei dem Monster, das uns helfen kann. Oder wir fahren ins Krankenhaus, vielleicht können die uns helfen.“ Unruhig lief Dean auf und ab. Er durchwühlte seine Haare, er wedelte mit den Armen herum. Er wusste einfach nicht, wohin mit sich selbst, er wusste nicht, was er machen sollte. Sein Sammy verschwand! Sam blickte ihn aus weidwunden Augen an. Wenn sein Blut noch Farbe hätte, wären seine Augen gerötet. Seine Lippen waren blaß geworden. Seine weiße Haut war noch heller geworden, jetzt da man die Adern nicht mehr sah. Die Durchscheinbarkeit hatte nun auch sein Gesicht erreicht. „Dean, wenn die im Krankenhaus mich in die Finger bekommen, werde ich schneller zum Versuchskaninchen als du einem kurzen Rock hinterherlaufen kannst.“ Dean blieb stehen. Sam hatte Recht. Sie würden ihm Sam wegnehmen. Seine Augen füllten sich mit Tränen. „Sam.“ Mehr konnte er nicht sagen. Sein Kopf war leer. Sam stand auf und ging auf ihn zu. Er blieb einen halben Meter vor ihm stehen und blickte ihm tief in die Augen. Mit der gleichen Verzweiflung, mit der Dean ihm in die Augen schaute. Sam schniefte einmal laut. Dean schluckte schwer. „Dean.“ Dean konnte sich nicht mehr zurückhalten. Mit beiden Armen riß er seinen Sammy an sich und umarmte ihn so fest, dass er Sam die Luft aus den Lungen drückte. Nach einem kurzen Augenblick klammerte sich auch Sam an Dean. Niemals zuvor hatte er solch eine große Angst verspürt. Was, wenn Sam nicht einfach nur unsichtbar wurde, sondern ganz verschwand? Was wenn Dean ihn irgendwann vergessen würde? Oder aus Versehen erschießen? Die beiden Brüder standen lange mitten im Hotelzimmer und hielten sich einfach nur umschlungen. Beide ignorierten, dass der andere hin und wieder von Schluchzern geschüttelt wurde. Beide weigerten sich, den anderen loszulassen. Dean konnte sich sein Leben ohne Sam nicht vorstellen. Sein kleiner Bruder, um den er sich schon seit..seit immer gekümmert hatte. Und jetzt konnte er ihm nicht helfen. Noch nie hatte er sich so hilflos gefühlt. Sam hatte die Hoffnung schon verloren, dass spürte er. Er war sich nicht sicher, ob er sie noch nicht verloren hatte. Er zog Sam noch dichter an sich. „Ich rette dich! Sam, hörst du, ich rette dich! Ich lasse nicht zu, dass das mit dir passiert.“ Sam legte den Kopf auf seine Schulter, das Gesicht abgewandt. „Dean. Ich glaube nicht, dass man mich noch retten kann. Ich weiß, du wirst alles versuchen, aber wenn es nicht .. funktionieren .. sollte .. musst du wissen, dass .. es nicht .. deine Schuld ..“ Sam schluchzte die letzte Worte nur noch. Dean strich ihm über die Haare. „Sam, ich schaffe das! Du darfst nicht einmal daran denken, dass ich das nicht schaffe. Du musst an mich glauben, hörst du. Verlier nicht die Hoffnung. Es gibt immer einen Weg.“ Sam zog lautstark die Nase hoch. Dean rieb sich die Tränen aus den Augen. Er musste es einfach schaffen. „Hör zu, ich werd jetzt noch mal das Monster suchen. Vielleicht bringt das ja was. Und du such bitte weiter, ob du nicht noch irgendetwas findest, bitte. Du musst durchhalten. Solange du noch zu sehen bist, ist noch Hoffnung. Versprich mir, dass du das machen wirst, Sam. Versprich es mir!“ Dean löste sich von Sam und hielt ihn eine Armlänge von sich entfernt. Sams Gesicht löste sich in Tränen und Schnodder auf. Im wahrsten Sinne. Dean konnte die Muskelstrukturen unter der Haut erkennen. Er schluckte noch einmal schwer, diesmal, um den Würgreiz wieder einmal in den Griff zu bekommen. „Dean. Es ist schlimmer geworden, oder? Ich sehe es an der Art wie du mich anschaust.“ Dean atmete tief ein. „Sagen wir es mal so: Meide besser dein Spiegelbild.“ Sams Gesichtsmuskulatur formte eine Schreckensfratze. Sowohl von Sams, als auch von Deans Seite aus. Er musste unbedingt einen Weg finden, seinen Bruder zu heilen. Koste es, was es wolle. Dean ließ die Hände sinken, griff sich seine Jacke und verließ eiligst das Zimmer. Vielleicht ein bißchen zu schnell. Sam blickte ihm lange nach und spürte, wie ihm die Gänsehaut den Rücken herunterlief. Die Panik, die seit Deans Gespräch mit Bobby langsam in ihm aufgestiegen war, setzte zum Endspurt an. Übelkeit stieg in ihm auf, also beschloß er, sich erst einmal für einen Moment hinzulegen. Vor allem, weil ihm die Knie weich wurden. Dean stieg in den Impala und brauste mit röhrendem Motor davon. Zu der Erdrutschstelle brauchte er 2 Stunden. In der Zeit konnte man Sam wahrscheinlich bis auf die Knochen sehen. Und wenn er dann noch ungefähr eine Stunde bräuchte, um das Monster zu finden, und weitere 2 Stunden, um wieder zum Motel zu kommen... Dean wollte sich gar nicht erst ausmalen, was er dann von Sam zu sehen bekam. Oder auch nicht mehr zu sehen bekam. Wieder stiegen die Tränen in ihm auf. Und Wut. Er trat das Gaspedal durch. Er wollte nicht daran denken, er konnte nicht daran denken. Nichts, nichts würde ihn jemals von seinem Sammy trennen. Wenn nur sein Vater noch da wäre, er hätte bestimmt eine Lösung gefunden. John war immer in der Lage gewesen, mit solchen Sachen fertig zu werden, ohne sich von seinen Emotionen behindern zu lassen. Ihm fehlte sein Vater. Er durfte nicht auch noch Sammy verlieren. Dean bremste scharf, als er merkte, dass er schon an der Stelle des Erdrutsches angekommen war. Seine Gedanken hatten die Zeit wie im Flug vergehen lassen. Seine Ängste hatten die Zeit wie im Flug vergehen lassen. Er ließ den Wagen stehen, wo er gehalten hatte, und rannte die Anhöhe hinauf. Die Erdmassen lagen noch so, wie sie sie in der Nacht verlassen hatte. Nur an einer Stelle klaffte ein Loch. Ein Loch, groß genug, dass das Monster hatte hineinpassen können. Und er war sich so sicher gewesen, dass diese Tücke das Biest hatte aufhalten können. Keinerlei Spuren waren erkenntlich. Keine Blutspuren, keine Schleimspuren. Als hätte sich das Viech in Luft aufgelöst. Oder wäre unsichbar geworden. Dean fiel auf die Knie. Also war mit dem Monster das Gleiche passiert wie mit Sam. Dean griff sich einen Stock und stocherte an der Stelle, an der er das Monster vermutete. Die Spitze des Stocks verschwand sofort, und die Unsichtbarkeit verbreitete sich rasend schnell. Panisch warf Dean den Stock von sich und klopfte seine Kleidung ab, als könnte er damit eventuelle „Unsichtbarkeitspartikel“ von sich fernhalten. Er konnte Sammy nicht helfen. Er konnte das Monster nicht anfassen, und es würde auch nicht möglich sein, Proben zu entnehmen, weil alles, was mit dem Biest in Berührung kam, sofort verschwand. Plötzlich sank die Erde über dem unsichtbaren Monster ab. Langsam, als würde man den großen Kadaver aus dem Loch ziehen. Erde rutschte von oben nach. Deans Gesicht verzog sich vor Angst. Schnell griff er nach einem weiteren Stock und stocherte an der Stelle herum, an der sich das Monster befinden musste. Der Stock blieb sichtbar. Das Monster war verschwunden. Starr vor Schreck stand Dean da, den Stock in der Hand, als sich das Begreifen langsam einen Weg in sein Herz bahnte. Sammy würde auch verschwinden. Und er würde nicht bei ihm sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)