Legenden der Mitternacht von xBlackwolfx (Phönixschwinge) ================================================================================ Kapitel 3: Mit Ketten und Klingen --------------------------------- Kapitel 3: Mit Klingen und Ketten Hinter der kühlen Stille Trägt sein finstrer Wille An einem schweren Tuch Und am Leben noch genug (Ballade des aschgrauen Herolds) Die Dämmerung lag wie ein leuchtender Nebel auf den Baumkronen der Wälder und filterte das Licht wie ein Sieb. Ab und zu hörte man ein Knistern oder ein Säuseln verschiedener Bewohner wie das der Moosmännlein und Schradgeister. Wenn man gut aufpasste, konnte man sogar ein kleines Waldlicht wie einen schwebenden Nachtschein um die Stämme kreisen sehen. Doch je stärker sich das Dämmerlicht durchsetzte, umso stärker vertrieben es die Schatten der Nacht in die Dunkelheit der dichten Wälder. Die Traumfeder huschte dagegen weiter auf ihrem Weg dahin, so geisterhaft und still dass sie mit der ruhigen Einsamkeit des frühen morgens regelrecht verschmolz. Nathaniel hatte sich mittlerweile zu seinem Fahrer auf den Fuhrbock gesellt, schwieg aber eisern vor sich hin. Den Arm auf die Knie und das Gesicht auf die Handfläche gestützt saß er dort unbeweglich und starrte zwischen die nebeligen Baumstämme. Seine Gedanken waren dem Tau auf den Gräsern gleich: Ruhig und träge und vor allem ohne erkennbare Richtung. Der Gelehrte schielte schließlich über die Brillengläser zu Waktu hin, der ebenso wie er einen durchaus desinteressierten Eindruck machte. Der junge Fahrer schien wie hypnotisiert geradeaus in die Leere zu blicken, ohne ein einziges Mal mit den Augen zu zucken. So wie er sich benahm wirkte er durchaus ein wenig unheimlich, mehr ein Geist als Mensch, doch der Alchemist war diesen Anblick schon längst gewohnt. „Was glaubst du wie lange es dauert, bis unser kleiner Freund in der Traumfeder erwacht?“, fragte Nathaniel schließlich den Fahrer, nur um endlich die Stille um sie herum zu brechen. Doch seine Worte schienen sich einfach zu verlaufen und erst nach einer Weile zu Waktu zu durchzudringen. Der junge Mann bewegte wie eine Marionette seinen Kopf zur Seite und blickte den Alchemisten aus großen, traurigen Augen an. „Ich weiß nicht“, sprach er sehr leise und langsam als wolle er jedes Wort auseinander ziehen, „Vielleicht habt ihr zuviel Dämonenblut verwendet. Selbst er könnte Schäden bei so einer großen Menge davontragen.“ Der Alchemist rümpfte sofort die Nase und verschränkte die Arme. Wenn es eines gab, dass er nicht leiden konnte, dann war es Kritik an ihm, selbst wenn sie stimmen mochte. „Ach, was. Der Junge kann mehr als das vertragen. Ich hab genug Studien seiner Art herangezogen, um mir ein Urteil bilden zu können“, sagte er abweisend und rückte sich die Brille zurecht. „Seiner Art?“, fragte die leise Stimme Waktus nach. Er legte dabei seinen Kopf so schräg wie ein Hund der um Essen bettelte. „Schon gut. Nichts was in deinem Interesse liegt, Waktu“, meinte Nathaniel schließlich und hob die Hand. Der Fahrer nickte langsam und blickte wieder geradeaus auf den Weg. „Wie… kalt“, murmelte er dann leise. Der Alchemist dagegen zog die Stirn kraus und stürzte die Lippen. Von Ungeduld ergriffen schwang sich der Gelehrte schließlich vom Fuhrbock, strich sich über den Gehrock und lief zur Tür der Traumfeder. Er war mittlerweile der Meinung, genug auf den jungen Fänger gewartet zu haben. Daramos sollte sich nun mehr als reichlich von den Strapazen erholt haben, die der Alchemist ihm den Tag zuvor zugemutet hatte. Rasch legte Nathaniel seine Hand um den Griff der Kutsche, doch zum Öffnen kam er dann gar nicht mehr. Sofort kam ihm die Tür schwungvoll entgegen und riss ihn kurzerhand von der Traumfeder weg. Völlig überwältigt fiel er zu Boden und landete unsanft im matschigen Dreck. „DU!“, hörte er dann eine bekannte Stimme brüllen. Verwirrt blickte der Alchemist hoch und sah Daramos schnaufend wie ein Stier in der offenen Tür stehen. „Du scheinst dich ja prächtig erholt zu haben“, meinte Nathaniel ironisch und versuchte sich wieder aufzurichten, „Ich hab mir schon Sorgen gemacht.“ Der junge Fänger sprang just wie ein jagender Wolf aus der Kutsche heraus und schnappte sich den älteren Alchemisten beim Kragen. Nathaniel wäre vor Schreck zurückgewichen, wenn ihn der Junge nicht wie einen Kartoffelsack umherschüttelte. „Ich wusste ja gleich, dass man euch ketzerischen Ratten nicht trauen darf“, knurrte er wütend, „Was habt ihr da mit mir angestellt?“ „Nun beruhig dich mal wieder, du bist ja völlig von Sinnen“, meinte der Gelehrte sanft und hob beschwichtigend seine Hände. Doch diesmal schien die erhabene Stimme Nathaniels keine Wirkung auf den jungen Mann zu haben. „Sagt mir nicht was ich tun soll! Ich war lang genug mit eurer Art höflich, Zauberer. Aber ihr werdet mich nicht länger an der Nase herumführen“, rief der aufgebrachte Junge zornig und krallte sich noch etwas fester in die Kleidung seines Gegenübers. Auch wenn Nathaniel einen Kopf größer war als der Fänger, so war er doch immer noch ein fähiger und ausgebildeter Krieger. Ein Umstand, den man rasch vergaß, wenn man sein Alter betrachtete. „Ah? Ist das so?“, fragte der Gelehrte lächelnd nach und hob eine Augenbraue an, „Es wäre mir entgangen, dass wir euch überhaupt belogen hätten.“ „Eure Worte sind die einer Schlange!“, meinte Daramos verbissen, „Aber seid versichert, ich falle nicht noch mal auf eure magischen Tricks herein.“ Nathaniel lächelte milde und lachte leise. „Ich brauche nicht einmal Magie um dich in deine Schranken zu weisen“, hauchte er ihm drohend zu. Bevor sich der Fänger überhaupt der Bedeutung dieser Worte bewusst wurde, schlug der Alchemist seine Hände beiseite und stieß ihn von sich. Einige Schritte taumelte der Junge überrascht zurück, fing sich aber sogleich wieder und zog seinen Dolch aus dem Gürtel. Doch er kam schon gar nicht mehr dazu ihn zu benutzen. Wie ein Hammerschlag traf ihn der Fuß des Gelehrten direkt auf die Brust und ließ ihn wie eine fadenlose Puppe gegen die Traumfeder knallen. Keuchend blieb er auf der Erde liege, ringend nach Atem wie ein Fisch an Land, während sich seine Lungen so anfühlten als wären sie von zwei Ochsen zusammen gedrückt worden. „Elender Mistkerl“, raunte der junge Mann mit vor Schmerz verzogenem Gesicht und blickte dem gehässig lächelnden Nathaniel hasserfüllt entgegen. Rasch stieß er sich wieder vom Boden ab um sich auf den Gelehrten zu stürzen, doch der Stoß mit seiner Klinge glitt ins Leere als dieser geschwind auswich. Wie zuvor konnte der junge Fänger kaum mitverfolgen was geschah, als der Alchemist sein Handgelenk packte und ihm mit festem Druck den Dolch aus den Fingern wand. Sogleich darauf versetzte er ihm erneut ein Schlag auf die Brust, doch diesmal war es dessen Ellbogen, der sich einen Moment lang in seine Lungenflügel presste. Mit einem lauten, erstickenden Keuchen brach der Fänger zusammen, die Augen weit vor Überraschung und Schmerz aufgerissen. Die Welt um ihn herum verschwand just unter einem undurchsichtigen Schleier, während ihn die Kraft in den Beinen verließ, fast als sei sie mit dem letzten Keuchen aus ihm heraus gewichen. Schließlich gaben sie dem Gewicht seines Körpers nach, der schwer wie Stein zu Boden stürzte und sich mit einem lauten Platschen im Schlamm wieder fand. Stöhnend und Ächzend presste er die Augen zusammen und legte eine Hand auf seine pochende Brust, die sich immer noch so anfühlte als trüge er ein großes, erdrückendes Gewicht auf derselben. „Du hast noch eine ganze Menge zu lernen, junger Fänger. Du bist kein bisschen wie dein Vater. Wenn er sauer auf mich war, konnte er mich zumindest auch einmal ins Gesicht schlagen“, hörte er die Stimme Nathaniels, die nur unwirklich und dumpf zu ihm durchdrang. Mit einem lauten, platschenden Geräusch verteilte sich eine Handvoll Matsch in dem Gesicht des feinen Gelehrten. „Treffer!“, krächzte Daramos zufrieden und ließ seine Hand wieder allmählich sinken. Nathaniel dagegen wirkte etwas überrumpelt, doch der Ärger setzte sich nach und nach auf seinem Gesicht durch. Mit mühsam unterdrücktem Zorn wischte er sich den Schlamm mit dem Handrücken von den Backen und betrachtete den Jungen mit einem abschätzigen Blick. Zwar öffnete er seinen Mund für eine Schelte, doch anstatt ihn wütend anzufahren, beließ er es schließlich in einem genervten Seufzen. „Ich korrigiere mich: Du bist deinem Vater sehr ähnlich“, sagte er dann kopfschüttelnd und stieg über den im Schlamm liegenden Jungen wie über eine dreckige Pfütze weg. Daramos lächelte jedoch leicht über diese letzte Anmerkung und versuchte sich ebenfalls wieder aufzurichten, auch wenn seine Brust immer noch höllisch brannte. Nathaniel machte zwar keine Anstalten ihm zu helfen, doch hielt er die Tür zur Traumfeder einladend offen. „Glaubt ihr etwa…“, begann der düster dreinblickende Fänger mit gebrochener Stimme langsam, „… dass ich hiernach noch das Bedürfnis spüre mit euch zu reisen?“ Offenbar amüsierte seine Aussage den Gelehrten, denn er schmunzelte breit als hätte er einen köstlichen Witz erzählt. „Natürlich glaube ich das, junger Herr“, meinte er noch, während er ein besticktes Taschentuch aus seinem Gehrock zog und sich das Gesicht säuberte. Mürrisch stürzte Daramos die Lippen und brummte etwas unverständliches, ehe er nach dem „Warum?“ fragte. „Ganz einfach: Ihr seid der Sohn von Rokar“, antwortete Nathaniel und deutete dabei eine kleine Verbeugung, ehe er selbst die kleinen Stufen zur Traumfeder bestieg und im Inneren verschwand. Daramos zögerte einen Moment, doch er folgte ihm wie den Tag zuvor, auch wenn er nach wie vor wütend war. Allerdings war es keine Wut, dass ihn Nathaniel derart zugerichtet hatte, vielmehr weil dieser Gelehrte Recht behalten würde. Natürlich könnte Daramos jetzt nicht gehen. Er konnte nicht, auch wenn ihm der Alchemist zuwider war. Wenn sein Vater Tha’Rakan wirklich gedient hatte, musste er es in Erfahrung bringen und durfte nicht einfach wegrennen. Für ihn war das mehr als eine Sache des persönlichen Stolzes, es galt den Ruhm seines Blutes und seiner Ahnen zu verteidigen. Nathaniel wusste genau wie wichtig derartige Angelegenheiten für die großen Familienhäuser in Assyrál waren und das Geschlecht von Rokar gehörte ohne weiteres dazu. „Ihr seid eine Schlange. Eine hinterlistige, verruchte, kriechende Schlange“, beleidigte Daramos den Alchemisten als dieser ebenfalls widerwillig in die Traumfeder stieg und die Tür hinter sich schloss. Gleich darauf setzte sich das magische Gefährt wieder in Bewegung. Mit einem triumphierenden Lächeln überhörte Nathaniel dann einfach die spitzen Worte und bot dem verdreckten Jungen ein weiteres, blütenweißes Taschentuch an. „Verdreck mir ja nicht die Sitze hier, meine Traumfeder ist kostbar“, sagte er dann und polierte seine Brille kurz mit einem Zipfel seines Rocks. „Ihr beherrscht die Kampfkunst. Wo lernen Zauberer so etwas?“, fragte der Fänger, während er sich allmählich den Dreck von der Nase wischte. Der Alchemist lächelte erneut. Scheinbar hatte er Spaß daran, dass ihm der junge Mann viele Fragen stellte. „Was denkst du denn? Als wandernder Magier muss man sich der einen oder anderen Gefahr stellen. Diese Welt ist nur noch ein Schatten ihrer einstigen Form. Wo früher Magier noch große Helfer und Richter waren, sind die heutigen Abkömmlinge der Kunst Mordinstrumente. Nichts weiter“, sagte er und wandte sich von Daramos ab als hätte er plötzlich sein Interesse an ihm verloren. Der junge Fänger dagegen zeigte sich deutlich überrascht. Mordinstrumente? Hatte der Zauberer gerade seine eigene Zunft Mörder genannt? „Erzählt mir von den alten Magiern“, fragte der Junge deutlich freundlicher als zuvor. Nun war es Nathaniel, der von der Reaktion des Fängers verblüfft war. „Zur Zeit als diese Welt noch von den göttlichen Kindern bewohnt wurde, hielten sie die Macht der vier Elemente in ihren Händen. Jene gesegneten Gotteskinder waren die ersten Magier, große Weisen, die das Land, das die Götter ihnen geschenkt hatten, mit großer Umsicht gerecht verwalteten. Sie kontrollierten die Winde und den Himmel, die Erde und das Gestein, die Glut und die Flammen und auch die See und das Wasser. Ihnen gehorchte die ganze Welt und sie nutzten diese Kraft zum Wohle aller Wesen und Kreaturen“, sagte Nathaniel ein wenig melancholisch als würde sich zum ersten mal ein Hauch Trauer in seine sanfte Stimme schleichen. „Die göttlichen Kinder! Ihr redet von den Alben“, stellte der Fänger begeistert fest, „Also Wesen wie Hauptmann Tha’Rakan. Die Barden besingen die Schönheit und Eleganz ihres Geschlechts selbst bei uns in Amunglad. Ich hab noch nie welche gesehen.“ Der Alchemist hob missmutig eine Augenbraue an und seufzte genervt. Kopfschüttelnd hob er beide Hände an und ließ sie wie eine Peitsche auf seine Schenkel knallen. „Keinen Sinn für Geschichte, ganz wie der Vater!“, bemerkte er an, beließ es aber bei der Schelte, „Ja, Tha´Rakan ist ein Alb, ein Azurnalb um genau zu sein. Aber von der Göttlichkeit ihrer Rasse ist auch nicht mehr als die Erzählung davon übrig geblieben. Sein Volk ist alt und hat mehr gelitten unter dem Wandel dieser Welt als wir von unserem kurzen Leben erahnen könnten. Niemand sonst hat so viele Tragödien erlebt wie sie. Die Alben sind zerrissen und uneinig und somit auch nur ein Schatten ihrer einstigen Urväter.“ Etwas enttäuscht über die harten Worte des Zauberers stützte Daramos das Gesicht in seine Hände. Das war nicht ganz das, wovon die Barden immer erzählt hatten. „Warum gibt es dann keiner dieser alten Alben-Magier mehr?“, fragte er bedrückt nach, allerdings brauchte Nathaniel diesmal eine Weile, bevor er ihm antwortete. Lieber starrte er einen Moment in die blaue, leuchtende Kugel an der Decke als wäre er eine Motte, die nach Licht sucht. Schließlich blickte er aber wieder den jungen Mann an, um ihm auch zu antworten. „Es gibt keine mehr. Weder sie noch die Magie, die sie gebrauchten haben, hat die Zeit der Stille überlebt.“ Daramos stutzte. „Moment“, rief er verwundert, „Aber wenn die Magie die Zeit der Stille nicht überdauerte, woher beherrschen dann die Zauberer…“ „Ihr solltet Zuhören lernen, junger Herr“, fuhr ihm der Alchemist dazwischen, „Ich erwähnte, dass die Magie verloren ging, die die alten Alben damals gebrauchten. Unsere Art der Zauberkunst ist eine andere. Als sich unsere Welt dem Wandel der Dämonen unterzog, war es das ersten Mal an der Zeit, dass die Urväter ihre Macht als Waffe gebrauchten, um sich und ihr Volk zu verteidigen.“ „Soll das heißen, nie zuvor hat man die Magie…“, fragte Daramos erstaunt, wurde aber wie so oft erneut von dem Zauberer unterbrochen. „… niemals destruktiv eingesetzt. Genau. Die Magie war eine urgewaltige Kraft, die Leben spendete und sie im Gleichgewicht hielt. An eine zerstörende Macht hätte niemand gedacht, geschweige denn versucht sie einzusetzen“, fuhrt der Gelehrte mit größerem Eifer fort als er bemerkte, dass er offenbar einen nun doch willigen Zuhörer fand, „Aber als die dunklen Seelen der Dämonen nach den Kindern der Götter griffen, veränderten sie ihr Wesen für alle Zeit. Die einst friedfertigen Wesen spürten das erste Mal Angst. Und aus ihrer Furcht heraus, wurden sie zornig, verbittert, aggressiv. Und als der erste Magier einen Dämonen mit seiner Macht niederstreckte, öffnete er sein Herz vollkommen dem, was wir die ‚Schwarze Seele’ nennen. Von nun an ließen sie sich auch von anderen Gefühlen leiten, vor denen die Götter sie hatten bewahren wollten. Hass, Trauer, Furcht.“ „Die Kinder der Götter wurden sterblich“, mutmaßte Daramos an. Der Gelehrte nickte eifrig. „Wir Menschen wurden seit Anbeginn der Zeit mit der Schwarzen Seele geboren, doch es waren die Alben, die zuließen, dass sich die Dämonen in uns allen einnisteten. Sie waren es auch, die die Zeit der Stille einläuteten, die die Welt von Grund auf veränderte.“ „Was geschah mit der Magie?“ Nathaniel seufzte kurz, zeigte aber dann der Abwechslung halber ein schiefes, wenn auch trauriges Lächeln. „Ein düsteres Thema, mein junger Freund. Aber wenn ihr es genau wissen wollt: In der Zeit der Stille war kein Platz mehr für Aufbau und Frieden. Die Magie wurde dazu benutzt um zu Töten, auch wenn die Narren nie begriffen, dass sie mit jedem getöteten Dämonen ihnen nur noch ähnlicher wurden. Nur die Zauber, die sich für den Angriff eigneten überlebten diese Zeit, alle anderen wurden niemals an eine neue Generation Zauberer weitergegeben. Die hohe Kunst des Feuers wurde zu dem, was wir heute als ‚Blutmagie’ kennen. Die heilenden Kräfte des Wassers gefroren zu Eis und Kälte, die Magie der Luft ballte sich zum Zorn der Gewitter und Donner. Nur die Jünger der sanften Erde weigerten sich ihre Leben spendende Kraft zu einem Mordinstrument zu verzerren.“ „Was geschah mit ihnen?“ „Sie starben. Allesamt“, sagte der Zauberer knapp und machte mit einer Handbewegung deutlich, dass er genug von dem Thema hatte. Der junge Fänger jedoch konnte das Erzählte nicht so einfach beenden, zumindest nicht in seinem Kopf. Etwas angeschlagen lehnte er sich auf seinem Sitz zurück und starrte nun seinerseits in die gläserne Kugel an der Decke, dessen blaue Flüssigkeit immer noch vor sich hin schimmerte. ‚Eine merkwürdige Fabel’, dachte Daramos bei sich und runzelte nachdenklich die Stirn. Er versuchte sich vorzustellen wie es wohl wäre in einer Welt zu leben, in der es keine Gefühle wie Neid, Angst, Sorge oder Trauer gäbe, doch wirklich greifbar war die Vorstellung nicht. Selbst wenn Frieden herrschte zankten sich doch die Menschen um Nichtigkeiten, tuschelten hinter Zaun und Tor böse Geschichten oder sorgten sich um ihr Hab und Gut. Je mehr er versuchte all diese Eigenschaften auszublenden, umso schwieriger war es ihm, sich ein Bild zu machen von der Zeit vor der Stille. “Ihr Zauberer erzählt euch schon komische Geschichten“, sagte er schließlich laut und blickte sein Gegenüber mit einem schelmischen Lächeln an, „Das sind doch alles nur alte Märchen. Ich bezweifele, dass es so was wie allmächtige Magier gegeben haben sollte, die über alle Elemente herrschten. Sonst hätten sie ja die Dämonen vertreiben können.“ Mit einem speigiftigen Blick sah ihn Nathaniel an, die Hände einen Moment bebend vor Zorn, doch der Gelehrte versuchte sich rasch wieder zu beruhigen. Daher ließ er sich einen Moment Zeit, ehe er Daramos eines weiteren Wortes würdigte. „Findet ihr, ja?“, zischte er leise, „Dann werde ich meine ‚komischen Geschichten’ wohl besser für mich behalten, junger Herr.“ Damit wandte sich der Zauberer der Wand zu und schwieg. Der junge Fänger drückte sich überrascht von dem plötzlichen Ausbruch des Gelehrten in den Sitz der Kutsche und schaute ihn einen Moment betroffen an. Obwohl sein Gewissen ihn drängte, sich für seine Frechheit zu entschuldigen, siegte doch der Stolz des Jungen über sein Verhalten. Daher täuschte er anstatt einer aufrichtigen Entschuldigung, lieber eine gelassene Gleichgültigkeit vor. Nun, da sie beide sich nichts mehr zu sagen hatten, herrschte eine unangenehme Stille in der Traumfeder. So blieb es auch bis sich die Sonne ganz über den Horizont erstreckte und sich die Kutsche weiter der Hauptstadt des Königreichs näherte. Aus der Langeweile oder der Einsamkeit wegen und nachdem Nathaniel sich wieder zu Waktu auf dem Fuhrbock gesellt hatte, hatte die Müdigkeit Daramos die Zeit vertrieben und verführte ihn zu einem kurzen, wenn auch ungemütlichem Schlaf. So allein seinen Gedanken und Überlegungen preisgegeben, fing in der Stille an, jedes noch so leise Geräusch sich wie das Ticken einer Uhr systematisch in sein Gedächtnis zu brennen. Das Klimpern der vielen, kleinen Flaschen im Schränkchen, die in der sanften Bewegung der Traumfeder ihre gläsernen Bäuche aneinander schlugen, das Plätschern der ihm nach wie vor unbekannten, bläulichen Flüssigkeit an der Decke, das Knarzen des stämmigen Holzes und das Geklapper der Kutschentür, die im Wind sich einen spaltbreit öffnete, um gleichauf wieder gegen den Rahmen zu schlagen. Ab und zu hörte man durch das dicke Holz das dumpfe Gemurmel von Nathaniel, der sich offenbar manchmal mit seinem Fahrer unterhielt. Die Antwort Waktus war nie zu hören, dafür war sie offenbar viel zu leise oder er antwortete schlichtweg nie. So schlug er schließlich Stunde um Stunde die Zeit mit Nichts tun tot und hoffte auf eine baldige Ankunft in Garandír. Nach einiger Zeit schließlich kam die Traumfeder mit einem jähen Ruck endlich zum Stillstand. Von Hoffnung erwacht, stützte sich Daramos sofort eifrig von seinem Sitz und lauschte. Doch die Stimme des Alchemisten war nicht zu hören als ob der plötzliche Halt nichts zu bedeuten hätte. Das einzige was er vernehmen konnte war ein leises Rasseln. Was das wohl zu bedeuten hatte? Der junge Fänger verbrachte schließlich noch einige Minuten still, in der Hoffnung man würde ihn endlich bescheid geben, dass man angekommen wäre, doch die Zeit gab seiner Ungeduld Sekunde um Sekunde neues Futter. Als diese am Ende noch stärker wurde, rutschte er etwas auf seinem Sitz hin und her als würde er auf glühenden Kohlen sitzen. „Mir reicht’s“, kommentierte er lautstark sein Tun und stand auf. Mit einem Schwung öffnete er die Tür und streckte den Kopf aus der Kutsche, um sich umzublicken. Verblüfft stellte er fest, dass sie sich immer noch im Lichterwald befanden, weiterhin von Strauch und Baum umzingelt. „Hey! Zauberer?“, rief er den Fuhrbock hinauf. Keine Antwort. Doch da erklang wieder dieses merkwürdige Rasseln. „Hallo?“, fragte er deutlich lauter und nachdrücklicher nach. „Hallo!“, rief lachend eine unbekannte, kratzende Stimme. Blitzschnell beugte sich eine fremde Gestalt von der Kutsche herunter, sodass Daramos erschrocken zusammenzuckte und wieder in die Traumfeder zurückstolperte. Unsanft landete er gegen das Schränkchen auf dem Boden und blickte halb erstaunt halb unsicher zu dem Fremden, der auf dem Dach der Kutsche saß und kopfüber grinsend in den Innenraum der Traumfeder blickte. Von seinem Haupt hing das lange, schwarze Haar struppig und wild wie ein Gewächs herunter und verdeckte die Tür teilweise wie ein zerfilzter Schleier. Der Fremde selbst sah recht ungewaschen und verwahrlost aus, seine Gesichtszüge jedoch waren sehr scharf geschnitten und erinnerten ihn mehr an ein Raubtier als an einen Menschen. Auch seine fast katzenartigen Augen erstrahlten in einem ungewöhnlichen hellen rot, fast wie eine brennende Kerze. Das breite Grinsen des Unbekannten entblößte dazu auch noch eine Reihe spitzer Zähne, deren Anblick Daramos nun endgültig den Atem raubte. Was zur Hölle war das? „Oh? Hab ich dich erschreckt?“, meinte er kichernd und drehte den Kopf zur Seite, was zur Folge hatte, dass wilder Haarwuchs noch mehr von dem Licht draußen schluckte. Seine Stimme hatte etwas sehr kratzendes an sich, fast als würden Krallen über Stein schaben. „Naja, soll vorkommen. Mein Anblick ist ja nicht jeder gewohnt“, stellte er dann amüsiert fest, hob den Kopf schließlich an und war rasch wieder auf dem Dach des Wagens verschwunden. Mit einem starken Poltern und heftigem Rasseln sprang er schließlich von der Traumfeder ab und landete genau vor der Tür, aus der immer noch erstarrte Daramos einen ungläubigen Blick nach draußen warf. Der Fremde richtete sich dagegen ganz gelassen auf und streifte etwas Dreck von seinem langen, schwarzen Mantel. Auch sonst hatte er feste, schwarze Handschuhe und Stiefel an, solche wie sie wohl die Wildjäger gerne trugen. Auch der ebenfalls schwarze, breit gekrempelte Wanderhut, den er in seinen Händen von Schmutz ausklopfte, passte zu diesem Eindruck. Zudem wurde auch Daramos ersichtlich was das Rasseln vorher verursacht hatte. Der Unbekannte trug lange Eisenketten um seinen Hals, die Hüfte und sein Handgelenk, fast als hätte man ihn aus einem Kerker freigelassen und vergessen die Fesseln abzunehmen. Nicht weniger auffällig war seine stattliche Körpergröße, mindestens genauso groß wie Nathaniel, wenn nicht sogar größer. Weiterhin von dem Anblick und dem plötzlichem Auftauchen des wilden Mannes erschrocken, schluckte Daramos seine Angst herunter und richtete sich zaghaft auf. Einen Moment dachte er darüber nach was wohl zu tun war und wie er reagieren sollte. Vielleicht war es nur ein weiterer komischer Bekannte des Zauberers. Schließlich entschied sich der Fänger zu der einzig logischen Reaktion, die ihm einfiel. „Wer sind sie?“ Der Fremde, der immer noch ihm den Rücken zugewandt hatte und seinen Hut ausklopfte, wandte sich ihm gleich zu und zeigte ein schelmisches Lächeln. „Schadara' eth Dekart, mein Junge. Aber meine Freunde dürfen mich ‚Schadrat’ nennen“, hauchte er freundlich zu, auch wenn seine roten Katzenaugen ihn derart hämisch anstarrten als wäre er eine besonders leckere Maus. Daramos fühlte sich derart unangenehm in seiner jetzigen Lage, dass er doch lieber noch ein paar Schritte zurückwich und mit den Beinen gegen das Schränkchen knallte. Der Fremde nutzte die Gelegenheit und beugte sich selbst dafür ein wenig mehr in die Tür und trat mit seinen festen Stiefeln mit einem hörbaren Knall auf die Schwelle der Kutsche. Lässig lehnte er sich mit einem Ellbogen auf den Schenkel und stützte das Gesicht mit der Faust ab, Daramos immer noch fest im Blick. Gerade wollte der Fänger eine weitere Frage stellen, bevor ihn ein erneuter Schreck die Sprache verschlag. Ein Detail schien er bei dem Fremden durch den wilden Haarwuchs bisher übersehen zu haben und zwar seine Ohren. Diese standen spitz, aufrecht und pelzig auf seinem Kopf wie bei einem Tier. „Was zum…?“, keuchte Daramos als er diesem Anblick gewahr wurde. Schadrat dagegen grinste breiter und ließ seine tierischen Ohren kurz zucken. „Interessant, nicht wahr? So etwas hat nicht jeder“, gab er zu und kicherte hämisch als hätte er besonderen Spaß an dieser Situation. Sogleich setzte er sich jedoch den Hut auf und verdeckte den Grund von Daramos’ Erstaunen unter dickem Filz. „Gefällt dir die Jägerkleidung?“, fragte er lächelnd und hob fragend eine Augenbraue, „Also mir gefällt sie wunderbar. Sie passt auch gut, sehr gut sogar. Du musst wissen, ich bin auch ein Jäger. Nicht gerade für Reh und Kaninchen, nein, dafür wäre ich doch sehr unterfordert. Meine Art der Beute ist eine ganz andere.“ Mit den letzten Worten fixierte er Daramos mit seinen roten Augen wie mit zwei Nadeln an die Wand. Dieser, unfähig sich zu rühren oder weiter zurück zu weichen, versuchte sich an die Wand zu drängen, doch Schadara kam ihm einfach näher, indem er nun vollends in die Kutsche trat. „Kannst du dir vorstellen, welche Art der Beute ich bevorzuge?“, hauchte er vorfreudig, während er mit einer leichten Handbewegung seinen Mantel öffnete. Sogleich erstrahlte das silberne Funkeln der Messer an seinem Gürtel, in deren blank polierten Klingen Daramos sein eigenes, kreidbleiches Gesicht erkennen konnte. Die Situation voll auskosten, beugte sich der Jäger schließlich weiter zu dem Jungen herab als wollte er seine Angst ganz aus der Nähe betrachten. „Hab keine Angst, Kleiner. Ich mache es kurz und schmerzlos“, lachte er laut, nur um wenige Sekunden später verblüfft festzustellen, dass er plötzlich Daramos’ Stiefel im Gesicht hatte. Von der Wucht des plötzlichen Angriffs überrascht, wurde der Jäger wieder aus der Traumfeder geworfen und landete mit einem lauten Scheppern auf dem Boden, während sein Hut eifrig davon flog. Fluchend warf er sich um und hielt sich das feuerrote Gesicht, von Überraschung, Schmerz und Wut verzehrt. „Du kleine Ratte!“, zischte er böse, die Stimme bis zu Unkenntlichkeit von einem gutturalem Fauchen verzerrt. Von der gespielten Freude und Höfflichkeit war keine Spur mehr zu erkennen. „Ich hab keine Ahnung was oder wer du bist, aber wenn du glaubst, dass ein Fänger eine leichte Beute ist, dann hast du dich getäuscht“, sprach Daramos langsam, aber drohend, während er sich aus der Tür der Kutsche beugte. Auch bei ihm war die vorherige Angst verschwunden als hätte sie der nächst beste Windhauch mitgenommen. Dafür schenkte ihm Schadara sogar ein anerkennendes, wenn auch grimmiges Lächeln. „Ihr Fänger seid trickreich wie die Füchse in eurem Land“, zischte er. „Dann pass mal auf, bis du mich im Kampf erlebst, Straßenkatze“, sagte der Fänger grinsend. „Ich kann es kaum erwarten, Bursche!“, rief der Jäger drohend, sprang wieder auf die Füße und griff unter seinen Mantel. Auch Daramos nahm eine breitbeinige Kampfhaltung ein, während seine Finger blitzschnell nach seiner Waffe tasteten. Zu seiner Verwunderung brauchten sie aber eine Weile auf der Suche nach seinem Messer, bis ihm ein durchaus nicht ganz unwichtiger Umstand einfiel. Nathaniel hatte ihm seinen Dolch abgenommen. „Mist!“, fluchte er leise. Zur Reue hatte er jedoch keine Zeit mehr. Wie eine Peitsche schlang sich eine der Eisenketten des Jägers um seinen Arm und drückten sich tief in sein Fleisch. Noch während der Fänger unter Schmerzen aufschrie, riss ihn Schadara mit einem so kräftigen Ruck von den Füßen, dass er glaubte, er würde ihm den Arm rausreißen. Hilflos wurde er sogleich durch die Luft geschleudert und knallte hart auf den Boden, einige Meter von der Traumfeder entfernt. Der grässliche Schmerz in seinem Fleisch brannte unter den eisernen Ketten heftig, trieb ihm die Tränen in die Augen, noch während er verzweifelt um Luft rang. Doch zumindest ließ der kalte Stahl seinen Arm bald los, als Schadara die Ketten von ihm löste und sie wieder erneut um sein Handgelenk befestigte. „Na? Was ist? Das ist erbärmlich! So macht mir das ganze gar keinen Spaß“, lachte die höhnische Stimme des Jägers, der sich dem vor Schmerz krümmenden Daramos mit großen Schritten näherte. Kurzerhand packte er ihn und riss ihn vom Boden hoch, um ihn anschließend an einen der Baumstämme zu pressen. Dort nagelte er ihn regelrecht fest, bis ihm die Luft wegblieb. „Genug geplauscht, schließlich soll man aufhören, wenn es am schönsten ist, nicht wahr?“, raunte er ihm zu und wartete auch eine Weile auf eine Antwort. Doch alles was er zu hören bekam war das Röcheln des Jungen, der verzweifelt nach Atem rang. Schon allein dieses Geräusch ließ den Jäger zufrieden nicken. Langsam legte er seine Hand an den kühlen Griff eines der Messer an seinem Gürtel und zog es hervor, genau auf vor das Gesicht des Fängers, damit Schadara noch ein letztes Mal dessen Angst auskosten konnte. Und diesmal war sie echt, das spürte er. Die weit aufgerissenen Augen, das Zittern seines Körpers. Wie so oft war von Stolz und Heldenmut nichts mehr zu sehen, denn im Sterben waren alle Menschen gleich, das wusste Schadara genau. Wenn sie die Furcht ergriff waren sie nicht mehr als kleine, winselnde Tiere. Nur für diesen Anblick allein zeigte er ihnen Messer, dass seine Opfer selbst im kalten Eisen ihr eigenes Ende sahen. Für den Jäger selbst, ein letzter, wundervoller Augenblick des Genusses, den er so lange auskostete wie einen guten Wein. Sanft beugte er sich vor, bis er fast die Ohren des Fängers mit seinen Lippen streifen konnte. „Grüß deine Mutter von mir, wenn du ihr in der Hölle begegnest, Daramos“, wisperte er leise, doch ob der Junge seine Worte überhaupt noch wahrnahm, interessierte ihn schon nicht mehr. Sofort ließ er das Messer sinken und stach mit einem kräftigen Stoß zu. Im Schreck seines letzten Augenblicks, schloss Daramos panisch die Augen und zuckte zusammen als ein metallenes Klingen wie ein Echo über den Wald niederhalte. Zwei, drei Momente geschah nichts als sei selbst die Welt um ihn erstorben und ihm zu Grabe geworden. Doch kein Schmerz erfüllte ihn, obwohl er deutlich das kalte Metall einer Klinge an seinem Körper fühlte. Vorsichtig öffnete der Fänger die Augen und erblickte Schadaras Gesicht, dass von einer Mischung aus Enttäuschung und Überraschung beherrscht wurde. Zwischen ihm und dem Messer des Jägers war wie aus dem Nichts die Klinge eines Rapiers aufgetaucht, die sich schützend vor Daramos erhob und an dessen Ende sich Waktus Hand legte. Nathaniels Fuhrmann stand immer noch mit erhobener Klinge da und musterte Schadara mit einem nahezu gleichgültigen Blick. So verharrten sie einige Momente, erstarrt von diesem Augenblick, ohne dass einer von ihnen auch nur einen Muskel rührte. Doch auch wenn dieser Moment zäh wie Schlamm in einer Sanduhr verstrich, so urplötzlich riss sich Waktu jäh aus dieser Starre los. In Sekunden schnellte sein Arm vor und schlug nach dem Jäger, der durch einen flinken Sprung sich seinem Angriff entzog. Wie ein Tier drängte er sich an die Traumfeder und ließ ein lautes Fauchen vernehmen. Auch Daramos löste sich aus seiner Starre, doch er sank halb erleichtert halb erschöpft an dem Baumstamm herunter und wusste zunächst nicht ob er lachen oder heulen sollte. Für wenige Augenblicke, sei es auch nur Sekunden gewesen, hatte er leibhaftig dem Tod in die Augen geblickt. Die Furcht, so stark und heftig wie noch nie in seinem Leben, hatte sich wie ein Brandmahl in sein Herz gesetzt und ließ ihn jetzt noch verstört zittern. Kraftlos sah er zu seinem Retter hoch, der auch in dieser Situation genauso unbeteiligt wirkte wie zuvor. Doch Waktu hatte den schwarzen Umhang, den er noch auf den Fuhrbock getragen hatte, abgelegt und darunter zeigte sich die Tracht eines Zauberers wie sie Daramos schon einmal gesehen hatte. Es war ein langer, nachtblauer Mantel aus festem Filz, dazu hautenge Stiefel bis zu den Knien, die mit einigen silbernen Schnallen verziert waren. Um die Hände trug er dünne, weiße Stoffhandschuhe und ein ebenso weißes Hemd mit einem weiten Kragen unter dem Mantel, der ihm bis zum Kinn zugeknöpft war als hätte er Furcht auch nur mehr Haut zeigen zu müssen als notwendig war. Zu seiner Seite ragte die Scheide seines langen Rapiers unter dem blauen Filz hervor und zeugte von einer kunstvollen Verzierung aus Gold und Silber. Die Waffe selbst richtete der Fuhrmann drohend auf Schadara, die stolz im Sonnenlicht glänzte. Auch das Rapier war allein ein beeindruckender Anblick. Der Griff aus reinem Silber, räkelte sich ein Handschutz in Form einer vierflügeligen Eule über die Finger des Trägers. Der lange goldene Federschweif des Tieres schlang sich um eine feine Uhr, die in der Mitte des Handschutzes eingelassen war und mit einem leisen, aber beständigen Ticken auf sich aufmerksam machte. So wie der junge Fuhrmann dastand, wirkte er trotz seines regungslosen Gesichts wie echter Krieger, die Klinge zum Kampf bereit. Nur kurz blickte er über die Schulter zu Daramos, seine blauen Augen von seiner immerwährenden Traurigkeit umhüllt. Die schwarz gefärbte Haut um sein linkes Auge, fröstelte Daramos nach wie vor, selbst jetzt, wo der schweigsame Mann sein Lebensretter geworden war. Langsam senkte der Fänger den Blick als ihn zu seinem Elend auch der Neid ins Herz stach. Waktu schien nicht viel älter als er, wenn nicht gar jünger und doch strahlte er trotz aller Melancholie eine Art der Kraft aus wie es sich Daramos nur hätte wünschen können. „Danke dir“, flüsterte er kaum hörbar, doch der junge Fuhrmann nickte als Zeichen des Verstehens langsam und wandte sich sogleich wieder seinem Gegner zu. „Nicht schlecht, nicht schlecht. Da hast du aber einiges dazugelernt, seit unserem letzten Treffen, Waktu“, rief Schadara schließlich und stemmte die Hände in die Hüfte. Offenbar hatte er die Enttäuschung sein Opfer verloren zu haben überwunden und präsentierte sich wieder mit einem lässigen Grinsen. „Aber glaub nicht, dass du diesmal…“, fing er erneut an und wurde just von einem lauten Ticken der Uhr im Griff des Rapiers unterbrochen. Sogleich war der Fuhrmann wie vom Erdboden verschwunden als hätte er sich ohne Spur aufgelöst. Noch während sowohl Schadara als auch Daramos verblüfft zusammenzuckten, sprang der Jäger wie von einem Blitz getroffen los und entkam nur um haaresbreite der Klinge seines Gegners. Waktu, der fast ohne einen Moment zu zögern und ohne ersichtlichen Grund hinter dem Katzenmensch gestanden hatte, ließ erst gar keine Zeit verstreichen und ging sofort zum Angriff über. Fast genauso schnell löste Schadara die Eisenketten von seinen beiden Handgelenken und schwang sie wie Peitschen um sich, schlug tiefe Furchen in den Weg und wirbelte nur in kurzer Zeit so viel Staub und Dreck auf, dass der Anblick des Kampfschauplatzes unter braunem Nebel verschwand. Wie Gewitterschläge donnerten Klinge und Ketten aneinander, nur unterbrochen von den schnellen Schritten der beiden Kontrahenten, ob nun zum Ausfall oder zur Verteidigung. Zu schnell waren die Bewegungen als das Daramos sie hätte alle erfassen können und so von einer unnachgiebigen Härte die Angriffe, dass selbst er bei jedem Aufprall zusammen zuckte. Wie durch Geisterhand wechselte der Fuhrmann urplötzlich seine Position bei dem lauten Ticken der Uhr, brachte den Jäger trotz seiner schnellen Reaktion immer weiter in Bedrängnis, die er nur allein durch die Reichweite seiner Eisenketten auszugleichen wusste. Hastig wollte der Fänger aufstehen als eine der geschwungenen Ketten des Jägers in der Hitze des Gefechts nur kurz über seinen Kopf hinwegsauste und dabei den Baumstamm so sauber auseinander schlug, als hätte man ihn mit einer Säge auseinander geschnitten. Mit weit vor Schreck aufgerissenen Augen, ließ sich der Fänger doch wieder auf den Boden sinken und schluckte nervös. Ein weiterer Schock fuhr ihm durch die Glieder, als sich just eine Hand auf seine Schulter legte. Doch als er sich umblickte, sah er nur Nathaniel durch das Dickicht der Wälder gebückt, der ihm mit einer bestimmenden Geste zu sich zog. „Verzeih mir! Wir wurden reingelegt. Hat er dir was getan?“, flüsterte er besorgt und betrachtete den Jungen voller Angst, ihm könnten irgendwelche Extremitäten fehlen. Zu mehr als einem Kopfschütteln war Daramos jedoch nicht fähig. „Alle zwölf Götter des Zufall sei es gedankt“, seufzte er erleichtert und schüttelte den Kopf. Mit einem weiteren Blick fügte er noch hinzu: „Warte hier!“ Den Rat nahm der junge Fänger gerne entgegen. Der Alchemist dagegen stand auf und näherte sich mit festen Schritten den beiden Kämpfenden. Wie ein König der seine Untertanen befiehlt streckte Nathaniel beide Hände aus und runzelte die Stirn. Ein schwaches Leuchten ging sogleich von seiner rechten Hand aus, als sei sein Handrücken von einer metallischen Schicht überzogen. „Isarn“, rief er laut und deutlich, „Kümmer dich um ihn.“ Fast wie ein Säuseln im Wind, erklang ein metallisches Schaben, das sich fast wie menschliche Sprache anhörte. „Zu Befehl, Meister!“ Ohne wirklich zu verstehen was vor sich ging, staunte Daramos nur über das Geschehen, dass nicht nur seinen Horizont, sondern auch seine bisherige Realität bei weitem überstieg. Gerade hatte noch der Kampf wild und eifrig zwischen Waktu und Schadara getobt, sogleich kam er zum völligen Erliegen als seine beiden Eisenketten mitten in der Luft erstarrten als wären sie im Schwung festgefroren. Der Jäger fauchte grimmig und versuchte seine Waffen wieder aus der Luft fortzureißen, doch seine Versuche waren mehr kläglich als fruchtbar. Auch Waktu hatte aufgehört zu Kämpfen und schob sogleich das Rapier in die Scheide zurück, als hätte er nur auf den Auftritt Nathaniels gewartet. Dieser näherte sich langsam, aber sicher dem verzweifelten Kater und warf einen nachdenklichen Blick auf die langen Eisenketten. „Fessel ihn“, sprach er und verschränkte siegessicher die Arme. Sogleich schnellten die beiden Waffen des Jägers wie zwei Schlangen los und wickelten sich um ihn, was er mit einem grimmigen Blick mitverfolgte. Offenbar wehrte Schadara sich gar nicht mehr dagegen, schien es stattdessen mit einer Art Enttäuschung hinzunehmen. „Ahhh… Du spielst nicht fair“, raunte er beleidigt und zog einen Schmollmund. „Elende Kreatur“, fluchte Nathaniel laut und ballte die Hand wütend zur Faust, doch ließ sie gleich darauf sinken und strich sich stattdessen eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ha? Was denn, Nathaniel? Sind wir langsam verärgert?“, lachte der Kater freudig und streckte ihm die Zunge raus, „Du wirst niemals Ruhe vor mir haben. Du wirst…“ „Halt dein abscheuliches Mundwerk“, unterbrach ihn der Alchemist forsch, „Es ist genug, dass du mir nach dem Leben trachtest, aber, dass du dich nun auch an dem Jungen vergreifst!“ Schadara kicherte hämisch und bedachte Nathaniel mit einem viel sagenden Blick. „Und nun? Was hast du vor?“, fragte er ihn und streckte ihm neugierig den Kopf entgegen. Doch der Zauberer antwortete gar nicht mehr. Er wandte sich voller Abscheu ab und ging auf Daramos zu. „Waktu! Auf die Kutsche. Wir fahren sofort weiter“, befahl er barsch und unterstrich seine Worte mit einer heftigen Gestik. „Du hast immer noch nicht den Mut mich zu töten, Nathaniel! Nicht wahr? Ha!“, schrie der Jäger ihm nach und verfiel in ein lautes Lachen, dass Daramos einen Schauer über den Rücken jagte, „Du wirst für alles büßen, Nathaniel. Für alles! Hörst du?“ Kurzerhand schlang sich die Kette auch über seinen Mund, was die Stimme des Katers jäh zum Ersticken brachte. Der Alchemist dagegen senkte den Blick und schüttelte den Kopf. „Noch nicht“, flüsterte er leise zu sich. Er schluckte tief als er versuche diesen Moment in sich verschwinden zu lassen, schüttelte sich dann kurz und blickte den Fänger an. Daramos war immer noch durcheinander. Das eben Erlebte schwirrte ihm wie ein Wespenschwarm durch den Verstand, kaum in der Lage auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Er erinnerte sich an die Worte des Katers, das was er über seine Mutter gesagt hatte. Er solle sie in der Hölle treffen? Woher sollte dieser Jäger seine Mutter kennen? Er wusste ja nicht einmal etwas von ihr. Und dann diese unheimlichen Kräfte, die nicht nur Waktu, sondern auch Nathaniel unter Beweis gestellt hatte. Daran war doch nichts mehr Menschliches. Was war mit diesen Katzenohren? Warum sollte er sterben? Was zur Hölle war hier los? „Wie geht es dir?“, fragte Nathaniel besorgt und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Im nächsten Moment ballte Daramos eine Faust und schlug ihm ohne Vorwarnung direkt ins Gesicht. Einen Moment beobachtete er dann wie Nathaniel taumelnd vor ihm zurückwich und sich die Hände schützend vor die Nase hielt. „Besser“, meinte der Fänger und atmete tief ein. Tatsächlich erleichterte sich die Last auf ihm sogleich als seine aufgestauten Gefühle endlich freilassen konnte. Besser als jedes tröstende Wort. Zwischen seinen Fingern blickte der Alchemist zu Daramos hindurch, teils verwundert und teils außer sich vor Wut. Doch anstatt ihn erneut anzufahren, ließ er sich für seine nächsten Worte jede Menge Zeit als wollte er sie unendlich weit auseinander ziehen. „Ich fange langsam wirklich an dich zu hassen.“ Daramos grinste. „Wunderbar.“ „Steig in die Kutsche“, bellte der Zauberer und ließ allmählich die Hände sinken. Seine Nase glühte förmlich rot wie eine Tomate. „Erklärst mir dann was es damit auf sich hat?“, fragte der Fänger und deutete auf Schadara, der weiterhin gefesselt auf dem Weg stand und ihnen gierige Blicke zuwarf. „Wenn du mir sagst, was dieser Schlag sollte?“, meinte Nathaniel grimmig. „Das du mich allein in der Kutsche gelassen hast“, antwortete Daramos und hob die Hand, „Und weil du dabei noch mein Messer hast.“ Der Alchemist brauchte eine Weile, um ihm einen ganz und gar tödlichen Blick zu zuwerfen, doch dann griff er in seine Tasche und legte ihm den Griff seiner Waffe auf die Hand. Ihm kein einziges Wort mehr würdigend, drehte sich der Zauberer auf den Absatz um und marschierte zurück zur Traumfeder. Daramos betrachtete einen Moment die Klinge, nickte zufrieden und schob sie zurück in seinen Gürtel, wo sie auch hingehörte. „Ich habe das Gefühl, dass dies nur der Anfang war“, meinte er mit einer leichten Prise Galgenhumor zu sich. Diesmal sollte er Recht behalten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)