Sympathy with the Devil von Saya_Takahashi (~Eine Geschichte über die unsterbliche Liebe~) ================================================================================ Prolog: Eine neue Stadt ----------------------- Die gleiche Scheiße, Tag für Tag. Sakura hatte es so satt. Selbst hier, in einer neuen Stadt, weit weg von Tokio und den Fratzen lästernder Menschen, würde es nicht anders werden. Das wusste sie, noch bevor sie in den Flieger gestiegen war. Sie hatte es schon gewusst, als es entschieden wurde. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie die Vergangenheit einholte – in Naha, im entlegensten Winkel der japanischen Inseln. Irgendwann würden es auch hier alle wissen, mit ihren Fingern auf sie zeigen, urteilen und verdammen. Natürlich würde man sie verdammen. Zum Teufel schicken, würde man sie. Wie in Tokio und in Osaka. Eigentlich war es egal, wo sie war; ihre Vergangenheit klebte an ihr wie die Scheiße unterm Schuh. Sie stank einfach überall. Als das Taxi hielt, sie ausstieg und dem Fahrer Geld gab, überkam sie ein mulmiges Gefühl im Magen. Der Taxifahrer wusste nichts, doch er blickte in ihre Augen, als könne er dort die ganzen verteufelten Dinge lesen, die in ihrem Leben passiert waren. Sakura fühlte sich nackt; bloßgestellt im Trugschloss, dass sich Leben nannte. Sie wandte sich um und ging eilig auf das Hochhaus zu. Ein steinerner Betonklotz inmitten einer sonst ganz hübschen Vorstadt. Er wirkte fehl am Platz, als gehöre er nicht her. Sakura fühlte sich genauso. Außer den Dingen in ihrem Rucksack besaß sie nichts. Unter ein paar Kleidern lag das einzige Foto, dass sie von früher hatte: ihre Eltern und sie in Osaka, ihrer Heimat. Damals war die Welt noch in Ordnung gewesen, heute aber herrschte das Chaos. Es musste ihr Schicksal gewesen sein, in diesem Betonklotz zu enden. Sakura erreichte atemlos den vierten Stock. Eine alte Frau kam ihr entgegen, die sie teilnahmslos musterte. Die junge 19-jährige zwang sich zu einem Lächeln, kramte rasch in ihrer Hosentasche und holte den Wohnungsschlüssel hervor. Oft wünschte sie sich, einfach nur unsichtbar zu sein. Sie steckte angespannt den Schlüssel ins Schloss und hielt für einen Moment den Atem an. Das Schild an der Tür zeigte ihren Namen: S. Haruno. Was hätte sie dafür gegeben, ihn ablegen zu können! Doch noch etwas anderes ließ ihren Puls schneller rasen. Hinter dieser Tür lag ihre erste, eigene Wohnung. Ihr neues zu Hause. Vielleicht konnte es auch einen Neuanfang bedeuten. Aber nur vielleicht. Als die junge Frau endlich den Flur betrat und das Licht einschaltete, kam ihr ein modriger Geruch entgegen. Sie ließ den Rucksack fallen und rannte zum Fenster. Schnaufend blickte sie hinaus und sog die frische Luft ein. Sie würde wahrscheinlich Tage brauchen, um den Gestank aus der kleinen Wohnung zu bekommen. Dann nahm sich Sakura Zeit, die Räume zu begehen. Das Wohnzimmer war möbliert, und die uralte Couch hasste sie jetzt schon. Es war ein urig graukariertes Monster, das seine besten Jahre lange hinter sich hatte. Sie setzte sich kurz – aus Neugier – und stellte fest, dass jede Bewegung von einem abartigen Quietschen begleitet wurde. Eine der Federn kam durch den Stoff, und wie auch immer sie sich bewegte – irgendeine Feder stach ihr immer in den Hintern. Was soll‘s, dachte sie. Es war besser, als die Betten während ihrer Haft. Sakuras Knie zitterten unmerklich, als sie wieder aufstand und das Schlafzimmer betrat. Ihre Gefühle überwarfen sich stets, wenn sie an die Zeit im Gefängnis dachte. Sie musste sich am Kleiderschrank abstützten und tief durchatmen. Der widerwärtige Geruch war auch in diesem Raum, und Sakura, noch immer blass im Gesicht, öffnete das Fenster und schaute nach draußen. Der Hinterhof lag vor ihren Augen; ein ziemlich trostloser Platz, in dessen Mitte eine zerlumpte Holzbank stand. Sie war zwar gestrichen worden, doch blätterte die Farbe an den einzelnen Brettern bereits ab und hinterließ ein unschönes Mosaik aus braun-weißen Streben. Drumherum waren niedrige Beete angelegt, doch Sakura konnte nicht eine einzige Blume entdecken. Es sah vielmehr danach aus, als hätten dort Wildschweine gewütet – und das nicht nur einmal. Im Bad hielt es Sakura nicht so lange aus, wie in den anderen Zimmern. Sie hatte das Übel gefunden, das für den abartigen Geruch verantwortlich war. Doch wenn sie an den ungepflegten Hinterhof dachte, wunderte es sie auch nicht, dass es dem Hausmeister entgangen war, die Vormieter auf den liegengelassenen Müll neben dem Klo aufmerksam zu machen. Die große Tüte mit verfaulten Lebensmitteln musste schon vor langer Zeit vergessen worden sein. Angewidert schloss Sakura die Badezimmertür und fürchtete sich vor ihrem Gang in die Küche. Eigentlich wollte sie überhaupt nicht wissen, was sie dort erwartete. Schnell brachte sie den letzten Raum hinter sich und machte eine innerliche Notiz, einen Berg Putzmittel zu besorgen. Andernfalls würde sie die nächsten Wochen kaum überstehen. Sakura erschrak, als das verstaubte Telefon im Wohnzimmer schrill klingelte. Sie rannte zu der kleinen Anrichtete und nahm mit steifen Fingern ab. „Ja – bitte?“, fragte sie zögerlich. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie ein eigenes Telefon besaß. Es brachte sie so durcheinander, dass sie nur zuhörte und am Ende schlicht nickte. „Ähm, ja“, fügte sie hinzu. „In zwei Stunden. Ich bin hier.“ Dann legte sie auf, setzte sich aufs unnütze Sofa und wartete bis Herr Sakamoto, ihr zugeteilter Sozialhelfer, kam. Obwohl es viel zu bereden gab, blieb Sakura beim Gespräch verschlossen wie immer. In ihren Händen hielt sie ihren neuen Studentenausweis – etwas ganz besonderes, wie Sakamoto meinte. „Es ist dein Schlüssel zu einer besseren Zukunft“, hatte er gesagt, bevor er wieder gegangen war. „Du bist noch so jung und dir stehen alle Türen offen. Vielleicht wird dein Weg schwieriger, als bei anderen – aber vetrau mir, Sakura, es gibt ihn trotzdem.“ Sakura hatte genickt, obwohl sie nicht an diesen Weg glaubte. Doch sie wollte sich bemühen und es ernsthaft versuchen. Sie versprach es Sakamoto und sich selbst; und ihren toten Eltern, die längst im Himmel waren. Trotz der bleiernen Müdigkeit hielt es Sakura nicht lange in ihrer neuen Bleibe aus. Sie legte ihren Studentenausweis und die Anmeldepapiere auf den Küchentisch und zog sich einen ausgeleierten Pullover über. Der Gestank brachte ihren Kopf zum Platzen, und gleich morgen, wenn sich die Läden wieder öffnen würden, musste sie sich zum Einkaufen überwinden. Die Sozialhilfe vom Staat reichte zwar kaum fürs Essen, doch Sakura war ohnehin genügsam. Allein dieser Gestank musste verschwinden. Andernfalls würde sie bald durchdrehen. Als Sakura die vier Stockwerke nach unten lief, zog sie sich die Kapuze ihres Pullis über die kurzen, rosa Haare. Es war frisch geworden und nieselte leicht. In den letzten Tagen war das Frühlingswetter angenehm gewesen, doch die Abende wurden noch immer sehr kühl. Sakura schlug den Weg ein, den das Taxi genommen hatte, als es sie vom Flughafen hergebracht hatte. Die Laternen brannten bereits und warfen dunkle Schatten, die Sakura geflissentlich ignorierte. In Tokio war sie grundsätzlich nur im Dunkeln unterwegs gewesen, um so wenigen Leuten wie möglich zu begegnen. Mit Schrecken dachte sie daran zurück, wie es gewesen war: wie es sich angefühlt hatte, wenn Mütter ihre Kinder auf die andere Straßenseite zogen oder ältere Herren stehen blieben und sie vernichtend ansahen. Wäre Ichigo Sakamoto nicht gewesen, der ihr mit Rat und Tat zur Seite stand, sie hätte es vermutlich niemals so lange durchgestanden. Sakura erreichte einen Spielplatz und ließ sich für ein paar Minuten auf der Schaukel nieder. Sie genoss die Stille um sich herum, die einzig von dem Zirpen nachtaktiver Grillen durchbrochen wurde. Bisher war ihr nur ein einzelnes Auto begegnet und auch kein Anwohner der Siedlung war ihr entgegengekommen. Sakamoto hatte eine gute Wahl getroffen, als er ihr diese Vorstadt empfahl. Er selbst wohnte mit seiner Familie seit kurzen in Naha, und es war ihm wichtig gewesen, Sakura dennoch weiterhin betreuen zu können. Für seinen aufopfernden Einfall, nach Okinawa Honto zu ziehen, dafür, dass er alles in Bewegung gesetzt hatte, damit man es ihr gestattete, würde sie ihm ewig dankbar sein. Sogar, wenn es nicht funktionieren sollte – ja, sogar dann. Als der Regen immer stärker wurde und Sakura längst durchnässt war, verließ sie den Spielplatz und versuchte sich zu erinnern, aus welcher Richtung sie gekommen war. Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren – eine Nebenwirkung der starken Medikamente, die sie langsam absetzte. Einem schmalen Fußweg folgend, stand sie plötzlich auf einer vollkommen unbekannten Straße. Fröstelnd lief sie wieder zurück, bog um eine Ecke und hielt erschrocken, als zwei Lichter auf sie zurasten. Die quietschenden Reifen eines scharf bremsenden Wagens, versetzten sie in Panik. Wie ein aufgescheuchtes Reh blieb sie stocksteif stehen, und als der Wagen keinen Meter vor ihr zum Halten kam, begangen ihre Beine heftig zu zittern. „Alles okay?“ Ein junger Mann Ende zwanzig stürzte aus seinem Auto und lief mit bleichem Gesicht auf sie zu. Er musterte sie kurz, als suche er Anhaltspunkte für Verletzungen, dann kam er langsam näher und beugte sich besorgt zu ihr hinunter. „Es tut mir furchtbar leid. Bist du in Ordnung?“ Sakura nickte steif. „Entschuldigung“, sagte sie und biss sich auf die Lippen. Rasch trat sie von der Straße und verbeugte sich höflich. „Ich hab nicht aufgepasst. Ich hätte …“ „Schon gut, aber bist du wirklich okay? Du bist ganz blass!“ Sakura nickte abermals und atmete tief durch. „Ja, nichts passiert. Ich habe mich nur erschrocken. Ich – kenne mich hier noch nicht aus. Wahrscheinlich habe ich mich verlaufen.“ „Wo wolltest du denn hin?“ Sakura nannte dem Mann ihre Straße, obwohl sie selten so vertrauensvoll antwortete. Allerdings hätte sie beinah einen Unfall verursacht, und der Fremde machte einen freundlichen Eindruck. „Ah, das ist nicht mehr weit.“ Er deutete nach Süden. „Da vorne rechts am Spielplatz vorbei, auf der andere Straßenseite durch die kleine Gasse und dann gleich links rum. Ein hoher, alter Betonklotz, kaum zu übersehen. Aber ich fahr in die Richtung, ich nehme dich gerne mit.“ Sakura schüttelte schnell den Kopf. „Nein“; sagte sie hastig. „Nein, danke. Ich komme zurecht.“ „Sicher? Ich hätte dich fast über den Haufen gefahren. Außerdem siehst du wie ein begossener Pudel aus. Es macht mir nichts, ehrlich.“ Sakura verneinte. „Aber vielen Dank“, sagte sie und drehte sich eiligst um. Der Fremde sah ihr irritiert nach, schüttelte sein schwarzes Haar und brauste dann davon. Er bemerkte jedoch das seltsame Gefühl, dass er plötzlich bekommen hatte. Es war ein ganz und gar schlechtes Gefühl. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)