Die andere Seite des Herzens von Ange_de_la_Mort (Axel/Roxas, Sora/Riku) ================================================================================ Kapitel 1: Die andere Seite des Herzens --------------------------------------- Doppelgänger. Irgendwo auf dieser Welt hat jeder Mensch ein Gegenstück, jemanden, der genauso aussieht, wie man selbst es tut. Die gleichen Augen, die gleichen Bewegungen, der gleiche feine Zug um die Mundwinkel, wenn man lächelt. Für die meisten Menschen klingt das spannend. Sie wollen ihren Doppelgänger – oder ‚die andere Seite ihres Herzens‘, wie manche es nennen – unbedingt in ihrem Leben einmal treffen, ihn ausfragen, wissen, wie ähnlich er ihnen vom Charakter her erscheint. ‚Wer bist du? Was machst du so? Wie ist dein Leben? Ist es das Leben, das ich mir immer gewünscht habe, aber nie leben konnte?‘ Solche oder ähnliche Fragen hätte man in dieser Situation wohl. Du hast dir um so etwas schon häufig Gedanken gemacht. Du hast die Zeit dazu. Allerdings nicht die Kraft. Nicht nach dem, was dir in letzter Zeit alles wiederfahren ist. Seufzend streichst du dir mit den Fingern durch das goldblonde Haar und schwingst die Beine aus dem Bett, stehst auf, obgleich du keinen Grund dazu hast. Keine Schule, keine feste Arbeit, keine Freunde. Eigentlich hast du überhaupt nichts mehr. Nicht einmal einen Grund, weiterzuleben. Du bist nicht mehr als ein Niemand, ein Nichts, jemand, den man auf der Straße übersieht, von dem man nicht einmal mehr wahrnimmt, dass er existiert. Das ist dir natürlich durchaus bewusst, aber was willst du tun? Du hast nur noch eine Hoffnung, dein Leben auf die Reihe zu bekommen: Deinen Doppelgänger zu treffen und von ihm zu lernen, wie man lebt. Als du den Wasserregler der Dusche andrehst, überschüttet dich ein Schwall eisig kalten Wassers. Du schreist auf, zuckst zurück, drehst an den Reglern. Ohne Erfolg. Du hast schon wieder vergessen, die Rechnung für die Heizkosten zu bezahlen. Leise fluchend stellst du das Wasser ab und trottest aus der Dusche, suchst nach einem sauberen Handtuch, findest jedoch nur schmutzige Wäsche, die du schon längst in den Keller hättest tragen sollen. Dorthin, wo die einzige Waschmaschine des Hauses steht. Seufzend betrittst du das einzige Zimmer deines Apartments, welches dir gleichzeitig als Schlafraum, Wohnraum und Arbeitsfläche dient. Auf dem kleinen Holzschreibtisch neben dem Bett liegen vereinzelte Blätter, Teile eines Manuskriptes, das bis zu seiner Fertigstellung noch lange brauchen wird. Der Füllfederhalter, den du immer benutzt, liegt auf dem Boden. Er muss wohl irgendwann in der Nacht heruntergefallen sein. Kein Wunder. Der Tisch ist ja auch krumm und schief, ein altes, weggeworfenes Stück Abfall, das du vor ein paar Wochen auf dem Sperrmüll gefunden und die vielen Stufen zu deinem Apartment hinaufgetragen hast. Aber du beklagst dich nicht. Vorher hast du nämlich auf dem Boden schreiben müssen. Du seufzt leise und ordnest die Blätter. Dein Blick fällt dabei auf den kleinen Kalender, den du mit einer Reißzwecke an der Wand befestigt hast: der achte Februar. Schon wieder rückt die Deadline näher und dir fehlt eine zündende Idee, etwas, das ein wenig Pepp in die Geschichte bringt, damit sie dir auch abgenommen wird. Wieder ein Seufzen. Vielleicht hättest du dir damals, als die Talente verteilt wurden, ein anderes aussuchen sollen. Doch du kannst nichts außer Schreiben. Nicht unbedingt besonders gut, doch von den Kurzgeschichten, die du verkaufst – von den wenigen; von denen, die sich nicht um Leben und Tod und um deine philosophischen Gedanken drehen –, kannst du deine Rechnungen bezahlen. Zumindest dann, wenn die Zahlkarte nicht noch vergessen unter dem Stapel alten Geschirrs steht. Du warst noch nie besonders ordentlich gewesen, aber in letzter Zeit hast du es wirklich schleifen lassen. Kaum etwas getan, kaum etwas gegessen, kaum geschlafen. Du warst einfach viel zu sehr damit beschäftigt zu weinen. Wie von selbst schüttelst du deinen Kopf und greifst nach den Sachen, die du gestern Abend achtlos über die Stuhllehne geworfen hast, und ziehst dich an, streichst das graue Hemd glatt und steigst in die schwarze, unauffällige Hose. Ein Blick aus dem Fenster verrät dir nicht nur, dass einige Bewohner des gegenüberliegenden Hochhauses dringend Vorhänge bräuchten – denn du siehst Dinge, die du nie im Leben sehen wolltest, die sich jetzt aber mit Sicherheit in deine Netzhaut gebrannt haben und dich jedes Mal verfolgen, wenn du die Augen schließt –, sondern auch, dass es draußen recht mild zu sein scheint. Die Leute tragen Übergangsjacken oder schlichte, dunkle Pullover, nichts, was auf Regen oder plötzlichen Schneefall hindeutet, der eine Lawine auslöst, welche die gesamte Stadt überrollt, sodass nur noch du und ein paar andere Leute überleben, die geistesgegenwärtig genug waren, Zuhause zu bleiben. Schade eigentlich. Das wäre eine interessante Geschichte. Ob die sich wohl verkaufen lassen würde? Im Vorbeigehen greifst du nach der schwarzen Jacke und streifst sie über, lässt die Haustür hinter dir zuknallen. Daran, abzuschließen, denkst du nicht einmal. Was könnte man dir schon stehlen? Außerdem funktioniert das Schloss sowieso nicht mehr. Langsam steigst du die Stufen hinab und betrittst die Welt außerhalb des Hauses. Ein kühler Windhauch schlägt dir entgegen, lässt dich frösteln, und du ziehst die Jacke enger um deinen Körper, gehst gezielten Schrittes durch die Straßen und Gässchen, beobachtest die Leute, die ihres Weges ziehen. Niemand achtet auf dich. Sie sehen dich nicht einmal. So, als würdest du nicht einmal existieren. So, als wärst du ein Niemand. Es scheint keine Sonne an diesem Tag. Der Himmel ist grau, wolkenverhangen. Noch ist es zu früh, um die Laternen, die die Straßen säumen, anzuzünden. Auch die Stadt ist grau. Trist. Sie kommt dir heute unwirklicher vor als sonst, surreal. Wie eine Welt, die überhaupt nicht existiert, eine Welt, die niemals war und niemals sein wird. Die Leute erscheinen auch so, sind in ihren eigenen Gedanken versunken. Kein Lächeln liegt auf ihren Lippen, kein Glanz schimmert in ihren Augen. Sie gehen einfach nur ihrem normalen Tagesleben nach, ihrer Routine, ohne einmal aufzublicken, ohne sich umzusehen, ohne sich für das zu interessieren, was um sie herum geschieht. Was würde passieren, wenn du jetzt einfach vor das nächste Auto läufst? Würden sie es bemerken, Hilfe holen, sich um deine Gesundheit sorgen? Oder würden sie einfach weitergehen, dich liegen lassen, einsam und allein, verletzt, verlassen? So, wie er es getan hatte … Nein. Du willst jetzt nicht an ihn denken. Das ist er nicht wert. Du siehst auf, als leise Musik erklingt. Lächelst leise vor dich hin. Ein Jahrmarkt. Ein Farbfleck in dieser grauen Stadt. Es lenkt dich sicherlich von deinen Gedanken ab, wenn du jetzt darüber schlenderst, einfach mal die Gedanken schweifen lässt und deine Sorgen vergisst. Wer weiß, möglicherweise fällt dir etwas ein, das deine Schreibblockade dazu bringt, sich in Luft aufzulösen. Der Jahrmarkt ist nicht gerade groß. Es gibt eine Schießbude, an der man Plastikblumen gewinnen kann, ein kleines Karussell, vor dem sich eine lange Schlange an kleinen Kindern gebildet hat, eine Losbude, die als Hauptpreis kleine Teddybären mit schwarzen Knopfaugen verlosen. Und natürlich gibt es Luftballons. Es gibt immer Luftballons. Was wäre ein Jahrmarkt ohne Luftballons? Sie leuchten in den Farben des Regenbogens und du bleibst stehen, um sie zu betrachten. Dein Blick schweift über die Farben und bleibt an einem von ihnen hängen. Du zuckst zusammen, trittst einen Schritt zurück. Ein heißer, stechender Schmerz macht sich in deinem Inneren breit, trifft dich mitten ins Herz und du lässt einen leisen, kläglichen Laut über deine Lippen kommen, der den gesamten Schmerz ausdrückt, den du in diesem Moment empfindest. Der Ballon ist rot. So rot wie sein Haar, wenn es in der Morgensonne leuchtet. Wie seine Lippen, wenn sie sich zu einem Lächeln verlieren. Wie seine Zungenspitze, wenn sie liebkosend über deine Ohrmuschel schleicht. Mit zitternden Fingern suchst du in deinen Hosentaschen nach deinen letzten Münzen und drückst sie dem Verkäufer in die Hand, nimmst den roten Ballon an dich. Du fühlst dich ihm, deinem Geliebten, deiner einzigen wahren Liebe, gleich näher. Natürlich weißt du, dass das nicht gut ist. Es ist keine Art, um mit dem Verlust umzugehen, im Gegenteil. Du klammerst dich an ihn, an etwas, das dich an ihn erinnert. Dabei solltest du doch eigentlich nicht mehr an ihn denken. Weil es einfach zu weh tut. Er hat dich verlassen. Ihm warst du nicht wichtig genug. Er wollte sein Leben leben, sich nicht an jemanden binden. Schon gar nicht an jemanden wie dich … Aber wer kann es ihm verübeln? Du weißt schließlich, was du bist – nicht mehr als ein mittelloser Schreiber mit abgedroschenen Ideen und ohne Geld. Du hast nicht in sein Schema gepasst. Dir fehlt das Geld dazu, der Glamour, der Stil. Wenn er einen Raum betritt, wenden sich alle Köpfe zu ihm um. Seine Ausstrahlung ist enorm. Und wenn er lächelt und die perlweißen Zähne zeigt, dann kannst du förmlich hören, wie so manche Frau verzückt aufseufzt. Er hat nicht zu dir gepasst. Für ihn warst etwas Neues, Aufregendes, ein Spielzeug, mit dem man sich so lange abgibt, bis es einen langweilt und man es in den Müll wirft, weil es ausgedient hat. Du zitterst. Deine Finger zittern. Schnell ballst du sie zu Fäusten und stopfst sie in die Hosentasche, fürchtest, dass dir sonst der Ballon entgleiten könnte. Wie wäre es mit einer Liebesgeschichte? Könntest du so etwas schreiben? Etwas, mit dem du dich selbst kaum auskennst und möglicherweise bei jedem Wort, das du schreibst, bei jedem Gedanken an die Geschichte, der sich in deinem Geiste formt, zu weinen beginnst, so lange, bis die Tränen aufs Papier tropfen und die blaue Tinte verwischt? Nein. Keine Liebesgeschichte für dich. Das ist sicherer. Du achtest nicht darauf, wohin du gehst, rempelst jemanden an. Deine Lippen formen schnell und automatisch eine Entschuldigung, du hebst den Kopf und … erstarrst. Augen, so blau wie der Ozean an einem Sommertag – ein guter Satz übrigens, den solltest du dir merken, den kannst du vielleicht noch einmal verwenden – sehen dich entschuldigend an, ein brauner Haarschopf lugt ungekämmt unter einer Mütze hervor. Ihr beide bleibt stehen und seht euch an, mustert euch. Es ist gegenseitiges Erkennen, das in euren Blicken steckt. Er ist es. Er! Der, den du dein Leben lang gesucht hast! Der Mensch, der dich und deine Gefühle am besten verstehen könnte. Dein Doppelgänger. Er lächelt, will etwas sagen. Du schenkst ihm ebenfalls ein Lächeln. Was würde jetzt passieren? Würdet ihr euch unterhalten? Zusammen in das nächste Café gehen, etwas trinken und eure Lebensgeschichte austauschen? Du merkst, wie du rot wirst, als dir bewusst wird, dass du in deinem Leben nicht gerade vieles vorzuweisen hast. Dann jedoch wird er am Ärmel gezogen. Sein Begleiter sieht dich missbilligend an. „Pass auf, wo du hingehst!“, zischt er dir zu und du zuckst zusammen, als dich der Blick aus diesen türkisen Augen trifft, denn für einen Augenblick siehst du diese anderen Augen vor dir, die deines ehemaligen Geliebten, hörst seine Stimme, siehst seine Lippen, die sich zu einem gehässigen Grinsen verziehen. Kurz darauf ist alles wieder normal. Die beiden anderen scheinen deinen kurzen Gefühlsausbruch mitbekommen zu haben, denn dein Gegenstück sieht dich besorgt an. Wieder will er etwas sagen, wieder wird er von seinem Freund einfach weitergezogen. Wieso regst du dich nicht? Wieso fragst du nicht nach seinem Namen, sagst ihm den deinen? Wieso lässt du zu, dass er jetzt geht? Schließlich, endlich, bewegst du dich: Du streckst eine Hand aus, willst nach ihm greifen, doch es ist schon zu spät. Er und sein Freund, den du in Gedanken ein dämliches Arschloch nennst, sind schon weitergegangen, erklimmen gerade die Stufen einer kleinen Treppe, die zum nächsten Marktplatz führt. Du willst ihnen hinterher. Mit Sicherheit könntest du sie einholen, so groß ist ihr Vorsprung nicht. Doch du lässt es. Senkst lächelnd den Blick, starrst auf den grauen Gehsteig. Welches Recht hättest du schon, in sein Leben zu treten? Er hat den Menschen für sich allein schon gefunden. Er ist … ein Jemand. Denn sein Freund mag ihn – liebt ihn? –, sorgt sich um ihn. Das konntest du ihm an den Augen ansehen. Er hat das, was du nicht hast. Du bist dir nicht sicher, ob du eifersüchtig sein sollst, als dir etwas auffällt und du erschrocken auf die Hand blickst, die du nach deinem Gegenstück ausgestreckt hast. Der Ballon. Du hast ihn verloren. Schnell siehst du nach oben in den Himmel, siehst, wie er von einem Windstoß erwischt und fortgetragen wird. Kurz fühlst du dich unendlich einsam. Dann allerdings legt sich ein Lächeln auf deine Lippen, strahlend, glücklich. Es bringt die Welt zum Leuchten und den Himmel zum Strahlen. Du hast etwas Wichtiges verstanden. Selbst ein Niemand wie du kann für einen bestimmten Menschen zum Jemand werden … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)