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Zero Percent, maybe less

That's enough, I guess
von

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The Sense of Perfection - oder - Das Maß der Plage

Und da sah ich ihn.

Diesen großen, schlanken, durchtrainierten Mann. Dieser perfekte Körper, mit seinen perfekten Gliedmaßen, seinem perfekten Gesicht, seinem perfekten Teint, seinen perfekten Augen, seinen perfekten Lippen, seiner perfekten Stimme, seinem perfekten Lächeln. Der perfekte Mensch...

...für all diejenigen, die einen Cyborg einem echten Menschen vorziehen.
 

Hyde gehörte nicht dazu, und deshalb sah er Gackt mit anderen Augen als es die meisten Menschen auf diesem Planeten taten: mit seinen.

Und seine Augen sahen in ihm nicht den perfekten Sänger, den perfekten Schauspieler, den perfekten Künstler - sondern eher die perfekte Nervensäge.
 

„Hey, Hai-chan!“, begrüßte mich eine mir wohlbekannte Stimme, deren Klangkörper gerade einen der geräumigen Warteräume betreten hatte, in denen, wie der Name bereits andeutet, gewartet wird. In diesem Fall warteten die Künstler dort auf ihren Auftritt. Es war wieder einmal eine dieser alljährlichen Spezialsendungen - auch wenn sie so selbstverständlich waren, dass man sie im Grunde nicht mehr als sonderlich „speziell“ geschweige denn als etwas Besonderes ansehen konnte -, deren Moderatoren jedes Jahr aufs Neue wahnsinnige Lust zu verspüren schienen, ein paar billig aussehende Trophäen zu verleihen.

Normalerweise wurde man in solchen Warteräumen vollkommen in Ruhe gelassen, um sich auf den mehr oder minder großen Auftritt vorbereiten zu können. Also eigentlich wartete man in angenehm beruhigender Ruhe. Vor allem, wenn der Raum nahezu leer war. Ich schlussfolgerte daraus, dass Gackt - so dürr er war - mehr Platz als ein gewöhnlicher Mensch einnimmt, und seine Stimme eine Kooperation von mehreren gebündelten Stimmbändern sein musste.

„Wow! Deine Frisur ist atemberaubend! Sugee!“ Gackt schien kurz davor zu sein, meine Haare nicht nur zu bewundern, sondern sie auch anzufassen. Ich überlegte bereits panisch, wie ich mich aus dieser Lage befreien konnte. Die Lage, in Gackts Gesellschaft zu sein. „Hast du heute Abend nach der Show schon etwas vor?“

Meine Augenbrauen hoben sich ob des plötzlichen Themawechsels. „Wieso?“

„Ach, ich dachte nur gerade, dass ich dich mit so einer eleganten Frisur zu einem romantischen Candlelight Dinner mit acht Gängen in ein Fünf-Sterne-Restaurant einladen sollte. Und dich danach wahrscheinlich mit zu mir nach Hause nehmen, um angeblich noch einen Kaffee zu trinken, aber in Wirklichkeit... Du weißt schon, worauf solche Dinge hinauslaufen.“

Ich starrte ihn an, schockiert. „Nein, ich glaube, das weiß ich nicht... Zumindest will ich es nicht wissen, ich wer-“ „Wir sehen uns dann später.“, unterbrach er mich und fügte als Nachgedanke noch hinzu: „Und lass bitte deine Haare so. Ich liebe diese Frisur an dir.“ Damit drehte er sich um und ließ mich kopfschüttelnd zurück. Ich wandte mich wieder dem Spiegel vor mir zu, in dem ich mein Aussehen flüchtig überprüfen wollte, da ich kurz vor meinem Auftrittstermin stand. ~Dieser Charmeur... Soo toll ist die Frisur jetzt auch wieder nicht, oder? Und was denkt er sich eigentlich dabei, wenn er solche Dinge sagt? Candlelight Dinner! Zu wem alles sagt er so etwas eigentlich? - Die armen Leute von GacktJOB...~ Ich betrachtete mein Spiegelbild erneut mit etwas mehr Aufmerksamkeit. ~Gefällt ihm meine Frisur wirklich so sehr? Es hat dieses Mal gar nicht so aufgesetzt gewirkt wie sonst, wenn er irgendetwas sagt... Und wenn Gackt, DEM Gackt, etwas wirklich gefällt, dann will das etwas heißen, oder nicht? Dann muss es ja schon nahezu perfekt sein...~

„Ich liebe es noch viel mehr, wenn du so glücklich vor dich hin lächelst...“

Was?!“ Trotz der ruhigen, sanften Stimme fuhr ich erschrocken zusammen. Seine Aussage ließ mich befürchten, dass er mich schon öfters beim Lächeln beobachtet hatte. Doch dann wurde ich mir bewusst, dass er dazu wohl noch nicht allzu viel Gelegenheit gehabt hatte, und wie absurd dies ohnehin schien, hätte er mich doch jedes Mal mit Freude darauf aufmerksam gemacht. Er konnte wahrscheinlich gar nicht anders.

„Ich habe überhaupt nicht ’glücklich vor mich hin gelächelt’!

„Oh, doch, das hast du.“, meinte Gackt nur wissend.

Ich seufzte. „Schön, vielleicht habe ich das, aber du hast keine Ahnung, warum.“

„Oh, doch.“, meinte er erneut. „Es steht dir förmlich ins Gesicht geschrieben.“

Ich spürte deutlich, wie sich diese Schrift rot färbte. „Ach, denk doch, was du willst.“

Er lächelte amüsiert. „Also nimmst du meine Einladung an?“

Ich blickte ihn einen Moment fragend an, bevor ich verstand, was er soeben gesagt hatte.

„Nein!“

„Ich hole dich dann so gegen 7 ab.“

„Oi! Ich meine es ernst! Ich will kein Candlelight Dinner mit dir!“

Sein Lächeln verschwand mit diesen Worten. Sein Blick wurde schlagartig so traurig wie der eines kleinen Kindes, dem man sein Eis vor der Nase weggegessen, sein Lieblingsspielzeug weggenommen und es vor seinen Augen kaputt gemacht hatte.

„Und wenn es nur ein ganz normales Abendessen wäre?“, fragte er mit herzzerreißender Stimme.

Ich atmete genervt tief ein und noch tiefer wieder aus. „Na gut.“

Sein Hundeblick wurde augenblicklich ein selbstsicheres Grinsen, das mir deutlich zujubelte: „Ich wusste, dass ich dich rumkriegen würde!“ Doch sein Mund sagte es etwas anders: „Du bist so einfach rumzukriegen, Hai-chan. Du solltest besser aufpassen. Ich könnte ebenso gut auch ein Psychopat sein, der dich entführen und monatelang jede Nacht vernaschen will.“

„Bist du nicht?“, fragte ich sarkastisch nach und war stolz auf meine schlagfertige Antwort.

„Doch. Deswegen warne ich dich ja.“

Ich schaute entsetzt zu ihm auf. Er lächelte mich frech an und ließ seine Hand ganz leicht durch meine Haare fahren, als fürchtete er, meine Frisur zu ruinieren, indem er auch nur ein Haar an eine falsche Stelle strich. „Aber im Gegensatz zu den meisten Psychopaten werde ich sanft zu dir sein...“

Meine Augen weiteten sich noch mehr, auch wenn ich nicht mehr erwartet hatte, dass das noch möglich war. Mein Gesichtsausdruck ließ sein Grinsen nur noch breiter werden. Er kam einen Schritt näher, als ich gerade meinen Arm zu seiner Hand hob, um diese wegzuschlagen, als er mich flüchtig küsste.

Auf die Lippen.

Einfach so.

Ohne Vorwarnung.

Zu seinem Vergnügen.

Offensichtlich SEHR zu seinem Vergnügen.

„Ga-chan!“ Ich blickte mich hastig um, um zu sehen, ob uns jemand gesehen hatte. Ein Glück waren gerade nicht wirklich viele Leute in diesem Teil des Backstagebereichs. Eigentlich war niemand hier - außer ein gewisser Tontechniker, der gerade etwas in einem der Schränke zu suchen schien. Er hatte damit mittlerweile jedoch aufgehört oder zumindest innegehalten und starrte uns jetzt entgeistert an. Das tat er allerdings nur so lange, bis Gackt meinem Blick folgte und dem Tontechniker diesen „Jesus-Blick“ zuwarf, der ihn anschrie: „Just do it, do it, DO IT!“ Und er tat es: Er ging, so schnell ihn seine Beine tragen konnten, aus Gackts Reichweite.

„Also dann, bis heute Abend...“, frohlockte Gackt - nun wieder ein fröhliches Lächeln in seinem Porzellangesicht - und küsste mich erneut.

Auf die Lippen.

Einfach so.

Ohne Vorwarnung.

Zu seinem Vergnügen.

Offensichtlich zu seinem ALLERGRÖSSTEN Vergnügen.

Dieses Mal war ich absolut sprachlos vor Schock, Entsetzen, Verwirrung und blinder Wut. Vor allem war es „vor blinder Wut“. Ich hätte ihm an die Gurgel springen können - wenn er nicht so viel größer wäre als ich.

The Disaster of Dining - oder - Das Überraschungsmenü

Und da saß ich nun.

Auf dem Beifahrersitz einer seiner Sportwagen, auf dem Weg zu einem wahrscheinlich sündhaft teuren Restaurant. Doch solange er die Rechnung bezahlen würde, sollte mir das gleich sein. Oder sogar recht.

Als wir das Lokal betraten, wurden wir äußerst förmlich begrüßt und zu dem für uns reservierten Tisch geführt, an dem wir - äußerst förmlich - gefragt wurden, ob man uns die Mäntel abnehmen und zur Garderobe bringen dürfe. Gackt lehnte dies vorerst - ungehobelt - ab. Der Grund dafür stellte sich nach wenigen Sekunden heraus: Er stellte sich hinter mich und meinte zuckersüß: „Darf ich dir die Jacke abnehmen, Schatz?“

Ich befürchtete, meine Augen zu verlieren, so weit öffnete ich sie, bevor ich mir meiner peinlichen Lage wirklich bewusst und dementsprechend rot wurde. „Was soll das?!“, zischte ich, so leise wie möglich und so entrüstet wie ich mich selten gehört hatte.

Nachdem er meinen Mantel von meinen Schultern genommen hatte, gab er ihn der Bedienung, deren Augen nur hektisch von Gackt zu meinem Mantel sahen. „Jetzt dürfen Sie ihn mitnehmen.“ Seinen eigenen Mantel warf er noch beiläufig hinterher - auf den Arm der Bedienung natürlich. Die machte sich schnell auf und davon. Wir sahen sie für den Rest des Abends nicht wieder. Ein Kollege hatte sie abgelöst. Und das lag bestimmt nicht am Schichtwechsel.

Wenn das Lokal nicht wahnsinnig leer gewesen wäre, hätte ich es nach dieser Szene sofort wieder verlassen - wenn ich den Heimweg gewusst hätte.

Gackt drückte mich jedoch bereits auf meinen Platz, als ich noch darüber nachdachte, besser jetzt als später von hier zu fliehen, und setzte sich mir gegenüber. Was uns trennte, waren ein gedeckter Tisch und eine einsame, noch nicht brennende Kerze, über deren Docht ich Gackt ins Gesicht blickte. Als die andere Bedienung kam, zündete diese die Kerze an, nachdem sie uns die Speisekarte gereicht hatte. Damit hatte Gackt eines tatsächlich wahr gemacht: Es war ein richtiges Candlelight Dinner.

Dieser Gedanke führte unwillkürlich zu einem nächsten: Würde er das, was er außerdem gesagt hatte, ebenfalls wahr machen? Auch das über das „angebliche Kaffeetrinken“ danach, bei ihm in seiner schaurigen „Candlelight Wohnung“?

Ich versuchte, nicht mehr daran zu denken und lenkte meine Gedanken auf das Essen. Die Auswahl war fabelhaft.

„Deine Augen glänzen ja richtig vor lauter Vorfreude.“, meinte Gackt auf einmal. Ich sah zu ihm auf, bemerkte, während ich das tat, dass ich mich soeben wieder von ihm hatte beobachten lassen. Vielleicht war es doch schon öfters vorgekommen als zunächst angenommen; ich hatte es nur nie bemerkt. Oder einfach nicht darauf geachtet. Oder beides.

Ich setzte mich übertrieben aufrecht hin und sagte übertrieben förmlich - ich wusste nicht, weshalb ich dies tat: „Das Angebot ist nun mal exzellent.“ Mit meiner normalen Stimme fügte ich noch hinzu, was mir selbst eben erst bewusst geworden war, als ich all die Leckereien auf der Speisekarte las: „Und ich habe einen Mordshunger.“

„Das ist gut. Ich hatte ja ursprünglich geplant, dass wir beide das Überraschungsmenü nehmen. Eben das mit den acht Gängen. Aber du darfst dir natürlich auch etwas ganz anderes aussuchen. Du hast freie Wahl.“

„Uwah! Ich kann mich gar nicht entscheiden! Ich könnte das jetzt alles essen!“

„Dann bestellen wir halt alles einmal, und ich nehme das Überraschungsmenü.“, schloss Gackt aus meiner Aussage, legte die Speisekarte beiseite und suchte Blickkontakt mit einem Kellner.

„Nein, nein, nein, warte!“, versuchte ich ihn davon abzuhalten, jemanden zu uns zu rufen, um diese bizarre Bestellung aufzunehmen. „Du kannst doch nicht alles, was auf der Karte steht, bestellen.“

„Doch, natürlich. Das wäre schlimm, wenn sie es auf der Speisekarte stehen hätten, man es aber nicht bestellen kann.“ Meine Kinnlade drohte, nicht nur zu sinken, nein, sie drohte, mein Schlüsselbein zu brechen. Das konnte nicht sein Ernst sein... Hoffte ich.

Sicherheitshalber versicherte ich ihm, dass mir das Überraschungsmenü vollkommen reichen würde und ich wahnsinnig gespannt war, was uns aufgetischt würde. Ich war mir sicher, dass einige Köstlichkeiten dabei sein würden, ich war nur noch nicht sicher, ob Gackt mir das Essen verderben würde. Ich war mir allerdings ABSOLUT sicher, dass er dies konnte. Mit Leichtigkeit.

Bis zur Vorspeise schien alles vollkommen normal zu verlaufen - doch dann geschah das Unfassbare: Gackt verhielt sich wie ein normaler Mensch.

Nichts von seinem Cyborgsein war zu bemerken. Abgesehen von der Perfektheit seines Körpers vielleicht. Jedenfalls sprach er mit mir ganz normal. Sogar über normale Dinge: Beruf, Privates. Er formulierte normale Sätze, die mich zur Abwechselung mal NICHT wütend, sprachlos oder rasend machten. Er wirkte ganz normal und das Unglaublichste: NICHT PERFEKT.

Er hatte sogar ein Maiskorn aus Versehen über seinen Tellerrand gestoßen. Auf die TISCHDECKE. Die nun einen FLECK hatte. Direkt neben GACKTS Teller. - Warum hatte er noch keine Bedienung gerufen, um sich die Tischdecke wechseln zu lassen oder gleich einen neuen Tisch zu verlangen??? - Ich verstand die Welt nicht mehr. Oder zumindest Gackt. Nicht, dass ich ihn jemals mehr als einen Klecks Marmelade verstanden hätte.

„Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wie es wäre, ein Seepferdchen zu sein?“

Ich blinzelte ein paar Male. Ich musste zuvor geträumt haben und jetzt war ich wieder wach. Gackt war wieder normal - für seine Verhältnisse.

„Ähm, nein.“, antwortete ich dann, nachdem ich wieder das sichere Gefühl hatte, wach zu sein. Und KEIN Seepferdchen.

„Ich auch nicht.“, setzte er dann hinzu. „Aber ich schätze, es wäre ein schönes Leben. Du schwimmst so durch den weiten Ozean und bist völlig frei. Ungezügelt sozusagen. Und ungezähmt. Wild. Wild und frei. Zumindest so lange, bis du zwischen die Zähne eines Hais kommst.“ Ich starrte ihn einfach nur an. „Ich finde jedenfalls, dass Seepferdchen wunderschöne Geschöpfe sind. Ich denke, ich werde einen Song über Seepferdchen schreiben.“ Ich nickte langsam, doch nicht wirklich zustimmend. Wie auch? „Und ich werde dabei an dich denken.“

Mein Kopf stoppte inmitten seiner Nickbewegung. ~Was?!~

„Als ich deine Frisur gesehen habe, musste ich unwillkürlich an Seepferdchen denken. Ich weiß auch nicht warum, aber du erinnerst mich damit an ein Seepferdchen.“ Meine Augenbrauen hoben sich von selbst. „Und ich würde dich am liebsten einfangen.“ Mein linkes Augenlid zuckte. „Dir einfach ein kleines Lasso um deinen zarten Hals werfen.“ Mein rechtes tat es dem anderen gleich. „Doch dann würde ich dir diese schöne Freiheit nehmen, und das will ich nicht.“ Auf gewisse Weise beruhigte mich dieser Satz wieder etwas. Und doch fühlte ich mich noch nicht ganz sicher in meiner Seepferdchenhaut.

„Deshalb habe ich beschlossen, dich zu zähmen.“ Ich hatte es geahnt. „Ich werde dich dazu bringen, freiwillig zu mir zu kommen und in meinem Gehege zu leben.“ Mein Kopf senkte sich ungläubig. „Und an meiner Seite in Freiheit zu leben.“ Meine Augenbrauen stiegen noch höher. „Was sagst du dazu?“

Ich fühlte mich gerade eher wie ein Kaninchen als wie ein Seepferdchen. Genauer gesagt ein Kaninchen in der Tierhandlung, dem gut zugesprochen wurde, damit es, ohne viel zu zappeln, in sein neues Heim transportiert werden konnte, in dem es von mindestens drei Kindern gefoltert, nahezu zu Tode geknuddelt und als Reittier für Puppen missbraucht werden würde. „Ich würde dich auch regelmäßig ausreiten.“

Ich bemerkte, dass ich aufgehört hatte zu atmen, und sog schnellstmöglichst so viel Luft ein wie ich nur konnte. Ich fürchtete, es würden meine letzten Atemzüge in Freiheit sein.

„Na? Was sagst du dazu?“, fragte Gackt, als hätte er mir gerade von seiner neuen Songidee erzählt. Und auf gewisse Weise hatte er das auch. „Ich habe mir sehr viele Gedanken deswegen gemacht und entschieden, dass das die fairste Art und Weise ist, dich in Besitz zu nehmen.“ Ein entrüstetes Keuchen verließ meine Kehle. „Schließlich will ich dich ja zu nichts zwingen, nicht in deiner Freiheit einschränken oder dich gar von der Welt abschotten, um dich für mich alleine zu haben. Das heißt, das will ich schon, aber ich habe Tetsu gefragt und der meinte, das sollte ich besser nicht tun, weil du dich dann zu sehr sträuben würdest.“

„Tetsu hat WAS?!“, entfuhr es mir. Das konnte jetzt wirklich nicht sein Ernst sein! Er hatte doch nicht ernsthaft mit Tetsu über diese „Seepferdchensache“ gesprochen! Oder?!

„Ich habe ihn gefragt, was ich machen soll, weil du auf meine Annäherungsversuche in letzter Zeit so abweisend reagierst.“

In letzter Zeit??? Ich reagiere schon immer so!“, wandte ich empört ein.

„Das sah in Moon Child aber anders aus...“

„Was meinst du?“, wollte ich irritiert wissen.

„Da hast du mich liebevoll auf den Kopf geküsst.“, erklärte er.

Ich war kurz davor, meine Beherrschung zu verlieren. „Das war meine Rolle, du Idiot!“

„Bedeutet das, du hast gar nichts dabei gefühlt?“ Sein Blick ähnelte wieder diesem Kind. Dieses Mal schien man ihm sogar auch noch den Teddybären aus den Händen und den Kopf eben dieses abgerissen zu haben.

„Ich drehe noch durch...“, dachte ich laut und lehnte mich erschöpft in meinem Stuhl zurück, nur um mich dann sofort wieder nach vorne zu lehnen, nachdem mein Blick auf mein Weinglas gefallen war. Ich leerte es in einem Zug.

„Seepferdchen brauchen viel Feuchtigkeit, ne?“, bemerkte Gackt äußerst verständnisvoll lächelnd. „Ich bestelle uns noch mehr Wein.“ Er hob eine Hand zum Zeichen, dass er eine Bestellung aufgeben wollte. Sofort war der Kellner zur Stelle. „Eine Flasche von dem Wein, bitte.“

Das würde mein Untergang sein, das wusste ich. Der Kellner war innerhalb kürzester Zeit mit der Flasche Wein zurück und schenkte mir und Gackt nach. Und sobald mein Glas auch nur annähernd leer war - was sehr schnell geschah - stand auch schon der Kellner wieder neben mir und schenkte nach, und nach, und nach...

Ich wusste nicht mehr, wie viele Gänge es gewesen waren, die ich verschlungen hatte. Ich wusste nicht mehr, wie viele Gläser Wein es gewesen waren, die ich getrunken hatte. Ich wusste nicht einmal, wie viele Finger ich hätte sehen sollen, als ich meine Hände vor meine Augen gehoben hatte. Wie viele Finger hatten Seepferdchen?

Ich wusste nur eins: Gackts Satz „Willst du noch auf einen Kaffee mit zu mir kommen?“ löste Alarmglocken bei mir aus. Doch ich hatte vergessen, wovor mich dieser Alarm warnen sollte.

The Morning after - oder - Make-up und ab nach Hawaii

Und da lag ich nun.

Ich hatte meine Augen noch geschlossen, erwachte gerade erst aus meinem erholsamen Schlaf. Mein Körper fühlte sich jedoch seltsam an. Ungewöhnlich leicht. Zu leicht.

Er schien geradezu zu schweben.

Ich drehte mich etwas zur Seite, im Begriff meine Augen zu öffnen, und spürte eine eigenartige Bewegung um mich herum. Das war der Moment, in dem ich mir der Substanz bewusst wurde, in der ich eingebettet lag. ~Wasser?!~

Ich schlug entsetzt meine Augen auf und fand mich, nackt, in einer gefüllten Badewanne wieder. Panisch fanden meine Hände den Rand der Wanne und halfen mir, mich aus dem Nass zu erheben, doch ich kam nicht sonderlich weit. Ein flauschiges Seil, das um meinen Hals gebunden war, hielt mich sanft zurück. Ich war gefesselt. An die Badewanne selbst.

Das Wasser umspielte geräuschvoll meinen Körper, als ich wieder zurücksank. Meine Hände schlangen sich ungläubig um meinen Hals, wollten diesen von meinen Zügeln befreien. Da öffnete sich die Tür des Raumes, der offensichtlich ein Badezimmer war, und Gackt erschien, kam auf mich zu. Ein unglaublich breites Grinsen im Gesicht.

„Na, wie geht es meinem Seepferdchen in seinem neuen Zuhause?“ Meine Augen weiteten sich. „Hast du gut geschlafen?“ Ich wollte protestieren, ihn anschreien, ihn verfluchen und nach Hilfe rufen, doch meine Stimme wollte mir nicht gehorchen. Ich war mir nicht sicher, ob ich sie überhaupt noch besaß. Hatten Seepferdchen Stimmbänder?

„Ich habe Frühstück für dich! Feine Meeresalgen! Probier mal!“ Gackt hielt mir eine Schüssel unter die Nase. „Willst du nicht?“, schloss er aus meinem entsetzten Gesicht. „Hast du keinen Appetit oder isst du nur, was du selbst gejagt hast? Dich zu zähmen, dürfte dann doch schwieriger werden als ich dachte...“ Die Schüssel verschwand aus meinem Blickfeld und ein Sattel tauchte auf. „Dann werden wir eben gleich mit den Reitstunden beginnen...“
 

Ich fuhr keuchend auf. Meine Augen blickten sich hastig um, versicherten sich, dass sie sich nicht in einem Badezimmer befanden und ließen mich, durch dieses Wissen etwas entspannter, wieder zurück auf das weiche Bett unter mir sinken. Ich schloss die Augen und versuchte, meinen Atem zu beruhigen. Dann wurde ich mir der schrecklichen Kopfschmerzen und meiner trockenen Kehle bewusst. „Seepferdchen brauchen viel Feuchtigkeit, ne?“, hallte durch meinen Kopf.

„Guten Morgen, mein Seepferdchen...“ Ich schlug schlagartig die Augen auf.

Mein Blick suchte den Raum ab, in dem ich mich befand, auf der Suche nach dem Tierquäler. Ich musste nicht lange suchen: Gackt saß auf dem Bettrand und beobachtete mich. Ich fragte mich, wie lange er schon da saß und mich beobachtete.

„Na? Gut geschlafen?“

„Was tue ich hier? Warum hast du mich nicht nach Hause gebracht?“, fragte ich zurück.

„Ich habe dich doch gefragt, ob du noch einen Kaffee bei mir trinken willst. Aber leider warst du dazu dann doch zu müde. Dabei hätte der Kaffee dich ja wieder wacher gemacht. Na ja. Frühstück?“

Alleine von dem Klang des Wortes wurde mir schon schlecht. „Um Gottes Willen, nein.“

„Was ist um meines Willen?“

Ich stöhnte auf vor Schmerzen, als ich mich aufsetzte. „Kann ich eine Kopfschmerztablette haben?“

„Kommt sofort!“, frohlockte Gackt und verließ den Raum. Ich sah mich abermals um und bemerkte, dass neben dem Kopfkissen, auf dem mein Kopf bis eben gelegen hatte, ein zweites Kopfkissen lag, das aussah, als hätte dort ebenfalls ein Kopf gelegen. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich es gewesen sein konnte, der auch das zweite Kissen plattgelegen hatte. Vielleicht hatte ich mich heute Nacht wahnsinnig viel hin und her gewälzt. Ziemlich sicher sogar.

Doch plötzlich starb all meine Hoffnung, dass ich diese Nacht alleine in diesem Bett verbracht hatte: Make-up-Spuren auf dem Kissenbezug.

Diese Erkenntnis warf wiederum eine andere Frage auf. Ich blickte an mir hinunter und bekam die Antwort: Gackt hatte mich bis auf Shirt und Boxershorts ausgezogen.

Ich vergrub verzweifelt mein beschämtes Gesicht in meinen Händen. Plötzlich schoss ein Gedanke durch meinen Kopf wie ein schmerzhafter Pfeil: ~Wie spät ist es?! Megumi fliegt heute Mittag nach Hawaii für ein Fotoshooting! Das hätte ich fast vergessen!~

Ich stand hastig auf, schnappte mir meine penibel zusammengelegten Kleider vom Nachttisch und stürmte aus dem Raum. Mein Kopf war mir nicht gerade dankbar dafür. Als ich fast an der Badezimmertür angelangt war, kam mir Gackt mit einem Glas Wasser und einer Schachtel entgegen. Ich nahm ihm beides aus der Hand, schluckte eine Tablette und spülte sie mit dem Wasser hinunter, gab Gackt beides zurück und verschwand wortlos im Bad.

„Ich mache uns dann schon mal Frühstück!“, verkündete Gackt durch die Tür hindurch. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, etwas zu erwidern. Gackt würde es eh nicht verstehen.

Als ich angezogen, flüchtig gewaschen und gekämmt aus dem Badezimmer kam, hörte ich mein Handy klingeln. Ich tastete meine Hosentaschen ab, doch da war es nicht aufzufinden. „Ich werde rangehen.“, meinte Gackt, der im Flur stand, und lief daraufhin zum Wohnzimmertisch, auf dem tatsächlich mein Handy lag.

„Das wirst du nicht!“, rief ich ihm hinterher und wider Erwarten gelang es mir, ihm das Handy zu entreißen, bevor er größeren Schaden anrichten konnte.

„Ja?“, fragte ich in den Hörer. Der Tonfall der Stimme, die mir antwortete, gefiel mir gar nicht.

„Wo warst du? Warum bist du heute Nacht nicht nach Hause gekommen?? Und wieso bist du jetzt immer noch nicht hier??? Mein Flug geht in ein paar Minuten und du hast dich nicht einmal von mir verabschiedet! Ich werde dich auch nicht vermissen! Bis in zwei Wochen dann, wenn überhaupt!“ Damit legte Megumi auf, ohne mich auch nur einen Moment zu Wort kommen zu lassen, um etwas erklären zu können. Beziehungsweise, es mich zumindest versuchen zu lassen, etwas zu erklären. Denn es war schwierig. Schließlich war hier Gackt im Spiel. Und Gackt war nun mal schwierig. Und alles, was mit Gackt zusammenhing, war noch um einiges komplizierter.

Ich ließ den Kopf hängen. Es hatte ja alles doch keinen Sinn. Megumi würde nicht mehr abnehmen, würde ich sie zurückrufen. Und zum Flughafen würde ich es auch nicht mehr rechtzeitig schaffen. Na ja. In zwei Wochen wird sie mir verziehen haben.

Das wird sie doch, oder?

„So, ab jetzt hast du wohl zwei Wochen Ferien.“, meinte Gackt nur gut gelaunt.

„Woher weißt du das?“, fragte ich misstrauisch. SO laut hatte Megumi auch wieder nicht in den Hörer geschrieen, dass Gackt es noch hätte hören können, zumal ich mich gleich nach dem Abnehmen des Hörers von ihm entfernt hatte, aus Angst, er würde trotzdem noch in irgendeiner Form dazwischenfunken.

„Sie hat vorher schon etliche Male angerufen und dir auch ein paar SMSs geschrieben.“

Mein Mund öffnete sich vor Entrüstung. „Du hast meine SMSs gelesen?!

„Nein, also nicht alle, aber ich habe einen Anruf entgegengenommen.“ Mir fehlten wirklich die Worte. „Aber Megumi wollte die ganze Zeit nur, dass ich den Hörer an dich weiterreiche. Sie wollte einfach nicht verstehen, dass du gerade ganz niedlich geschlafen hast und ich dich einfach nicht aufwecken konnte.“ Mir fiel keine Steigerung zu „Mir fehlten wirklich die Worte“ ein. Mit anderen Worten: Mir fehlten die Worte, um eine Steigerung zu „Mir fehlten wirklich die Worte“ zu finden.

„Warum bist du dann überhaupt dran gegangen?“, fragte ich schließlich. Mein Verstand verstand es einfach nicht.

„Ich dachte, es wäre vielleicht besser, wenn ich dich wecken könnte, falls es etwas Dringendes ist, das du nicht verschlafen solltest.“

„Und Megumi schien dir nicht wichtig?!?“

„Nein. Sie wollte dir schließlich nur Vorwürfe machen. Genauso wie in ihren SMSs: nur dieses ‚Wie kannst du mich nur so kurz vor meinem Abflug einfach so alleine lassen? Wir werden uns zwei Wochen nicht sehen und dich scheint das gar nicht zu interessieren!’ So ein Gefasel halt.“

Es war jetzt noch um einiges schwieriger als am Tag zuvor, mich unter Kontrolle zu halten. Jetzt wollte ich ihm nicht nur an die Gurgel springen, ich wollte ihm den Hals viermal umdrehen und seinen Kopf immer wieder auf die Marmorfließen in der Küche schlagen.

Ich versuchte, mich wieder etwas zu beruhigen, da ich wusste, dass es keinen Sinn hatte, sich jetzt, nachdem man nichts mehr ändern konnte, aufzuregen, doch Gackt machte mir dies nicht gerade einfach. „Willst du vielleicht erst einmal ein Bad nehmen?“

„Nein!“ Die Vorstellung, ich, nackt, in SEINER Badewanne, löste - dank eines gewissen Traumes - eine Gänsehaut bei mir aus. „Alles, nur das nicht.“

„Dann gehen wir erst einmal frühstücken.“ Ich war erleichtert, dass er meine Aussage nicht wörtlich genommen hatte. Ich war nicht nur erleichtert, ich war verblüfft. Doch ich wagte nicht, mich deshalb auch nur einen Moment in Sicherheit zu wähnen.

Ich folgte ihm in die Küche, die so aussah als wären tausende von Wichteln permanent im Einsatz, um sie blitz und blank zu halten. Gackt öffnete den Kühlschrank, kramte etwas in dessen Tiefen herum, bis er einen fröhlich überraschten Laut von sich gab und meinte: „Ach, das hätte ich fast vergessen, ich habe ja noch von dem Algensalat!“ Ich hielt wachsam inne. In diesem Moment wurde ich mir schmerzhaft bewusst, dass ich Japaner und somit einem Seepferdchen wahrscheinlich gar nicht so unähnlich war. Zumindest, was die Ernährung betraf. Dachte ich. Doch Gackt würde mich noch an diesem Tag ausführlich über Seepferdchen aufklären. Ich würde lernen, dass sie nur lebendige Wesen fressen, bevorzugt Plankton, kleine Krebse und Garnelen. Bis auf Plankton konnte ich mit Sicherheit sagen, dass ich das alles schon des Öfteren gegessen hatte.

„Eine halbe Schüssel voll sogar!“ Er holte eben diese aus dem Kühlschrank hervor und hob sie mir unter die Nase. Ein Déjà-vu. Mein Gesicht wurde bleich.

Die Bilder aus meinem Alptraum kehrten wieder vor mein geistiges Auge zurück. Ich fühlte mich in den Traum zurückversetzt, doch ich war beruhigt, dass ich weder in einem Badezimmer noch nackt noch gefesselt war. Diese Tatsache erleichterte mich doch ungemein.

„Äh, nein, danke.“, lehnte ich trotzdem höflich ab. „Wirklich nicht. Nicht zum Frühstück.“ ~Wir Japaner sollten wirklich unsere Speisekarte überdenken...~

„Na gut, aber später musst du den unbedingt kosten! Glaub mir, das wirst du nicht bereuen!“ Meinereiner, Japaner hin oder her, war da anderer Meinung, doch ich nickte nur, in der Hoffnung, Gackt würde es bis später vergessen haben. Wann auch immer das sein würde. Erst einmal genossen wir ein - relativ - harmloses Frühstück. Auch das Wort „genießen“ ist relativ zu betrachten. Soll hier nur angemerkt sein.

„Nimm dir ruhig noch mehr.“, sprach mir Gackt gut zu. „Ich weiß ja, dass Seepferdchen ziemlich verfressen sind. Wusstest du, dass sie bis zu zehn Stunden am Tag damit verbringen, nur zu essen?“

Ich ließ meine Essstäbchen sinken. „So lange esse ich jetzt auch wieder nicht.“

Er lächelte mich an. „Wie süß. Ist dir das peinlich, ein kleiner Vielfraß zu sein? Ich finde es niedlich.“ Ich hätte im Boden versinken können, und es auch tun sollen, denn im nächsten Moment spürte ich Gackts Hand in meinen Haaren. Ich blickte fast schon ängstlich zu ihm auf. Ich fürchtete mich vor dem, was in seiner Nähe passieren konnte, und vor allem vor dem, was in diesem Moment passieren würde. Und es passierte etwas Schreckliches: Gackts Gesicht zeigte ein faszinierendes, funkelndes Lächeln. Und was noch viel schlimmer war: Er sprach auf einmal mit einer erotisch tiefen Stimme: „Das Praktische daran ist, wenn du ein Vielfraß bist, kann man dich leicht mit Essen locken...“ Ich wurde mir plötzlich auf ganz seltsame Art und Weise meines Körpers bewusst. Ein leichtes Kribbeln füllte ihn aus. „Gestern hat es ja auch funktioniert...“

Mein Mund öffnete sich aus Empörung. Ich hätte nicht gedacht, dass er so berechnend sein konnte. Egozentrisch, ja. Egoistisch, ja. Selbstverliebt, ja. Aber berechnend?

Ja.

„Ich werde dann jetzt mal gehen.“, meinte ich hastig und erhob mich von meinem Stuhl. „Danke für das Essen gestern und für das Frühstück gerade. Aber ich muss jetzt wirklich los.“ Ich vermied es, ihm ins Gesicht zu sehen, während ich dies sagte und machte mich stattdessen schon einmal auf den Weg zur Tür. Dort fand ich zwar meinen Mantel, doch meine Schuhe leider nicht. „Äh, Ga-chan, wo sind denn m-“, begann ich, doch stockte.

„Die brauchst du nicht mehr...“, flüsterte eine tiefe Stimme. Ich hielt den Atem an.

Etwas hatte sich von hinten um meinen Hals geschlungen, hielt mich nun sanft zurück.

Es war ein flauschiges Seil.

Temptations - oder - Fluchtmöglichkeiten

Und da stand ich nun.

Mein Körper erstarrt, mein Gesicht entsetzt, mein Hals in Ketten.

Na ja, „Ketten“ war vielleicht nicht der richtige Ausdruck, wenn man bedachte, wie kuschelig weich sich das Band um meinen Hals anfühlte. Ich hätte eigentlich versucht, das Kitzelgefühl zu ignorieren, wenn ich es bemerkt hätte, doch ich war zu sehr davon eingenommen, ein Standbild meiner Panik zu sein.

Als ich mir bewusst wurde, dass ich für mehrere Sekunden vergessen hatte zu atmen, schnappte ich nach Luft und meine Hände wanderten automatisch zu meinem Hals. Sie griffen nach den Fesseln und - lösten sie.

Gackt hatte losgelassen. Das flauschige Seil lag nun unbedrohlich in meinen Händen. Ich starrte es an, als erwartete ich, dass es jeden Moment wieder an meinen Hals springen würde. Und ich wusste, das würde es, wenn es sich wieder in Gackts Händen befände. Deshalb hielt ich es fest. Doch obwohl ich mich daran festhielt, hatte ich das Gefühl, keinerlei Halt zu haben. Es war, als würde mir Gackts diabolisches Grinsen den Boden unter den Füßen wegziehen. Oder ihn zumindest zum Wanken bringen. Wir wollen ja nicht unnötig übertreiben und die eh schon überspitzt bizarre Situation auch noch überspitzen.

Gackt stand einfach nur da. Doch er schaute mich an und das genügte eigentlich, um mir den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Aus einem Reflex heraus suchte ich seine Erscheinung ab, um sichergehen zu können, dass er keine anderen Waffen bei sich trug. Also nichts zusätzlich zu seinem Lächeln und seinem Körper.

Gackt folgte meinem Blick, schaute an sich selbst herab. „Gefällt dir, was du siehst?“

„Ich... Nein. Wie meinst du das? Natürlich nicht!“ Ich hoffte, dass es sich nur so anfühlte, mein Gesicht aber nicht wirklich rot anlief.

„Dein Blick sagt da aber etwas anderes...“, sagte er wieder in dieser tiefen, tief erotischen Stimme. „Er sagt: Wenn er noch einen Schritt näher kommt, weiß ich nicht, ob ich mich noch beherrschen kann...“

Als hätte ich geahnt, dass er jeden Moment auf mich zukommen würde, war ich bereits unbewusst ein Stück zurückgewichen. Ich wusste, ich hatte die Wahl zwischen

1. abwarten, was passieren würde und riskieren, dass genau das passieren würde, wovor ich Angst hatte oder

2. die Tür aufreißen und rennen, was das Zeug hielt, beziehungsweise was meine Füße aushielten, denen schließlich die Schuhe auf mysteriöse Art und Weise abhanden gekommen waren, oder

3. mit Gackt ruhig und sachlich über die Situation sprechen, um dann meine Schuhe zurückzubekommen und schlicht und einfach durch diese Tür zu spazieren, als wäre nichts gewesen.

Für mich war es eindeutig, was ich wählen würde. Da gab es nur noch ein kleines Problem: Die Tür war verschlossen.

Ich ging die verbleibenden Möglichkeiten noch einmal durch: Vor Möglichkeit 1 hatte ich zu große Angst, vor allem jetzt, da mein gescheiterter Fluchtversuch ein noch teuflischeres Lächeln in Gackts Gesicht gezaubert hatte, und Möglichkeit 3 fiel aufgrund des Unmöglichkeitsfaktors heraus. Ich konnte also nur noch eins tun: mir eine vierte Möglichkeit ausdenken. Allerdings war ich mir nicht bewusst, dass das bedeutete, vorerst Möglichkeit 1 zu wählen.

Gackt kam beunruhigend langsam, nahezu genüsslich, auf mich zu.

„Ach, Haido-chan... Es sieht ja geradezu so aus, als hättest du Angst vor mir.“ Ich hoffte, er wusste, dass es nicht nur so aussah. „Dabei will ich dir doch nur unbedingt etwas zeigen.“ Ich hielt vorsichtig inne, wollte keine Fluchtmöglichkeit verpassen. „Ich habe nämlich einen neuen Song geschrieben.“, fing er plötzlich gut gelaunt an. „Und ich wollte, dass du der Erste bist, der ihn lesen darf.“ Ich starrte ihn ungläubig an. War das der Grund, weshalb er die Tür ver- und mich damit in seiner Wohnung eingeschlossen hatte?! Er wollte mir etwas zeigen?!? „Du solltest dich geehrt fühlen.“ Ich fühlte mich eher in den Wahnsinn getrieben und darin eingesperrt.

Er holte ein Blatt Papier von einem kleinen Tisch, der ganz in der Nähe in einer Ecke stand, und hielt es mir hin. Meine Hand zögerte, dann nahm sie ihm das harmlos wirkende Papier ab und ich las, wenn auch etwas widerwillig:
 

Schwimm, mein kleines Seepferdchen

Schwimme in die weite Welt hinaus

Doch vergesse nie, wo du Zuhaus
 

Schwimm zurück, jederzeit

Zögere nicht, ich warte auf dich

Denn du weißt, ich liebe dich
 

Lass mich dich zähmen

Sei mein treuer Begleiter

Du mein Pferd, ich dein Reiter
 

Es herrschte eine leere Stille.

„Das ist nicht dein Ernst oder?“, fragte ich ihn, auch wenn ich fürchtete, die Antwort bereits zu kennen.

„Nein, das war nur Spaß.“ Ich hatte mich täuschen lassen. „Hier der richtige Songtext.“ Er reichte mir ein zweites Blatt und ich las, noch widerwilliger:
 

Ich verliebte mich in dich

Als ich dich das erste Mal an mir vorbeischwimmen sah

Deine zarte Gestalt, dein prächtiges Haar

Verzauberten mich augenblicklich
 

Ein kleiner Hengst, so ungezähmt

Deine Unschuld ist es, die mich lähmt

Sie hindert mich, dich einzufangen

An dir zu stillen mein Verlangen
 

Wild und frei schwimmst du durchs Leben

Wie könnte ich dir dies nur nehmen?

Doch wie sollte ich das nicht?

Bist du doch mein einz’ges Licht
 

Ohne dich wäre der weite Ozean leer

Leer von Wärme, leer von Farbe, leer von Meer

Ganz gleich wie viele Geschöpfe es auf dieser Welt gibt

Giraffen, Hamster, Eichhörnchen und Erdmännchen

Ich liebe nur dich, mein Seepferdchen
 

Es herrschte eine noch leerere Stille.

„Das ist auch nicht wirklich besser!“, brach es aus mir heraus. Ich fühlte mich ehrlich gesagt gerade ziemlich verarscht, ich kam mir vor wie in einem schlechten Film, oder einer schlechten Fanfic. Wenn er jetzt noch ein drittes Blatt hervorholen und darauf ein wundervoll poetischer Text mit der gleichen Thematik stehen würde, wüsste ich es ganz sicher. Und würde ihm an die Gurgel springen. In Fanfics war schließlich alles möglich.

„Na gut, auch der war eigentlich nur Spaß. Den - jetzt aber wirklich - ernsthaften habe ich hier.“ Er holte ein drittes Blatt hervor.

Das war der Moment, in dem meine Sicherungen durchbrannten. Mit einem Wutschrei sprang ich an ihm hinauf, meine Hände zu seiner Gurgel ausgestreckt. Doch dort kamen sie nie an. Gackt hatte seine Arme gehoben und meine von ihrem Kurs abgebracht, was dazu führte, dass sie sich um - und ich mich an - seinen Hals warfen.

„Du gehst heute aber ran.“, meinte er überrascht. Ich spürte sein breites Grinsen an meiner Stirn. „Also hast du die gut versteckten tiefen Gefühle aus meinen Songtexten herausgelesen und willst mir zeigen, dass sie nicht einseitig sind?“ Empört, entsetzt und zutiefst schockiert, wollte ich ihn von mir stoßen - oder eher ich mich von ihm - und auf Abstand gehen, doch er hielt einfach meine Oberarme fest und ich war machtlos. Das Einzige, was mir blieb, war, mit meinen Beinen zuzutreten. ~I gotta kick - start now!~, schoss es durch meinen Kopf. Doch ich konnte es nicht.

Was hielt mich davon ab? Hatte ich Angst vor Gackts Reaktion, falls ich seinem perfekten Körper tatsächlich einen blauen Fleck bescheren sollte? Oder wusste ich, dass wild mit den Beinen zu zappeln nicht viel nützen, selbst wenn ich hier und da seine Beine treffen würde? Ich wusste es nicht.

Da ließ Gackt plötzlich meine Arme los, ließ mich frei, wie zuvor mit dem flauschigen Seil, das ich übrigens noch immer in der Hand hielt. Ich war verblüfft - im ersten Moment. Denn im zweiten erkannte ich, dass er meine Oberarme nur losgelassen hatte, um seine Hände in einer festen Umarmung gegen meinen Rücken - und somit meinen Körper an seinen - pressen zu können.

„Ga-chan, lass mich los!“, protestierte ich nach einer Weile, in der ich nach Luft, meiner Stimme und meiner Fähigkeit zu sprechen gesucht hatte.

Und er tat es. Er ließ mich einfach los.

Langsam hatte ich das Gefühl, dass er mit Tetsu verschiedene mögliche Szenarien durchgegangen war und sich Rat geholt hatte, wie er in den jeweiligen Situationen am besten handeln sollte.

~Memo an mich selbst: Tetsu danken, dass er zumindest versucht hatte, Gackt ein bisschen Anstand beizubringen, was mir hier gerade sehr zu Gute zu kommen scheint, und ihn dafür umbringen, dass er Gackt nicht einfach komplett von jeder mich betreffenden Idee abgebracht hatte.~

Nun lag eine grausam unentschlossene Stille zwischen uns. Ich wusste nicht, ob die Unentschlossenheit nur von meiner Seite kam, doch von seiner Seite kam eben nichts außer seinem mich beobachtenden Blick. Ich musste das Schweigen brechen. Egal wie. Mein Herzschlag dröhnte zu sehr in meinen Ohren.

„Wann hast du diese Texte eigentlich geschrieben? Ich dachte, die Idee mit dem Seepferdchen wäre dir erst gestern in den Sinn gekommen?“, war das Erste, das mir in den Sinn kam.

„Ja, das stimmt. Ich habe sie auch erst heute Nacht geschrieben. Ich konnte nicht schlafen, weil du neben mir lagst.“ Hier war die Antwort auf die Frage: „Hatte ich die Nacht alleine in diesem Bett verbracht?“ Sie war recht eindeutig.

„Und als ich dich so betrachtet habe, fielen mir diese Textzeilen ein und ich wollte sie für dich aufschreiben.“, erklärte Gackt weiter und ich versuchte, an gewisse Textzeilen nicht zu denken.

„Ich hoffe, du willst das nicht ernsthaft in irgendeiner Art und Weise vertonen.“ Es war mehr eine unsichere Frage. Ich zweifelte langsam an seinem Talent als Songwriter.

„Doch, natürlich.“ Er schaute mich leicht überrascht an, ich blickte überraschter zurück. „Allerdings nur diesen Text hier, nicht die beiden, die du gelesen hast.“

„Ich hoffe für dich, dass der besser ist.“, ließ ich rücksichtslos verlauten.

„Lies ihn und du weißt es.“ Er reichte mir das Blatt Papier und ich begann abermals zu lesen, dieses Mal weniger widerwillig als vielmehr gespannt, ob es auch nur eine kleine Steigerung zu den anderen beiden Texten darstellte:
 

Watching you sleep

Waiting beside you

Lying awake

Still dreaming of you
 

When you are sleeping

There’s nothing left to be seen

Of your insecurity and pride

That’s changing with the tide
 

You hide yourself

You’re changing your colours

Whenever I think

I’ve seen your true colours

You’d turn away

Would conceal your contours

You avoid me

Simply taking detours
 

You are so shy

Tend to run away

You seem so fragile

Always taking the safer way
 

You are so small

But still you look majestic

Like a sea horse

Your shape so fantastic
 

Wild and colourful

You’re riding through the seas

Not meeting me but now and then

Can’t you hear my pleas?
 

You make me want to catch you

Make me want to possess you

You make me want to tame you

Made me obsessed with you
 

I want these beautiful colours to be mine

Want to be the one to make them

change

I want this delicate body to be mine

Want to keep it safe, even if it requires

chains
 

Er hatte meine Erwartung doch etwas übertroffen. Eine Steigerung zu den anderen beiden war immerhin zu erkennen. Doch ich hatte beim Lesen gar nicht zu sehr auf die Qualität des Textes geachtet, zu sehr hatte mich die Bedeutung abgelenkt.

„Und?”, fragte Gackt, nachdem ich meine Augen von dem Blatt Papier ab- und dem flauschigen Seil in meiner Hand zugewandt hatte. „Wie findest du es?“

„Beängstigend.“ Gackt schaute mich fragend an, doch ich würde es ihm nicht erklären.

„So, ich habe alle Texte gelesen, die du mir zeigen wolltest. Kann ich jetzt gehen?“, fragte ich hoffnungsvoll. Ich war mir sicher, dass Tetsu ihm zu diesem Szenario auch einen Ratschlag gegeben haben musste.

„Nein, doch nicht jetzt schon...“, sagte er leise, seine Stimme wieder zu tief für meinen Geschmack. Ich starrte ihn an. „Ich will dir noch mehr zeigen...“

An seinem Tonfall erkannte ich, dass es sich dieses Mal nicht um etwas mehr oder minder Harmloses wie Songtexte handeln würde. Nein, da war ich mir ganz sicher. Vor allem, als er begann, sein Hemd aufzuknöpfen.

The Striptease - oder - Das Entkleidungstheater

Und da stand er nun.

Halbnackt. Direkt vor mir. Sein Hemd lag achtlos auf dem Boden zu seinen Füßen.

~Dieser perfekte Oberkörper... Womit habe ich das verdient?~ Also, ich meinte nicht, warum man mir einen so gacktlichen - äh, göttlichen - Anblick schenkte, sondern warum man mir das antat, mich in so peinliche Situationen zu bringen. Ich versuchte, nicht daran zu denken, was genau es war, das Gackt mir zeigen wollte, doch ich erwartete, dass seine Hände jeden Moment zu seinem Hosenknopf wandern würden. Ich ertappte mich dabei, wie ich ebendorthin starrte und praktisch darauf wartete, dass sie es taten. Und sie taten es.

„Willst du, dass ich das auch noch ausziehe?“, fragte er mich dann mit einem so dämonischen Grinsen, wie ich es noch nicht gesehen hatte. Auf keinem Gesicht. Und erst recht nicht auf einem so perfekten.

Nein!“, platzte es ungehalten aus mir heraus.

„Na gut. Ich wollte dir auch eigentlich nur das hier zeigen.“ Er drehte mir seinen Rücken zu und ich dachte, er würde aus dem Raum gehen, doch dann sah ich es: ein Tattoo. Ich korrigiere: MEIN Tattoo.

Nun befürchtete ich wirklich, dass meine Augen aus ihren Höhlen fielen.

„Aber-“ Ich keuchte. „Aber das-“ Ich schüttelte ungläubig den Kopf. „Warum um Gottes Willen hast du dir dasselbe Tattoo machen lassen?!“

„Als Liebesbeweis natürlich.“ Vieles, was er sagte, klang so selbstverständlich, als fragte er sich, weshalb ich dazu etwas fragen musste.

„Hat dir diese Flausen auch Tetsu in den Kopf gesetzt?!?“

„Nein, da bin ich ganz alleine drauf gekommen.“ Ich rollte mit den Augen. „Gefällt es dir denn nicht? Es wird sich eh sehr schnell wegwaschen... Leider...“

„Es- Es ist gar nicht echt?!“ Hoffnung durchströmte mich.

„Nein, ich bitte dich. Es ist eins deiner Tour Goods, erinnerst du dich? Ich habe es mir auf einem der Vamps-Konzerte geholt. Ich kann doch meinen perfekten Körper nicht absichtlich so beflecken! Also, nicht, dass es bei dir nicht umwerfend aussehen würde, aber ich habe einen gewissen Ruf zu wahren. Und dazu brauche ich perfekte, makellose, einheitlich blasse Haut. Du verstehst schon.“ Ich war unglaublich erleichtert. Wenn dieses Tattoo wirklich echt gewesen wäre, dann hätte ich Gackt auf der Stelle seine Haut abziehen und verbrennen müssen, um alle Beweismittel zu vernichten. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was es für einen Tumult auslösen würde, wenn die Presse von so einer Aktion Wind bekommen würde. Eigentlich war es schon riskant genug, wenn es nur ein Fake war; Gerüchte konnten sich trotzdem rasend schnell verbreiten und ich würde im Boden versinken, wenn man mich in einem Interview oder gar in einer Live-Sendung darauf ansprechen würde. Ich würde alles leugnen. Egal, was sie zu mir sagen würden, ich würde nur meinen Kopf schütteln und alles abstreiten. Wahrscheinlich würde ich sogar behaupten, Gackt überhaupt nicht zu kennen.

Ich bemerkte, dass Gackt mich beobachtete; und das Einzige, das ich tat, war, gedankenverloren seinen mit MEINEM Tattoo verzierten Rücken anzustarren. Eilig sagte ich etwas, um von dieser Tatsache abzulenken: „Wann warst du eigentlich auf einem Vamps-Konzert? Davon wusste ich gar nichts...“, wunderte ich mich.

„Hai-chan... Natürlich weißt du das! Ich habe Schlagzeug gespielt.“

„Ach so, ja klar, Halloween...“ Bilder fluteten mein geistiges Auge.

„An diesem Abend hatte ich echt Schwierigkeiten, meine Hände von dir zu lassen.“, begann Gackt träumerisch. „In diesem Hochzeitskleid sahst du einfach atemberaubend aus - besser als jede Frau!“

„Äh, danke.“ Ich wusste nicht, ob ich mich in dieser Situation über Komplimente von Gackt freuen sollte. Vor allem, wenn sie mein Aussehen und meine Weiblichkeit betrafen. Nichtsdestotrotz färbte sich mein Gesicht leicht rötlich bei dem Gedanken an das Konzert...

„Aber ich war auch auf anderen Vamps-Konzerten als nur auf dem Halloween Live.“, begann Gackt plötzlich wieder. „Sie waren atemberaubend! Nur eins hat mir ganz und gar nicht gefallen: wie du mit Kaz umgehst...“

Meine Augenbrauen hoben sich fragend. „Was meinst du?“

„Na, dass du ihm auf der Bühne so nahe kommst, einen Arm um ihn legst - wenn du beide Hände frei hättest, würdest du bestimmt auch BEIDE Arme um ihn legen - und dass du ihn sogar KÜSST!“ Er schien empört. „Ich will mir gar nicht ausmalen, was ihr dann erst HINTER der Bühne oder gar PRIVAT miteinander treibt.“ Eine Augenbraue senkte sich wieder. „SAG ES MIR!“

„Kaz und ich? Nichts natürlich. Also nicht viel...“ Gackts Gesicht wirkte mit einem Mal entsetzt.

„Was heißt ‚nicht viel’?“, fragte er schockiert, scheinbar das - für ihn - Schlimmste befürchtend.

„Warum willst du das überhaupt wissen? Ich darf tun und lassen, was ich will.“

„Oh, nein, Haido-chan... Nicht, nachdem ein Sexgott ein Auge auf dich geworfen hat!“

Jetzt waren wieder beide Augenbrauen oben und überschauten die Lage, sofern ihnen das in dieser verhältnismäßig tiefen Höhe möglich war.

„Ga-chan...“, begann ich in beruhigendem Ton. „Ein ‚Sexgott’ kann vielleicht... eine Sache ziemlich gut, aber zu einer Beziehung gehört nun mal n-“

„Reicht das nicht? Ist das nicht das Wichtigste in einer Beziehung???“

„Äh, nein.“, antwortete ich hastig. Eigentlich hatte er so verdammt recht. Natürlich war - für jeden Mann zumindest - Sex das Allerwichtigste überhaupt. Und als ich so recht darüber nachdachte, fiel mir auf, dass mit Megumi im Bett nicht sonderlich viel passierte. Sie wollte keine neuen... Sachen ausprobieren, tat nichts, was sie nicht auch bei unserem ersten Mal schon getan hätte und sonderlich viel Zeit hatte sie auch nicht dafür übrig.

„Bist du da sicher?“, fragte Gackts Stimme plötzlich ganz nahe an meinem Ohr.

Ich wich zurück, eine Gänsehaut am ganzen Körper. „Ziemlich. Doch, ziemlich sicher.“, antwortete ich unbestimmt. Meine Beine bewegten sich unbewusst weiter.

„So sicher siehst du aber gar nicht aus...“ Meine Fersen stießen gegen eine Wand. Gackt stand direkt vor mir. Seine Hände kamen auf mich zu. Ich hielt den Atem an.

„Sei doch mal ein bisschen ehrlicher zu dir selbst, Hai-chan...“ Seine linke Hand hatte zu meinem Hals gefunden. Gackt musste meinen schnellen Puls dort einfach spüren.

„Ich belüge mich selbst nie.“, ließ er mich wissen. „Ich gebe jetzt zum Beispiel offen und ehrlich zu, dass ich dich - wenn es sein muss, mit Gewalt - am liebsten hier und jetzt nehmen würde.“ Ich war erstarrt. „Ja, ich will dich - wegen mir gleich hier an diese Wand - nageln, wie ein schönes Bild, das ich nie wieder in meiner Wohnung missen will.“ Wie konnte man nur eine so harmlose Metapher für etwas Sowas-von-nicht-Jugendfreiem finden?!?

Mein Blick war, ebenso starr wie mein ganzer Körper, auf sein Gesicht gerichtet, doch ich sah sein funkelndes Lächeln kaum. Zu viele Bilder überströmten mich. Bilder, die mich und ihn nackt zeigten. Bilder, die mich und ihn verschwitzt zeigten. Bilder, die ich schon einmal irgendwo gesehen hatte. Bilder aus der Sauna waren es jedenfalls nicht.

~Oh, mein Gott!~ Anmerkung: Dies war keine Anrede für die Person, die gerade vor mir stand. Auch nicht in Gedanken. Dort höchstens „Sexgott“, aber niemals „Gott“. ~Sind das Bilder aus meiner Vorstellung oder habe ich das alles einmal geträumt?~ Und bedeutete das nicht, dass sie in jedem Fall meiner Fantasie entsprungen waren?!?!

„Aber...“, fuhr Gackt mit dieser verdammt tiefen Stimme fort. Am liebsten hätte ich ihn die Luft aus einem Heliumballon einatmen lassen. „Ich will mein neues Spielzeug ja nicht gleich mit dem ersten Spiel kaputt machen... Ich will doch viel länger meinen Spaß damit haben... So lange es eben geht...“ Er seufzte. „Leider leben Haustiere gewöhnlich nicht besonders lange...“ Ich hatte es geschafft, die Bilder zu verdrängen und ihn wieder anzusehen. Es war ein Fehler. Seine blauen Augen durchbohrten mich. Ich fühlte mich bereits davon an die Wand genagelt.

„Gerade Seepferdchen sind äußerst empfindliche Tiere.“ Seine Hand hatte begonnen, mir sanft durchs Haar zu fahren. „Aber ich werde gut für dich sorgen und dir alles besorgen, was du willst. So oft du willst...“ Seine rechte Hand legte sich auf meine Schulter, strich meinen Arm entlang, meine Hüfte hinab und noch ein Stück tiefer und wieder hinauf, um mein Shirt dabei mit nach oben zu schieben. Seine linke Hand an meinem Hals hatte schon eine deutliche Reaktion meines Pulses gezeigt, doch seine rechte an meiner nackten Hüfte verdoppelte die Geschwindigkeit meines Herzschlages mit Leichtigkeit.

Abgesehen davon, dass ich durch meine Ganzkörperstarre ohnehin bewegungsunfähig war, wurde ich mir plötzlich dessen bewusst, dass mich meine Hände vor denen Gackts gar nicht schützten, sondern sie sich nur tatenlos an der Wand hinter mir abstützten, was wahrscheinlich der einzige Grund war, weshalb ich überhaupt noch stand.

Langsam kam Gackts grinsendes Gesicht näher. Sein Atem traf auf meinen, unsere Augen hielten den Blickkontakt - von meiner Seite eher ungewollt. Plötzlich griff einer seiner Arme um mich und presste mich an seinen Körper. Ich war in dieser Position nun regelrecht gezwungen, zu ihm aufzusehen, wenn ich nicht gerade seine nackte Brust anstarren wollte, und er hörte nicht auf, lächelnd auf mich herabzusehen. Ich spürte seinen Atem immer deutlicher und ebenso die Wärme, die von seinem freien Oberkörper ausging. Mit einem Mal fühlte ich mich eigenartig. ~Das ist alles nur ein Traum, das ist alles nur ein Traum...~ Ich schlug die Augen auf.

„Nicht einschlafen, mein kleiner Seedrache...“, hauchte diese tiefe Stimme direkt in mein Gesicht. „Dafür ist es noch ungefähr acht Stunden zu früh...“

Was sollte ich nur tun? Die Tür war verriegelt, jede Hoffnung auf ein vernünftiges Gespräch mit meinem Gefängniswärter vergeblich, jegliche Hilfe unwahrscheinlich, jeder Blick ein Fehler, der letzte Rest an klarem Verstand durch die übermäßige Berührung ausgemerzt, jeder Gedanke an Flucht längst ausgelöscht. Ich war ihm hilflos ausgeliefert.

Gackt schloss seine Augen und seine Lippen kamen auf meine zu. Ich wusste nicht, ob aus Furcht oder aus welchem Grund, doch auch ich schloss meine Augen und wartete auf den Aufprall seiner Lippen. Und er kam. Unglaublich sanft, einer Feder gleich, berührten seine Lippen meine Haut. Genauer gesagt, meine Stirn.

Ich fragte mich, ob das seine Absicht oder ob es nur ein Fehler seinerseits gewesen war, die Augen so früh geschlossen zu haben, ohne vorher richtig unseren Größenunterschied eingeschätzt zu haben. Ehrlich gesagt war ich mir da nicht ganz sicher. Wenn es jedoch ein Versehen war, dann überspielte er es ziemlich gut.

Gackt lächelte mich an, als hätte er gerade das Schönste erlebt, dass er sich vorstellen konnte. ~Meine Stirn zu küssen?!~

Die Hand, die nicht damit beschäftigt war, meinen Körper kontinuierlich an seinen zu pressen, was mir übrigens langsam aber sicher unangenehm wurde, vor allem weil sie sich unter meiner Kleidung befand, strich lasziv meine Taille entlang, dann meinen Rücken hinauf und wieder hinunter, bis sie einen scheinbar schönen Platz auf einem kleinen Polster genau unterhalb meines Rückens gefunden hatte. Er drückte dieses Polster leicht. Das war der Moment, in dem sich ernstlich etwas in meiner Hose zu regen begann. Es schien geradezu zu vibrieren vor Anspannung.

„Hai-chan?“ Ich verfluchte ihn dafür, mich in dieser Situation zum Sprechen zu zwingen. Ich suchte verzweifelt nach meiner Stimme und versuchte, diese Heiserkeit daraus zu verbannen.

„Ja?“, brachte ich mühsam hervor.

„Dein Handy klingelt.“, ließ er mich wissen und löste langsam seinen Klammergriff.

„Was?!“, meinte ich entsetzt und hörte es plötzlich auch, dabei hätte ich es wohl am ehesten spüren sollen, wie es in meiner Hosentasche vibrierte. Ich war unendlich dankbar. Erstens dafür, dass ich wieder Hoffnung gewonnen hatte, da mich dieser Anrufer vielleicht aus meiner prekären Lage retten konnte und zweitens, dass die Vibration allem Anschein nach - Gott sei Dank - nur vom Handy stammte.

Hastig fummelte ich das bebende Gerät aus meiner Hose und nahm ab. Zu spät. Es hatte gerade zu klingeln aufgehört. Ich fühlte mich wieder vollkommen allein.

„Auch gut.“, meinte Gackt zufrieden, als er verstand, dass der Anrufer schon aufgegeben hatte.

„Ich- Ich werde wohl besser zurückrufen. Vielleicht war es wichtig.“, versuchte ich ihm plausibel zu machen und entfernte mich bereits ein Stück in Richtung Badezimmer. Oder mit anderen Worten: in Richtung eines Raumes, den man abschließen konnte.

„Wenn es wirklich wichtig ist, dann ruft er wieder an.“, sagte Gackt und machte damit und mit einem Griff nach meinem Handgelenk meinen neuen Fluchtversuch nichtig.

Es wollte gerade wieder Panik in mir aufsteigen, da klingelte mein Handy tatsächlich erneut und ich zögerte keine Millisekunde, das Gespräch anzunehmen. Ich würde jetzt selbst mit einem Hund telefonieren, oder sogar mit einer wütenden Megumi. Hauptsache, ich hatte etwas Zeit, um mich wieder zu sammeln, bevor ich erneut Gackt gegenübertreten musste. Doch es war weder ein Hund noch Megumi, es war schlimmer: Tetsu.

„Hallo, Doiha! Na? Bist du noch bei Gackt?“ Ihm hätte ich ohne Probleme an die Gurgel springen können, wenn er vor mir gestanden hätte. So groß war er nicht.

„Ja, das bin ich.“, sagte ich gedehnt. Mein Geduldsfaden stand kurz vor dem Reißen.

„Wirklich?“, fragte er überrascht. „Wow. Das war eigentlich nur ein Scherz. Ich habe mich zwar mit Gackt unterhalten, wegen dir, aber ich dachte nicht, dass er das, was ich ihm gesagt habe, als ernsthaften Ratschlag ansehen würde. Das war nur ein Scherz, wirklich.“

„Ach, wirklich?“, sagte ich in nahezu freundlichem Tonfall. „Was genau hast du ihm denn geraten?“ Tetsu schwieg einen Moment am anderen Ende der Leitung.

„Was genau... hat er denn... gemacht?“, fragte er dann vorsichtig, als fürchtete er, auch Dinge, die noch nicht eingetroffen waren, preiszugeben, was ihn einen oder zwei Köpfe mehr kosten würde.

Ich schaute vom Boden, auf den ich während des Telefonats gestarrt hatte, auf und erblickte Gackt, geduldig wartend, als hätte er alle Zeit der Welt und als würde es ihm eigentlich schon genügen, mich vor sich stehen zu haben.

Mich von seinen Augen losreißend, ging ich schnellen Schrittes ins Badezimmer und verriegelte die Tür hinter mir. Ich atmete erleichtert aus. „Tet-chan.“, nahm ich das Gespräch wieder auf, meine Stimme wieder normal, bis auf den leicht panischen Unterton. „Du musst mir helfen, okay? Hol mich hier raus. Weißt du, wo Gackt wohnt?“

„Äh...“, war nicht das, was ich gerade von Tetsu hören wollte. „Eigentlich nicht, nein. Ich war noch nie bei ihm. Was soll ich da?“

„Du setzt dich jetzt sofort in dein Auto und fährst hierher!“, befahl ich ihm. „Du bist schuld, dass ich in diesem Schlamassel stecke und deshalb holst du mich auch wieder hier raus! Und zwar sofort! Ich drehe langsam durch!“

„Ganz ruhig, Doiha...“, versuchte Tetsu auf mich einzureden, doch es half alles nichts.

„Ich bin hier eingeschlossen, verdammt!“, schrie ich in den Hörer. „In zweifacher Hinsicht!“ Meine Beherrschung hatte sich verabschiedet. „Er lässt mich nicht mehr gehen und be-“ Beherrschung hin oder her, manche Wörter kamen einem niemals leicht über die Lippen. „Und er...“

„Hat er dich auf die Stirn geküsst?“, fragte Tetsu auf einmal.

„Ja, woher wei-? - Du hast ihm gesagt, dass er das tun soll?!“

Tetsu zögerte wieder etwas. „Also, ich... Ich habe nur am Rande bemerkt, dass du das sehr gern hättest...“, versuchte er sich aus der Schlinge zu ziehen.

„Oh, nein! Komm mir nicht so! Was hast du ihm noch alles in den Kopf getrichtert?“

„Also...“ Tetsu schien in einem schweren Zwiespalt zu stecken. „Hat er... dich zum Essen eingeladen?“, fragte er behutsam.

„Ja...“, antwortete ich mit knirschenden Zähnen.

„Dich... mit Wein abgefüllt?“

„Ja...“

„Dich... mit nach Hause genommen?“

„Ja...“

„Dich... nackt in sein Bett... gelegt?“

Ich atmete tief ein und aus, immer geräuschvoller, doch es half in keinster Weise, mich auch nur einen Tick zu beruhigen. „Nein! Aber warum hast du ihm so einen Scheiß überhaupt erzählt?!

„Sorry, Doiha. Ich habe mir einfach nur einen Spaß daraus gemacht, weißt du? Gackt kam einfach so auf mich zu und hat mich ganz direkt gefragt, ob ich ihm ein paar Tipps geben würde, wie er dich angeln kann. Und ich fand die ganze Situation einfach zu komisch, und weil er aber ernsthaft etwas von mir hören wollte, habe ich mir eben... ein bisschen was ausgedacht.“

Ein bisschen was ausgedacht??? Ich glaube, du solltest mal zum Psychiater gehen! Das, was du dir da ausgedacht hast, ist krank! Einfach nur krank! Und in Verbindung mit Gackt lebensgefährlich!“

„Es tut mir wirklich leid, Doiha... Das wollte ich nicht, aber... Was hat er denn noch getan, was dich so aus der Fassung gebracht hat? So schlimm war das mit dem Essen, dem Wein und dem Ausziehen doch gar nicht, oder?“ Eine kurze - von meiner Seite empörte, von seiner Seite erkenntnisreiche - Stille. „Oder hat er dich etwa auch noch...?“

„Was? Sag! Sag, was du ihm noch geraten hast!“

„...fotografiert?“, endete er entsetzt und ich begriff zuerst nicht. „Also, ich meine, als du nackt in seinem Bett lagst?“

Meine Wut stieg ins Unermessliche. Nicht einmal meine Erleichterung darüber, dass Gackt das scheinbar nicht getan hatte, änderte etwas daran. „Du wirst deinen nächsten Geburtstag nicht mehr erleben, Tet-chan!

„Also, ich muss dann jetzt mal Schluss machen, Doiha.“, meinte Tetsu nervös. „Ich muss noch dringend was erledigen.“

Ja, verdammt! Du holst mich jetzt hier raus! DAS wirst du erledigen! Und zwar sofort!

„Also dann, tschüß!“, verabschiedete er sich hastig und legte auf.

Ich konnte es nicht fassen. Mein bester Freund ließ mich im Stich. Und das, obwohl er an allem schuld war! Wenn ich also nicht einmal auf ihn zählen konnte, wer könnte mir dann helfen? Ich ging die Kontakte im Telefonbuch meines Handys durch, auf der Suche nach meinem Retter, da kam plötzlich die Warnung, dass der Akku nur noch Sekunden davon entfernt war, mein Handy auszuschalten. ~Nein! Ich muss mich beeilen!~ Hastig suchte ich Kens Nummer und wählte sie an. Es klingelte und klingelte und mein Handy piepte und piepte, und Ken nahm ab. Ich war überglücklich, seine Stimme zu hören wie sie „Moshi moshi“ sagte. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ein normaler Mensch. Er würde mich retten können.

„Ken-chan, du musst ganz schnell zu Gackts Wohnung kommen und mich hier rausholen! Er wohnt i-“ Ich hatte so schnell gesprochen, wie ich es in meinem Leben noch nie getan hatte und doch hatte ich schon nach wenigen Worten das endgültige Piepen gehört, das mir sagte, dass die Verbindung bereits weg und mein Handy ausgeschalten war. Ich ließ niedergeschlagen meinen Kopf hängen. Jetzt konnte mir nur noch ein Wunder helfen.

„Hai-chan...“, drang eine lockende Stimme durch die Badezimmertür. „Willst du etwas Süßes? Ich habe extra für dich Schokolade gekauft.“ Auch das war Tetsus Werk, da war ich mir jetzt sicher. „Willst du jetzt doch ein Bad nehmen oder was machst du da drin?“

„Ja.“, antwortete ich kurzerhand und stellte das Wasser an. „Ich gehe baden.“ Noch hatte ich mich nicht dazu entschlossen, das wirklich zu tun, doch als die Badewanne erst einmal voll gelaufen war und ich immer noch auf dem Fliesboden saß, ohne eine Spur einer Ahnung, was ich jetzt tun sollte, da dachte ich mir: ~Was solls.~ Und fing an mich auszuziehen. Irgendwie musste ich meine Zeit in Gefangenschaft ja verbringen und so aufgewühlt wie ich war, konnte ich wahrscheinlich nichts dringender gebrauchen als ein entspannendes Bad.

Ich frage mich, ob ich tatsächlich auch nur einen Moment geglaubt hatte, dass ich das auch bekommen würde.
 

Die Badewanne - alias der Luxus-Whirlpool - war ein Traum. Es gab unendlich viele Einstellungen und in einem Schrank hatte ich einige verschiedene Schaumdüfte gefunden. Ich wählte den meiner Meinung nach beruhigendsten Duft aus und kippte davon ordentlich in mein Badewasser. Innerhalb kürzester Zeit war eine dicke Schaumschicht entstanden und im ganzen Raum duftete es herrlich. Ich hatte mich gerade entspannt im Wasser zurückgelehnt, da klopfte es an die Tür.

„Hai-chan? Brauchst du irgendetwas? Willst du etwas trinken?“

„Nein, nein, nein, danke. Alles in bester Ordnung.“, gab ich unhöflich zurück. „Außerdem würdest du ja sowieso nicht reinkommen, um es mir zu bringen.“ Ich lächelte bei diesem Gedanken. „Und ich werde bestimmt nicht freiwillig wieder rauskommen.“, fügte ich noch fröhlich hinzu.

Plötzlich hörte ich ein Klirren. Ich sah mich um, fand den Grund dafür allerdings nicht. Dann hörte ich ein Klicken. Ich sah mich nochmals um und fand den Grund mit einem einzigen Blick zur offenen Tür: Gackt.

Drowning - oder - Das Schaumbad

Und da fragte ich mich nun:

~Wie hat er-? Warum-? Was-?~ Was hatte ich nur getan, dass ich dermaßen hart bestraft wurde? Das fragte ich mich an diesem Tag nicht zum ersten Mal, doch daran konnte ich gerade keine Gedanken verschwenden. Viel wichtiger war die Frage: ~Was um Himmels Willen soll ich jetzt verdammt noch mal tun?!~

Gackt hob den Schlüssel, den er offensichtlich von außen aus seinem Schloss gestoßen hatte, vom Boden auf und legte ihn an den Waschbeckenrand, bevor er die Tür schloss und seinen vermutlichen Zweitschlüssel dazu benutzte, um die Tür von innen wieder zu verschließen.

Jetzt war ich nicht nur eingesperrt, ich war sozusagen doppelt eingesperrt, und das in einem Badezimmer, und zwar nackt, und zwar mit einem Sexgott. Und fühlte mich dabei wie eine Nonne.

„Darf ich dir Gesellschaft leisten?“, fragte er mit dieser tiefen Stimme, begann aber bereits, sich auszuziehen.

„Nein! Verdammt noch mal, nein! Ich will alleine baden!“ Meine Hände schaufelten allen Schaum zu mir, dabei war es eigentlich schon mehr als genug, um mich bis auf Kopf und Schultern komplett zu verdecken.

„Aber der Whirlpool ist doch groß genug, und ich wollte heute sowieso noch ein Bad nehmen.“, sagte Gackt, als wäre das der Diskussionspunkt.

„Das ist mir egal!“, rief ich aufgebracht. „Ich-“ Aus irgendeinem Grund blieb der Rest des Satzes in meinem Hals stecken. Möglicherweise - es war wirklich nur eine Vermutung - lag es daran, dass Gackt gerade seine Hose ausgezogen hatte. OHNE Unterwäsche darunter getragen zu haben.

Nach einem Schockmoment - oder zwei - wandte ich meinen Blick peinlich berührt von seiner Nacktheit ab. Erst als das Geräusch des Wassers, in das er sich begab, wieder abgeklungen war, sodass ich mir sicher sein konnte, dass er sich hingesetzt und somit unter der Schaumdecke verborgen hatte, schaute ich auf - und blickte direkt auf seinen nackten Unterleib. Er stand immer noch, hatte sich noch nicht gesetzt. Wahrscheinlich aus dem Grund, dass ich ihn noch nicht ausgiebig betrachtet hatte. Doch den Gefallen würde ich ihm auch jetzt nicht tun. Sobald es mir möglich war, wandte ich mein Gesicht ab und sagte so ruhig es meiner Stimme noch möglich war: „Setzt dich jetzt endlich hin!“

„Ich überlege eben noch, wohin ich mich setzen soll.“, kam es unschlüssig zurück. „Ich habe vergessen, was Tetsu mir zu dieser Situation gesagt hat...“

„Er hat dir geraten, mit mir zu baden?!“, platzte es aus mir heraus. Tetsu würde nicht einen, nein, er würde mehrere qualvolle Tode sterben müssen.

„Nein, das nicht, aber er hat mir einen Tipp gegeben, für den Fall, dass wir beide nackt sein sollten. Ich kann mich aber nicht mehr erinnern, was genau er gesagt hat. Entweder es war: Ich soll mich ganz nah zu dir setzen, weil du Nähe brauchst, oder: Ich soll mich auf deinen Schoß setzen. Vielleicht meinte er auch, dass ich mir eines davon aussuchen darf...“

„STOPP! Nein! Du setzt dich da in die Ecke! Und die Mittellinie hier wird nicht übertreten, dass das klar ist!“

„Darf ich sie überschwimmen?“, fragte Gackt wissbegierig, als wollte er mehr über dieses Spiel wissen.

„Nein!“ Er brachte mich zur Verzweiflung.

„Na gut.“, schmollte er und setzte sich endlich, sodass ich die Hand von meinen Augen nehmen konnte. Ein Glück war der Whirlpool riesig. Ich atmete etwas auf.

„Im Wasser fühlst du dich wohl, nicht wahr, mein kleines Seepferdchen?“

So wohl, wie sich ein Fisch fühlen würde, der so blöd gewesen war, in einen Wurm zu beißen, der an einem Haken aufgespießt war. Nicht zu sehen, wie unwohl ich mich fühlte, machte Gackt in meinen Augen blind. Einem Blinden nicht entkommen zu können, machte mich in meinen Augen dumm.

„Weißt du, für mich ist es auch nicht leicht, mich selbst mit dir zu betrügen.“, meinte er auf einmal zusammenhanglos. „Ich habe zwar keine Frau und kein Kind, aber...“

„Was?“, fragte ich irritiert nach. Meinte er das so, wie ich dachte, dass er es meinte?

„Eigentlich gehöre ich nur mir, verstehst du? Und ich liebe eigentlich auch nur mich selbst. Und wenn ich dich jetzt auch noch liebe, dann bin ich nicht mehr meine eigene Nummer Eins - also untreu, verstehst du?“ Er meinte es so.

„Nein, aber das macht nichts. Wenn du dich schlecht dabei fühlst, mich zu... mögen, dann lass es besser einfach. Nicht, dass du noch eifersüchtig wirst. Oder so...“ Ich runzelte die Stirn, fragte mich, ob es einen Sinn ergeben hatte, was ich gerade gesagt hatte, doch für Gackt schien es das getan zu haben.

„Eigentlich hast du Recht.“, meinte er plötzlich und ich konnte es kaum fassen, dass irgendetwas, was ICH zu IHM gesagt hatte, ihm einzuleuchten schien. „Einerseits zumindest. Andererseits war ich mir mittlerweile lange genug treu. Ich brauche auch mal Abwechslung.“ Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Es war hoffnungslos.

„Hai-chan?“, fragte Gackt glücklich.

„Hm?“, machte ich nur und sah auf. Er war plötzlich direkt vor mir. „Was habe ich gesagt wegen der Mittellinie?“ Ich kam mir vor, als würde ich mit einem kleinen Kind sprechen.

„Entschuldige, diese Regel beißt sich mit einer anderen.“, erklärte er.

„Mit welcher?“, wollte ich wissen.

„Mit der Regel, die besagt, dass ich dir, wenn ich dir etwas ganz Wichtiges sagen will, ganz nahe sein soll.“

„Was willst du denn ‚Wichtiges’ sagen? Komm mir jetzt bloß nicht mit ‚Du hast schöne Augen’ oder so ein Mist.“

„Nein.“, antwortete er ernst und kam noch ein paar Zentimeter näher. „Das stimmt zwar auch, ist aber nicht so wichtig.“ Es wunderte mich, dass er überhaupt die Wichtigkeit betreffende Relationen sehen konnte. Na ja, noch wusste ich nicht, ob er nicht jeden Moment das Gegenteil beweisen würde.

„Hai-chan?“, sagte er nochmals, dieses Mal mit einer NOCH tieferen Stimme.

„Ja?“, fragte ich gereizt zurück und versuchte, die Gänsehaut zu ignorieren.

„Ich will, dass du weißt, dass ich dich liebe...“

Ich vergaß zu atmen. ~Oh, mein Gott! Hatte mir gerade ein Sexgott eine ernsthafte Liebeserklärung gemacht? GEHT das denn überhaupt???~

„Ich liebe dich, schon seit wir uns das erste Mal getroffen haben. Nur wollte ich es mir eben nie eingestehen, weil ich mich nicht betrügen wollte. Aber du lässt mir keine andere Wahl. Du bist einfach eine zu große Sünde...“ Ich verstand nicht mehr, was er zu mir sagte - ich versuchte schließlich auch, diese tiefe Stimme auszublenden -, aber letztendlich war ich einfach nur zu sehr damit beschäftigt zu fürchten, was nun, da seine Hände sich links und rechts von meinen Schultern am Wannenrand festhielten, als Nächstes passieren würde. Er zog sich mit seinen Armen zu mir, schwebte nun im Wasser über meinen Beinen, die ich so nahe wie möglich an den Boden drückte, um so weit wie möglich von Gackts Körper entfernt zu sein. Plötzlich spürte ich eine nasse, warme Hand an meiner Wange. Unsere Blicke trafen sich und kurz darauf unsere Lippen.

Ich keuchte, als der Kontakt brach, doch er wurde augenblicklich wiederhergestellt. Er küsste mich vorsichtig - für seine Verhältnisse SEHR vorsichtig. Zumindest hatte ich erwartet, dass er keinerlei Zurückhaltung an den Tag legen würde. ~Moment mal... Habe ich erwartet, dass er mich küssen würde? Habe ich darauf gewartet???~

Ich hatte mich noch nicht entschieden, wie ich reagieren sollte, also tat ich vorerst nichts. Das schien Gackt nicht zu kümmern. Er vertiefte den Kuss, zeigte mir eine einseitige Leidenschaft, wie ich sie noch nie gesehen und erst recht nicht gespürt hatte. Na ja, wenn Megumi mich küsste, war die Leidenschaft auch ziemlich einseitig, aber sie war immerhin nicht so überwältigend. ~Und Gackt küsst auch noch viel besser...~

Bevor ich mir dessen wirklich bewusst war, hatte ich bereits begonnen, den Kuss zu erwidern. Ich hätte mich ohrfeigen können... und ich hätte es nicht einmal bemerkt, so sehr rückte mich dieser Kuss aus der Realität, nahm mein ganzes Denken ein und hielt mich in seinem Bann gefangen. Und doch reichte eine einzige sanfte Berührung aus, um mich wieder zurückzukatapultieren: Etwas hatte meinen Oberschenkel gestreift.

Ich schlug entsetzt die Augen auf, blickte auf Gackts geschlossene Lider. An einem Zucken erkannte ich, dass es ihm nicht entgangen war, dass ich zurückgeschreckt war, auch wenn es hinter mir eigentlich keinen Platz zum Zurückschrecken gab. Doch er ließ sich davon nicht beirren, küsste mich einfach weiter, obwohl ich aufgehört hatte, dies zu erwidern. Ich zögerte noch einen Augenblick, ihn von mir zu stoßen, anzuschreien, er solle seine Finger oder was auch immer von mir lassen, sofort aus dem Whirlpool und gleich darauf aus dem Badezimmer verschwinden, bis ich wieder angezogen und damit mindestens ein bisschen besser gegen ihn gewappnet war, doch dann war es auch bereits zu spät. Seine Lippen hatten mich wieder aus der Realität entführt und gnadenlos eingesperrt, in dieser wundervollen Welt von Sonnenschein und Schmetterlingen. Und Seepferdchen natürlich.

Das nächste Mal, dass etwas meinen Schenkel streifte, sog ich nur scharf die Luft ein und drückte Gackt verzweifelt an meinen Körper, sodass es nicht länger nur zufällige Berührungen waren, falls es denn überhaupt zufällige Berührungen gewesen waren.

Ich spürte ein unglaubliches Verlangen in mir. Ich wusste nicht, was ich wollte, doch ich war ganz sicher, dass ich es sofort wollte. Und irgendetwas ließ mich ahnen, dass nur Gackt es mir geben konnte.

„Gib es mir...“, keuchte ich zwischen unseren Küssen. „Gib es mir, Ga-chan...“

„Was?“, fragte Gackt zurück. „Was soll ich dir geben?“

„Ich weiß es nicht...“, antwortete ich schwer atmend. „Irgendwas...“

„Hier.“, meinte er dann und drückte mir etwas in die Hand. Ich runzelte dir Stirn und öffnete die Augen: In meiner Hand lag eine Quietsche-Ente.

Als wieder etwas meinen Schenkel streifte, warf ich die Ente achtlos über den Badewannenrand. Sie quietschte einmal kurz auf und verstummte dann.

„Gib mir etwas anderes...“, stöhnte ich, als ich seinen Körper wieder an meinen presste. Und da hörte ich ein Klirren. Ich öffnete die Augen und schaute verwirrt, was es war, das Gackt mir hatte geben wollen und bei dem Versuch scheinbar fallen gelassen hatte. Doch ich sah nichts in seinem Umkreis und realisierte langsam, dass das Geräusch von weiter weg gekommen war, aus derselben Richtung, aus der nun auch ein Klicken zu hören war.

Ich wandte meinen Kopf, nur um schockiert festzustellen, dass You in der Tür stand.

„Oh.“, machte er nur, als hätte er „nur“ einen nackten Gackt in der Badewanne erwartet, aber nicht etwa einen nackten Gackt, an dem sich ein nackter Hyde festklammerte. Am Rande bemerkte ich, dass sich der Schaum in der Wanne schon nahezu in Luft aufgelöst hatte. Das Einzige, was mich nun noch von Yous Blicken abschirmte, war Gackts Körper. In dieser speziellen Situation hätte ich den Schaum als Deckungsmittel bevorzugt.

„Entschuldigt, ich wollte nicht stören.“, meinte er höflich und bückte sich, um den am Boden liegenden Schlüssel aufzuheben, den er vermutlich, auf dieselbe Art und Weise wie es zuvor Gackt getan, aus dem Türschloss befördert hatte, und ihn zu dem anderen an den Waschbeckenrand zu legen. ~Wie viele verdammte Schlüssel gibt es für dieses gottverdammte Badezimmer?!~

„Hast du einen Moment Zeit, Ga-kun?“, fragte You ernst. „Es ist wichtig.“ Ihm schien die Situation überhaupt nicht peinlich zu sein. Gackt übrigens auch nicht.

„Kann ich dich einen Moment alleine lassen, Hai-chan?“, fragte mich Gackt schon halbwegs entschuldigend.

„Äh- ja, natürlich, geh.“, meinte ich hastig, ließ ihn los und klammerte mich stattdessen am Wannenrand fest, sodass ich mich dahinter verstecken konnte. Gackt stieg ohne große Umschweife aus dem Wasser und folgte You - OHNE sich ein Handtuch umzuwerfen - aus dem Raum. „Aber mach wenigstens die Tür zu!“, rief ich ihnen noch hinterher.

You kam meiner Bitte immerhin nach.

Eilig stieg ich nun selbst aus der Wanne, trocknete mich ab und zog mir meine Kleider wieder an. Dann ließ ich das Badewasser ablaufen und setzte mich erschöpft auf den Rand des Whirlpools. ~Also... Ganz ruhig bleiben...~, begann ich, mir gut zuzureden. ~Du hast zwar gerade Gackt splitterfasernackt - und somit wirklich ALLES, was es zu sehen gab - gesehen, du hast mit ihm gebadet, ihr habt euch wild geküsst und dir hat es mehr als nur gefallen, aber... immerhin kam You und hat euch davon abgehalten, weiterzugehen.~ Ich atmete geräuschvoll aus. ~Das ist nicht wirklich ein Trost!~

Ich starrte dem fortfließenden Wasser nach. ~Mein Leben geht den Bach runter...~

„Was grübelst du?“, fragte plötzlich eine tiefe Stimme.

Ich stand augenblicklich auf und hastete zur Tür, stolperte dabei über etwas, das ein - man könnte fast sagen „empörtes“ - Quietschen von sich gab, und verließ den Raum, ging an Gackt, der, wie ich nur aus den Augenwinkeln sah, da ich es vermied, ihn anzusehen - übrigens noch immer vollkommen nackt -, im Türrahmen stand, vorbei und in die Küche: der einzig halbwegs vernünftige Ort in diesem Haus - von der übernatürlichen Sauberkeit abgesehen. Gackt folgte mir natürlich. „Hast du schon wieder Hunger?“, fragte er belustigt. Und ich hatte das Gefühl, mir war etwas entgangen, das ihn noch zusätzlich amüsierte.

„Nein. Aber ich bin durstig.“, gab ich patzig zurück und trank mein Glas, das als Einziges noch auf dem Frühstückstisch stand, mit einem Zug aus. Wann hatte er die anderen Sachen aufgeräumt?

„Ich hoffe, du bist mir oder You nicht böse wegen diesem Zwischenfall.“, meinte Gackt plötzlich ernst, nahezu entschuldigend. Ich war etwas überrascht. Daher wusste ich nicht, wie ich ihm antworten sollte.

„Wie ist You überhaupt hier reingekommen? Und wieso hat er einen Schlüssel für dein Badezimmer?!“, wollte ich stattdessen wissen.

„Er hat sowohl einen Wohnungsschlüssel als auch einen Schlüssel für jeden anderen Raum hier, für den Fall, dass ich wieder zusammenbrechen sollte.“, erklärte Gackt sachlich.

„Ich dachte, das tust du nur, wenn du auf Tournee bist.“, meinte ich etwas kleinlaut und versuchte, die Besorgnis aus meiner Stimme zu verbannen.

„Das stimmt, aber man kann ja nie wissen.“, erwiderte Gackt. Ich rollte genervt mit den Augen. „Sollen wir dann da weitermachen, wo wir vorhin aufgehört haben?“, kam es unvermittelt.

„Nein, verdammt, das werden wir nicht!“, fuhr ich ihn an. „Ich will jetzt nach Hause und e-“ Ich stockte. ~Was würde ich zu Hause dann tun?~ Mein Alltagsdenken war komplett verschwunden. Als hätte Gackt es bereits gelöscht und versuchte gerade, mir seine Vorstellung vom Alltag unbemerkt einzuflößen. Ich schaute misstrauisch auf das Wasserglas in meinen Händen und ließ es langsam sinken.

„Was willst du zu Hause tun, so ganz alleine?“, fragte Gackt neckisch, als wüsste er, dass genau das die Frage war, auf die ich keine Antwort wusste. Er wusste es.

„Ich habe noch viel zu tun. Eine ganze Menge sogar.“, sagte ich mehr oder minder aussagelos.

„Ich habe auch noch viel für heute geplant...“, begann er dann. „Aber in all meinen Plänen bist du vorgesehen...“ Er schaute mich grinsend an. „Du siehst also, du kannst noch nicht gehen.“, sagte er, als war es eine äußerst einleuchtende Logik.

„Aber...“, fing ich schwach an und hörte noch schwächer auf: „Ich...“ Ich konnte nicht einmal annähernd in seine Richtung blicken. Ich hatte Angst, dass sich mein Blick an seinem Körper festkrallen und nicht mehr loslassen würde, wie eine Katze, die man über einen Abgrund hielt.

~Das ist mit Abstand der schlimmste Tag meines Lebens...~, dachte ich überzeugt. ~Bisher zumindest...~

„Hai-chan...“, sagte Gackt mit einem Schmollmund. „Willst du all meine Pläne für heute durcheinander bringen?“, fragte er und antwortete auch gleich für mich: „Nein. Also komm. Ich will dir noch was zeigen.“

Ich seufzte. „Du hast mir heute wirklich schon genug gezeigt. MEHR als genug.“

„Aber das musst du wirklich noch anschauen. Ich bin so stolz darauf!“, trällerte er glücklich und ergriff meine Hand, um mich daran hinter sich her zu schleifen. Ich sah wenig Sinn darin, mich dagegen zu wehren. Weder mit Händen noch mit Füßen wollte ich es ausprobieren, weil ich wusste, dass sie hundertprozentig auf nackte Haut gestoßen wären.

Er hielt vor einem Raum, den ich bisher noch nicht betreten hatte. Das war kein Wunder bei der Größe seiner Wohnung. Es hatte mich auch nie großartig interessiert. Sein Zuhause war einfach seltsam. Ich wollte eigentlich lieber nicht wissen, was sich hinter all den Türen verbarg. Und eigentlich wollte ich meine Augen auch gar nicht mehr öffnen, solange Gackt sich noch immer nicht wieder angezogen hatte.

Ich wollte ja nicht abstreiten, dass er mit seiner Figur das gute Recht hatte, sich nackt zu zeigen. Nein, das konnte ich wirklich nicht leugnen; aber es reichte doch vollkommen, sich nackt bei Fotoshootings oder in Werbespots zu präsentieren, oder nicht? Musste er das auch noch live und in Farbe - extra für mich - tun?

Gackt öffnete die Tür und führte mich in einen Raum, der genauso gut die Luxussuite eines Love Hotels hätte sein können.

„Was zur Hölle...?“, entfuhr es mir.

„Ich habe es renovieren lassen. Gefällt es dir?“, fragte er erwartungsvoll.

Ich hatte ja schon einmal ein Special über Gackts Wohnsitz im Fernsehen gesehen, aber sich selbst in diesem dort gezeigten Raum zu befinden - und das nachdem er renoviert und dadurch wahrscheinlich noch „bordelliger“ gemacht worden war -, war um einiges schockierender. Von der Tatsache, dass Gackt es mir in seinem Naturzustand zeigte, ganz zu schweigen.

„Toll.“, meinte ich ausdruckslos und wandte mich wieder zur Tür um. „Jetzt habe ich es gesehen und kann gehen, nicht?“ Gackts diabolisches Grinsen und die geschlossene Tür hinter ihm waren im Prinzip schon Antwort genug. Doch gefiel sie mir gar nicht.

„Nein.“, antwortete er schlicht, obwohl das schon gar nicht mehr nötig gewesen wäre. „Noch nicht. Meine Pläne haben wir noch nicht alle in die Tat umgesetzt...“ Meine Fantasie ging bei diesem Satz wieder mit mir durch. Und daran war allein seine Stimme schuld. Und sein Feixen. Und sein Körper. Und dessen Nacktheit.

Er kam auf mich zu. Meine Augen musterten unruhig die rote Decke, bevor sie auf die dumme Idee kamen, etwas anderes zu mustern. „Ich würde jetzt wirklich gerne gehen, Ga-chan.“, flehte ich nahezu die Decke an.

„Wer hält dich?“, fragte er sogleich zurück. War es Ironie oder Sarkasmus?

Aus den Augenwinkeln sah ich, dass er seine Hände in die Höhe hielt, als wollte er mir zeigen, dass er mich tatsächlich nicht festfielt. Als müsste er das beweisen. Ich spürte es mehr als deutlich, wenn mich seine Hände berührten. Die Stellen wurden nämlich augenblicklich heiß. SEHR heiß.

Als ich feststellte, dass Gackt bereits direkt vor mir stand, drehte ich ihm sofort den Rücken zu, aus Angst, mein Blick könnte zu tief sinken. Aber auch das stellte sich als Fehler heraus: Er legte von hinten seine Arme um mich, verschränkte sie an meinem Bauch und presste mich gegen sein Ich-will-es-nicht-nennen-dieses-Ding-das-völlig-entblößt-an-meinen-Hintern-gedrückt-wird-Ding. Ich denke, ich brauche nicht zu erwähnen, dass ebendiese Stelle augenblicklich heiß wurde.

Meine Arme hingen nicht mehr tatenlos zu beiden Seiten meines Körpers hinunter, nun klebten sie dort äußerst verkrampft und konnten sich dank Gackts Klammergriff nicht mehr bewegen, selbst wenn ich sie hätte bewegen können. Doch das konnte ich gar nicht, so sehr hatte mich - diese „Geste“ war nicht der richtige Ausdruck - „Berührung“ war es auch nicht und „Position“ klang zu hart - dieser Kontakt versteinert.

Ich spürte seinen Atem in meinem Haar. Kurze Zeit später an meinem Ohr. An meinem Hals. Dann seine Lippen. An meinem Hals. An meinem Ohr. Und wieder an meinem Hals. Er küsste ihn. Gänsehaut. Er leckte an ihm. Ich zitterte. Er saugte an ihm. Ich stöhnte.

Seine Hände ließen einander - doch nicht mich - los und begannen, mein Hemd aufzuknöpfen. Seine Lippen hörten indessen nicht auf, meinen Hals zu liebkosen. Er entlockte mir ein Keuchen, indem er eine Hand unter den Stoff fahren ließ. Sie fand in Rekordzeit meine Piercings und spielte mit ihnen. Als alle Knöpfe an meinem Hemd offen waren, strich seine andere Hand über meinen Beckenknochen und Oberschenkel, wieder hinauf zu meinem Reißverschluss und spielte damit. Was wurde hier eigentlich gespielt?

Ehe ich mich versah, war mein Hosenknopf offen, und gleich danach der Reißverschluss. Eine Hand zog an dem Leder, wieder und wieder, bis es zu Boden sank. Jetzt wusste ich, was es bedeutete, mit heruntergelassenen Hosen dazustehen: einen Sexgott vor sich - beziehungsweise hinter sich - stehen zu haben.

Er lehnte sich gegen mich, ließ mich nach vorne stolpern - in Richtung Bett. Ich hatte meine Augen geschlossen, sah es nicht kommen, doch wusste sofort, dass ich weich fallen würde, als er mich losließ. Er war sofort über mir, berührte mich, erforschte mich, probierte mich. Ich musste ihn unbedingt einmal fragen, ob er es mochte, wie meine Haut schmeckte. Doch zuerst wollte ich wissen, wie seine schmeckte...

~Stopp, stopp, stopp, STOPP!~, ermahnte ich mich und versuchte, mich selbst davon abzuhalten, auch nur einen Funken Initiative zu ergreifen. Meine Frau war heute abgereist, und keine drei Stunden später war ich mit einer anderen Person in der Badewanne gewesen und jetzt auch noch im Bett. Und ich dachte immer, ich wäre ein treuer Ehemann.

~Aber es fühlt sich nun mal so unglaublich gut an...~ Konnte man denn dafür bestraft werden, wenn man einem Sexgott nicht widerstehen kann? Niemand kann das, oder?

Eine Hand strich über das letzte Stück Stoff, das ich trug. Ich stöhnte die Gedanken fort.

Ein Klopfen brachte mich wieder halbwegs in die Realität zurück. Mit halb geöffneten Augen blickte ich zur Tür und erschrak, als hätte man mir eine Waschwanne direkt auf den Kopf fallen lassen, ohne dass ich vorher einen Faden durchgeschnitten hatte.

Nachdem dreitausend Gedanken meinen Kopf durchschossen hatten, blieb einer in einer Windung stecken und wiederholte sich immer wieder, als wäre eine Schallplatte hängen geblieben: ~Oh, oh... We’re in trouble... - Oh, oh... We’re in trouble... - Oh, oh... We’re in trouble...~ Das hieß, nein, ICH steckte in Schwierigkeiten! Gackt schaute nur etwas überrascht, aber keinesfalls peinlich berührt oder schockiert oder gar zutiefst entsetzt so wie ich.

„Es sieht nicht wirklich aus, als müsste ich dich ‚retten’, Doiha.“, war das erste, das Tetsu über seine Lippen brachte, als er im Türrahmen stand.

„Doch! Warte! Lass mich nich-!“ Und schon war die Tür wieder zu. „Nein, warte!“ Fieberhaft stürzte ich mich aus dem Bett und sammelte ein paar meiner Kleidungsstücke vom Boden auf, zog das Wichtigste davon an und hastete Tetsu hinterher.

„Warte, Tet-chan!“, rief ich durch den Gang, der von Gackts Wohnungstür zum Fahrstuhl führte, vor dem Tetsu noch stand. Die Fahrstuhltüren öffneten sich allerdings gerade und Tetsu stieg ein. Völlig außer Atem schaffte ich es noch rechtzeitig, bevor sich die Türen wieder schlossen. Ich lehnte mich keuchend an die Wand.

„Warum willst du jetzt trotzdem mitkommen? Du brauchst nichts mehr zu verheimlichen, Doiha.“

„Ich...“ Ich war damit beschäftigt, mich noch vollends anzuziehen; mein Ziel war es, das zu schaffen, bevor der Fahrstuhl das Erdgeschoss erreichte. Aber das war unmöglich, da ich jeden einzelnen Knopf meines Hemdes wieder zuknöpfen musste. „Ich verheimliche dir nichts, Tet-chan. Ich...“ Ich seufzte. Ich wusste absolut nicht, wie ich es erklären sollte, doch es war mir in dem Moment ziemlich egal. Ich fühlte mich plötzlich wieder so frei und so etwas von erleichtert, dass Tetsu - ein halbwegs normaler Mensch - bei mir war und ich nicht mehr Gackt - einem ein paar hundert Jahre alten hormongesteuerten Vampir, der wahrscheinlich zwei Jahrtausende in Folge zum Sexsymbol des Jahrtausends gewählt worden war - hilflos ausgeliefert war.

In Tetsus Wagen lehnte ich mich erst einmal zurück und genoss das Gefühl meiner neu gewonnenen Freiheit. Doch dann bemerkte ich, dass ich mich plötzlich auch seltsam leer fühlte. Und zugleich glaubte ich, bald aus allen Nähten zu platzen. Gackt hatte ein so großes Verlangen in mir ausgelöst und Tetsu war aufgetaucht, bevor ich dieses hatte stillen können.

Durch diesen Gedanken schlich sich eine Frage in meinen Kopf zurück, die ich mir schon gestellt hatte, als Tetsu in der Schlafzimmertür gestanden hatte: „Wie bist du überhaupt in Gackts Wohnung gekommen? Hast du etwa auch einen Schlüssel?“

Tetsu schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Auch?“

„Nein! Es ist nicht so wie du denkst! ICH habe keinen Wohnungsschlü-“

„Du brauchst dich nicht vor mir zu rechtfertigen, Doiha. Du darfst tun und lassen, was du willst. Die Tür war übrigens offen, so bin ich in die Wohnung gekommen. Aber genau deshalb verstehe ich nicht, wieso du dann so panisch am Telefon geklungen hast. Von wegen du wärst eingesperrt und so.“ ~Die Tür war offen??? Hatte You sie offen stehen lassen? Ich hätte einfach gehen können?!?~ Langsam hatte ich eine ungefähre Ahnung, was Gackt vorhin so dermaßen amüsiert hatte...

„Wie meintest du das denn, ich solle dich ‚retten’? Wovor?“, fragte Tetsu nochmals. „Vor der Erfüllung deiner jahrelangen heimlichen Fantasien?“ Nun war es an mir, die Augenbrauen anzuheben.

„Was?“, fragte ich simpel.

„Jetzt tu doch nicht so. Glaubst du, ich habe es nicht bemerkt, wie du Gackt damals angehimmelt hast, nachdem du aus Taiwan zurück warst? Es stand dir SO GROSS ins Gesicht geschrieben, glaub mir. Aber es ist okay, okay? Ich finde es toll, dass ihr nun doch noch zueinander gefunden habt, nach so langer Zeit. Ich hätte es zwar nicht für möglich gehalten - meine Tipps an Gackt waren wirklich nicht ernst gemeint -, aber wenn es etwas genützt hat, dann bin ich froh.“ Ich verstand die Welt nicht mehr. Am liebsten hätte ich ein Tonaufnahmegerät gezückt, um mir Tetsus Redeschwall später, wenn ich mir wirklich sicher war, wieder bei Sinnen zu sein, noch einmal anzuhören, damit ich mindestens eine Chance hatte, es zu verstehen. Jetzt konnten es noch die Wirkungen des Freiheitsrausches sein, die meinen Verstand benebelten. Oder es waren die ganzen Bilder, die sich heute in mein Gedächtnis gebrannt hatten. Oder es waren diese irritierenden bleibenden Eindrücke der zahllosen Berührungen, die ich noch immer auf meiner Haut spüren konnte. Vielleicht war es alles zusammen. Ich wusste es nicht. Aber ich glaubte, mir mittlerweile relativ sicher zu sein, dass ich nicht Gackts Seepferdchen war.

Noch nicht.

Full Metal Alchemist - oder - Gehirnversagen

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

The Spinning - oder - Durchdrehen

Und da saß ich nun.

In Gackts Wohnzimmer, auf seiner Couch und schaute mit ihm die neueste Staffel von Full Metal Alchemist. Er war davon ein fast so großer Fan wie von der Gundam-Serie. Doch ich kümmerte mich wenig um das, was auf dem Bildschirm zu sehen war und hörte kaum die Synchronstimmen. Mein Verstand war immer noch zu vollgestopft von den Ereignissen der letzten Stunde. Und eigentlich auch noch von denen vor drei Tagen.

In der ersten Werbepause hatte ich Gackt dazu gebracht, sich etwas anzuziehen, nachdem zuvor nur ein Kissen seinen Schoß bedeckt hatte. Ein Kissen, das ICH dort platzieren musste. Ohne hinzusehen.

Als er dann endlich angezogen war, war er noch schnell Knabberzeug holen gegangen und hatte drei Schüsseln vor uns auf den Tisch gestellt. Eine mit Erdnüssen, eine mit Chips und eine mit Apfelstücken. Zuerst hatte er die zuletzt genannte komplett geleert, ohne dabei den Blick vom Fernseher abzuwenden. Als wieder Werbung kam, stellte er die leere Schüssel auf den Tisch und nahm die mit den Erdnüssen. Er kramte in der Schüssel herum, obwohl sich darin nichts außer verdammt gleich aussehende Erdnüsse befanden. Ich beobachtete ihn stirnrunzelnd und hoffte inständig, dass er keinen Verlobungsring darin versteckt hatte. Nach langem Suchen nahm er schließlich eine der kleinsten Erdnüsse heraus und aß sie. Das hieß: Er knabberte erst eine Weile an ihr herum, bevor sie letztendlich in seinem Mund verschwunden war.

„Jetzt bin ich aber wirklich voll.“, meinte er und lehnte sich zurück. Ich sah ihn ungläubig an. „Was denn? Ich muss auf meine Linie achten.“

„Mehr als eine Linie bist du ja auch nicht...“, entgegnete ich und nahm die mir angebotene Schüssel entgegen und stopfte mich mit Erdnüssen voll. Nüsse sollen doch gut fürs Gehirn und vor allem perfekte Nervennahrung sein. Das hatte ich jetzt wirklich bitter nötig. Innerhalb kürzester Zeit war die Schüssel leer und ich griff nach der nächsten.

„Stopp.“, meinte Gackt plötzlich warnend. Ich sah ihn verwundert an. „Wenn du dich jetzt vollfutterst, wird dir im Bett nachher schlecht werden.“

„Im Bett? Nachher?“, wiederholte ich irritiert. Die Nüsse wirkten noch nicht.

„Natürlich, was hast du gedacht? War halt schlechtes Timing, dass du ausgerechnet zur Full Metal Alchemist-Sendezeit hergekommen bist. Sonst hätten wir nicht unterbrechen müssen. Wärst du letztes Mal nicht so schnell verschwunden, hätte ich dir gesagt, was günstige Zeiten sind zum Herkommen. Aber du musstest ja unbedingt Tetsu hinterherhetzen, obwohl er den Ausgang bestimmt auch alleine gefunden hät-“

„Moment. Du hast damit gerechnet, dass ich zurückkomme? Nach allem, was du mir angetan hast?“, fragte ich erstaunt und bemerkte, wie albern der letzte Satz klang. Er wusste schließlich nicht, wie viel mir alleine seine Anwesenheit antat.

„Natürlich.“, antwortete er selbstverständlich. Ich wartete, doch er wollte scheinbar nicht von sich aus eine Erklärung liefern.

„Und wieso warst du dir da so sicher?“, fragte ich schließlich nach.

„Haido-chan...“, murrte er und grinste dann. „Das sieht doch ein Blinder, dass du mich nicht von der Bettkante stoßen würdest.“ Ich fürchtete, rot anzulaufen.

„Du würdest mich ebenso wenig von der Bettkante stoßen.“, konterte ich. Aber es war eine schlechte Verteidigung.

„Doch, natürlich.“, antwortete er sogleich zu meiner Verwunderung. „Ich würde dich von der Bettkante aufs Bett stoßen.“ Sein Grinsen war teuflisch.

„Ha, ha.“, machte ich humorlos.

„Und das werde ich, Hai-chan. Sobald Full Metal Alchemist fertig ist.“, stellte er klar und wandte seinen Blick wieder dem Fernseher zu. Und als ob Gackts Worte ein Kommando gewesen waren, war in dem Augenblick die Werbung vorbei und der Anime ging weiter. Manchmal war es fast gruselig. Na gut, Gackt war häufig gruselig. Und seine Kommandos sowieso.

Ich wusste, dass es höchstens noch zehn Minuten dauern würde, bis die Folge zu Ende sein würde. Bis dahin sollte ich einen Entschluss gefasst haben, was ich jetzt machen sollte. Eigentlich wäre es besser, wenn ich das schon früher schaffe. Denn jetzt war er abgelenkt. Jetzt würde er es vielleicht nicht einmal bemerken, dass ich mich davonmachte. Und in diesen zehn Minuten hätte ich sogar genug Zeit, beim Nachbar Sprit zu holen. Das war DER Plan.

Dann, eine Sekunde oder zwei später, wurde ich mir allerdings bewusst, dass Gackt mich gar nicht mehr gefangen hielt. Die Tür hatte er nicht abgeschlossen. Zumindest hatte ich es nicht mitbekommen. Aber eigentlich war er die ganze Zeit bei mir gewesen. Und jetzt sah er regelrecht harmlos aus, wie er so auf dem Sofa saß und - aufgeregt wie ein kleines Kind - gespannt seine Lieblingsserie verfolgte. Doch ich sollte es mittlerweile besser wissen. Der Schein trügt. Vor allem Gackts Heiligenschein.

Doch zu wissen, dass ich Gackt nicht trauen konnte, half mir keinen Schritt weiter. Was ich in Erfahrung bringen musste, war, was ich selbst wollte. Und das war, trotz reichlicher Nervennahrung, die schwierigste Aufgabe, die es zu lösen galt.

„So. Zurück ins Bett.“, sagte Gackts Stimme plötzlich. ~Was? Nein! Ich bin noch zu keinem Schluss gekommen!~ Wie sollte man auch die schwierigste Aufgabe, die es zu lösen galt, in zehn Minuten lösen?!

„Keine Widerrede!“, sagte Gackt streng und lächelte. „Ich bin noch nicht fertig mit dir... Noch lange nicht...“ Gackts Blick durchbohrte mich, bis ich heftig zusammenzuckte.

Das Handy in meiner Hosentasche hatte vibriert. Ich nahm es heraus und las „Tetsu“ auf dem Display. ~Das muss Schicksal sein...~ Als ich damit fertig war, überglücklich darüber zu sein, daran gedacht zu haben, mein Akku wieder aufzuladen, nahm ich den Anruf eilig entgegen. „Ja?“

„Hallo, hier ist Tetsu. Ich wollte dir nur Bescheid geben, dass wir uns jetzt definitiv Morgen um 15 Uhr im Studio treffen, um die neue Single aufzunehmen. Du hast dir den Tag hoffentlich frei gehalten.“

„Oh, gut, dass du anrufst!“, sagte ich laut und deutlich und schaute in Gackts Richtung, um seine Reaktion zu sehen. Er schaute mich mehr oder minder ausdruckslos an. „Das habe ich glatt vergessen! Könntest du mich dann gleich hier abholen?“

„Wieso jetzt gleich? Hast du mir nicht zugehört? Das Meeting ist Morgen.“

„Jaha...“, knirschte ich. „Ich weiß. Aber mein Auto ist liegen geblieben. Wenn du mich nicht abholst, schaffe ich es nicht rechtzeitig zum Meeting.“ Ich warf einen Blick zu Gackt. Er hatte sich daran gemacht, die Schüsseln mit Knabberzeug wegzuräumen. Ich fürchtete, dass er gar nicht mehr zuhörte.

„Und könntest du mir vielleicht etwas Sprit mitbringen?“, fragte ich Tetsu noch, bereits leicht bettelnd.

„Mein Gott... Wo bist du denn?“, wollte Tetsu wissen, schon ziemlich genervt von meiner Bitte.

„Bei... Gackt.“, antwortete ich zögernd und stellte fest, dass Gackt gerade in die Küche gegangen war.

Tetsu seufzte. „Und wo ist dein Auto liegen geblieben?“

Ich zögerte abermals. „Ähm... Bei Gackt.“

„Und warum soll ich dich dann abholen?“, fragte Tetsu schlicht.

„Weil ich bei GACKT bin, verdammt noch mal!“, fuhr ich ihn an und schaute mich sogleich um, ob Gackt nicht schon wieder zurück war.

„Aber du bist doch selbst dorthin gefahren, wie es scheint.“, meinte Tetsu genervt.

„Ja, das schon, aber... nicht absichtlich!“, versuchte ich ihm die Situation zu erklären.

„Aha. Du bist aus Versehen zu ihm gefahren, hast dort wahrscheinlich auch aus Versehen deinen Tank ausgeleert, damit du jetzt sagen kannst, du hattest wieder keine Möglichkeit, von dort zu fliehen. Und in Wirklichkeit willst du einfach nicht von ihm weg, weil ihr weiß-Gackt-was für schlimme Dinge treibt, die dir zwar gefallen, die du aber nicht rechtfertigen kannst, da Gackt ein Mann ist und du Frau und Kind zu Hause hast, weshalb du so tust, als könntest du dich gar nicht dagegen wehren. Damit, denkst du, bist du aus dem Schneider, habe ich Recht?“

Mir stockte der Atem vor Entrüstung. „Tet-chan! Wie kannst du so etwas sagen?!“

„Weil ich mir ziemlich sicher bin, dass es so ist.“, gab er schlichtweg zurück. Ich war schockiert.

„Ich würde doch nicht mit Absicht meinen Tank ausleeren!“, war das erste Gegenargument, das ich auszusprechen wagte.

„Dann bist du eben so lange in Gackts Straße hin und her gefahren, bis der Tank leer war. Das spielt doch jetzt keine Rolle. Tatsache ist, dass du dich mal wieder von mir abholen lassen willst, nur damit ICH der Depp bin, der dann in eine peinliche Situation gebracht wird, in der er Dinge sieht, die er nie sehen wollte, die er wahrscheinlich nie wieder aus seinem Kopf bekommen wird, und die ihm auch noch Jahre später Alpträume bereiten werden. Nein danke, Doiha. Nein. Nicht mit mir.“ Und damit legte Tetsu einfach auf.

Ich stand mit offenem Mund mitten in Gackts Wohnzimmer und glaubte, alles um mich herum würde sich drehen, genau so wie es in den meisten Filmen dargestellt wird, wenn jemandem so viele Dinge durch den Kopf rasen, bis ihm endlich etwas Entscheidendes bewusst wird, sobald das Drehen urplötzlich aufhört. Nur dass es bei mir so war, dass das Drehen scheinbar gar nicht mehr aufhören wollte.

Hatte Tetsu Recht? Drehte ich mir alles nur so hin, wie ich es gerade brauchte? Brachte ich mich mit voller Absicht in solche Situationen, aus denen ich alleine nicht mehr herauskommen würde, nur damit ich eine Entschuldigung dafür hatte, dass ich bei Gackt war? Mochte ich es, bei Gackt zu sein? Mochte ich diese Dinge, die er mit mir tat? Mochte ich etwa Gackt?

Obwohl er so selbstverliebt war? Obwohl er so geisteskrank war? Obwohl er mir manchmal Angst machte? Obwohl ich ihm das Chaos, das mein Leben nun war, zu verdanken hatte? Obwohl er eben Gackt war?

Gackt! Ein Roboter! Ein Model! Ein Schönheitsidol! Ein Schönheitschirurgiebefürworter! Ein Sänger! ~Moment... Ein Sänger bin ich selbst auch...~

Na gut, aber ein Schauspieler! ~Na ja, in zwei Filmen habe ich immerhin auch schon mitgespielt... Aber ich meine diese ständige Maskerade! Dieses permanente Verstellen! Und dieses Immer-gut-dastehen-und-perfekt-aussehen-Müssen!

Und er ist ein absoluter Narzisst! Der selbstverherrlichendste Mensch - oder Roboter -, den ich je gesehen habe! Dass er nicht ein eigenes Zimmer für seinen kleinen Selbstanbetungsschrein hat, wundert mich!~

Wir reden hier von Gackt! Dieser Ich-lache-nicht-damit-man-meine-ganzen-Falten-nicht-so-gut-sieht-und-ich-mysteriöser-wirke-Actionfigur und dieser Ich-darf-alles-tun-und-lassen-was-ich-will-denn-ich-bin-der-Herrscher-dieser-Welt-und-des-ganzen-Universums-Cyborg! Und dieser Ich-kann-alles-haben-dazu-muss-ich-nur-meinen-perfekten-Körper-entblößen-und-!

„Oh, du bist fertig mit Telefonieren.“, meinte ebendieser Cyborg, als er zurück in das Wohnzimmer trat. „Dann können wir ja wieder ins Schlafzimmer gehen.“

„Ga-chan.“, sprach ich ihn entschlossen an und er hielt inne.

„Ja, Haido-chan?“, fragte er liebevoll zurück und trat zu mir heran.

„Ich habe eine Frage.“, erklärte ich zögerlich, unsicher, verwirrt, ruhelos. Ihr wisst schon, was ich meine. Es gibt etliche Adjektive dafür.

Ich schluckte und brachte es dann so schnell wie möglich über meine Lippen. „Was ist Liebe für dich?“

Gackt brauchte keine Sekunde Reaktionszeit, fast so als hätte er GEWUSST, dass ich ihn das fragen würde.

„Liebe ist etwas Wundervolles...“, begann Gackt träumerisch. „Sie ist das, was uns alle am Leben erhält. Sie ist das, was uns vorantreibt. Sie ist das, was sich jeder von uns am sehnlichsten wünscht. Sie ist das, was mir das Gefühl gibt, geliebt zu werden...“ Ich runzelte die Stirn.

„Ja, und woran erkennt man, ob man jemanden liebt?“, präzisierte ich meine Frage, damit er nicht weiter ausschweifen konnte.

„Man sieht, dass man jemanden liebt, am besten daran, wenn man bemerkt, dass man alles für denjenigen tun würde. Egal wie peinlich es ist.“ ~Ein Seepferdchenkostüm anziehen zum Beispiel...?~

„Egal wie entblößend es ist.“ ~Sich komplett ausziehen?~

„Man liebt jemanden, wenn man ihn so sehr respektiert, dass man schon fast Angst vor ihm hat.“ ~Er macht mir sogar sehr oft Angst... Vor allem in solchen Situationen, in denen ich das Gefühl habe, er kann meine Gedanken lesen...~

„Man liebt jemanden, wenn man das Gefühl hat, der andere kann die eigenen Gedanken lesen...“ ~Oh, mein Gackt! Hör auf damit!~

„Man liebt jemanden, wenn man nicht damit aufhören kann, obwohl man es gerne tun würde.“ ~Das darf nicht wahr sein...~

„Man liebt jemanden, wenn man glaubt, es dürfe nicht wahr sein, dass er ein so wundervoller Mensch ist.“ ~Du treibst mich in den Wahnsinn, Gackt...~

„Man liebt jemanden, wenn man das Gefühl hat, der andere treibt einen in den Wahnsinn, nur indem er mit einem spricht.“ ~Stopp! Es reicht! Tetsu würde mich in die Klappsmühle stecken, wenn ich ihm das hier erzählen würde! Und meine Frau würde wahrscheinlich auch noch zustimmen, nachdem ich sie letzte Woche habe sitzen lassen, weil ich sie - wegen Gackt! - einfach vergessen hatte...~

„Man bemerkt es daran, dass man alles andere vergisst, weil man mit den Gedanken nur bei diesem einen Menschen ist...“ Meine Hand legte sich auf meinen Mund, als wollte ich mich davon abhalten, meine Gedanken laut auszusprechen, obgleich ich das gar nicht tat. „Und daran, dass man alles für diesen Menschen aufgeben würde, selbst seine Freunde und Familie...“

Ich starrte Gackt mit großen Augen an.

Wenn das alles stimmte, was er gerade gesagt hatte, dann war es eindeutig. Dann wusste ich endlich, warum ich hier war. Warum ich gegen meinen Willen extra hierher gefahren war. Warum es mich wie magisch hierher gezogen hatte, ohne dass ich mich dagegen wehren konnte. Und dass ich wieder weg wollte, lag einzig und allein daran, dass ich solchen Respekt vor Gackt hatte, dass es mir Angst machte. Das war die Antwort auf alle Fragen. Nur...

Wie konnte es sein, dass ich einen solchen hirnverbrannten Idioten liebte?!

„Haido?“, fragte Gackts Stimme besorgt. ~Warum kommt er mir auf einmal gar nicht mehr so hirnverbrannt vor? Sondern sogar schon fast normal...~

„Ja?“, fragte ich verstört und schaute in seine mich zärtlich anblickenden Augen. Er legte eine Hand auf meine Schulter und fragte liebevoll: „Was ist denn los? Du siehst so durcheinander aus.“

„Ich...“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Gackt war gar nicht mehr dieser gefühllose Cyborg, für den ich ihn die ganze Zeit gehalten hatte. Er hatte zwar seine Eigenheiten, doch im Grunde war er ein sehr liebenswerter, aufmerksamer Mensch. Etwas seltsam vielleicht, und egoistisch natürlich, doch wenn ich daran dachte, dass er den Ozean-Raum extra für mich gemacht hatte, nur damit ich mich hier wohler fühlte...

Hatte ich es all die Zeit, die wir uns kannten, vielleicht einfach nicht wahrhaben wollen? Hätte ich es schon längst bemerken müssen, doch hatte mich auf stur gestellt und alles abgeblockt, jeden Gedanken, der in diese Richtung wollte, sofort verdrängt?

„Ich glaube, ich...“, begann ich leise. Gackt schaute mich immer noch fürsorglich an. „...ich mag dich, Ga-chan.“ Ich spürte eine gewisse Erleichterung, diesen Satz ausgesprochen zu haben. Jetzt war es draußen. Jetzt begannen wir beide, endlich ehrlich zueinander zu sein. Jetzt konnten wir glücklich werden. Jetzt... ~Stopp.

Was denke ich da??? Ich habe das Gefühl, wir haben die Rollen getauscht und ich bin jetzt der Hirnverbrannte!~

Auf mein Liebesgeständnis hin lächelte Gackt... „Ich weiß.“ ...arrogant.

„Aber gut, dass du es endlich einsiehst, Hai-chan. Es wurde langsam auch Zeit. Es hat keinen Sinn, gegen so etwas anzukämpfen... Es ist Schicksal, verstehst du?“ Ich wollte meine Worte auf der Stelle zurücknehmen.

„Komm, das Bett wartet.“, meinte er und schob mich Richtung Ozean-Schlafzimmer.

„Warte!“, rief ich und wehrte mich gegen Gackts Führung.

„Was ist denn?“, fragte er überrascht. Mit Widerstand hatte er nicht gerechnet.

„Willst du denn nicht... sagen, dass du mich auch...“ Ich sah zu Boden. „...magst?“

„Ach, Hai-chan...“, schmollte Gackt. „Das muss ich doch nicht auch noch sagen. Sieht man das denn nicht?“

„Doch, schon... Aber... Also...“, druckste ich herum. Gackt stemmte die Hände in die Hüften und sah mich erwartungsvoll an. Kleinlaut gab ich von mir: „Woher weiß ich denn, ob ich nicht nur eine Affäre für dich bin?“

Gackt seufzte. „Das weißt du auch, wenn ich sage, dass ich dich mag, nicht.“

„Hm. Stimmt.“, erkannte ich verblüfft.

„Na also. Und jetzt komm.“, meinte er und schob mich ein Stück weiter.

„Aber...“, begann ich erneut und er hielt inne.

„Hai-chan...“, sagte er ernst und blickte mir tief in die Augen. „In dieser Welt schwimmen so viele Seepferdchen herum...“, erklärte er. „Manche sind grün, manche sind blau, manche haben ganz andere faszinierende Farben. Es gibt so viele verschiedene Arten und...“ Er verstummte langsam, als er meine hochgezogenen Augenbrauen sah. „Aber von all diesen Seepferdchen habe ich mir dich ausgesucht. Und ich will nur dich...“

Meine Augen mussten leuchten, wie die eines kleinen Mädchens, dem man gerade die neueste und tollste Barbie geschenkt hatte.

„Hai-chan?“, fragte Gackt in seiner weichsten Tonlage und brachte mich damit in die Realität, aber nicht etwa auf den Boden zurück. Er nahm meine beiden Hände in seine, machte eine theatralische Spannungspause und fragte: „Willst du mein Seepferdchen werden?“

Jetzt leuchteten meine Augen definitiv wie die einer Teenagerin, die vom tollsten Typen der Schule, nein, vom tollsten Mann der ganzen Welt um ein Date gebeten wurde. Also wohl von Gackt.

Ich schaute zu ihm auf, sah sein perfektes Lächeln, das mich anstrahlte, und dachte, mein Leben wäre perfekt. „Ja, ich will...“, antwortete ich, noch bevor ich zu denken begonnen hatte. Ich glaubte zu schweben und niemals abstürzen zu können. Doch das war, bevor ich mir bewusst wurde, dass ich als Seepferdchen gar nicht schweben konnte. Ich konnte nur schwimmen. Und es wäre von Vorteil gewesen, wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich um mein Leben schwimmen sollte.

A Seahorse's Needs - oder - Pling!

Und da schwebte ich nun.

In dieser Seifenblase aus Kindheitsträumen und Teenagerfantasien. Umgeben von Barbies und perfekten Kens. Doch hätte ich gewusst, dass Seifenblasen eigentlich nur aus ein bisschen glitschigem Spülmittel und Luft bestehen, hätte ich vielleicht schon früher bemerkt, dass nichts so rosig sein würde, wie es durch meine imaginäre rosa Dolce & Gabbana Sonnenbrille gerade aussah.

Dass hieß, Gackt konnte ich eigentlich durch alles hindurch anschauen, er war und blieb einfach Gackt. Egal in welcher Farbe, mit welcher Frisur und in welchen Kleidern: Gackt war Gackt. Und würde es wohl auch immer bleiben. Leider.

Noch hatte ich nicht wieder zu denken angefangen. Noch schwebte ich. Noch spürte ich die Ruhe vor dem Sturm nicht. Noch ahnte ich nichts von dem Sturm. Noch konnte ich mir nicht vorstellen, dass er selbst einem unschuldigen Seepferdchen wie mir, das arglos im Ozean umherschwamm, etwas anhaben könnte. Noch wollte ich es nicht wahrhaben, dass mein gemütlicher Spazierschwimm in einem Desaster enden könnte. Dass ich jeden Moment von der Strömung mitgerissen werden könnte. Dass ich hin und her geschleudert werden könnte, bis mir schwindlig und schlecht sein würde. Vielleicht konnte ich sogar an Land gespült werden, wo ich dann von einem Hund gefunden und probiert werden würde. Und ich würde bestimmt nicht etwa mit einem Happs von ihm gegessen werden, sodass es völlig schmerzlos ein Ende nehmen würde. Nein. Ich würde wahrscheinlich angebissen, ein bisschen im Sand herumgeworfen und noch einmal ein bisschen zerbissen werden, um dann angewidert liegen gelassen zu werden, weil ich gar nicht schmeckte. Vor allem wegen dem vielen Sand natürlich.

Aber noch dachte ich nicht an solche Dinge. Noch schwebte ich.

Gackt hielt noch immer meine Hände in seinen und ich glaubte noch immer, nichts und niemand könnte diese Situation zerstören - bis mein Handy klingelte und drohte, die Seifenblase zum Platzen zu bringen.

Zuerst hörte ich es gar nicht, schwebte einfach weiter in meiner Seifenblase umher. Doch der Klingelton wurde mit jeder Sekunde lauter, bis er eine nahezu unerträgliche Lautstärke erreicht hatte, die mich dazu brachte, mein Handy aus meiner Hosentasche zu nehmen und - das war der Moment, in dem die Seifenblase platzte.

„Megumi?!“, entfuhr es mir, als ich ihren Namen auf dem Display las.

~Oh, mein Gac- äh - Gott ja!~ Ich hatte sie wieder total vergessen! Sie war schließlich schon mehrere Tage auf Hawaii und ich hatte sie kein einziges Mal angerufen. Dabei wollte ich mich doch noch bei ihr entschuldigen...

„Hallo, Schatz!“, meldete ich mich übertrieben fröhlich und schritt nervös auf und ab.

„Hallo.“, kam es mürrisch zurück. Schweigen.

„Es tut mir wirklich leid wegen letztes Mal.“, startete ich einen Versöhnungserklärungsversuch. „Das ist alles irgendwie blöd gelaufen. Ich habe getrunken, weißt du. Und dann bin ich eben eingeschlafen und habe auch deinen Abflug verschlafen. Ich wollte natürlich eigentlich nach Hause kommen - dann hättest du mich sicherlich auch rechtzeitig geweckt -, aber ich war wie gesagt zu betrunken und Gackt hatte keine Ahnung davon, sonst hätte er mich bestimmt nach Hause oder am nächsten Morgen zum Flughafen gebracht.“ Stille. „Es tut mir wirklich leid...“

„Hm.“, machte Megumi zuerst nur, doch dann seufzte sie und meinte: „Na gut. Ich verzeihe dir noch mal. Aber wehe du holst mich nicht ab, wenn ich wieder zurückkomme!“

„Natürlich mach ich das. Ich verspreche es.“, sagte ich lächelnd. Sie hatte mir verziehen! Erleichterung und Glücksgefühle überwältigten mich. Ich hatte ernsthafte Schwierigkeiten, mich davon abzuhalten, triumphal mit meiner freien Faust in die Luft zu schlagen.

„Hier ist es wundervoll, aber ich vermisse dich so sehr...“, sagte sie nahezu quengelnd.

„Ich vermisse dich auch, Schatz...“, versicherte ich ihr und begann einen Moment, darüber nachzudenken, ob das wirklich der Wahrheit entsprach, verwarf den Gedanken jedoch sofort wieder. Er würde nur Ärger machen. Und das konnte ich jetzt nicht gebrauchen.

„So, das reicht jetzt.“, meinte Gackt auf einmal und nahm mir das Handy aus der Hand.

„Nein!“, schrie ich sofort, wissend, was Gackt alles anrichten konnte: mehr als meine Gedanken. „Lass es!“

Er wandte sich einfach von mir ab, damit ich nicht so leicht an den Hörer gelangen konnte und sagte ernst in diesen: „Hai-chan hat nichts wiedergutzumachen.“ Ich starrte ihn entsetzt an. „Er hat nichts getan. Und selbst wenn, dann wäre es an mir, sich eine Strafe für ihn auszudenken. Denn er ist MEIN Seepferdchen.“

Ich wollte mir eine Hand vor die Stirn schlagen, doch ich war zu sehr damit beschäftigt zu versuchen, Gackt mein Handy zu entreißen, das er jedoch mit seinem Ellenbogen abschirmte und auch leider etwas zu hoch hielt, als dass ich so einfach da herangekommen wäre.

Ich wollte seinen Namen kreischen, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen, doch noch hatte er seinen Namen nicht genannt und ich konnte Megumi gegenüber noch immer behaupten, irgendein Besoffener oder dahergelaufender Trottel hätte sich einen Spaß erlaubt. Doch wenn sie wusste, dass es wieder Gackt war, der sie behandelte wie - ich weiß nicht wie! - so wie letzes Mal eben, dann würde Megumi wahrscheinlich nicht mehr so viel Verständnis zeigen.

„Wer ich bin und was ich mir erlaube?“, fragte Gackt und schien Megumis Worte zu wiederholen. „Erkennt man die berühmteste Stimme Japans etwa nicht wieder?“

„Gib jetzt her!“, rief ich aufgebracht und sprang an Gackt hoch, doch er hielt mein Handy einfach kurzzeitig über seinen Kopf - aus meiner Reichweite.

Als er es wieder an sein Ohr heben wollte, sprang ich erneut, doch wieder war er schneller und clever genug, um zu wissen, dass ich verzweifelt genug war, jedes Mal, wenn er das tat, zu springen wie ein ausgehungerter Hai, dem man ein blutendes Stück Fleisch über die Reling hielt. Gackt ließ deshalb das Handy einfach über seinem Kopf schweben und rief zu ihm nach oben: „Haido-chan will keine solche störenden Anrufe mehr! Vor allem nicht von einer Frau mit so wenig Allgemeinbildung!“ Und legte auf.

Er legte einfach auf! Wie konnte er mir das antun?! Megumi hatte mir gerade erst wegen der letzten Aktion verziehen! Jetzt würde sie definitv stinkwütend sein! Ich wusste nicht einmal, wie ich mich jetzt noch dafür rechtfertigen sollte! Sie könnte nun ewig sauer auf mich sein! Das war einfach zu viel! Schließlich musste sie jetzt ganz sicher wissen, mit welchem kranken Menschen sie es schon wieder zu tun gehabt hatte, und würde keine Erklärung dafür dulden. JEDER, der auch nur ein Wort Japanisch verstand, würde nach diesem Gespräch wissen, wer am anderen Ende der Leitung gewesen war.

Ich sollte Megumi so schnell wie möglich zurückrufen. Am besten sollte ich erst von hier verschwinden, damit ich sicher sein konnte, dass ich auch vernünftig mit ihr würde telefonieren können. Warum war in Gackts Nähe auch alles so unvernünftig?!

„Jetzt reichts.“, sagte ich endgültig. „Ich gehe. Und glaub bloß nicht, dass ich wieder zurückkomme.“

„Aber Hai-chan...“, versuchte Gackt es auf die Mitleidstour. Doch welchen Grund sollte ich haben, Gackt auch nur einen Funken Mitleid zu schenken???

„Nein, du hast das Fass jetzt wirklich zum Überlaufen gebracht! Genug ist genug!“

Plötzlich gab mein Handy erneut Geräusche von sich, doch es war kein Anruf. Es kündigte nur eine SMS an. Ich sah, dass sie von Megumi war, öffnete sie und las:

„Meine Eltern haben gefragt, ob du den Kleinen vielleicht für ein Wochenende nehmen könntest, weil ihnen etwas Wichtiges dazwischen gekommen ist. Aber ich verstehe das, wenn du keine Zeit für so etwas hast. Es ist ja schließlich nur dein eigener Sohn! Und du scheinst so wahnsinnig beschäftigt zu sein! Also, überleg es dir und ruf meine Eltern an.“

Kein Gruß. Keine liebevolle Verabschiedung. Nichts. Sie war definitiv sauer.

Plötzlich bemerkte ich, dass Gackt mir über die Schulter schaute, um mitlesen zu können.

Ich drückte das Handy an mich, als wollte ich es vor Gackt schützen und schaute ihn böse an. Ich versuchte es zumindest. Ich habe keine Ahnung, wie böse ich schauen kann, aber ich gab - in diesem Fall auf jeden Fall - mein Bestes.

„Du hast Recht.“, meinte er auf einmal und ich schaute ihn überrascht an. Sollte er tatsächlich zur Vernunft gekommen sein und sich jetzt für sein Verhalten entschuldigen? Würde er sich übers Telefon auch bei Megumi entschuldigen und dann würde wieder alles gut werden? Konnte ich das wagen? Was, wenn er es dann nur wieder schlimmer machen würde?

„Sie ist wirklich nervig.“, meinte er dann und fuhr sich - wie als wäre er gestresst - in einer arroganten Geste durch die Haare. Meine Kinnlade klappte herunter.

„Wann habe ich gesagt, dass Megumi nervig ist?!“ Er brachte mich wirklich zur Weißglut.

„Ach, Hai-chan...“, seufzte er, als würde ich vehement etwas abstreiten, was vollkommen offensichtlich war. „Du kannst nichts dafür. Frauen sind nun einmal so. Sie sind viel komplizierter als wir Männer.“

Ich schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Du willst sagen, DU wärst nicht kompliziert?“

„Ja. Ich bin nicht kompliziert.“, behauptete er schlicht. „Gib mir einfach das, was ich will, und ich bin ganz brav.“

„Gut, aber wahrscheinlich willst du eben verdammt viel.“, versuchte ich halbherzig, ihm klar zu machen, dass er nicht gerade außergewöhnlich anspruchslos war.

„Das ist relativ. Im Prinzip brauche ich nur eines.“, erklärte er. „Das eben acht Stunden am Tag, aber dann bin ich vollkommen zufrieden...“ Er schaute mich unschuldig lächelnd an, ich schaute fassungslos zurück. Dann vergingen ein oder zwei Sekunden, in denen ich ein paar Grillen zirpen hören konnte.

„Ich gehe.“, wiederholte ich kurzerhand und machte mich auf den Weg zur Tür.

„Aber warum denn? Habe ich etwas Falsches gesagt?“, fragte Gackt sogleich ungewöhnlich taktvoll. Ich redete mir ein, dass das der einzige Grund war, weshalb ich stehen blieb und mich wieder zu ihm umdrehte.

„Du hast nicht nur einiges Falsches gesagt, du hast vor allem alles falsch gemacht! Wenn ich wegen dir einen riesigen Streit mit meiner Frau habe, dann gibt das echt noch Ärger! Also, ich meine, dann kriegst du sowas von Ärger mit mir! Aber so richtig!“

„Du machst mir Angst...“, schmollte er mit einer vollkommen unschuldigen Miene.

Ich unterdrückte einen Wutschrei, drehte mich um und stampfte Richtung Tür.

„Du hast etwas vergessen, Haido-chan...“, trällerte Gackt und ich hörte ein Klimpern.

Ich schwor mir, dass es das letzte Mal sein würde, dass ich mich noch einmal freiwillig zu ihm umdrehte, und tat ebendies, um zu sehen wie Gackt triumphierend mit einem Schlüsselbund herumwedelte. ~Er hat meine Schlüssel?!~

„Ich habe deine Wagenschlüssel...“, meinte Gackt amüsiert, was eigentlich nicht mehr nötig gewesen wäre, doch das behielt ich für mich. Ich wollte ihm schließlich die Freude nicht nehmen.

„Aber... Wann...?“, wunderte ich mich laut.

„Tja... Als du wie in Trance auf meinem Bett lagst, während ich mein Handy geholt habe, um mich zu überzeugen, dass es wirklich schon Zeit für Full Metal Alchemist ist, sind mir deine Schlüssel ins Auge gefallen und da dachte ich, die könnten mir noch etwas nützen, und habe sie zusammen mit meinem Handy in meine Hosentasche getan. Clever, ne?“

„Dann laufe ich eben.“, meinte ich entschlossen und ging ebenso zielstrebig zur Tür. Ich drückte die Klinke hinunter und war - überrascht. Sie ließ sich einfach so öffnen. Ich hatte erwartet, dass sie wieder verschlossen sein würde, doch... nichts. Ich konnte einfach hinausspazieren, genau so wie ich es mir vor wenigen Tagen noch erträumt hatte. Doch jetzt...

Diverse Dinge gingen mir durch den Kopf - Seepferdchendinge. Seltsame Gefühle durchfluteten mich, die ich am liebsten durch meine Kiemen wieder abfließen lassen wollte.

Ich zögerte einen Moment, doch dann schritt ich durch die Tür und lief energisch zum Fahrstuhl. Dort drückte ich auf den Knopf und wartete. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis ein „Pling!“ mir sagte, dass der Fahrstuhl endlich bei mir angekommen war. Ich hatte die ganze Zeit zurück zu Gackts Wohnungstür gestarrt, die ich - ich wusste nicht ob mit Absicht - offen stehen gelassen hatte, in der Erwartung, dass Gackt jeden Moment durch sie hindurch zu mir kommen würde, um mich aufzuhalten.

Das letzte Mal, als ich auf der Flucht war, da hatte ich mir deshalb nicht so viele Gedanken gemacht, weil Tetsu bei mir gewesen war. Doch jetzt, da ich ganz alleine einfach gehen wollte und Gackt mich hier, wo uns niemand sehen würde, noch problemlos - ohne jegliche Rufschädigung - abfangen konnte, war ich mir sicher gewesen, dass er das auch tun würde. Ich wartete regelrecht darauf. Doch ich sah ihn nicht einmal in der Tür stehen.

Irgendetwas an der Situation machte mich unglaublich wütend. Ich ließ den offenen stehenden Fahrstuhl einen offenen stehenden Fahrstuhl sein und drehte um, lief zurück durch Gackts Wohnungstür und blieb - in einem angemessenen Abstand - hinter Gackt stehen, der am Fenster stand, mit dem Rücken zu mir gewandt. Ich fragte mich kurz, was er da tat, warum er aus dem Fenster sah, aber ich beschloss, dass ich es nicht wissen wollte. Nicht jetzt. Jetzt streckte ich meine Hand aus, als er sich überrascht zu mir umwandte.

„Meine Schlüssel.“, forderte ich.

„Dafür bist du extra zurückgekommen?“, fragte er schelmisch grinsend.

„Ja, dafür bin ich extra zurückgekommen.“, wiederholte ich gereizt. „Ich sehe es einfach nicht ein, dass ich nach Hause laufen soll, nur weil du so kindisch bist.“

„Kindisch?“, fragte Gackt zurück, als hätte er noch nie von diesem Wort gehört.

„Ja, kindisch. Jetzt gib mir meine Schlüssel.“ Dieses Mal würde ich es mit Worten versuchen und mich nicht wieder zum Affen machen, indem ich wild herumhüpfte, in der Hoffnung so hoch springen zu können, wie weit Gackts ausgetreckte Arme reichten. Das war nämlich utopisch.

„Erst wenn du die acht Stunden mit mir verbracht hast...“, stellte er eine Bedingung und grinste mich von oben herab an.

„Ich fürchte, ich habe schon viel zu viel Zeit mit dir verbracht!“, fuhr ich ihn an. „Und ich hege leisen Verdacht, dass deine Hirnrissigkeit schon auf mich abgefärbt hat! Manchmal bin ich mir sogar gar nicht mehr sicher, ob ich nicht doch ein Seepferdchen bin! Denn ich frage mich Dinge, die ich mich als Mensch niemals fragen würde! Und ich bekomme Angstzustände, wenn ich an Badewannen denke! Ich habe Alpträume von Algen und Haien! Ich habe es die drei Tage zu Hause kaum ausgehalten! Ich konnte nicht baden und wollte auch so keinen Fuß ins Badezimmer setzen, so verwirrt und verstört war ich! Und verwirrt und verstört genug, um wieder hierher zurückzukommen, war ich auch! Ich will das alles einfach nicht mehr! Mach es rückgängig! Gib mir mein Leben zurück!“ Ich begann, mit meinen Fäusten gegen seinen Brustkorb zu trommeln. „Gib es zurück! Gib es mir wieder zurück! Gib mir mein früheres Leben zurück! Und gib mir verdammt noch mal meine Kontrolle zurück! Mach mich wieder zum Menschen! Ich will kein Seepferdchen mehr sein! Ich halt das nicht mehr aus! Ich will wieder so sein wie vorher!“

„Was hat sich denn geändert?“, fragte Gackt ruhig und ich bemerkte, dass ich aufgehört hatte, auf ihn einzuhämmern, und dass er mich liebevoll im Arm hielt. Mein Kopf ruhte an seiner Brust - oder auch ein Stück tiefer - und meine Fäuste ebenfalls - nur ein Stück höher. Er strich mir beruhigend über den Rücken und hielt mich sicher fest. Es fühlte sich so schön an...

„Was tust du nur mit mir?“, jammerte ich. „Ich wollte längst weg sein und jetzt... Jetzt bin ich immer noch hier, obwohl ich das gar nicht will.“

„Bist du sicher?“, fragte Gackt leise nach.

„Nein.“, schmollte ich.

„Na also. Du tust nur das, was du willst. War das vorher nicht so?“

„Voher war ich kein Seepferdchen. Die haben scheinbar andere Bedürfnisse...“, antwortete ich kleinlaut.

Ich hörte, dass Gackt lächelte, als er sagte: „Aber solange es nichts Schlimmes ist...“

„Aber es ist schlimm!“, brach es aus mir heraus. „Ich vernachlässige meine Familie, betrüge meine Frau und habe keine Ahnung mehr, was ich wirklich will!“

„Soll ich dir sagen, was du willst, Hai-chan?“, fragte Gackt sanft.

„Ja.“, schmollte ich wieder und schaute hoffnungsvoll zu ihm auf.

„Du willst mich.“

Es war schwierig, das abzustreiten oder ihm gar das Gegenteil zu beweisen, vor allem als er mich zu küssen begann. Unmöglich wurde es, als wir in seinem Bett gelandet waren. Und völlig vergessen hatte ich es, während er einen Teil von seinen verlangten acht Stunden bekam - beziehungsweise ihn sich einfach nahm.

The Sleeping Beauty - oder - Die Erdbeerbowle

Und da keuchte ich nun.

„Ga-chan, ich kann nicht mehr... Bitte... Bitte lass mich schlafen.“, bettelte ich.

„Es ist gerade mal sieben Uhr.“, entgegnete Gackt ungläubig. „Du kannst doch nicht jetzt schon schlafen wollen.“

„Aber ich brauche eine Pause...“, winselte ich. „Ich bin völlig fertig...“

„Von was?“, fragte er verwirrt.

„Von was wohl?!“, meinte ich entrüstet.

„Aber du bist doch der Passive.“, erwiderte er.

„So passiv, wie du denkst, ist das dann auch wieder nicht!“, empörte ich mich.

„Ach, deswegen bist du so verschwitzt.“, erkannte er.

„Nein, deswegen nicht!“, meinte ich ironisch. „Ich habe gerade eine ganze Flasche Volvic über mich gekippt, deswegen!“

„Ach so.“, meinte Gackt nur und ich seufzte gequält auf. Ich war für einen Wutschrei viel zu erschöpft.

„Eine Flasche Wasser wäre jetzt gar nicht schlecht.“, meinte ich und legte eine Hand an meinen Hals. „Meine Kehle ist ganz rau. Ich glaube, ich trockne gleich aus.“

Was?!“, kam es entsetzt von Gackt. „Nicht sterben, mein Seepferdchen! Ich bringe dir sofort Wasser! Ganz viel Wasser! - Halt durch!“, rief er noch, bevor er durch die Schlafzimmertür verschwand.

Ich wollte den Kopf schütteln, doch er war zu schwer. Was hatte Gackt nur mit mir angestellt? - Also eigentlich wollte ich das besser nicht wissen. Und wie lange? Was hatte er gesagt? Sieben Uhr? Moment. Sieben Uhr?! Full Metal Alchemist kam um drei!

Oh, mein Gott! Er macht die acht Stunden vielleicht ernsthaft wahr...

„Dein Wasser, mein kleiner Seedrache...“ Mir wurde ein volles Glas Wasser vor die Nase gehalten.

„Danke.“, sagte ich heiser und trank das Glas in einem Zug leer.

„Komm. Ich werde Badewasser für dich einlassen. So ein bisschen trinken reicht für Seepferdchen nicht.“

„Nein.“, murrte ich. „Ich will nicht...“

„Du willst nicht? Aber du wirst austrocknen...“, meinte er besorgt.

„Morgen... Erst morgen...“, brachte ich mühsam hervor.

„Du wirst erst morgen austrocknen?“, fragte Gackt schockiert nach.

„Nein! Ich will erst morgen baden, verdammt! Jetzt lass mich schlafen...“

Eigentlich war ich erschöpft genug, um sofort in einen steingleichen Tiefschlaf zu fallen, doch Gackt hatte beschlossen: Wenn ich schon nicht baden wollte, dann musste er mich mindestens feucht halten - damit ich nicht austrocknen konnte. Das hieß, er holte ein nasses eiskaltes Handtuch und tupfte mich damit am ganzen Körper ab. Es war zwar unglaublich angenehm, nach all der Hitze, doch so machte er es mir schon schwierig, einfach einzuschlafen. Vor allem weil er besonders besorgt schien, dass ein gewisses Körperteil austrocknete...

Irgendwann - ich hatte das Gefühl, es war mitten in der Nacht, vielleicht auch schon morgens - wachte ich auf und Gackt saß immer noch - oder wieder - bei mir und rieb mich mit dem nassen Handtuch ab.

„Ga-chan... Bitte...“, klagte ich.

„Ja? Was ist?“, kam es aufmerksam zurück.

„Lass mich schlafen...“, stöhnte ich.

„Noch mehr? Ach, Hai-chan...“, sagte Gackt enttäuscht. „Was soll ich denn die ganze Zeit tun, wenn du hier nackt in meinem Bett liegst?“

„Mir egal, aber lass mich schlafen...“, murmelte ich in mein Kissen.

Als ich das nächste Mal aufwachte, fühlte ich mich schon etwas ausgeschlafener, doch mir tat noch immer alles weh und mein Hals war wieder unangenehm trocken. Ich gähnte ausgiebig und streckte mich. Dann bemerkte ich, dass Gackt immer noch - oder wieder - auf der Bettkante saß.

„Morgen...“, sagte ich verschlafen.

„Könnte der ‚Morgen’ mal etwas früher bei dir beginnen?“, fragte Gackt etwas mürrisch.

„Wieso, wie spät ist es?“, fragte ich, nochmals gähnend.

„Drei.“, antwortete er.

„Drei Uhr morgens?“, fragte ich fassungslos. „Ga-chan. Für Nicht-Cyborgs, die mehr als drei Stunden Schlaf pro Nacht brauchen, ist das noch verdammt früh.

„Nein. Drei Uhr nachmittags.“, sagte Gackt trocken.

„Ach so...“, meinte ich zunächst, bis mir dämmerte, was das hieß und ich verstand, warum Gackt so griesgrämig war. „Was?! Wieso hast du mich denn nicht geweckt?!“

„Das hab ich doch. Aber du hast nur gesagt: ‚Lass mich schlafen.’ ‚Mir egal, aber lass mich schlafen’.“, äffte er mich nach.

„Aber ich wusste ja auch nicht, wie spät es ist! Hier sind keinerlei Fenster! Woher soll ich wissen, wie viel Uhr wir haben?! Ich kann dir nicht mal sagen, ob die Sonne scheint, ich sehe hier nämlich nur den Mond!“, argumentierte ich und zeigte an die Decke.

„Na ja, jetzt bist du ja endlich wach. Komm, lass uns frühstücken. Oder mittagessen.“

„Warte.“, sagte ich, als hätte mich ein Geistesblitz getroffen. „Ich muss dringend telefonieren!“

Ich musste schleunigst Megumis Eltern anrufen. Wenn ich mich nicht um unseren Sohn kümmern würde, dann würde ich riskieren, es einmal zu sehen, wozu Megumi im Furienzustand alles fähig war. Vielleicht würde sie wirklich nie wieder ein Wort mit mir reden. Und das war noch die großzügige Variante. Ich fürchtete eher... Nein, ich würde mir jetzt keine Gedanken darüber machen, wie qualvoll ich wahrscheinlich sterben würde.

Also tat ich es: Ich schnappte mir mein Handy, schloss mich im Bad ein und rief ihre Eltern an. So weit, so gut. Bis auf die Tatsache, dass es seltsam war, nackt mit den eigenen Schwiegereltern zu telefonieren. Ich hatte in all der Eile vergessen, mich anzuziehen. Vielleicht hatte auch schon Gackts Angewohnheit, nackt herumzulaufen, auf mich abgefärbt!

Megumis Eltern, beziehungsweise ihre Mutter sagte mir, wann ich meinen Sohn bei ihnen abholen konnte und ich schrieb es mir vorsorglich auf. So weit auch noch gut. Doch dann kam der Haken: Beim Aufschreiben davon in meinen Terminkalender fand ich in dem Kästchen, das für den heutigen Tag reserviert war, die kleine niedliche Notiz, die besagte: „Meeting um 15 Uhr im Studio (ist aber noch nicht sicher)“

Während es mir dämmerte, was das bedeutete, hörte ich mein Handy klingeln. ~Tetsu!~

Eilig nahm ich ab. „Sorry, Tet-chan, ich bin schon unterwegs!“

„Das will ich aber auch hoffen.“, kam es von Tetsu gereizt zurück. „Ich habe dir doch erst gestern Bescheid gegeben. 15 Uhr. Im Studio. Was genau hast du daran nicht verstanden? Wo zur Hölle steckst du denn?“

„Das... willst du nicht wissen.“, wich ich seiner Frage aus.

Ich hatte das Gefühl, er zog gerade eine Augenbraue unglaublich weit nach oben. „Ach so. Gut. Du kannst Gakuto-san auch mitbringen, solange er uns keine Ratschläge gibt, wie man es besser machen könnte.“

„Nein! Ich komme allein!“, erwiderte ich aufgebracht und bemerkte, dass ich mich damit verraten hatte. „Und ich komme sofort! Gib mir, sagen wir, zwanzig Minuten. Wenn ich bis dahin noch nicht bei euch sein sollte... RETTE MICH!“

„Das Thema hatten wir schon, Doiha. Also bis später. Wir fangen jetzt halt ohne dich an. Wehe, du meckerst nachher an irgendetwas herum.“, warnte er noch.

„Nein, mach ich ganz bestimmt nicht. Und ich beeile mich! Es tut mir wirklich lei-“ Ein unglaublich nerviges Tutgeräusch sagte mir, dass er aufgelegt hatte.

„Warum läuft in meinem Leben gerade alles schief?“, fragte ich mich laut und bekam die Antwort durch die Badezimmertür: „Seepferdchen... Komm zu Onkel Ga-chan.“

~Okay. Ich werde mir jetzt ein Handtuch umwerfen, schnell im Schlafzimmer verschwinden, mich anziehen und dann abhauen. Ja, so mach ich es.~, dachte ich, doch als ich angezogen und auf dem Weg zur Tür war, fiel mir auf, dass ich noch immer keinen Sprit in meinem Tank hatte.

„Ga-chan?“, fragte ich vorsichtig in die Küche hinein, in der Gackt gerade eifrig herumhantierte. Mir stockte der Atem, als ich sah, dass er damit beschäftigt war, uns ein wundervolles Frühstück zuzubereiten. Es sah so dermaßen köstlich aus und mit einem fragenden Blick zu meinem leeren Bauch wusste ich: Ich starb bereits nahezu vor Hunger.

Ich hatte zwei Möglichkeiten: Entweder ich ging jetzt mit Sprit von Gackt oder einem Nachbarn, so schnell es ging, ins Studio - oder ich frühstückte erst einmal ausgiebig und ließ mich von Tetsu abholen.

Das Problem an Lösung zwei war, dass ich nicht sicher sagen konnte, ob Tetsu mich tatsächlich abholen würde. Und auch nicht, was er tun würde, wenn ich gar nicht erst auftauchte. ~Kenne ich Tetsu im Furienzustand?~ Aber er musste doch Verständnis für mich haben. Schließlich wusste er doch, dass ich keinen Sprit mehr hatte! Das hatte ich ihm ja gestern erzählt! Allerdings würde er wohl davon ausgehen, dass ich mich längst darum gekümmert hatte, und auch längst wieder zu Hause gewesen sein musste. Schließlich konnte er sich kaum vorstellen, was man den ganzen Tag oder gar mehrere Tage hintereinander mit Gackt treiben konnte. Na ja, wenn man es so ausdrückt, ist es eigentlich offensichtlich.

„Hai-chan?“, fragte Gackt liebevoll lächelnd. „Willst du dich nicht setzen?“

Ich bemerkte, dass ich noch immer in der Tür zu Gackts Küche stand. „Ich...“, begann ich ratlos, wie ich es ihm erklären sollte, und traf dann eine Entscheidung: „Doch.“ Und setzte mich.

Ich würde einen Kompromiss eingehen. Ich würde jetzt schnell etwas essen und dann so schnell wie möglich verschwinden. Wenn ich völlig ausgehungert im Studio erscheinen würde, würde Tetsu mir ebenfalls den Kopf abreißen, also sollte ich, wenn ich schon zu spät kam, mindestens brauchbar dort erscheinen. Es wäre unvorteilhaft, wenn wir mein Magenknurren in die Single mitaufnehmen müssten.

„Das sieht so unglaublich lecker aus! Hast du das alles selbst gemacht?“, fragte ich begeistert und krempelte meine Ärmel zurück, bereit alles in mich hineinzustopfen, wohin meine Arme reichten.

„Ja, du hast mir schließlich genug Zeit gelassen. Wie kann man nur so lange schlafen? Ich verstehe das immer noch nicht.“, sagte er kopfschüttelnd.

„Ich war halt... erschöpft.“, erklärte ich lahm und begann umso hastiger zu essen. „Aber... der lange Schlaf... hat mir... unglaublich gut... getan.“, ließ ich Gackt zwischen ein paar Sushiteilchen wissen. „Ich habe schon... ewig nicht mehr... so gut geschlafen.“ Meine Suppenschüssel war bereits halb leer.

„Dann gefällt es dir, wenn ich dich so erschöpfe?“, fragte Gackt lächelnd, eine Augenbraue lasziv nach oben gezogen.

Ich verschluckte mich an der zweiten Hälfte der Suppe. Bis ich aufgehört hatte zu husten, hatte ich das Gefühl, ich müsste gar nicht mehr antworten. Doch die Hitze blieb. In meinem Magen von der Suppe, und in meinem Gesicht von der Erinnerung an letzte Nacht.

Gackt riss mich aus meinen Gedanken mit der Frage: „Hast du dich jetzt eigentlich für eine Farbe entschieden?“

„Eine Farbe?“, fragte ich zurück, nachdem ich das Reisbällchen, das ich nur flüchtig gekaut, hinuntergeschluckt hatte.

„Eine Farbe für dein Kostüm.“, erklärte Gackt ruhig und schenkte mir Tee nach.

„Was für ein Kostüm?“, fragte ich, da fiel es mir wieder ein. „Ah, das Seepferdchenkostüm. Nein. Also, ja. Du brauchst keine weiteren Farben. Die zwei reichen völlig.“, versuchte ich ihm klar zu machen.

„Oh, gut. Das freut mich, dass ich deinen Geschmack getroffen habe.“, lächelte er und hielt dann inne. „Ach so. Warte mal. Du bist ja sowieso farbenblind. Hast du überhaupt einen Unterschied zwischen den beiden Kostümen feststellen können?“

„Natürlich habe ich das. SO blind bin ich jetzt auch wieder nicht.“, stellte ich klar.

„Musst du trotzdem keines von diesen Blindenabzeichen am Arm tragen?“, fragte er neugierig und ich rollte genervt mit den Augen. Hatte ich denn wirklich geglaubt, ich könnte dieses wundervolle Frühstück wirklich genießen? „Oder sind deine Tattoos an den Oberarmen vielleicht sogar solche Abzeichen?“

„Erstens tragen solche Armbinden nur wirklich Blinde und zweitens sehen meine Tattoos in deinen Augen hoffentlich nicht so aus, als wären es drei schwarze Punkte auf ziemlich gelber Haut. Wenn doch, dann würde ich mir an deiner Stelle sorgen machen, allmählich selbst blind zu werden.“ Ich aß kopfschüttelnd weiter.

„Oh, mein Gott.“, hörte ich Gackt dann sagen. „Glaubst du wirklich, ich bin dabei, blind zu werden?“, fragte er entsetzt. „Das wäre schrecklich! Stell dir nur mal vor, wie ich meine Bühnenshow machen sollte, wenn ich nichts mehr sehen kann! Oder noch schlimmer: wie ich meine Kostüme für die Konzerte aussuchen sollte? Man würde mir bestimmt etwas Grauenvolles anziehen! Wer hat heutzutage schon noch eine Ahnung von Mode oder einen Sinn für Ästhetik?“

~Oh, diese köstlichen Reisbällchen! Ich würde sie so gerne alle essen, aber ich darf nicht! Ich sollte längst gehen! Aber diese köstliche Suppe...~

„Und meine Schauspielkarriere wäre ebenfalls vorbei! Und die Bilder für all die Magazine könnte ich auch nicht mehr selbst aussuchen! Es wäre ein Desaster!“

~Die Soba-Nudeln sind ein Traum...~

„Würdest du trotz alledem an meiner Seite bleiben, Hai-chan? Ob blind oder taub? Ob impotent oder s-“

„So.“, meinte ich plötzlich und Gackt schaute mich überrascht an. „Ich muss jetzt los.“

„Jetzt schon?“, wunderte er sich. Wahrscheinlich weil er erwartet hatte, dass ich stundenlang essen würde, solange der Tisch noch so voll mit Leckereien stand. Das hätte ich gewöhnlich natürlich auch getan, doch ich sollte mich wirklich dringend auf den Weg ins Studio machen, wenn ich wollte, dass eine akzeptable Arbeitsatmosphäre zwischen Tetsu und mir noch möglich war.

„Ja, das Meeting hat schon längst angefangen. Könntest du mir dann jetzt etwas Sprit leihen?“, fragte ich ganz freundlich.

„Weißt du, wie teuer Sprit zur Zeit ist?“, fragte Gackt und ich fragte mich, ob er mir damit bedeuten wollte, dass ich ihn dafür entschädigen müsse, wenn ich mir welchen von ihm leihen wollte, oder ob er aus reinem Interesse an meiner Allgemeinbildung fragte. Oder einfach, um mich wütend zu machen. Ich hatte keine Ahnung, vermutete eine Mischung aus allen drei Möglichkeiten und antwortete: „Ja, ich weiß. Du kriegst es zurück.“

Das war vielleicht ein Fehler.

„Hilfst du mir dafür, den Tisch wieder abzuräumen?“, fragte Gackt unschuldig.

Ich atmete tief ein und wieder aus. „Ga-chan. Ich weiß, ich habe nicht wirklich den Eindruck erweckt, aber ich dachte, ich habe es immerhin relativ gut angedeutet, aber ich sage es dir auch gerne noch einmal klar und deutlich: Ich habe es eilig.“

Gackt schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, als verstünde er nicht ganz. Vielleicht kannte er das Wort „Eile“ auch gar nicht. So langsam wie er sprach, so gelassen wie er lief, so ruhig wie er sich immer gab, war das schon möglich.

„Ich will einfach, dass du mir schnell etwas Sprit gibst, und dann bin ich weg.“, fasste ich zusammen.

„Ich will aber nicht, dass du gehst.“, stellte er klar.

Ich seufzte geräuschvoll. „Ga-chan. Das ist nicht der richtige Augenblick, um anhänglich zu sein.“

„Wann dann?“, fragt er sogleich.

„Eigentlich... gar nie.“, erwiderte ich ehrlich.

„Oh...“, machte er enttäuscht.

„Also... Leihst du mir dann jetzt Sprit oder nicht? Wenn nicht, gehe ich jetzt zu einem deiner Nachbarn.“

„Nein, brauchst du nicht. Ich geb dir welchen.“, sagte er und lächelte mich an, als ich ihn dankbar anlächelte. Dann vergingen ein paar Sekunden, in denen nichts weiter geschah.

„Also dann...“, drängte ich und fuchtelte etwas mit meinen Händen herum, um ihm das noch zu verdeutlichen. „Gehen wir mal in deine Garage, nicht?“

Gackt schaute mich einen Moment fragend an, bevor er sich mit einem simplen „Okay“ geschlagen zu geben schien. Er stand endlich vom Frühstückstisch auf, zu meinem Glück, ohne damit anzufangen, aufzuräumen. Nachdem er an mir vorbei aus der Küche ging, warf ich noch einen Blick zurück zum Tisch, halb in der Annahme, die Wichtel dabei zu erwischen, wie sie begannen, alles blitzblank sauber zu machen.

„Kommst du?“, fragte Gackt dann auf einmal und ich zuckte zusammen und beendete damit meine Ich-starre-auf-Gackts-Teller-weil-ich-glaube-dass-er-sich-gleich-auf-magische-Art-und-Weise-von-selbst-reinigen-wird-Phase.

Als wir inmitten der Garage standen, schaute Gackt mich abermals fragend an, als wäre es an mir, in seiner - im Gegensatz zur Küche - chaotischen Garage nach einem Benzinkanister zu suchen.

„Ja, und jetzt? Wo hast du Sprit?“, fragte ich dann wieder drängend.

„Im Keller.“

„Und was machen wir dann hier in der Garage?!“

„Du sagtest, du wolltest in die Garage.“, verteidigte er sich.

Ich schnaubte ein paar Mal wütend und versuchte, mich dann wieder halbwegs zu beruhigen. „Okay, dann bring mich jetzt dahin, wo es Sprit gibt.“

„Du willst zur nächsten Tankstelle laufen?“

„Nein!“, schrie ich ihn an. „Ich will einen Benzinkanister aus deinem Keller!“

„Na gut, na gut. Ganz ruhig.“, versuchte er, mich zu besänftigen. „Komm mit.“

Ich folgte ihm wieder zurück durch die endlos scheinenden Gänge in den noch dunkleren Gewölbekeller. Also noch dunkler als der Rest des Hauses.

„Und du bist auch sicher, dass du einen Kanister hier hast?“, fragte ich, als ich mich in einem gigantischen Keller voller fein säuberlich eingeräumten Regalen voller Gerümpel wiederfand. Es war alles Mögliche hier drin zu finden, von Trainingsgeräten über Kuscheltiere und Whirlpools zu undefinierbaren Gegenständen - alles, nur nichts, was auch nur annähernd an Autozubehör oder gar einen Kanister erinnert hätte.

„Ziemlich sicher.“, antwortete Gackt mit einer Ungewissheit, die mich beinahe aufheulen ließ. Wenn es so weiterging, schaffte ich es höchstens noch zur Verabschiedung der Bandmitglieder.

„Ah! Da ist es ja!“, freute sich Gackt auf einmal und ich wollte schon erleichtert aufatmen, dass ich jetzt endlich nach Hause fahren konnte, da sah ich, wie er überglücklich eine Vase hochhob und sie mit leuchtenden Augen betrachtete. „Die habe ich schon überall gesucht!“

„Such jetzt verdammt noch mal einen Kanister!“, schrie ich ihn an.

„Na gut, na gut.“, meinte er besänftigend. Dann blickte er sich kurz um, ging tiefer in den Keller hinein, durch eine Tür, die ich noch gar nicht bemerkt hatte. Ich folgte ihm und fand mich im nächsten Moment in einem völlig anderen Raum wieder, der tatsächlich ähnlich wie eine gewöhnliche Garage aussah. „Hier müsste einer sein...“, murmelte Gackt vor sich hin und plötzlich - „Ah, da ist einer! Hier! Ich wusste doch, dass ich irgendwo einen gesehen habe!“

„Na endlich!“, stöhnte ich und nahm ihm den Kanister aus der Hand. „So, wenn du jetzt noch einen Trichter hättest, wäre perfekt.“

„Oh... Da muss ich erst suchen...“

„Nein. Nein, lass es.“, hielt ich ihn davon ab, eine weitere nervenaufreibende Suchaktion zu starten. „Nicht nötig. Ich krieg das auch so halbwegs sauber reingeschüttet, danke.“

Damit machte ich mich mit dem Kanister in der Hand auf den Weg zum Ausgang. Gackt folgte mir und an der nächsten Abzweigung hielt ich an. „Geh du vor, ich hab keinen blassen Schimmer mehr, woher wir gekommen sind.“

„Oh, das ist gut zu wissen.“, meinte Gackt dazu. „Wenn ich will, dass du bei mir bleibst, muss ich dich nur im Keller aussetzen und du findest nicht wieder raus.“ Ich schaute ihn für einen Augenblick entsetzt an, bis er lachte. „Das war nur ein Scherz.“, versicherte er mir. Doch ich glaubte ihm nicht.

Bei meinem Wagen stehend, den Kanister in den Tank leerend, fühlte ich mich wie jemand, der gerade die letzten Vorbereitungen traf, um seinen größten Traum wahr werden zu lassen. Je leichter der Kanister in meinen Händen wurde, desto erleichterter war ich, und desto mehr Hoffnung hatte ich, meinen Kopf von Tetsu nicht abgerissen zu bekommen -, bis mir ein seltsamer Geruch in die Nase stieg. Ich hob den Kanister zu meiner Nase und roch hinein. „Ga-chan.“

„Hm?“, kam es unschuldig von diesem.

„Was zur Hölle ist da drin?“, fragte ich in beherrschtem Tonfall.

„Was? Es ist kein Benzin?“ Er roch ebenfalls in den Kanister hinein und machte dann ein überraschtes „Oh.“ Er roch noch einmal daran und strahlte dann. „Das ist Chachamarus Erdbeerbowle!“

„Warum um Himmels Willen bewahrst du Erdbeerbowle in deinem Keller auf?“

„Die schmeckt einfach klasse, die musst du probieren! Es ist Chachamarus eigenes Rezept!“

„Das hilft meinem Auto jetzt aber wenig!“, fuhr ich ihn an. „Und mir auch!“, schrie ich hinterher; meine Stimme klang langsam etwas hysterisch.

„Ich könnte mir gut vorstellen, dass der Wagen damit auch fährt. Da ist so viel Alkohol drin. Ohne den Erdbeergeschmack könnte man fast meinen, man würde Benzin trinken.“

Ich atmete tief durch - ich wollte nicht hysterisch sein - und begann in relativ ruhigem Ton - vor allem wenn man die Situation betrachtete: „Zu deiner Information, Gackt: Mein Wagen - und jedes andere Fahrzeug auch - fährt bestimmt nicht mit nichts als Erdbeerbowle im Tank!“, schrie ich ihn an. „Wie bekomme ich den Mist jetzt wieder da raus?!“

„Beruhige dich doch, Hai-chan... Da braucht man nur so ein Auspumpgerät; das hab ich irgendwo im Keller, da bin ich mir sicher.“, versuchte er mich zu besänftigen.

„Aber bis du das gefunden hast, wäre ich längst ins Studio gelaufen!“, jammerte ich.

„Soll ich dich hinfahren?“, fragte er dann plötzlich hilfsbereit.

All meine Wut war auf einmal verpufft. Er hatte ja so Recht. Auf die Idee war ich noch gar nicht gekommen. Das wäre vorerst die schnellste Lösung. Ich würde doch noch zu unserem Bandmeeting erscheinen, weshalb Tetsu keinen Grund haben würde, Hackfleisch aus mir zu machen. Allerdings hatte diese Lösung den unglaublich großen Haken, dass ich dann wieder zu Gackt zurückkommen musste und außerdem das Spritproblem noch immer nicht gelöst hatte, was mir auch nicht gerade behilflich war, wenn ich heute Abend noch vorhatte, meinen Sohn abholen zu fahren. Aber immerhin konnte ich, bevor ich mich wieder in die Nähe von Gackts Wohnort wagen musste, mit einem - oder sicherheitshalber gleich zwei - Kanister ausrüsten, um mir meine Flucht zu sichern. Genau. Das war ein Plan. Ein richtig guter sogar.

„Würdest du mich denn ganz schnell ins Studio fahren?“, fragte ich vorsichtshalber nach.

„Natürlich, mein Seepferdchen! Glaubst du, ich würde dich im Stich lassen, wenn du mich so lieb bittest?“ Ich zog es vor, dazu am besten gar nichts zu sagen.

So liefen wir also - schweigend - also zumindest ich - wieder in seine Garage und stiegen in sein Auto. Als er den Motor starten wollte, hielt er inne. „Oh. Mein Tank ist auch leer.“

„Was?!“, entfuhr es mir. Mein Geduldsfaden war nun wirklich am Ende!

„Das war nur ein Scherz.“, lächelte Gackt und startete den Wagen. Die Anzeige bestätigte mir, dass es wirklich nicht sein Ernst gewesen war. Ich seufzte und lehnte mich erschöpft zurück.

„Hai-chan, stöhn nicht so verführerisch, sonst muss ich dich auf die Rückbank verfrachten.“, warnte er mich. „Ich habe sie zwar noch nicht ausprobiert, aber...“

„Jetzt fahr endlich!“, schrie ich ihn an.

„...ich könnte mir vorstellen, dass das wirklich bequem sein könnte.“, philosophierte er weiter, als hätte ich ihn überhaupt nicht unterbrochen. „Magst du es an so unanständigen Orten?“

„Fahr jetzt!“, befahl ich.

„Ist ja gut, ich warte doch nur, bis das Garagentor aufgeht.“, erklärte er sein Verhalten.

„Dazu wirst du es schon aufmachen müssen.“, versuchte ich mich zu beherrschen.

„Aber gewöhnlich geht es immer von alleine auf.“ Ich rollte mit den Augen.

„Auf magische Weise oder wie?“, spottete ich.

„Ja.“, antwortete er ernsthaft. „Wenn ich mit meinem Manager wohin fahren muss, dann geht das Tor immer dann auf, wenn ich es will. Ich brauche nur ‚Sesam öffne dich’ zu sagen oder es auch nur zu denken, dann geht es einfach auf.“

„Hat dein Manager da zufällig so ein kleines schwarzes Ding namens ‚Fernbedienung’ in der Hand?“, meinte ich sarkastisch.

„Ja, woher weißt du das? Kennst du meinen Manager?“, fragte er erstaunt und mein Geduldsfaden riss.

„FAHR JETZT LOS!!!“
 

Es war grausam. Ich glaubte, ich müsste sterben. Ich krallte mich in meinen Sitz, sprach ein paar Stoßgebete aus, bis ich bemerkte, dass das nichts nützte. Ab da griff ich Gackt immer wieder ins Lenkrad und bat ihn, anzuhalten und mich weiterfahren zu lassen. Doch das wollte er natürlich nicht. Ihm gefiel die Vorstellung, mich zur Arbeit fahren zu dürfen zu sehr.

~Gefällt dir die Vorstellung, mich ins Grab bringen zu dürfen etwa auch?!~

Gackt war ein so schlechter Autofahrer, dass alle zwei Minuten ein direkt vor, hinter oder neben uns fahrendes Auto hupte - und auch Grund dazu hatte. Vielleicht wollte er auch einfach nur Aufmerksamkeit auf sich ziehen wie sonst auch. Vielleicht war Hupen für ihn wie Applaus. Doch ich konnte nicht glauben, dass jemand, der Auto fahren konnte, mit Absicht so schlecht fahren konnte. Apropos schlecht...

„Gackt, halt bitte an.“, sagte ich eindringlich.

„Was?“, fragte er unschuldig.

„Halt an, wenn du nicht willst, dass ich deinen Jaguar vollkotze!“

Nach einer üblen Vollbremsung stieg ich taumelnd aus dem Wagen und legte mich ins Gras. Da klingelte mein Handy.

Es war Tetsu.

~Oh, nein.~ Gleich würde er mich zur Sau machen und damit drohen, mich aus der Band zu werfen, obwohl er das niemals tun würde, aber es brach mir das Herz, wenn er es auch nur sagte. Ich schluckte. Dann nahm ich ab.

„Ja?“, fragte ich zaghaft und versuchte mich mental auf das vorzubereiten, was mich erwartete. Doch es war zwecklos.

„Weißt du was, wir verschieben das Ganze auf morgen, okay?“ ~Was?!~

„Es ist heute alles etwas blöd gelaufen. Yuki geht es sowieso nicht besonders; er sollte sich lieber noch etwas ausruhen. Vielleicht haben wir morgen mehr Glück. Dann kannst du heute noch etwas mehr Zeit mit... einem gewissen Jemand verbringen und morgen sind wir alle pünktlich, okay?“ Ich war vollkommen sprachlos. „Wir gehen jetzt jedenfalls erst einmal etwas essen, aber fühl dich nur nicht gezwungen, zu uns zu stoß-“ Er unterbrach sich selbst. „...uns Gesellschaft zu leisten. Wir sehen uns dann morgen, hoffe ich. Wieder 15 Uhr, okay? Schreib es dir auf.“ Ich ließ mich niedergeschlagen zurück ins Gras fallen.

„Ich hatte es mir aufgeschrieben.“, stellte ich klar, war jedoch zu erschöpft, um dem glaubhaften Nachdruck zu verleihen. „Das nützt nichts, wenn man verschläft.“, erklärte ich und wünschte mir, ich wäre heute gar nicht erst aufgewacht.

„Du hast bis drei Uhr nachmittags geschlafen?“, fragte er ungläubig. „Oh, mein Gott. Ich will gar nicht wissen, warum. Also dann, bis morgen - 15 Uhr.“, sagte er noch nachdrücklich und legte dann auf.

~Okay. Ganz ruhig. Du hast dir gerade Riesenstress gemacht, um noch zu dem Meeting zu kommen, hast ein wundervolles Frühstück, das du normalerweise mindestens drei Stunden lang genossen hättest, hastig runtergeschlungen, nur um dann eine Ewigkeit damit zu vergeuden, die gruseligen Kellerräume nach einem Kanister zu durchsuchen, in dem dann letztendlich nichts anderes als Erdbeerbowle war! Du hast mehrere gehirnzellenzerstörende Gespräche mit Gackt geführt und Todesängste auf den Straßen Tokyos durchgestanden - und das alles nur für dieses Meeting. Und jetzt fällt es einfach flach.

Gut. Nun zu den positiven Aspekten: Du hast jetzt aber wesentlich mehr Zeit, Sprit zu besorgen und rechtzeitig zu Megumis Eltern zu fahren, um den Kleinen abzuholen. Das ist gut.~, versuchte ich mir selbst klarzumachen. ~Das heißt, ich werde mir jetzt Benzin verschaffen, nach Hause fahren, mich beruhigen und dann meinen Sohn abholen.~ Da war mal wieder nur ein Haken an der Sache: Wenn das heutige Meeting nun auf morgen verschoben wurde, dann hatte ich da bereits meinen Sohn am Hals. Ich konnte ihn schlecht mit ins Studio bringen, Tetsu würde nicht gerade begeistert sein. Was sollte ich jetzt tun? Mir würde niemand einfallen, dem ich meinen Sohn anvertrauen würde. Das war gewöhnlich Megumis Aufgabe, Leute dafür zu finden. Aber sie anrufen und darum bitten, jemanden für mich aufzutreiben, war das Letzte, das ich tun konnte. Ich hörte sie schon sagen: „Nicht einmal ein einziges Wochenende lang kannst du auf deinen eigenen Sohn aufpassen! Was bist du nur für ein Vater?“ Dabei wusste sie doch, dass ich nichts dafür konnte. Zu meinem Beruf gehörte es nun mal, dass ich viel unterwegs war. Und es war schließlich nicht meine Absicht, meine Familie so wenig wie möglich zu Gesicht zu bekommen - glaubte ich zumindest.

Was sollte ich nun also tun? Was waren meine Möglichkeiten?

Ich sah zu Gackt, der gerade den Kofferaum nach was auch immer durchsuchte und dann freudestrahlend zu mir sagte: „Ah! Sieh mal!“, als er mir einen großen Teddybären hin hielt.

Ich schüttelte den Kopf. Nein. Gackt war keine Möglichkeit. IHM meinen unschuldigen kleinen Sohn anzuvertrauen war genauso gut, wie ihn in einer Irrenanstalt oder in einem Bordell abzugeben.

„Gefällt er dir nicht oder was überlegst du?“, fragte Gackt dann.

Ich seufzte. „Tetsu hat das Meeting auf morgen verschoben. Ich gehe später aber meinen Sohn abholen. Fällt dir jemand ein, der morgen für ein paar Stunden auf ihn aufpassen könnte?“

„Ich könnte das tun.“, gab er mir die Antwort, die ich am wenigsten hören wollte.

„Aber du kannst nicht mit Kindern umgehen, oder?“, versuchte ich zu argumentieren.

„Ich mag Kinder.“, meinte er lächelnd. ~Aber sie mögen dich vielleicht nicht. Und das war keine Antwort auf meine Frage.~ „Glaubst du etwa, du könntest mir kein Kind anvertrauen?“, zeigte er schon wieder, dass er meine Gedanken lesen konnte.

„Wenn ich ehrlich bin, bin ich mir nicht sicher.“, verharmloste ich meine wahre Sichtweise.

„Dann werde ich es dir beweisen.“, verkündete er.

„Weißt du, ich glaube, ich finde schon jemande-“ „Nein.“, unterbrach er mich. „Keine Widerrede. Ich werde dir zeigen, dass ich ein perfekter Vater wäre.“

~Für einen Cyborg vielleicht, aber... doch nicht für ein echtes kleines Kind! Und schon gar nicht für meinen eigenen kleinen Sohn!~ Das konnte ich meinem Sohn doch nicht antun, oder? Oder? Hatte ich denn eine Wahl? Hatte ich? Hatte ich???

The Shock - oder - Gemeinsamkeiten

Und da rechnete ich nun.

Mit unglaublich hohen Zahlen. Ich rechnete mir nämlich aus, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass meinem Sohn mit Gackt etwas zustoßen konnte. Und es konnte nicht nur, es würde ihm etwas zustoßen, da war ich mir sicher. Die Frage war nur, ob es heilbar sein würde oder nicht.

Doch darüber sollte ich mir jetzt noch nicht den Kopf zerbrechen. Vielleicht hatte ich ja auch mal wieder Glück - zur Abwechslung - und ein unerwarteter Zufall rettete meinen Sohn. Und mich gleich mit.

Das war eigentlich ganz einfach. Vielleicht traf ich eine gute Bekannte von Megumi, die sich spontan anbieten würde, auf ihn aufzupassen. Oder vielleicht traf Gackt ein Blitz. Man konnte ja nie wissen. Soll alles schon vorgekommen sein. Vielleicht würde auch zufällig noch heute jemand anrufen, der für den Job in Frage kam. Einer seiner Privatlehrer zum Beispiel. Jemand Vertrauenswürdiges eben. Oder ein Teilzeitmeuchelmörder auf der Suche nach einem Job. Ich denke, ich hätte da einen für ihn. Oder Gackt kam bei einem mysteriösen Unfall ums Leben und Tetsu gestattete mir, die Probe um eine Woche zu verschieben - für die Leichenparty, äh, Trauerfeier -, sodass Megumi wieder da sein würde und selbst auf unseren Sohn aufpassen konnte. Gackt würde aus meinem Leben verschwunden und alles würde wieder beim Alten sein. Megumi würde mir früher oder später verziehen haben und mein Leben würde wieder in Ordnung sein, nicht? Nicht?

Noch konnte ich mir das nur schwer vorstellen. Mein Magen hatte sich noch immer nicht von Gackts rasanter Fahrt erholt und ich wusste auch noch immer nicht, wie ich mit einem Tank voller Erdbeerbowle zu meinen Schwiegereltern kommen sollte. Geschweige denn wieder zurück.

„Und was machen wir jetzt?“, fragte Gackt gut gelaunt, als hätte unser schöner Sonntagsausflug gerade erst begonnen und als erwartete er, noch viel mehr solcher spaßigen Dinge an diesem wundervollen Tag zu erleben. Er hatte sich längst zu mir ins Gras gesetzt und wollte nun scheinbar seinem Tatendrang nachgeben und wieder etwas unternehmen, nachdem er eine Weile geduldig darauf gewartet hatte, dass es mir wieder besser ging, wobei er aussah, als würde er einfach die frische Luft genießen, die grauenvoll nach Abgasen stank. Schließlich befanden wir uns auf dem schmalen Stück Grünfläche zwischen zwei gut befahrenen Straßen. Gackts Wagen parkte - ohne Warnblinklicht oder dergleichen, wofür auch? - einfach mitten auf der Fahrbahn, die zum Glück dreispurig war. Sonst hätte er es wohl geschafft, selbst wenn er gerade nicht mit Fahren beschäftigt - oder sollte ich eher sagen überfordert? - war, durch bloße Anwesenheit seines Fahrzeugs, wütendes Hupen zu verursachen.

„Wir fahren jetzt zur nächstbesten Tankstelle und holen so viel Sprit wie sie leere Kanister haben.“, erklärte ich Gackt und stand entschlossen auf, nur um mich wieder hinzusetzen und stöhnend hinzuzufügen: „Sobald mir etwas besser ist.“ Ich schloss die Augen und bemerkte, dass ich etwas Wichtiges vergessen hatte: „Und diesmal fahre ich.“

Zum Glück hatte Gackt keine Einwände. ~Warum eigentlich plötzlich nicht mehr? Hätte er mich dann nicht von Anfang an fahren lassen können?!?~

Jedenfalls schafften wir es auf diese Weise heil und ohne die musikalische Begleitung von Hupgeräuschen an eine Tankstelle. Und daraufhin zu der nächsten, denn die erste hatte keine Kanister. ~Eine Tankstelle ohne Benzinkanister???~ Ja, genau das habe ich auch gedacht. Aber wahrscheinlich waren schon alle Kanister ausverkauft, weil es heute schon mehrere Fälle von Erdbeerbowlenanschlägen gab.

Die zweite hatte glücklicherweise noch welche übrig und ich nahm gleich vier davon mit. Vierzig Liter. Das sollte für den Anfang reichen. Auf dem Rückweg zu meinem Wagen war ich mir da allerdings plötzlich nicht mehr so sicher, denn dann kamen mir die grob geschätzten zehn Liter Erdbeerbowle wieder in den Sinn. Ich wusste nicht, wie ich die wieder aus dem Tank holen sollte. Und ich wusste ebenfalls nicht, in welchem Verhältnis man Benzin mit Erdbeerbowle mischen durfte, um damit einen Motor starten zu können - ohne ihn zu schrotten. Vielleicht war es unmöglich, doch ich musste es versuchen. Und ich tat es. Mit jedem Liter, den ich in den Tank fließen ließ, fühlte ich mich jedoch dümmer. Ich konnte doch nicht ernsthaft annehmen, dass der Wagen so fahren würde. Oder?

Ein seltsam stinkendes Gemisch aus Benzin und Erdbeerbowle sprudelte mir entgegen. Der Tank war randvoll. Ich setzte den letzten leeren Kanister auf dem Boden ab, schraubte den Tankdeckel zu und stieg in mein Auto. Ich steckte den Schlüssel in die Zündung und sprach noch ein Stoßgebet mit dem Blick an meine Wagendecke, bevor ich ihn umdrehte und - es funktionierte. Der Motor war einfach angesprungen. Auf Anhieb. Es war ein Wunder!

„Yokatta!“, meinte ich dankbar gen Himmel gerichtet. ~Ich bin gerettet!~

Gackt schaute zu dem geöffneten Fenster herein und lächelte. „Siehst du, ich hab dir doch gesagt, das ist ähnlich wie Benzin.“

Ich ignorierte, was er gesagt hatte, und meinte mit meinem vor Erleichterung und Glück strahlenden Gesicht zu ihm: „Also, danke für dein Angebot, mich ins Studio zu fahren, auch wenn ich mir wünschte, ich hätte es nie angenommen.“ Gackts Lächeln verblasste - bei diesen Worten nicht. Als hätte er mich gar nicht verstanden. „Und ich hoffe, wir sehen uns so schnell nicht wieder.“

Nun schmollte er. Doch kurz darauf grinste er auch schon wieder. „Vergiss nicht, dass ich für dich auf deinen Sohn aufpassen werde.“ Ich nickte. ~Nicht, wenn ich es verhindern kann. Und das werden wir noch sehen...~

Mit einem triumphierenden Gesichtsausdruck winkte ich Gackt noch ein letztes Mal zu, bevor ich Gas gab und - meinen Motor zum Knallen brachte.

„Was?!“, rief ich schockiert.

„Tja...“, machte Gackt, als hätte er es von Anfang an so kommen sehen. „Ich habe es dir ja gleich gesagt. Du hättest das Benzin nicht dazuschütten sollen...“

Ein Wutschrei entfuhr mir. Meine Erleichterung hatte sich mit dem Schock in Bruchteilen von Sekunden in Zorn verwandelt. Ich stieg aus meinem Wagen und packte Gackt am Kragen - da kam ich glücklicherweise, dank meiner großen Wut, heran. „Du hast verdammt noch mal mein Auto geschrottet! Was soll ich denn jetzt machen, du Vollidiot! Ich könnte dich...! Am liebsten würde ich dich...!“

„Ja?“, fragte Gackt begeistert nach und fügte mit laszivem Tonfall hinzu: „Willst du etwa schon wieder? Du kleiner Schlingel... Du kannst aber auch nicht genug bekommen.“

„Das wirst du sowas von büßen, das schwör ich dir!“, schrie ich ihn an.

„Wie wäre es, wir nehmen meinen Wagen, um deinen Sohn abzuholen?“, schlug Gackt ruhig wie eh und je vor.

„Wir?!“, kam es entrüstet zurück.

„Ja, natürlich wir. Glaubst du, ich vertraue dir einfach so meinen Wagen an, nach dem, was du mit deinem eigenen gemacht hast?“

Ich schnaubte wütend. „Ich?! Du hast ihn doch geschrottet mit deiner blöden Erdbeerbowle!“

„Ich kann doch nichts dafür, wenn du nicht auf mich hörst und einfach Benzin in deinen Tank schüttest. Warum bist du nicht einfach mit den paar Litern Erdbeerbowle zur nächsten Tankstelle gefahren? Ich habe dir vorher gesagt, dass sich Erdbeerbowle nicht so gut mit Benzin verträgt. Die beiden sind sich zwar ziemlich ähnlich, doch du weißt bestimmt, dass sich so etwas nicht so gut verträgt. Es heißt doch, Gegensätze ziehen sich an, ne?“ Ich jaulte auf.

„Was mach ich jetzt? Ich kann doch nicht öffentliche Verkehrsmittel nehmen, da könnte mich ja jeder erkennen. Und meinen Sohn auch!“

„Ihr könntet euch verkleiden.“, schlug Gackt ernsthaft vor, bevor er begeistert herausplatzte: „Als Seepferdchen! Ich hab doch zwei Kostüme! Eins für dich und eins für deinen Sohn. Ihr habt ja ungefähr die gleiche Größe, nehme ich an. Er ist immerhin schon fast neun Jahre alt, oder?“

„Um nicht aufzufallen, werde ich mich sicher nicht als Seepferdchen verkleiden!“, stellte ich klar. „Kannst du mich nicht zum nächsten Autohaus fahren? Dann leihe ich mir einen Wagen. Oder kaufe ihn wegen mir auch gleich. Das hätte ich eigentlich schon längst tun sollen.“ Warum konnte ich seit ein paar Tagen eigentlich nicht mehr klar denken?

„Ach komm, lass uns doch zusammen fahren. Dann kann sich dein Sohn auch schon mal an mich gewöhnen, auf der Fahrt zurück.“ ~Und wie überlebe ich die Hinfahrt??? Allein mit einem Geisteskranken!?!~

„Ich unterhalte dich dann auch während der Fahrt.“, meinte er blinzelnd. Verführerisch blinzelnd.

Mein Blick wurde wachsam. „Wie meinst du das?“, fragte ich misstrauisch. Das Zucken seiner Augen gefiel mir gar nicht. Und, dass sein Gesicht näher kam, auch nicht.

„Das siehst du dann...“, wisperte er geheimnisvoll und für einen Moment befürchtete ich, dass er mich hier auf offener Straße küssen würde. Doch er wich wieder zurück und schaute urplötzlich wieder vollkommen normal. So, als wäre nichts gewesen. Als wäre sein Modus von „Love Mode“ wieder zurück zu „Gewöhnlicher-Geisteskranker-Modus“ gesprungen.

„Ich werde auch ganz brav sein.“ Wer sollte ihm das jetzt noch glauben? „Und dann werde ich auch auf deinen Sohn aufpassen, so lange du willst.“

Ich seufzte. Was, wenn ich wirklich niemand anderes finden sollte? Dann war Gackt meine einzige Chance, um mein Kind vor den Medien zu schützen und meinen eigenen Kopf vor Tetsu zu retten. Würde ich meinen Sohn in einer Kindertagesstätte abgeben, würde man mich sofort erkennen und würde logischerweise den Schluss daraus ziehen, dass das Kind, das ich dort hingebracht hatte, meines sein würde. Man würde wohl ganz viele Fotos machen und schon morgen wäre das ganze Internet und wahrscheinlich auch die Zeitung voll damit. Nein, das wollte ich dann doch nicht.

„Na gut, na gut. Du darfst mitfahren.“, gab ich mich geschlagen und Gackt strahlte wie ein Haufen Atommüll. „Aber ich fahre.“

Highway to Heaven - oder - Kaffeekränzchen

Und da fuhren wir also.

Auf der Landstraße, auf dem Weg zu meinen Schwiegereltern. Eigentlich waren wir viel zu früh dran, aber ich wollte all die Pannen, die mit Gackt im Schlepptau passieren konnten, vorsorglich miteinberechnen. Er war zwar noch brav angeschnallt und hatte mir bisher auch noch nicht ins Lenkrad gegriffen oder mich auf irgendeine andere Weise am Fahren gehindert, jedoch war er direkt neben mir auf dem Beifahrersitz und damit viel zu nah, gefährlich nah, und außerdem war er - und das war ohnehin fast das Schlimmste, was er tun konnte - ununterbrochen am Reden. Das einzig Gute an der Situation war, dass Gackts Auto echt wundervoll war. Es hatte die tollsten Funktionen und fuhr sich wie eine Wolke. Nur einiges schneller. Also so ungefähr mit der Geschwindigkeit von Son Gokus Wolke „Jindujun.“

„Ich find dein Auto echt geil, Ga-chan. Ich glaube, so eins hol ich mir jetzt auch.“, meinte ich, eigentlich vielmehr, um seinen Redefluss endlich einmal zu unterbrechen.

„Was? Du bist geil und willst, dass ich mir einen runterhole?“, fragte Gackt, plötzlich aufmerksamer geworden, nach.

„Das hab ich nicht gesagt, und das weißt du auch ganz genau.“, meinte ich nur. Es nützte ja doch nichts, sich aufzuregen. Und wenn Gackt in den nächsten Minuten doch noch Probleme machte, hatte ich auch schon eine Lösung parat: Nicht weit hinter uns fuhr eine Polizeistreife, die ich mit Sicherheit leicht auf uns aufmerksam machen konnte. Allerdings hatte das den Nachteil, dass ich Gackt wohl irgendeiner Sache beschuldigen musste, und außer, dass er einfach nur durch und durch wahnsinnig war, fiel mir gerade nichts ein. Außerdem fürchtete ich, dass er ein viel zu guter Schauspieler war und sich für die Zeit, in der die Polizei bei uns war, vollkommen normal verhalten konnte, sodass mir niemand Glauben schenken würde, wenn ich ihnen sagte, dass er mich schon mittels eines Autounfalls mit sich in den Tod reißen wollte, dass er meine Gehirnzellen systematisch ausgerottet, mich auch noch gewisser anderer Zellen beraubt und mich damit seelisch und körperlich missbraucht hatte. Nun gut, DAS konnte ich der Polizei sowieso schlecht sagen. Nachher löste das noch ein Gerücht aus, das aus den Medien eine Ewigkeit nicht mehr wegzudenken sein würde - ein Gerücht, das auch noch wahr war.

„Aber die Idee finde ich gut. Wollten wir nicht die Rückbank ausprobieren?“

„Nein, Ga-chan, das wollten wir nicht.“, knirschte ich.

„Na gut, dann machen wir es eben anders.“, hörte ich ihn sagen und verstand nicht ganz, was er damit sagen wollte. Dann hörte ich das Klicken des Sicherheitsgurtes und wusste, er hatte sich abgeschnallt. Mehr wusste ich allerdings noch nicht. Einen Moment später spürte ich seine Hände an meinem Reißverschluss.

„Stopp! Was tust du denn da?!“ Ich versuchte, normal weiterzufahren, da ich mich noch nicht für einen Anklagegrund entschieden hatte und daher die Polizei noch nicht auf uns aufmerksam machen wollte. Doch es war schwierig - mit zwei Händen im Schritt.

„Ich habe das schon so oft in amerikanischen Filmen gesehen, deswegen will ich es jetzt mal ausprobieren.“, erklärte er und doch verstand ich noch immer nichts.

„Was, um Himmels Willen, willst du ausprobieren?!“, wollte ich aufgebracht wissen, da seine Hände bereits sowohl meinen Reißverschluss als auch meinen Hosenknopf geöffnet hatten. „Lass deine Finger da weg!“, fauchte ich ihn an und verstummte augenblicklich, als er ebendies nicht tat, sondern etwas Bestimmtes aus meiner Hose holte, um sich dann komplett zu mir herüberzulehnen und es auch noch in den Mund zu nehmen.

Ich keuchte auf, versuchte Gackts Kopf mit meinem Arm wegzuschieben, wobei der Wagen nur ins Schlingern kam. Ich warf einen flüchtigen Blick in den Rückspiegel, um zu sehen, ob die Polizei in irgendeiner Weise bereits aufmerksam auf uns wurde.

„Ga-chan!“, flüsterte ich drängend, als könnte uns jemand hören. „Die Polizei ist dort hinten!“ Es dauerte eine Weile bis Gackt reagierte, doch als er es tat, stöhnte ich laut auf.

„Dann fahr brav weiter geradeaus.“, meinte er nur kurz angebunden und machte sich wieder an die Arbeit, mich in den Wahnsinn zu treiben.

Ich drückte mich nach hinten in den Sitz, als würde ich so von Gackt fortkommen, streckte meine Arme aus und spannte sie an, damit sie das Lenkrad mindestens halbwegs gerade hielten. ~Oh, mein Gackt... Ich muss anhalten! Ich muss ganz schnell irgendwo anhalten!~

Meine Augen suchten die Schilder am Straßenrand ab. ~Kommt denn hier nirgends ein Rastparkplatz? Eine Tankstelle? Oder einfach nur eine verdammte Abzweigung???~ Es wurde allmählich schwierig, die Augen offen zu halten. Ich wollte am liebsten den Kopf in den Nacken fallen lassen und es genießen... Gackt konnte das, was er hier tat, so unglaublich gut...

~Eine Tankstelle!~ Ich war noch nie zuvor so glücklich gewesen, eine Tankstelle zu sehen. Nicht einmal, als ich dringend Sprit brauchte, um das Erdbeerbowlenspritverhältnis in meinem Tank zu verändern, in Hoffnung auf einen Weltklassemotor, der damit fertig werden konnte. Ich schätze jedoch, so einen Motor gibt es nicht.

Unvernünftig schnell verließ ich die Landstraße und fürchtete schon, dass die Polizei uns nun doch noch verfolgen würde, aber sie schien bereits geradeaus weitergefahren zu sein. Das hoffte ich zumindest. Ich stelle es mir jedenfalls nicht sehr toll vor, nach meinen Fahrzeugpapieren gefragt zu werden, mit offener Hose und womöglich entblößtem Körperteil.

Ich hielt mit einer Vollbremsung auf dem Parkplatz des Restaurants, das sich direkt neben der Tankstelle befand, und stöhnte auf, da der Ruck, mit dem das Auto zum Stehen kam, einen ebenso heftigen Ruck bei Gackts Kopf auslöste, was wiederum einen Reflex bei Gackt auslöste, sich festzuhalten - mit seinen Händen an meiner Hose und mit seinem Mund...

„Oh, mein Gott...!“, stöhnte ich und vergrub meine Hände in Gackts Haaren. „Oh, mein Gott! Oh, mein Gott! Oh, mein GOTT! Oh-!

Ich griff so fest in Gackts Haare, dass ich ihm mit Sicherheit ein paar ausgerissen hatte und noch mehr ausgerissen hätte, wenn er seinen Kopf bewegt hätte.

Dann ließ ich mich erschöpft nach hinten fallen, schwer atmend. Als die Sterne vor meinen Augen verschwunden waren, war ich wieder klar genug bei Sinnen, um schnell auch mein entblößtes Körperteil verschwinden zu lassen. Dann, um Fassung ringend, atmete ich noch einmal tief durch, bevor ich mein noch leicht gerötetes Gesicht Gackt zuwandte.

„Gott! Tu das NIE WIEDER!“, mahnte ich.

„Willst du etwa behaupten, es hat dir nicht gefallen?“, fragte Gackt zuversichtlich grinsend und leckte sich über die Lippen. Ich wollte gar nicht wissen, warum er das tat.

„Dass es im Auto war, nicht, nein!“, redete ich mich heraus. „Vor allem, weil dieses Auto währenddessen mit hundert Sachen auf einer Landstraße herumgebrettert ist! Wir könnten jetzt tot sein, ist dir das eigentlich klar?!“

Insgeheim musste ich allerdings zugeben, dass ich die wenigen Minuten genossen hatte, in denen Gackt mir den besten Blowjob meines Lebens beschert hatte. Und zwar nicht nur wegen dem, was er mit seiner geschickten Zunge, seinen vollen Lippen und seinem unglaublich heißen Mund getan hatte, sondern auch wegen dem, was er dafür nämlich nicht mehr konnte: sprechen. Diese wenigen Minuten hatte er endlich mal die Klappe gehalten. Nur konnte ich das nicht wirklich genießen. Also die Stille.

„Dann würdest du es also woanders jederzeit wollen?“, fragte Gackt grinsend nach.

„NEIN!!!“, schrie ich ihn an und bemerkte dann die vielen aufmerksamen Blicke, die auf uns gerichtet waren. Das Restaurant hatte wundervolle Panormafenster, die zum Teil auch noch geöffnet waren, sodass man uns nicht nur sehen, sondern wahrscheinlich auch laut und deutlich hören konnte. Zumindest mich.

Ich schämte mich in Grund und Boden. Auch wenn ich eine Sonnenbrille aufhatte und mich wohl niemand erkennen konnte, fühlte ich mich entblößt. Was hatten die Gäste noch alles gehört und gesehen? Wie ich gestöhnt hatte? Wie ich gekomm-

Ich startete den Wagen, fuhr rückwärts über den Parkplatz und wieder die kurze Strecke zur Landstraße hinauf. Doch auch dort schämte ich mich noch immer, nicht nur in Grund und Boden, sondern auch in Polster und Teer. Doch die Scham verwandelte sich in Windeseile in Wut. Rasende Wut.

Weißt du, vor wie vielen Zuschauern du mich gerade zum Orgasmus gebracht hast?!?!“, fuhr ich Gackt an und fuhr mit ihm weiter, wollte ihn aber eigentlich dafür schlagen, in was für eine peinliche Situation er mich wieder einmal gebracht hatte und auch dafür, dass er mich dazu gebracht hatte, solch einen Satz überhaupt auszusprechen, zu dem ich in normalem Zustand niemals fähig gewesen wäre und der mir, wenn ich ein normales, gacktfreies Leben führen würde, auch niemals in den Sinn gekommen wäre. Und ich wollte ihn eigentlich nicht nur schlagen, nein, ich wollte ihn erwürgen, oder aus dem fahrenden Fahrzeug werfen, oder ihn einfach auf die Straße setzen und hundert mal über ihm hin und her fahren, bis er nur noch so dünn war wie ein Blatt Papier und so breit wie vier Blätter Papier nebeneinander gelegt, doch dann wäre wahrscheinlich nur wieder der Wagen ins Schlingern gekommen oder die Polizei wäre auf mich aufmerksam geworden.

Gackt lächelte nur. „Es ist mir egal, wie viele zuschauen, Hauptsache ich bin dabei.“

Ich unterdrückte einen Wutschrei und ließ all meinen Zorn am Gaspedal aus und war so in Rekordzeit bei meinen Schwiegereltern. Die restliche Fahrt redete Gackt wieder ununterbrochen, ohne Punkt und Komma. Doch ich drehte die Anlage auf, um ihn zu übertönen. Nachdem ich an die fünfzig Songs durchgezappt hatte, weil ich immer wieder meine eigene Stimme singen hören konnte, kam ich endlich zu etwas komplett anderem: dem gerade relativ gut passenden Song „Highway to Hell.“

Als wir dann in Nullkommanix bei meinen Schwiegereltern angekommen waren, blieb ich dort allerdings erst einmal noch ein paar Minuten im Wagen sitzen, um nicht als nervlich am Ende stehender Vater seinen Sohn und seine Schwiegereltern begrüßen zu müssen. Völlig fertig reichte vollkommen.

Und bevor ich mich dem stellte, musste ich noch etwas loswerden, das mir schon die ganze Zeit und besonders in der zweiten Hälfte der Herfahrt im Kopf herumgeschwirrt war: „Wenn du meinem Sohn auch nur ein Sterbenswörtchen von irgendwelchen Dingen erzählst, die du mit mir gemacht hast, dann bring ich dich um. Ich meine es ernst.“, drohte ich ihm.

Anstatt sich bedroht zu fühlen, fragte Gackt interessiert: „Warum nennst du deinen Sohn eigentlich immer „mein Sohn“? Warum nennst du ihn nicht bei seinem Namen?“ Ich ignorierte ihn. „Sein Name ist doch eigentlich ganz schön. Also, ich muss zugeben, ICH hätte einen schöneren genommen, aber der schlechteste ist es auch nicht.“ Ich versuchte, mich zusammenzureißen. „Ich habe gehört, jemand hat sein Kind sogar nach diesem Hund benannt. Wie hieß der doch gleich?“ ~Zusammenreißen...~ „Pluto! Genau! Dieser orangene Hund von Mickey Mouse! Kennst du den?“

GACKT!!! Kannst du mal für einen Moment deine Klappe halten?!

„Aber ich will doch nur wissen, warum du ihn nie beim Namen nennst.“, sagte er ganz unschuldig.

„Weil das hier eine verdammte Fanfic ist und die Autorin den verdammten Namen nicht weiß! Darum!“

„Ach so.“, gab er keinlaut zurück und war von da an eine Weile still, also ein paar Sekunden. „Aber du könntest ihm doch einfach einen Namen geben. Einfach einen erfinden. Du bist doch so kreativ. Wie wäre es mit deiner Wortkreation ‚Hagebara’?“

Ich nahm einen Moment meinen Blick von der Straße, um ihn fassungslos anzuschauen. „‚Hagebara’ bedeutet ‚heftige Ballade’, so kann man doch kein Kind nennen!“

„Es geht alles.“, meinte Gackt nur und schien dann einen Einfall zu haben: „Wie wäre es mit ‚Maria’?“

Ich starrte nur ungläubig geradeaus, vermied es, ihn anzusehen, weil ich wusste, dass mich das nur noch rasender machte. Und ich wollte in meinem Alter nicht schon an Herzinfarkt sterben, nur weil Gackt kranke Namensvorschläge für meinen Sohn machte. „Wieso sollte ich mein Kind ‚Maria’ nennen, nur weil der Name in einem deiner Songtexte vorkommt? Und du weißt, dass das eher ein Frauenname ist, oder? Außer für Italiener vielleicht.“

„Wenn nicht Maria, dann halt Josef.“, lenkte er ein.

„Warum muss es denn ein christlicher Name sein???“, wollte ich aufgebracht wissen.

„Wer hat denn sein Album ‚Faith’ genannt, hm? Jetzt steh auch gerade dafür. Außerdem passt das zu dir.“ Ich gab innerlich bereits nach. Ich wollte nur, dass er aufhörte zu sprechen. Am besten sofort.

„Du kannst aus ‚Josef’ auch ‚Joseph’ machen, sodass es cooler klingt. Und du kannst ihm dann den Spitznamen ‚Jo’ geben, was noch cooler klingt und auch noch viel einfacher für uns auszusprechen ist. ‚Jo-chan’ hört sich doch gut an, oder? Na, was sagst du?“

„Brillant, Gackt.“, sagte ich monoton.

„Dann nennst du deinen Sohn so?“, fragte Gackt noch mal nach.

„Ja, mach ich.“, sagte ich einfach niedergeschlagen. ~Er macht mich wirklich fertig. Er kostet mich Nerven, er kostet mich ein Auto, womöglich auch noch meine Frau und bald vielleicht auch noch mein Kind... Und er kostet mich Sper-

Er wird mein gesamtes Leben ruinieren...~

„Du bleibst hier sitzen und wartest.“, ermahnte ich Gackt. „Ich bin sofort zurück. Ich will nur kein Desaster beim Zusammentreffen von dir und meinen Schwiegereltern, okay? Okay?“, fragte ich nochmals nach, weil er mir noch keine Antwort gegeben hatte.

„Yes, sir.“, meinte er wie ein Soldat. „Ich werde brav hier warten, sir.“

„Gut. Aber ich meine es ernst. Ein Schritt aus diesem Auto und du... wirst es bereuen, verstanden?“

„Was passiert dann?“, wollte Gackt neugierig wissen.

„Dann... schrotte ich zur Abwechslung mal dein Auto.“, drohte ich mit einem fiesen Grinsen.

„Ich hab noch ein paar andere, da ist das nicht so schlimm.“, meinte Gackt nur.

Ich warf ihm noch einen bösen Blick zu, bevor ich zur Haustür stampfte. Dort atmete ich noch einmal tief durch. Kurz nach dem ersten Klingeln stand meine Schwiegermutter auch schon in der Tür.

„Hallo, Hideto-san!“, begrüßte sie mich fröhlich und ich zwang ein ebenso fröhliches Lächeln auf mein Gesicht, auch wenn ich gerade eigentlich nicht damit gerechnet hatte, das mir das gelingen würde.

„Hallo, Schwiegermutter-san!“, gab ich überschwänglich zurück und hörte in meinem Kopf meine Stimme nachhallen, die allerdings sagte: „Hallo, Mutter meiner Frau, die ich betrogen habe, und das schon ein paarmal in wenigen Tagen!“

„Schön, dass du schon da bist. Aber du bist etwas früh. Ich habe dich erst zwischen sechs und sieben erwartet. Na ja, komm erst einmal rein.“

Ich warf noch einen schnellen unauffälligen Blick über meine Schulter, um mich zu versichern, dass Gackt noch immer im Wagen saß und folgte meiner Schwiegermutter, die zum Glück meinem Blick nicht gefolgt war, ins Haus. Ich atmete unwillkürlich erleichtert aus. Wenn die Tür geschlossen war, konnte Gackt schließlich nicht so einfach hier rein kommen. Das war ja schon einmal ein großer Vorteil. Doch ich würde ihm auch zutrauen, einfach zu klingeln.

„Papi!“, rief mir mein Sohn entgegen, als er auf mich zugerannt kam. Ich ging in die Knie, um ihn in die Arme zu schließen.

„Na? Wie geht es meinem Großen?“

„Klasse!“, meinte er fidel. „Opa war mit mir angeln!“

„Wirklich? Das ist ja schön.“, lächelte ich und wuschelte ihm durch die Haare.

„Hallo, Hideto-san.“, begrüßte mich mein Schwiegervater freundlich.

„Hallo.“, gab ich lächelnd zurück und bemerkte, dass ich in seiner Gegenwart immer noch ziemlich schüchtern war, beziehungsweise einfach Angst hatte, etwas falsch zu machen.

„Möchtest du einen Kaffee?“, fragte meine Schwiegermutter. „Ich habe ihn gerade fertig. Wir wollten uns in den Garten setzen und Kuchen essen.“

„Also eigentlich...“ Mein Schwiegervater blickte aufmerksam zu mir auf, als wartete er darauf, dass ich etwas Falsches sagte. „Natürlich, gerne.“

So gingen wir alle in den Garten und ich hoffte, dass Gackt keine Dummheiten auf der anderen Seite des Hauses anstellte. Es machte mich nervös, nicht zu wissen, was er tat, und trotzdem zu wissen, dass er so nah war, dass es mich höchstwahrscheinlich betreffen würde, wenn er etwas tat.

„Du und mein Megumäuschen wart schon lange nicht mehr hier. Wollt ihr uns nicht mal öfter besuchen kommen?“, fragte meine Schwiegermutter, während sie mir Kaffee einschenkte.

„Äh, doch, natürlich.“, antwortete ich schnell. Fast zu schnell. „Wir würden gerne öfter kommen, aber wir haben beide nicht allzu oft Zeit. Zumindest nicht gemeinsam. So wie jetzt auch.“

„Ja, das ist wahr...“, meinte sie bekümmert. „Aber jetzt bist ja mindestens du allein mal da, nicht?“

Ich nickte lächelnd. Was sollte ich dazu auch sagen? Ich war ohnehin eigentlich viel zu nervös, um überhaupt ein Gespräch zu führen. Ich konnte es förmlich spüren, wie das Unheil näher rückte.

„Aber zu meinem Geburtstag schafft ihr es gemeinsam, oder nicht?“, fragte mein Schwiegervater, nahezu mahnend.

„Natürlich. Das schaffen wir ganz sicher.“, antwortete ich hastig. VIEL zu hastig.

„Steht denn in nächster Zeit eine Tournee an?“, fragte er weiter.

~Ach, du sch... Wann hat er denn überhaupt Geburtstag? Welcher Monat?~

„Also... Es steht noch nichts ganz fest, aber...“, drückte ich absichtlich etwas vage aus.

„Aber?“, fragte er sofort nach.

„…so im August werden wir wahrscheinlich wieder in den USA sein“, fuhr ich - sogar ehrlich - fort.

„Am fünzehnten ja aber hoffentlich nicht.“, meinte er nur grantig.

„Ähm, also... Ich weiß die Tourdaten noch nicht sicher... Vielleicht findet sie ja auch gar nicht statt... oder viel später...“, versuchte ich mich herauszureden, doch es war zwecklos. ~Warum muss er auch von allen zwölf Monaten gerade in dem Geburtstag haben, den ich genannt habe?~

Meine Schwiegermutter ließ einen Schrei fahren und das Kuchenstück fallen, das sie gerade auf meinen Teller tun wollte. Ich, wie auch mein Sohn, erschrak und starrte sie mit großen Augen an. Sie stammelte: „Da... Da... Da-da ist... Ga... Ga... Ga-Ga-Gaku...“

Ich folgte ihrem Blick und fand mit entsetztem Gesicht das von Gackt, der sich gerade durch die Büsche kämfte, die den Garten umrandeten.

„Wer ist das?“, fragte mein Schwiegervater grimmig.

„Das ist...“, begann ich nach einer Erklärung suchend, als ich auch schon von meiner Schwiegermutter unterbrochen wurde: „Gakuto-sama!“, brachte sie fast atemlos heraus. ~Oh, nein...~ Genau das wollte ich verhindern. Meine Schwiegermutter war ein großer Fan von ihm. Nein. Ein riesiger.

„Er ist mit mir hergefahren, weil...“, begann ich zu erklären, bis mein Schwiegervater mich entrüstet unterbrach: „Warum hast du ihn denn nicht gleich mit hereingebracht? Wo sind deine guten Manieren?“

„Ja, warum, Hideto-san? Du kannst ihn doch nicht im Auto warten lassen, bei der Hitze.“, setzte meine Schwiegermutter hinzu.

„Ich... er...“, stammelte ich, ohne eine Ausrede parat zu haben. Mein Schwiegervater schaute mich nun genau so an, wie ich es immer befürchtet hatte: enttäuscht von meinem Anstand. Bisher hatte ich es jedoch immer nur befürchtet, doch mit Gackts Hilfe war es jetzt auch Realität geworden.

Und das, was ich ebenfalls befürchtet hatte, war auch schon geschehen: Mein Sohn schaute ängstlich zu Gackt auf. Kein Wunder, schließlich hatte er eben auch einen schrecklichen Auftritt hingelegt - einen, der einen erschrecken ließ.

„Ach, das ist schon in Ordnung. Ich wollte das Familientreffen nicht stören.“, meinte Gackt bescheiden. ~Ach ja? Und was hast du dann gerade getan?!?~

„Setzen Sie sich doch, Gakuto-sama.“, meinte meine Schwiegermutter untertänig und stellte ihm ihr eigenes Geschirr hin. „Möchten Sie auch einen Kaffee?“

„Gerne.“, meinte Gackt höflich, obgleich ich ihm eindeutige Zeichen gegeben hatte, dass er ablehnen sollte.

„Und Kuchen?“, fragte sie noch. Ihre Stimme klang, als stände sie kurz vor einem Ohnmachtsanfall.

„Auch sehr gerne, danke.“, erwiderte Gackt wiederum höflich.

„Aber lange können wir leider nicht bleiben.“, begann ich theatralisch trübselig. „Gakuto-san muss nämlich noch zu einem dringenden Termin. Er hat mich nur netterweise hergefahren, denn mein Auto... hatte eine Panne.“ Ich überlegte, ob es als Autopanne galt, wenn man aus Versehen Erdbeerbowle in seinen Tank kippte.

„Was für einen Termin meinst du, Haido-chan?“, schaltete sich Gackt plötzlich in das Gespräch ein. Ich warf ihm Todesblicke zu.

„Ich dachte, du hättest etwas gesagt von einem wichtigen Bandmeeting, heute um sieben Uhr.“, versuchte ich normal zu sagen, doch es hörte sich etwas geknirscht an.

„Nein. Das musst du falsch verstanden haben.“, meinte Gackt freundlich und nickte meiner Schwiegermutter zu, bevor er sagte: „Der Kaffee schmeckt ausgezeichnet.“ Wenn ich nicht gewusst hätte, zu wem er das eben gesagt hatte, hätte ich schwören können, er flirtete mit derjenigen Person.

Meine Schwiegermutter reagierte auch dementsprechend mit albernem Kichern. „Ach, hören Sie doch auf, der schmeckt ganz gewöhnlich. Auch wenn ich sagen muss, dass ich immer eine Spezialmischung verwende und nur bestimmtes Mineralwasser zum Aufbrühen.“

Und ab dem Zeitpunkt wusste ich, dass ich noch Stunden durchzustehen hatte, bevor wir wieder von diesem Kaffeekränzchen fortkommen würden.

Pushing me softly - oder - Der Deal

Und da versuchte ich es wieder.

Ich versuchte es zum wahrscheinlich zwanzigsten Mal, Aufbruchsstimmung zu erzeugen, die darin resultieren sollte, dass ich mit meinem Sohn - ob mit oder ohne Gackt war mir egal - aus diesem Garten flüchten konnte, ohne meine Schwiegereltern allzu sehr zu kränken. Doch es war erfolglos. Immer wieder sagte meine Schwiegermutter oder Gackt oder sogar mein Schwiegervater etwas, um diesen verzweifelten Versuch zu vereiteln. Dass mein eigener Sohn mir nicht noch in den Rücken fiel, war alles.

Doch ich gab nicht auf: „Ich muss mal auf die Toilette, und dann müssen wir auch wirklich langsam mal gehen. Es ist schon spät und der kleine Racker hier muss bald ins Bett.“

„Es ist gerade mal sieben Uhr“, meinte meine Schwiegermutter irritiert, fast so, als machte sie sich Sorgen, dass ich meinen Sohn immer schon viel zu früh ins Bett brachte, damit ich meine Pornos schauen konnte. Selbst wenn es so wäre - und das war es nicht; was gibt es für einen Grund, das am frühen Abend zu tun, statt mitten in der Nacht, wenn man sich unbeobachteter fühlt? -, seit ich Gackt näher kannte, war dafür wohl kein Bedarf mehr. Alleine die Erinnerungen würden mir ausreichen. Einen besseren Porno gab es auf dieser Welt sicher nicht. Und einen besseren Schauspieler auch nicht.

„Man muss auch bedenken, dass wir ja auch noch eine Weile brauchen, bis wir nach Hause gefahren sind“, verteidigte ich mich schnell und das schien ihr einzuleuchten. Sie schaute traurig zu Gackt.

„Oh…“, machte sie bekümmert, doch es war nicht zu vermeiden. Sie wäre auch traurig gewesen, wenn wir erst in einer Woche wieder gegangen wären.

Ich stand auf und ging in Richtung Haus, als ich Gackt hinter mir sagen hörte: „Ich würde auch gerne ihre Gästetoilette benutzen, wenn ich das darf.“

„Aber natürlich!“, meinte meine Schwiegermutter sofort. „Folgen Sie einfach Haido-san und fühlen Sie sich ganz wie zu Hause!“

Ich schnaubte. Wenn er das tun würde, dann hätte dieses Haus wohl bald keine Fenster mehr, dafür aber eine Menge Aquarien, mindestens ein Love-Hotel-Raum und eine Kleiderordnung, die Seepferdchenkostüme und das „Nacktheitskleid“ vorschrieb.

„Haido-chan, warte auf mich!“, trällerte Gackt hinter mir. Ich beachtete ihn nicht und ging weiter durchs Haus zum Badezimmer. „Deine Schwiegereltern sind wirklich nett. Vor allem deine Schwiegermutter. Sie hat einen guten Musikgeschmack.“

„Nur weil sie DEINE Musik hört“, schnaubte ich.

„Ja, eben“, meinte er glücklich.

„Hier, da ist das Gästeklo“, sagte ich genervt und ging weiter ins Badezimmer.

Ich blieb stehen, als ich bemerkte, dass er mir weiterhin folgte. „Ich sagte: Da ist das Gästeklo.“

„Aber ich will dahin, wohin du gehst“, meinte er heiter.

„Bitte, dann geh du ins Bad und ich nehme das Gästeklo“, meinte ich seufzend und machte kehrt. Als ich vor der Toilette ankam, drehte ich mich um und wieder stand Gackt vor mir. „Warum bist du jetzt so eine Klette?“

„Du bist am Tisch so weit weg von mir gesessen…“, meinte er traurig und machte dabei einen perfekten Schmollmund. Was war bei ihm nicht perfekt?

„Verschwinde jetzt, ich will aufs Klo“, meinte ich unberührt und ging in den relativ kleinen Raum, doch bevor ich die Tür hinter mir schließen konnte, verschloss Gackt sie bereits.

„Ich habe gesagt, du sollst verschwinden!“, fauchte ich ihn an. Ich versuchte, meine Stimme möglichst leise zu halten, damit meine Schwiegereltern nichts davon mitbekamen. „Du hast für heute schon genug Schaden angerichtet! Es reicht jetzt, verstehst du? Lass mich jetzt einfach mal für eine Weile in Ruhe, okay?“

„Aber…“, begann Gackt traurig, als würde er jeden Moment zu weinen anfangen. Was er natürlich nicht tun würde. Schließlich war er immer noch Gackt. Ein Star. Ein Cyborg. Ein Mann, dessen Stolz stärker war als jede atomare Waffe.

„Nichts aber!“, zischte ich zurück und schob ihn zur Tür. Oder besser: gegen die Tür. Sie war ja schließlich zu.

„Hai-chan, doch nicht hier…“, schnurrte Gackt. „Was sollen deine Schwiegereltern von uns denken?“

Ich ließ ihn augenblicklich los, als ich mir bewusst wurde, wie er das meinte. „Raus.“

„Nicht bevor du mir nicht einen Beruhigungskuss gegeben hast.“

„Wieso einen Beruhigungskuss? Ich wüsste nicht, wer ruhiger ist als du!“

„Ich meinte ja auch für dich. Damit du dich wieder beruhigst“, erklärte er.

„Mit einem Kuss oder auch irgendetwas anderem von dir geht das aber nicht!“, stellte ich klar.

„Bist du sicher?“

„Ja, verdammt! Jetzt raus!“

Schneller als ich reagieren konnte, schoss seine Hand vor, hielt mich sanft am Hals fest und dann küsste er mich.

Auf die Lippen.

Einfach so.

Mit Vorwarnung.

Zu seinem Vergnügen.

Offensichtlich einmal wieder SEHR zu seinem Vergnügen.

„Ga-chan!“, protestierte ich und schob ihn von mir.

„Siehst du, du bist schon viel ruhiger. Vorher hast du mich gegen die Tür geworfen, jetzt schiebst du mich nur sanft von dir.“

„Sanft? Das war alles andere als sanft!“, behauptete ich.

„Zeig mir, wie es sanft geht“, bat er mit unschuldigen Augen.

„Einen Teufel werd ich tun“, sagte ich lediglich.

„Bitte…“, flehten Gackt und vor allem seine Augen.

„Gehst du dann raus und lässt mich für den restlichen Tag in Ruhe?“, fragte ich.

„Okay“, nahm er den Deal an, doch ich traute ihm nicht. Hatte er jemals ein Versprechen gehalten? Doch was blieb mir anderes übrig, als es zumindest zu versuchen. Außerdem musste ich von dem vielen Kaffee echt dringend aufs Klo und dass Gackt mir dabei über die Schulter schaute, war das Letzte, das ich wollte.

„Gut, dann…“, sagte ich, nur damit ich die seltsame Stille übertönte. „Du musst schon herkommen, damit ich dich wegschieben kann.“

„Du willst, dass ich herkomme? So?“, fragte er, als er sich an mich drückte. „Oder näher?“

„Das reicht!“, fuhr ich ihn an. „Das reicht völlig.“ Ich schob ihn von mir.

„Das war aber nicht sanft“, meinte Gackt enttäuscht.

Ich schnaubte wütend, zog ihn noch einmal an mich heran, um ihn dann langsam von mir zu schieben.

„Das war aber auch nicht besonders sanft. Einfach nur in Slowmotion“, meinte Gackt unzufrieden.

Ich schnaubte noch einmal, sammelte mich und meine letzten Nerven, zog ihn noch einmal an mich heran, um ihn dann langsam und unendlich sanft von mir zu schieben.

„So. Zufrieden?“

„Relativ. Aber das war schon viel besser. So machst du das in Zukunft immer, okay?“

„Das gehört nicht zum Deal. Jetzt raus“, sagte ich kalt.

„Ach, Hai-chan, sei doch nicht immer so gemein“, jammerte er, während ich ihn zur Tür hinaus schob - und das nicht besonders sanft.
 

Als ich es dann endlich geschafft hatte, meine Schwiegereltern dazu zu bringen, uns gehen zu lassen, ging ich, mit dem Gepäck meines Sohnes beladen, zum Auto, warf es in den Kofferraum, stieg ein, und brach über dem Lenkrad zusammen.

„Papi, was ist denn?“, kam sofort eine besorgte Frage. Es war Gackt.

„Ich bin total fertig, aber ich kann dich nicht fahren lassen, weil in diesem Auto zwei Menschenleben wichtig für mich sind, die ich wahrscheinlich verlieren würde, wenn ich dich fahren lassen würde; deshalb muss ich die Heimfahrt jetzt noch durchstehen.“

„Papi?“, fragte nun mein Sohn.

„Ja, mein Schatz.“ Das Ganze wie eine Frage klingen zu lassen, war zu anstrengend für mich.

„Warum fährt Onkel Gakuto mit uns mit?“, fragte die zarte Kinderstimme. Ich hatte am Tisch schon die ganze Zeit bemerkt, dass er nicht besonders glücklich über Gackts Anwesenheit war. Das war allerdings auch kein Wunder nach seinem Überraschungsauftritt durch das Gebüsch. Und außerdem waren Kinder ja sehr feinfühlig, was Gefahr betraf.

„Weil das hier sein Auto ist. Wir fahren jetzt zu uns nach Hause und Onkel Gakuto fährt dann zu sich nach Hause“, erklärte ich ihm und setzte noch hinzu: „Oder er versucht es zumindest. Aber die Straßen sind ja relativ unbefahren um diese Zeit.“

Mein Sohn sagte darauf nichts, wahrscheinlich weil er nicht viel von meiner Erklärung verstanden hatte.

„Ach, Hai-chan, das tut mir leid, dass ich dich nicht mit Fahren ablösen kann“, entschuldigte sich Gackt. „Weißt du, nachts fahre ich nicht besonders gut.“

Ich sagte darauf nichts. Es war zu anstrengend. Und nützen würde es ja doch nichts.

„Och, du bist ja ganz erschöpft…“, meinte Gackt sanft und streichelte mir über die Haare, als wäre ich ein krankes Haustier oder etwas Ähnliches. „Wir müssen heute nicht mehr heimfahren. Wir können auch hier übernachten.“

„Im Auto?“, fragte ich abfällig nach.

„Ich dachte eigentlich eher an das Gästezimmer, das deine Schwiegermutter uns angeboten hat“, erläuterte Gackt.

„Hat sie das?“, fragte ich schwach zurück und blinzelte zu ihm auf.

„Ja, das hat sie“, bestätigte er und ich fühlte seine Hände, wie sie sanft meinen Nacken kraulten. Meine Augen fielen wieder zu.

„Hai-chan…“, hörte ich Gackts Stimme flüstern. „Hai-chan…“

Ich drehte meinen Kopf auf die andere Seite und murrte nur.

„Hai-chan, aufwachen…“

„Was? Bin ich eingeschlafen?“, fragte ich müde und zwang mich, die Augen zu öffnen. Als ich das tat, wurde ich geblendet. Es war hell. ~Hell?~ Es war tatsächlich hell im Raum. ~Im Raum?

Ich öffnete langsam die Augen und fand mich in einem Schlafzimmer wieder. Es war das Gästezimmer meiner Schwiegereltern.

„Du hast jetzt lange genug geschlafen“, meinte Gackt brummig.

„Was?! Wie spät ist es?!“, schreckte ich auf und suchte den Raum nach einer Uhr ab. „Das Meeting! Das Meeting! Das Meeting! Tetsu wird mich umbringen!“

„Ganz ruhig, es ist zehn Uhr morgens“, klärte mich Gackt auf.

Ich ließ mich erleichtert zurück aufs Bett fallen. „Gott sei Dank.“

Gackt strahlte mich von oben herab an. „Wie bin ich eigentlich hier ins Bett gekommen? Ich bin doch im Auto eingeschlafen, oder nicht?“

„Ja, ich hab dich hergetragen“, meinte Gackt stolz.

Anstatt ihm dafür in irgendeiner Weise zu danken, fragte ich: „Und dann?“

„Und dann? Was ‚und dann’?“, wollte er wissen.

„Hast du dann…noch irgendetwas gemacht?“, war meine zaghafte Frage.

„Ähm, nein. Ich glaube nicht“, antwortete er. „Eigentlich wollte ich dich ausziehen, aber deine Schwiegermutter meinte, du könntest die Nacht auch mit deinen Kleidern schlafen; dich umzuziehen, würde dich nur aufwecken.“

Ich atmete erleichtert aus, wurde dann allerdings misstrauisch, als ich Gackts glückliches Lächeln sah. „Dann hast du…wirklich gar nichts gemacht?“, versicherte ich mich.

„Nein, wir hatten doch einen Deal“, erinnerte mich Gackt.

Ich runzelte die Stirn. ~Ach ja, der Wenn-ich-dich-sanft-von-mir-schiebe-dann-musst-du-mich-für-den-Rest-des-Tages-in-Ruhe-lassen-Deal... Ich erinnere mich...~

„Also, außer dass ich mich an dich herangekuschelt habe, habe ich nichts gemacht.“

„Gut, das wollte ich gar nicht wissen“, sagte ich nur und stand auf.

„Dass ich nackt geschlafen habe, hat dich dann auch nicht gestört, wie es scheint.“

„DAS wollte ich AUCH nicht wissen, okay?!“, fauchte ich ihn an und ging ins Badezimmer. Als ich den Frühstückstisch erreichte, was wiederum der Tisch im Garten war, an dem wir auch schon gestern nachmittag saßen - und am Abend immer noch -, da saßen bereits alle am Tisch und warteten nur auf mich.

„Na endlich“, meinte mein Schwiegervater. „Ich habe Hunger.“

„Ihr hättet ruhig ohne mich anfangen können“, murmelte ich kleinlaut und setzte mich auf den einzig freien Stuhl, der direkt neben dem von Gackt stand. Die Sitzordnung war am Tag zuvor aber etwas anders gewesen. Gackt musste etwas daran gedreht haben. Und als hätte er gesehen, worüber ich mir gerade Gedanken machte, sagte er: „Ich habe dir extra einen Platz neben mir reserviert. Ist das nicht toll?“

„Ja, großartig“, murmelte ich unbegeistert und lächelte dann meinen Schwiegereltern zu. „Ist er nicht fürsorglich?“

„Ja, wirklich fürsorglich!“, meinte meine Schwiegermutter und fragte an Gackt gewandt: „Haben Sie Kinder?“

„Nein, leider nicht“, antwortete Gackt bedauernd. „Ich hätte wahnsinnig gerne welche, aber man hat mir einfach noch keine geschenkt.“

Meine Schwiegermutter schaute ihn mitfühlend an, doch meiner Meinung nach hatte er das mit dem „Schenken“ nicht metaphorisch gemeint.

„Aber ich werde heute das Vergnügen haben, etwas Zeit mit Hydes Sohn zu verbringen“, verkündete Gackt stolz.

„Ach ja, wirklich?“, fragte meine Schwiegermutter begeistert. „Das ist ja schön!“

Mein Sohn sah alles andere als begeistert aus.

„Er wird auf mich aufpassen?“, fragte er leise, ängstlich zu mir aufblickend.

„Ja“, musste ich zugeben, auch wenn ich es sehr ungern tat. „Onkel Gakuto wird heute Mittag ein paar Stunden auf dich aufpassen, weil Papi einen wichtigen Termin hat.“

„Aber…“, machte er ängstlich.

„Es dauert wirklich nicht lange. Und ich werde ihm alles verbieten, was er Schlimmes anstellen könnte.“ Jetzt hörte es sich eher so an, als würde mein Sohn heute Nachmittag auf Gackt aufpassen statt andersherum.

„Das Frühstück schmeckt ausgezeichnet“, schleimte Gackt sich weiter bei meiner Schwiegermutter ein, auch wenn das längst nicht mehr - nein, eigentlich gar nie - nötig war.

„Es ist schade, dass ich Ihnen heute kein Mittagessen anbieten kann, denn wir müssen schon in einer Stunde los, aber Sie können jederzeit vorbeikommen, wann immer Sie wollen.“

„Das ist ein sehr nettes Angebot von Ihnen, danke“, antwortete Gackt freundlich und fügte zu meinem Grauen noch hinzu: „Ich werde darauf zurückkommen.“
 

Als wir, Gackt, mein Sohn und ich, endlich - und das eigentlich nur weil meine Schwiegereltern sich auf den Weg zu diesem Geburtstagsfest, oder was auch immer es war, machen mussten - alle im Auto saßen, fragte ich an Gackt gewandt: „Hast du nicht gesagt, er könnte sich dann schon einmal an dich gewöhnen, auf der Fahrt zurück?“

„Ja, warum?“, fragte Gackt zurück.

„Wie soll er sich an dich gewöhnen, wenn du hier vorne sitzt und er da hinten?“, fragte ich betont ruhig.

Er blickte mich entschuldigend an. „Ich kann nicht nach hinten sitzen, weißt du, sonst wird mir schlecht.“ Ich verdrehte die Augen und fuhr los.

Ich hatte in den letzten Tagen oft gedacht, dass der jeweilige Tag der schlimmste Tag meines Lebens sein müsste, doch jetzt, mit der Aussicht auf einen Single-Aufnahme-Termin, während dem ich mir die ganze Zeit Sorgen um das Wohlergehen meines Sohnes machen musste, mit der Hoffnung auf ein Wiedersehen mit den beiden in gesundem Zustand - ich fürchtete nämlich auch, dass mein Sohn zu einem Küchenmesser greifen würde, wenn Gackt ihn wieder erschreckte, und ich wollte meinen Sohn nicht zum Mörder machen, nur weil ich den falschen Babysitter ausgesucht hatte -, jetzt war ich mir sicher, dass der heutige Tag der schlimmste in meinem ganzen Leben werden würde. Vielleicht sogar mit Abstand.

„Hey“, meinte Gackt plötzlich, als wir auf der Landstraße fuhren. „Ich glaube, das war die Tankstelle, an der wir auf der Herfahrt angehalten haben, damit du deinen Höhep-“ Mein Ellenbogen traf auf Gackts Oberarm. Ein Blitz wäre mir lieber gewesen.

„Na, mein Schatz, wie waren deine Ferien bei Oma und Opa?“, wechselte ich schnell das Thema.

„Na, na, na“, meinte Gackt daraufhin nur. „Wie heißt er richtig?“

Ich seufzte. „Nicht auch das noch. Warum bist du nicht einen Tick vergesslicher?“

Er schaute mich selbstzufrieden an. Ich warf kurz einen Blick auf die Rückbank zu meinem Sohn und meinte dann, wieder geradeaus und ab und zu in den Rückspiegel blickend: „Schatz, ich werde dich für einen Tag oder zwei ‚Jo’ nennen, okay?“

„Warum, Papi?“, fragte er verwirrt und auch ein bisschen ängstlich.

„Einfach nur so zum Spaß“, lächelte ich, doch es war kein echtes Lächeln und das konnte mein Sohn wohl sehen. Oder hören. Oder beides.

„Aber wenn es mir keinen Spaß macht?“, wollte er verunsichert wissen.

„Das wird es bestimmt, das wird es“, versicherte ich ihm und fühlte mich grauenvoll. Was war ich im Begriff, meinem Sohn anzutun? Wozu hatte ich ihn bereits verurteilt?

Die Fahrt verlief ab da - abgesehen davon, dass Gackt mich immer wieder daran erinnerte, meinen Sohn „Joseph“ zu nennen - relativ ereignislos. Das beruhigte mich wieder etwas. Doch ich wusste, dass das kein gutes Zeichen war. Die Ruhe vor dem Sturm.

Als wir Zuhause ankamen, war das Erste, an das ich endlich einmal dachte, den Abschleppdienst anzurufen, der mein Auto in die nächste Werkstatt bringen sollte, damit ich mir einen neuen Motor einbauen lassen konnte. Ich war froh, dass ich scheinbar wieder etwas klarer denken konnte. Vielleicht lag das an der Anwesenheit meines Sohnes. Hoffentlich war es so, denn dann würde ich komplette nächste Woche zusammen mit ihm verbringen, bis Megumi wieder zurück war. ~Was? Es ist schon eine ganze megumifreie Woche vergangen?

Wow. Das ging schnell. Das bedeutete aber auch, dass ich nur noch eine Woche Zeit hatte, um mein Leben wieder in Ordnung zu bringen. Ich hoffte, dass ich das schaffen konnte.

Plötzlich zupfte etwas an meinem Hemd. Ich drehte mich mit gesenktem Blick um, in Erwartung, das verwirrte und ängstliche Gesicht meines Sohnes zu mir aufblicken zu sehen; er kam noch nicht wirklich mit Gackt zurecht, was ich ihm nicht verübeln konnte, und er hatte wohl auch Angst vor ihm, was ich ihm genauso wenig verübeln konnte. Denn da war er nicht allein. Ich hoffte nur, dass er mir das Ganze irgendwann verzeihen konnte.

Ich lächelte leicht, als ich mich umdrehte, einerseits, weil ich ihm einreden wollte, dass alles in Ordnung war und ihm nichts Schlimmes passieren würde, während ich weg war, auch wenn ich wusste, dass ich uns da beiden etwas vormachte, und andererseits, weil es mich freute, dass mindestens mein Sohn zu mir aufsehen konnte. Er war der Einzige, den ich kannte, der das konnte, denn alle anderen waren größer als ich.

Allerdings erblickte ich nicht das erwartete Gesicht meines Sohnes, sondern eine unglaublich eng anliegende Lederhose. Mein Blick schoss hinauf gen Zimmerdecke und traf trotzdem auf ein verwirrtes und ängstliches Gesicht - unerwarteterweise Gackts.

„Was ist denn los?“, fragte ich ebenso verwirrt und auch etwas panisch. Gackt und so aus der Fassung? Was war passiert? Wo war Joseph???

~Verdammt...~ Das war das erste Mal, dass ich mich dabei ertappte, dass ich meinen Sohn selbst in Gedanken so nannte. Und es würde nicht das letzte Mal bleiben.

„Joseph weint“, sagte Gackt nur.

Meine Augen weiteten sich. „Was hast du gemacht?!“

„Gar nichts. Ich habe ihn nur gefragt, ob er Vampire mag, weil ich einer bin“, sagte er, als wäre das das Normalste auf der Welt.

„Och, Ga-chan! Kannst du dich nicht einmal für ein paar Minuten normal verhalten? Ich wollte nur kurz telefonieren und schon bringst du Joseph zum Weinen!“

~Verdammt…~ Schon wieder. Und dieses Mal auch noch laut.

Frustriert wandte ich mich ab, schenkte Gackt keinen Blick mehr und ging in das Kinderzimmer, in dem ich meinen Sohn vermutete. Und dort saß er auf seinem Bett und schaute mich mit verweinten Augen an. Es brach mir das Herz.

Ich legte meine Arme um ihn und drückte ihn an mich, flüsterte beruhigende Worte in sein Ohr und wartete darauf, dass er sich wieder beruhigte. Als Gackt ins Zimmer kam, scheuchte ich ihn mit einem Arm lautlos wieder hinaus und strafte ihn, so gut ich konnte, mit Blicken.

~Das fängt wirklich großartig an...~ In drei Stunden musste ich im Studio sein und Joseph weinte schon.

~Verdammt…~ Schon wieder.

Ich überlegte, was die einfachste Lösung war, die rettende Idee, die es vereinte, dass Gackt hier war, um aufzupassen, dass meinem Sohn nichts passierte - auch wenn ich bezweifelte, dass er dazu fähig war - und mein Sohn abgelenkt genug war, um Gackt nicht wahrzunehmen.

~Was lenkt Kinder und zugleich auch Erwachsene - also große Kinder - ziemlich gut ab?~ Da ich entschied, dass es schwieriger war, Gackt abzulenken als meinen Sohn, überlegte ich also, ob ich Gackt schon einmal abgelenkt gesehen hatte, vielleicht sogar von mir abgelenkt. Und plötzlich sah ich in meinen noch so klaren Erinnerungen der letzten Tage Gackt, vollkommen vertieft, vor dem Fernseher sitzen.

Anime... Der Schlüssel...

Mein Sohn hatte schon fast zu schluchzen aufgehört, da fragte ich ihn mit soeben entflammtem Enthusiasmus in der Stimme: „Willst du einen Film schauen, mein Schatz?“

„Joseph“, korrigierte Gackt, doch ich irgnorierte ihn.

„Was für einen Film?“, fragte mein Sohn, während er sich über die Augen rieb, scheinbar aber nicht mehr ängstlich und sogar schon ziemlich neugierig.

„Jeden Film, den du willst“, versprach ich ihm. „Wenn wir ihn nicht da haben, dann leihen wir ihn eben aus. Na? Was sagst du?“

„Ich will meinen Lieblingsfilm sehen!“, meinte er begeistert.

Ich lächelte. „Dann schauen wir jetzt deinen Lieblingsfilm.“

„Yuhu!“, rief er munter und rannte schon ins Wohnzimmer. Ich schaute ihm nach und schüttelte nur den Kopf. Wenn man Kindern sagte, sie dürften sich jeden Film wünschen, den es gibt, dann wählen sie einen, den sie schon hundertmal gesehen haben. Vielleicht war das aber sogar vernünftig. Dann konnten sie schon nicht enttäuscht werden. Vielleicht konnte man von Kindern noch etwas lernen.

Gackt räusperte sich. „Das ist aber eine nicht sehr einfallsreiche Erziehungsmethode: einfach vor den Fernseher setzen.“

„Solange es funktioniert“, meinte ich schulterzuckend und folgte meinem Sohn ins Wohnzimmer, Gackt im Schlepptau.

Joseph - argh - hatte gerade die DVD im Schrank gefunden, als ich mich zu ihm hinunterkniete, um sie einzulegen. Gackt kam von der anderen Seite und nahm Joseph - argh - die leere DVD aus der Hand, wahrscheinlich, um zu sehen, was für einen Film er sich jetzt mitanschauen musste. Ich hoffte, dass er mindestens nicht zu quengeln anfangen würde, wenn ihm der Film nicht gefiel.

Joseph erschrak, als ihm seine Lieblings-DVD ohne jegliche Vorwarnung von dem - in seinen Augen wahrscheinlich riesigen - Riesen Gackt aus den Händen genommen wurde und schaute ängstlich zu ihm auf, um sich dann hinter mir zu verstecken. Ich knirschte mit den Zähnen, doch Gackt bemerkte es gar nicht, was er wieder angerichtet hatte.

Ich drehte mich zu meinem Sohn um: „Jo-“ Und fing noch einmal von vorne an: „Du brauchst keine Angst vor Onkel Gakuto zu haben, mein Schatz. Er ist zwar ungewöhnlich riesig, hat gefärbte Haare und ein paar Schönheits-OPs hinter sich, weshalb er überhaupt nicht mehr wie ein Japaner aussieht, aber er ist ein guter Freund von deinem Papi. Und er ist eigentlich ganz…lieb.“ Ich würgte das Wort regelrecht heraus. Es war absolut unpassend für Gackt.

Mein Sohn warf ein paar ängstliche Blicke zu Gackt, der zum Glück gerade harmlos aussah, wie er die DVD inspizierte, als könnte er kein Japanisch.

„Na? Siehst du?“, fragte ich zuversichtlich, als Gackt plötzlich scharf Luft einsog und „Oh, mein Gott!“ rief. Nicht nur mein Sohn, auch ich, erschrak, als er das tat und der Schein war dahin. Mein Sohn würde es mir nie abkaufen, dass Gackt harmlos war. Wie gesagt: Kindern spüren Gefahr. Es ist, als hätten sie Antennen dafür. Und bei Gackt mussten diese Antennen so außer Kontrolle geraten, dass man es einfach nicht ignorieren konnte.

„Diesen Film kenne ich!“, platzte es aus Gackt heraus und Joseph zuckte zusammen. „Den habe ich vor Ewigkeiten schon einmal gesehen! Der ist richtig klasse!“ Na, immerhin kein Gequengel.

„Siehst du, er mag sogar die gleichen Filme wie du“, versuchte ich die Situation noch zu retten, doch es war zwecklos. Mein Sohn starrte wie gebannt auf Gackt, als erwartete er, dass dieser jeden Moment ein Messer zückte und damit auf uns los ging.

Das befürchtete ich zwar weniger - Gackt konnte viel schlimmere Dinge anrichten, ohne jegliche Hilfsmittel -, aber sicher konnte ich mir da auch nicht sein.

Cooking with a Vampire - oder - Die Mordszene

Und da war der Film zu Ende.

Mein Sohn strahlte mich glücklich an. Er liebte diesen Film wirklich. Das machte mich glücklich, ihn wieder lächeln zu sehen. Während des Films hatte er auch oft gelacht, und jedes Mal wenn er das getan hatte, musste ich automatisch mitlachen oder zumindest lächeln. Als Gackt allerdings einmal lachte - an seiner Lieblingsstelle des Films, wie es schien -, zuckte der Rest von uns zusammen. Entweder kam es für uns so unerwartet, weil wir im Gegensatz zu Gackt den Witz nicht verstanden hatten, oder weil Gackt seine eigene kleine witzige Geschichte dazu hatte, oder weil er sehr verspätet über den vorherigen Witz gelacht hatte. Oder es war eigentlich gar nichts witzig an der Szene.

~Das wird es wohl sein...~

„So“, meinte ich dann, als der Abspann zu Ende war, den ich nicht unterbrechen durfte, weil da noch einmal die besten Lieder des Films liefen und einen davon mein Sohn besonders gern mochte. „Habt ihr auch langsam Hunger?“ Ich schaute auf die Uhr. Ich musste dringend noch etwas essen, bevor ich ins Studio ging. Dazu hatte ich nicht mehr viel mehr als eine Stunde Zeit und man konnte ja nie wissen, was für Komplikationen bei den simpelsten Dingen auftreten konnten, wenn Gackt dabei war.

„Mein kleiner Vielfraß…“, war Gackts Kommentar dazu, den ich geflissentlich ignorierte.

„Was würdest du gerne essen, mein Schatz?“, fragte ich meinen Sohn direkt. Was Gackt wollte, interessierte nicht. In dem Moment.

„Joseph“, warf Gackt ein und es dauerte einen Augenblick, bis ich verstand, dass er mich hatte korrigieren wollen. Ich ignorierte ihn.

Mein Sohn schien überfordert mit der Frage. Deshalb schlug ich ihm einfach Folgendes vor: „Wie wäre es mit Spaghetti?“

„Oh, ja!“, meinte er begeistert und nahm meine Hand, die ich ihm hin hielt, entgegen. Zusammen gingen wir in die Küche; Gackt dackelte uns hinterher. Für einen Moment sah es so aus, als wollte er Jose- äh - ach, was solls - Josephs andere Hand nehmen, getraute sich jedoch nicht, was auch gut so war. Oder er verstand einfach nicht, wofür. Vielleicht dachte er, Joseph sollte in seinem eigenen Haus wohl die Küche alleine finden, oder so etwas. Aber Gackt konnte ja auch nichts dafür, dass er keine Kinder hatte. ~Na ja, eigentlich…~

Das Problem war jetzt wahrscheinlich, dass nichts mehr daran zu ändern war, wie er war. Und so war es nun einmal wahnsinnig schwierig, eine so tolerante Frau zu finden. Oder einen Mann.

Ich versuchte, die aufkommenden Erinnerungen an gewisse Stunden zu verdrängen…

„Papi?“, fragte mein Sohn verwirrt.

Ich wurde mir plötzlich wieder bewusst, dass ich, mit meinem Sohn an der Hand, mitten in der Küche stand. Hastig überspielte ich die Tatsache, dass Joseph mich aus meinen Tagträumen reißen musste, und holte eine Packung Nudeln aus dem Schrank und zwei Töpfe.

Gackt beteiligte sich - zum Glück - sehr wenig am Kochen. Er stand eher nur dabei und gab uns Tipps, wie man es besser machen konnte. Genau das, was Tetsu gesagt hatte, was er wahrscheinlich tun würde, wenn ich ihn mit zum Bandmeeting bringen würde.

Als die Nudeln im Wasser vor sich hin kochten und wir gerade den Tisch zu Ende gedeckt hatten, klingelte mein Handy.

~Vielleicht ist das die Rettung in letzter Minute - äh, Stunde - für mich und Joseph!~ Vielleicht war es seine ehemalige Kindergärtnerin oder ein Privatlehrer oder der erhoffte Teilzeitmeuchelmörder! Vielleicht war es auch ein Kindermädchen, von dem ich gar nichts wusste! Denn eigentlich wollte Megumi bisher noch niemandem unser Kind anvertrauen außer ihren eigenen Eltern. Und, wenn es sein musste, auch meinen.

Ich rannte förmlich zu dem kleinen Telefontisch, auf dem ich mein Handy und meine Schlüssel immer ablegte, damit ich sie nicht suchen musste, auch nicht vergessen konnte und sie vor dem Aus-der-Tür-Gehen einstecken konnte, und nahm etwas außer Atem ab: „Ja?“

„Warum so außer Atem, Doiha?“, fragte Tetsu am anderen Ende der Leitung und ich konnte nicht anders, als enttäuscht auszuatmen. Er würde nicht auf Joseph für mich aufpassen können. Plötzlich fügte er noch an: „Nein, warte, ich will es gar nicht wissen.“

„Okay, warum rufst du dann an? Was gibt’s?“, wollte ich wissen.

„Erinnerst du dich noch daran, dass wir heute verabredet sind?“, fragte er.

„Ich… Ja. Natürlich. Aber doch erst in einer Stunde, oder?“, fragte ich unsicher nach.

„Ja. Ich dachte nur, ich rufe dieses Mal früher an, in der Hoffnung, dass du dann pünktlich bist.“

„Das ist nett von dir“, meinte ich entschuldigend lächelnd.

„Und? Bist du noch bei Gackt?“, wollte er dann wissen. Ich glaubte, eine gewisse Neugier aus der Spöttelei herauszuhören.

„Nein“, sagte ich stolz. Ich war sogar mächtig stolz, das zu ihm sagen zu können, ohne zu lügen. Dass Gackt trotzdem nicht weit war, brauchte er ja nicht zwingend zu erfahren.

„Hai-chan!“, rief in dem Moment Gackt aus der Küche. „Ich glaube, die Soße brennt an.“

„Dann schalte die Herdplatte ab!“, rief ich zurück, bevor ich in peinliches Schweigen verfiel.

„Okay, dann ist Gackt also bei dir“, stellte Tetsu fest.

„Es ist nicht so, wie du denkst. Er passt für mich auf Joseph auf während unserem Meeting.“

„Joseph?“, fragte Tetsu verwirrt nach.

„Mein Sohn, meine ich“, korrigierte ich mich schnell und setzte noch hinzu: „Ist nur so ein Spiel.“

„Aha“, sagte er wenig überzeugt. „Und du lässt Gackt also auf deinen Sohn aufpassen. Gute Ausrede.“

„Das ist keine Ausrede, Tet-chan.“

„Wenn ich ehrlich bin, Doiha, dann muss ich sagen, dass es wirklich schwierig ist, dir noch zu glauben, wenn du nicht endlich sagst, was Sache ist.“

„Aber…“, begann ich protestierend und ließ dann resignierend den Kopf hängen. „Du hast ja Recht. Aber ich weiß es eben selbst nicht.“ Schweigen am anderen Ende der Leitung. Ich seufzte. „Ich…mag Gackt, glaube ich“, sagte ich leise.

Noch stilleres Schweigen am anderen Ende der Leitung. „Und wie sehr magst du ihn?“

„Ich weiß es nicht. Er hat halt…diese Anziehungskraft, verstehst du?“

„Nein, aber ich glaube, ich weiß, was du mir damit sagen willst. Das heißt, ich fürchte, dass es so etwas bedeutet wie: Er ist einfach unwiderstehlich.“

„Ich fürchte auch, so etwas in der Art, ja“, gab ich zu und bekam einen leichten rosa Schimmer im Gesicht.

„Gut. Und was hast du dann jetzt vor? Willst du Megumi weiterhin mit ihm betrügen und versuchen, ein Doppelleben führen?“

„Tet-chan, das, was du da sehen musstest, war eine einmalige Sache… Na gut, eine zweimalige Sache - oder eine dreimalige? Egal, jedenfalls ist das bestimmt nur vorübergehend. Ich will nicht, dass Megumi etwas davon erfährt und ich bemühe mich, es so schnell wie möglich zu beenden.“

„Du willst es also beenden?“, fragte Tetsu übertrieben betont, fast so, als wäre er äußerst überrascht, das zu hören.

„Ja, natürlich will ich das.“ Totenstilles Schweigen am anderen Ende der Leitung. „Was denn?!“

„Es ist immer noch schwierig, dir zu glauben, wenn du solche Dinge sagst, die sich sowas von gelogen aus deinem Mund anhören“, ließ Tetsu mich wissen.

„Aber…“, begann ich verzweifelt.

„Nichts ‚aber.’ Du kannst tun und lassen, was du willst. Ich werde Megumi nichts verraten.“ Ich atmete erleichtert aus. Ich hatte zwar bis eben noch nicht daran gedacht, dass Tetsu mit Leichtigkeit - und zwar mit simpler Ehrlichkeit - meine Ehe zerstören konnte, doch ich hatte das Gefühl, dass mir eine meiner größten Sorgen genommen wurde - bis Tetsu weitersprach: „Aber ich werde nicht für dich lügen. Wenn Megumi mich direkt fragt, dann werde ich ihr ehrlich antworten.“

„Nein, bitte nicht… Nur ein paar kleine Notlügen…“, flehte ich und suchte nach Lösungen in meinem Kopf: „Oder geh einfach nicht ans Telefon, wenn sie anruft. Und komm uns nicht besuchen. Und renn weg, wenn du ihr auf der Straße begegnen solltest. Und m-“

„Stopp, Doiha. Jetzt aber ganz ruhig. Ich werde tun, was ich kann, aber ich werde mich nicht verbiegen, nur damit deine Affäre nicht aufgedeckt wird. Das hast du verbockt, also wirst du es auch wieder geradebiegen. Verstehst du? Du verbogen - du wieder geradebiegen. Ich nichts verbogen - ich mich nicht verbiegen. Okay?“

„Kannst du den letzten Teil noch einmal wiederholen?“, fragte ich vorsichtig nach.

Er knurrte nur und meinte: „Das ist deine Sache, lass mich da einfach raus. Ich habe schon genug mitansehen müssen.“ Mein Gesicht wurde wieder wärmer und war jetzt bestimmt nicht nur rosa, sondern eher rot. Es tat mir einerseits so leid, was Tetsu hatte sehen müssen, und andererseits schämte ich mich einfach nur abgrundtief dafür.

„Du hast ja Recht. Aber versuche es mindestens, okay?“, bat ich ihn. „Ich wüsste nicht, was ich tun soll, wenn Megumi es erfährt.“

„Ja, natürlich versuche ich es“, meinte er in einem selbstverständlichen Tonfall. Doch im nächsten Moment wusste ich, dass er es für ein Ding der Unmöglichkeit hielt, dass es nicht ans Licht kam. „Viel Glück, du wirst es brauchen.“

„Danke“, murrte ich nur, bevor er sagte: „Also dann, bis in einer Stunde.“ Er korrigierte sich noch: „Bis spätestens in einer Stunde.“

Ich legte auf und starrte einen Moment geradeaus. Tetsu hatte so Recht. Früher oder später würde ich auffliegen. Und wenn es Gackt persönlich war, der es Megumi ins Gesicht sagte, wie oft er mit mir im Bett war.

Eine Gänsehaut ließ mich zusammenzucken. Und dann hörte ich einen Topfdeckel zu Boden kleppern. ~Oh, mein Gott.~

Schnell lief ich in die Küche und sah Joseph mit vor den Mund geschlagener Hand beim Esstisch stehen und Gackt anstarren, der verzweifelt versuchte, sich mit einem Geschirrtuch vor der in alle Richtungen spritzenden Tomatensoße zu retten.

Ich rannte zu ihm und schob den Topf sofort von der Herdplatte, die Gackt NICHT ausgeschaltet hatte, wie ich es ihm gesagt hatte. Jetzt sah die Küche dementsprechend aus: verkleckst. Einerseits wirkte sie jetzt farbenfroher, andererseits chaotischer und, da Gackt einen Spritzer ins Gesicht bekommen hatte, sah es auch ein bisschen aus wie eine Mordszene.

Ich fürchtete, dass Joseph das ähnlich sah.

Nachdem ich das gröbste Chaos beseitigt hatte, konnten wir zu essen anfangen. Ich versuchte mich währenddessen damit zu besänftigen, dass Gackt in den paar Stunden, in denen ich weg sein würde, wohl kaum schon wieder etwas würde kochen wollen, vor allem, weil Joseph erst wieder viel später Hunger haben würde und Gackt selbst sowieso keinen Hunger verspürte. Außer nach Blut vielleicht. Schließlich behauptete er ja, ein Vampir zu sein. Wahrscheinlich war das eine Marketingstrategie von seinem kranken Manager, der ihm ja auch weismachte, dass sich sein Garagentor mit dem Spruch „Sesam, öffne dich“ von alleine öffnete.

~Würde das aber nicht erklären, warum Gackts Jahrhunderte alte Behausung keine Fenster hat? Und dafür aber einen so riesigen Keller? Na ja, das meiste ist wohl sowieso Stauraum für seine Weinsammlung... Hhh! Ist das etwa...! Ist das etwa gar kein Wein, sondern...Blut?~

Aber ein Vampir mit einer Vorliebe für Seepferdchen? Das klang absurd.

Als wir fertig waren mit Essen, wünschte ich mir, dass Gackt seine Wichtel mitgebracht hätte, um die Küche aufzuräumen, doch am Ende blieb dann doch wieder an mir hängen - Gackt würde sich doch nicht seine zarten Hände schmutzig machen. Und dann fragte ich meinen Sohn, ob er noch gerne einen anderen Film schauen würde. Ich hoffte es inständig, denn das war wirklich die harmloseste Methode des Zeittotschlagens, die, mit der ich leben konnte. Die, mit der ich mit nicht ganz so schlechtem Gewissen aus dem Haus gehen konnte.

Joseph durchstöberte den Wohnzimmerschrank und fand glücklicherweise noch etwas, das er sehen wollte. Ich lächelte und schaltete ihm den Film ein.

Gackt setzte sich vorerst nicht zu ihm aufs Sofa, sondern kam zu mir und meinte thetralisch verzweifelt: „Wie lange wirst du fort sein?“

„Ich schätze, es wird zwei, drei Stunden dauern“, flüsterte ich zur Antwort, damit es Joseph nicht hören würde. „Vielleicht auch länger. Glaubst du, du kriegst das hin?“

Gackt nickte zuversichtlich. „Mach dir darüber keine Gedanken. Wir verstehen uns doch prächtig.“

Ich konnte meine Augenbrauen nicht davon abhalten, nach oben zu wandern.

„Vertrau mir, das wird schon“, versuchte er mich zu beruhigen, doch aus seinem Mund waren keine Worte beruhigend. Durch diese vollen Lippen kamen nur seltsame Worte, unzusammenhängende Worte, unvernünftige Worte. Ich ertappte mich dabei, wie ich ebendiese Lippen anstarrte.

Plötzlich lehnte er sich zu mir hinunter und gab mir einen Kuss.

Auf die Lippen.

Einfach so.

Ohne Vorwarnung.

Zu seinem Vergnügen.

Und zu meiner Panik!

Ich schaute sofort zu Joseph, um zu sehen, ob er das gesehen hatte, was Gackt gerade getan hatte, und atmete erleichtert aus, als ich sah, dass er schon ganz vertieft in den Film war.

„Lässt du das wohl bleiben! Vor Joseph auch noch!“, zischte ich, so leise ich konnte.

So war es ja schon schlimm genug, aber von Gackt in meinem eigenen Zuhause geküsst zu werden und das mit meinem eigenen Sohn im Raum, das ließ mich mich noch seltsamer in meiner Haut fühlen, auf eine erbarmungslose Art und Weise richtig eigenartig, um nicht zu sagen „verräterisch“ und „ehebrecherisch“ und „schrecklich grausam.“

Ich ging an Gackt vorbei, umarmte Joseph von der Seite und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Also, ich bin dann mal weg. Bis nachher“, versuchte ich, mich von ihm zu verabschieden und es dabei so wenig wie möglich wie einen Abschied klingen zu lassen.

„Papi?“, hörte ich die ängstliche Stimme meines Sohnes hinter mir und ich drehte mich wieder zum Sofa um, gequält seufzend.

„Ich beeile mich, mein Schatz“, versicherte ich ihm und versuchte, ihn damit zu beruhi¬gen, doch nicht einmal mich selbst beruhigte das. Was konnte nicht alles innerhalb von ein paar Minuten passieren, wenn Gackt in der Nähe war? Wer wusste das besser als ich?

Seine Augen sahen mich flehend an, als wollten sie sagen: „Papi, bitte geh nicht! Ich mag Onkel Gakuto nicht! Ich hab Angst! Er wird mich umbringen!“

Ich riss meinen Blick los von diesen angsterfüllten Augen und ging zur Tür hinaus.

~Ich bin so ein Rabenvater...~ Ich fühlte mich, als hätte ich mein eigenes Kind soeben an den Teufel verkauft.

Im Prinzip hatte ich das.



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Kommentare zu dieser Fanfic (40)
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Von:  Yoru_Kurayami
2010-04-25T22:01:07+00:00 26.04.2010 00:01
XDDDDDDD

OMFG... wie geil!
Ich bin jetzt erst auf diese Fanfic gestoßen, und konnte mich nicht davon losreißen~
Gackt is sowas von drollig <33
Und das arme Haido... *pat* ... *Baldrian-Tropfen-verabreich*

Bitte schreib schnell weiter, ich kann's kaum erwarten~
oO ich versteh absolut nich, warum hier so wenig kommis sind?

Grüßle x33
Von:  Earu
2009-09-04T14:36:00+00:00 04.09.2009 16:36
Das alles wissende und alles ahnende Tet-chaaan~
Soryy. erstma, dass ich so lang nich mehr kommentiert hab, aber ich war so unlustig >< Dafür war ich allerdings die ganze Zeit dabei ^^

Hm~ auch wenn das hier eher ne Fun-Fic is, kommt mir Hyde doch ein wenig komisch vor. Die meiste Zeit is er ja dabei, gackt laut oder gedanklich zu beschimpfen, aber hier erzählt er Tetsu, er würde sich iwie von ihm angezogen fühlen. Das überraschte mich doch sehr, da ich in den letzten Kapiteln immer den Eindruck hatte, dass Hyde gackt so überhaupt nich leiden kann ... er sagt/ denkt ja immer, dass er ihn so schnell wie möglich loswerden will (*hust* Vllt is das auch der Grund für meine fehlenden Kommis ^^')

In der Hoffnung, dass aus den beiden noch was wird: Weitaa~ xD
Von:  Kimiko02
2009-09-01T22:41:01+00:00 02.09.2009 00:41
*sich mal wieder einen weggelacht hat* XDD~
Wobei ich als Gackt mit ins Klo kam ja schon dachte, er würde jetzt über Hyde herfallen XDD~
Gottseidank hat er sich ja doch benommen, wäre sonst SEHR peinlich für den armen Hyde geworden *lach*
Aber irgendwie könnte ich wetten, dass Gackt es noch schafft, Hyde so richtig vor seinen Schwiegereltern zu blamieren *lol*

Was das Babysitten angeht, kann ich nur sagen, ohje, das kann ja was werden ...
Wenn Hydes Sohn jetzt schon soviel Angst vor Gackt hat, während Hyde noch dabei ist, wie wird das nur wenn sie alleine sind?
Ich fürchte das gibt ne Katastrophe ... das arme Kind tut mir jetzt schon Leid ^^;
Naja, soviel jedenfalls zu Gackts Babysitterqualitäten XDD~~
Braucht keine fünf Minuten, um ein Kind zum weinen zu bringen *drop*
In der Geisterbahn wäre er glaub besser aufgehoben ^^;

Trotzdem bin ich natürlich äußert gespannt, ich meine man kann nie wissen, vor allem bei Gackt nicht XD~
Kann daher das nächste Kapitel kaum erwarten, also schreib bitte bald weiter!! *liebguck*
Von:  Kimiko02
2009-08-03T21:24:28+00:00 03.08.2009 23:24
*sich mal wieder halbtot gelacht hat* XDDD
Ich kann nur immer wieder sagen, dass Haido mir echt Leid tut ... mit Gackt macht er echt was mit ^^"
Wieviele Kapitel wird es eigentlich noch dauern, bis wir mal von Gackts Babysitterqualitäten erfahren? >__<
Ich bin ja echt gespannt, ob Haido am Ende der FF doch noch für alles entschädigt wird, was er durchmachen musste ... ich hoffe es ja ^^
Freu mich schon auf das nächste Kapitel! *anfeuer*
Von:  Kimiko02
2009-07-09T03:53:38+00:00 09.07.2009 05:53
Mei, der arme Hyde macht echt was mit ... schade dass man erst im nächsten Kapitel Gackts Babysitterqualitäten erfährt >_<
*immer noch neugierig ist*
Hm, was soll ich noch sagen ... bitte schreib bald weiter? *liebguck*
Von:  miau-miau
2009-07-08T10:53:53+00:00 08.07.2009 12:53
Ich wusste ja schon immer, dass Gackt einen merkwürdigen Humor hat, aber das.... ist echt hart an der Grenze. An der Grenze zur Verrücktheit! Oder ist er schon verrückt? Armes Seepferdchen... XDD

Soll ich's noch sagen? Ja, mir gefällts. Mir gefällts sogar ausgesprochen super-toll! I love it! Daisuki!
Ich werd dein Werk gleich in meine Favoritenliste aufnehmen.
Deine FF ist toll. Dein Schreibstil ist toll. Dein Humor ist toll. Gackt und Hyde sind auch toll. Alles ist toll ^______^

LG Jei
Von:  luzi_im_sarg
2009-06-20T21:13:13+00:00 20.06.2009 23:13
Das ist so genial *_*

Bei Hydes Monolog, wo er das Geschehene vom Tag zusammenfasst, da könnte man ja fast Mitleid mit ihm bekommen : )

Hoffentlich geht's bald weiter^^
Von:  Kimiko02
2009-06-16T18:59:51+00:00 16.06.2009 20:59
*vor Lachen aufm Boden rumkugel*
Das war herrlich! Ich hab mir grad so einen weggelacht XDDDDDDDD
Hyde sollte das Ganze einfach ein bisschen entspannter sehen und keinen solchen Stress machen, dann wäre sein Leben leichter *lach*
Ich an seiner Stelle hätte das Frühstück genossen und dann ein Taxi kommen lassen ^^

Mir tut eher der arme Gackt Leid, Hyde schreit ihn ja fast die ganze Zeit nur an, dabei ist Gackt doch eigentlich total lieb zu ihm >_<
Gut, Gackt stellt sich auch etwas blöd an, aber das ist ja noch lange kein Grund ihn dauernd anzuschreien ...

Naja, ich bin jedenfalls gespannt, wie Gackt beweisen will, dass er ein toller Vater wäre *lol*
Schreib bald weiter!! *liebguck*
Von:  Earu
2009-06-15T21:11:32+00:00 15.06.2009 23:11
*Hyde knuddel* Der Arme muss was durchmachen v.v
Aber ich weiß nicht, vllt würde es besser werden, wenn er nciht ganz so angespannt an die Sachen rangehen würde ... wobei einem ein solcher Gackt sicherlich das Leben wirklich schwer machen kann xD Momenten kommt er mir wirklich reichlich dämlich vor °°
Von:  Kimiko02
2009-06-08T22:29:37+00:00 09.06.2009 00:29
*____* *Earu nur zustimmen kann*
*dahingeschmolzen is*
Nur der letzte Absatz hätte ruhig länger sein dürfen ... und jetzt wo es grade so schön wurde, hört das Kapitel auf T___T
Bitte schreib bald weiter *anbettel*



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