Via Inquisitoris von Hotepneith ================================================================================ Kapitel 1: Edinburgh: die erste Nacht, Teil 1 --------------------------------------------- Die Ermittlungen beginnen mit einer Überraschung 1. Edinburgh: die erste Nacht, Teil 1 Als es an der Tür von Douglas Manor am Stadtrand von Edinburgh klingelte, hoben die Personen, die im Arbeitszimmer des Hausherrn saßen ebenso die Köpfe, wie diejenigen in der Bibliothek. Die Sonne war soeben untergegangen und sie erwarteten unangenehmen Besuch. Frances, ein „Kind“ des Hausherrn, erhob sich sofort und ging zur Tür. Sie hatten bereits die Erfahrung gemacht, dass eine junge Frau auf Menschen, die sich bis zu Douglas Manor verirrten, harmlos wirkte, sich auch niemand wunderte, warum sie ihn nicht hereinbat. Sie schien gerade über Zwanzig zu sein. Sie öffnete dennoch etwas angespannt. Kam der Inquisitor? Zu ihrer Überraschung stand eine junge Frau ihres Alters vor der Tür, deren blonde lange Haare und blaue Augen sie fast engelhaft aussehen ließen. Die Kleidung war die einer menschlichen Frau der heutigen Zeit. Aber die schottische Vampirin erkannte, dass sie einer Artgenossin gegenüberstand. „Ja, bitte?“ entfuhr es ihr etwas unhöflich, aber zu mehr war sie nicht fähig. „Mein Name ist Lady Sarah Buxton. Ich möchte zu Sir Angus Douglas.“ Frances starrte auf die Hand der Besucherin, wo sich eine silberne Plakette befand. Das Zeichen darauf kannte sie eigentlich, zwei Hände, die sich wie schützend über etwas wölbten, umrahmt von belaubten Zweigen: das Zeichen des Hohen Rates. Doch diesmal waren die Hände zur Faust geballt. Es bedufte keines großen Nachdenkens, um zu wissen, dass diese Vampirin im Auftrag des Inquisitors gekommen war. „Natürlich“, sagte sie darum hastig: „Mein Name ist Frances. Frances Douglas. Ich bin das „Kind“ von Sir Angus. Bitte, folgen Sie mir, Lady Buxton.“ „Lady Sarah, bitte“, korrigierte diese automatisch. Sie hatte ihren Titel ererbt, nicht erheiratet, so stand er bei ihrem Vornamen. „Verzeihung.“ Frances schloss die Tür hinter der Besucherin, ging aber an ihr vorbei, als sie wartete, wie es die alte Höflichkeit gebot: „Darf ich bitten?“ Was war wohl geschehen, dass nicht der Inquisitor selbst kam, sondern der Hohe Rat jemand anders schickte? Fanden die mächtigsten Vampire das Geschehen in Edinburgh nicht wichtig? Sarah betrachtete interessiert das alte Anwesen. Fast wie zuhause, dachte sie unwillkürlich. Als sie an der Bibliothek vorbeikam, erkannte sie durch den Türspalt neugierige Blicke der über zehn zumeist blonden Anwesenden dort. Sir Angus hatte wohl dafür gesorgt, dass sich alle schottischen Vampire im Augenblick hier aufhielten. Das würde ihren schweren Auftrag doch erleichtern. Wenigstens etwas. Im Arbeitszimmer erhoben sich alle Fünf, als Frances „Lady Sarah Buxton“ ankündigte, überrascht und besorgt zu gleich. Sie hatten mit dem Inquisitor gerechnet. War das jetzt eine andere Nachricht vom Hohen Rat? Eine Ablehnung? Sarah verneigte sich höflich. Sie wusste, dass sie bei weitem von den hier Anwesenden die jüngste Vampirin war, von der Zeit der Verwandlung gerechnet. Und unter Vampiren galt das Alter viel, zeigte es doch die magische Macht und die Fähigkeiten an. „Lady Sarah“, meinte Sir Angus: „Willkommen in Douglas Manor. Mein Name ist Sir Angus Douglas. Ich nehme an, dass Sie im Auftrag des Hohen Rates gekommen sind?“ „In der Tat.“ Sarah wusste, dass dies eine verdeckte Aufforderung war, sich zu legitimieren und wies erneut die Plakette vor. Sie bemühte sich, kühl und selbstsicher zu wirken. „Sie sehen uns ein wenig überrascht, Lady Sarah. Wir…nun, ich bin dem Kadash vor langen Jahren einmal begegnet. Ich hätte nicht erwartet, dass er …dass er eine Schülerin hat.“ Hoffentlich war das keine Beleidigung. „Oh, das bin ich auch nicht.“ Sarah lächelte ein wenig. Wie stets unter Vampiren offener, als wenn Menschen zugegen waren. Immerhin trug hier jeder Fangzähne. „Ich habe nur einen Auftrag.“ Sie erkannte durchaus, dass ihre Gegenüber ebenfalls in Anbetracht der neuen Situation etwas angespannt waren. „Gut. Wie können wir Ihnen helfen?“ Sie warf einen raschen Blick in die Runde: „Soweit ich weiß, beunruhigt eine seltsame Mordserie Sie alle. Ich...mein Auftrag lautet, möglichst viele Informationen darüber zu beschaffen. Es wäre sehr freundlich, wenn ich mit jedem von Ihnen einzeln sprechen könnte. Womöglich fiel einem etwas auf, was einem anderen entging.“ „Engländerin!“ murmelte Henry Stuart – und das war nicht als Kompliment gemeint. Sarah neigte ein wenig den Kopf schräg. Sie musste mit auftauchenden Schwierigkeiten sachlich umgehen können, oder sie würde versagen – mit allen Konsequenzen für sie selbst. So meinte sie nur: „In der Tat. Sollte das für Sie eine Schwierigkeit darstellen? Es geht immerhin um unser aller Volk.“ „Natürlich“, sagte Sir Angus eilig. Wenn der Kadash so freundlich gewesen war, hier nicht selbst einzutreffen, musste das auch nicht dadurch passieren, dass man seine Mitarbeiterin beleidigte. „Bitte, meine Freunde…Lady Sarah, bitte, nehmen Sie hier Platz.“ Als die anderen vier das Arbeitszimmer verlassen hatten, setzte sich der Hausherr und betrachtete seinen jungen Gast. Sie schien Anfang Zwanzig zu sein, aber sie war gewiss älter. Schon, weil sie sonst keinen derartigen Auftrag bekommen hätte. Nun, auch Frances sah so jung aus und hatte mittlerweile bereits mehr als hundertzwanzig Jahre seit ihrer Verwandlung erlebt. Das Aussehen blieb immer gleich. „Wie kann ich Ihnen helfen?“ Sarah hatte ihrerseits ihren Gastgeber gemustert. Er trug wie viele männliche Vampire den Gehrock des 19. Jahrhunderts, altmodisch genug, um sich darin wohl zu fühlen und doch einigermaßen der heutigen Zeit angepasst. Seine langen, dunklen Haare schienen die Mode einer noch früheren Zeit widerzuspiegeln. Tatsächlich hatte sie unter den fünf schottischen Meistervampiren nur einen Mann mit kurzen Haaren entdeckt. Ob das wohl einen besonderen Grund hatte? Aber das ging sie soweit nichts an: „Es geschahen Morde an Menschen. Die Opfer waren vollkommen blutleer und eine gewisse Hysterie brach unter den Menschen aus, die auch die wahren Vampire beeinträchtigt. Was genau ist passiert?“ „Vor zwölf Tagen gingen vier Menschen zu einem abendlichen Picknick bei dem großen Hollyrood Parc beim Schloss von Hollyrood House“, fügte er freundlich für die Ortsfremde hinzu: „Keiner kehrte zurück. Man fand die Leiche der jungen Frau vollkommen blutleer, die der drei jungen Männer waren verschwunden. Ich weiß nicht, ob sie sie inzwischen gefunden haben, aber es stand nichts in der Zeitung. Vor acht Tagen wurde die Familie von Lord Tuyston ermordet, Eltern und zwei Kinder, alle wiederum vollkommen blutleer. Und vor vier Tagen die Familie von Sir Gerald Minor. Wieder vier Menschen. – Das ist es ja, was uns so alarmierte.“ „Das heißt, in dieser Nacht wäre erneut ein Mord an der Reihe, wenn sie sich an das bisherige Schema halten.“ Sarah nickte etwas: „Aber das deutet doch darauf hin, dass es sich nicht um einen Vampir handelt. Ein Mensch hat gegen fünf Liter Blut. Schon einen vollkommen leer zu trinken überansprucht unsereins gewöhnlich, geschweige denn, vier oder fünf.“ Der Hausherr und älteste Vampir in Schottland war ein wenig beruhigt, dass die junge Frau so rational an diese peinliche Angelegenheit heranging. Aber wenn sie für den Inquisitor arbeitete, würde sie sicher auch über entsprechende Fähigkeiten verfügen. „Ja. Darum sahen wir nur zwei Möglichkeiten. Erstens: Menschen gehen gegen Menschen vor. Sie wissen schon, diese Verrückten, die sich auf Friedhöfe herumtreiben und glauben, Vampire zu sein. Und die andere Möglichkeit: ein wahrer Vampir war so toll, Gebissene zu erschaffen, die sich nun über die Menschen hermachen. Das glaube ich persönlich weniger. Immerhin zeichnet sich dieser Abschaum von Gebissenen durch ihren unstillbaren Blutdurst aus. Sie würden kaum drei oder vier Tage ohne jede Nahrung auskommen.“ Sarah nickte erneut: „Sie sehen das recht nüchtern, Sir Angus. – Frances sagte, sie sei Ihr „Kind“?“ „Ja. Ich habe drei. Neville ist der älteste meiner Schüler...nun, seine Verwandlung liegt am längsten zurück. Frances ist seit gut hundertzwanzig Jahren Vampir und der jüngste, Thomas, seit 1924.“ „Oh, dann sind Frances und Thomas ja noch in den kritischen Jahren.“ So nannten Vampire die Zeit, die bei jedem ungefähr fünfzig bis achtzig Jahre nach der Verwandlung einsetzte, wenn ihnen bewusst wurde, dass sich vor ihnen Jahrhunderte, Jahrtausende des Lebens dehnen würden, die gefüllt werden wollten. Das war die Zeit, in der die Meister gefordert waren, ihren Schützlingen ein sinnvolles Leben aufzuzeigen. In der Regel war diese Phase, je nach Temperament, gute hundertzwanzig bis hundertfünfzig Jahren nach der Verwandlung abgeschlossen. „Frances hat es bereits hinter sich. Sie entdeckte den Reiz der modernen Welt.“ Sir Angus lächelte mit gewissem Stolz: „Sie beschäftigt sich sehr viel mit diesem Computer. Was sich als recht nützlich erweist. Sie hat gewisse Fähigkeiten entwickelt, die erstaunlich hilfreich sind. – Thomas, ja, er ist noch sehr in der Fragephase. Er ist sehr weich, sehr labil und braucht viel Unterstützung. Wenn Sie mit ihm sprechen, wird er Ihnen gewiss auch Fragen zum Vampirleben anderswo stellen.“ „Ich werde ihm antworten.“ In dieser Zeit brauchte ein Vampir jede Unterstützung, die ihm ältere geben konnten. „Ist von den anderen auch noch einer in den kritischen Jahren?“ „James McKenzie, der jüngere Schüler der beiden von Catriona. Aber das wird sie Ihnen sicher noch selbst sagen. – Lady Sarah, eine Warnung. Henry….Henry Stuart und seine drei Schüler sind fanatische Schotten, Sie werden es Ihnen nicht einfach machen. Sicher, Sie werden den Hohen Rat nicht brüskieren wollen, aber sie werden Ihnen auch nicht helfen. Sie haben alle vier in den Kriegen gegen Engländer gekämpft.“ „Danke für die Warnung, Sir Angus.“ Sarah unterließ es höflich darauf hinzuweisen, dass es hier nicht um Engländer oder Schotten oder gar irgendwelche vergangene Kriege ging, sondern schlicht um die Tatsache, wer hinter den Morden steckte. War dies ein Vampir, der es gewagt hatte, Gebissene zu erschaffen, musste er sterben – und ebenso die unglücklichen Menschen, die er so verunstaltet, ja, in alle Ewigkeit verdammt hatte. „Gibt es noch jemanden, bei dem ich behutsam sein müsste?“ „Ich kenne die Schüler nicht so genau…das kann Ihnen sicher der jeweilige Meister sagen.“ „Natürlich. Danke. – Oh, eine Frage hätte ich noch.“ „Nun?“ „Ich…Frances ist Ihr „Kind“, aber Sie haben auch zwei männliche Schüler. Mistress Catriona hat dagegen zwei männliche „Kinder“.“ Sie war sich nicht ganz sicher, wie die richtige Titulatur lautete, so wählte sie die altmodische. Sir Angus nahm das zur Kenntnis: „Ja, ich bin mir im Klaren darüber, dass das ungewöhnlich ist. Gewöhnlich nimmt man Menschen aus seinem eigenen Geschlecht. Aber bedenken Sie, dass Schottland noch nie sehr dicht besiedelt war. Und schon gar nicht nach dem 18. Jahrhundert. Die Landlegungen schickten auch Kandidaten für Vampire in die USA. – Ronald, Sir Ronald MacDonald, hat zwei weibliche Schülerinnen, und einen männlichen. Ich bin mir bewusst, Lady Sarah, dass Sie nur Informationen sammeln sollen. Wir sind alle sehr beunruhigt und würden uns über eine rasche Aufklärung freuen.“ „Sie sind sich also sicher, dass es niemand Ihrer Freunde oder deren Schüler ist?“ „Ja.“ Sir Angus war definitiv: Sarah lächelte ein wenig: „Natürlich. Sonst hätten Sie ja auch kaum den Hohen Rat informiert.“ Oder das genau deswegen getan, um von sich oder den anderen abzulenken. Aber sie musste behutsam sein, bis sie wusste, wer hier was war. „Ich würde dann gern mit allen Meistern sprechen…einzeln, natürlich.“ „Ich verstehe. – Wann müssen Sie Bericht erstatten? Oh, nicht, dass ich Sie loswerden möchte, Lady Sarah, meiner Treu! Ich möchte Ihnen nur ein Zimmer für den Tag anbieten. Und natürlich unsere Mahlzeiten. Frances, ich erwähnte es bereits, kennt sich mit dem Computer aus und hat uns einige Beutel aus der Blutbank abgezweigt, so dass eine Jagd derzeit nicht erforderlich ist. Wir wollten keine unnütze Aufmerksamkeit auf uns lenken.“ „Ich danke Ihnen, Sir Angus. Das war sicher eine weise Entscheidung.“ Wie auch immer Frances das gemacht hatte. „Ich…kommen Sie. Ich werde Ihnen ein Zimmer für Ihre Unterhaltungen zur Verfügung stellen. Darf ich Sie etwas fragen….Haben Sie den Kadash, den Inquisitor, je zu Gesicht bekommen?“ „Ja.“ Mehr wollte und sollte sie dazu wohl nicht sagen. Sir Angus nickte nur. Wenn sie nicht verschwiegen gewesen wäre, hätte sie einen derartigen Auftrag gewiss nie bekommen. Er begleitete Lady Sarah zu einem kleinen Arbeitszimmer und ging, um Catriona McKenzie zu holen. Sarah trat zu dem Kamin und hielt die Hände an das Feuer, eine Gewohnheit aus Menschentagen, die sie noch immer nicht hatte ablegen können. Aber sie war nervös. Dieser Auftrag war ihre erste große Prüfung, und sie konnte nur hoffen, dass sie keinen Fehler beging. Im Hohen Rat waren durchaus einige nicht begeistert gewesen, dass sie ihn erhalten hatte – nun, dachte sie, diese Vampire waren überhaupt nicht begeistert, sie noch am Leben zu wissen. Aber die Fürsprecher hatten sich durchgesetzt: solange sie keinen Verstoß gegen die Regeln beging, Menschen oder gar Vampire tötete, oder das Volk sonst wie schädigte, gab es keinen Grund, sie umzubringen. Gleich, welche eigenartige Fähigkeit sie besaß. Und gleich zweimal nicht, wenn diese dem gesamten Volk nutzen könnte. So hatte ihr der Rat dies anvertraut – auf Probe. Sie drehte sich um, als die schottische Meistervampirin eintrat. Ihr bodenlanges, geschnürtes Kleid war mit Spitzen besetzt. „Setzen wir uns doch…“ Catriona lächelte: „Ich sehe, Sie tragen moderne Kleidung, Lady Sarah. Ist dies in London heute unter den Vampiren üblich?“ „Nein. Viele tragen, ebenso wie Sie, die…gewohnte Kleidung aus der Zeit ihrer Verwandlung. Aber ich kam mit dem Nachtexpress her und wollte unauffällig unter Menschen reisen.“ „Ich war noch nie in London. Obwohl ich zugeben muss, ich wäre gern dorthin gefahren, als unser König, ich meine James Stuart, dort gekrönt wurde. Aber das ging eben nicht. Damals waren die Verkehrsmittel ja auch noch bei weitem nicht so schnell.“ Ehrliches Bedauern lag in ihrer Stimme. Das war 1603 gewesen, entsann sich Sarah. Wie lange Catriona wohl schon Vampir war? Aber es galt für unschicklich, danach zu fragen, auch nach dem Leben, das man vorher als Mensch geführt hatte. So nickte sie nur: „Ja, das ist ein eindeutiger Fortschritt. – Sie können mir nicht viel zu den Morden sagen?“ „Nein. Ich bin mir allerdings sicher, dass es niemand meiner…guten alten Bekannten oder einer unserer „Kinder“ war. Ich persönlich glaube an einen Menschen.“ „Ein Mensch, der so viele andere tötet?“ In der Schottin tauchte die Erinnerung an ihren eigenen Vater auf, den Tod ihrer Schwester in den Flammen, den so vieler andere, aber sie war geübt in der Verdrängung: „Nun, glauben Sie mir, Lady Sarah – ich habe schon viel gesehen, was Menschen einander antun können. Und es ist wirklich nicht schwer, einen Menschen zu töten.“ Sarah unterdrückte gerade noch ihre Frage, ob sie da aus Erfahrung spreche. Was auch immer Catriona zu ihrer Menschenzeit getan hatte, ging niemanden mehr etwas an. „Sie denken also nicht, dass es ein ortsfremder Vampir sein könnte?“ „Ich würde keinen Nutzen darin sehen. Wir fünf haben uns Schottland aufgeteilt, ja. Und viel mehr Vampire als wir und unsere Schüler in einem so dünn besiedelten Land würde gegen die Regel der Unauffälligkeit verstoßen. Was hätte ein Fremder davon? Und – warum sollte er nicht zu Sir Angus als dem Ältesten gehen und mit ihm einfach reden?“ „Und um Wohnrecht ersuchen, natürlich. – Ich möchte später auch noch mit Ihren „Kindern“ sprechen.“ „Ja. Ich verstehe. Ich glaube zwar nicht, dass sie Ihnen etwas mitteilen können, aber Sie müssen natürlich Ihren Auftrag erfüllen. James…nun, James ist gerade noch in den kritischen Jahren. Wäre es Ihnen möglich, das zu berücksichtigen?“ „Selbstverständlich.“ „Danke, Lady Sarah. Wie gesagt, ich denke nicht, dass es einer von uns fünfen war. Und ich glaube auch nicht einer der Schüler. Wir haben sie sorgfältig ausgesucht. Für meine beiden würde ich sogar die Hand ins Feuer legen.“ Catriona bemerkte das flüchtige Lächeln der Besucherin: „Haben Sie so etwas schon gehört und es stimmte nicht? James ist Künstler. Er hat immer schon gern gezeichnet, gemalt, statt sich um „männliche“ Sportarten zu kümmern. Für den Sohn eines Baronets zu Zeiten Königin Viktorias war das ziemlich… unangebracht. Er hatte erhebliche Probleme mit seinem Vater, zumal er nicht zur Armee wollte. Archibald dagegen ist einfach nicht in der Lage zu töten. Weder bei Jagd noch Sport. Das brachte ihm den Verstoß durch seinen Vater ein. Und machte ihn zu meinem „Kind“, als er hörte, dass wir niemals töten. Sie sehen…“ „Ich verstehe. Danke für Ihr Vertrauen.“ „Ich hoffe, Sie werden es nicht weitererzählen.“ „Nein. Alle diese Gespräche sind vertraulich. Darf ich Sie bitten, mir den Rangnächsten hereinzuschicken?“ Also den, dessen Verwandlung kürzer zurücklag. „Das ist Gordon. Gordon MacGregor.“ „Danke.“ Kurz darauf kam dieser. Sarah musste sich zwingen, nicht zu auffällig seine schottische Kleidung zu betrachten, den Kilt, das gleichfarbig karierte Tuch, das er um sein Hemd geschlungen trug. Soweit sie wusste, konnte man an dem Karomuster, dem Tartan, den jeweiligen Clan erkennen. Und obwohl Sir Angus gesagt hatte, Henry Stuart und seine Schüler seien fanatische Schotten, so war doch Gordon der einzige der Meistervampire, der die hergebrachte Mode trug. Und er war der Einzige, der seine blonden Haare kurz geschnitten hatte. Er setzte sich unaufgefordert, deutliches Zeichen, dass er sich für älter und damit ranghöher hielt. „Nun, was wollen Sie wissen, Lady Sarah?“ Er klang nicht unfreundlich. Diese Affäre musste so rasch es ging enden. Und wenn der Inquisitor sich erst einmal nur berichten ließ, war das sein gutes Recht. Vermutlich bekam er oft Meldungen, die sich als nicht relevant herausstellten. So schickte er nur Mitarbeiter, um erst einmal vor Ort zu prüfen. „Glauben Sie an Menschen, die diese Morde begingen?“ „Ja. Aus zwei Gründen. Wir fünf kennen uns seit langen Jahrhunderten. Würde einer von uns das Anzeichen dieser Verrücktheit zeigen, Gebissene zu erschaffen, hätten das alle anderen bereits mitbekommen. Unsere Schüler werden und wurden sorgfältig ausgesucht und niemand hat mehr als die vom Hohen Rat empfohlene Zahl von dreien, so dass wir sie gut überprüfen konnten.“ „Und ein ortsfremder Vampir, der eine neue Heimat sucht?“ „Das würde natürlich gegen die Regeln verstoßen. Zum einen wäre es üblich anzufragen, nicht wahr? Zum anderen: kein wahrer Vampir, der seine sechs Sinne beisammen hat, begeht solche auffälligen Massaker. Überdies, aber das dürften Sie wissen, Lady Sarah, würde es niemandem von uns gelingen, diese Unmengen an Blut zu trinken. Nein. Ich tippe auf diese verrückten Menschen, die immer häufiger werden, seit gut hundert Jahren, die sich für unsereins halten. Und nur Menschen morden sinnlos.“ „Danke, Mr. MacGregor. Sie sehen das sehr nüchtern.“ „Ich nehme an, Sie haben von meiner Vergangenheit gehört?“ „Selbstverständlich nicht!“ Sarah war fast entsetzt. Also hatten sich Angus und Catriona an ihre eigenen Dinge gehalten. Nun, eigentlich hatte er das auch erwartet: „Das freut mich. – Ich war …auch nach meiner Verwandlung…sehr an anderen Ländern interessiert. Und so ging ich zur Marine der…hm…schottischen Majestät. Ich trug Jahrhunderte Uniform. Darum liebe ich nun auch diese Kleidung. – Aber in diesen Zeiten habe ich viele Länder, aber auch viele Kriege der Menschen gesehen.“ „Das denke ich mir.“ „Und gerade an Bord der Schiffe habe ich gelernt, dass man alles nur nüchtern betrachten kann, sollen alle überleben. Auch Angus hat dies gelernt…Manche von uns sind noch emotioneller.“ Er brach abrupt ab, aber da Sarah nicht nachfragte, fuhr er etwas beruhigter fort: „Sie werden sicher auch noch mit unseren „Kindern“ reden wollen? Arthur ist bereits ein wenig unwirsch – er muss in drei Tagen auf sein Schiff. Er kommt sehr nach mir.“ Etwas wie Stolz lag in der Stimme des Meistervampirs: „Er will andere Länder sehen, andere Kontinente. Er hat nun auf einem Containerschiff angeheuert. Natürlich sind das viel kürzere Liegezeiten als zu meiner Zeit, aber er wird dennoch die Welt sehen können. Mein anderes „Kind“ ist Henry. Auch ihn habe ich wohl angesteckt, aber er will nur mit dem Finger reisen. Er sammelt Landkarten, schon seit Jahrhunderten. Ich denke, da würde ihn manche Bibliothek beneiden. Und das jüngste „Kind“ ist Eleanor. Sie ist noch in den kritischen Jahren. Ich nahm sie zu mir, als sie….ihre Eltern stammten aus Irland und flohen nach dem niedergeschlagenen Osteraufstand nach Glasgow. Sie starben und...nun, ich traf sie. Sie ist allerdings auf dem besten Weg, die kritischen Jahre zu überstehen. Sie hat ein großes Interesse am Meer entdeckt, allerdings, was die Tiere dort betrifft. Sie will demnächst tauchen lernen und Meeresbiologin werden.“ „Das ist sehr schön.“ Sarah lächelte. Gordon MacGregor hatte wohl allen seinen Schützlingen irgendwie seine Leidenschaft vermitteln können, auch, wenn es diese nun sehr unterschiedlich umsetzten. „Ich werde sehen, ob ich mir allen Schülern noch reden muss, aber wenn dies der Fall ist, werde ich selbstverständlich darauf Rücksicht nehmen, dass sich Eleanor noch in den kritischen Jahren befindet.“ „Das ist gut. Noch etwas?“ „Nein, danke. – Oh, ehe Sie Sir Ronald McDonald zu mir senden…ich bräuchte kurze Pause, um mir rasch Notizen zu machen.“ Ihre Darlegung musste alle möglichen Hinweise enthalten, das war ihr klar. Und sie war sich wirklich nicht sicher, wie gut ihr Gedächnis für den Rapport wäre. „Natürlich. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht sehr einfach ist, für den Inquisitor zu arbeiten.“ Er ging. Aus dem Bericht des Inquisitors an den Hohen Rat: Nach den ersten durchgeführten Gesprächen lässt sich Folgendes sagen: Es ist davon auszugehen, dass die fünf Meistervampire nicht annehmen, einer der ihren sei es gewesen und auch keiner ihrer Schüler. Ob dies den Tatsachen entspricht, wird sich noch zeigen. Allerdings nehme ich an, dass es geradezu töricht von den Fünfen gewesen wäre, den Inquisitor zu sich zu holen, wäre einer schuldig – es sei denn, er oder sie wollte sich oder einen anderen decken. Ihr alter, gemeinsamer, Meister hat sich bereits zurückgezogen und es widerspricht jeder Lebenserfahrung, dass ein jahrtausendealter, bereits zurückgezogener Vampir, Menschen tötet, zumal, wenn er bereits fünf „Kinder“ hatte und so seinen Wunsch nach Nachkommen befriedigen konnte. Gebissene entstehen ja eher durch den Wunsch eines sehr jungen Vampirs, doch wie ein Mensch Nachkommen zu erhalten. Daher werde ich den Meister der Fünf nicht weiter behelligen oder behelligen lassen. Es wäre allerdings wünschenswert, sich zumindest den ersten Tatort anzusehen und vor allem ein Gespräch mit den Menschen zu führen, vor allem, demjenigen, der die Ermittlungen führt. ******************************************* Im nächsten Kapitel gehen allerdings erst einmal die Unterhaltungen mit den schottischen Meistervampiren weiter. bye hotep Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)