Von Paria zu Paria von Elster (Torchwood) ================================================================================ Kapitel 3: Moses ---------------- Ianto mag Katzen nicht besonders und Moses ist keine Ausnahme. Der Kater schleicht durch die Wohnung und wirft dem Mobiliar missbilligende Blicke zu, bis er einen Platz auf Iantos Küchentisch findet und angespannt aus dem Fenster starrt. Ein Tier auf dem Küchentisch ist eigentlich inakzeptabel, aber Ianto ist froh, dass Moses nicht mehr ruhelos umhertigert und sie haben beide einiges hinter sich, also kann er es ihm heute durchgehen lassen. Morgen wird er sich auf die Suche nach einem neuen Besitzer machen. Er will Moses nicht behalten. Der Gedanke an ein Haustier ist abwegig. Ianto verbringt wenig Zeit in seiner Wohnung, manchmal kommt er tagelang nicht her; er könnte hier nichtmal einen Kaktus am Leben erhalten. Aber das war vorher, als er sich noch um Lisa kümmern musste. Vermutlich sollte er damit rechnen, dass sich sein Leben ändert, dass er weniger Zeit im Hub verbringt, aber es waren jetzt fast drei Wochen und nichts dergleichen ist geschehen. Lisa ist nicht mehr da, aber Ianto verbringt nicht weniger Zeit im Hub. Es ist einfach, dort Aufgaben zu finden, vom Support für das Team über Instandhaltung der teilweise viktorianischen Räume bis zu den vernachlässigten Archiven, die zu ordnen noch die nächsten fünf Jahre in Anspruch nehmen könnte. Die Schuldgefühle, die Trauer, der Selbsthass, gelegentliche Wut; alles ist noch da, verschoben, verzerrt, aber nicht wirklich verändert. Hier draußen ist sein Leben zuende und er weiß nicht, ob er ein neues anfangen kann. Im Hub herrschen andere Regeln. Es ist ein Platz für alles, was nicht in diese Welt passt, futuristische Technik, organische Computer, menschliches Treibgut, Dinosaurier, was auch immer Jack ist… Alles was Ianto noch hat, ist dieser seltsam undefinierte Witz von einem Job. Es gibt keinen Aufgabenbereich, aber er kann jede Aufgabe zu seiner machen. Falls Jack eine Vorstellung davon hat, was Ianto in Torchwood Cardiff eigentlich tun sollte (von dekorativen Aufgaben abgesehen), lässt sich das nicht erkennen. Es gab eine Zeit, da hätte Ianto das als Chance gesehen, im Moment ist es lästig, weil es ihn zwingt über Dinge nachzudenken, die über bloßes Überleben hinaus gehen. Moses springt vom Küchentisch und nimmt seine endlosen Runden durch Iantos Wohnung wieder auf. Vermutlich sucht er nach einem Ausgang. Es wäre am einfachsten, ihn in einem Tierheim abzugeben, aber Ianto hasst es, Probleme jemand anderem zu überlassen. Er überlegt, ob er jemanden kennt, der eine Katze nehmen würde, aber die Liste seiner Bekannten war nie lang und die meisten haben Canary Wharf nicht überlebt. Er starrt zehn Minuten auf das Telefon, ehe er es abnimmt und die Nummer wählt. Er hat seit Monaten nicht angerufen, in der ganzen Zeit seit er in Cardiff ist nur einmal. Und alles, was er schließlich herausgebracht hatte, war, dass er noch lebt und dass er Dinge zu tun hat. Er fühlt sich schlecht deswegen, seine Mutter hat mehr verdient. Es klingelt viermal, dann meldet sie sich, mit einem zaghaften fragenden „Jones?“ und ihm wird klar, dass es Monate her ist, dass sie vermutlich seitdem auf ein weiteres Lebenszeichen wartet. Er weiß nicht, was er sich dabei gedacht hat. Er wusste nicht, was er ihr sagen sollte. „Es tut mir leid“, sagt er schließlich nach langem Schweigen. Und es sind nicht nur die versäumten Anrufe, es ist der Satz, der ihn seit Tagen verfolgt und sie ist die einzige, zu der er ihn sagen kann. Er kann hören, wie sie einige Male ein- und ausatmet, dann sagt sie seinen Namen und es ist fast ein Schluchzen. „Kommst du nachhause?“ Für einen Moment spielt er mit dem Gedanken, aber es ist keine Option, nicht wirklich. Sein Elternhaus war schon lange nicht mehr sein Zuhause, das war die Londoner Wohnung, die er mit Lisa hatte. Und Ianto ist kein Mensch, der einen Schritt zurück macht, selbst nach allem, was passiert ist. Und er braucht Torchwood, weil er noch lebt, weil er dort einen Platz hat, so unbequem der auch sein mag. „Nein, ich bleibe hier.“ Und dann, als ihm klar wird, dass seine Mutter nicht wissen kann, wo ‚hier’ ist: „Ich bin in Cardiff.“ Er hört ein Rascheln und stellt sich vor, wie seine Mutter nickt. Sie zögert einen Moment. „Wir wussten nicht, wo wir suchen sollen, ich habe mit Lisas Eltern gesprochen…“ Sie bricht ab. Ianto schweigt, weil es keine Worte dafür gibt. Lisa ist tot, aber er hat die Möglichkeit, dass er sie verlieren könnte, so lange aus seinen Gedanken verbannt, dass der Satz keinen Sinn ergibt. Er konnte es nicht glauben, als er Tanizakis Leiche fand, nicht als sie das Team angegriffen hat und er konnte Jack nicht glauben, als er es gesagt hat. Und sie tot zu sehen, machte es nicht realer, sondern die Welt unmöglich. Sein Leben ist unmöglich und wie könnte er das in Worte fassen? „Es tut mir so leid“, sagt seine Mutter und es ist egal, dass sie Lisa zu spröde fand und unhöflich, sie kannte Lisa und sie ist der erste Mensch, der das zu Ianto sagt; dass sie Lisas Tod bedauert. Es macht ihn traurig und wütend, aber Trauer und Wut sind seit Monaten die einzigen Gefühle, die er zu haben scheint, also antwortet er nur mit einem dumpfen „Ja“. „Wie geht es dir?“ „Ich…“ Er hat keine Ahnung, was er sagen soll. Selbst wenn er eine ehrliche Antwort geben wollte, er weiß es nicht. „Ich lebe“, sagt er schließlich. „Mach dir keine Sorgen. Bitte.“ „Ianto.“ Es gab eine Zeit, da haben Gespräche mit seiner Mutter nicht zum größten Teil aus zögerlichen Sätzen und besorgtem Schweigen bestanden, aber das ist so lange her. Seit fast zehn Jahren kommt irgendwann die Stelle, an der seine Mutter seinen Namen sagt, als ob es sowieso zu spät wäre mit ihm und warum kann er sich nicht mehr Mühe geben und ihr helfen, ihn zu verstehen. Als sein Vater noch lebte, konnte sie ihm sagen, dass er mit ihm reden soll. Das war immerhin ein brauchbarer Rat. Inzwischen kommt danach die folgende Frage, in verschiedenen Versionen und verschiedenen Graden der Hilflosigkeit: „Hast du irgendjemanden, mit dem du reden kannst?“ Er schließt die Augen. „Ja“, sagt er und denkt an Jack, was schrecklich ironisch ist, weil Jack so ziemlich der letzte Mensch ist, mit dem er über Lisa reden will. „Gut.“ Ianto schweigt noch einen Moment unschlüssig, weil es fast unmöglich scheint, das Thema zu wechseln. „Möchtest du eine Katze haben?“ „Was?“ Sie klingt verblüfft. Zum Glück hält sie ihn sowieso schon für sonderbar. „Die Besitzerin ist gestorben, eine… Verwandte von meinem Boss.“ „Nein.“ Sie klingt fast so erleichtert wie er, dass sie nicht mehr über ihn reden und für einen Moment tut sie ihm leid, weil sie ihn liebt, aber wirklich keine Chance hat, ihn zu verstehen. „Frag Rhiannon, sie sind in ein neues Haus gezogen und die Kinder wollen ein Haustier.“ Er gibt ihr seine Adresse und Telefonnummer und verspricht, sich zu melden. Seine Schwester wird spätestens morgen anrufen; es gibt ihm das seltsame Gefühl, dass sein Leben weitergeht. Moses sitzt neben ihm auf der Couch und sieht ihn eindringlich an. Ianto findet Katzen nicht geheimnisvoll. Wenn sie einen anstarren, glaubt er, versuchen sie auch nur, herauszufinden, was man als nächstes tut. Er hält dem Kater seine Hand hin und er schnuppert und reibt seinen Kopf daran; nichts geheimnisvolles. Ianto krault ihn hinterm Ohr und fragt sich, ob Moses Kinder mag. Hosted by Animexx e.V. 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